(Chile) KOMPLIZENSCHAFT & AUFWIEGELUNG

KOMPLIZENSCHAFT & AUFWIEGELUNG

Originaltitel: Complicidad y Sedición, erschienen in Chile im Juli 2023.

EINZELAUSGABE

ANGESICHTS DES PROZESSES GEGEN FRANCISCO UND MÓNICA/ JULI2023


Einleitung der deutschsprachigen Übersetzung, wir haben diesen Text übersetzt, nicht nur weil er einen genaueren Einblick auf einen weiteren Repressionsfall gegen Anarchistinnen und Anarchisten einwirft, einer von vielen, sondern weil dieser wichtige Positionen in den Raum wirft, wo es jetzt darauf ankommt, welche Anarchistinnen und Anarchisten nehmen sich diese zur Brust und nehmen die Herausforderung, in Theorie und in Praxis, an? Es geht um Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse des Kapitals-Staates, des Patriarchats, es geht um Solidarität mit Gefangenen, wie diese überhaupt in Kämpfen eingebunden werden können, es geht darum zu verstehen, dass wenn der Knast nicht in der Konfrontation um den Staat-Kapital abzuschaffen mitberechnet wird, sehr vieles fatal ausgehen wird. Es geht um wie sich Anarchistinnen und Anarchisten im direkten Konflikt mit den Herrschenden sich organisieren, welche Geschichte und Ideen dahinter stecken und vor allem, dass dieser Konflikt nicht auf morgen warten kann. Er muss hier und jetzt geführt werden.

Weil diese, sowie andere, Positionen nicht gerade viel diskutiert werden, zumindest im deutschsprachigen Raum, obwohl es in diesen auch Repression gegen Anarchist*innen gegeben hat und dies passiert weiterhin (Thomas Meyer Falk, die verschiedenen Verfahren in Aachen, Parkbank Verfahren in Hamburg, jetzt neuerdings werden Gefährtinnen und Gefährten in Berlin beschuldigt eine Aktion entlang einer Bahnstrecke durchzuführen zu wollen, … und dies ist nur eine sehr kurze Auswahl an bekannten Beispielen, die unbekannten wären noch mehr), was fehlt ist nicht nur eben diese Auseinandersetzung, sondern überhaupt eine kontinuierliche Debatte zwischen all jenen die den Staat-Kapital abschaffen wollen und gegen diesen hier und überall kämpfen.

Daher kann dieser Text als ein Ausgangspunkt dafür genommen werden, sprich als einen nützlichen Werkzeug der die exotische Ferne und das entfremdete Sein zu zerschlagen sucht.

Soligruppe für Gefangene


EINLEITENDE WORTE

Am 18. Juli 2023 beginnt der Prozess gegen Mónica und Francisco, die wegen verschiedener Sprengstoffanschläge angeklagt sind. Die Mächtigen fordern jahrzehntelange Haftstrafen gegen die Gefährt*innen.

Um den Weg zu retten und zusammenzustellen, der dazu geführt hat, dass sich diese beiden Gefährt*innen heute wieder auf der Anklagebank befinden, haben wir das Material, das du in den Händen hältst, geformt.

Mit der Veröffentlichung dieser einzigartigen Ausgabe von „Complicidad y Sedición – Komplizenschaft & Aufwiegelung“ schildern wir die verschiedenen Verfahren, die in den letzten 10 Jahren gegen die Gefährt*innen Mónica und Francisco stattgefunden haben, und stellen sie in den breiteren Kontext der Entwicklung des anarchischen Umfelds, des Fortschreitens des sozialen Krieges, der Konfrontation mit der Macht und der staatlichen Repression. Der Verfahren Caso Bombas im Jahr 2010, die Verhaftungen in Spanien im Jahr 2013, der jüngste Repressionsangriff im Jahr 2020 und die Übernahme der Verantwortung für die Sprengstoffanschläge durch Francisco werden nicht als bloße Nachrichten erzählt, sondern als Momente und Episoden des Konflikts gegen die Macht und als Teil der jüngsten Vergangenheit des anarchistischen Kampfes dargestellt.

Mit diesem Material wollen wir die Situation von Mónica und Francisco zusammenführen, die sich einem der brutalsten Prozesse gegen anarchistische Gefährt*innen während der letzten Zeit in Chile gegenübersehen, aber auch einem der Fälle, in denen die Verantwortung für die ihnen vorgeworfenen Anschläge übernommen wird. Wir versuchen, die Erfahrungen der Vergangenheit in das gegenwärtige Arsenal des Kampfes einzubeziehen und die Frustration und Ohnmacht zu überwinden, die durch die Entführung von Gefährt*innen und die sehr hohen geforderten Strafen verursacht wurden, eine Situation, die nur zu einer Opferrolle oder einem Personalismus führt, der für die Entwicklung und Vervielfältigung des anarchistischen Kampfes unfruchtbar ist.

Wir rufen zu einer Vervielfachung der dezentralen Gesten und Initiativen in Solidarität mit Mónica und Francisco auf.

Solidarität mit denen, die die Macht und die Mächtigen angreifen!

-JULI 2023

DER CASO BOMBAS (2010): DER ANGRIFF DES STAATES AUF DIE ANARCHISTISCHEN MILIEUS

Anfang der 2000er Jahre kam es zu einer Reihe von Sprengstoffanschlägen auf verschiedene staatliche und kapitalistische Infrastrukturen, die immer häufiger verübt wurden. Finanzinstitute, Polizeistationen, staatliche Behörden und Kirchen waren einige der Orte, an denen Sprengsätze explodierten, zu denen sich später verschiedene Gruppen, vor allem anarchistische, bekannten. Die Häufigkeit und die Dreistigkeit der Anschläge nahmen zu und damit auch das Engagement von Staat und Polizei, die fast hundert Anschläge aufzuklären. Der soziale Krieg begann einen neuen Zyklus mit einer Reihe offen antiautoritärer Anschläge. Im Laufe einiger Jahre wurden mehr als hundert Sprengstoffanschläge gezählt.

In diesem Zusammenhang explodierte 2010 eine Bombe1 mit großer Sprengkraft nur wenige Blocks vom Haus des damaligen Präsidenten Sebastián Piñera entfernt. Rodrigo Hinzpeter, Innenminister und Hauptverantwortlicher für die Repression, reagierte mit Nachdruck auf die aufständische Kühnheit, indem er die Verfolgungsgruppe gegen die antagonistische Offensive reorganisierte. Von nun an wurden alle Fälle von Sprengstoff- oder Brandanschlägen ausschließlich von der Fiscalía Sur (A.d.Ü., Staatsanwaltschaft des Südens) übernommen, die damals von dem akribischen Staatsanwalt Alejandro Peña geleitet wurde, einem angeblichen Experten für die Zerschlagung großer Drogenhändlerclans. Peña war dafür bekannt, dass er Verurteilungen wegen krimineller Vereinigung erwirkte, ohne dass ein einziges Gramm Drogen gefunden wurde, und dieses Mal bezeichnete er sich mit triumphaler Selbstüberschätzung als „Zar des Schwarzpulvers“ und versprach Ergebnisse in Rekordzeit.

Alejandro Peña reorganisierte und recycelte verschiedene Fälle und Fakten aus der anarchistischen Bewegung und bezog die Aussage eines wahnsinnigen Kollaborateurs2 mit ein. Der berühmte Staatsanwalt und sein Team schufen in Rekordzeit den notwendigen Rahmen, um die erforderlichen Haftbefehle zu erwirken und den scheinbar endgültigen Schlag zu führen, den sie „Operación Salamandra“ tauften.

Am 14. August 2010 wurden mehrere Privatwohnungen und besetzte soziale Zentren von der Ermittlungspolizei gestürmt und 14 Personen verhaftet, während zwei auf freiem Fuß blieben. Die Anklage? Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Süd wurden die Bombenanschläge von einer illegalen terroristischen Vereinigung verübt, die sich aus zwei Anführern, ehemaligen Lautarinos3 , einer internationalen Finanzierungsabteilung, einem operativen Arm und dem Vorhandensein von Machtzentren auf Seiten der Hausbesetzer zusammensetzte, die den Anschein von Bibliotheken4 erwecken sollten. Die Gruppe soll 29 Sprengstoffanschläge verübt haben.

Das Schema war eine grobe Kopie und Anpassung des Marini-Falls in Italien5. Unter dem Vorwurf des Anti-Terror-Gesetzes und geschützt durch eine Handvoll gesichtsloser Zeugen gelang es ihnen, 8 Gefährt*innen im Hochsicherheitsgefängnis und 2 im Frauenorientierungszentrum einzusperren. Die Staatsanwaltschaft fordert für die Gefährt*innen Haftstrafen zwischen 20 Jahren und lebenslänglich.

Dies war ein direkter Schlag gegen verschiedene Milieus des anarchischen Kampfes, die sich Anfang 2000 zu festigen begannen. Viele der angeklagten Gefährt*innen kannten sich nicht einmal untereinander, sondern waren eine Mischung aus verschiedenen Begebenheiten6 und Kampfräumen. Offensichtlich gab es keine kriminelle Vereinigung, geschweige denn eine hierarchische Gruppe oder Beziehungen des Gehorsams. Die besetzten sozialen Zentren waren nicht die Projektionsflächen einer Mafia, sondern echte Räume der Selbsterziehung und der Verbreitung des Kampfes, die jeden gewaltsamen Angriff auf die Macht öffentlich unterstützten und ermutigten. Internationalistische Solidarität war nicht die Finanzierung von Terrorismus.

Innerhalb des Gefängnisses veröffentlichten die Gefährt*innen eine Reihe von Kommuniqués, Schriften, Zeichnungen und Geschichten, in denen sie die Anschuldigungen zurückwiesen, aber ihre politischen Positionen bekräftigten. Nach einigen Monaten im Gefängnis und einer Reihe von Mobilisierungen, zu denen auch ein ausgedehnter Hungerstreik7 gehörte, der die Nachrichtenagenda füllte, wurden die Gefängnistüren geöffnet und die Gefangenen freigelassen; alle wurden unter Hausarrest gestellt, da die Anschuldigungen und die vorgelegten Beweise in Frage gestellt wurden.

Der Ansturm auf den Caso Bombas beschädigte Räume und Kreise in der wachsenden anarchistischen Bewegung zutiefst. Verschiedene Räume wurden geräumt und andere geschlossen, und die Überwachung wurde auf verschiedene Kreise ausgedehnt, was wiederum zu einem vollständigen Rückzug aus öffentlichen Aktivitäten und sicherlich zur Verbreitung der Angst führte, in eine solche Vereinigung in Verbindung gebracht zu werden.

In einem Ausbruch von Solidarität artikulierten sich verschiedene Realitäten, von Straßenkämpfen, Demonstrationen, Foren und Angriffen, mit zunehmender Intensität. Die Solidarität war in der Lage, die mit dem chilenischen Staat verbundenen Interessen in Griechenland, Italien, Spanien, Argentinien, Mexiko und anderen Ländern anzugreifen, zusätzlich zu den ständigen Treffen und Informationsforen. Zweifelsohne war die Solidarität im Rahmen des Caso Bombas ein weiterer Schritt in der informellen Kommunikation und anarchischen Diskussion rund um den Globus.

Im Laufe der Monate begann der Fall stark zu wackeln. Der Verfolger Alejandro Peña zog sich aus der Staatsanwaltschaft zurück und ging direkt in den Dienst der Regierung, was den Druck der Regierung offenbarte, die Anschläge in Rekordzeit aufzuklären und ihre treuen Auftragsmörder zu belohnen. Kurz darauf wurde das Verbrechen der illegalen terroristischen Vereinigung fallen gelassen. Alle Angeklagten wurden von dieser Straftat freigesprochen, so dass nur diejenigen übrig blieben, denen besondere Vorwürfe gemacht wurden, nämlich: Platzierung von Sprengsätzen und Finanzierung des Terrorismus.

Schließlich beschloss die Staatsanwaltschaft, zwei der Finanzierung des Terrorismus und drei der Platzierung von Sprengsätzen vor Gericht zu stellen, darunter die Gefährt*innen Mónica und Francisco. Gegen der Gefährtin wurde Anklage wegen des Brandanschlags auf die Kirche Los Sacramentinos erhoben, während dem Gefährten Anschläge auf ein Büro von Chilectra, den Nationalen Nachrichtendienst und den Staatlichen Verteidigungsrat zur Last gelegt wurden.

Der Gerichtsprozess zog erneut die Aufmerksamkeit der verschiedenen Medien auf sich und löste erneut eine breite politische Debatte auf nationaler Ebene aus. Die Staatsanwaltschaft versprach, dass es sich um die wahren Schuldigen handelte, weshalb sie bei der Entwicklung des Prozesses keine Zeugen und Experten verschonte und Geheimpolizei und Spezialteams aufmarschieren ließ. Nach sieben Monaten täglicher Anhörungen wurden zahllose Fehler und Tricksereien sowohl der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft bei der Zusammenstellung des Falles aufgedeckt. Der Prozess endete mit dem vollständigen Freispruch aller Angeklagten.

Die Mauern, die sie errichten, und die elektronischen Augen, die sie installieren, um uns zu überwachen und diejenigen einzusperren, die nicht den Verhaltensmustern eines Lohnsklaven folgen, waren nie und werden nie in der Lage sein, die transgressive Aggression gegen dieses kriminelle bourgeoise System zu stoppen, das auf Ausbeutung, Tod und Umweltzerstörung beruht.

