Spanien: Kritik und Selbstkritik (von innen heraus) an die Gruppe der kämpfenden Gefangenen

Einleitung von uns, sprich, von der Soligruppe für Gefangene

Wir hatten vor kurzem einen Text über den letzten Hungerstreik, wobei wir gerade nicht wissen ob dieser noch läuft, der in den Knästen innerhalb des spanischen Staates stattfand, veröffentlicht. Dieser Text, der von einem Gefangenen veröffentlicht wurde, der sich an den Kämpfen innerhalb der Mauern seit langem beteiligt, haben wir übersetzt, weil er eine Auseinandersetzung sucht und viele Fragen stellt, die wir selber nicht beantworten können, bzw., auch deren Aktualität und Richtigkeit bestätigen können, aber wir finden es wichtig ihm auch hier einen Raum zu geben.

Die bloße Existenz der Gefängnisse ist ein Ausdruck von Folter gegen Menschen, sowie Lohnarbeit Ausdruck von der Sklaverei der Lohnarbeit ist, sowie Patriarchat Ausdruck der spezifischen und zusätzlichen Herrschaft über Frauen ist. Detailliert wollen wir hier nicht eingehen, weil wir uns nicht im Detail verlaufen wollen, an all dem was wir zerstören wollen, damit die Menschheit sich als eine freie Gemeinschaft gründen kann.

In den Knästen im spanischen Staat, fanden in den letzten Jahren nicht nur viele Selbstmorde statt, sondern viele Gefangene sind in den Knästen sind1, sehr hoch war die Anzahl in Katalonien – wo die Knäste vom Bundesland (Comunidad Autonoma) und nicht von der Zentralregierung verwaltet werden – zusätzlich werden nicht wenige Gefangene durch verschiedenste Methoden in den Knästen ermordet. Sei es durch die Verweigerung einer medizinischen Behandlung (Tote durch Krebs, AIDS, Drogensucht), einer psychischen Behandlung und einer langen Liste an weiteren Dingen. Knäste sperren hausgemachte Konflikte, Widersprüche und Probleme der Herrschaft des Kapitalismus ein um sie auszumerzen. Knäste können und werden all dies nicht lösen können, sondern vor allem sollen Menschen unter einer gewisse Kontrolle gebracht werden.

Sowie die Sklaverei der Lohnarbeit nicht Armut, Ausbeutung und Elend bekämpft, sondern deren Ursache ist, sowie das Patriarchat nur eine Gesellschaft hervorhebt in der Frauen kategorisch misshandelt, erniedrigt und gefoltert werden, kann all dies nur ein Ende gesetzt werden, indem es durch die Rache der Habenichtse, der Ausgeschlossenen, der Ausgebeuteten nur abgeschafft wird.

Alleine in Europa – nicht EU – sind in den meisten Ländern die Knäste überfüllt. Dieser Trend, diese Tendenz steigt in den letzten Jahren Parallel zu der Militarisierung des Alltags, sprich der Ausnahmezustand wird normalisiert. Dies wirkt sich nicht nur in der orwellschen Dystopie aus, die wir Alltag nennen, sondern auch in der Realität der Knäste. Die Welt geht zugrunde, keine Frage, aber bis der soziale Frieden – der europäische Traum der Sozialdemokratie und der Nationalstaaten – zusammenbricht, werden noch viele Menschen sterben. Nicht nur an den Pforten Europas, nicht nur im Trikont, sondern auch hier, vor unserer Nase. Freut euch nicht zu sehr auf die Ergebnisse der letzten Wahlen, denn sie bedeuten ein Scheiß und sind genauso viel Wert. Der Kampf wird nicht in den Parlamenten geführt, sondern auf den Straßen!

Die herrschende Klasse mit den Waffen des sozialen Krieges zerschlagen!

Für die Anarchie, für eine klassenlose Gesellschaft!

 

1Von 2010 bis 2017 starben (auch durch Selbstmord) in Knästen im spanischen Staat 1463 Personen, davon alleine 405 in Katalonien. Die Sterberate liegt in den Knästen bei fast 3 Gefangenen pro 1000 Gefangenen.



Kritik und Selbstkritik (von innen heraus) an die Gruppe der kämpfenden Gefangenen

Von uns übersetzt, Quelle: Tokata

Grüße Gefährt*innen, ich bin Toni Chavero…. Ich schreibe, um meine Wahrnehmung über der Gruppe oder der Gemeinschaft des Kampfes in den Gefängnissen des spanischen Staates zu vermitteln.

