(Subversion, Großbritannien, 1996) Die revolutionäre Alternative zur linken Politik

Gefunden auf libcom, die Übersetzung ist von uns. Hier handelt es sich um eine Publikation aus Großbritannien, die den Namen „Subversion“ trägt. Dies ist ein Artikel von der Ausgabe Nummer 16 aus dem Jahr 1995, wir haben den Artikel aus zwei Gründen übersetzt, erstens weil wir die Kritik an der (radikalen) Linken des Kapitals teilen und für essentiell halten und dieser Text Punkte hervorbringt die in dieser Hinsicht sehr aktuell noch sind, zweitens, weil wir auf ihn gestoßen sind, als wir „Anarchistischer Antimilitarismus und Mythen über den Krieg in der Ukraine“ übersetzt haben und herausfinden wollten was dieser Text noch für weitere Kritiken übt. Wir werden uns diese Publikation weiterhin genauer anschauen und vielleicht können einige interessante Artikel übersetzt und aus der Vergessenheit gerettet werden. Alle unterstrichenen Stellen wurden so vom Originaltext übernommen, genauso die kursiven.


(Subversion, Großbritannien, 1996) Die revolutionäre Alternative zur linken Politik

Die Linke hat nicht versagt. Und das ist eine der größten Katastrophen, die der Arbeiterklasse je widerfahren ist.

Die meisten Menschen denken, dass die Linke die Bewegung der Arbeiterklasse für den Sozialismus ist (auch wenn sie von Opportunismus und wirren Interpretationen vieler in ihren Reihen zerrissen wird).

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Wir von Subversion (und die breitere Bewegung, zu der wir gehören) glauben, dass linke Politik einfach eine aktualisierte Version der bourgeoisen demokratischen Politik der französischen Revolution ist, die durch ein staatskapitalistisches ökonomisches Programm ergänzt wird.

Bedenke:

In der französischen Revolution sah sich die aufstrebende kapitalistische Klasse nicht nur mit der alten Ordnung konfrontiert, sondern auch mit einer großen und wachsenden städtischen plebejischen Bevölkerung (die sich bildende Arbeiterklasse, Handwerker, Kleinhändler und dergleichen), die ihre eigenen, wenn auch unzusammenhängenden Bestrebungen nach Freiheit von Unterdrückung hatte.

Die bourgeoise Demokratie war das Mittel, mit dem die kapitalistische Klasse ihr eigenes Streben nach Macht als die Befreiung aller Menschen außerhalb der feudalen Machtstruktur verschleiern konnte.

Der Begriff des Volkes1 (als ob die verschiedenen Klassen, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten, auf eine einzige Einheit reduziert werden könnten) wurde so geboren.

Der Begriff der Gleichheit und die Vorstellung von Rechten2, die allen zustehen, vermittelten eine fiktive Vorstellung von der Gesellschaft als einer Masse von beteiligten Individuen, die alle in denselben Beziehungen zum Gesetz stehen – wobei der Unterschied zwischen den Eigentümern und denjenigen, deren Arbeitskraft sie ausbeuten, völlig ignoriert wurde.

Und vor allem der Begriff der Nation – dass die unterdrückte Klasse sich mit denjenigen ihrer Unterdrücker identifizieren sollte, die in demselben geografischen Gebiet leben oder dieselbe Sprache sprechen, und diejenigen unserer Klasse, die sich auf der anderen Seite der „nationalen Grenzen“ befinden, als fremd3 ansehen.

Mit dieser imaginären Sicht auf die Gesellschaft konnte der Kapitalismus das Bewusstsein der sich neu bildenden Arbeiterklasse beherrschen. Die bourgeoise Demokratie ist der größte Betrug der Geschichte.

Bedenke auch:

Als sich der Kapitalismus immer weiter entwickelte, zwang die materielle Lage der Arbeiterklasse sie dazu, trotz ihres bourgeoisen Bewusstseins zu kämpfen – so konnte dieses Bewusstsein untergraben werden.

Die bestehenden kapitalistischen Regime wurden oft verhasst. Es bestand also Bedarf an einer radikaleren Version der bourgeoisen Demokratie mit einem spezifischeren Bild der Arbeiterklasse. Die linke Politik erfüllte diese Rolle im 19. und 20. Jahrhundert, zunächst in Form der Sozialdemokratie oder des Labourismus und dann in Form des Bolschewismus: Beide Varianten schafften es, die Unterstützung für den Kapitalismus in die Sprache der Arbeiterklasse zu kleiden, und wurden zu wichtigen Akteuren bei der vollen Entfaltung des Kapitalismus (das galt besonders für Russland, wo der von den Bolschewiki, einer angeblichen Arbeiterpartei, eingeführte Staatskapitalismus die einzige Möglichkeit war, den Kapitalismus zu entwickeln).

