In Gedenken an den vor kurzen verstorbenen Anarchisten Stuart Christie

In Gedenken an den vor kurzen verstorbenen Anarchisten Stuart Christie

Am 15. August 2020 erlag Stuart Christie nach einem langen Kampf dem Lungenkrebs.

Stuart Christie, geboren in Glasgow 1946, ist eine sehr bemerkenswerte anarchistische Person gewesen, die ihr Leben lang der Sache den Anarchismus gewidmet hat.

Aufgewachsen ist er bei seiner Mutter und seiner Großmutter. Letztere sollte eine große Rolle in seiner Politisierung zum Anarchismus gespielt haben, dies erwähnte er in zahlreichen Momenten und auch in einigen seiner Bücher.

Schon mit 16 Jahren organisierte er sich im anarchistischen Milieu bis er zwei Jahre später weltweit bekannt werden sollte. Er zog nach London und trat dort mit der anarchistischen Organisation Defensa Interior1 in Kontakt. Er und weitere Anarchist*innen wurden dann im Sommer 1964 in Madrid verhaftet, in seinem Fall weil er Sprengstoff für einen Anschlag gegen Franco transportiert hat, bei dem Rest wegen Beteiligung an einen Anschlag gegen den Caudillo.

Um die Tatsache zu verdecken, dass es in der Gruppe einen Informanten gab, erklärten die Behörden in Spanien dass sie Agenten in Großbritannien hatten, wo ja auch nicht wenige Anarchist*innen im Exil lebten und dass Stuart sehr auffällig gewesen wäre, weil er einen typischen schottischen Rock getragen hätte. Diese stimmte nicht, war aber sehr einfallsreich.

Hier auf der Titelseite Stuart Christie und Fernando Carballo nach ihrer Verhaftung und die Sprengladung die an Francisco Franco adressiert war.

Während des Franquismus wurde jeder Fall von Terrorismus vor einen Militärgericht gebracht wo auch die härteren Urteile ausgesprochen wurden, sowie auch die Todesstrafe. Die Gefahr bestand in seinem Fall auch, wegen des internationalen Drucks wurde Stuart zu 20 Jahren Knast verurteilt. In den drei Jahren die er am Ende, bevor er abgeschoben wurde, absitzte, lernte er einige gleichaltrige und ältere Anarchist*innen kennenlernen, wie Miguel García García2 und Luís Andrés Edo3, die im Widerstand waren. Grund für seine frühere Entlassung war eine internationale Kampagne für seine Freilassung bei der sich auch bekannte internationale Personen wie Jean-Paul Sartre und Bertrand Russel beteiligten.

Plakat für die Freilassung von Fernando Carballo der mit Stuart Christie verhaftet wurde

Wie gesagt kehre er 1967 aus Spanien zurück, dieser Erfahrung soll ihn für sein Leben lang beeinflusst haben, seine damaligen Freund*innen sagten er wäre erwachsen und weiser geworden, genauso auch entschlossener zu kämpfen und die geschmiedeten Freundschaften im Knast zu unterstützen die in Spanien weiterhin im Knast waren.

Wieder in London, gründete er mit Albert Metzler4 die Publikation Black Flag, Cienfuegos Press5 und baute die Anarchist Black Cross6 wieder auf um anarchistische und revolutionäre Gefangene zu unterstützen.

Dort sollte er auch seine Partnerin und Gefährtin Brenda Earl kennenlernen, die er bis zum Tode begleitete, sie war die wichtigste emotionale und politische Person in seinem Leben.

Stuart veröffentlichte bis zu seinen Lebensende viele Bücher über die anarchistische Bewegung, deren Geschichte (z.B., übersetzte er das Buch von Antonio Tellez über Francisco „Quico“ Sabaté Llopart) und schrieb für viele Publikationen unzählige Artikel. Ein bekanntes Buch seiner Zeit, welches er mit Albert Metzler schrieb, war The Floodgates of Anarchy7, bei dem beide einen revolutionären Anarchismus vertreten haben, welches mit den Einflüsse, vor allem aus der Friedensbewegung, der damaligen Zeit nicht einverstanden waren.

