Anarchismus und Identität(en), ein falsches Verhältnis.

Anarchismus und Identität(en), ein falsches Verhältnis.


Eine kurze Textreihe von Texten die aufeinander Bezug nehmen. Angefangen hat es mit einem Artikel der im Sprachorgan der CNT Catalunya Solidaridad Obrera veröffentlicht wurde, danach auch französischer Sprache auf lundi matin. Dazu gab es von Finimondo und Non-fides eine Kritik.

Es gibt nicht wenige die den Anarchismus als eine Theorie des Proletariats um den Staat und das Kapital zu zerschlagen nicht sehen, sondern als eine Identität. Die wie alle Identitäten, alles Ideologien, man nicht nur nach belieben ablegen kann, sondern nicht nur oberflächlich und vor allem etwas sind was fast ästhetisch ist.

Der erste Text dieser Reihe leidet an den oben genannten Krisen der Identität (Wer bin ich? Wohin gehe ich? Warum bin ich? …) und will den Anarchismus wechseln, zu unbequem, zu unattraktiv, sowie man halt die Unterwäsche wechselt. Der Anarchismus wird ganz im Sinne jeder Identität auf rein ästhetische Merkmale reduziert und dies auf einer Zeitung die von sich selbst schimpft selbst anarchistisch (sic!) zu sein. Dies wird natürlich von Finimondo kritisiert.

Der letzte Artikel von Non-Fides ist in einem anderen Rahmen zu lesen. Dies werden alle Freundinnen und Freunde der Kritik am Appellismus/Tiqqunismus/undweiteretheoretischeDeformationen sehr mögen.


Gegen“ den Anarchismus. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten

Neu anfangen heißt: aus dem Schwebezustand herauskommen. Den Kontakt zwischen unserem Werden wiederherstellen“. Tiqqun.

Viele von uns haben sich schon lange über Identitäten Gedanken gemacht: Was ist Identität, wie wird sie artikuliert, ist es interessant oder strategisch ratsam, die Fahnen der Identität im Rahmen revolutionärer Prozesse hochzuhalten? In diesem Text werden wir versuchen, eine andere Perspektive in die Debatte einzubringen.

Wir verstehen Identität als den symbolischen und strukturellen Prozess der Identifikation oder Zugehörigkeit und damit auch der Trennung. Man muss unterscheiden zwischen Identitäten, die von der Biomacht auferlegt werden (Frau, schwarz, fett usw.), und „revolutionären Identitäten“, die sich eine Vielzahl von Organisationen, Kollektiven oder Individuen selbst geben (anarchistisch, kommunistisch, nihilistisch usw.), d. h. Identitäten, die nicht durch diskursive, soziale und sprachliche Symbole auferlegt werden, die historisch von der Macht bestimmt sind, sondern von den Individuen selbst gegeben werden.

In vielen Fällen sind die von der Biomacht auferlegten Identitäten Kategorien der Unterdrückung. Als Frau bezeichnet zu werden, macht dich nicht zur Frau, aber es verleiht dir eine soziale Kategorie mit allem, was dies bedeutet und mit sich bringt. Die Wiederaneignung und Abschaffung der durch die Unterdrückung vorgegebenen Kategorien ist in den meisten Fällen ein notwendiger Schritt, um eine kollektive Ermächtigung aus der Identität heraus zu artikulieren. Wie Nxu Zana, eine indigene Frau und Feministin, sagt:

Das heißt, sie haben mir eine Reihe von Vorschriften auferlegt, an die ich mich halten musste, weil ich eine Frau bin, und wenn ich das nicht tue, werde ich verurteilt, bestraft, ausgegrenzt, stigmatisiert und sogar vergewaltigt, womit ich nicht einverstanden bin, aber ich würde die Realität meines Körpers und das, was er für meine Gruppe, meine Geschichte, mein persönliches und kollektives Leben bedeutet, niemals verleugnen, denn ihn zu verleugnen, bedeutet, eine Realität und meine Erfahrung damit zu verleugnen, indem ich versuche, mich einer Lüge hinzugeben“.

Wir haben nichts über diese aufgezwungenen Identitäten zu sagen, denn sowohl ihre Zwangsfunktion als auch ihre Wiederaneignung sind im Rahmen eines diskursiven, symbolischen und materiellen Kampfes klar, der jeden Tag und überall geführt wird. Andererseits verbergen sich hinter den „revolutionären Identitäten“ eine Reihe von Spitzfindigkeiten, die aus der Nähe betrachtet stinken.

Wir stellen unmissverständlich fest, dass die Erklärung, „antisistema“1, „Anarchist*in“ oder ein anderes ähnliches Etikett zu sein, heute bedeutet (A.d.Ü., in Form von Repräsentation), sich auf die Logik der Macht einzulassen. Diese Erklärung ist keine bloße Provokation; sie ist vor allem eine strategische und konzeptionelle Notwendigkeit. Kurz gesagt: In dem Moment, in dem sich ein Individuum oder ein Kollektiv als „anarchistisch“ (oder ähnlich) bezeichnet, gibt es sich freiwillig ein erkennbares Gesicht in den Augen der Macht und grenzt sich damit vom Rest der Bevölkerung ab. Wir sollten uns daran erinnern, dass die Logik der Abgrenzung immer die Logik der Macht ist. Mit dieser Identitätszuweisung weisen sie auf sich selbst hin, sie machen auf sich aufmerksam, und die Macht macht sich die Tatsache zunutze, dass sie solche identifizierbaren Masken tragen. Auf diese Weise ist es für die Macht viel einfacher, sie zu isolieren, zu unterdrücken und diskursiv ein Monster in den Augen der anderen zu errichten, um die Trennung aufrechtzuerhalten, die die Anarchist*innen selbst geschaffen haben. Das vorhersehbare Ergebnis dieser Strategie ist Isolation, Identifikation und Repression. Und eine Menge Ohnmacht zum Nachtisch.

Die Macht will uns nicht zerstören (wie wir manchmal in Texten lesen, die unter den Hausbesetzer*innen in unseren Kiezen verteilt werden), sie will uns vielmehr „produzieren“. Sie will uns als politische Subjekte produzieren, als Anarchist*innen, Antisistemas, Radikale usw. Sie wollen uns so produzieren, dass sie jeden Versuch der Organisierung leicht neutralisieren können. Es ist an der Zeit, all diesen Ballast hinter sich zu lassen. Angesichts der Trennung, die durch die „revolutionären Identitäten“ erzeugt wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns aufzulösen. Sich auflösen heißt: unerkennbar werden, unbemerkt bleiben, aus dem Blickfeld verschwinden, während wir an den Orten, an denen wir leben, zusammen mit den Menschen, die uns nahe stehen, handeln, ohne etwas zu verkünden, sondern die Praxis für uns sprechen lassen.

