(1930, Errico Malatesta) Die Insurrektion

Gefunden auf marxists.org, die Übersetzung ist von uns.

Wie wir schon auf unserer Veranstaltung/Diskussion zum ‚Aufständischen Anarchismus‘ sagten, ist es historisch nicht möglich den Anarchismus von der aufständischen Praxis der Massen zu trennen. Wir werden in kommender Zeit mehrere Artikel veröffentlichen, bzw. übersetzen die genau dass unterstreichen, es handelt sich hier um Artikel/Texte aus verschiedenen Epochen und Ländern, die unser Wissen nach auch noch nie zuvor ins Deutsche übersetzt worden sind. Dies ist der fünfte in der Reihe.


Die Insurrektion

Geschrieben: 1930

Quelle: Text aus Life and Ideas: The Anarchist Writings of Errico Malatesta, herausgegeben und übersetzt von Vernon Richards, erschienen bei PM Press.

Aber wie soll diese Revolution erreicht werden?

Natürlich muss man mit dem aufständischen Akt beginnen, der die materiellen Hindernisse, die bewaffneten Kräfte der Regierung, die sich jeder sozialen Veränderung entgegenstellen, hinwegfegt.

Für den Aufstand ist es wünschenswert und vielleicht sogar unabdingbar, dass sich alle antimonarchischen Kräfte zusammenschließen, da wir unter einem monarchistischen Regime leben. Es ist notwendig, moralisch und materiell so gut wie möglich vorbereitet zu sein; und es ist vor allem notwendig, von allen Agitationen zu profitieren und zu versuchen, sie auszuweiten und in auflösende Bewegungen umzuwandeln, um die Gefahr zu vermeiden, dass sich die populären Kräfte in isolierten Aktionen erschöpfen, während sich die Organisationen vorbereiten.[198]

Die Massen werden den Aufstand machen, aber sie können ihn nicht technisch vorbereiten. Es werden Männer, Gruppen und Parteien gebraucht, die sich in freier Übereinkunft zusammenschließen, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und die über die notwendigen Mittel verfügen, um ein schnelles Kommunikationsnetz aufzubauen, das die Beteiligten über alle Vorfälle informiert, die eine breite Volksbewegung auslösen könnten.

Und wenn wir sagen, dass die spezifische Aufgabe der Organisation außerhalb der offiziellen Parteien durchgeführt werden muss, dann deshalb, weil diese andere Aufgaben haben, die die für die Vorbereitung illegaler Aktivitäten notwendige Geheimhaltung ausschließen; vor allem aber deshalb, weil wir kein Vertrauen in den revolutionären Eifer der fortschrittlichen Parteien haben, so wie sie sich heute konstituieren.[199]

Jede neue Idee und Institution, jeder Fortschritt und jede Revolution waren schon immer das Werk von Minderheiten. Es ist unser Bestreben und unser Ziel, dass alle Menschen sozial bewusst und effektiv werden; aber um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, allen die Mittel zum Leben und zur Entwicklung zur Verfügung zu stellen, und es ist daher notwendig, die Gewalt, die den Arbeiterinnen und Arbeitern diese Mittel vorenthält, mit Gewalt zu zerstören, da man nicht anders kann.

Natürlich muss die „kleine Zahl“, die Minderheit, ausreichen, und diejenigen, die sich vorstellen, dass wir jeden Tag einen Aufstand machen wollen, ohne die Kräfte zu berücksichtigen, die sich uns entgegenstellen, oder ob die Umstände zu unseren Gunsten oder gegen uns sind, schätzen uns falsch ein. In der Vergangenheit konnten wir eine Reihe von kleinen Aufständen durchführen, die keine Aussicht auf Erfolg hatten, und das haben wir auch getan. Aber damals waren wir tatsächlich nur eine Handvoll und wollten, dass die Öffentlichkeit über uns spricht, und unsere Versuche waren einfach nur Propagandamittel.

Jetzt geht es nicht mehr um Aufstände, um Propaganda zu machen; jetzt können wir gewinnen, und deshalb wollen wir gewinnen und unternehmen solche Aktionen nur, wenn wir glauben, dass wir gewinnen können. Natürlich können wir uns irren und uns aufgrund unseres Temperaments dazu verleiten lassen, zu glauben, dass die Früchte reif sind, obwohl sie noch grün sind; aber wir müssen zugeben, dass wir diejenigen bevorzugen, die sich beeilen, im Gegensatz zu denen, die immer abwarten und sich die besten Gelegenheiten entgehen lassen, weil sie aus Angst, eine grüne Frucht zu pflücken, die ganze Ernte verderben lassen![200]

