(LA OVEJA NEGRA, ARGENTINIEN) 1. MAI GEGEN DIE ARBEIT

Gefunden auf der Seite der anarchistischen Publikation Oveja Negra, die Übersetzung ist von uns.


(LA OVEJA NEGRA, ARGENTINIEN) 1. MAI GEGEN DIE ARBEIT

Samstag, 29. April 2023

An einem neuen Jahrestag des 1. Mai beharren wir mit einer gnadenlosen Kritik an der Arbeit. Zweifellos handelt es sich um eine Provokation. Aber es ist eine berechtigte, notwendige und revolutionäre Provokation, die wir seit mindestens zwanzig Jahren an jedem Gedenktag dieses Gedenk- und Kampfdatums machen. Das erste Mal machten wir sie am Morgen des 1. Mai 2004 auf der Plaza de la Cooperación (Rosario, Argentinien) kund:

„Die Arbeit macht nicht würdig, sie kasteit. Löhne ausgeben macht würdig, konkurrieren macht würdig, den Körper überanstrengen macht würdig, den Geist überanstrengen macht würdig, nicht mit geliebten Menschen zusammen zu sein macht würdig, kein Leben außerhalb der Arbeit zu haben macht würdig, früh aufzustehen um zu arbeiten macht würdig, zu schlafen um wieder zur Arbeit zu gehen macht würdig, unser Leben bei der Arbeit zu riskieren macht würdig, zu sehen, wie unser Leben verlaufen ist macht würdig, unsere Träume aufzugeben macht würdig. Sind wir bereit, weiterhin auf diese Weise würdig zu sein?! Lasst uns die Arbeit nicht feiern. Die Arbeit unterjocht uns und bringt uns um. Die Arbeit macht nicht würdig.“

Wir dachten, sie würde zu Ablehnung führen, aber das Gegenteil war der Fall. Tatsache ist, dass jeder, der arbeitet und die Welt verändern will, diese Worte als seine eigenen empfinden kann.

Im Laufe der Jahre ist die Kritik an der Arbeit, die wir weiterverbreiteten und die seit langem und aus verschiedenen Teilen der Welt kommt, immer beliebter geworden oder hat zumindest an Beliebtheit gewonnen. Diese Beliebtheit löste sie nicht selten von ihrem revolutionären, transformativen Aspekt ab. So wird die Arbeit verständlicherweise aus persönlichem Bedauern heraus kritisiert, oft um die Freizeit zu loben oder um anzunehmen, dass diese Kritik bedeuten würde, die Arbeit jetzt aufzugeben, individuell oder als Gruppe. Ein unbedenklicher Vorschlag, aber wir wollen noch weiter gehen. Wir unsererseits bestehen auf der Kritik an der Arbeit als Teil der neuen Welt, die wir wollen:

„Während die Mehrheit der Menschen den „Tag der Arbeiter“ oder, noch schlimmer, den „Tag der Arbeit“ feiert, sind einige von uns nach wie vor davon überzeugt, dass wir uns von ihr befreien müssen. Das heißt, dass wir uns von der Form befreien müssen, die die menschliche Tätigkeit im Kapitalismus angenommen hat (…).

Materielles Elend, aber auch affektives, soziales Elend. Die Realität sind die schrecklichen Arbeitsbedingungen, die extrem entfremdenden, ekelerregenden und sich wiederholenden Aufgaben, die wir zu erledigen haben. Die Realität ist, dass wir weder entscheiden, was wir produzieren, noch, dass was wir produzieren, haben. Egal, ob es sich um gigantische öffentliche oder private Unternehmen oder um kleine Produktionsbetriebe handelt, sie sind immer isolierte Produktionseinheiten, die nur durch den Warenaustausch verbunden sind, der auf der Erzielung des höchstmöglichen Profits basiert. (…)

