(Mexiko) „Ich kann nicht atmen“

Gefunden auf Pensamiento Inútil, die Übersetzung ist von uns

„Ich kann nicht atmen“

Wir sagen ihr nicht (A.d.Ü, der Welt): Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will.
Karl Marx, 1843, Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern

Guy Debord schrieb in Ausgabe 10 der Zeitschrift Internationale Situationniste über die Watts-Revolte von 1965: „Wer verteidigte also die Aufständischen von Los Angeles so, wie sie es verdienen? Wir wollen es tun. Die Ökonomen dürfen ruhig über die 27 Mio. Dollar, die dabei verloren gegangen sind, die Städteplaner über einen ihrer schönsten Supermärkte, der in Rauchwolken aufging, und Mc. Intyre über seinen erschossenen Vize-Sheriff weiter jammern; lassen wir gleichfalls die Soziologen über die Unsinnigkeit und den Rausch einer solchen Revolte wehklagen.“

Die Exzesse in Los Angeles, so Debord weiter, seien kein politischer Fehler der Schwarzen gewesen, so wie der bewaffnete Widerstand der POUM und der Anarchisten in Barcelona im Mai 19371 kein Verrat am antifranquistischen Krieg war. Die Watts-Revolte war ein Schrei gegen die Gesellschaft des Spektakels und die Warenwelt, ein Protest gegen das unmenschliche Leben. Die kalifornischen Behörden verstanden dies vollkommen, als sie „einen Zustand des Aufstands“ ausriefen. Über die Plünderungen hinaus brachten Schwarze die Frage nach dem Leben im dunklen Zeitalter des technologischen Totalitarismus zur Sprache.

In der heutigen Gesellschaft ist derselbe Totalitarismus heimtückischer und absoluter geworden, sowohl im Norden als auch im Süden des Planeten. Und doch, während ein großer Teil der Menschheit schläft, erschreckt durch die Vogelscheuche des Coronavirus, tauchen am unerwartetsten Ort ermutigende Nachrichten auf. Nur zehn Tage nach der grausamen Ermordung von George Floyd in Minneapolis, im Norden des Landes, werden die Straßen von 140 Städten in den Vereinigten Staaten von wütenden Menschenmassen eingenommen, die Menschen aller Hautfarben umfassen: in erster Linie Schwarze, aber auch Weiße, Asiaten, Latinos, illegale Einwanderer, junge und nicht so junge, erfahrene Militante und gewöhnliche Menschen.

Sie sind nichts weiter als Anarchisten, Verlierer und Verbitterte, sagt der Mieter des Weißen Hauses aus dem Regierungsbunker, in dem er umsichtig untergebracht ist. Und was wollen diese „Anarchisten“? Gerechtigkeit, ohne Zweifel. Aber das Getöse, das durch das Land dringt, „ich kann nicht atmen“, stellt fest auf dem Tisch die Probleme des Lebens in unserer unglücklichen Gesellschaft. Genau wie 1965.

Wie geht es weiter? Eine weniger düstere Zukunft? Schwer zu sagen, das ist erst der Anfang. Die falsche Prophezeiung jener Schriftsteller, die dem Coronavirus das zweifelhafte Verdienst zuschreiben, eine neue Ära der sozialen Domestizierung einzuleiten, wurde vorerst verworfen. Und nicht zuletzt wirft diese großartige Rebellion die politisch korrekten Philosophen, die Regierungen mit Bevölkerungen verwechseln, indem sie behaupten, der Norden sei von Natur aus rassistisch, imperialistisch und unterdrückerisch, während der Süden selbst „dekolonial“, erkenntnistheoretisch alternativ, interkulturell usw. sei, in den Müll der Geschichte.

Von der Monsterstadt aus, Ehre den neuen und alten Rebellen der Vereinigten Staaten!

Claudio Albertani

Mexiko-Stadt, 3. Juni 2020

1A.d.Ü., dazu empfehlen wir von Carlos Semprun, Revolution und Konterrevolution in Katalonien, Edition Nautilus

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