Fuerzas autonómicas y destructivas León Czolgoscz – Autonome und zerstörerische Kräfte Leon Czolgoscz

Das Scheitern und der totale Zusammenbruch des Prozesses wurde zu einem Erdbeben für die Justiz und zu einer Niederlage für den Stolz der Verfolger, die während der Verhaftungen auf einen Sieg wetteten und sich vor der Presse brüsteten und schließlich die Kosten des gesamten Prozesses bezahlten.

Verschiedene Parteien und politische Persönlichkeiten nutzten den Fall, um die rechte Regierung zu beschimpfen, während andere ihn als Sprungbrett für ihre Karriere als Juristen nutzten. Die Bewertung dieses Zeitraums war eine ständige Debatte innerhalb der anarchistischen Kreise, die sich zum ersten Mal mit einem großen repressiven Schlag auseinandersetzen mussten. Internationalistische Verbindungen, die Beibehaltung unnachgiebarer politischer Positionen, die Kenntnis der Repression aus erster Hand und die Präsenz in den Medien waren nur einige der Erfahrungen, die man zu sammeln begann, da die meisten anarchistischen Gefangenen zuvor in Fällen verwickelt waren, in denen es um Straßenkämpfe mit „einfacheren“ Prozessen ging. Mónica und Francisco erlebten dies als ihren ersten repressiven Prozess, der diesmal kollektiver Natur war.

DER STAAT UNTERDRÜCKT IN JEDER HINSICHT. MIT SEINER VOLLEN ZUSTIMMUNG, DURCH SEINE REPRESSIVE KRAFT, SEIN ERZIEHUNGS- UND UNTERRICHTSSYSTEM UND VOR ALLEM DURCH SEINE KOMPLIZENSCHAFT MIT DEM KAPITAL, MIT DEN MODERNEN SKLAVENHÄNDLERN, DIE DIE MENSCHEN BEREICHERN UND AUSBEUTEN UND DIE UMWELT ZERSTÖREN.

TAMAYO GAVILÁN

SPANIEN (2013): EIN MEISTER IM HIMMEL GENÜGT, DAMIT ES TAUSEND AUF DER ERDE GIBT

Die katholische Tradition im archaischen und ranzigen Königreich Spanien erhebt die Virgen del Pilar zur Schutzpatronin der verschiedenen Repressionsorgane, darunter auch der Killer der Guardia Civil. Als Königin des Spanischen8 erklärt, ist ihre Verehrung nichts anderes als die Verehrung der kolonialen Brutalität und des Massakers an allen indigenen Völkern während dieser tragischen europäischen Invasion. Der Tempel dieser Gottheit, die Basílica del Pilar in der Stadt Zaragoza, wurde von Franco ständig besucht und war Schauplatz zahlreicher Huldigungen an die Repression und ihren Urhebern.

Die sepulkrale Passivität dieses religiösen Tempels blieb in den letzten Jahren relativ intakt, bis zum 2. Oktober 2013, als eine handgefertigte Bombe aus Schwarzpulver, die in einer Gasflasche komprimiert und durch ein Uhrwerksystem aktiviert wurde, am helllichten Tag im Inneren des religiösen Tempels platziert wurde. Eine Reihe von Anrufen bei der Presse und in der Nachbarschaft wiesen auf eine bevorstehende Explosion hin.

Gegen 13.00 Uhr zerstörte die Detonation einige Kirchenbänke, wobei Splitter in verschiedene Richtungen flogen und ein Gemeindemitglied leicht verletzt wurde.

Einige Zeit später wurde eine Erklärung abgegeben, in der die Motive für den Anschlag erläutert wurden. Das „Comando Insurreccional Mateo Morral“ bekannte sich zu dem Anschlag, dieselbe Gruppe, die zuvor einen vereitelten Anschlag auf die Almudena-Kathedrale in Madrid verübt hatte. Diesmal erklärte die anarchistische Gruppe nach dem Anschlag in Zaragoza: „Diese Aktion soll die Anwesenden warnen, dass faschistische Symbole wie diese in keinem Fall ein sicherer Ort sind und sein werden“.

Während die Ausübung anarchistischer politischer Gewalt in Spanien seit mehr als einem Jahrhundert ein Kontinuum darstellt, ist die Methodik der Sprengstoffanschläge aus dem anarchistischen Milieu in den letzten Jahren eher unregelmäßig gewesen. Die jüngsten Anschläge auf Kirchen brechen in diese Dynamik ein und haben eine starke Medienwirkung.

Es mangelte nicht an Angstmachern, die im Internet schnell damit begannen, dem Angriff jegliches revolutionäre Potenzial und sogar die Möglichkeit eines Angriffs abzusprechen, indem sie auf einen Angriff unter falscher Flagge und die Hand der Polizei als angebliche Täter hinwiesen. „Wäre es nicht logisch, den König selbst anzugreifen, wie es Morral getan hat? Warum sollte man riskieren, so etwas an einem Ort wie diesem zu tun, wenn es viele Orte gibt, die viel repräsentativer für das Kapital, den Staat und die Monarchie selbst sind – da sie so sehr daran interessiert sind? (…) Der Wortlaut des Kommuniqués scheint das Werk eines Schülers der obligatorischen Sekundarstufe zu sein (…) Abschließend kann man sagen, dass dies entweder das Werk einer echten Gruppe oder eines echten Polizisten ist. Entweder handelt es sich um die Arbeit einer echten Gruppe von Idioten, die hirnlos und ungebildet sind, oder um eine falsche Flagge aus dem Lehrbuch“.

Der Direktor der nationalen Polizei, Ignacio Cocidó, sagte zu den Anschlägen: „Der anarchistische Terrorismus hat in unserem Land Wurzeln geschlagen und es besteht die Gefahr, dass sich Anschläge wie der auf die Basilika del Pilar wiederholen könnten. Das ist eine Priorität für die Polizei“.

Bei den zahlreichen Ermittlungen der spanischen Polizei wird die Zusammenarbeit mit der chilenischen Repression deutlich. Anfang November legte der Nationale Nachrichtendienst (ANI) eine Reihe von Berichten vor, aus denen hervorging, dass Mónica und Francisco Ende 2012 nach Spanien gereist waren, und schickte Fotos und Profile. Der Direktor der ANI, Gonzalo Yuseff, reiste eigens zu diesem Zweck nach Spanien, um mit den spanischen Repressionskräften zu sprechen.

Am 13. November 2013 führte die Polizei eine Reihe von Razzien durch und verhaftete fünf Gefährt*innen, darunter Mónica und Francisco, denen die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung wegen der Platzierung des Sprengsatzes in der Basilica del Pilar vorgeworfen wurde. Mónica und Francisco wurden in Untersuchungshaft gebracht, während die anderen unter dem Vorwurf der „Zusammenarbeit mit einer terroristischen Vereinigung“ freigelassen wurden, ein Vorwurf, der später zurückgezogen wurde.

Die Verhaftung von Mónica und Francisco löste sowohl in der chilenischen Presse als auch in der institutionellen Politik selbst ein starkes Echo aus, das eine Reihe von Erklärungen über den früheren Caso Bombas auslöste, die sogar so weit gingen, dass von einer Wiederaufnahme des früheren und verschütteten Prozesses die Rede war.

DIE AUTORITÄT, DAS GRUNDPRINZIP DER GESELLSCHAFT, ÜBT IHRE HERRSCHAFT DURCH VERSCHIEDENE INSTITUTIONEN AUS; DIE KIRCHE IST EINE DER WICHTIGSTEN AUFGRUND IHRER HISTORISCHEN KOMPLIZENSCHAFT MIT DEM STAAT-KAPITAL, DA SIE FÜR DIE ZEMENTIERUNG UND AUFRECHTERHALTUNG DES GEGENWÄRTIGEN ZUSTANDS DER PATRIARCHALEN UND HETERONORMATIVEN UNTERDRÜCKUNG VERANTWORTLICH IST.

COMANDO INSURRECCIONAL MATEO MORRAL – AUFSTÄNDISCHES KOMMANDO MATEO MORRAL

Die Polizei entwirft ein phantasievolles Organigramm, indem sie künstlich alles miteinander vermischt. Einerseits das Comando Insurreccional Mateo Morral, das Sprengstoffanschläge gegen religiöse Tempel in Spanien verübt hat. Andererseits die Existenz der FAI-FRI (Federación Anárquica Informal-Frente Revolucionario Internacional), einer informellen Organisation auf internationaler Ebene, der sich jede Aktionsgruppe anschließen und in einer Debatte zusammenarbeiten kann, ohne sich unbedingt zu kennen. Und zum anderen die Existenz der GAC (Grupos Anarquistas Coordinados), einer Koordination verschiedener anarchistischer Kollektive und Kreise in Spanien, die sich der Agitation, der Durchführung von Aktivitäten, Kampagnen, Propaganda usw. widmen.

Das Polizeikomplott deutet darauf hin, dass das Comando Mateo Morral Teil der GAC sein würde und dass diese wiederum der iberische Zweig der FAI/FRI sein würde. In Wahrheit gehörte weder das Comando Mateo Morral zur FAI-FRI, noch hatte die GAC irgendeine Beziehung zu diesem Kommando und noch weniger zur FAI-FRI.

Mónica und Francisco waren in verschiedenen anarchistischen Räumen und Initiativen aktiv, seit sie in Barcelona lebten, und knüpften enge Netzwerke der Gefährt*innenschaft und Freundschaft, die unmittelbar nach den Verhaftungen durch die Medien und die Härte des spanischen Gefängnisregimes zum Ausdruck kamen.

Die Gefährt*innen wurden unter FIES (Fichero Interno de Especial Seguimiento) 3 eingestuft, d.h. unter ein Sonderregime für alle Gefangenen, die der bewaffneten Gruppe, des Terrorismus oder der Zugehörigkeit zur ETA beschuldigt werden. Unter diesem Regime wurden sie in verschiedene Gefängnisse des Landes verlegt, wobei die Methode der Zerstreuung9 und der Abgeschiedenheit angewandt wurde, und ihre solidarischen Gefährt*innen mussten mehr als 20 Stunden reisen, um sie nur für ein paar Minuten in einem Raum für Besucher*innen10 besuchen zu können.

Das Regime umfasste acht 5-minütige Telefonate pro Woche, zwei Briefe pro Woche, die überwacht und eingeschränkt wurden, sowie einen 40-minütigen Besuch pro Woche in einem Raum.

Nach mehr als einem Jahr der Zerstreuung und der Verlegung in verschiedene Gefängnisse gelang es den Gefährt*innen, gemeinsam in dasselbe Gefängnis im Strafvollzugszentrum von Villabona (Asturias) verlegt zu werden, wo sie sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit besuchen konnten.

Vom Gefängnis aus gelang es den Gefährt*innen trotz aller Einschränkungen, ihre Stimmen und Überlegungen zu äußern und an verschiedenen Debatten und Diskussionen in der internationalen anarchistischen Bewegung teilzunehmen. Gerade der Text „Frente a la represión…No todo vale“, in dem sie jede Möglichkeit ablehnten, den König um Begnadigung zu bitten, löste innerhalb der anarchistischen Bewegung in Spanien heftige Debatten, Kritik und Überlegungen aus.

Die internationalistische Solidarität kam erneut in praktischen Gesten rund um den Globus zum Ausdruck. Angriffe, Foren, Brände und Plakate wurden in verschiedenen Sprachen und Ländern durchgeführt, um die Situation der Gefährt*innen über Hunderte von Kilometern hinweg zum Ausdruck zu bringen und die Gültigkeit des anarchistischen Internationalismus im 21. Jahrhundert zu zeigen.

Die Repression ihrerseits sah in diesen Verhaftungen das perfekte Szenario, um kontinuierliche und aufeinander folgende repressive Operationen im Rahmen des fantastischen FAI-FRI/GAC/Comando Mateo Morral-Schemas zu starten. Dank dieser Gleichung wurden Dutzende von Gefährt*innen inhaftiert, denen es nach einigen Monaten gelang, wieder auf die Straße zu gehen. Ziel all dieser Repressionsstrategien war es nicht, die Schuldigen oder Verantwortlichen für bestimmte Anschläge zu finden, sondern die kämpferischsten und aktivsten anarchistischen Kreise zu treffen, wobei als Vorwand eine nicht existierende Organisation diente, die drei völlig unterschiedliche Situationen vermischte. Auf diese Weise wurde der Besitz des Buches „Contra la Democracia“ (Gegen die Demokratie) das von der GAC herausgegeben wurde, zu einem unwiderlegbaren Beweis für die Verhängung von Untersuchungshaft gegen mehrere Personen.

Im März 2016 begann der Prozess gegen Mónica und Francisco in einem gepanzerten Saal der Audiencia Nacional, einem Sondergericht für terroristische Straftaten. Die Staatsanwaltschaft forderte 44 Jahre Haft für jeden von ihnen.

In einem dreitägigen Eilverfahren wurden Beweise vorgelegt und Zeugen befragt, aber die größte Aufmerksamkeit erregte die Aussage der Gefährt*innen. Indem sie ihre politischen Positionen vertraten, aber die Verbindung zu dem Anschlag zurückwiesen, begegneten beide dem Justizzirkus mit Würde und beendeten ihre jeweiligen Erklärungen mit dem Ruf „Tod dem Staat und lang lebe die Anarchie“.

Die Audiencia Nacional verurteilte sie zu jeweils 12 Jahren Gefängnis, 5 Jahre für terroristische Körperverletzung und 7 Jahre für Schäden mit terroristischem Hintergrund. Vom Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ und der „Verschwörung“ wurden beide freigesprochen.