Während sie uns von den Vorzügen der Lohnarbeit überzeugen wollen und davon, dass wir sie genießen können, wenn wir hart arbeiten, scheinen sie die unaufhörlichen Kriege, die Umweltverschmutzung, die Arbeitsunfälle, die Selbstmorde, die psychischen und physischen Probleme, die Ausbeutung von Kindern und so weiter und so fort zu vergessen. Man wird sagen, dass dies alles „Details“ sind, die es zu beseitigen gilt, aber sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Welt der Lohnarbeit, ihrer Normalität, und ohne diese Elemente wäre sie nicht das, was sie ist“. (La Oveja Negra nro. 8, El trabajo no dignifica, 2013)

Ein Arbeiter oder eine Arbeiterin zu sein, ist keine gewählte Identität, sondern eine Auferlegung dieser Produktionsweise. Deshalb verstehen wir die Kritik an der Arbeit als eine soziale Frage und nicht nur als ein individuelles Leiden:

„Der Staatsbürger konsumiert in seinem Konsumrausch Ideologie und Identität und begreift nur langsam, dass es auferlegte Realitäten gibt, die er nicht auf dem Markt erworben hat. Proletarier zu sein ist keine gewählte Identität, sondern eine soziale Realität. Auf diesen Zustand stolz zu sein, ist wie der Stolz, ein Sklave zu sein. Wir lieben es nicht, Proletarier zu sein. Und Revolution bedeutet in keiner Weise, den Zustand der Arbeiterinnen und Arbeiter auf die gesamte Menschheit auszuweiten.“ (Cuadernos de Negación nro. 4, 2010)

Wir kritisieren die Arbeit und sprechen trotzdem von Proletariat, weil wir genau das kritisieren, was uns dazu verdammt, Teil dieser sozialen Klasse zu sein. Mit Proletariat meinen wir wiederum nicht den männlichen, gewerkschaftlich/syndikalistisch organisierten Fabrikarbeiter und Familienvater:

„Wenn man bedenkt, welche Bedeutung die Arbeiterin und der Arbeiter in den Anfängen der großen proletarischen Kämpfe hatten, ist es verständlich, dass viele das „revolutionäre Subjekt“ in den Arbeitern gesucht haben und dass „Proletariat“ in vielen Fällen als Synonym interpretiert wurde. (…) der Proletarier wurde als Arbeiterin und Arbeiter und Reproduzent des Kapitals gesehen und nicht als dessen Unterhalter, während die Bedeutung der Bauern in vielen Fällen abgetan und die Ideologie des kapitalistischen Fortschritts mit seinen monströsen Städten und Fabriken im Gegensatz zur „Rückständigkeit“ des Landlebens gestärkt wurde. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter fühlten sich als Teil dieser Entwicklung und wollten allenfalls die Bourgeois aus dem Weg räumen, um den kapitalistischen Fortschritt selbst zu verwalten und zu „genießen“. (…)

Der Arbeitertum (A.d.Ü., hier handelt es sich um eine Ideologie) verehrt die Handarbeit, die „Arbeit mit Hämmern“. Seine Vision des Proletariats ist der „muskulöse Mann“. Durch seine Ablehnung von Handels- und Büroarbeit lehnt er einen großen Teil der lohnabhängigen Arbeiterinnen ab und erweist sich damit ebenfalls als sexistisch“. (Cuadernos de Negación nro. 3, 2010)

Nieder mit der Arbeit!

