Gefunden auf il rovescio, die Übersetzung ist von uns.
Tschüss, Alfredo
Am vergangenen Mittwoch ist Alfredo Bonanno im Alter von 86 Jahren gestorben.
Über fünfzig Jahre lang hat Alfredo einen sehr wichtigen Beitrag zum revolutionären Anarchismus geleistet, als Redakteur, als Theoretiker, als Mann der Tat, als Experimentator von Organisationsmethoden, die auf Affinität und Informalität basieren. Was ihn radikal von allen Intellektuellen unterschied, war nicht nur seine Ablehnung jeglicher akademischer Karrieren und medialer Repräsentation, sondern die Tatsache, dass die Analyse des Staates und des Kapitalismus für ihn nicht dazu diente, mit klareren Ideen einzuschlafen, sondern um konkrete Konsequenzen – ethische, praktische, organisatorische – für den Alltag zu ziehen. Innerhalb gewisser Invarianten des Anarchismus – allen voran Bakunin, den Alfredo nicht in gelehrten historischen Handbüchern mumifiziert, sondern in die Kämpfe der Gegenwart hineingezogen hat – bestand sein ständiges Bestreben darin, ein der Epoche der technologischen Umstrukturierung des Kapitalismus angemessenes aufständisches Modell zu erdenken und zu praktizieren. Aufstand nicht als Warten auf die Stunde X, sondern als Versuch, konkrete Machtprojekte hier und jetzt mit einer sehr präzisen Methodik anzugreifen: die Affinitätsgruppe als Antrieb, die informelle, von Parteien und Gewerkschaften/Syndikate autonome Struktur als Vorschlag. Vom Individuum über die Gruppe bis hin zu mehr oder weniger großen Teilen der ausgeschlossenen Klasse wurde für Alfredo in der anarchistischen revolutionären Intervention ein qualitativer Begriff von Macht (und Leben) artikuliert.
Aber wir wollen heute nicht über seinen theoretischen Beitrag sprechen, auch nicht über seine hartnäckige Entschlossenheit als Verleger, Organisator, Räuber, Gefangener, sondern über das, was es für einige von uns, damals sehr junge Gefährten, bedeutete, ihn zu kennen. Und ihn nicht nur in den Debatten und Initiativen des Kampfes kennenzulernen, sondern in seinem täglichen Engagement, wo neben seiner beeindruckenden Arbeitsfähigkeit, seiner Offenheit für Konfrontationen, seinem Übermaß an Leben auch sein donnerndes Lachen zum Vorschein kam. Heute denken wir nicht an die Wälzer, Flugblätter oder Kundgebungen, sondern an die Agnolotti, die Alfredo mitten in der Nacht zubereitete, nachdem wir mit dem Schreiben, Blättern und Drucken einer Wochenzeitung fertig waren, an das unwahrscheinliche Outfit – Schlafanzug, Lederschuhe, Schal und Mütze -, mit dem er sich den Technikern der Druckmaschinen oder den Agenten von Digos präsentierte, an die Art und Weise, wie er es verstand, ein zweifellos schwerfälliges Ego mit einer unverkennbaren Selbstironie in Einklang zu bringen.
Zwei Aspekte von Alfredo haben uns wirklich geprägt. Die Spannung nach Kohärenz und der Geist des Abenteuers der Projektualität. Im Gegensatz zur Langatmigkeit mancher seiner Texte waren einige seiner Formeln kurz und stark, wie es nur Lebensgründe sein können.
Warum Kohärenz? Weil wir uns scheiße fühlen, wenn wir nicht auf Ungerechtigkeit reagieren, und wir wollen nicht mit dem Gefühl leben, scheiße zu sein. Muss ich noch mehr sagen?
Und dann der wertvollste seiner Ratschläge, der gerade jetzt, wo wir Zeuge eines unsäglichen Grauens in seinem geliebten Palästina sind, bei uns nachhallt: Wir müssen uns als grenzenlos begreifen und uns von der Realität vor den Kopf stoßen lassen, was er nur allzu großzügig tut, ohne es je zu ahnen.
Denn die Qualität unseres Lebens ist stärker als alles andere. Sogar der Tod.
Ich danke dir, Alfredo.