(Italien) Spießrutenlauf als Antwort gegen die Revolte der Knackis

(Per Post erhalten)

20 Jahre sind seit dem G8 in Genua vergangen. Viele können sich noch an die Prügelorgien der Carabinieri in der Diaz-Schule oder in der Bullenwache in Bolzaneto erinnern. Entweder weil die Videoaufnahmen oder die eigenen Erfahrungen sich unwiderruflich ins Gedächtnis gebrannt haben. Die Ausschreitungen, die Prügel, der Mord an Carlo Giuliani während diesen Tagen ist mittlerweile Teil eines „kollektiven“ Gedächtnis geworden. Doch seither hat sich kaum etwas verändert. Der italienische Staat ist labil wie eh und je und jegliche Politik versucht mit Pflastern das sinkende Schiff zu flicken. Die Gewaltanwendung und Vergeltung gegen die Aufständischen ist aus Staatssicht nicht nur legitim, sondern auch notwendig, egal ob eine Regierung Links, Mitte oder Rechts ist.

Frühling 2020. In ganz Italien brechen Knastrevolten aus. Der Auslöser waren die frisch eingeschränkte Besuchszeiten, bzw. Besuchsverbote, wegen der Corona-Pandemie. Es gab Proteste in über 50 Knästen, in einigen davon nutzten die Gefangenen dem Moment aus um auszubrechen. Alleine im Knast von Modena werden neun Gefangene ermordet, daraus folgt dass die Schließer und die Carabinieri einrücken und alle verprügeln. Von offizieller Seite heißt es das „Junkies“ die Knast-Apotheke überfallen hätten und dann an einer Überdosis von Medikamenten (Methadon z.B.) gestorben wären.

Vor knapp zwei Wochen wurden die Untersuchungen wegen den neun Toten in Modena und fünf weiteren Toten in anderen Knästen archiviert. Der Staat hat kein Interesse gegen seine engsten Vertrauten zu ermitteln, jedoch werden 46 Gefangene angeklagt an der Revolte teilgenommen zu haben. Ihnen wird u.a. Entführung, Verwüstung und Plünderung, Körperverletzung und Diebstahl , die sie begangenen haben sollen, vorgeworfen. Nur zu dumm das vor kurzem Überwachungsvideos aus dem Knast von Santa Maria Capua Vetere (Neapel) veröffentlicht worden sind, die den Hergang in den Knästen zeigen, nachdem der Staat die „Kontrolle“ dort wiedererlangte. Einen Tag nach der dortigen Revolte, sollte es eine allgemeine Zellendurchsuchung geben. In diesem Video werden die Gefangenen im Spießrutenlauf wahllos verprügelt. Hier kann man sich selbst ein Bild davon machen:

https://www.youtube.com/watch?v=lCMhK-xUugA

52 Schließer wurden anscheinend identifiziert. Einige sind mittlerweile in Untersuchungshaft, Hausarrest oder wurden vom Dienst suspendiert. Folter wird ihnen angehängt. Viele italienische Politiker*innen äußern sich nun empört über diesen Vorfall, aber auch nur weil es diese Videoaufnahme gibt, sonst wäre es ihnen völlig egal, denn das Leben eines und einer Gefangenen ist aus deren Sicht weitaus minderwertiger als das eines braven Bürgers. Wenn man mit Gefangenen in Italien spricht, kommt sehr schnell ans Licht, dass Gewalt, egal ob psychisch oder physisch, an der Tagesordnung ist. Die Selbstmordrate in den Knästen ist beständig hoch, inwiefern diese dann tatsächlich Suizide sind, ist eine andere Frage. In den Medien wurden die damaligen Knastrevolten wenig thematisiert, da sie zu unbequem waren um sie ins Rampenlicht zu stellen. Zu groß war die Befürchtung, dadurch noch mehr Benzin auf die einzelnen Brandherden in den Städten zu schütten. Wie kann eine Demokratie mit solchen Bildern umgehen? Reicht es, sich ein Jahr später, ein bisschen empört zu zeigen und evtl. ein paar Schließer zu verurteilen?

Diese Video ist eine Momentaufnahme von praktisch ausgeübter staatlicher Vergeltung. Es stellt den Versuch dar, die Revoltierenden direkt zu bestrafen, bzw., ihren Willen nach Freiheit zu brechen. Wer weiß was sich sonst, in anderen Knästen, in diesen Tagen abgespielt hat. Ob es irgendwann ans Licht kommen wird, ist davon abhängig wie die solidarischen Zusammenhänge damit umgehen werden, denn von den Autoritäten und den staatstreuen Medien ist sicherlich keine „Gerechtigkeit“ oder Aufarbeitung zu erwarten.

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