Im Jahr 2017 wurde die Strafe nach drei Jahren Haft für jeden von ihnen auf 4,5 Jahre herabgesetzt, wobei die Straftaten der Körperverletzung und der terroristischen Schädigung neu eingestuft wurden. Auf diese Weise gelang es den Gefährt*innen im Rahmen einer Vereinbarung zwischen den Ländern und in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Strafe weniger als 6 Jahre beträgt, in das chilenische Hoheitsgebiet abgeschoben zu werden.

Inmitten eines großen Medieninteresses am Flughafen, inmitten von Kameras und Mikrofonen, gelang es den Gefährt*innen im März 2017, in Chile anzukommen. Trotz ständiger Schikanen und repressiver Überwachung nehmen die Gefährt*innen ohne größere Probleme an den verschiedenen Kämpfen der anarchischen Kreise im chilenischen Staat teil.

DER ANGRIFF GEGEN DIE MÄCHTIGEN UND UNTERDRÜCKER

Am 24. Juli 2019 gingen in einem chilenischen Postamt zwei besondere Pakete ein, die zu der enormen Menge an Postsendungen hinzukommen, die das Unternehmen täglich bearbeitet. Diese beiden Pakete schaffen es, den monotonen Weg einer jeden Sendung zu gehen, ohne Verdacht zu erregen. Ganz anders als am nächsten Tag.

Am Donnerstag, den 25. Juli, um 12.45 Uhr, trifft ein Paket für Major Manuel Guzmán in der 54. Polizeistation von Huechuraba ein. Das Polizeipersonal nahm das Paket entgegen und übergab es dem Empfänger, der es in sein Büro mitnahm. Als er es öffnete, gab es einen lauten Blitz und einen lauten Knall, der einen Teil des Büros erschütterte und zerstörte.

Ein Schwarzpulver-Sprengsatz im Inneren des Pakets detoniert und verletzt acht Polizeibeamte in unterschiedlichem Ausmaß. Innerhalb weniger Minuten füllt sich das Polizeipräsidium mit Krankenwagen, Feuerwehren und kurz darauf auch mit mehreren Pressefahrzeugen.

Inmitten des Chaos und der Polizeihubschrauber, die auf den Straßen landen, um die Verwundeten zu transportieren, bemüht sich die Regierung um eine schnelle Unterstützung. Präsident Sebastián Piñera selbst begibt sich ins Krankenhaus, doch bevor er es betritt, erhält er einen Anruf, in dem ihm mitgeteilt wird, dass ein zweites Sprengstoffpaket gefunden wurde, das diesmal an seinen ehemaligen Innenminister Rodrigo Hinzpeter adressiert ist. Während Piñeras erster Amtszeit (2010-2014) zeichnete sich Hinzpeter als harter Mann der Regierung aus, der eine Reihe von repressiven Maßnahmen einleitete, die ihm den Hass eines großen Teils der Bevölkerung einbrachten.

Piñera und sein damaliger Innenminister Andrés Chadwick bleiben im Auto, um Informationen über den bevorstehenden zweiten Anschlag zu sammeln. Vor dem Krankenhaus drängten sich die Journalisten und warteten auf die Ankunft des Präsidenten. Minutenlang war niemand in der Lage, Hinzpeter zu erreichen, und es war auch nicht klar, wo sich das Paket befand: Hat er es geöffnet, hat er es in sein Auto gebracht oder mit nach Hause genommen?

Um 10.30 Uhr desselben Tages gelangte ein Paket in ein exklusives Gebäude im Stadtteil Las Condes. Nachdem es die Röntgen- und Sicherheitskontrollen passiert hatte, gelangte es in den 16. Stock, wo sich die Büros des Unternehmensriesen Quiñenco befinden. Nach einem kurzen Empfang wurde das Paket auf dem Schreibtisch von Hinzpeter selbst abgelegt, der nach einem hektischen Arbeitsmorgen einfach keine Zeit hatte, es zu öffnen.

Er war erst wenige Tage zuvor aus Europa eingetroffen und hatte an diesem Tag Besprechungen mit Francisco Pérez Mackenna, dem CEO von Quiñenco, Óscar Hasbún, dem CEO der Compañía Sudamericana de Vapores, sowie anderen großen Geschäftsleuten, während er selbst nur wenige Meter entfernt blieb. Hinzpeter sagte: „Eigentlich wollte ich ihn irgendwann öffnen, aber durch einen glücklichen Umstand wurde ich abgelenkt und vergaß, dass ich ihn öffnen wollte.“

Es war Zeit für die Mittagspause und Hinzpeter beschloss, die Korrespondenz nach dem Mittagessen zu öffnen, also beschloss er, sein Mobiltelefon auszuschalten und in ein Restaurant zu gehen.

Die verschiedenen Regierungsbeamten schöpften alle Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit seinem ehemaligen Mitarbeiter aus, ebenso die Staatsanwaltschaft und die Polizei, während das GOPE mit Hochdruck daran ging, das Quiñenco-Gebäude zu räumen. Die Nähe zwischen politischer und ökonomischer Macht tat schließlich ihr Übriges, und durch beiderseitige Freundschaften gelang es ihnen, Hinzpeter vor einem verdächtigen Paket in seinem Büro zu warnen, das mit der jüngsten Detonation in der Polizeiwache in Verbindung stand. Dem GOPE-Personal gelang es, den zweiten Sprengsatz zu entschärfen und ihn anschließend für eine gründliche Analyse in sein Büro zu bringen.

Außerhalb des medizinischen Zentrums, in dem die verletzten Polizisten untergebracht waren, atmeten Piñera und seine Berater erleichtert auf, als sie erfuhren, dass Hinzpeter wohlauf war. Nach dem Besuch bei den verletzten Polizisten hielt der Präsident in einem seiner typischen Anfälle eine improvisierte Pressekonferenz auf der Treppe des Krankenhauses ab. Dort berichtete er mit noch immer geschocktem Gesicht von der Existenz einer zweiten Lieferung an eine natürliche Person, ohne weitere Informationen preiszugeben.

Die Polizei und die Staatsanwaltschaft teilten der Presse mit, dass die Sprengsätze keine Ähnlichkeit mit denen hatten, die bei anderen Anschlägen in Chile verwendet worden waren, und dass sie technisch so komplex und aufwendig hergestellt waren, dass sie stabil und sehr schwer zu zünden waren, bevor sie geöffnet wurden. Während der Sprengsatz in der Polizeistation Schießpulver enthielt, enthielt der für Hinzpeter bestimmte Sprengsatz Dynamit, einen starken Industriesprengstoff.

In einer Reihe von Interviews reflektierte der ehemalige Innenminister über diesen Anschlag und die Reihe von Drohungen, denen er ausgesetzt war, als er das Kommando über die Repression hatte: „Hier ist das Gefühl viel schrecklicher, denn, um eine Analogie zu bilden, ist die Drohung so, als würde dir jemand sagen, dass er dich erschießen wird, während hier das Gefühl ist, dass er dich erschossen hat; die Kugel ist ausgegangen und hat mich durch einen zufälligen Umstand – zum Beispiel einen Ausrutscher – nicht erreicht. Es ist also ein sehr viel menschlicheres, schockierenderes und unverständlicheres Gefühl, das sehr viel schwerer zu verdauen ist als eine Drohung, die besagt: „Ich werde dich erschießen“. Wie gesagt, hier hat die Person abgedrückt und war bereit, mich zu töten, mit einer Bombe, die laut Presseberichten nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter getötet hätte“.

Joaquín Lavín, Bürgermeister von Las Condes und bekanntes Mitglied des Opus Dei, nannte seinerseits die Gründe, die den Anschlag vereitelten: „Ein Produkt des Zufalls, des Glücks oder – für diejenigen unter uns, die an Gott glauben – der Vorsehung“.

Am nächsten Tag hielt Piñera in seinem privaten Esszimmer eine Sitzung mit den höchsten Vertretern der Repressionskräfte ab und forderte dringende Maßnahmen und die Bildung von Spezialteams, um die Verantwortlichen zu finden. Innerhalb weniger Stunden begab er sich zu der beschädigten Polizeistation, um die Schäden am Büro zu begutachten, und gab anschließend eine weitere Pressekonferenz, in der er die Notwendigkeit einer Reform des Antiterrorismusgesetzes betonte. Vor den Journalisten sagte der Präsident bereits den Satz, der ihn während der Revolte berühmt machen sollte, diesmal an die möglichen Urheber des Anschlags gerichtet: „Wir sollten uns daran erinnern, dass wir einen Feind vor uns haben, der nicht nur grausam und unerbittlich ist, sondern auch die Protokolle kennt und sich den Protokollen anpasst, so dass wir angesichts dieses mächtigen und unerbittlichen Feindes mehr denn je zusammenarbeiten müssen“. Einige Tage später werden beide Aktionen in die so genannte „operación por la expansión de las hostilidades a los verdugos – Operation zur Ausweitung der Feindseligkeiten auf die Henker“ Seitens „Cómplices Sediciosos/Fracción por la Venganza – Aufrührerischen Komplizen/Fraktion für die Rache“ eingebettet.

Im Bekennerschreiben kritisieren sie die wahllosen Anschläge aufs Schärfste: „Wir haben alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Sprengsätze nur in den Händen der Personen explodierten, die Ziel unserer Aktion waren. Unsere Feinde sind klar, wir sind nicht daran interessiert und wollen niemanden verletzen oder schädigen. Wir wissen zwar, dass wir alle Teil der Herrschaftsstrukturen sind, aber wir sind uns auch bewusst, dass es verschiedene Grade von Verantwortung gibt und dass die Empfänger unserer Sprengsätze eine entscheidende Rolle sowohl bei der Verwaltung und Akkumulation von Kapital als auch bei der staatlichen Kontrolle und Repression spielen“.

Sie rechtfertigen beide Ziele, indem sie an Hinzpeters repressive Arbeit bei der Zerschlagung von Mapuche-Gemeinschaften, anarchistischen Kreise und Studentenmobilisierungen sowie an seine Rolle bei der Niederschlagung der Aufstände in Freirina und Aysen erinnern. In Bezug auf das 54. Polizeirevier wird die Verantwortung für den Mord an der anarchistischen Gefährtin Claudia López im September 1998 hervorgehoben.

Der Text greift die Polemik auf, die in anderen Ländern durch die Verwendung von Sprengstoffpaketen als Angriffsmethode ausgelöst wurde. Während des Kampfes gegen die FIES in Spanien gab es mehrere Anschläge mit Briefbomben, die eine heftige Diskussion auslösten. Kurz davor führte die FAI-Informal eine Reihe von Sprengstoffanschlägen gegen diplomatische Delegationen durch, die von einer anderen Aktionsgruppe in Griechenland stark in Frage gestellt wurden.

Diesmal erinnert „Cómplices Sediciosos/Fracción por la Venganza“ an die Hintergründe dieser Methode und reiht sich ein in die Anschläge mit Sprengstoffpaketen durch Anarchist*innen im Jahr 1920 in den USA, die sich auf die Publikation Cronaca Sovversiva und Luigi Galeani bezogen. Der Text erinnert auch an das Sprengstoffpaket, das Anarchist*innen im Mai 1928 an das Gefängnis schickten, in dem Simon Radowitzky gefoltert wurde, sowie an die Anschläge, die von der Informellen Anarchistischen Föderation in Italien und der Verschwörung der Feuerzellen in Griechenland in den 1990er und 2000er Jahren durchgeführt wurden.

Der Text endet damit, dass sie ihre Aktionen in eine bestimmte Linie des Anarchismus und des Konfliktverständnisses einordnen:

„Wir reagieren mittels der anarchischen, gewalttätigen Aktion, die einen Rahmen bildet und einen Beitrag zur neuen Stadtguerilla darstellt (…) Wir entfernen uns von den formalen Strukturen des Kampfes, um das Vergnügen des Angriffs in unsere Hände zu nehmen, die sich in der Affinität versammeln“.

Nach dem vereitelten Angriff beschloss die Firma Quiñenco, eine Reihe von Geheimdienst- und Sicherheitsberatern zu engagieren, vor allem das spanische Unternehmen Alto Analytics. Als die Revolte 2019 ausbrach, stellte das Unternehmen der Quiñenco-Gruppe einen mehr als 100 Seiten umfassenden Bericht zur Verfügung, in dem die sozialen Netzwerke überwacht und Thesen aufgestellt wurden, die die Stärke der Revolte erklären sollten. Laut dem Big-Data-Bericht konnte die Existenz ausländischer Einmischung in den Aufstand gesichert werden, ebenso wie der Protagonismus des koreanischen K-Pop als Inspirationsquelle für die Reihe von Ausschreitungen.

Anfang Dezember 2019 stellte Hinzpeter fest, dass der Bericht Daten enthielt, die die Regierung zur Erklärung und Niederschlagung des Aufstands verwenden sollte, vor allem über die angebliche ausländische Einflussnahme. Nach einem Treffen in den Büros des Nationalen Nachrichtendienstes wurde der Bericht dem Geheimdienst, den Streitkräften und dem Regierungspersonal zur Verfügung gestellt, die sich mit Hinzpeter trafen, um die Revolte zu analysieren, die den chilenischen Staat erfasste.

Tage später teilte Innenminister Gonzalo Blumel der Presse triumphierend mit, dass man nun über „außerordentlich raffinierte Informationen“ verfüge, die man der Staatsanwaltschaft übergeben werde, um die Planung des Aufstandes als ausländischen Plan zur Untergrabung der chilenischen Institutionen zu untersuchen. Damit sollten die Behauptungen und Aktionen der Regierung legitimiert werden, die sich erneut mit einem „mächtigen und unerbittlichen Feind“ konfrontiert sah, diesmal in Form von Tausenden von Menschen, die im ganzen Land Barrikaden errichteten und Symbole des Staates/des Kapitals angriffen, die angeblich von ausländischen Untergrundkräften befehligt wurden.

