(Der revolutionäre Funke) Es gibt keine „richtige Seite“ in einem imperialistischen Krieg

Hier ein Artikel welches 1999 von der Gruppe aus Berlin, Kommunistischer Zirkel, veröffentlicht wurde. Dieser Gruppe hatte eine Publikation namens „Revolutionäre Funke“, darin findet man sehr interessante Texte. Weder die Gruppe noch deren Publikation existieren noch, aber deren Texte kann man sehr leicht im Internet1 finden. Die Intention diesen Artikel auszugraben liegt dem Interesse nach auf viele Parallelismen der Geschichte hinzudeuten. Dies haben wir in Bezug auf den Krieg in der Ukraine schon des öfteren gemacht, wie z.B., mit der Veröffentlichung vieler anarchistischer Texte zu dem Ersten Weltkrieg, die unser Wissen nach noch nie übersetzt, ausgenommen der Text von Luigi Galleani, wurden.


(Der revolutionäre Funke) Es gibt keine „richtige Seite“ in einem imperialistischen Krieg

In der Nacht zum 25. März hat die NATO mit 400 Kampfflugzeugen und etlichen Kriegsschiffen den ersten Angriffskrieg in ihrer Geschichte begonnen. Während die Vereinigten Staaten von Amerika dabei ihre wie auch immer definierten „vitalen Interessen“ verfolgen, ist auch Deutschland als treuer Bündnispartner mit von der Partie. Um eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern, wie es offiziell heißt. Doch wie verhindert man eine solche Katastrophe? Mit einer humanitären Katastrophe natürlich: Es wird offen von Krieg gesprochen (nicht von „begrenzten Luftschlägen, wie wir sie seit dem Golfkrieg von 1991 kennen!), der solange andauern werde, bis der jugoslawische Präsident Milosevic bereit sei, das Friedensabkommen mit den Kosovo-Albanern zu unterzeichnen. Rückversicherungen der NATO in Bulgarien und Rumänien sowie dumpfes Grollen aus Moskau deuten an, daß sich der Konflikt ausweiten wird.

Der Krieg als ein Mittel der Politik

Natürlich kann man versuchen, sich das Eingreifen der NATO entlang der offiziellen Kriegspropaganda zu erklären. Danach sind die Serben die Bösen – und zwar weniger, weil sie eine Regierung haben, die sich sozialistisch nennt: im Westen hat man längst gelernt, daß Namen auch in der Politk nur Schall und Rauch sind. Nein, die besondere Bösartigkeit der Serben liegt darin, daß sie über Jahre mit Beharrlichkeit eine Volksgruppe zu unterdrücken suchen, die in ihrem Gebiet in der Überzahl ist und nach Ansicht der NATO wenigstens einen Anspruch auf beschränkte Souveränität hat. Jeder noch halbwegs klar denkende Mensch müßte sich an dieser Stelle fragen, nach welchen Kriterien die NATO bestimmt, welches Volk einen solchen Anspruch hat. Für die Kurden in der Türkei gilt er offenbar nicht. Der Schein trügt nicht: es gibt keine abstrakten Kriterien dafür oder gar so etwas wie ein Menschenrecht auf einen Nationalstaat – aber es gibt politische und wirtschaftliche Interessen.

Das politische Interesse an der Aktion „Balkanbefriedung“ liegt auf der Hand: der Westen will den Balkan als seine Einflußsphäre gegenüber Rußland gewinnen. Ein westlich von Rußland brodelnder Unruheherd, von dem man nicht weiß, nach welcher Seite er sich letztlich wenden wird- das paßt nicht zum Konzept der NATO-Osterweiterung, das da heißt, dem alten Feind so nahe wie möglich auf die Pelle rücken. Eine womöglich panslawistische Verschwörung, die womöglich mit China zu einer Phalanx verbunden ist, muß verhindert werden. Das ist aber nur die eine Seite, das sind strategische Überlegungen, die Politiker so oder so ähnlich anstellen und entsprechend entscheiden mögen. Für die politische Aktivität von Kommunisten ist jedoch ein anderer Aspekt des Krieges weitaus bedeutungsvoller.

