(UK) Wildcat, Gegen die Demokratie

Gefunden auf anarchist library, die Übersetzung ist von uns.

(UK) Wildcat, Gegen die Demokratie

[Dies ist der Text eines Einführungsvortrags, der 1993 auf zwei Diskussionsveranstaltungen in London und Brighton gehalten wurde. Aufgrund der großen Nachfrage wurde er abgetippt und dem kommunistischen Publikum zur Verfügung gestellt…]

Das Ziel dieses kleinen Vortrags ist es, euch davon zu überzeugen, dass Revolutionäre die Demokratie in all ihren Formen ablehnen sollten.

Bevor wir weitermachen, möchte ich den Streit über die Verwendung von Worten aus dem Weg räumen. Viele Leute werden mir in vielen Punkten zustimmen (oder denken, dass sie es tun!), aber sie werden sagen: „Ja, aber du sprichst von der bourgeoisen Demokratie. Was ich mit Demokratie meine, ist etwas ganz anderes.“ Ich möchte darauf hinweisen, dass die Leute, die im Gegensatz zur bourgeoisen Demokratie von „echter“ oder „Arbeiter“-Demokratie sprechen, in Wirklichkeit dasselbe meinen, was die Bourgeoisie mit Demokratie meint, trotz oberflächlicher Unterschiede. Die Tatsache, dass sie sich für das Wort Demokratie entschieden haben, ist in Wirklichkeit viel bedeutender, als sie behaupten. Deshalb ist es wichtig zu sagen: „Tod der Demokratie!“. Eine weniger obskure Analogie könnte das Wort „Entwicklung“ sein. Linke Dritte-Welt-Politiker sagen in der Regel, dass sie für Entwicklung sind. Wenn du fragst: „Ist es nicht das, was der IWF will?“, werden sie sagen: „Nein, wir wollen echte Entwicklung“. Wenn du ein bisschen mehr mit ihnen sprichst, findest du heraus, dass sie eigentlich dasselbe wollen wie der IWF, nur dass der IWF ein realistischeres Verständnis davon hat, was das bedeutet.

Ich behaupte, dass, egal wie sehr du behauptest, gegen das Eigentum (wie die Leninisten-Trotzkisten und Stalinisten) oder sogar gegen den Staat (wie die Anarchisten und Anarchistinnen) zu sein, du in Wirklichkeit für das Eigentum und den Staat bist, wenn du die Demokratie unterstützt.

Was ist Demokratie?

Ganz allgemein ausgedrückt, ist Demokratie die Herrschaft der Rechte und der Gleichheit. Es ist ziemlich einfach zu erkennen, dass das kapitalistisch ist. „Rechte“ bedeutet, dass es atomisierte Individuen gibt, die miteinander konkurrieren. Das bedeutet auch, dass es einen Staat oder eine quasi-staatliche Behörde gibt, die die Rechte der Menschen garantieren kann. „Gleichheit“ bedeutet, dass es eine Gesellschaft gibt, in der die Menschen gleich viel wert sind – also eine Gesellschaft, die auf abstrakter Arbeit basiert. Demokratie wird oft als die Herrschaft des Volkes definiert – wobei das Volk immer als eine Masse von atomisierten Staatsbürgern mit Rechten verstanden wird.

Auf einer sehr abstrakten Ebene kann man sagen, dass der Kapitalismus immer demokratisch ist. Man kann sagen, dass die Demokratie das Wesen des Kapitals ausdrückt – wenn man es so ausdrücken will! – dass die Gleichheit nur ein Ausdruck der Gleichwertigkeit der Waren ist.

Marx machte die ultimative beleidigende Bemerkung über die Demokratie, als er sie als „christlich“ bezeichnete:

Christlich ist die politische Demokratie, indem in ihr der Mensch, nicht nur ein Mensch, sondern jeder Mensch, als souveränes, als höchstes Wesen gilt, aber der Mensch in seiner unkultivierten, unsozialen Erscheinung, der Mensch in seiner zufälligen Existenz, der Mensch, wie er geht und steht, der Mensch, wie er durch die ganze Organisation unserer Gesellschaft verdorben, sich selbst verloren, veräußert, unter die Herrschaft unmenschlicher Verhältnisse und Elemente gegeben ist, mit einem Wort, der Mensch, der noch kein wirkliches Gattungswesen ist. Das Phantasiegebild, der Traum, das Postulat des Christentums, die Souveränität des Menschen, aber als eines fremden, von dem wirklichen Menschen unterschiedenen Wesens, ist in der Demokratie sinnliche Wirklichkeit, Gegenwart, weltliche Maxime.“ Marx, Zur Judenfrage

Was sind nun die praktischen Konsequenzen von all dem?

