(Tridni Valka und Antimilitaristische Initiative) Was gibt es Neues im „Anarchismus“? Nationale Selbstbestimmung und die Übereinstimmung von Interessen mit dem Kapital?!

Die folgende Textreihe, den es handelt sich um mehrere zusammenhängende Texte, oder Texte die aufeinander aufbauen, benötigen eine Erklärung und ein Kommentar unserseits. Es handelt sich an erster Stelle um eine Kritik der Gruppen Tridni Valka (Class War, Klassenkrieg) und Antimilitaristische Initiative (AMI), von denen wir schon mehrere Texte übersetzt haben. Diese haben sich wieder zu Wort gemeldet um einen Text von Wayne Price, welchen wir auch übersetzt haben, zu kritisieren. Wayne Price verteidigt die Teilnahme von Anarchistinnen und Anarchisten im innerbourgeoisen Krieg (also einen innnerkapitalistischen Krieg) in der Ukraine und dies hat den beiden Gruppen aus der Tschechischen Republik nicht gefallen. Wenn sogar ihre Kritik noch viel heftiger ausfallen hätte können. Aber wie beim Klavierspielen, wer spielt, der entscheidet.

Dem Verständnis halber haben wir deswegen auch den Text von Wayne Price übersetzt, der zum Glück nicht lang ist, denn es handelt sich um einen dermaßen idiotischen, reformistischen, revisionistischen, konterrevolutionären Text, der natürlich vielen hierzulande gefallen wird, die auf demselben Niveau sind, weil es schon nach wenigen Zeilen weh getan hat, so viel Müll zu lesen, ganz geschweige dies zu übersetzen. Aber es geht uns um das ganze Bild und eine Kritik kann nur dann verstanden werden, wenn das, was kritisiert wird, auch verstanden wird. Für manche Anarchistinnen und Anarchisten, interessanterweise ein Phänomen in allen Strömungen, eine schwierige Aufgabe.

Je öfter eine Dummheit wiederholt wird, desto mehr bekommt sie den Anschein der Klugheit.“ Voltaire

Wayne Price ist ein Idiot, er und Menschen seinesgleichen sind keine Anarchisten und Anarchistinnen, wenn überhaupt sind sie das absolute Konträre dessen. Wenn man die leeren Phrasen weglässt, die er benutzt um sich anarchistisch zu schmücken, bleibt nur der ranzige Gestank eines Sozialdemokraten von der SPD im XIX. Jahrhundert.

Egal wie man es versucht zu drehen, egal wie man es versucht zu rechtfertigen, ob historisch, moralisch, politisch oder ähnlicheres, ergibt es keinen Sinn, dass sich Anarchistinnen und Anarchisten, sowie alle die dem Staat-Nation des Kapitals eine Ende setzen wollen, sich hinter diesem, wir meinen den in der Ukraine, Krieg und sonst egal welchem Krieg, die alle die des Kapitals sind, positionieren.

Wayne Price´s hohe Leistung bringt solche Aussagen hervor, wie z.B., „Wenn zwei Sklavenhalter in eine Schlägerei geraten, werden sich freiheitsliebende Menschen heraushalten. Es ist uns egal, wer gewinnt.“ Wayne Price ist ein Idiot, weil er seine eigenen absurden und stupiden Argumente nicht versteht, denn wenn sich zwei Sklavenhalter an die Gurgel gehen, wird immer am Ende einer gewinnen. Das ist auch der Grund warum sie im Konflikt zu einander stehen, das ist auch die Konkurrenz die dem Kapitalismus immanent dazu treibt, dass alle Menschen, von den Arbeitenden, über Unternehmen bis zu Nationen-Staaten in Konkurrenz sind um zu überleben. Darin manifestieren sich unterschiedliche Interessen, die zueinander antagonistisch sind, die in letzter Konsequenz zu Kriegen führen. Er vergisst zu sagen, aus Unfähigkeit wahrscheinlich, dass es immer darum gehen muss, dass sich, seiner Analogie nach, Sklaven als Klasse vereinen und nur im Klassenkrieg aufhören zueinander in Konkurrenz zu stehen und ihre Bedürfnisse ausdrücken, die den der Sklavenhalter diametral entgegengesetzt sind.

Wir sind daher dezidiert gegen die Haltung, wir werden uns niemals aus irgendetwas heraushalten, sondern greifen die Sklavenhalter immer an, wo es geht, Wayne Price und seinesgleichen schauen es sich lieber an.