Worin besteht also der Linkstum4?

Auf den ersten Blick scheint es darum zu gehen, den Kampf der Arbeiter zu unterstützen, aber wenn du genauer hinsiehst, befindet sich alles auf dem Terrain der kapitalistischen Politik. Die wichtigsten Merkmale des Linkstums sind:

Unterstützung für radikale kapitalistische Parteien

Wie die Labour Party in diesem Land und der ANC in Südafrika (gerade weil ihr Ziel die Ausweitung der bourgeoisen Demokratie ist – das Wahlrecht usw.), und die Unterstützung des Parlaments. Einige „revolutionäre“ Gruppen, die die Labour Party nicht unterstützen, befürworten dennoch die Teilnahme am Parlament – und tragen damit in der Praxis zur Aufrechterhaltung der Ideologie der bourgeoisen Demokratie bei.

Unterstützung für den Staatskapitalismus

Wie bereits erwähnt, sammelt der Staatskapitalismus (ein Begriff mit verschiedenen Bedeutungen, aber hier meinen wir die Gesellschaftsform, die sich in Russland und seinen Nachahmern entwickelt hat) alles Eigentum in den Händen des Staates. Und das ist ein kapitalistischer Staat, kein „Arbeiterstaat“, denn es gibt immer noch kapitalistische Eigentumsverhältnisse – Lohnarbeit, Geld, den Markt – und natürlich kontrollieren die Arbeiter den Staat nicht. Der Staat steht den Arbeitern vielmehr als „kollektiver Kapitalist“ gegenüber und entzieht ihnen den Mehrwert für die herrschenden Bürokraten, die selbst die „kollektive Bourgeoisie“ sind.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Der Kapitalismus kann nur dann zerlegt werden, wenn die Arbeiterklasse das Geld und den Markt sofort abschafft und die Güter nach Bedarf verteilt (auch wenn die knappen Güter notfalls eine Zeit lang rationiert werden). Diejenigen, die argumentieren, dass dies nicht sofort möglich ist, plädieren in Wirklichkeit für die Beibehaltung des Kerns der kapitalistischen sozialen Beziehungen – wenn das geschieht, ist die Revolution so gut wie tot.

Die Vorstellung, dass Staatskapitalismus kein Kapitalismus ist, rechtfertigt nicht nur die Unterstützung arbeiterfeindlicher Diktaturen wie in Russland, China, Kuba usw., sondern birgt auch die reale Gefahr, dass eine solche Gesellschaft in einer zukünftigen Revolution geschaffen wird.

Unterstützung des Nationalismus in seiner „radikalen“ Form

Linke Gruppen befürworten regelmäßig die Unterstützung schwächerer Nationalstaaten, z. B. der „Dritten Welt“, d. h. der Regierungen von Nationalstaaten, gegen stärkere Staaten (Irak im Golfkrieg usw.). Dies wird als Antiimperialismus(!) bezeichnet, als ob der Sieg des schwächeren Landes die Rangfolge der Staaten in der imperialistischen Hackordnung nur geringfügig verändern würde. Der Imperialismus ist ein historisches Stadium des Kapitalismus, und ihn zu bekämpfen, ist im Gegensatz zum Kampf gegen den Kapitalismus selbst durch eine Revolution der Arbeiterklasse bedeutungslos.

Die häufigste Form dieses „radikalen“ Nationalismus sind sogenannte „nationale Befreiungsbewegungen“ wie die IRA, die noch keine Staatsmacht haben. Sobald sie an die Macht kommen, zerschlagen sie immer die Arbeiterklasse – das liegt natürlich in der Natur der bourgeoisen Staatsmacht.