Zweifelsohne ist nicht alles, was wir tun, Arbeit. Tun ist nicht gleichbedeutend mit Arbeiten. Die Arbeit ist eine bestimmte Form der Tätigkeit in einer spezifischen Gesellschaft. Unsere Organe verrichten ihre Arbeit nicht, ebenso wenig wie ein Motor oder andere Maschinen:

„“Arbeit“ klingt heute in jedermanns Ohren wie das perfekte Synonym für „Tätigkeit“, denn für die meisten Menschen ist Arbeit leider zur Totalität ihres Lebens geworden. Und dabei geht es nicht nur darum, Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern alles wird als Arbeit erlebt: Hausarbeit, künstlerisches Schaffen, Sex, politischer Kampf, Kindererziehung oder Ausgehen mit Freunden“. (Cuadernos de Negación nro. 3)

Die Kritik an der Arbeit zielt vor allem auf die Kritik an der Ausbeutung ab. Was den Begriff der Ausbeutung angeht, werden wir uns nicht auf eine moralische Diskussion einlassen. Die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft ist auf den größtmöglichen Profit ausgerichtet. Und die Hauptquelle des Profits ist der Mehrwert, der durch die Ausbeutung der Lohnarbeit entsteht:

„Mit „Ausbeutung“ meinen wir fast immer prekäre und schlecht bezahlte Arbeit, was in der Tat für die große Mehrheit der Lohnabhängigen auf der Welt der Fall ist. Aber diese restriktive Definition impliziert, dass die Erstellung von Lernsoftware für sechs Stunden am Tag im Tausch gegen ein gutes Gehalt und in einem Umfeld, das die Umwelt respektiert, ohne jegliche ethnische, sexuelle oder geschlechtsspezifische Diskriminierung, in Verbindung mit den Bewohnern der Nachbarschaft und den Verbraucherverbänden, keine Ausbeutung mehr darstellen würde. Mit einem Wort, eine Gesellschaft, in der jeder am Sonntagmorgen gerne auf den Markt geht, aber niemand unter dem Gesetz der Finanzmärkte leidet. Kurz gesagt, der Traum des westlichen Angestelltenbürgertums würde auf sechs Milliarden Menschen ausgedehnt…“ (Gilles Dauvé, Declive y resurgimiento de la perspectiva comunista).

Nieder mit der Freizeit!

Arbeit und Freizeit sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Der Lohn wird nicht für die geleistete Arbeit bezahlt, sondern für die Reproduktion der Arbeitskraft, die etwas Freizeit braucht: Fußball, Netflix, Musik. Wenn es „Freizeit“ gibt, dann nur, weil es eine „Arbeitszeit“ gibt, die sie definiert.

„Wir weisen dem, was wir als Freizeit definieren, eine bestimmte Anzahl von Stunden zu, um uns von dem allgemeinen Stress zu erholen, unter dem wir täglich leben. Wir machen eine Pause von unserer Rolle als Produzenten von Gegenständen und Dienstleistungen, um unserer Rolle als Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen Platz zu machen.

Unsere Momente der Freizeit und des Spaßes in der allgemeinen Warengesellschaft haben Ähnlichkeiten mit der Lohnarbeit: sie muss schnell und gut erledigt werden, sie wird wiederholend und verpflichtend, es gibt keine Zeit zum Ausruhen, Leidenschaften werden abgelehnt, wir halten uns an die Norm der herrschenden Ideologie.

Spaß zu haben scheint in direktem Verhältnis zum ausgegebenen Geld zu stehen, deshalb läufst du in Einkaufszentren herum, deshalb zahlst du, um Sport zu treiben, Musik zu hören oder Sex zu haben, oder du zahlst, um anderen beim Sport, bei der Musik oder beim Sex zuzuschauen“. (Cuadernos de Negación nro. 3)

Nieder mit der Arbeitslosigkeit!