Die Dialektik, die sich daraus ergibt, ist folgende: Man geht von einer bestimmten, vorher festgelegten Ideologie aus (mit der daraus resultierenden verankerten Identität) und gibt in völliger Isolation, von dieser Äußerlichkeit, von dieser Leere, vor, in die Materialität der Welt hinabzusteigen, um „die Massen anzusprechen“ und dieses oder jenes Ziel zu erreichen. Das ist eine außerirdische Politik2 und Teil des andauernden Scheiterns; diese Dialektik muss umgedreht werden. Vielmehr gehen wir von einer bestimmten gemeinsamen Situation aus, von bestimmten Bedürfnissen und begleitet von bestimmten heterogenen Menschen ohne irgendeine Art von „revolutionärer Identität“, und von dort aus, aus unserem Alltag, von den Orten, die wir bewohnen, und zusammen mit den Menschen um uns herum, bauen wir durch kollektive Praxis eine revolutionäre Strategie auf, die auf das libertärste Ideal zielen kann, das wir wollen. Wie einige Freund*innen sagen: Eine Gemeinschaft wird nie als eine Identität erlebt, sondern als eine Praxis, als eine gemeinsame Praxis.

Im Laufe des Konflikts sind wir überrascht, dass eine so wichtige Frage wie „Was genau bringt die Tatsache, dass wir uns als Anarchist*innen bezeichnen, mit sich?, nie gestellt wird. Da wir in alten revolutionären Traditionen verankert sind, verlieren wir die Klarheit darüber, was vor unseren Augen geschieht. Diesen Aspekt auf den Tisch zu bringen, erscheint uns grundlegend. Sich selbst als Anarchist*in (oder eine andere „revolutionäre Identität“) zu bezeichnen, trägt überhaupt nichts bei oder erleichtert nichts, es stärkt weder unsere revolutionäre Kraft noch hilft es uns, uns besser zu organisieren. Stattdessen isoliert sie uns und macht uns zu einem leichten Ziel für Repressionen. Ideologische Identitäten sind ein Pfeiler, auf dem der Feind ruht, also liegt es an uns, ihnen abzuschwören. Foucault schrieb zu Recht, dass „das Hauptziel heute nicht darin besteht, zu entdecken, was wir sind, sondern es zu verwerfen“. Allein diese Prämisse anzunehmen, ist eine Übung in Demut und Aufrichtigkeit. Das bedeutet nicht, dass wir vergessen, schon gar nicht unsere Toten, sondern dass wir anders anfangen.

Wir gehen von folgendem Punkt aus: Der Inhalt eines Kampfes liegt in den Praktiken, die er anwendet, nicht in den Zielen, die er verkündet. Es ergibt keinen Sinn, einen Rucksack voller identitätspolitischer Unnachgiebigkeit, raffiniertem Purismus und moralischem Radikalismus zu tragen, wenn wir in dieser kollektiven Lähmung verankert bleiben. Indem wir von den Orten aus agieren, die wir bewohnen, und Lebensweisen entwickeln, sind wir nicht so sehr durch große ideologische Ansprüche geeint, sondern vielmehr durch kleine gemeinsame Wahrheiten in einem komplexen, dynamischen und manchmal sogar widersprüchlichen Prozess. An diesem Punkt wächst unsere revolutionäre Kraft und kann zu etwas mehr werden.

Abschließend möchten wir auf die Kluft hinweisen, die oft zwischen der militanten Welt des Ghettos (mit all ihren ideologischen Identitäten) und der Zentralität des Alltagslebens besteht. Mit anderen Worten: So grundlegende und notwendige Aspekte des Lebens wie Wohnen, Transport oder Arbeit werden in diesen Räumen nicht angesprochen. Wenn wir reden, debattieren und mobilisieren, es aber vernachlässigen, uns auf der Grundlage unserer Bedürfnisse zu organisieren und uns in einen rein ideologischen und identitätsbasierten Rahmen stellen, ist das Teil des Problems. Wir müssen auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Wir müssen die Mauern einreißen, die wir selbst um uns herum errichtet haben. Diese Spaltung zwischen der militanten/identitären Welt und der Zentralität des Lebens und seiner Bedürfnisse ist ein Hindernis, das es zu überwinden gilt; wir müssen eine notwendige Verschiebung hin zu einer anderen Koordinatenachse vornehmen und unsere Organisation auf das stützen, was wirklich politisch ist, d.h. auf den Aufbau anderer Lebensformen zusammen mit den Menschen um uns herum. Diese Spaltung ist es auch, die es vielen Militanten ermöglicht, beim kleinsten Anzeichen von individuellen Zweifeln den Kampf aufzugeben und sich „zurückzuziehen“, da sich ihre Aktivität nicht um zentrale Aspekte des Lebens dreht. Nur eine solche Äußerlichkeit gegenüber dem Leben kann dies ermöglichen. Andernfalls wäre er nicht in der Lage, sich von dem zurückzuziehen, was er tagtäglich lebt. Es kann keine militante oder identitäre Sphäre und eine separate Sphäre geben, die dem „Leben“ entspricht. Unsere Aufgabe ist es, uns aufzulösen, unbemerkt zu bleiben, uns auf der Grundlage der Bedürfnisse unseres Lebens zu organisieren und unsere Bestrebungen kollektiv in die Tat umzusetzen.

Wir glauben fest daran, dass Kampf etwas anderes ist als das, woran wir gewöhnt sind. Es überrascht uns nicht, dass viele Menschen in bestimmten Bereichen von ihrer militanten Aktivität ausgebrannt sind und von der Ohnmacht, auf die sie reduziert werden, genervt und ausgepowert sind. Wir können den Kampf und das Leben nicht voneinander trennen, genauso wenig wie wir uns von anderen auf der Grundlage einer ideologischen Identität abgrenzen können. Nachbarschaftliche Beziehungen und Freundschaft, ganz einfach, sind der Mörtel, auf dem die Flamme des Aufstands gebaut ist. Diese Verbindungen sind die einzigen, die eine revolutionäre Notsituation aufrechterhalten können, und mit Kampf und Politik meinen wir auch die Verbreitung dieser Verbindungen und ihre Organisation. Das Spiel der ideologischen Identitäten ist eine Belastung für die Konstituierung dieser Verbindungen. Es ist also an der Zeit, diskursiv und konzeptionell auf den Teil von uns zu verzichten, der uns so sehr daran hindert, beim Aufbau einer anderen Art, diese Welt zu bewohnen, voranzukommen.