Der Big-Data-Bericht war ein weiterer Beweis für die enge Verbindung zwischen der Welt der Ökonomie und der Welt der Politik und für die Notwendigkeit, eine konspirative Erklärung für den Aufstand zu finden. Nach dem Bekanntwerden des Berichts häuften sich die Verweise auf den koreanischen K-Pop in sarkastischen Tönen und offenem Spott über diejenigen, die versuchten, die Wut, die in allen Ecken zu brennen begann, zu theoretisieren. Wenn die herrschende Klasse von Angst ergriffen wird, schlägt sie blind um sich herum, und der Big Data Report war ein Beweis dafür, der in die Geschichte einging.

Die Polizei- und Gefängnisgesellschaft ist eine Realität. Jede Aktion gegen sie ist völlig berechtigt“.

Jede Polizeiwache ist ein gültiges Ziel. Ihre blutbefleckten Uniformen ziehen weiterhin durch jeden Winkel der Stadt und schützen unsere Feinde, indem sie jeden, der aus dem Minenfeld der Verbote, in das sie die Welt verwandelt haben, heraustritt, mit Schlägereien überziehen. Gerade in den Polizeiwachen lassen die Henker der Orgie von Quälereien und Schlägen gegen die Inhaftierten freien Lauf.

Wir sehen, wie sie mit absurder Bravour militärische Räume des tatsächlichen Kampfes, wie zum Beispiel Gymnasien, besetzen. Sie versuchen dies bereits in den Städten oder an den Schauplätzen der Straßenkämpfe, indem sie sich auf ihre Gesetze berufen. Aber der Wunsch nach Freiheit überflutet mit Feuer jeden Gehorsam gegenüber der Autorität und ihrer Ordnung.“

Cómplices Sediciosos/Fracción por la Venganza

SCHLAG GEGEN DAS VIERTEL DER REICHEN

Im Oktober 2019 erschüttert eine seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesene Revolte den chilenischen Staat. Aus Protesten gegen die Erhöhung der U-Bahn-Tarife wurde schnell eine allgemeine Infragestellung der Ordnung und des Systems, die einfach überhand nahm. Konfrontationen, permanente und gleichzeitige Angriffe auf Symbole des Staates und des Kapitals begannen sich Tag für Tag zu wiederholen. Straßen und Gebäude brannten, während die Konfrontation mit der Polizei monatelang andauerte.

In ihrer Verzweiflung kündigte die politische Klasse ein „Friedensabkommen“ an und versuchte, die Unzufriedenheit zu kanalisieren und zu institutionalisieren, indem sie als beschwichtigendes Element die Schaffung einer neuen Verfassung vorschlug. Die Strategie zur Entschärfung der Revolte hat ihr Ziel nicht ganz erreicht. Es kam weiterhin zu Demonstrationen auf den Straßen, und zeitweise nahmen die Ausschreitungen trotz des Sommers und der Feiertage an Intensität zu. Die traditionellen Sommerveranstaltungen wurden durch Brandstiftung und Vermummung ersetzt. Im Januar wurden 69 Polizeistationen angegriffen, im Februar waren es 80 und im März schließlich 79 Polizeistationen.

Der März11 wurde von den Unruhestifter*innen sehnsüchtig erwartet. Die Rückkehr zur Schule und zur Arbeit war genau die richtige Gelegenheit, um die Revolte weiter zu verschärfen und die Versprechungen einer Rückkehr zur Normalität zu zerschlagen. Die zerstörerische Energie wurde erst durch das Auftreten einer weltweiten Pandemie gebremst.

In den letzten Februartagen drohte die klassische Sommerveranstaltung des Festivals de Viña nach anhaltenden Zusammenstößen mit der Repression, der Vandalisierung des Hotels O’Higgins und dem Anzünden von Autos in der Umgebung abgesagt zu werden. In Santiago zogen verschiedene Demonstrationen rechtsextremer Gruppen durch die wohlhabenden Viertel und versuchten, die zerrüttete Ordnung mit allen Mitteln zu verteidigen.

Im Stadtteil Vitacura gingen Hunderte von Menschen auf die Straße, um die Polizei und ihre Verstümmelungen12 zu unterstützen, die Ordnung zu verteidigen und jeden Ausdruck der Revolte abzulehnen. Genau in diesem Kontext erhält das Edificio Tánica, das sich in dieser Gemeinde befindet, in den letzten Februartagen 2020 einen unerwarteten Besuch.

Das Tánica-Gebäude mit seiner völlig innovativen und auffälligen Architektur befindet sich in der Avenida Santa Maria und verfügt über mehr als 12.000 Quadratmeter, einen Innenhof, eine künstliche Lagune und eine Investition von mehr als 100 Millionen Dollar. Das Gebäude, das nur wenige Häuserblocks von El Mercurio und dem Privathaus des ehemaligen Innenministers Andres Chadwick entfernt liegt, wurde vom Transoceánica-Unternehmenskonglomerat der Familie Schiess gebaut, einer Unternehmensgruppe, die vom Patriarchen Schiess gegründet wurde, als er Deutschland nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg verließ. Die Unternehmensgruppe war für die Diversifizierung ihrer Investitionen in den Bereichen Bankwesen, Unterhaltung und Immobilien bekannt13.

Am Morgen des 27. Februar gelang es einem Mann, der mit Mantel, Koffer, Schal, Brille und Hut bekleidet war, das Gebäude problemlos zu betreten und sich in den Innenhof zu begeben. Mit einem schnellen Manöver lässt er einen Gegenstand unter einem Betonstuhl liegen und geht dann zu dem einige Meter entfernten Mülleimer. Es dauert nicht lange, bis er das Gebäude ohne Probleme verlassen kann.

Um 10:00 Uhr überrascht ein Anruf das Café Kant, das sich im Inneren des Gebäudes befindet. Ein Tonband warnt vor einer Bombe, die gelegt wurde. Der Angerufene hält das für einen Scherz, denn die Drohungen gegen das reiche Viertel halten schon seit Monaten an, die Atmosphäre ist nach wie vor angespannt, und er hielt es für einen geschmacklosen Scherz. Zur gleichen Zeit erhielten die Carabineros und Radio Cooperativa Berichten zufolge ähnliche Anrufe.

Um 12:00 Uhr schaltet sich der Stromkreis der Uhr, die an einem mit Schwarzpulver gefüllten Schnellkochtopf befestigt ist, ab und es kommt zu einer gewaltigen Detonation unter dem Betonstuhl. Das alarmierte Tánica-Personal beginnt mit der Untersuchung der Lage, als um 12.30 Uhr ein mit Schwarzpulver gefüllter Feuerlöscher im Müllcontainer eine zweite Detonation auslöst. Mit dem Eintreffen verschiedener spezialisierter Polizeieinheiten trifft auch die Staatsanwaltschaft der südlichen Metropole ein, die nach der Auswertung der Kameras lediglich feststellt: „Die Person scheint charakterisiert zu sein und versucht zu verhindern, dass sie leicht identifiziert werden kann“. Der Staatssekretär des Innenministeriums, Juan Francisco Galli, verurteilt die Ereignisse und weist das Offensichtliche zurück: „Ich denke, es hat nichts mit der Krise zu tun“.

Kurz darauf wies der Regierungssprecher die Behauptung der Verantwortung für den Anschlag kategorisch zurück. „Afinidades Armadas en Revuelta“ übernahmen die Verantwortung für die Tat, betitelten den Anschlag als „Ausweitung der Revolte“ und wiesen dann auf die Dynamik des Doppelanschlags hin:

„Die beiden Sprengsätze waren im Abstand von einer halben Stunde geplant, damit der erste die Normalität des bourgeoisen Viertels erschüttern würde, und der zweite, der sehr stark war, damit er zu einem Zeitpunkt explodieren würde, an dem die feigen GOPE-Vergewaltiger vor Ort waren, in der Hoffnung, dass zumindest einer von ihnen so nah wie möglich in die Luft gesprengt werden würde.“

Der Anschlag wurde nicht als Unterstützung für den Aufstand oder als Übung von Fachleuten außerhalb des Konflikts verstanden. Der Angriff wurde als Teil der Revolte selbst verstanden: „Diese Aktion zielt darauf ab, den Aufruhr zu verstärken. Sie ist die Fortsetzung der Lawine des Hasses und der Rache, die die Mächtigen in den ersten Wochen der Revolte überrollt hat und die darauf abzielt, bei denen, die vom Elend der anderen leben, schamlos Angst zu verbreiten. Die direkte Komplizenschaft zwischen dem Großkapital und den Repressionsorganen ist ein weiterer Aspekt der Macht, der in diesen Monaten des Aufstands deutlich geworden ist. Erstere haben Infrastrukturen finanziert und unterstützt, die die Aufständischen nicht aufhalten konnten, wie z.B. die Betonmauern, die in der Alameda errichtet wurden, um das Denkmal und die Kirche vor dem Heer der uniformierten Vergewaltiger zu schützen. Andererseits ist es nicht das Ergebnis einer sorgfältigen Analyse, den Schutz zu beobachten, den das Militär und die Carabineros in den bourgeoisen Vierteln gewährleistet haben. Dieser Schutz ist heute erneut verletzt worden. Ihr, Geschäftsleute und Unterdrücker, wisst ganz genau, was wir sagen. In jeder Umarmung, die ihr euch bei euren lächerlichen Aufmärschen und Prozessionen gebt, in den Büros und Kasernen, wo die Verstümmelungen, Morde und Vergewaltigungen geplant werden, wird jene unheilige Allianz geschmiedet, die heute verzweifelt versucht, das unkontrollierte Feuer der Revolte zu löschen. Dieser doppelte Sprengstoffanschlag zielt auf beide Seiten dieser faulen Komplizenschaft ab: das bequeme Leben der Wohlhabenden, wenn auch nur für einen Augenblick, zu unterbrechen und die Agenten der Repression mit einer vernichtenden Überraschung zu treffen“.

Die Gruppe gab ihre Absicht bekannt, über die Gewalt auf der Straße hinauszugehen: „Wir glauben, dass wir noch weiter gehen können, indem wir bewaffnete und selektive Angriffe gegen unsere Feinde, gegen die Macht in all ihren Formen vervielfachen, indem wir Teil dieses massiven und verallgemeinerten Sturms durch Aktionen der Stadtguerilla sind und uns in der Praxis darauf vorbereiten, der Verschärfung der Repression zu begegnen“.

Wie schon bei den letzten Anschlägen gab es zahlreiche Stimmen, die auf die Möglichkeit eines Anschlags unter falscher Flagge oder eines Komplotts hinwiesen, um die Repression zu „rechtfertigen“ oder den Kampf auf der Straße zu „delegitimieren“. Die Gruppe weist darauf hin: „Für die dummen Meinungsmacher des sozialen Krieges, die diese Aktion als Montage bezeichnen, sei gesagt, dass sie mit ihrer Meinung nur den Staat stärken, indem sie das Potenzial und die Reichweite der Offensive der neuen Stadtguerilla entkräften und ignorieren“.

Einige Tage später berief Präsident Piñera eine Dringlichkeitssitzung zu dem jüngsten Anschlag ein, an der Innenminister Gonzalo Blumel und die Staatssekretärin für Verbrechensbekämpfung, Katherine Martorell, teilnahmen. In dieser Sitzung planten sie auch das repressive Arsenal für den gefürchteten Monat März: neue Polizeifahrzeuge, völlige Straffreiheit für ihre Beamten, die Fütterung der verfassungsgebenden Illusion und ihrer Stimmen. Schließlich war es ein völlig unerwartetes Ereignis, das diesen unaufhaltsam erscheinenden Sturm eindämmte.

WIR WOLLEN EINEN BEITRAG ZUR VIELGESTALTIGEN KONFRONTATION MIT DER MACHT LEISTEN. WIR RUFEN DIEJENIGEN AUF, DIE MOLOTOWS HERSTELLEN, ANSCHLÄGE PLANEN, BARRIKADEN UND STRASSENBLOCKADEN VORBEREITEN, SPRENGSTOFF BAUEN, NÄCHSTE ZIELE PRÜFEN, ZEIT UND PHANTASIE FÜR NEUE ANSCHLÄGE GEGEN DIE HERRSCHAFT AUFWENDEN. DER AUFRUF LAUTET, DIE REICHWEITE UNSERER OFFENSIVEN ANGRIFFE ZU ERWEITERN UND ZU QUALIFIZIEREN.

LASST UNS DIE BEGRENZUNGEN UNSERER ANGRIFFE ERWEITERN:

WIR KÖNNEN IMMER MEHR ERREICHEN.

AFINIDADES ARMADAS EN REVUELTA

IM ANGESICHT DER JUSTIZ

In den frühen Morgenstunden des 24. Juli 2020 werden Mónica Caballero und Francisco Solar nach einem aufwändigen Polizeieinsatz in ihren Wohnungen verhaftet. Wieder einmal wurden die Gefährt*innen vom Staat als seine Feinde ins Visier genommen. Die Medien freuten sich über die Nachricht und begannen schnell, ihre Gesichter zu veröffentlichen und die Gründe für ihre Verhaftung zu nennen: Diesmal wird Francisco beschuldigt, Sprengstoffpakete gegen den ehemaligen Innenminister Rodrigo Hinzpeter und die 54. Polizeistation von Huechuraba verschickt zu haben (die Aktion fand am 24. Juli 2019 statt, die Verantwortung wurde von „Cómplices Sediciosos/Facción para la Venganza“ übernommen), während beide des doppelten Sprengstoffanschlags gegen das Edificio Tánica in der Gemeinde Vitacura beschuldigt werden (die Aktion fand inmitten der Revolte statt, am 27. Februar 2020, die Verantwortung wurde von „Afinidades Armadas en Revuelta“ übernommen).

