(Argentinien, Oveja Negra) DEKONSTRUKTION?

Gefunden auf oveja negra, einer anarchistischen Publikation aus Rosario, Argentinien, die Übersetzung ist von uns. Hier eine weitere Kritik an der Postmoderne und deren Auswüsche, wie die Intersektionalität und die Dekonstruktion.


DEKONSTRUKTION?

Donnerstag, 25. April 2019

In bestimmten anarchistischen, feministischen, militanten oder allgemein kämpferischen Kreisen findet das Konzept der Dekonstruktion immer mehr Anklang. Für viele scheint es ein unausweichliches und notwendiges Element zu sein, der Weg zu einem größeren Bewusstsein und einer effektiven Umsetzung, die, wenn sie jemals verallgemeinert werden sollte, einen echten sozialen Wandel ermöglichen würde. Sie wird als eine Art Selbstanalyse und ein Bewusstsein für Privilegien vorgeschlagen, das von einer Reihe von „Intersektionalitäten“ (Geschlecht, Gender, Alter, Rasse, Klasse usw.) abhängt und auf diese reagiert, die die Identität jedes Einzelnen definieren, ihn von anderen unterscheiden und dazu führen, dass er Verhaltensweisen und Positionen der Macht oder Unterordnung in Bezug auf andere Individuen reproduziert. Eine Person, die sich im Prozess der Dekonstruktion befindet, stellt also ihre „Privilegien“ in Frage und ändert ihre Verhaltens- und Beziehungsweisen, indem sie versucht, bestimmte Formen, Logiken und Verhaltensweisen nicht zu reproduzieren, um andere Menschen nicht mit ihrer Existenz zu unterdrücken.

Der Gedanke, dass wir alle in gewisser Weise Unterdrücker und Unterdrückte zugleich sind, da es überall Machtverhältnisse gibt und es unmöglich ist, ihnen zu entkommen, muss für diejenigen in hohen Machtpositionen sehr verlockend sein.

Es ist kein Zufall, dass diese Ideen nicht aus den Kämpfen oder Bilanzen ihrer eigenen Protagonisten stammen, sondern von Akademikern, Philosophen, Intellektuellen, genauso wie es kein Zufall ist, dass sie in Universitätskreisen und bei bezahlten Scharlatanen, den Bewahrern der bestehenden Ordnung, so präsent sind. Plötzlich lassen sie uns wissen, dass das Problem in uns selbst liegt. Das Problem ist nicht, dass unser Leben der Arbeit unterworfen ist, den merkantilen Zeiten, der Diktatur der Wirtschaft, des Geldes und der Uhren. Für die Befürworter der Dekonstruktion sind dies allenfalls bedingende Faktoren, aber keine materiellen Bedingungen, die es zu überwinden gilt. Es scheint, als ob das Wichtigste, was es zu lösen gilt, die Machtverhältnisse zwischen Gleichgestellten sind, vielleicht weil dies das Einzige ist, das als möglich dargestellt wird. So können wir alle mit einem einfachen Bewusstsein besser werden. Aber zu glauben, dass es möglich ist, die Gesellschaft durch ein allgemeines Bewusstsein zu verändern, ist genauso naiv, wie zu glauben, dass ein Staatsbeamter, ein Politiker, ein Priester, ein Geschäftsmann oder ein Polizist aufhören würde, von seinen „Privilegien“ zu profitieren, wenn er sich ihrer bewusst würde.

Irgendwie steckt in all dem die postmoderne, subjektivistische Haltung, in der es die Realität nicht mehr gibt und sich alles immer mehr auf individuelle Wahrnehmungen und Empfindungen konzentriert. So wird die Unterdrückung durch den Staat mit der „Mikro-Macht“ jedes Einzelnen gleichgesetzt. Es ist kein Zufall, dass diese Art von Moden in einer Zeit der absoluten Atomisierung, der allgemeinen Empfindlichkeit und der paternalistischen Viktimisierung (A.d.Ü., Opferhaltung) auftreten. Der Kampf gegen diejenigen, die uns unterdrücken, ist aus der Mode gekommen und jetzt unterdrücken wir uns alle gegenseitig, wir sind sogar Feinde von uns selbst.

Zeiten der Selbsthilfe, der Selbstüberwindung, der Beseitigung von schlechten Einflüssen und schädlichen Energien für den persönlichen Fortschritt. Bewusste Ernährung, inklusive Sprache, Umweltbewusstsein, Lebensstile. Es liegt alles an uns als Individuen und hängt von uns als Individuen ab. Und wenn wir versagen, sind wir als Einzelne verurteilt und schuldig. Wieder wird das Alte als das Neue ausgegeben.

Die Theorie der Dekonstruktion geht davon aus, dass es Identitäten oder Festlegungen gibt, von denen wir uns durch einfachen Willen lösen können, so als wären sie eine Wahl und nicht durch einen Prozess von Hunderten von Jahren und Millionen von Menschen definiert. Neben der Frage nach dem Individuum gibt es auch die Vorstellung, dass man so ist, wie man ist, weil man sich dafür entscheidet, mit anderen Worten, weil man so sein will. So kann eine Universitätsstudentin mehr Zeit mit ihrer Dekonstruktion verbringen als eine Mutter von fünf Kindern. In bestimmten Bereichen des Kampfes scheint sich die Perspektive von der Ausrichtung auf echten sozialen Wandel auf die Schaffung sicherer Räume verlagert zu haben, in denen es kein Unbehagen oder Konflikte gibt, in denen sich niemand diskriminiert oder ausgeschlossen fühlt.

Mit all dem negieren wir nicht die Wichtigkeit der subjektiven oder persönlichen Veränderungen oder die Art und Weise, wie wir uns in unserem täglichen Leben verhalten. Denn das scheint uns ein grundlegendes Element für den revolutionären Kampf und sogar eine Frage des Überlebens zu sein. Zu sagen, dass „diejenigen, die von Revolution sprechen, ohne sie in ihrem eigenen täglichen Leben zu verwirklichen, mit einer Leiche im Mund sprechen“, ist etwas ganz anderes, als die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass alles, was wir reproduzieren, Teil einer sozialen (nicht zwischenmenschlichen) Beziehung ist, die an ihren Wurzeln zerstört und überwunden werden muss. Und zwar nicht um der Sache willen, sondern weil es der einzige Weg ist. Denn wenn wir sagen, dass wir eine „Konstruktion“ sind, ist diese Konstruktion sozial und ihre Zerstörung wird sozial sein. Es ist von entscheidender Bedeutung zu verstehen, dass das, was wir sind, viele der beschissenen Einstellungen, die wir reproduzieren und die wir zerstören (nicht dekonstruieren) müssen, das Produkt eines Lebens sind, das den Bedürfnissen anderer unterworfen ist, den Bedürfnissen der menschenfeindlichen Ökonomie, die uns oft unmenschlich macht. Und solange das so ist, können wir uns dessen bewusst werden und die Möglichkeiten, seine Logik nicht zu reproduzieren, so gut wie möglich ausreizen. Das bedeutet nicht, dass wir eine zunehmende Atomisierung und Misstrauen erzeugen, die die Art und Weise, wie der Kapitalismus uns auferlegt, rechtfertigt und weiter reproduziert.

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