Die Kommunikation innerhalb der Knäste ist nicht vorhanden, ich erhalte keinen Brief von Gefangenen seit dem letzten von Peque, vor mehr als 6 Monaten. Ich kenne nur die Vorschläge von Peque und Cabrero, von Personen draußen, ich habe auf die Vorschläge des Hungerstreiks vom 1. Mai von Peque und auf den von Llopis über die europäischen und internationalen Institutionen geantwortet. Ich habe weder von innen noch von außen eine Antwort auf die Reflexion 20181 erhalten. Keine Reflexion und ich habe meine eigenen geschickt, übrigens recht umfangreich. Ich weiß nicht, ob ihr es erhalten habt.

Zu den Punkten 13 und 14, um die Tabelle der Forderungen, die ich zur Debatte stellte, zu erhöhen, hat mir niemand geantwortet, weder ein Gefangener von drinnen, niemand. Ich frage mich, wo der Dialog ist, ich glaube nicht, dass es in den Gefängnissen dieser Kampfgemeinschaft einen echten Dialog gibt, und wenn doch, dann bin ich nicht Teil davon, wegen der radikalen Einschränkung der Kommunikation innerhalb der Knäste, in der ich mich befinde. Es ist nicht zu entschuldigen, dass meine Kommunikation seit mehr als vier Jahren abgehört wird, dagegen habe ich in den Knästen gekämpft, durch die ich gegangen bin, aber jetzt warte ich auf die letzten Berufungen vor dem Verfassungsgericht, verlegen sie mich weiter und beginne wieder von vorne. Ein weiterer Trick des SGIP2, der mich nicht überrascht. Dennoch habe ich denen geantwortet, die Aktionen im Rahmen von Dialog, Vereinbarungen und koordinierten Aktionen vorgeschlagen haben (wie wir es getan haben), um uns alle drinnen und draußen auf dieselbe Sache zu äußern. Ich habe es durch Kommuniqués getan, angesichts des Eingreifens und der Begrenzung auf zwei Wochenbriefe. Ich hätte mir gewünscht, dass ich direkt auf die Vorschläge hätte antworten können, indem ich an diejenigen geschrieben hätte, die sie lancieren und zur Debatte gestellt haben, aber die Erfahrung mit direkter Korrespondenz, zum Beispiel mit dem Gefährte Peque, hat dazu geführt, dass die Hierophanten3 es früher erfahren haben und unsere Post um 2-3 Monate verzögert haben, indem sie um jeden Preis versucht haben, dass sie [die Vorschläge] in die Praxis umgesetzt werden können. Nichts Neues unter der Sonne.

Andererseits haben die Aktionen, die auf individueller Ebene durchgeführt werden, ohne sie in den Dialog zu bringen, nicht einmal zu kommunizieren, wie den Hungerstreik von Carmen Badía, sie aus genau diesem Grund nicht unterstützt habe, denn als ich herausfand, dass alles bereits getan wurde, ist es meiner Meinung nach nicht der richtige Weg, um sich als ein ganzer Körper zu bewegen, ohne vorherige Debatte oder Kommunikation, die es uns unmöglich macht, uns als eine Gemeinschaft des Kampfes zu artikulieren und uns diesem Hungerstreik anzuschließen (und ich glaube, dass dies bereits bis zum Punkt der Sättigung angesprochen wurde). Diese individualistischen Handlungen erzeugen eine Spaltung innerhalb der Kampfgemeinschaft, da einige ohne vorherige Debatte an einen Beitritt zum Hungerstreik denken werden und andere, wie ich, nicht.

Ich glaube, dass Carmens Argumente für den Beginn ihres Hungerstreiks richtig sind, das bezweifle ich nicht, aber es geschieht nicht in der vereinbarten Weise, also wird Spaltung statt Zusammenschluss erzeugt. Diese Taten schwächen die Gemeinschaft des Kampfes gegen Knäste, spalten und schwächen sie alle, ganz zu schweigen davon, dass Carmen, die an Krebs erkrankt ist, diesen Hungerstreik auf eigene Faust und eigenes Risiko durchführt, ihre Situation verschlimmert und ihr Leben gefährdet.