Solange es Geld und Privateigentum gibt, werden sie nie genug für alle sein. Das Gleiche gilt auch für die Arbeit:

In einer Welt mit Arbeit wird es nie genug für alle geben. Arbeitslosigkeit ist eine Bedingung für die Welt der Arbeit. Arbeitslosigkeit ist ein dauerhaftes und strukturelles Merkmal der kapitalistischen Gesellschaft, die eine Masse von Arbeitslosen braucht, um niedrige Löhne und stets schlechte Arbeitsbedingungen zu garantieren. Mit anderen Worten: wenn wir alle angestellt wären oder die Möglichkeit hätten, von einem Job zum anderen zu wechseln, könnten wir jederzeit bessere Löhne oder Arbeitsbedingungen fordern, ohne dass das Gespenst der Arbeitslosigkeit an unseren Fersen klebt. (…)

Aus unseren Existenzbedingungen ziehen wir die Lehren, um „Theorie zu machen“, und wir haben keine „Prinzipien“ vor den Tatsachen. Das Unbehagen und die Not, unter denen wir, die wir arbeiten, leiden, die prekären und gefährlichen Situationen, denen wir ausgesetzt sind, zwingen uns dazu, uns der Gesellschaft bewusst zu werden, in der wir uns befinden und zu deren Erhalt wir Tag für Tag beitragen. Es liegt an uns, uns vor den Menschen zu schützen, die uns lenken und in verschiedene Sackgassen führen wollen, oder zu beginnen, über andere Möglichkeiten nachzudenken und sie zu erkunden. Dabei ist es wichtig, dass wir die Verteidigung der Arbeitskraft nicht mit der Verteidigung der Quelle der Arbeit verwechseln. Wir sollten auch nicht den Profit der Ausbeuter verteidigen. Und wir sollten auch nicht denjenigen vertrauen, die von unserer Arbeit leben.“ (La Oveja Negra nro. 70, El trabajo es la peste, 2020)

Nieder mit der Hausarbeit!

Die Klassengesellschaften mussten im Laufe ihrer Geschichte und in ihrem Streben nach Reproduktion vier grundlegende und untrennbare Elemente des Lebens der Spezies kontrollieren: den Körper, die Sexualität, die Fortpflanzung und die Erziehung von Kindern. An diesem Punkt werden die sexuelle Aufteilung und die spezifische Herrschaft über diejenigen, die die Fähigkeit haben, Kinder zu gebären, essentiell. Was wir als Frauen und Männer kennen, basiert auf diesem anatomischen Merkmal (der Fähigkeit, Kinder zu gebären) und der sozialen Spaltung, die in Klassengesellschaften durch die Notwendigkeit des Bevölkerungswachstums daraus entsteht.

Die Kontrolle über Frauen (ihre Körper, ihre Sexualität, ihre Fortpflanzungsfähigkeit) ermöglicht es, gleichzeitig den Rest der Bevölkerung zu kontrollieren. Gleichzeitig ist sie entscheidend für die Erziehung von Kindern sowie für die Aufrechterhaltung der Familie oder zumindest für die Reproduktion der Arbeitskraft in der heutigen Gesellschaft.

Die Lohnarbeit erfordert eine spezifische Sphäre, die bestimmten Aufgaben gewidmet ist, die für die Reproduktion der Arbeitskräfte notwendig sind: die Hausarbeit, deren Zuweisung die in den verschiedenen Klassengesellschaften konstruierte Geschlechtertrennung reproduziert.

Die Zuweisung bestimmter Aufgaben an eine bestimmte Gruppe von Menschen, die nach ihrer Reproduktionsfähigkeit definiert ist, ist das, was Frauen historisch konstituiert hat, und diejenigen, die diese Fähigkeit nicht haben, als Männer. Diese gesellschaftliche Aufteilung in zwei Geschlechter hat zu dem geführt, was wir als biologisches Geschlecht kennen, das das gesellschaftlich Konstruierte naturalisiert.
Es wird auch angenommen, dass Frauen von Natur aus zur Pflege und Hausarbeit neigen. Genauso wie man davon ausgeht, dass Männer von Natur aus zu rauer und gefährlicher Arbeit neigen, bei der sie jedes Jahr in Scharen bei sogenannten „Arbeitsunfällen“ sterben.