… und als Lösungsmöglichkeit für die globale Krise eines Wirtschaftssystems

Spätestens seit dem Beginn der Siebziger Jahre schwelt in der westlichen Wohlstandswelt eine Wirtschaftskrise. Der Wiederaufbau der Nachkriegsjahre war beendet und der große Boom des Wirtschaftswunders vorbei. Die Keynesianische Nachfragepolitik der Nachkriegsjahre hatte den Menschen zwar einigen Wohlstand, der Industrie jedoch kein dauerhaftes Glück gebracht. Die weltpolitische Lage war, bedingt durch die Blockkonfrontation des kalten Krieges, stabil. Gerade diese Stabilität brachte die Akkumulation noch weiter zum Erliegen. Der Zusammenbruch des Ostblocks brachte ein kurzes Aufatmen und krampfhafte Versuche, die Akkumulation dort in Gang zu bringen. Diese Versuche waren aber letztlich nicht von Erfolg gekrönt, da wohl Produktionsmöglichkeiten, aber keine nennenswerten zusätzlichen Absatzmärkte erschlossen werden konnten. Akkumulation ist lebenswichtig für das Kapital und sie ist eben etwas anderes, als nur die Möglichkeit, viel zu produzieren. Akkumulation – das bedeutet, den erwirtschafteten Mehrwert wiederum in gewinnbringenden Sparten anzulegen. Ziel der Aktion ist es, wie bei einer Kettenreaktion, multiple Gewinnmöglichkeiten zu erhalten. Die besondere Schwierigkeit liegt darin, daß Gewinn eben nicht gleich Gewinn ist. Ein reiner Geldgewinn aus einem Kreditgeschäft kann vielleicht Leute reich machen, hat aber auf die Akkumulation des Kapitals zunächst keinen Einfluß. Kennzeichen der fehlenden Akkumulation ist denn auch ein ins Gigantische aufgeblähtes Kreditsystem, innerhalb dessen Kredite immer wieder mit Krediten abgelöst werden. Die Ursache der Währungskrisen in Asien, Rußland und Amerika liegt darin, daß der Kapitalismus die notwendigen Potentiale an Produktivitätssteigerung und/oder die Erweiterung der Märkte nicht mehr aufbringen kann. Weder die von der Krise direkt betroffenen Länder, noch die „internationale Gemeinschaft“ haben dafür irgendein brauchbares Bewältigungskonzept gefunden. Stattdessen wurde in den letzten Monaten immer wieder von einer drohenden Weltwirtschaftskrise gesprochen.

Ein Krieg birgt die wunderbare Möglichkeit eines Neuanfangs.Wo Kapital in Form von Industrieanlagen und Infrastruktur zerstört wird, gibt es die Möglichkeit neu zu investieren. Keiner der großen Politiker und Wirtschaftsbosse könnte und wollte die mit der Verschärfung der Krise immerfort wachsende Bereitschaft zum Krieg so begründen. Trotzdem sind sie auf dieses Weise immer die Gewinner der Kriege gewesen. Verfahrene Konkurrenzsituationen lösen sich wie von selbst auf und die Karten werden neu gemischt. Alle haben die gleichen Chancen – ausgenommen natürlich die Proletarier.

Zuerst wird man sie in allen kriegführenden Ländern zu Patriotismus und Opferbereitschaft aufrufen und dann, wenn sie durch den Krieg wieder alles verloren haben werden und mit den Häusern und Fabriken das Werk ihrer Arbeit zerstört worden ist – dürfen sie es wiederaufbauen und dankbar sein für jeden miesen Euro,oder was sonst sie dafür bekommen sollen. Da heißt es rechtzeitig -NEIN- zu sagen

Keinen Pfennig, keine Arbeitsstunde und keinen Tropfen Blut für diesen Krieg zu opfern.

Wen interessiert denn eigentlich dieser Krieg? Die Menschen in Serbien, im Kosovo den USA und Deutschland wollen alle nur eines: in Frieden und Wohlstand leben – nur das viele von ihnen auch nach zwei verheerenden Kriegen in diesem Jahrhundert noch glauben, daß der Patriotismus ein Weg dahin ist. Wer das nicht glaubt, für den gibt es allen Grund gerade jetzt zumindest auf den sozialen Forderungen der Vergangenheit zu beharren. Der fortwährende Zyklus Krise – Krieg und Wiederaufbau wird nur dadurch beendet, daß sich die eigentlichen Akteure dieses mörderischen Theaters, die Arbeiter aller Länder, die Soldaten aller Nationen und die Befreiungskämpfer aller „Völker“ aus diesem Sysiphos-Dasein befreien.

Die bürgerliche Linke hat schon kapituliert

Die bürgerliche Linke, die auch zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks noch wie vom Donner gerührt scheint, akzeptiert zum Teil das Anliegen nationaler Befreiungsbewegungen und hat jetzt das Problem, womöglich mit dem früheren Hauptfeind NATO auf der Seite der Albaner stehen zu müssen. Ein anderer Teil findet nichts Besonderes am Einsatz von „Friedenssoldaten“ und gibt sich achselzuckend der Täuschung hin, daß man (wer?) ja etwas tun müsse, um nicht mitverantwortlich zu sein. Das ist insofern eine Täuschung, als man der Verantwortung für Krieg und Zerstörung nicht durch Krieg und Zerstörung entgehen kann. Die Dritten schließlich setzen sich mit kleinen Kerzchen vor irgendwelche Kirchentore um zu demonstrieren, daß man doch in Ruhe alles miteinander besprechen könne.

Der größte Teil der bürgerlichen Linken hat den Blick für Zusammenhänge längst verloren oder wegen der angeblichen „Unübersichtlichkeit“ der Welt längst aufgegeben. Klar, man demonstriert beispielsweise gegen die Null-Toleranz-Masche der Innenpolitik und beklagt die zunehmende Militarisierung des öffentlichen Lebens, vermag sie aber nicht mit der wachsenden Aggressivität nach außen in Zusammenhang zu setzen.