Am häufigsten drückt sich die demokratische Konterrevolution im Klassenkampf in der Frage der Klassenmacht und der Organisation dieser Macht aus.

Mit „Klassenmacht“ meine ich die Erkenntnis, dass wir uns in einem Klassenkrieg befinden und dass wir unsere Feinde rücksichtslos zerschlagen und vernichten müssen, um in diesem Krieg voranzukommen und ihn schließlich zu gewinnen. Das impliziert natürlich despotische Macht an sich. Du kannst die Rechte eines Polizisten nicht respektieren, wenn du ihn zu Tode prügelst! Wenn ein Gewerkschafts-, Syndiaktsanführer versucht, eine Rede zu halten, und wir ihn daraufhin niederschreien oder ihn von der Bühne zerren und ihm den Kopf einschlagen, ist es absurd, wenn wir sagen, dass wir an die Redefreiheit glauben. „Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen“ – und auch nicht von Amnesty International überwacht…

Genauso wenig wie wir unseren Feinden Rechte zugestehen, verlangen wir auch keine Rechte von unseren Feinden. Das ist natürlich ein kompliziertes Thema, denn in der Praxis ist es oft schwierig zu unterscheiden, ob man etwas fordert oder ein Recht darauf beansprucht. Ich werde nicht versuchen, auf jeden Aspekt dieser Frage einzugehen. Ich werde nur das Recht auf Streik als Beispiel betrachten. Ich glaube, Hegel sagte: „Für jedes Recht gibt es eine Pflicht“. So hast du zum Beispiel das Recht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, und die Pflicht, den Fahrpreis zu bezahlen. Das Streikrecht bedeutet, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Arbeit friedlich niederlegen dürfen, wenn sie im Gegenzug die öffentliche Ordnung respektieren und im Allgemeinen nichts tun, was den Streik beeinträchtigen könnte. Was kann es sonst noch bedeuten? Schließlich ist ein Recht etwas, das per Gesetz gewährt wird – du kannst dich kaum an einen Polizisten wenden und ihn bitten, dich zu beschützen, während du die Lastwagen von Streikbrechern verbrennst.

Ich denke, dass die Forderung nach Rechten im Allgemeinen ein Ausdruck der Schwäche unserer Klasse ist. Anstatt unseren Feinden zu sagen: „Wenn ihr uns auch nur einen Finger krümmt, wird euch der Schädel eingeschlagen“, oder ihnen einfach den Schädel einzuschlagen, sagen wir lieber: „Bitte respektiert unsere Rechte, wir wollen euch nicht wirklich schaden“. Natürlich ist unsere Klasse in einer schwachen Position, und es gibt keine Patentlösung. Aber ich denke, ein Schritt, den wir tun können, ist anzuerkennen, dass Gutmenschen aus der Mittelschicht, die sich für Rechte einsetzen, nicht auf unserer Seite stehen – auch wenn einige von ihnen nette linke Anwälte sind, die uns manchmal aus einer Menge Ärger herausholen…

Was ich bisher gesagt habe, ist wahrscheinlich nicht so umstritten. Was ich bisher gesagt habe, betrifft den Ausschluss bestimmter Kategorien von Menschen. Es ist erstaunlich, wie viele Liberale sagen, dass sie die Meinungsfreiheit bedingungslos unterstützen und dann plötzlich ihre Meinung ändern, wenn jemand sagt: „Was ist dann mit Faschisten?“.

Noch kontroverser möchte ich jetzt über die Demokratie „in unseren eigenen Reihen“ sprechen – also unter den Proletariern im Kampf. Das übliche „Arbeiterdemokratie“-Argument lautet zum Beispiel: „OK, wir haben keine demokratischen Beziehungen zur Bourgeoisie, aber unter uns sollte es die vollkommenste Gleichheit und Achtung der Rechte geben.“ Dies wird in der Regel als Möglichkeit gesehen, die Bürokratisierung und Beherrschung durch kleine Cliquen zu vermeiden und sicherzustellen, dass so viele Menschen wie möglich an einem bestimmten Kampf beteiligt sind. Der Gedanke dahinter ist, dass man einfach zu einer Versammlung gehen und sofort Teil dieser demokratischen Gemeinschaft sein kann, wenn man das Rederecht, das Wahlrecht usw. hat.