Wayne Price versteht nicht, oder will es nicht, die Relation zwischen Volk und Nation, für ihn sind es verschiedene Kategorien, als ob sie getrennt voneinander existieren könnten. Und natürlich spielt für ihn der moderne Staat, also der kapitalistische Staat, darin überhaupt keine Rolle. Die Nation ist für ihn was abscheuliches, aber das Volk, das ist in Ordnung, er leugnet dabei, die herrschende Klasse bedankt sich bei dir du Idiot, dass eben die herrschende Klasse lieber von Volk redet, weil damit alle Konflikte innerhalb einer Nation neutralisiert werden sollen. Als ob es innerhalb der Abstraktion des Volkes nicht unversöhnliche Konflikte gäbe, sei es durch die Klassengesellschaft, Repression, Patriarchat, Eigentumsfragen, usw. die aber genau durch die Abstraktion des Volkes neutralisiert gehören. Und wem dient dies? Natürlich der herrschenden Klasse.

Wayne Price versteht genauso wenig von der Geschichte, von der Funktion des Kapitals usw. seiner Argumentation nach, wenn große böse Nationen (also imperialistische) kleine liebe unschuldige Nationen (also Kolonien) angreifen, müssen wir immer die kleinen Nationen unterstützen. Seiner Logik und Argumentation nach verteidigen die kleinen Nationen (die Guten in der Geschichte) ihr Recht auf Selbstbestimmung. Dies zeigt nicht nur sein vollkommen kaputtes und weitverbreitetes falsches Verständnis von Imperialismus, von sogenannten nationalen Befreiungskriegen, als ob erster eine komische Mutation des Kapitalismus sei und zweiteres die Heilung dagegen wäre.

Der „Nationalismus“, den Anarchistinnen und Anarchisten ablehnen, ist nicht einfach dasselbe wie der Widerstand gegen nationale Unterdrückung. Es ist nicht nur der Wunsch, dass das eigene Volk selbst entscheiden kann, was für ein Land es haben will. Das ist „nationale Selbstbestimmung“ – einschließlich der Freiheit eines Volkes, selbst zu entscheiden, welches politische System es haben möchte (z.B. einen demokratischen Staat, einen zentralisierten Staat oder gar keinen Staat [Anarchie]) – und seiner Freiheit zu entscheiden, welches ökonomische System es haben möchte (Staatssozialismus, Kapitalismus, libertärer Sozialismus).“

Entweder nimmt Wayne Price zu viele Drogen und schaut zu viele Hollywood-Filme oder er hat keine Ahnung wie diese Welt funktioniert, in der wir alle leben. Eins steht aber fest, seine Traumvorstellung, dass Völker selbst entscheiden in welchem politischen System sie leben möchten, hat nichts mit der Realität zu tun, genauso wenig wie mit Anarchismus, wir empfehlen ihm in Geschichtsbüchern nachzuschlagen und uns die Stellen zu zeigen an denen dies passierte, es sei denn, es ist genau das, was wir verstehen, das Volk, immer von der herrschenden Klasse geleitet, ansonsten ergibt diese Abstraktion keinen Sinn, entscheidet immer selbst, was für ein System es haben will. Dieses System nennt man Kapitalismus, dafür hat sich die herrschende Klasse, die Bourgeoisie entschieden.

Und zuletzt, Wayne Price ist ein Lügner und Geschichtsrevisionist, er zitiert von Texten absichtlich falsch und stellt die Zusammenhänge absichtlich falsch dar, wahrscheinlich aufgrund der Gewohnheit, dass sich heutzutage keiner mehr die Mühe macht, überhaupt die Quellen nachzuschlagen, um zu sehen was darin steht. Deswegen, haben wir unter anderem die zwei Texte, was wir noch nicht erwähnt hatten, von Agrupación de los Amigos de Durruti übersetzt, auf die er sich bezieht um seine infame Behauptungen zu untergraben. Wayne Price löst den Krieg von der sozialen Revolution, indem er behauptet, dass „Diese Strategie (Anm., er bezieht sich auf den Text von los Amigos de Durruti) basiert auf der Annahme, dass der Krieg gerecht ist und im Interesse der Arbeiterklasse und der Unterdrückten geführt wird und dass das Ziel der Anarchistinnen und Anarchisten – egal ob kurz- oder langfristig – eine Revolution gegen Staat und Kapital ist.“ Nun handelte es sich in Spanien 1936 um eine soziale Revolution und genau die konterrevolutionären Kräfte wollten Revolution von Krieg trennen, was zur Niederschlagung der Revolution führte. Seine Behauptung ist sowohl historisch wie analytisch falsch.