Herbst 2017


Gefunden auf finimondo, die Übersetzung ist von uns.

Über Anarchismus und (Identitäts-)Krise

Für einen Anarchismus ohne Abhängigkeiten

Montag, 30. Januar 2017

Ein Text mit dem Titel „Gegen“ Anarchismus. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten, der bereits im vergangenen November in Spanien in der Zeitschrift Solidaridad Obrera (offizielles Organ der CNT) erschienen ist, wurde kürzlich ins Französische übersetzt und auf der Website lundi.am (inoffizielles Organ des Unsichtbaren Komitees) veröffentlicht. Diese allzu offenkundige Übereinstimmung der politischen Sinne zwischen spanischen libertären Syndikalisten und französischen blanquistischen Intellektuellen, die beide darauf erpicht sind, andere zu organisieren, erscheint uns zu interessant und zu interessiert, um ignoriert zu werden. Eine heuchlerischere Lektion für diejenigen, die keinen Platz in dieser Welt haben, kann man kaum finden.

Deshalb hielten wir es für das Beste, diesen peinlichen Text auch hier in Italien öffentlich zu machen. Und wir hielten es für unklug, ihm einen eigenen peinlichen Beitrag folgen zu lassen. […] Für einen Anarchismus ohne Abhängigkeiten

Calimero, der kleine libertäre Syndikalist, befindet sich in einer ständigen Identitätskrise. Die anderen Bewohner des Hofes erkennen ihn nicht an, sie brüskieren ihn, sie beschämen ihn. Er wimmert, schreit, stampft mit den Füßen, aber dann macht er schließlich einen Aufstand und schlurft davon. Welche Wut, welche Hilflosigkeit! Er würde gerne erwachsen werden, eine Familie gründen, respektiert werden, sich einen Namen und einen Platz in der Gesellschaft machen, aber stattdessen…. bleibt er klein, allein und wird oft verspottet. Das ist eine Ungerechtigkeit. Und wessen Schuld ist es, weißt du? Die schwarze Farbe, die an seiner Figur klebt. Schwarz, verstehst du? Wie die Dunkelheit, wie das Verbrechen, wie das Böse. Es vertreibt die Menschen! Nach jahrelanger Erfahrung hat Calimero das erkannt und will es ändern. Zu seiner Rettung ist die Tiqqunina mit ihrer Lavaidee gekommen.

Obwohl er ein Syndikalist in den armen Vierteln ist, denkt und spricht Calimero wie ein Makler in den reichen Vierteln. Für ihn heißt es, wenn man Militanz ausgibt, eine Investition in die Bewegung zu tätigen. Es lohnt sich nur, wenn es dann wenigstens einen Machtgewinn gibt. Seine Sorge ist folgende, von Anfang an meisterhaft formulierte: „ist es interessant oder strategisch ratsam, die Fahnen der Identität im Rahmen revolutionärer Prozesse hochzuhalten?“3 Naaaa, ist es nicht. All das Schwarz auf den Marktständen muss entfernt werden, es verheißt nicht Weißheit und Fröhlichkeit, es macht Dreck. Wo Schwarz ist, bekommen die Kunden Angst und kommen nicht heran. Wo Schwarz ist, kommt die Polizei, um Kontrollen durchzuführen. Ein Beweis, den alle sehen können.

Auch Calimero hat seine Gründe. Er berücksichtigt nur eine Sache nicht. Für ihn ist Schwarz die Farbe von einer Ware zum Verkauf, die ein Verfallsdatum hat und früher oder später aus der Mode kommen wird. Für ihn ist Schwarz die Farbe einer Uniform, die früher oder später aus der Mode kommen wird. Für ihn ist Schwarz die Farbe einer ideologischen Identität, die nicht mehr funktioniert. Eine Art Ruß, der weggewaschen werden muss. Aber jeder, der kein syndikalistischer Broker ist, geschweige denn politisch motiviert, weiß, dass „alle wahre Freiheit schwarz ist“.

Im Gegensatz zu dem, was seine vielen Gegner so gerne wiederholen, ist der Anarchismus keine Reihe von charakteristischen und grundlegenden Daten, die eine Identifikation, also eine Identität, ermöglichen. Es handelt sich um eine Reihe von Ideen und Praktiken, die von denjenigen umgesetzt werden, die der Meinung sind, dass Freiheit und Macht unvereinbar sind, und die dafür kämpfen, Ersteres gegen Letzteres zu behaupten. Gegen den Anarchismus zu sein, bedeutet also, in gewisser Weise für die Macht zu sein und zu glauben, dass sie – in einer ihrer vielen Formen – Freiheit zulassen, schützen und fördern kann.

Natürlich ist es keine Pflicht, Anarchist oder Anarchistin zu sein. Es ist nicht bequem, es ist nicht populär, es ist nicht angenehm und es kann gefährlich sein. Und in der Tat, die große Mehrheit der Menschheit, die nicht einmal weiß, was Anarchismus ist, ist es sicher nicht. Aber die wenigen, die es wissen, die denken, dass die verhasste Autorität der Todfeind der geliebten Freiheit ist und umgekehrt, warum sollten sie sich dafür schämen? Warum sollten sie es verbergen? Warum sollten sie die Realität ihrer Ideen leugnen? Vielleicht, weil sie nicht „funktionieren“? Das wäre eine verblüffende Überlegung in ihrer doppelten Dummheit. Zum einen, weil der Anarchismus mehr mit Ethik als mit Politik zu tun hat (was richtig ist, ist wichtiger als das, was funktioniert, so viel zum strategischen Kalkül), und zum anderen, weil wir nicht den Eindruck haben, dass irgendeine Form der Macht jemals „funktioniert“ hat, um den Menschen Glück und dem Leben Schönheit zu verleihen.