„Die kapitalistische Produktionsweise bringt trotz ihres rationalistischen und wissenschaftlichen Images auch Mythen hervor. Einer davon ist, dass Arbeit der Geschichte fremd ist, dass es sie schon immer gegeben hat und sie deshalb nicht aufhören kann zu existieren. (…) Wenn Tausende von Proletariern auf der ganzen Welt mit der Parole „Nieder mit der Arbeit!“ darauf bestehen, schlagen wir nicht vor, dass man uns vor Kälte und Hunger sterben lässt, sondern dass wir dafür kämpfen, eine Gemeinschaft zu bilden, in der unsere Bedürfnisse nach Nahrung und Obdach sowie nach Vergnügen und Kreativität gemeinsam gestellt werden, ohne ein Alibi zu sein, um sie zu quantifizieren und Profite zu erzielen. (…)

Ein weiterer Mythos, der notwendig ist, um die kapitalistische Normalität zu untermauern, ist die Entlarvung der Hausarbeit als natürliche Eigenschaft der Frauen, die angeblich von Natur aus gute Köchinnen, Wäscherinnen, Liebhaberinnen, sensibel, schwach und vor allem abhängig sind. Es ist kein Zufall, dass der erste Schritt zur Domestizierung die Schaffung von Abhängigkeiten ist.

Eine Abhängigkeit, die sowohl ökonomisch als auch ideologisch begründet ist und auf dem Mythos beruht, dass es immer der männliche Lohnarbeiter war, der das Brot auf den Tisch brachte. Und in der armen sozialen Vorstellung – auch wenn es offensichtlich war – hätte dieser Arbeiter keine Betreuung gebraucht, weil er ein gesunder Erwachsener war, der für sich selbst sorgen konnte. Dieser Trugschluss machte und macht die Fürsorge nicht nur unsichtbar, sondern bringt auch ein Modell hervor, vor allem ein männliches oder maskulinisierendes, das sich durch den Anspruch auszeichnet, niemanden zu brauchen. Ein Individuum, das die zwischenmenschliche Abhängigkeit im Namen der für den Kapitalismus typischen starken und herausragenden Unabhängigkeit ablehnt.

Wie bei jeder Arbeit besteht die Funktion der herrschenden Ideologie darin, dass die Hausarbeit naturalisiert und mit jeder menschlichen Tätigkeit verschmolzen wird, obwohl sie in Wirklichkeit ein bestimmtes und historisches soziales Phänomen ist. Die Hausarbeit von Frauen steht sogar noch mehr im Schatten als die bezahlte Arbeit, weil sie fälschlicherweise als natürliches Attribut der weiblichen Persönlichkeit, als Bestreben des „Frauseins“ angesehen wird. Dabei wird jedoch vergessen, dass es Jahrhunderte der Enteignung und frauenfeindlichen Verfolgung brauchte, um das Bild dieser vermeintlich natürlichen Eigenschaft zu schaffen.“ (La Oveja Negra nro. 46, ¡Abajo el trabajo doméstico!, 2017).

Lo que proponemos es indagar y asumir la implicancia entre clase y género desde una perspectiva de abolición del trabajo. No se trata de sumar la “cuestión” de la mujer a la “causa de la clase obrera” en tanto luchas paralelas, tal como suele comprender el reformismo.

Wir schlagen vor, die Verflechtung von Klasse und Geschlecht aus der Perspektive der Abschaffung der Arbeit zu untersuchen und anzunehmen. Es geht nicht darum, die „Frauenfrage“ der „Sache der Arbeiterklasse“ als parallele Kämpfe hinzuzufügen, wie es der Reformismus zu verstehen pflegt.

Nieder mit dem Proletariat!