Am selben Tag wurden beide vor dem 11. Gerichtshof von Santiago für diese Taten angeklagt. Wie zu erwarten war, wurden die Ermittlungen und die Anklageschrift von der Fiscalía Sur (A.d.Ü., Staatsanwaltschaft des Südens) vorgelegt (die sich in den letzten Jahren auf die Verfolgung aller Sprengstoffanschläge in der Metropolregion spezialisiert hat). Claudio Orellana stellte sich als zuständiger Staatsanwalt vor, der mit der Aufgabe betraut worden war, die Gefährt*innen für diese Sprengstoffanschläge mit einer Haftstrafe zu bestrafen und dabei eine offene Rechnung zu begleichen, nachdem derselbe Staatsanwalt eine beschämende Rolle im Fall „Caso Bombas 1“ gespielt hatte, bei dem alle Angeklagten, einschließlich Mónica und Francisco, freigesprochen worden waren. Diese ausführliche Verhandlung (mehr als 8 Stunden) wurde live auf der Website der Justiz übertragen und nach einer ermüdenden und obsessiven Beweisführung stimmte der zuständige Richter zu, die von der Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft zu gewähren und sechs Monate für die Untersuchung des Falles anzuordnen.

An dieser Formalisierung nahmen auch private Staatsanwälte, juristische Teams, die Rodrigo Hinzpeter, Correos de Chile, das Innenministerium, Edificio Tánica, die Gemeinden Vitacura und El Bosque sowie Carabineros de Chile vertreten, teil. Dies spiegelt zweifellos den Nachdruck wider, den man dem Fall und der Anklage verleihen wollte, wie bei einem kollektiven Rachefeldzug, bei dem jeder dabei sein will. Alle Privatkläger kamen den Forderungen und Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft nach, mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft von Tánica und der Stadtverwaltung von Vitacura, die sich ebenfalls auf das Antiterrorgesetz beriefen. Einige Tage später wurde Staatsanwalt Orellana in einem Radiointerview gefragt, warum in diesem Fall nicht das Antiterrorgesetz angewandt worden sei, worauf er klar und deutlich antwortete, dass es einfacher sei, nach dem Waffenkontrollgesetz zu verurteilen, da dieses verschärft worden sei, als nach diesem Ausnahmegesetz, da es rechtlich kompliziert sei, die terroristische Absicht der Taten zu beweisen, was die derzeitige Strategie der Staatsanwälte in diesen Fällen widerspiegelt.

Am 10. August 2022, mehr als zwei Jahre nach Beginn des Verfahrens und nach einer Reihe von Verlängerungen der Ermittlungsfristen, wurde der Fall abgeschlossen, was zur endgültigen Anklageschrift führte, in der die Staatsanwaltschaft 30 Jahre Haft gegen Mónica fordert und ihr zwei Straftaten vorwirft, nämlich das Anbringen von Sprengsätzen. Für Francisco fordert die Staatsanwaltschaft 129 Jahre Haft wegen des Versands von zwei Sprengstoffpaketen, dreifachen versuchten Mordes, Körperverletzung, falscher Identität, Sachbeschädigung und das Anbringen von zwei Sprengsätzen.

Nach Abschluss der Ermittlungen begann am 14. März 2023 die vorbereitende Anhörung, eine Phase vor dem Prozess, in der vor allem die Relevanz der Beweise erörtert wird, die in den eigentlichen Prozess einfließen sollen. Obwohl man davon ausging, dass diese Phase umfangreicher sein würde, wurde sie innerhalb einer Woche abgeschlossen, was die Strenge des für diese Schätzungen zuständigen Gerichts widerspiegelt, wobei praktisch alle von Staatsanwalt Orellana vorgelegten Beweise als gültig angesehen wurden. Einer der wichtigen Punkte, die erörtert wurden, war die Berücksichtigung des Gerichtsverfahrens in Spanien, wo beide wegen der Anbringung eines Sprengsatzes in der Basilika del Pilar in Zaragoza verurteilt worden waren. Dieser Umstand wurde als Beweismittel in den Prozess eingebracht, was jedoch ein juristischer Irrweg ist, da er einer anderen Rechtsprechung entspricht und nicht als Präzedenzfall für den aktuellen Prozess angesehen werden sollte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Staatsanwaltschaft mit mehr als 100 Zeugen, 50 Sachverständigen und mehr als 400 Beweismitteln, einschließlich Urkunden und anderen Beweismitteln, vor Gericht erscheinen wird.

Nach dieser Vorbereitungsphase war der Prozesstermin für den 19. Mai 2023 angesetzt, wurde aber auf Antrag der Verteidigung auf den 18. Juli 2023 verschoben.

Die Übernahme der Verantwortung

Auszug aus der juristisch-politischen Erklärung von Francisco Solar gegenüber der Staatsanwaltschaft im Dezember 2021, in der er die Verantwortung für die Sprengstoffanschläge übernimmt

Ich habe nie aufgehört zu glauben, dass der Kampf gegen ein übermächtiges System, das auf Autorität und Ausbeutung beruht, am besten durch gewaltsame revolutionäre Aktionen geführt werden kann. Nur so lassen sich Momente der Destabilisierung erreichen, die, auch wenn sie flüchtig sind, die Verwundbarkeit der Macht offenbaren“.

WAHLLOSE ANGRIFFE WAREN NOCH NIE TEIL DER ANARCHISTISCHEN PRAXIS, UNSERE ZIELE SIND KLAR DEFINIERT UND RICHTEN SICH GEGEN DIE VERANTWORTLICHEN FÜR UNTERDRÜCKUNG UND REPRESSION“.

DAS ZIEL DIESER AKTION, WAR EINE ANTWORT ZU GEBEN, SOWOHL AUF DIE AGGRESSIONEN DER CARABINEROS ALS AUCH AUF DIE EINES EHEMALIGEN INNENMINISTERS, DER FÜR SEINE REPRESSIVE SEITE BEKANNT IST UND HEUTE EINEN WIRTSCHAFTSKONZERN LEITET, DEM PRAKTISCH GANZ CHILE GEHÖRT, WURDE VOLL UND GANZ ERFÜLLT“.

Der März zeichnete sich als ein Schlüsselmonat ab, in dem viele Dinge passieren konnten, einschließlich des Rücktritts von Piñera, und in diesem Zusammenhang beschloss ich, zu dieser Revolte beizutragen, indem ich zwei Sprengsätze platzierte.“

Von Beginn des Aufstandes an war ich bei den verschiedenen Demonstrationen dabei, die Tag für Tag stattfanden, und ich konnte sehen, wie junge Menschen blutüberströmt unter den Geschossen und Tränengasbomben der Carabineros zu Boden gingen, nur wenige Meter von mir entfernt. Aus diesem Grund hat die Revolte die Carabineros als einen ihrer Hauptfeinde identifiziert, weshalb ein Angriff auf sie unerlässlich und völlig gerechtfertigt war“.

Der Knast ist nicht das Ende von allem

Wenn man sich entscheidet, den Weg der Konfrontation gegen das Bestehende zu gehen, wenn der Anarchismus durch eine offensive Praxis gegen den herrschenden Autoritarismus in die Tat umgesetzt wird, wenn man davon ausgeht, dass revolutionäre Gewalt eine absolut notwendige und legitime Antwort auf das Gewaltmonopol des Staates ist, dann ist auch der Knast als strafendes Instrument, das alle, die sich gegen die Ordnung der Mächtigen erheben, einsperren und vernichten will, eine Realität und eine immer latente Möglichkeit.

Man muss auf jeden Fall immer versuchen, repressive Schläge und Knast zu vermeiden, aber man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass er eine mögliche Folge ist. In dieser Klarheit sollte der Knast nicht unbedingt das tragische Ende eines Kampfweges oder eine Klammer sein, die den aufständischen Willen suspendiert. Der Knast kann als ein Ort des Widerstands gelebt werden, er kann als Anarchist*innen und Revolutionäre erlebt werden, er kann als ein weiterer Kampfplatz konstituiert werden, wobei natürlich klar ist, dass diese Art, dem Knast zu begegnen, immer durch die Beschränkungen und Einschränkungen bedingt sein wird, die diesen Mauern und Gittern eigen sind.

Aus dieser Perspektive haben Mónica und Francisco in diesen drei Jahren Gefängnis nach ihrer letzten Verhaftung die Gefängnisrealität, in der sie leben müssen, in einen neuen Kampfkontext verwandelt.

Als Anarchist*innen haben sie sich aus einer Position der Spannung gegenüber dem Gefängnisapparat und ihren Schließer*innen heraus positioniert. Sie haben versucht, sich aus ihrer eigenen widerspenstigen Position heraus zu positionieren, die nicht nur darauf abzielt, sich vom Rest der Knackis zu unterscheiden, sondern auch darauf, sich in der Kontinuität eines anarchistischen Kampfes zu verorten und sichtbar zu machen.

Zweifelsohne ist die Rebellion gegen die Missstände des Knastalltags für beide Gefährt*innen eine unvermeidliche Konstante, die Teil oder Erweiterung ihrer politischen Definition und Praxis ist. Aber der Ort, an dem die Affirmation, dass der Knast ein weiterer Kampfplatz werden muss, für sie Bedeutung und Konsistenz erlangt hat, ist vor allem die ständige Suche nach einer aktiven Verbindung mit anarchischen, solidarischen Kreisen, immer aus der Horizontalität und der aufständischen Harmonie heraus, dies hat sich vor allem in ihrem Beitrag zu den Überlegungen und Debatten innerhalb der anarchistischen Welt niedergeschlagen, sowohl in Form von Analysen der aktuellen Situation als auch in Form von Vorschlägen für Aktionen, ganz zu schweigen von ihren ständigen Worten der Solidarität und Unterstützung für verschiedene Initiativen oder für andere Gefährt*innen im Kampf, sei es in der Nähe oder aus anderen Gebieten.

In diesem Sinne ist es wichtig, die Kommuniqués zu erwähnen, die sie in dieser Zeit gemeinsam oder als Individuum verfasst haben, die nicht nur einen Beitrag zur Debatte und zur anarchistischen Arbeit in der Praxis leisten, sondern auch Kommunikationskanäle sind, die es uns ermöglichen, Überlegungen und Vorschläge von verschiedenen Gefährt*innen und in verschiedenen territorialen Kampfrealitäten zu verbinden. Ebenso waren ihre Beiträge zu verschiedenen anarchistischen Publikationen von grundlegender Bedeutung, wie z.B. Einleitungen zu Büchern oder Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. Unter den letzteren sind ihre Anti-Gefängnis-Texte zu nennen, die die anarchistische Zeitung „Tinta de Fuga“ genährt haben, und die ständige Zusammenarbeit, die Francisco vor und während seiner Haft mit der internationalen anarchistischen Zeitschrift „Kalinov Most“ hatte, die in mehreren Ländern und in verschiedenen Sprachen veröffentlicht wird.

Das Leben im Gefängnis als Erweiterung der anarchistischen praktischen Kohärenz spiegelt sich im Fall von Mónica und Francisco auch in der Komplizenschaft und Artikulation wider, die sie mit anderen Gefangenen, die den Knast aus einer anarchistischen, subversiven und widerspenstigen Position heraus durchlaufen, geschaffen haben. Aus dieser Position heraus müssen wir zum Beispiel die Teilnahme der beiden als Teil einer Gruppe von inhaftierten Gefährt*innen verstehen, die als „anarchistische und subversive Gefangene“14 bezeichnet werden und mit denen sie eine politische Strategie entwickelt haben, um dem Gefängnis kollektiv auf der Grundlage gemeinsamer Codes und Wege zu begegnen. Aus dieser Artikulation heraus haben sie gemeinsam eine Reihe von Kommuniqués verfasst und als Gruppe einen Hungerstreik durchgeführt, der am 22. März 2021 begann, mehr als 50 Tage dauerte und in dem sie die Aufhebung der Änderungen des Gesetzesdekrets 321 und die Freilassung von Marcelo Villarroel forderten. Die Solidarität, Kommunikation und Komplizenschaft der beiden mit den Gefangenen des sozialen Krieges hat sich auch mit anderen gleichgesinnten Gefährt*innen materialisiert, die sich derzeit im Gefängnis befinden, wie die Gefährt*innen des Falles „Susaron“ oder die Gefährt*innen des Falles „Gendarmerie“.

Die Tatsache, dass beide in dieser Zeit der Inhaftierung den Knast in ein neues Szenario des Kampfes verwandelt haben, ist die Antwort auf eine lange Geschichte politischer und subversiver Inhaftierung, die in verschiedenen historischen Kontexten und mit unterschiedlichen Taktiken und Realitäten zur Realität und zum Kampf in den Gefängnissen dieses Gebietes inhärent ist. Zweifellos hat das aktuelle Szenario seine eigenen Besonderheiten, aber in diesem aktuellen Kontext haben Mónica und Francisco beschlossen, sich dem Gefängnis als aufrecht und aktiv, als Anarchist*innen und konsequent zu stellen.