Calimero nennt sich selbst einen Libertären, seine Ideen würden ihn in Richtung Anarchismus treiben. Aber er ist auch ein syndikalistischer Broker und seine politischen Angelegenheiten bringen ihn weit weg vom Anarchismus. Dieser Widerspruch – mehr als ein Jahrhundert alt – schließt ihn kurz, wie aus seinen Worten hervorgeht. Erst unterscheidet er zwischen Identitäten, die von der „Biomacht“ auferlegt werden, und Identitäten, die sich das Individuum selbst auferlegt, dann hebt er diese Unterscheidung auf und vermischt beides munter miteinander. Mit einer Verachtung für das Lächerliche informiert er uns offen darüber, „wir stellen unmissverständlich fest, dass die Erklärung, „antisistema“, „Anarchist*in“ oder ein anderes ähnliches Etikett zu sein, heute bedeutet, sich auf die Logik der Macht einzulassen“, weil man sich dadurch vom Rest der Bevölkerung abgrenzt und die Repression erleichtert. Das ist mehr als ein strategisches Konzept, es ist eine kluge Überlegung. Es ist bereits unklar, was der eigentliche Kern des Problems ist, ob der Anarchismus selbst oder seine öffentliche Affirmation. Ob die Isolation von der Bevölkerung oder die Repression, die sie ermöglicht. Auch hier, in völliger Verwirrung, mischt Calimero die Karten neu. Meint er, dass Anarchistinnen und Anarchisten aufhören sollten, welche zu sein, oder dass sie vorgeben sollten, keine Anarchistinnen oder Anarchisten zu sein, um sich besser unter die Menge zu mischen? Doch wer „schnell auf den Boden der Tatsachen zurückkehren“ will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass es viele bekennende Anarchistinnen und Anarchisten gibt, die überhaupt nicht im Fadenkreuz der Repression landen (was nicht so dumm ist, jeden zu jagen, der ab und zu eine schwarze Fahne schwenkt). Tatsächlich gibt es unter den erklärten Anarchistinnen und Anarchisten eine Menge guter Menschen, von denen einige sogar öffentliches Ansehen genießen: Universitätsprofessoren, Anwälte, Künstler, Arbeiter in Waffenfabriken, Sozialarbeiter in Gefängnissen… (Zu den Kommunisten gehören sogar Polizisten und Richter). Und wenn man sich selbst zum Feind der Macht erklärt, was soll man dann tun, um aus dieser Logik herauszukommen? Sich zu ihrem Freund erklären? Schweigen und andere, die Eiferer des demokratischen Einheitsdenkens, sprechen lassen? Aber da Sprache Welten schafft, würde man sich damit nur mit der Welt der Macht abfinden oder sie sogar bestätigen.

Fieberhaft verkompliziert Calimero seine Argumentation weiter, indem er behauptet, dass „Die Macht will uns nicht zerstören … , sie will uns vielmehr „produzieren“. Sie will uns als politische Subjekte produzieren, als Anarchist*innen, Antisistemas, Radikale usw.“ Die selbsternannten Anarchistinnen und Anarchisten spielen also nicht nur das Spiel der Macht, sie sind ein Produkt von ihr! Sie spielen ihr Spiel, weil sie ihre Geschöpfe sind! Ja, wir geben es zu: Es ist unbestreitbar, dass die Macht nicht nur unter den Verteidigern der Ordnung politische Subjekte hervorbringt, sondern auch unter den Umstürzlern. Man denke nur an Minister wie Juan Garcia Oliver und Federica Montseny in der Vergangenheit oder an Stadträte wie Benjamin Rosoux und Manon Glibert in der Gegenwart. Politische Subjekte, die die Macht hervorbringt, sind eigentlich alle, die sie erobern, verwalten, beraten, korrigieren oder ersetzen wollen. Allerdings muss man wirklich ein Trottel sein, um zu glauben, dass die Macht diejenigen hervorbringt, die sie zerstören wollen (wenn sie das tut, dann unabsichtlich, so wie der Nationalsozialismus Partisanen hervorgebracht hat; aber niemand käme auf die Idee zu behaupten, dass Partisanen „ideologische Identitäten“ waren, die sich vom Rest der Bevölkerung abgrenzten). Tatsächlich bringt die Macht nur Autoritäre hervor, schafft es aber manchmal, einige Anarchistinnen und Anarchisten zu „korrumpieren“, indem sie sie mit ihren Sirenen betört.

In seinem anti-anarchistischen Eifer kommt Calimero zu einer weiteren bizarren Aussage. Seiner Meinung nach sind nicht der Staat, der Kapitalismus oder was auch immer für die aktuelle Katastrophe verantwortlich; die Ursache für die heute vorherrschende Massenentfremdung hat nichts mit Propaganda oder Technologie zu tun – nein, es ist alles die Schuld der „außerirdischen Politik“, die von „revolutionären Identitäten“ betrieben wird. Kurz gesagt: Wenn sich die Macht auf der Erde unangefochten durchsetzt, ist das den wenigen isolierten selbsternannten Revolutionären zu verdanken, die vom Mond aus zum Umsturz aufrufen, und nicht den vielen einflussreichen selbsternannten Nicht-Revolutionären auf der Erde, die sie unterstützen, rechtfertigen, festigen und beraten. Geheimnisse der Dialektik.

An einem bestimmten Punkt platzt der Broker in Calimero heraus, verblüfft darüber, dass niemand die Schlüsselfrage jeder guten Investition gestellt hat: „Was genau bringt die Tatsache, dass wir uns als Anarchist*innen bezeichnen, mit sich“. Calimero ist nicht daran interessiert, seine eigenen Ideen zu äußern, um die vorherrschende Ideologie herauszufordern und seine eigene Welt zu schaffen, sondern fragt nur, wo der Vorteil, der Gewinn, liegt. Nirgendwo, natürlich! Die Polizei schaut zu und die Kunden kaufen an den anderen Ständen auf dem Marktplatz der Politik ein. Inspiriert von Tiqqunina beruft sich Calimero auf Foucault, um uns zu verdeutlichen, welche Schlussfolgerung wir ziehen müssen: „das Hauptziel heute nicht darin besteht, zu entdecken, was wir sind, sondern es zu verwerfen“. Die Ablehnung dessen, was wir in den Augen des Staates, d.h. seiner Bürger, sind, ist das Mindeste, was man tun kann. Aber abzulehnen, was wir in den Augen von uns selbst sind … und das nicht aus Feigheit oder Heuchelei, sondern aus „einer Übung in Demut und Aufrichtigkeit“?

Peinlich, wirklich. Ich kann sie schon hören, die Tiqqunina, mit ihrer zickigen Stimme: Es ist alles wie immer, Calimero! Du bist nicht schwarz, du bist nur schmutzig! Ein enthusiastischer Sprung in die Situation, ein kräftiges Auswringen der Lavaidee, und schwupps! Nach einem kurzen Moment taucht Calimero unter einem Applausschauer als lächelnder, schneeweißer Staatsbürger wieder auf und singt ein Loblied auf die wundersame, bleichende Wirkung der Politik. Man kann nur zu gut verstehen, warum sich die französische autoritäre Tiqqunina mit dem spanischen Libertären Calimero angefreundet hat, der in einer anarchistischen Wochenzeitung Anarchistinnen und Anarchisten dazu aufrief, das, was sie sind, abzulehnen und sich von ihrem Anarchismus zu reinigen.