Die Kritik und Ablehnung der Arbeit, die in Kämpfen, theoretischen Überlegungen und im Alltag zum Ausdruck kommt, ist eng mit dem Niedergang des Arbeitertums, des Arbeiterstolzes und der Identität verbunden. Offensichtlich hat sich in der kapitalistischen Gesellschaft etwas verändert: Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeit, Globalisierung und Verlagerung der Produktionszentren, zunehmende Finanzialisierung der Ökonomie im Allgemeinen und eine herausragende Rolle des Staates bei der Reproduktion der Arbeitskräfte (Subventionen, Sozialleistungen).

Infolge dieser Veränderungen ist das Proletariat keineswegs verschwunden, aber die Möglichkeiten seines Kampfes haben sich drastisch verändert. In den proletarischen Kämpfen geht es nicht mehr in erster Linie um die Verwaltung der Arbeitswelt. Das war notwendigerweise mit einer Revolutionsvorstellung verbunden, in der viele der grundlegenden Merkmale der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Vergesellschaftung beibehalten wurden: die Verwaltung der Produktionsmittel, ohne sie in Frage zu stellen, die Entwicklung der Industrie, das Bevölkerungswachstum, die Familie und – in den reformistischsten Sektoren/Bereichen/Gruppierungen – sogar der Nationalismus und der Staat.

Wir analysieren die jüngsten und laufenden Kämpfe nicht in Bezug auf eine idealisierte Vergangenheit, die es nicht gab, sondern in Bezug auf die aktuellen Möglichkeiten:

„Die Revolten, die in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Teilen der Welt entfesselt wurden, sowie die „neuen sozialen Bewegungen“ machen trotz des klassenübergreifenden und bourgeoisen Charakters, den wir bei vielen Gelegenheiten beobachten, deutlich, dass der Klassenkampf fortbesteht. Gleichzeitig warnen sie uns vor dem vielfältigen Charakter, den das Proletariat hat und hatte. Die Zentralität der sozialen Reproduktion in den Kämpfen erinnert uns daran, dass die Revolution viel mehr beinhalten muss als die Gewissheit von Unterkunft und Nahrung. Sie muss die sogenannte Geschlechterfrage, die Rasse, die Sexualität, die Familie, die Natur, von der wir ein Teil sind, nicht nur als Ankunfts-, sondern als Ausgangspunkt behandeln.“ (La Oveja Negra nro. 76, 1° de mayo: Memoria y perspectivas, 2021)

Der Klassenkampf der letzten Jahrzehnte hat sich nicht auf die Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter und die Arbeitsplätze konzentriert. Neue Protagonisten sind aufgetaucht. Wir meinen damit die Kämpfe und Proteste arbeitsloser Proletarier, die Frauenbewegung und die sexuelle Dissidenz, die sogenannten Umweltkämpfe, antirepressive Kämpfe oder Kämpfe gegen den Drogenhandel und andere Mafias. Sie manifestieren sich auf der Straße, auf den Wegen, außerhalb der Städte und sogar in den Häusern. Dass sie notwendigerweise eher die Zirkulation als die Produktion bremsen müssen und dass sie sich eher gegen den Staat als gegen ein Unternehmen oder einen Chef richten (daher die Möglichkeit ihres oben erwähnten klassenübergreifenden und bourgeoisen Charakters). Das bedeutet nicht, dass Ausbeutung und Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft an zentraler Bedeutung verloren haben; es sind gerade ihre Veränderungen, die verschiedene Aspekte der Reproduktion von Arbeitskraft verändert und hervorgehoben haben.

Dies hat es nicht nur möglich gemacht, den Arbeitertum zu kritisieren, sondern auch unsere Existenz als Klasse in Frage zu stellen:

„Diejenigen, die nicht nur eine weitere Macht unter all den Mächten dieser Welt werden wollen, sondern die danach streben, all diese Mächte zu zerstören, könnten ihr Programm so zusammenfassen: „Nieder mit dem Proletariat“.Natürlich nicht im Sinne einer Opposition gegen die Proletarier als menschliche Wesen. (…) Revolutionäre schlagen nicht die Verbesserung der proletarischen Bedingungen vor. Sie schlagen seine Unterdrückung vor. Die Revolution wird proletarisch sein wegen derjenigen, die sie durchführen, und antiproletarisch wegen ihres Inhalts.