Es liegen schwierige Tage vor uns und das Panorama, das vor uns liegt, ist komplex. Wir werden erneut auf der Anklagebank sitzen, angeklagt für die Taten, die uns vorgeworfen werden, und für die Verbreitung der herrschaftsfeindlichen Ideen und Praktiken, für die wir immer eingetreten sind, ganz gleich, wie viele Jahre Gefängnis wir riskieren (…) Wir sind stolz auf den Weg, den wir gewählt und zurückgelegt haben, ohne die unerlässliche Selbstkritik zu vernachlässigen, die uns wachsen lässt. Mögen unsere Fehler anderen dienen, die leidenschaftlich sind und die schönen Momente der Konfrontation mit der Macht lieben, die für uns die Momente sind, in denen wir uns am lebendigsten fühlen.“

Auszug aus den Worten von Mónica und Francisco vor dem kommenden Prozess, April 2023

Erneut über Solidarität sprechen

Angesichts des Prozesses gegen die Gefährt*innen Mónica und Francisco ist es natürlich und zwingend notwendig, von Solidarität zu sprechen, wie könnte man auch nicht? Diese Publikation wurde zu einem großen Teil durch eine Solidaritätskampagne mit ihnen geboren und inspiriert. Zweifellos ist die Solidarität ein immer wiederkehrendes Thema, wenn wir über Gefährt*innen im Knast sprechen.

Bei unzähligen Gelegenheiten appellieren, fordern und agitieren wir aus und für die Solidarität. Auch in Slogans und Phrasen zum Abschluss von Texten oder Debatten kommen wir oft auf denselben Punkt zurück.

Bei dieser Gelegenheit werfen wir einen weiteren Blick auf den Begriff, vielleicht ohne unbedingt einen neuen Ansatz zu erwarten, aber es ist wichtig, ein paar Zeilen zur Solidarität zu skizzieren, denn gerade in dieser Dimension haben sich unsere Wege mehr als einmal gekreuzt. Mit ihnen hinter Gittern, und auch mit ihnen draußen in Solidarität mit anderen Gefährt*innen im Knast.

Die Kritik an der Opferrolle wiederholen, den Assistenzialismus nochmals ablehnen, denjenigen die Schuld geben, die sich nicht engagieren? Dies könnten einige Möglichkeiten sein, das Thema mit mehr oder weniger Erfolg zu behandeln. Diesmal möchten wir jedoch einige der Probleme, die sich aus dem konkreten Fall ergeben haben, und deren Behandlung aufzeigen und zusammentragen.

Im Moment ist die Staatsanwaltschaft dabei, ihre Unterlagen zu ordnen, ihre Anschuldigungen zu sammeln und die Räder der Justiz zu ölen. Es werden wieder außergewöhnliche Strafen angestrebt und sie werden in den Knästen begraben werden. Es ist das dritte Mal, dass sie mit der Justiz konfrontiert werden, und ein Antrag auf 130 Jahre zeigt die Bereitschaft der Machthaber. Wie viele Leben müssen sie noch leben, um die Träume der Verfolger zu erfüllen?

Nachdem die Gefährt*innen identifiziert und verhaftet worden waren, haben die Machthaber ihre Karten auf den Tisch gelegt und ihre Haltung deutlich gemacht. Und wir? Es gab unterschiedliche Reaktionen (wenn überhaupt): „Es gibt nicht viel zu tun, das Urteil steht bereits fest“, „Wir brauchen dringend gute Anwälte“, „Aber wenn sie es waren, gibt es keine Möglichkeit, sie zu verteidigen“ oder „Wir können ihre Namen nur auf die Liste der Gefangenen setzen, mit denen wir solidarisch sein müssen“, sind nur einige der Positionen, die mit mehr oder weniger Überzeugung vorgetragen wurden. Um ehrlich zu sein, ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Gefühl der Ohnmacht oder sogar der Frustration jedes Gespräch über diesen Fall durchdringt. „Aller guten Dinge sind drei“, werden andere sagen15. Nach einem Wutausbruch oder einer plötzlichen Wut wird das Thema vielleicht in die düstere Gewissheit abgleiten, dass nicht mehr viel getan werden kann.

Angesichts dieser Realität scheint die Solidarität ein nützliches Konzept zu sein, vielleicht unsere Chance, aus der Sackgasse herauszukommen, die Initiative zu ergreifen und nicht auf die Schläge zu warten. Aber woher kommt das Verständnis von Solidarität, wie können wir sie sehen, wie nützlich kann sie in der Praxis sein? Solidarität ist eindeutig kein einzigartiges und exklusives Attribut der anarchistischen Kreise. Im Laufe der Geschichte haben verschiedene subversive Gruppen und Bereiche sie in ihre eigenen Hände genommen und ihr ihren eigenen Stempel aufgedrückt.

In einem kurzen Rückblick auf einige sicherlich paradigmatische Positionen zu diesem Thema können wir die von Action Directe eingenommenen Positionen betrachten. Von 1977 bis 1987 führte eine bewaffnete Gruppe aus der Autonomie heraus eine Reihe von Aktionen gegen den französischen Kapital-Staat durch. Der Staat reagierte darauf mit der Inhaftierung zahlreicher Mitglieder, insbesondere von Jean-Marc Rouillan, Nathalie Ménigon und Georges Cipriani, die zu lebenslanger Haft in brutaler Isolationshaft verurteilt wurden.

Während der Tätigkeit der Gruppe in den 1980er Jahren vertrat sie einen besonderen Standpunkt zur Solidarität. Die beste Art, Gefährt*innen im Gefängnis zu begleiten, ist die Fortsetzung und Vertiefung ihres Kampfes. „Die Gesellschaft wird uns schon mit Sozialarbeitern und Priestern versorgen, Revolutionäre sollten sich mit anderen Dingen beschäftigen“16, betonten sie und übten deutliche Kritik an der Dynamik der Repression-Solidarität, um ihre Energien und Kräfte der Vertiefung des bewaffneten Kampfes zu widmen.

An anderer Stelle finden wir die RAF (Rote Armee Fraktion), eine deutsche Stadtguerillagruppe mit einer dem Maoismus nahestehenden Tendenz, die große Anstrengungen zur Rettung der ersten Generation von Gefangenen unternahm. Die wichtigsten Aktionen und ein Großteil ihrer Energie zielten darauf ab, ihre Gründungsmitglieder aus dem Gefängnis zu befreien, die mit der Härte der Vernichtungsisolationshaft konfrontiert waren, an der sie schließlich starben. Die wachsende Dynamik des Konflikts und des sozialen Krieges in den frühen 1970er Jahren in Deutschland stellte die Gefangenen in den Mittelpunkt, die in erster Linie durch Hungerstreiks und Koordination mit der Außenwelt, die ihre Freilassung zur obersten Priorität machte, zu ihrer Verschärfung beitrugen.

An anderer Stelle findet sich die Reflexion des anarchistischen Gefangenen Harold H. Thompson in den US-Gefängnissen, die in einem ikonischen Satz festgehalten wurde: „Eine Bewegung, die ihre Gefangenen vergisst, ist zur Niederlage verdammt“. Weit weniger hoffnungsvoll auf einen möglichen Sieg und von einer nihilistischen Tendenz geprägt, erklärte Gerasimo Tsakalos, Mitglied der Verschwörung der Feuerzellen, aus den griechischen Gefängnissen

„Wer die Kriegsgefangenen vergisst, vergisst am Ende den Krieg selbst“, was in der chilenischen Revolte mit „Wer die Gefangenen vergisst, vergisst den Kampf“ seine Entsprechung fand. Mit all seinen Nuancen ist die Bedeutung dieselbe: Die Realität des Gefängnisses ist eng mit der Realität des Kampfes auf der Straße verbunden, und ein unverzichtbarer Weg, den Kampf fortzusetzen, ist die Unterstützung der Gefährt*innen im Gefängnis.

Dabei geht es nicht darum, exklusiv die eine oder andere Position einzunehmen, sondern darum, die Frage zu stellen und fortzuführen, welche Beziehung wir zu (oder von) den Knästen herstellen. In dieser Hinsicht ist es notwendig, sich einer unbestreitbaren Realität zu stellen: Der Knast und seine Dynamik perpetuieren assitenzialistische Formen der Unterstützung. Die wichtigste Unterstützung für das Überleben im Knast sind die Netzwerke von außen auf verschiedenen Ebenen (materiell, emotional und politisch, um nur einige zu nennen). Die Pakete, die Kleidung, das Geld, die Besuche, sind Elemente, die von außen verwaltet werden. Der Knast bestraft nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihr Umfeld, und im Fall der anarchistischen und subversiven Gefangenen ist dies keine Ausnahme.

Angesichts dieser Realität wird es zu einer großen Herausforderung, eine konkrete Solidarität im Gefängnis aufrechtzuerhalten und gleichzeitig den Assistenzialismus zu umgehen. Wenn wir dazu noch die möglichen gesetzlichen Kosten addieren, wird das Thema zu einer ständigen ökonomischen Notwendigkeit, die leicht alle Initiativen wegnehmen und jede revolutionäre Perspektive ersticken könnte.

Bei der Entwicklung anarchischer Solidarität geht es nicht nur darum, dem Wort ein weiteres Adjektiv hinzuzufügen, sondern auch darum, eine eigene Definition zu entwickeln. Praktiken wie Horizontalität, Affinität und Informalität müssen auf die Dynamik der Solidarität übertragen werden, sowohl aus der Sicht der Gefangenen als auch aus der Perspektive der Offensive. Solidaritätskampagnen, die auf der Suche nach Unterstützung sind, scheinen ein Dilemma zu schaffen, bei dem die einzige Möglichkeit, sich zu verbinden, darin besteht, sich anzuschließen oder gleichgültig zu bleiben. Die Überwindung der Rolle des passiven oder aktiven Zuschauers ist die Herausforderung, um die Realität des Gefängnisses kollektiv anzunehmen, um sie aktiv in den Kampf einzubeziehen, nicht als Nachhut oder schuldige Pflicht. Wir können nicht dazu beitragen, den Gefangenen in eine von der Macht auferlegte Rolle zu pressen, als ob er/sie nur zu gefängnisinternen Themen sprechen/handeln/vorschlagen könnte.

Zu dieser Herausforderung gehört auch die Öffnung von Diskussionsräumen zwischen beiden Seiten der Mauer. Diskussionen, Reflexionen und die Teilnahme an Initiativen haben es geschafft, die Rolle des Zuschauers oder des auf Solidarität wartenden Subjekts zu zerstören. Die Verwaltung und der Aufbau von Vorschlägen zwischen Gefangenen oder zwischen Gefangenen und der Außenwelt geht über den Kampf gegen den Knast als einzigen Horizont hinaus und verleiht ihm eine revolutionäre Projektion. Der Knast wird zu einem Territorium, von dem aus man sich beteiligen kann.

Die anarchische Solidarität versteht es, Mythen, Denkmäler oder Idole zu zerstören, indem sie in der Praxis feststellt, dass der Knast nicht das Ende eines Kampfweges ist, sondern seine Fortsetzung, aber sie distanziert sich auch von der Aufopferung als einem Wert. Die Umwandlung des Knastes in eine andere Etappe des Kampfes, in der die Erfahrungen auf beiden Seiten der Mauer fließen, spricht von Rückkoppelungen, in denen der Rhythmus des Knastes von außen wahrgenommen wird und der Rhythmus der Straße von innen nicht verloren geht.

Die gerichtlichen Angriffe, Prozesse und Verurteilungen als Offensiven der Macht auf der Straße zu verstehen, zwingt uns, jeden Anflug von Resignation zu überwinden und alle Möglichkeiten zu erkunden, sie in Momente und Zyklen der Konfliktverschärfung zu verwandeln. Die Weitergabe von Erfahrungen und die Forderung nach Aktionen ermöglicht es uns, die Initiative auf unsere Seite zurückzuholen und unsere Positionen zu stärken.

Wir fühlen, dass wir Teil eines langen Weges von Kämpfen gegen die Herrschaft sind, eines historischen Weges, der sich mit den verschiedenen Konfliktszenarien verändert. Seit vielen Jahren haben wir uns entschlossen, die negierenden Wege der Anarchie zu beschreiten, indem wir sie als eine ständige Spannung verstehen, die in ihrer konstruktiven/zerstörerischen Dialektik weder eine absolute Wahrheit noch einen Ankunftsort darstellt, unser Leben ist nicht losgelöst von unserem enormen Wunsch, in Übereinstimmung mit unseren Ideen zu leben, wir nehmen dies mit allen Widersprüchen an, die es mit sich bringt, ebenso wie seine Konsequenzen. In diesen Briefen geht es uns einmal mehr darum, den Angriff auf jede Form der Macht zu loben und zu ermutigen. Wir bekräftigen mit Nachdruck, dass wir Rache- und Sabotageakte als eine dringende Notwendigkeit verstehen, deren Vervielfältigung und Verbreitung unbestreitbar anarchische Räume und Kampfpositionen stärkt. Wir glauben, dass der Einsatz notwendigerweise auf die Qualifizierung des Konflikts abzielen muss, auf das Verlassen der Räume der Bequemlichkeit, um die Perspektiven zu erweitern und dort zu treffen, wo es am meisten weh tut (…) Jeder Angriff auf die Macht aus einer antiautoritären Perspektive ist für uns gültig“.

Auszug aus den Worten von Mónica und Francisco zwei Jahre nach ihrer Inhaftierung, Juli 2022

Über die Notwendigkeit und Gültigkeit einer anarchischen aufständischen Praxis Abgesehen von den juristischen Implikationen und Diskussionen, die Teil des Prozesses sein werden, der Francisco und Mónica ab dem 18. Juli bevorsteht, und ohne die Ergebnisse dieses Prozesses aus den Augen zu verlieren, da wir wissen, dass sie exemplarische Strafen mit hohen Gefängnisstrafen anstreben werden, ist es für uns auch ein entscheidender Moment, von unserem politischen und kämpferischen Platz als Anarchist*innen aus eine notwendige Reflexion über die offensive und aufständische antiautoritäre Praxis anzusprechen, eine Reflexion, die im Kontext eines andauernden sozialen Krieges verortet und mit Leben erfüllt werden muss.