Wie viel politische Freundschaft steckt in ihrer gemeinsamen Suche nach einem populären Konsens! Wie viel Gemeinsamkeit in ihrem Bestreben, einen kleinen Teil der Gesellschaft zu organisieren! Wie viel Gemeinsamkeit im Interesse, dass die Menschen so bleiben! Wir waren gerührt, als wir sahen, wie harmonisch sie Initiativen zur Verbreitung von Ideen (wie Konferenzen oder Debatten) ablehnten und Initiativen zur Befriedigung von Bedürfnissen (wie Wohnraum oder Arbeitsplätze) begrüßten. Denn das Füllen der Mägen anderer Menschen verschafft Anerkennung, Arbeitskraft und Ansehen, wie sowohl Priester (die sich in den Kirchengemeinden der Wohltätigkeit widmen) als auch militante Ladenbesitzer (die politische Arbeit vor Ort leisten) nur zu gut wissen. Wozu ist Bewusstsein stattdessen gut? Es wird nicht kontrolliert, es ist nicht organisiert und es ist sogar gefährlich, weil es sich eines Tages als kontraproduktiv erweisen könnte. In der Tat könnte jemand durch Nachdenken zu unbequemen Schlussfolgerungen kommen. Zum Beispiel, dass man nicht durch Autorität zur Freiheit gelangt. Dass es lächerlich ist, mit einer Tasche voller aufständischer Sehnsüchte, subversiver Bestrebungen und rhetorischer Radikalität loszuziehen, wenn dies zu Gemeinschaftssitzen und Medieninterviews führt (aber war es nicht unmöglich, Kampf und Leben zu trennen?). Dass es heuchlerisch ist, zu beschwören, wie „komplex, dynamisch und zuweilen widersprüchlich“ der revolutionäre Prozess ist, um den Opportunismus seiner gerissenen Strategen zu verbergen, die die Mittel eines Kampfes von seinen Zielen trennen (aber war die Trennung nicht die Logik der Macht?).

Die Anarchistinnen und Anarchisten, die in eine abweichende und furchterregende äußere Realität hineingeworfen werden, sind durch das Merkmal der Vielfalt gekennzeichnet. Sie haben einen unbeholfenen Körper, einen großen Kopf, der immer in den Wolken steckt, und eine barbarische Sprache, die sie daran erinnert, dass sie nicht rechtmäßig zu der selbstgefälligen Gemeinschaft von Papa Volk und Mama Politik gehören. In einer Welt, die völlig von Autorität und Waren geprägt ist, werden sie als Verlierer geboren. Leid und Frustration kennzeichnen den Weg des anarchischen hässlichen Entleins, das sich der Schwierigkeiten, der Müdigkeit und sogar der geringen Chance bewusst ist, es eines Tages zu einem Schwan zu schaffen. Aber es hat keine Alternative; es kann und will nicht beseitigen und verleugnen, was es ist. Es lehnt die Illusion einer Welt ab, die durch einen Farbwechsel und ein bisschen Politik zurückgewonnen wird, einer Freiheit, in der es kein Bewusstsein gibt. Es verachtet die Verirrung einer menschlichen Existenz, die an Marktstrategien gemessen wird.

Die einfache Bejahung einer Lebensform, die eher banal als erfreulich ist, ist ein miserables Geschäft, vor allem, wenn man bedenkt, dass der zu zahlende Preis der Verlust jeglicher Individualität und Autonomie ist, verbunden mit der Unmöglichkeit, in einem Wissen voranzukommen, das darauf abzielt, sich selbst und seine Umgebung zu verstehen. Wir sind nicht an einer „anderen Art, die Welt zu bewohnen“ interessiert. Wir träumen, wir wünschen uns, wir wollen eine Welt verwirklichen, die ganz anders ist, in der das Leben ganz anders ist, in der die Beziehungen ganz anders sind. „Rara avis in terris nigroque simillima cycno“ ist der Satz des lateinischen Dichters Juvenal, von dem die Redewendung stammt, die in philosophischen Diskussionen im 16. Jahrhundert verwendet wurde, um eine Tatsache zu bezeichnen, die als unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich galt: den schwarzen Schwan.

Das Zusammentreffen von Anarchismus und Aufstand, die einzige Möglichkeit, alle außer der kleinsten Autorität vom Angesicht der Erde zu tilgen.

26.01.18


Gefunden auf non fides, die Übersetzung ist von uns.

Zur Zeit wieder zu lesen :

Offene Antwort an Lundi Matin: Verwöhnte Kinder, gute Manieren und Dekadenz

Mittwoch, 19. Januar 2022

[Am 30. Januar 2018 veröffentlichten wir eine Übersetzung des italienischen Textes À propos d’anarchisme et (de crise) d’identité – Pour un anarchisme sans dépendances, als Antwort auf die Übersetzung auf der Lundi Matin-Website des spanischen Textes „Contre“ l’anarchisme. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung dieses Textes erhielten wir folgende Nachricht von der Redaktion von Lundi Matin: „Ihr habt heute einen Artikel veröffentlicht, in dessen Überschrift es heißt: „Veröffentlicht auf der Website lundi.am (inoffizielles Organ des Unsichtbaren Komitees)“. Diese falsche Information kann nur aus deiner Lektüre der bourgeoisen Presse, aus Polizeiberichten oder aus Fantasien stammen, die nur euch betreffen. Bitte löscht sie sofort. **“. Wir veröffentlichen im Folgenden eine Antwort auf diese Nachricht in Form eines offenen Briefes an Lundi Matin, ein Propagandaorgan, natürlich, um den autoritären Methoden und Anmaßungen des letzteren den Wind aus den Segeln zu nehmen].

Die Autoren dieses Textes, dessen Übersetzung wir zur Veröffentlichung ausgewählt haben (der wir keinen „Chapeau“, wie ihr es nennt, hinzugefügt habt und deren Inhalt wir teilen), konnten diese „Information“ in der Tat in „ihrer Lektüre der bourgeoisen Presse“ finden, da sie dort inszeniert und von euch weitergegeben wird, in Interviews, die ebenfalls von euch organisiert wurden. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir unter dem Begriff, den ihr heute verwendet („bourgeoise Presse“), neben den großen nationalen und lokalen Zeitungen, mit denen ihr regelmäßig zusammenarbeitest, natürlich auch Lundi Matin und seine „Million“ Follower (die noch imaginärer oder unsichtbarer als die Partei sind), die ihr in der bourgeoise Presse neben anderen eminenten Lügengeschichten anzeigt, mit einschließen. Wahrscheinlich gibt es übrigens mehr „bourgeoise Presse“ in Lundi Matin als in Le Parisien und Iskra zusammengenommen.