Proletarier, eine weitere Anstrengung, um aufzuhören, Proletarier zu sein…“ (Abajo el proletariado. Viva el comunismo, Les amis du potlatch, 1979).

Es lebe die soziale Revolution!

Geschichte ist nicht nur die Vergangenheit, und schon gar nicht eine mythologisierte Vergangenheit. Wir können Geschichte machen, statt sie nur zu studieren:

„Wenn wir einen Blick auf die moderne Gesellschaft werfen, wird deutlich, dass die große Mehrheit der Menschen arbeiten muss, um zu leben und ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Gesamtheit der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Menschen, ihre Persönlichkeiten, die in Bewegung gesetzt werden müssen, um nützliche Dinge zu produzieren, können nur unter der Bedingung eingesetzt werden, dass sie gegen Lohn verkauft werden. Die Arbeitskraft wird im Allgemeinen als eine Ware betrachtet, die wie andere Waren gekauft und verkauft werden kann. Die Existenz von Tausch- und Lohnarbeit scheint uns normal und unvermeidlich zu sein. Doch die Einführung der Lohnarbeit war mit Konflikten, Widerstand und Massakern verbunden. Die Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln, die heute als rohe Realität akzeptiert wird, dauerte lange und konnte nur mit Gewalt durchgesetzt werden. (…)

Durch ihr Bildungssystem sowie durch ihr politisches und ideologisches Leben verschleiert die heutige Gesellschaft die vergangene und gegenwärtige Gewalt, auf der die heutige Situation beruht. Sie verbirgt sowohl ihren Ursprung als auch die Mechanismen ihrer Funktionsweise. Es scheint, dass alles das Ergebnis eines freien Vertrags ist, in dem der Einzelne als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf die Fabrik, das Büro oder den Laden trifft. Die Existenz der Ware scheint das Offensichtlichste und Natürlichste auf der Welt zu sein, und die Katastrophen, die sie regelmäßig auf verschiedenen Ebenen verursacht, werden oft als quasi-natürliche Katastrophen angesehen. (…) Was im Wesentlichen verborgen bleibt, ist, dass Ungehorsam und Revolte groß und tief genug sein könnten, um diese Beziehung zu beenden und eine andere Welt Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Produktionsverhältnisse, an denen die Menschen beteiligt sind, sind unabhängig von ihrem Willen: jede Generation ist mit den technischen und sozialen Bedingungen konfrontiert, die ihr von den vorherigen Generationen hinterlassen wurden. Aber sie kann sie verändern. Was wir ‚Geschichte‘ nennen, wird von Menschen gemacht. (Gilles Dauvé, Capitalismo y Comunismo, Lazo Ediciones, 2020)

In jeder Epoche bringt der Kampf des Proletariats neue Fragen zum Ausdruck und konfrontiert sie mit ihnen:

„Diese können uns wichtige Hinweise auf die kapitalistische Gesellschaft und ihre Überwindung geben, aber die Revolution wird letztlich davon abhängen, was wir als Klasse tun können. Der Kampf ist unvermeidlich und notwendig, er verwandelt uns und wir wollen ihn zu einem endgültigen machen. Unser Anliegen ist es, dass der Klassenkampf in der Lage ist, mehr zu bewirken als seine eigene Fortführung.

Deshalb glauben wir, dass es so wichtig ist, an den Kämpfen der Gegenwart nicht nur teilzunehmen, sondern sie auch zu verstehen, zu studieren und zu diskutieren. Denn in den Möglichkeiten und Bedingungen dieser Kämpfe, in ihren Kritiken und Brüchen, wird der revolutionäre Horizont umrissen.“ (La Oveja Negra nro. 76, 1° de mayo: Memoria y perspectivas)

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