Damit bin ich nicht einverstanden, denn in dieser Gemeinschaft geht es nur darum, dass alle vereint kämpfen, um kurzfristig zu erreichen, dass einige Maßnahmen zur Erleichterung einiger Rechte erfüllt werden und langfristig die Abschaffung und Zerstörung der Knäste und nicht der Gefangene zu erreichen. In diesem Kampf wird kein Ziel im Sinne von Märtyrertum angestrebt, wir sind nur Menschen, die im Kampf gegen die Nutzlosigkeit von Gefängnissen und deren Zerstörung gefangen gehalten werden, niemals für die Zerstörung der Gefangene. Uns zu schwächen, ist nicht das Ziel. Vielleicht geht es darum, uns zu stärken, aber nicht, die Zahl der Toten in den Gefängnissen des spanischen Staates zu erhöhen.

Ich denke, wir müssen über die Kommunikation im Inneren nachdenken, auch wenn sie nicht direkt zwischen uns ist, wegen der Eingriffe, sondern zum Beispiel durch Kommunikation mit Hilfe von außen. Ich habe meine diesbezügliche Auffassung bereits zum Ausdruck gebracht, ich glaube nicht, dass es eine solche Kommunikation gibt, und ich bin nicht bereit, die eingeleiteten Vorschläge zu akzeptieren und keine Antwort von denen zu erhalten, die ich eingeleitet habe, ich halte sie nicht für horizontal oder fair. Die Konsequenz von allem, der Mangel an Kommunikation und individuellem Handeln, ist, dass sie die von Anfang an getroffenen Vereinbarungen vollständig brechen und damit die Kampfgemeinschaft brechen….. Allerdings fühle ich mich nicht von der Gruppe innerhalb ausgeschlossen, sondern dass meine einzigen beiden Verbindungen zwei Personen, in Valencia und eine in Madrid sind und keiner von ihnen im Gefängnis sitzt.

Ich weiß nicht, ob noch mehr von euch dies fühlen, ich fühle mich so, ich fühle mich nicht als Teil einer Gruppe, ich fühle mich als Teil dieser Menschen da draußen und ich fühle mich als Teil der 14 Punkte der Forderung, sowie des Dekalogs des APDHA4, das heißt, dass meine langfristigen Ziele auf diesem Grundgedanken beruhen und die in den Gefängnissen des Staates ermordeten Gefangenen. Was den Rest betrifft, so ist die Gruppe der Gefangenen im Kampf für mich eher virtuell als physisch, und was diejenigen betrifft, die individualistische Aktionen begrüßen, die zum Tod einer gefangenen und kranken Person führen können, so erscheint es mir erbärmlich, nichts Praktisches und völliges Fehlen von brüderlicher Liebe und Gefährt*innenschaft (ehrlich, ich weiß nicht wie ihr drauf seit). Aber ihr zerstört nicht die Gefängnisse, sondern einen Gefangenen, jeder (innen oder außen) der den Niedergang fördert und alles bis zum Tod verschlimmert. Ich bitte euch, es euch noch einmal zu überlegen. Was zum Teufel macht ihr da? Ein Aufruf zur Logik, zur Selbstorganisation, zum gemeinsamen Kampf, zur Kommunikation untereinander, zur Debatte und zum Handeln in gegenseitigem Einvernehmen, indem wir uns nach innen und außen als das artikulieren, was wir sein sollen, eine Gemeinschaft des vereinten Kampfes, nicht zersplittert. Den Individualismus innerhalb dieser Gemeinschaft sehe ich als Egozentrismus und Narzissmus, der unter uns überflüssig ist.

Ich glaube, dass, obwohl meine Art, mich auszudrücken, nicht angenehm ist oder irgendjemandem Gefallen sucht, ich nur möchte, dass wir auf der Basis des Zusammenschlusses und all das, was das bedeutet, respektieren und reflektieren (da ich die Selbstzerstörung dieser Kampfgemeinschaft kommen sehe). Deshalb kämpfen wir so hart dafür, den Kampf gegen das Gefängnis seit 2015 aufzunehmen, und wenn wir 2019 erreicht haben, dann auf der Grundlage von Solidarität und Zusammenschluss, zumal die Bemühungen, die die Gruppen von außen seit 2015 unternommen haben, nicht aufgehört haben und immer noch da sind, schulden wir diesen Menschen und Unterstützungsgruppen ein Minimum an Respekt.