Es scheint also impulsiv und ein schlechter Stil zu sein, eine solche E-Mail in einer solchen Situation und in einem solchen Zustand der Emotionalität zu steinigen. Wenn ihr euch jedoch gegen den von Finimondo veröffentlichten Text wehren oder auf ihn antworten wollt, könnt ihr das tun, wie jeder andere auch. Ihr könnt schreiben lassen, ihr könnt lesen lassen, ihr werdet diesen Monat sicherlich einen gut positionierten Intellektuellen finden, der eine Tribüne von Katangas aus der Feder realisiert. Vielleicht ein Bauer am Tag und Handlanger einer wilden Demo in der Nacht, mit einem besonders vulgären frauenfeindlichen Vokabular und Praktiken, die das Gegenteil von allem Adel sind?

Die bourgeoise Presse und die Polizei pflegen uns ihre Mahnungen zu schicken, die alten Marxisten-Leninisten Fatwas in Form von Gutscheinen, die am Tag des Großen Abends eingelöst werden können, und ihr, Drohungen? Ihr, deren Freunde empfehlen, „heimlich unerwartete Komplizenschaften bis ins Herz des gegnerischen Apparats zu knüpfen“ (vgl. einen „anonymen“ Bestseller), geht doch mal auf einen Aperitif zu Valls!

Eine „Information“ ist erst dann eine Information, wenn sie informiert. Hier ist schwer zu erkennen, wer von wem über was informiert wurde. Wir erleben hier wahrscheinlich einen Vorgeschmack auf die bevorstehende gerichtliche Verteidigung, und man kann schon bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie kommen wird, weinen. Es wird euch aber nicht gelingen, die Leute in eine Reihe zu bringen, weder hinter euch noch gegen eine Wand. Mit der Partei ist es vorbei, schon immer.

Was für eine Idee ist es, diesen Brief zu verschicken, wenn ihr so darauf bedacht seid, dass diese „Information“ als „falsch“ angesehen wird? Kümmert euch um eure eigenen Zungen, die hängen schon genug.

Ihr reagiert nie auf Kritik, die an euch herangetragen wird (wie im Kasino kalkuliert der Bourgeois von Deauville seine Risiken, seine Einsätze und weiß seine Position zu bewahren), und doch wurde viel Kritik an eurer Realpolitik [wir fügen einige Links zur Information im Anschluss an diesen Text hinzu], an unserem Standpunkt und an vielen anderen geschrieben und diskutiert. Diese Art, sich die Möglichkeit offen zu halten, dass man immer bluffen kann, hält euch nicht davon ab, in der Öffentlichkeit zu schimpfen, indem ihr eure kleinen, nicht sehr diskreten Nachforschungen anstellt, wer die kleinste Veröffentlichung, die euch kratzt, ausstrahlt oder schreibt. Auch hier ist euer Interesse an Anonymität variabel. Aber jetzt, über dem außerparlamentarischen Deal, droht ihr mit Erpressern (Racketteurs)? Wo sind eure guten Manieren geblieben? Vielleicht behältet ihr sie nur für eure Richter und Gönner vor, und Unterlassungserklärungen für alle anderen.

Um es klar zu sagen: Diese Website beugt sich nicht den Drohungen oder Anordnungen von irgendjemandem. Das hat sie in zehn Jahren noch nie getan. Wir sind es gewohnt, zu sagen: „Lieber krepieren“. Es kommt also nicht in Frage, dass wir uns den unterschwelligen Aufforderungen von Pseudo-“Gefährten“ beugen, die die rassistische, homophobe, frauenfeindliche und antisemitische Prosa ihrer Verlagsfreunde verbreiten, die die Optionen der Connivence und des Unschuldismus verteidigen (Vgl. Postskriptum über den Unschuldismus in diesem Text) gegenüber der Justiz, trotz des sozialen Krieges und ihrer öffentlichen Verfügungen, die es in der Tradition von Netschajew und Lenin geschafft haben, den Konfusionismus, die Konnivenz und die politische Ambivalenz mit dem Feind wie vulgäre tute bianche zu theoretisieren, die die Kritik an Staat und Religion aufgegeben haben, usw.?

Wir würden uns nicht dazu herablassen, euch zu bitten, auch nur den kleinsten Dreck oder Unsinn zu entfernen, den ihr seit so vielen Jahren über Worte, Dinge und Menschen schreibt und schreiben lasst, das schließt uns als Anarchistinnen und Anarchisten, als justiciables und justiciés, als menschliche Wesen mit ein. Denn ja, es ist in diesen Proportionen, dass ihr auf die menschliche Freiheit spuckt, wie eure verdorbenen Schriften über die Attentate, die die Bewohner von Paris getroffen haben, bezeugen.

Es geht um die Methode, nicht um die Rede. Wir beanspruchen nicht, uns in die redaktionelle Linie oder die Übersetzungen von irgendjemandem einzumischen, schon gar nicht durch kommandierende Dekrete, und zwar ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten oder der Feindschaft, die es gibt. Es ist eine alte Manie, die man sich auf den Bänken der ersten Internationalen angeeignet hat, ein anti-politisches Prinzip: Anti-Autoritarismus. Das schützt vor den Haltungen verwöhnter kleiner Tyrannen, die Meta-Barbareien und paradoxe Anordnungen lieben.

Es gibt Methoden, um die Anonymität eines Textes (oder einer Website, wenn man so will) zu gewährleisten, sie sind dokumentiert und werden seit Jahrhunderten verwendet. Ihr kennt sie, aber eure Interessen liegen woanders: Ihr erfahrt nichts davon. Anonymität ist das geringste eurer Probleme, sie ist sogar formal und grundlegend ein Hindernis für euren politischen Aufstieg.

In eurer Selbstdarstellung (von Lundi Matin, verstehen wir uns richtig) sagt ihr über diese Seite, obwohl euch niemand danach gefragt hat: „Considéré par les services de renseignement comme l’émanation culturelle et hebdomadaires [sic] des positions du Comité Invisible“ (Von den Geheimdiensten als kultureller und wöchentlicher [sic] Emanation der Positionen des Unsichtbaren Komitees betrachtet). Das jagt euren Großeltern und Eric Hazan wahrscheinlich einen kalten Schauer über den Rücken, das ist der gewünschte Effekt, aber euch fehlt noch die zweifelhafte Maestria der Situationisten.

Ihr seid es, die sich entschieden haben, die Dummen zu spielen. Wollt ihr aus dem Schwefelgeruch eines „Sommerbuchs“ 2007 der Fnac (und von Alain Bauer) Kapital schlagen? Der Partei sei es gegönnt, ihr Marketing geht uns nichts an. Aber dass euch eure Inszenierung des Schwefeligen ins Gesicht zurückkommt, ist nicht unser Problem und schon gar nicht unser Verdienst. Lass uns das präzisieren.