Oft wird behauptet, dass, auch wenn man den Nationalismus missbilligt, die Nationen dennoch ein Recht auf Selbstbestimmung haben und man ihre Rechte unterstützen muss. Ein reineres Beispiel für bourgeoise demokratische Doppelzüngigkeit kann man sich nicht vorstellen: Rechte sind nicht etwas, was tatsächlich existiert, sondern eine bourgeoise Mystifikation (siehe oben). Die Arbeiterklasse sollte nicht über ihre Rechte sprechen, sondern über ihr Klasseninteresse. Von einem Recht auf nationale „Selbstbestimmung“ zu sprechen (als ob eine geografische Gruppierung antagonistischer Klassen ein „Selbst“ sein kann!) ist so, als würde man sagen, dass Arbeiter ein „Recht“ haben, Sklaven zu sein, wenn sie wollen, oder ein „Recht“, sich mit einem Hammer auf den Kopf zu schlagen, wenn sie wollen. Jeder, der das „Recht“ auf etwas unterstützt, das gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist, trägt in Wirklichkeit dazu bei, es zu befürworten, egal wie geschwollen es sich ausdrückt.

Wer sich auf die Seite der Arbeiterklasse gegen alle kapitalistischen Fraktionen stellt, muss sich auch gegen jede Form von Nationalismus wenden. Jedes Wanken in dieser Frage wird die Arbeiterklasse erneut in die Niederlage führen.

Unterstützung für die Gewerkschafts-, Syndikatsbewegung

Die Gewerkschafts-, Syndikatsbewegung ist scheinbar die Aktivität der Arbeiterklasse schlechthin und zielt vor allem darauf ab, die Arbeiter mit dem Kapitalismus zu versöhnen. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Arbeiterinnen und Arbeitern den besten Deal innerhalb des Kapitalismus zu verschaffen, aber nicht einmal das ist es:

Die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter hat ein bourgeoises Bewusstsein, aber weil der Kapitalismus sie zum Kampf zwingt, können sie trotz dieses Bewusstseins Widerstand leisten und damit beginnen, dieses Bewusstsein zu verändern.

Die Kämpfe der Arbeiterklasse sind die Saat des revolutionären Wandels. Da sich die Gewerkschaften/Syndikate jedoch aus der Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter (mit bourgeoisem Bewusstsein) zusammensetzen und die ganze Zeit existieren – d.h. wenn es keinen Klassenkampf gibt (und obwohl das tägliche Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter durchaus als Kampf bezeichnet werden kann, sprechen wir natürlich von einem kollektiven Kampf) – scheitern die besagten Gewerkschaften/Syndikate zwangsläufig daran, den Kapitalismus herauszufordern, und werden darüber hinaus von einer Clique von Bürokraten beherrscht, die sich über die passive Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter erheben. Diese Bürokraten leben innerhalb der alltäglichen Existenz im Kapitalismus, der Gewerkschafts-, Sydinkatsbewegung. Sie sind also materiell mit ihm verbunden. Deshalb sabotiert der Gewerkschafts-, Syndikatsapparat jeden Kampf und fällt den Arbeiterinnen und Arbeitern in alter Tradition in den Rücken. Das wird immer der Fall sein – die Arbeiterinnen und Arbeiter können die Gewerkschaften/Syndikate niemals übernehmen. Es liegt in der Natur des Gewerkschafts-, Syndikatswesens, dass die bürokratische Kontrolle gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist.

Wir glauben, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter neue, von unten kontrollierte Strukturen schaffen müssen, um jeden Kampf außerhalb und gegen die Gewerkschaften zu führen, wenn der Kampf vorankommen soll. Die Unterstützung der Gewerkschaften durch linke Gruppen ist nur eine weitere Möglichkeit, die Arbeiterklasse an den Kapitalismus zu fesseln.

Und zu guter Letzt: die Befürwortung der Führung der „Revolutionäre“ über die Arbeiterklasse

Diese Spaltung zwischen einer Masse von Anhängern und einer Führungselite spiegelt die Kluft zwischen Herrschern und Beherrschten im Mainstream-Kapitalismus (und in allen Formen der Klassengesellschaft) wider und dient dem Projekt des Aufbaus eines Staatskapitalismus nach der zukünftigen Revolution.

Das bedeutet nicht, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter gleichzeitig zu revolutionären Ideen kommen werden, denn zunächst wird nur eine Minderheit revolutionär sein, aber ihre Aufgabe ist es, mit den übrigen Arbeiterinnen und Arbeitern auf Augenhöhe zu argumentieren.

Was die Linke jedoch tut, ist, die schafsähnliche Mentalität, die Arbeiterinnen und Arbeiter im Kapitalismus erlernen, aufrechtzuerhalten und sie für ihr Ziel, nach der Revolution das Sagen zu haben, nutzbar zu machen. Wir sagen, dass es der Arbeiterklasse nicht besser gehen wird als in Russland, China und all den anderen Ländern, wenn irgendjemand das Sagen hat, wenn die Arbeiterklasse nicht selbst die Führung übernimmt und bewusst eine neue Gesellschaft aufbaut.