Wir müssen versuchen, eine aktive und wenn möglich eine vorherrschende Rolle in der Aufstandsbewegung zu spielen. Aber mit der Niederlage der Kräfte der Repression, die dazu dienen, das Volk in Sklaverei zu halten; mit der Demobilisierung der Armee, der Auflösung der Polizei und der Magistratur usw. das Volk so bewaffnet hat, dass es jedem bewaffneten Versuch der Reaktion, sich wieder zu etablieren, widerstehen kann; nachdem wir bereitwillige Hände dazu aufgerufen haben, die Organisation der öffentlichen Dienste zu übernehmen und mit Konzepten der gerechten Verteilung für die dringendsten Bedürfnisse zu sorgen, indem wir die vorhandenen Vorräte in den verschiedenen Orten sorgfältig nutzen – nachdem wir all das getan haben, müssen wir dafür sorgen, dass es keine vergeudeten Anstrengungen gibt und dass diese Institutionen, Traditionen und Gewohnheiten, Produktions-, Austausch- und Hilfsmethoden respektiert und genutzt werden, wenn sie, wenn auch unzureichend oder schlecht, notwendige Dienste leisten, wobei wir mit allen Mitteln versuchen müssen, jede Spur von Privilegien zu zerstören, uns aber davor hüten, etwas zu zerstören, das nicht durch etwas ersetzt werden kann, das dem Allgemeinwohl besser dient. Wir müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu drängen, die Fabriken in Besitz zu nehmen, sich untereinander zu verbünden und für die Gemeinschaft zu arbeiten, und ebenso sollten die Bauern und Bäuerinnen das Land und die Produkte übernehmen, die von den Grundherren usurpiert wurden, und sich mit den Arbeiterinnen und Arbeitern der Industrie über den notwendigen Güteraustausch einigen.[201]

Wir werden dafür sorgen, dass alle leeren und unterbesetzten Häuser genutzt werden, damit niemand ohne ein Dach über dem Kopf dasteht. Wir werden uns beeilen, die Banken abzuschaffen und die Eigentumsurkunden und alles, was die Macht des Staates und die kapitalistischen Privilegien repräsentiert und garantiert, zu zerstören. Und wir werden versuchen, die Dinge so umzugestalten, dass die Wiederherstellung der bourgeoisen Gesellschaft unmöglich wird. All dies und alles andere, was zur Befriedigung der öffentlichen Bedürfnisse und zur Entwicklung der Revolution erforderlich ist, wird von Freiwilligen in allen Arten von Komitees, lokalen, interkommunalen, regionalen und nationalen Kongressen geleistet, die sich um die Koordinierung der sozialen Aktivitäten kümmern, die notwendigen Entscheidungen treffen und das, was sie für nützlich halten, beraten und durchführen, ohne jedoch das Recht oder die Mittel zu haben, ihre Wünsche mit Gewalt durchzusetzen, und die sich nur auf die von ihnen geleisteten Dienste und auf die von allen Beteiligten anerkannten Erfordernisse der Situation stützen können. Vor allem keine Gendarmen, wie auch immer sie heißen mögen. Die Schaffung einer freiwilligen Miliz, die keine Befugnisse hat, um als Miliz in das Leben der Gemeinschaft einzugreifen, sondern nur, um bewaffnete Angriffe der reaktionären Kräfte abzuwehren, die sich wieder etablieren wollen, oder um sich einer Intervention von außen durch Länder zu widersetzen, die sich noch nicht im Zustand der Revolution befinden.[202]

Ein erfolgreicher Aufstand ist der stärkste Faktor für die Emanzipation des Volkes, denn sobald das Joch abgeschüttelt ist, ist das Volk frei, sich mit den Institutionen zu versorgen, die es für richtig hält, und der zeitliche Abstand zwischen der Verabschiedung des Gesetzes und dem Grad der Zivilisation, den die Masse der Bevölkerung erreicht hat, wird mit einem Sprung durchbrochen. Der Aufstand bestimmt die Revolution, d.h. die schnelle Entfaltung der latenten Kräfte, die während der „evolutionären“ Periode aufgebaut wurden.

Alles hängt davon ab, was das Volk zu wollen imstande ist. Bei vergangenen Aufständen haben die Menschen, die sich der wahren Gründe für ihr Elend nicht bewusst waren, immer nur sehr wenig gewollt und wenig erreicht. Was werden sie vom nächsten Aufstand wollen?

Die Antwort hängt zum Teil von unserer Propaganda ab und davon, welche Anstrengungen wir dafür unternehmen.[203]


[198] Umanità Nova, 12. August 1920
[199] Umanità Nova, 7. August 1920
[200] Umanità Nova, 6. September 1921
[201] Vogliamo, Juni 1930
[202] Umanità Nova, 7. April 1922
[203] Il Programma Anarchico, Bologna, 1920, in diesem Band, S. 173-88

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