Jahre später sollte die britische Justiz ihn nicht vergessen und so wurde er mit anderen Anarchist*innen verhaftet und beschuldigt ein Teil der Angry Brigade8 zu sein und sich an deren Aktionen beteiligt zu haben.

Stuart wurde im „Stoke Newington Eight“ Prozess gegen die vermeintlichen Mitglieder der Angry Brigade freigesprochen, dafür wurden aber John Barker, Jim Greenfield, Hilary Creek und Anna Mendelssohn zu 10 Jahren Haft verurteilt. Der ganze Prozess sollte sich als eine politische Hetzjagd gegen die damalige anarchistische Bewegung auf Großbritannien kristallisieren. Bis heutzutage sind die Urteile sehr umstritten.

Ab diesen Zeitpunk widmete sich Stuart den schon erwähnten Projekten und hat, wie schon gesagt sehr viele Bücher veröffentlichen.

Seine Gefährtin und große Liebe Brenda, starb im Juni 2019.

Wir bedanken uns bei beiden für ihre großartige Beitrage, Projekte, die für viele Anarchist*innen über Jahrzehnte von großer Bedeutung waren und sind und von großem Nutzen sein werden.

 

1Defensa Interior war der Versuch der CNT, FAI und FIJL einen koordinierten bewaffneten Widerstand im Exil gegen das Franco-Regime ab 1961 zu organisieren. Der Druck der anarchistischen Jugend zwang die Organisationen zu diesen Schritt, weil die letzten Maquis 1960 von den spanischen Sicherheitskräften ermordet wurden (1957 José Luís Facerías; 1960 Francisco Sabaté Llopart), diese Geschichte muss auf Deutsch noch komplett niedergeschrieben werden, weil wie viele andere Kapitel des anarchistischen Wiederstandes, komplett unbekannt sind.

2Miguel García (1908-1981) war ein Anarchist, Fälscher, Schriftsteller und langzeit-Gefanger während des Franco-Regimes. Zu seiner Geschichte im Knast veröffentliche er auch ein Buch, auch auf Deutsch erhältlich, unter dem Titel Spanien. Kampf und Gefangenschaft 1939 – 1969.
Während des zweiten Weltkrieges war er Teil eines Netzwerkes die Jüd*innen versteckten und Leute halfen von Frankreich nach Spanien zu bringen. Er war Spezialist bei der Fälschung von Dokumenten, bei dem er auch vom britischen Geheimdienst ausgebildet wurde.
Ab 1945 nimmt er wieder beim bewaffneten Widerstand teil und ist der Gruppen um Francisco Sabaté. 1949 wurde er verhaftet und zu Tode verurteilt, was später auf 20 Jahre Haft umgewandelt wurde. 1969 wird seine Freilassung durch die internationale Kampagne der ABC in London erreicht, er zieht später auch dorthin und arbeitet mit Stuart und Albert, ersten hatte er im Knast kennengelernt, in der ABC mit.

3Luís Andrés Edo (1925 – 2009) war ein Anarchist der eine große Rolle im Aufbau der FIJL, der 1. Mai Gruppen, der Gruppe Internationale Solidarität und Defensa Interior leistete, er gehörte zu jener Generation von Anarchist*innen die den libertären bewaffneten Widerstand auf der ganzen Welt gegen den Faschismus in Spanien voranbrachten und vor allem bis zum Ende nie aufgaben.

4Zu Albert Meltzer ergänzen wir eine Broschüre die er 1976 veröffentlichte und erweitern seine Biographie

5Hier I;II eine Liste von Publikationen von Cienfuegos Press

6Hier I eine kurze Einführung zu der Geschichte der ABC

7Hier I auf Englisch

8Hier I auf Englisch, wir arbeiten an der Übersetzung auf Deutsch

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