In einem Artikel auf eurer Website, in dem ihr einen eurer Kollegen verpfeift, der jedoch bis dahin völlig unbemerkt geblieben war (Julien Coupat), heißt es: „Trotz jahrelanger Ermittlungen und der Anhörung des Direktors ihres Verlagshauses ist es der Elite der französischen Polizei nicht gelungen, diese „Schreiber“ [des „Unsichtbaren Komitees“] zu verhaften und musste [sic] einen ihrer eloquentesten Leser, Julien Coupat, freilassen.“ Ihr seid wirklich so ätzend wie ein „Monsieur Propre“.

Dass Lundi Matin das inoffizielle Organ des „Unsichtbaren Komitees“ ist, interessiert uns genau genommen nicht mehr als das, denn wir sind nicht von eurer Marketingoffensive gefangen, die darin besteht, die Neugier des Buchhandelskunden zu wecken, der für einen Moment zum angehenden Ermittler wird (ein bisschen wie in einem Krimi des besten unter euch, Serge Quadruppani, dem großen Stern der Politik), und wir fallen auf kein schaumiges Geheimnis herein, das über euch gepflegt wird, weder von den Bullen noch von euch selbst. Lundi Matin ist genauso sehr das inoffizielle Organ des „Unsichtbaren Komitees“, wie Le Monde das inoffizielle Organ der Regierung Macron wäre, d. h. er ist es nicht (for the record), aber das ändert nichts daran und ist nicht der Rede wert. Es ist ein bisschen so, wie wenn es dem Sprecher von LREM gelingt, eine Tribüne in Le Monde zu ergattern, er braucht nicht zu fragen. Er fühlt sich überall wohl, alles steht ihm zu, er glaubt, sich alles erlauben zu können. Daran erkennt man den Bourgeois: Es geht immer um die Welt oder nichts.

Wenn „das unsichtbare Komitee so freundlich war, uns ein Kapitel aus ihrem neuesten Werk veröffentlichen zu lassen“ (Lundi Matin #103, 9. Mai 2017), warum sollten dann die Journalisten von Le Monde auch nur den geringsten Widerstand leisten? Ihnen und der LREM, die nicht viel weniger als sie in diesem hässlichen Polizeiblatt veröffentlicht, das seit Jahrzehnten die bewaffnete Ideologie der Macht vermittelt.

Was uns betrifft, so haben wir keine unterschiedliche Behandlung für die Medien der „bourgeoisen Presse „, wie ihr es nennt. Es gibt keinen Anlass, der geeignet wäre, gegen die Ablehnung dieser politischen und spektakulären Kommunikationsmodalitäten zu verstoßen, denn „bourgeois“ bedeutet für uns im Fall von Libération wie auch von Lundi Matin immer ein bisschen die gleiche politische Suppe, mit mehr oder weniger Salz. Wenn sich der Text geirrt hat, dann ist es vielleicht so, dass, wenn man dem Interview mit dem „Unsichtbaren Komitee“ glaubt, das Die Zeit exklusiv für die Promotion der Markteinführung ihres neuen antikapitalistischen Bestsellers auf dem deutschen Markt erhalten hat (übersetzt auf Le Nouvel Obs und Lundi Matin), es tatsächlich dieses Medium der „bourgeoisen Presse“ ist, das als offizielles Organ des „Unsichtbaren Komitees“ eingesetzt wurde, und was für eine Ehre!

So viel zu eurem Schleim.

Aber das ist nichts im Vergleich zum Rest, und wenn ihr euch so gerne exponieren wollt, dann setzt euch der Lächerlichkeit als Folge eurer „Anfrage“ aus.

Wenn Mathieu Burnel sich bei einem kleinen Fest von Mediapart („6 Stunden gegen Überwachung: Kampf für unsere Freiheiten“ auf Youtube) zusammen mit Anthony Caillé, dem Generalsekretär der CGT Police (der ihn mit einer kawaiischen, aber verwirrenden Vertrautheit beim Vornamen nennt), als „Aktivist, der dem Unsichtbaren Komitee nahesteht“ vorstellt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er sich nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Politik engagiert;

Wenn ihr in einem Interview unter dem Titel „Der unsichtbare Freund“ die Biografie desselben Burnel in vier Daten wie folgt erscheinen lasst: „22. Oktober 1981: Geburt in Rouen (Seine-Maritime). 2007 Veröffentlichung von L’Insurrection qui vient (Der kommende Aufstand) durch das Unsichtbare Komitee. November 2008 Verhaftung der Gruppe von Tarnac durch die Polizei. 2014 Veröffentlichung von A nos amis par le Comité invisible“ (siehe Rückseite von Libération, 8. Juni 2015) ;

Wenn man dazu noch die öffentliche Information hinzufügt, die euch zum Administrator eurer Website Lundi Matin macht, eine Information, die ihr selbst auch zur Verfügung gestellt habt (und die in der Tat von den Medien mit all eurem komplizenhaften Wohlwollen weiterverbreitet wurde – wie die Kriegsreporter sagen: „don’t shoot the messenger“), dann sind wir ernsthaft gezwungen, über euren Handlauf laut zu lachen. Und wir reden noch nicht einmal von der Zeit, in der ein alter pensionierter Chef beauftragt wurde, auf allen Fernsehbühnen zu schreien, dass sein Sohn der Autor eures ersten (und letzten) Bestsellers sei und dass ein „Autor“ nur „unschuldig“ sein könne (das hält alle außer der Polizei in Schach, sehr zur Freude von Eric Hazan).

Glücklicherweise sind wir nicht der Typ, der Dossiers über Menschen führt und bereithält, und wir belassen es bei diesen wenigen Beispielen, weil uns die Aufgabe zu langweilig ist. Jeder hat die Möglichkeit, zwischen zwei 16-Euro-Zeitschriften am Flughafen mit einem Nespresso (denn was sonst?) „Comité Invisible“ oder „Lundi Matin“ auf seinem Tablet einzugeben, oder beides gleichzeitig, wobei er dreimal in die Hände klatschen muss, um einen Effekt zu erzeugen. Die ursprünglichen Denunzianten seid ihr, und die Verschwörung kommt weder von den Theken noch von den Bänken.

Wir verstehen eure widersprüchlichen Pantomimen und zerbrochenen Stimmgabeln, so gut wir können, und es ist uns völlig egal. Ihr ermüdet uns.