Die Taten, für die sie angeklagt und verurteilt werden – die wir konkret und klar als Angriffe auf die Mächtigen und Unterdrücker definieren könnten – müssen als Aktionen betrachtet werden, die Teil einer langen Geschichte des offensiven Anarchismus sind, der zu verschiedenen historischen Momenten und in verschiedenen Szenarien und Territorien gezeigt hat, dass angesichts des staatlichen Gewaltmonopols und als Antwort auf die erdrückende Realität einer von Unterdrückern und den Eigentümern dieser Welt errichteten sozialen Ordnung die Anwendung politischer Gewalt absolut legitim und notwendig ist und immer sein wird.

Von dieser Kühnheit und Klarheit ausgehend haben verschiedene anarchistische revolutionäre Willensbekundungen – sowohl von der individuellen aufständischen Initiative als auch von der offensiven Artikulation auf der Grundlage der Affinität – mit Schießpulver und Feuer die Geschichte der Konfrontation mit dem Bestehenden geschrieben, in die der schwarze anarchistische Stempel eingeprägt wurde.

Um nur einige Aktionen zu nennen: Gaetano Brescis Attentat auf den italienischen König Humberto I. im Jahr 1900; das Attentat auf den US-Präsidenten im Jahr 1901 durch den in Polen geborenen Anarchisten Leon Czolgosz; oder bereits in jüngerer Zeit eine Reihe von Sprengstoff- und Brandsabotagen im Kampf gegen den Hochsicherheitszug in Norditalien und die drei Schüsse ins Bein, die Alfredo Cospito präzise auf den Atomunternehmer Rodolfo Adinolfi abfeuerte, sind Zeugnisse und Teile der gleichen historischen Offensiven des Anarchismus, der die Aktionen von morgen immer voraussetzen und qualifizieren muss.

Über den anarchistischen Insurrektionalismus zu sprechen bedeutet auch, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, die diese Perspektive der Aktion umgibt. Bei vielen Gelegenheiten kommen die häufigsten und heftigsten Kritiken aus der gleichen anarchistischen Welt, in dem Verständnis, dass der Reichtum und die Besonderheit des Anarchismus gerade in der Tatsache liegt, dass er nicht auf orthodoxen Prinzipien und starren dogmatischen Rahmen aufgebaut ist, sondern vielmehr das Aufeinandertreffen (und Auseinandergehen) verschiedener antiautoritärer Ansichten und Taktiken erlaubt hat. Bevor wir uns mit dieser Kritik auseinandersetzen, ist es notwendig, einige wesentliche Aspekte des Insurrektionalismus zu klären.

Es mag offensichtlich erscheinen, aber das macht es nicht irrelevant zu erwähnen, dass die Idee und der Aufruf zum Aufstand nicht exklusiv für den Anarchismus ist. Verschiedene linke revolutionäre Strömungen – marxistisch, leninistisch, maoistisch – haben den Aufstand als notwendiges Vorspiel zur Erreichung des Sozialismus befürwortet. Auch der Aufstand, verstanden als ein populärer Aufstand, war in der Geschichte der sozialen Kämpfe präsent, wie zum Beispiel in der Pariser Kommune.

Die Einbindung dieses Konzepts in den Anarchismus hat mit einem Vorschlag für eine anarchistische revolutionäre Aktion zu tun; eine aufständische Tendenz, die auf Informalität und Affinität beruht und bei der Angriff und revolutionäre Gewalt eine führende, aber nicht ausschließliche Rolle spielen.

Innerhalb dieser Kontinuität der offensiven Praxis in der Geschichte des Anarchismus, die in den vorangegangenen Abschnitten erwähnt wurde, muss der Insurrektionalismus als eine eher zeitgenössische taktische Neukonzipierung verstanden werden, die jedoch eng mit anderen Momenten von Vorschlägen und Definitionen der Ausübung anarchischer Gewalt verbunden ist. Die Propaganda der Tat, der Anarcho-Individualismus, der Illegalismus, der anti-organisatorische Anarchismus sind einige der Erfahrungen und Ansichten, die die gesamte aufständische Praxis nähren.

Es stimmt zwar, dass dieser Begriff innerhalb des Anarchismus in Italien in den 1980er Jahren aus den strategischen Überlegungen einer Reihe von Gefährt*innen entstanden ist, von denen Alfredo Bonanno am meisten mit diesem Vorschlag identifiziert wird, aber es stimmt auch, dass diese Tendenz heute über diesen anfänglichen Ansatz hinausgeht und ihn überschreitet, denn es gibt auch einen kämpferischen Anarchismus, der eine praktische und taktische Kritik an der Abgrenzung von Angriffen ausschließlich im Rahmen von „Zwischenkämpfen“, wie es Bonannos Insurrektionalismus17 ausdrückt, geübt hat und damit die Bedeutung und die Möglichkeiten von Aktionen erweitert.

Jenseits aller Adjektive müssen wir den Platz hervorheben, den die offensive Konfliktualität auf der Grundlage informeller und affiner Gruppen auch heute noch im Anarchismus einnimmt, wobei wir verstehen, dass der Anarchismus der Praxis jenseits der revolutionären teleologischen Diskurse weiterhin ein ständiger Beitrag im Kampf gegen ein Herrschaftssystem ist, der im Hier und Jetzt unmissverständlich auf das beklagenswerte Szenario des Bestehenden hinweist.

Ein Aktionsvorschlag wie der Insurrektionalismus, der mit den überholten Vorstellungen vom Aufbau eines revolutionären Prozesses auf der Grundlage eines strategischen Programms bricht, das sich notwendigerweise auf organisatorische Strukturen stützen muss, die sich ausschließlich auf den Klassenkampf beschränken und auf den Aufbau einer „Volksmacht“18 ausgerichtet sind, hat viel Antipathie hervorgerufen und war Gegenstand vieler Diskussionen, hat viele Antikörper und daher bittere Kritik von jenen hervorgerufen, die einen revolutionären Bruchvorschlag, der auf der Komplexität dessen basiert, was es bedeutet, sich radikal gegen Macht und Autoritarismus zu erheben, wo die individuelle Freiheit gegenüber den organisatorischen Maschinen axiomatisch bleibt, nicht assimilieren können.

Unter diesen Kritikern können wir diejenigen erwähnen, die versucht haben, den Insurrektionalismus als „Ideologie“19 zu brandmarken, indem sie ihn dafür verantwortlich machten, ein Hindernis für den Wiederaufbau der revolutionären proletarischen Bewegung zu sein. Wir denken, dass aus diesen kurzen Abschnitten klar wird, warum der Beiname Ideologie keinen Platz hat. Im Rahmen einer historischen Praxis des Anarchismus katalysiert der Insurrektionalismus eine Taktik, die die informelle und freie Organisation zwischen Individuen auf der Grundlage ihrer Affinität rettet, die ihre revolutionäre Tätigkeit auf der Grundlage ihrer besonderen Realitäten und Möglichkeiten ausrichten.

Von Seiten des Anarchismus, der ständig den Aufbau einer starken Organisation und die Dringlichkeit der Eingliederung in die Massen durch Strategien, die auf einem einzigen, vereinheitlichenden Programm beruhen, fordert, werden antiautoritäre aufständische Tendenzen oft disqualifiziert, indem sie als lediglich freiwillige Antworten bezeichnet werden, die durch eigennützige Logiken motiviert sind und denen es an einem konkreten Vorschlag in strategischer Hinsicht fehlt. Wenn man die Gegenwart betrachtet und auch eine diachrone Analyse vornimmt, stellt man fest, dass die selbstverliebte Militanz im Anarchismus vor allem bei denjenigen zu finden ist, die sich blindlings auf einen programmatischen Weg zu einem anarchistischen Gesellschaftsprojekt begeben, da sie sich fast mechanisch und andächtig auf einen Horizont zubewegen, der es ihnen nicht erlaubt, der Gegenwart kategorisch zu begegnen.

Strukturelle Gewalt, kapitalistische Verwüstung, Patriarchat, autoritäre Unterdrückung, soziale Ungleichheiten sind Teil des täglichen Lebens, das wir in die Hand nehmen müssen. Auf diese Realität mit Konflikten und der anarchischen Offensive zu reagieren, wird zu einem Imperativ, der weit entfernt von jeglichem Voluntarismus ein Aktionsvorschlag ist, der ein Hier und Jetzt verlangt, in der Gewissheit, dass es sich über die langfristigen strategischen Auswirkungen hinaus um Schläge handelt, die die Gegenwart belasten und die notwendigen Risse für morgen erzeugen.

Von hier aus bekräftigen wir mit Überzeugung und Gewissheit, dass die Schläge und Angriffe gegen die Mächtigen und Unterdrücker absolut legitim und notwendig sind; dass die aufständischen Tendenzen im Anarchismus ein konstituierender Teil der Bewegung seit ihren Ursprüngen sind und waren; und dass wir in all dem Mónica und Francisco umarmen und stark unterstützen, da ihre Wege und ihre Aktionen Teil eines anarchischen Ganzen sind, das absolut gültig ist.

HEUTE KLEIDET SICH DIE MACHT NACH DER MODE, SIE KLEIDET SICH IN FEMINISTISCHE UND SEXUELLE DISSIDENZ (…) DIE MÄCHTIGEN KÖNNEN DIESE ODER ANDERE KLEIDER ANZIEHEN, UM SICH AN DER MACHT ZU HALTEN, GENAUSO WIE SIE VERSCHIEDENE INITIATIVEN ZUR VERBESSERUNG DER LEBENSBEDINGUNGEN VON FRAUEN UND SEXUELLEN DISSIDENTEN INS LEBEN RUFEN KÖNNEN, ABER DIE AUSÜBUNG DER MACHT UND DAMIT DIE STAATLICHE HERRSCHAFT WIRD NICHT ENDEN. VERÄNDERUNGEN IN DER ART UND WEISE, WIE DIE MÄCHTIGEN DIE UNTERWERFUNG „VERMENSCHLICHEN“ ODER EINEN WEICHEREN REPRESSIONSAPPARAT SCHAFFEN, (…) SOLLTEN NICHT TEIL DER KÄMPFE DERJENIGEN SEIN, DIE WIRKLICH DIE RADIKALE ZERSTÖRUNG ALLER FORMEN DER UNTERDRÜCKUNG WOLLEN. DAMIT SICH ETWAS RADIKAL ÄNDERT, MÜSSEN WIR ALLE HANDELN, OHNE DELEGIERTE, OHNE VERMITTLER*INNEN, OHNE ZU WARTEN. HEUTE GEHEN DIEJENIGEN AUF DIE STRASSE, DIE NICHT DARAUF WARTEN, DASS ANDERE IHRE KETTEN ZERBRECHEN, DIEJENIGEN, DIE HIER UND JETZT DAS PATRIARCHAT ZERSTÖREN WOLLEN“

Auszüge aus der Erklärung von Mónica „Der Kampf gegen den Staat ist Teil des Kampfes gegen das Patriarchat“, März 2022

Wie erreichen wir Momente der Freiheit, auch wenn sie nur kurz und sporadisch sind? Was sind die Momente, in denen wir spüren, dass das, was uns begrenzt und einschränkt, an Gewicht und Bedeutung verliert? Die Antworten können vielfältig sein, je nach den Interessen jedes Individuums, je nachdem, wie es sich in dieser Welt versteht und verortet. Vielleicht fühlen sich einige von uns bereits frei und diese Fragen sind überflüssig, da sie außerhalb der Tentakel der Macht unnötig wären. Diejenigen unter uns, die nicht in solchen Tagträumen schwelgen, wissen, dass die Existenz des Staates uns in eine Situation der Unterdrückung bringt, eine Situation, die bekämpft und angegriffen werden muss, wenn Freiheit unser Ziel ist. Es kann nicht anders sein. Und genau in dieser Möglichkeit des Angriffs finden wir die wahren Momente der Freiheit. Von dem Moment an, in dem wir uns entscheiden, dieser Welt entgegenzutreten und uns als ihre Feinde zu positionieren, beginnen wir, unsere Umgebung anders zu betrachten, wir beginnen, Ziele und ihre verwundbaren Punkte zu visualisieren, wir beginnen, den besten Weg zu sehen, um die Macht anzugreifen, wir beginnen, uns offensiv zu positionieren; kurz gesagt, wir beginnen, uns in gewisser Weise unser Leben anzueignen! In der Erzeugung von Komplizenschaft, in der Konspiration und in der Aktion lösen wir Glieder aus unseren Ketten, wir erleben, wenn auch flüchtig, kleine Momente der Freiheit“.

Auszüge aus den Worten von Francisco einen Monat nach seiner Inhaftierung, August 2020.

  CHRONOLOGIE:

18. Januar 2006. Sprengstoffanschlag auf den Geheimdienst Agencia Nacional de Inteligencia.

Ein Sprengsatz aus Schwarzpulver, das in einer Gasflasche komprimiert wurde, wird an der Fassade des Geheimdienstes angebracht. In Flugblättern übernimmt für die Aktion die „Fuerzas autonómicas y destructivas León Czolgoscz – Autonomen und zerstörerischen Kräften Leon Czolgoscz“ die Verantwortung.

21. Dezember 2006. Sprengstoffanschlag auf den Consejo de Defensa del Estado (A.d.Ü., Staatsverteidigungsrat).

Ein aus Schwarzpulver bestehender Sprengsatz wird in eine Gasflasche am Eingang der Institution gelegt. Für die Aktion übernimmt „Tamayo Gavilán“ per Flugblatt und im Internet die Verantwortung.