Die Frage, warum jetzt jedes Reformprojekt notwendig scheitert, oder die, warum selbst der „politische Diskurs“, das angebliche Lebenselixier der demokratischen Gesellschaft erlahmt, sobald es wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt – solche und ähnliche Fragen geben der bürgerlichen Linke keineswegs Anlaß, nach Lösungsmöglichkeiten außerhalb der traditionell bürgerlichen zu suchen.

Während die Ökonomie unser Leben dominiert, die Grundannahmen und Grenzen der parlamentarischen, wie leider auch der außerparlamentarischen Debatte bestimmt, weigert sich der größte Teil der Linken standhaft, sich jemals damit zu beschäftigen und auf diese Weise zu einer Erklärung der geopolitischen Zusammenhänge zu kommen.

Jede rein politische Lösung birgt den nächsten Krieg schon in sich

Zur Klarstellung: Wir gehen nach wie vor davon aus, daß die Gesellschaft in der wir leben, eine Klasengesellschaft ist, in der die eine Klasse, das Proletariat, den Reichtum der Gesellschaft produziert, aber gleichwohl weitgehend davon ausgeschlossen ist. Diese Klasse ist die einzige , die an der Aufrechterhaltung dieses Systems kein Interesse hat – aber sie hat aufgehört dagegen zu kämpfen. Teils durch Naziterror und Stalinismus zerschlagen, teils durch Sozialstaat, Betriebsfrieden und Sozialstaat eingesäuselt, hat sie die letzten Jahrzehnte relativ harmonisch überdauert. Aber damit ist jetzt Schluß: Der Sozialstaat wird systematisch abgebaut, Tarifverträge werden entweder geöffnet oder ganz beseitigt und der Betriebsfrieden wird mit Rausschmissen erzwungen. Ein Krieg? Das ist das letzte, was uns noch fehlt.

Und ein imperialistischer Krieg ist und bleibt ein imperialistischer Krieg – d.h. Auf allen Seiten sollen Menschen kämpfen und sterben, die selbst unter besten kapitalistischen Akkumulationsbedingungen nur abgespeist werden, indem man ihnen ein durchschnittliches Familieneinkommen, eine warme Wohnung und vielleicht ein Auto zumißt. Auch wenn der Kapitalismus floriert, entscheiden nicht sie darüber, was mit den Produkten ihrer Arbeit geschieht, sondern sie melden ihren Bedarf an und der Käufer ihrer Arbeitskraft mißt ihnen je nach der Lage am Markt und in der Konkurrenz – das Ihre zu, falls man die Ehre hat, bei ihm beschäftigt zu werden. Freie Vereinbarung wird das genannt. Diese Verhältnisse bringen den Krieg immer neu hervor und sie funktionieren in allen kriegführenden Ländern gleich.

Deshalb ist ein Teil der Sozialdemokratie 1914 zu dem Schluß gekommen, daß es sich für Proletarier und Sozialisten verbiete, in imperialistischen Kriegen eine Seite zu wählen. Die Zimmerwalder Linke war mit dieser Position konsequent und beispielgebend für die gesamte Arbeiterbewegung. Sie wurde während des Zweiten Weltkrieges durch verschiedene linkskommunistische Gruppen aufrechteralten, die sich sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch gegen die Antihitlerkoalition wandten, zu einem Zeitpunkt, als der größte Teil der noch existierenden Arbeiterbewegung schon ausschließlich der russischen Außenpolitik zu dienen bereit war .

In der Zwischenzeit ist viel geschehen. Aufstieg und Fall eines ebenso imperialistischen „Nominalsozialismus“ haben die Reste der Arbeiterbewegung zuerst ihres aufklärerischen Kerns beraubt, Diskussionen um die Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft unterbunden und den Kommunismus kanonisiert. Was nach dieser Prozedur an linkem Potential übriggeblieben ist, wurde durch die kampflose Übergabe des Ostblocks an den vormaligen „Feind“ 1989 vollkommen verwirrt. Vielleicht zu unserem Glück werden wir seither von neuen akademischen Weltbeglückungskonzepten verschont.

Es ist an der Zeit, sich von alledem freizumachen. Das Proletariat muß vor allem seine eigenen Interessen vertreten. Das kann es nur als die ausgebeutete Klasse des kapitalistischen Produktionsprozesses, d.h. im globalen Rahmen und organisiert. Der erste Schritt dazu ist zugleich die notwendige Voraussetzung einer internationalen Organisierung: die konsequente Ablehnung des imperialistischen Krieges, mit der Option sich stattdessen gemeinsam und mit der angestauten Wut aus zwei Jahrhunderten Kapitalismus gegen die Peiniger der Menschheit zu stellen.

Kommunistischer Zirkel

DER REVOLUTIONÄRE FUNKE

Streiten gegen Ökonomie, Politik und Dressur … denn es gibt eine Welt zu gewinnen!“


1Auf dieser Seite sind überhaupt einige sehr interessante, gute und wichtige Schriften in PDF-Format.

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