Was bedeutet die Demokratisierung eines Kampfes in der Praxis? Es bedeutet Dinge wie:

1. Mehrheitsprinzip – Nichts kann getan werden, wenn nicht eine Mehrheit zustimmt.

2. Trennung von Entscheidungsfindung und Handeln (A.d.Ü., im Sinne einer Aktion) – Nichts kann getan werden, bevor nicht alle die Möglichkeit hatten, es zu diskutieren. Dies kann als Analogie zur Trennung zwischen Legislative und Exekutive in einem demokratischen Staat gesehen werden. Es ist kein Zufall, dass Diskussionen in demokratischen Organisationen oft einer Parlamentsdebatte ähneln!

3. Verkörperung der Ansicht, dass man niemandem trauen kann – Demokratische Strukturen nehmen den „Krieg aller gegen alle“ als selbstverständlich hin und institutionalisieren ihn. Delegierte müssen immer widerrufbar sein, damit sie nicht ihre eigene versteckte Agenda verfolgen, die natürlich jeder hat.

All diese Prinzipien verkörpern die soziale Atomisierung. Das Mehrheitsprinzip, weil alle gleich sind und normalerweise eine Stimme haben. Die Trennung zwischen Entscheidungsfindung und Handeln, weil es nur fair ist, dass du alle konsultierst, bevor du handelst – wenn du das nicht tust, verletzt du ihre Rechte. Ein besonders widerwärtiges Beispiel für den dritten Punkt – der die Ansicht verkörpert, dass man niemandem trauen kann – ist die Forderung nach „Fraktionsrechten“, die von den Trots erhoben wird. Normalerweise fordern sie dies, wenn eine Organisation versucht, sie rauszuwerfen. Dieses Recht bedeutet, dass sie die Freiheit haben, sich gegen andere Mitglieder einer angeblichen Arbeiterorganisation zu verschwören. Es liegt auf der Hand, dass keine echte kommunistische Organisation jemals auf die Idee kommen könnte, Fraktionsrechte zu gewähren.
Der zweite dieser Grundsätze ist wahrscheinlich der wichtigste und muss hier besonders betont werden.

Diese demokratischen Prinzipien können nur in völliger Opposition zum Klassenkampf stehen, da der Klassenkampf per Definition einen Bruch mit der sozialen Atomisierung und die Bildung einer Art von Gemeinschaft voraussetzt – wie eng, vergänglich oder vage diese auch sein mag.
Wichtige Ereignisse im Klassenkampf beginnen fast nie mit einer Abstimmung oder damit, dass alle konsultiert werden. Sie beginnen fast immer mit der Aktion einer entschlossenen Minderheit, die aus der Passivität und Isolation der Mehrheit der Proletarier um sie herum ausbricht. Sie versuchen dann, diese Aktion durch Beispiele zu verbreiten und nicht durch vernünftige Argumente. Mit anderen Worten: die Trennung zwischen Entscheidungsfindung und Handeln (A.d.Ü., im Sinne einer Aktion) wird in der Praxis immer durchbrochen. Rechtspopulisten (und einige Anarchistinnen und Anarchisten) beschweren sich darüber, dass unruhestiftende Aktivitäten von selbsternannten Cliquen von Aktivistinnen und Aktivisten organisiert werden, die niemanden außer sich selbst vertreten… und natürlich haben sie recht!

Der Bergarbeiterstreik in Großbritannien in den Jahren 1984/5 lieferte viele inspirierende Beispiele dafür, wie der Klassenkampf in der Praxis antidemokratisch ist. Der Streik selbst begann nicht demokratisch – es gab keine Urabstimmung und keine Reihe von Massenversammlungen. Er begann mit Arbeitsniederlegungen in einigen wenigen von der Schließung bedrohten Gruben und wurde dann durch fliegende Streikposten ausgeweitet. Während des gesamten Streiks gab es eine unheilige Allianz aus dem rechten Flügel der Labour Party und der RCP (Revolutionäre Kommunistische Partei), die forderte, dass die Bergarbeiter eine landesweite Urabstimmung abhalten sollten. Die militantesten Bergarbeiter lehnten dies konsequent ab und sagten Dinge wie: „Streikbrecher haben nicht das Recht, den Arbeitsplatz eines anderen wegzuwählen“ – das ist zwar eine demokratische Formulierung, aber ich denke, du stimmst mir zu, dass die dahinter stehende Haltung sicher nicht die richtige ist. Es kam vor, dass Mitglieder der RCP zu Recht verprügelt und als „Tories“ beschimpft wurden, weil sie für eine Urabstimmung waren.