16. Oktober 2007. Sprengstoffanschlag in Chilectra.

Ein TNT-Sprengsatz wird in einer Filiale der Elektrizitätsgesellschaft Chilectra gezündet. In anonymen Flugblättern wird die Verantwortung für den Anschlag übernommen.

21. November 2009. Brandanschlag auf die Kirche Los Sacramentinos.

Ein Brandsatz explodiert an der Tür der Kirche. Für die Aktion übernimmt „Célula Rodrigo Orias“ via Kommuniqués die Verantwortung.

14. August 2010. Verhaftungen im Rahmen der Operación Salamandra/Caso Bombas.

Mónica und Francisco werden zusammen mit 12 weiteren Gefährt*innen von der Fiscalía Sur unter der Leitung von Alejandro Peña verhaftet. Den Verhafteten wird vorgeworfen, eine hierarchische Gruppe gebildet zu haben, die sich dem Anbringen von Sprengsätzen widmete, und zwar im Rahmen der Straftatbestände der illegalen terroristischen Vereinigung, des Anbringens von Sprengsätzen und der Finanzierung des Terrorismus. Francisco wird der Anschlag auf die ANI, den CDE und Chilectra vorgeworfen, während Mónica der Anschlag auf die Sacramentinos-Kirche zur Last gelegt wird.

21. Februar – 26. April 2011. Hungerstreik der Gefangenen im Caso Bombas.

Mónica, Francisco und die übrigen im Gefängnis verbliebenen Gefährt*innen treten in einen Hungerstreik, um das Verfahren gegen sie abzulehnen, was zu einer breiten nationalen und internationalen Solidarität führt.

3. Mai 2011. Mónica wird aus dem Gefängnis entlassen.

Die Gefährtin Mónica wird aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt, während sie auf ihren Prozess wartet.

5. Mai 2011. Francisco wird aus dem Gefängnis entlassen.

Francisco wird aus dem Gefängnis entlassen und bis zum Prozess unter Hausarrest gestellt.

4. Oktober 2011. Freispruch von der Anklage der illegalen terroristischen Vereinigung.

Alle Angeklagten werden vom Vorwurf der illegalen terroristischen Vereinigung freigesprochen. Francisco, Mónica und drei weitere Gefährten werden weiterhin wegen des Anbringens von Sprengkörpern und der Finanzierung des Terrorismus angeklagt.

28. November 2011-Juni 2012. Prozess im Caso Bombas.

Inmitten großer Medienerwartung findet ein umfangreicher Prozess gegen 5 Gefährt*innen statt. Die Staatsanwaltschaft fordert für Mónica 10 Jahre Gefängnis, für Francisco 15 Jahre.

1. Juni 2012. Freispruch für alle Angeklagten.

Der Prozess endet mit einem Freispruch für alle Angeklagten, eine schwere Niederlage für die Staatsanwaltschaft. Der Fall wird zu einer landesweiten Debatte und wird als „die größte Niederlage der Staatsanwaltschaft seit Beginn der Strafprozessreform“ bezeichnet.

2012. Reise nach Spanien.

Mónica und Francisco reisen ohne größere Probleme und beschließen, nach Spanien zu ziehen, um dort zu leben.

2. Oktober 2013. Anschlag auf die Basílica del Pilar in Zaragoza.

Im Inneren des berühmten spanischen Gotteshauses explodiert eine gewaltige Sprengladung. Zu dem Anschlag übernimmt das „Comando Insurreccional Mateo Morral“ die Verantwortung.

13. November 2013. Verhaftung von Mónica und Francisco.

Die Gefährt*innen werden unter dem Vorwurf des jüngsten Sprengstoffanschlags verhaftet. Beide werden in Isolationshaft gesteckt und in verschiedene Gefängnisse in Spanien verlegt.

März 2016. Prozess und Verurteilung in Spanien

Nachdem sie 44 Jahre Gefängnis für die Verbrechen der terroristischen Vereinigung, der Verschwörung, der Körperverletzung und der terroristischen Schädigung beantragt hatten, werden Mónica und Francisco schließlich zu 12 Jahren Haft wegen Körperverletzung und terroristischen Schäden verurteilt.

Dezember 2016. Das Strafmaß wird reduziert.

In mehreren Berufungsverfahren wurde die Strafe auf 4,5 Jahre Gefängnis reduziert und die Straftaten der terroristischen Schädigung und der terroristischen Verletzungen neu eingestuft. In Anbetracht dieser neuen Verurteilung wird ein Abschiebeverfahren eingeleitet.

März 2017. Die Gefährt*innen kehren nach Chile zurück.

In journalistischer Erwartung kehren beide Gefährt*innen ohne restriktive Maßnahmen nach Chile zurück und beginnen, sich in verschiedenen Kreisen der anarchistischen Bewegung zu beteiligen und zu reintegrieren.

25. Juli 2019. Attentat auf Rodrigo Hinzpetter und die 54. Polizeistation.

Zwei Paketbomben werden an die 54. Polizeistation in Huechuraba und das Büro des ehemaligen Innenministers Rodrigo Hinzpeter geschickt. Das Paket gegen die Polizeistation explodiert und hinterlässt acht verletzte Polizisten, während die an Hinzpeter gerichtete Bombe entschärft wird. Für die Aktion übernehmen „Cómplices sediciosos / Fracción por la venganza“ die Verantwortung.

27. Februar 2020. Anschlag auf das Tánica-Gebäude

Ein doppelter Sprengstoffanschlag detoniert in den Gärten des Tanica-Gebäudes inmitten des wohlhabenden Viertels. Der Anschlag findet parallel zum Aufstand in verschiedenen chilenischen Städten statt. Für die Aktion übernehmen die „Afinidades Armadas en Revuelta“ die Verantwortung.

24. Juli 2020. Verhaftung von Mónica und Francisco

In einer Reihe von Razzien werden die Gefährt*innen nach langen Ermittlungen verhaftet. Francisco wird als einziger wegen des Sprengstoffs angeklagt, während beide wegen des Anschlags auf Tanica als Täter beschuldigt werden.

22. März – 10. Mai 2021 Hungerstreik

Hungerstreik von anarchistischen und subversiven Gefangenen in verschiedenen Gefängnissen für die Aufhebung des Gesetzesdekrets 321 und die Freilassung von Marcelo Villarroel. Mónica und Francisco beteiligen sich aktiv an dieser Mobilisierung aus den Gefängnissen.

Dezember 2021: Francisco übernimmt die Verantwortung und Urheberschaft für die Aktionen.

Francisco gibt eine politisch/juristische Erklärung ab, in der er die Verantwortung für die Versendung von Sprengstoffpaketen und den Anschlag auf Tanica übernimmt.

18. Juli 2023. Beginn des Prozesses gegen die Gefährt*innen.

Nach fast drei Jahren Untersuchungshaft beantragt die Staatsanwaltschaft 30 Jahre gegen Mónica und 129 Jahre gegen Francisco und eröffnet damit den Prozess gegen sie.


1Am 13. Juni griff das „Comando Insurreccional Andrés Soto Pantoja“ eine Filiale der Banco Estado in der Avenida Las Condes # 11550 mit einer Bombe mit großer Sprengkraft an.

2Gustavo Fuentes Aliaga, der dem anarchistischen Milieu nahe steht, wird von der Polizei verhaftet, nachdem er seine Ex-Partnerin erstochen hat. In dem Bestreben, aus anderen Gründen unterzutauchen, begann er, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, indem er seine angebliche Beteiligung an Sprengstoffanschlägen erklärte und auf mehrere Personen hinwies, von denen er annahm, dass sie darin verwickelt sein könnten.

3Die Hauptthese der Polizei lautete, dass die Führung von ehemaligen Mitgliedern der Mapu-Lautaro ausgeübt wurde, einer marxistisch-leninistischen Stadtguerillagruppe, die in den 80er und 90er Jahren aktiv war.

4Staatsanwalt Héctor Barros plauderte mit seinen besten mythomanischen Fähigkeiten vor der Presse: „Sie wiesen darauf hin, dass die besetzten Häuser als Bibliotheken gedacht waren, und dass das Geld, das sie hatten, dazu diente, diese zu finanzieren. Aber in diesen Häusern gab es weder Bibliotheken noch Bücher. Es gab zum Beispiel Plakate. Für mich ist das wichtig, weil ich dem Richter sagen kann, dass die Theorie des Falles ist, dass hier eine Bibliothek betrieben wird, aber es stellt sich heraus, dass wir keine Bücher beschlagnahmt haben, sondern das hier. („Fiscalía Sur se va de queja contra juez por Caso bombas y advierte: ‚todos los grupos terroristas se defienden con el montaje’“, La Segunda, Freitag 6. Mai 2011).

5Der Staatsanwalt Antonio Marini eröffnete 1996 einen riesigen Gerichtsprozess gegen mehr als 60 Anarchistinnen und Anarchisten in Italien. Der so genannte „Marini-Prozess“ stützte sich auf die angebliche Existenz einer „subversiven Opposition“, die sowohl einen sichtbaren und scheinbar legalen als auch einen illegalen und klandestinen Charakter hatte. Der Prozess war ein schwerer Schlag für den italienischen Anarchismus und ein Novum im Bereich der Justiz und der Terrorismusbekämpfung, das einen Präzedenzfall für zukünftige repressive Angriffe schuf.

6Von dem Tod des Anarchisten Mauricio Morales im Kampf; der Verhaftung eines Gefährten in Solidarität mit Marcelo und Freddy, die in Argentinien wegen eines Banküberfalls in Chile inhaftiert sind; dem Umfeld der Hausbesetzer, auf das der wahnsinnige Kollaborateur Gustavo Fuentes Aliaga hinwies; neben anderen Fällen, die nicht unbedingt miteinander verbunden waren.

7Von Februar bis April 2011 befanden sich alle Gefangenen des Caso Bombas mehr als 65 Tage lang im Hungerstreik im Gefängnis.

8A.d.Ü., gemeint ist die hispanidad unter anderem die Repräsentation alles spanischen auf der Welt.

9A.d.Ü., was an dieser Stelle gemeint ist, ist die sogenannte dispersión, ein allgemeines Handeln der spanischen Regierung, die Gefangene, vor allem aus der sogenannten baskischen Befreiungsbewegung, aber nicht nur, soweit weg wie möglich von ihrem Zuhause einsperrt. Damit soll nicht nur der Gefangene, sondern auch sein Umfeld, ob familiär oder freundschaftlich, genauso bestraft werden, denn die weite Entfernung soll die Besuche erschweren. Sowohl geistig wie ökonomisch. Es sind einige Fälle von Angehörigen zu bedauern die z.B., in Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind.

10A.d.Ü., in der Regel bei FIES 3 (Mitgliedschaft einer terroristischen Gruppe) sind die Besuche kurzer Dauer. Wir empfehlen dazu folgende Textreihe: Textreihe Isolationshaft und die Geschichte der Repression in Spanien

11Im Gegensatz zu denjenigen, die behaupten, der Aufstand sei am 14. November 2019 durch das Friedensabkommen beendet worden, wurde er im März 2020 fortgesetzt und intensiviert: 79 Polizeistationen wurden angegriffen, ein Wasserwerfer angezündet und Cristian Valdebenito im Zentrum von Santiago ermordet.

12A.d.Ü., während der besagten Revolte in Chile wurden tausende Personen verletzt, viele verloren das Augenlicht aufgrund der Verwendung von Gummigeschossen oder Schrotmunition, oder Körperglieder aufgrund von Blendgranaten, ganz geschweige von der Folter in den Bullenwachen.

13Sie kontrollieren die Hotels Hanga Roa, Cottage de Uruguay und Alto Atacama, das Teatro del Lago und Agua Mineral Puyehue. Außerdem hält das Unternehmen Anteile an Sudamericana de Vapores, Marinsa, Copec und Cencosud. Partner von KidZania, Antarctic Dream, Banco Internacional, Kross Bier, Framberry, Oleotop, Puerto Muelles de Penco und Dunalastair Schulen, neben vielen anderen.

14Dieser Raum der kollektiven Affinität besteht derzeit aus den Gefährt*innen Marcelo Villarroel, Juan Aliste Vega, Joaquín García, sowie Mónica und Francisco

15Beim dritten dritte Mal klappt es

16Kalinov Most N°1 Oktober 2017

17Nach den Erfahrungen der „bleiernen Jahre“ in Italien in den 1970er Jahren und angesichts der Notwendigkeit, anarchistische revolutionäre Praktiken neu zu beleben, begann in den 1980er Jahren der Vorschlag eines „aufständischen Anarchismus“ durch italienische Gefährt*innen Gestalt anzunehmen, unter denen wir Alfredo M. Bonanno und Constantino Cavalleri erwähnen können. Einer der Kernaspekte dieses Vorschlags für anarchistische Aktionen war neben der Informalität, die auf Affinitätsgruppen basierte, die Suche nach anarchistischem Auftreten in „Zwischenkämpfen“, d.h. anarchistische Aktionen und Angriffe auf spezifische soziale Konflikte. Ein emblematisches praktisches Beispiel für diese Taktik war die anarchistische Präsenz im Kampf gegen den Bau des TAV (Hochgeschwindigkeitszug) im Sussa-Tal in Norditalien.

18A.d.Ü., hier ist die Rede von poder popular was sehr gerne falsch ins Deutsche als ‚Gegenmacht‘ übersetzt wird.

19Eine Befragung, die zum Beispiel in dem 2012 veröffentlichten und von den „Proletarios Internacionalistas“ unterzeichneten Buch „Crítica de la Ideología Insurreccionalista- Kritik der insurrektionalistischen Ideologie“ verankert ist.

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