Wir glauben, dass alle linken Gruppen, ob Stalinisten oder Trotzkisten (oder Maoisten oder Anarchisten oder wie auch immer sie sich nennen), lediglich radikale kapitalistische Organisationen sind, die, wenn sie jemals an die Macht kämen, neue staatskapitalistische Diktaturen im Namen genau der Arbeiterklasse errichten würden, die sie dann zerschlagen würden.

Dabei geht es nicht um die subjektiven Absichten ihrer Mitglieder, deren Aufrichtigkeit wir hier nicht in Frage stellen, sondern um das objektive Ergebnis ihrer Politik.

Aus diesem Grund ist die Linke nicht gescheitert. Ihr Ziel war es immer, den Kapitalismus zu retten, indem sie ihn als etwas tarnte, das er nicht war – so wie es die ursprüngliche Form der bourgeoisen Demokratie in einem früheren Zeitalter tat.

Gegen die Linke gibt es eine politische Bewegung, die aus Gruppen und Einzelpersonen besteht, von denen sich einige als Kommunisten und andere als Anarchisten bezeichnen (die marxistisch-anarchistische Spaltung ist eine überholte historische Trennung, die nichts mit der wirklichen Klassenlinie zu tun hat, die sie durchschneidet), die sich aber alle gemeinsam gegen den Scheinradikalismus der Linken und für eine wirklich kommunistische Alternative einsetzen. Wir von SUBVERSION sind ein Teil dieser Bewegung.

Was ist die Alternative?

Wir glauben, dass die Arbeiterklasse trotz der Hindernisse, die ihr von der Rechten und der Linken in den Weg gelegt werden, die Macht hat, den Kapitalismus wirklich zu zerstören und eine Gesellschaft ohne Klassen, ohne Staat, nationale Grenzen, Unterdrückung und Ungleichheit zu schaffen. Eine Gesellschaft, die nicht auf Geld oder anderen Formen des Tauschs basiert, sondern auf dem kollektiven Besitz aller gesellschaftlichen Güter und dem freien Zugang der gesamten Menschheit zu diesen.

Diese Gesellschaft, die wir abwechselnd Kommunismus, Sozialismus oder Anarchismus nennen, wird die erste wirklich freie Gesellschaft sein, die es je gab.

Die soziale Bewegung, die diese Gesellschaft schaffen wird, wird aus den bestehenden Kämpfen der Arbeiterklasse erwachsen. Als Teil dieses Prozesses muss unsere Klasse die Hindernisse überwinden, die ihr von der bürgerlichen Ideologie, einschließlich der linken Ideologie, in den Weg gelegt werden. Unsere Aufgabe in SUBVERSION besteht nicht darin, Anführer zu sein (siehe oben), sondern Teil des Entstehungsprozesses einer revolutionären Arbeiterbewegung zu sein, die der langen Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Welt ein Ende setzen und die lange Geschichte der freien, weltweiten menschlichen Gemeinschaft beginnen wird.


1A.d.Ü., in der englischen Fassung ist die Rede von people, für uns hat sich auf dieser Stelle aber der Begriff von Volk als richtig erwiesen, weil er genau die Kriterien erfüllt, im negativen Sinne, aus dem was der Text sagt. Ein klassenübergreifender Begriff der den Antagonismus der Klassengesellschaft verschleiert und innerhalb einer imaginären Gemeinschaft eine Einheit erschafft.

2A.d.Ü., gemeint ist der juristische Begriff, z.B., Menschenrechte, Tierrechte, usw. und nicht eine politische Richtung.

3A.d.Ü., hier aber im Sinne der Entfremdung, entfremdet im Originaltext ist die Rede von alien.

4A.d.Ü., im Deutschen, sowie im deutschsprachigem Raum gibt es keinen allgemeingültigen Begriff der das gesamte Wesen einer politischen Linken umfasst, vor allem als Einzelwort der auch eine kritische Konnotation innehat. Sowie auf Englisch die Rede von Leftism, auf Spanisch die Rede von Izquierdismo, auf Französisch die Rede von Gauchisme usw. ist, wird meistens im deutschsprachigen Raum entweder über die politische Linke oder einer Linken gesprochen. Diese beiden Begriffe sind aber zu vage in der Hinsicht, daher der Begriff Linkstum. Weiter dazu in kommender Zukunft.

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