Es gab auch zahlreiche Fälle von Sabotage und Zerstörung von Eigentum der Kohlekommission, die oft von halbklandestinen, sogenannten „Killerkommandos“ organisiert wurden. Es liegt auf der Hand, dass solche Aktivitäten naturgemäß nicht demokratisch organisiert werden können – unabhängig davon, ob sie von der Mehrheit der Streikenden gebilligt werden oder nicht.

Gemeinschaft des Kampfes

Ein Konzept, das ich hier bereits verwendet habe und dem ich sehr zugetan bin, ist die „Kampfgemeinschaft“. Natürlich wird die Frage gestellt werden: „Wenn eine Kampfgemeinschaft nicht demokratisch handelt, wie handelt sie dann?“. Darauf gibt es keine einfache Antwort, außer zu sagen, dass die Grundlage des Handelns (A.d.Ü., im Sinne einer Aktion) das Vertrauen und die Solidarität zwischen den beteiligten Menschen ist und nicht ihre vermeintliche Gleichheit oder ihre Rechte. Wenn wir zum Beispiel jemanden als Abgesandten (ich mag das Wort „Delegierter“ nicht) schicken wollen, um den Kampf zu verbreiten, würden wir nicht darauf bestehen, dass er von mindestens 51% der Versammlung gewählt wird oder dass er ein Handy bei sich hat, damit wir ihn jederzeit abberufen und durch jemand anderen ersetzen können. Wir würden darauf bestehen, dass sie vertrauenswürdig und zuverlässig sind – ein vertrauenswürdiger Gefährte und Gefährtin ist mehr wert als tausend widerrufbare Delegierte! Natürlich hätte dieses Vertrauen auch eine große politische Komponente – wir würden kein Mitglied der Arbeiterpartei entsenden, weil ihre politischen Ansichten sie automatisch dazu bringen würden, gegen die Interessen der Arbeiterklasse zu handeln.

Kommunistische Gesellschaft

Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu den Auswirkungen all dieser Überlegungen auf die kommunistische Gesellschaft sagen.

Die Vorstellung von der kommunistischen Revolution als einer umfassenden demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft ist sehr stark, selbst innerhalb der politischen Strömungen, von denen wir glauben, dass sie etwas für sich haben könnten. Die Rätekommunisten (wie Pannekoek) sahen die Arbeiterräte buchstäblich als Parlamente der Arbeiterklasse.

Selbst die Situationisten hatten ernsthafte Probleme mit der Demokratie – sie sprachen von „direkter Demokratie“ und so weiter. Wenn du „Enragés und Situationisten in der Besetzungsbewegung“ liest, wirst du feststellen, dass sie immer wieder behaupten, ihre Aktionen seien Ausdruck des demokratischen Willens der Vollversammlung der Sorbonne, während es offensichtlich ist, dass sie sich ständig über die Entscheidungen der Vollversammlung hinwegsetzten oder sie einfach nur dazu aufforderten, die Dinge abzusegnen, die sie getan hatten.

Im Allgemeinen ist es kein Zufall, dass Menschen, die für Demokratie eintreten, auch für Selbstverwaltung eintreten – also dafür, Teile dieser Gesellschaft zu übernehmen und sie selbst zu verwalten. Der Zusammenhang ist ganz einfach: im Kommunismus geht es um die Veränderung der sozialen Beziehungen und nicht nur um die Veränderung des politischen Systems, wie es die Demokraten anstreben.

Im Fall der Rätekommunisten ging es ganz offensichtlich um die Selbstverwaltung. Bei den Situs war es eher so, dass sie sich nicht wirklich von ihren selbstverwalteten Ursprüngen lösen konnten.

Ein weiteres Beispiel für diese Art von Problem ist das Konzept der „Planung“, von dem ich weiß, dass viele Menschen sehr daran hängen. Für mich bedeutet „Planung“, dass wir uns alle zusammensetzen und entscheiden, was wir in den nächsten 5 Jahren tun wollen, und dann gehen wir los und tun es. Das klingt nach einem weiteren Beispiel für die Fetischisierung des Moments der Entscheidungsfindung. Als Kommunisten, also als Feinde der Demokratie, sollten wir dem Konzept der Planung gegenüber sehr misstrauisch sein. Als Gegner der Sozialdemokratie müssen wir die Demokratie genauso energisch ablehnen wie den Sozialismus.

Dieser Beitrag wurde unter Kritik an der Demokratie, Kritik an der Ideologie, Texte, Wildcat veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.