Vielleicht habt ihr euch intern an eine gewisse Form von Gehorsam gewöhnt, aber lagert eure Fähigkeiten nicht zu sehr aus, HEC rät davon ab. Euer kaiserliches „sofort“ (kaiserlich, wie ein Wellensittich nur sein kann) klingt wie das Gurren einer Schulhof- oder Gefängnismechanik – ihr seid nicht die Einzigen, die diese Art von Mechanik kennen. Drohungen sind ein gefährliches Spiel, auch für diejenigen, die sie aussprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr euch darüber Gedanken gemacht habt, bevor ihr impulsiv eine Nachricht dieser Art verschickt. Was ist mit der „Signatur“? Sind diese mysteriösen Doppelsternchen ein Zeichen des Teufels? Für einen Voodoo-Zauber? Dann „**“ auf deine Vorfahren!

Ob dir die Übersetzungen, die wir veröffentlichen, gefallen oder nicht, wir urteilen für uns selbst, was auf den Seiten der von uns verwalteten Website „falsch“ ist oder nicht, und keine Autorität – auch keine diskursive – kann über unsere Entscheidungen bestimmen, die, was uns betrifft, nur in unseren Veröffentlichungen erscheinen, denn wir sind Anonyme ohne Glitzer und ohne Geschichten, aber immer bereit, die Party zu feiern, auch wenn sie vorbei ist, um den Titel eines fast anonymen Buches zu zitieren, das er selbst ist.

Anstatt also auf der einen Seite die schüchterne Jungfrau der Sicherheit und Anonymität zu spielen, während ihr auf der anderen Seite versucht, durch das Spiel mit der ständigen Verletzung der Anonymität Schwefel zu riechen, tut die Dinge, die Leute wie ihr von Parteien wie der euren tun: warnt die Nomenklatura vor dem Kataklysmus, stellt ein paar Intellektuelle mit Blick auf das zukünftige (oder gegenwärtige) Regime für die Krisenpropaganda ein und säubert eure Freunde, eure eigene Website, eure Eltern, eure Partei, eure Badezimmer, eure Videos, eure Redner, eure O-Töne, eure Pressekonferenzen, eure Texte, eure Philosophen und eure Interviews, und klärt dann intern (in der offensiven Undurchsichtigkeit eurer Stabs-Brainstormings) euren Kommunikationsplan, bevor ihr die Leute verwirren geht.

Dies ist ein Problem des Sozialismus der Intellektuellen, das von deiner Personalabteilung zu lösen ist, nicht von ein paar Anarchistinnen und Anarchisten.

Es gibt jedoch eine Anmerkung. Jede Lösung wird notwendigerweise stürmisch sein. Der Weg von der Partei zum Leben kann sich wie ein Einbruch anfühlen, wenn man alles zu verlieren hat. Aber angesichts dieser unsäglichen Situation bleibt ein Ausweg offen, wenn auch unbequem: die Autorenfiguren, die gefeierten Identitäten, die großen Namen, die Gesellschaft, die Linke, ihr Geld, ihre Macht, ihre Intellektuelen aufgeben, aufhören, vor jeder Sophisterei dreimal in die Hände zu klatschen, aufhören, um Geld zu betteln (für eine Internetseite! ), von denen man überquillt, sich würdig vor der Justiz verteidigen, um nicht diejenigen, die es tun, in den Dreck zu ziehen, indem man ihnen den Platz des „Bösewichts“ sichert, durch Praxis und/oder eigene Mittel kommunizieren, aufhören, Befehle zu erteilen und die Korridore der Welt zu beschmutzen, dann einen Umschlag aus rotem Wein auf diese geschwollenen Knöchel auftragen und schließlich die imaginäre Partei verlassen und sich dem Kampf für die wirkliche Freiheit aller und jedes Einzelnen anschließen.

Der Weg wird lang sein wie ein Montagmorgen (lundi matin) im Quartier Latin … Aber der Wind wird uns tragen, und alles wird verschwinden.

Einige eloquente Leser aus dem Redaktionskomitee der XII. Abteilung des Regiments „Anarchie verbreiten“ in Cronstadt-les-Bains, Wahlkreis 1892, Panzerdivision.

Postskriptum über den Unschuldismus.

Der Unschuldismus ist nicht, wie ihr versucht glauben zu machen, indem ihr eine verlogene Verwirrung aufrechterhaltet, die Tatsache, dass man sich verteidigt, das begangen zu haben, dessen man beschuldigt wird, was sehr banal ist und eine offensive Verteidigung nicht verhindert. Im Gegenteil, es ist genau diese Art, sich als intrinsisch unschuldig darzustellen, die Unschuld unter den Bedingungen der Gerechtigkeit zu einer Essenz, einer Natur zu machen, im Einverständnis mit der Justiz und ihrer Welt, wie es die besten eurer Freunde tun, indem sie sich als Lebensmittelhändler darstellen, die die sozialen Bindungen auf dem Land aufrechterhalten, und, glaubwürdiger (und aus gutem Grund…), als gute Bourgeois, die die Straße und die damit einhergehenden Repräsentationsgarantien haben. Der Unschuldismus ist absolut antisubversiv, er gehorcht der Welt und ihrer Gerechtigkeit, während er gleichzeitig dazu beiträgt, diejenigen zu belasten, die weder Lebensmittelhändler, noch Studenten, noch Bourgeois sind. Euer donnernder Unschuldismus scheint euren Chefs zu nützen, die tatsächlich nichts anderes sind als das, was sie vor der Justiz vorgeben zu sein, und die genug Luft aufwirbeln, um mit ihren Richtern Schach zu spielen, aber wenn er zu einer Parteianweisung für das Fußvolk wird, das in die Justiz geschickt wird, sind es Monate oder Jahre Gefängnis für sehr wenig, die einige ertragen, ohne Panache oder Empörung… Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen, guten Appetit!


1A.d.Ü., antisistema auf Deutsch, Anti-System, ist die Zuweisung von den Medien an Personen oder Kollektive die gegen das System (gegen Kapitalismus, Patriarchat, Staat,…) kämpfen. Ähnlich wie Chaoten oder Zecken.

2A.d.Ü., wir denken dass hiermit eher sowas wie ‚fremde oder entfremdete‘ Politik gemeint werden sollte, die verfassende Person schrien dennoch allerdings extraterrestreswas außerirdisch bedeutet.

3A.d.Ü., in der italienischen Übersetzung wurde der spanische Begriff marco, was Rahmen bedeutet, als mercato übersetzt, was nicht richtig ist. Deswegen macht der Text eine Analogie auf „Marktständen“, was allzu logisch ist, denn eigentlich liegt es nahe sowas zu sagen, so nach der inhaltlichen Linie welches der Text aufstellt der hier von Finimondo kritisiert wird.

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