Ich weiß, dass ihr einen Text mit dem Titel „Campañismo y Anticampañismo. Kritik an der Presista-Ideologie. Valencia Solidaritätsversammlung. Juni 20125“ erhalten habt. Dieser Text ist herzzerreißend ohne Ende und ist stark eingerahmt in der anarchistischen Ideologie, die nicht aufhört, ein Bindeglied zu uns zu sein, da wir die Zerstörung von Gefängnissen anstreben, denn dies ist die größte Form der Herrschaft, unter der wir leiden. Nachdem ich den Text seit meiner Versetzung von Albocasser nach Estremera und dann später bedachter analysiert habe, sehe ich die Schwierigkeit, die ein echter Kampf heute gegen die Gefängnis-Bestie darstellt. Dennoch gibt es im Rahmen aller Antiknastkämpfe und proletarischen Kämpfe etwas, das konstant ist: Dialog, Zusammenschluss, Solidarität, gegenseitige oder mehrheitliche Vereinbarungen und gemeinsame Aktionen. Es gibt natürlich noch viel mehr, wie brüderliche Liebe, Gefährt*innenschaft und den unbezwingbaren Willen, gegen die vom Kapital auferlegte Herrschaft zu rebellieren, sowie gegen die kirchliche Ideologie der Schuld, die Angst vor Unterdrückung und eine lange Liste des herrschenden Abfalls.

Ich glaube, dass einige von uns mehr und andere weniger übereinstimmen, zumindest im Grundlegenden. Aber es ist klar, dass wir diesen Zusammenschluss verlieren, der uns am Ende stark macht. Ohne sie sind wir verloren. So sehe ich es und so fühle ich mich. Besser oder schlechter ausgedrückt, was macht das schon? Letztendlich versuche ich nur, zum Nachdenken, zum Zusammenschluss und zu gemeinsamen Handlungen auf der Grundlage eines ständigen Dialogs und gegenseitiger Vereinbarungen aufzurufen.

Es besteht kein Zweifel, dass ich es satt habe, immer diejenige zu sein, der auf die Nerven geht, aber zumindest fühle ich mich nicht wohl in der Feigheit des Schweigens (meiner Meinung nach ist das keine Gefährt*innenschaft, es ist einfacher Konformismus).

Ich informiere euch darüber, dass ich nach dem Hungerstreik vom 1. bis 15. Mai und nach meiner Zusage, es so zu tun, wie ich es bereits mitgeteilt habe, ernsthaft überdenken werde, ob es sich um eine Kampfgemeinschaft handelt, in der ich einen Platz habe, denn heute, und das kommt nicht plötzlich oder durch die Handlungen, die ich hier kommentiere, sondern von viel weiter zurück, fühle ich mich von dieser Gruppe vertrieben, der ich so viel gewidmet habe. Wenn ich darüber nachdenke, was zum Teufel ich mache, was ich zu dieser Gemeinde beisteuere und was seit 2015 erreicht wurde, werde ich euch sagen, ob ich mit euch oder in meinem Namen mit den Menschen da draußen, die etwas beitragen, wofür ich leben kann, weitermache. Noch muss ich sagen, dass mein Kampf ebenso weitergehen wird, was ich nicht weiß, ist, ob ich mich euchanschließen werde oder nicht, denn Entzweit ist, wie ich mich seit langem fühle.

Ohne viel mehr zu sagen, als nur, dass es viel aus dem zitierten Text der Asamblea de Solidarid de Valencia de 2012 zu lernen gäbe, verabschiede ich mich mit einer starken brüderlichen Umarmung, aber auch mit einer gewissen Distanz, in die ich durch Isolation und Individualismus verwiesen werde.

Meine Kraft für diesen Hungerstreik vom 1. bis 15. Mai und meine besten Wünsche und meine Gefährt*innenschaft.

Gesundheit und Freiheit. Für eine Gesellschaft ohne Käfige.

Toni Chavero.

1Im Jahr 2018, fand auch ein kollektiver Hungerstreik in den Knästen des spanischen Staates

2Secretaría General de Instituciones Penitenciarias, Generalsekretariat der Gefängnisinstitutionen

3Als Hierophant (griechisch), „Enthüller der heiligen Geheimnisse“, wurde der Hohepriester im Tempel der Demeter in Eleusis bezeichnet, sprich es handelt sich um eine wichtige religiöse Figur der antiken griechischen Religion.

4Asociación Pro Derechos Humanos de Anadalucía, Vereinigung für die Menschenrechte in Andalusien

5Wir werden den Text in den kommenden Tagen veröffentlichen, wo wir auch auf die Begriffe eingehen, wie Presismo/presista… https://argelaga.wordpress.com/2014/04/18/campanismo-y-anticampanismo-critica-de-la-ideologia-presista/

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