Wir könnten noch vieles mehr zu diesem infamen Text sagen, aber wir lassen es dabei. Mögen sich nun alle Philister aller Couleur über uns aufregen, ihr schafft es nicht mal uns ins Gesicht zu sagen, welche verdrehten Positionen ihr überhaupt verteidigt, und was diese überhaupt mit dem Anarchismus zu tun haben, was ihr weder macht, noch jemals schaffen werdet, weil es einfach nicht geht, eure falschen Kritiken sollen nur die Waffen der Kritik entschärfen, eure Litanei ist nur das Vulgarisieren des Anarchismus und soll den Kampf des Proletariats gegen alle Staaten, alle Nationen, alle Armeen, das Kapital, die Ware, das Patriarchat und vieles mehr, domestizieren, umlenken, demokratisieren und verhindern.

Soligruppe für Gefangene


Gefunden auf der Seite von Tridni Valka (Klassenkrieg), die Übersetzung ist von uns.

Was gibt es Neues im „Anarchismus“? Nationale Selbstbestimmung und die Übereinstimmung von Interessen mit dem Kapital?!

Die folgenden Zeilen sind eine kurze Antwort auf einen Artikel von Wayne Price, der auf der Website der Czech Anarchist Federation (AFed) veröffentlicht wurde. Die Verzögerung unserer kurzen Antwort lässt sich nur dadurch erklären, dass wir lange gebraucht haben, um uns von dem Text „Are Anarchists Giving in to War Fever?“ [ursprünglich wurde dieser Text auf Englisch im Anarkismo-Netzwerk veröffentlicht] zu erholen. Wir gingen davon aus, dass selbst eine programmatisch so disparate und verwirrte Organisation wie AFed zumindest nicht von den Grundprinzipien des Anarchismus abweichen kann, da sie diese ja bereits in ihrem Namen trägt. Aber wir haben uns geirrt.

Im Kontext des Krieges in der Ukraine versuchen Wayne Price (und sein Herausgeber AFed) unter dem Deckmantel besonderer Bedingungen und kritischer Unterstützung grundlegende Elemente der bourgeoisen Ideologie in den Anarchismus (den wir für eine revolutionäre Bewegung und Teil des allgemeinen Kampfes des Proletariats gegen die Diktatur des Kapitals halten) einzuführen, die in direktem Widerspruch zum anarchistischen Programm für die Emanzipation der Menschheit stehen. Dieses Programm entstammt nicht aus dem Text dieser oder jener Anarchistin und Anarchist, sondern wurde in Opposition zum Kapitalismus, im Kampf gegen ihn und als seine Negation entwickelt.

Anarchistinnen und Anarchisten für die Nation?

Wen genau unterstützen die „Anarchistinnen und Anarchisten“ der AFed in der Ukraine? Wayne Price versucht, uns davon zu überzeugen, dass es die „unterdrückte Nation“ ist. Er erklärt: „Anarchistinnen und Anarchisten lehnen den Nationalismus ab, aber nicht das Ziel der nationalen Selbstbestimmung (…) einschließlich der Freiheit eines Volkes, das politische System zu wählen, das sie wollen (z. B. einen demokratischen Staat, einen zentralisierten Staat oder gar keinen Staat [Anarchie]) – und ihre Freiheit zu entscheiden, welches ökonomische System sie wollen (Staatssozialismus, Kapitalismus, libertärer Sozialismus).“

Dass „Anarchistinnen und Anarchisten“ mit dem Begriff der Nation operieren, ist neu für uns! Denn bisher sind wir davon ausgegangen, dass Anarchistinnen und Anarchisten gegen die Nation und ihre materiellen Folgen wie der Nation-Staat, die nationale Selbstbestimmung, die nationale Einheit und letztlich sogar gegen den Krieg zwischen den Nationen sind.

Revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten haben schon immer antinationale Positionen vertreten, und das aus gutem Grund. Wenn wir argumentieren, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse dem Entwicklungsstand der materiellen Produktion entsprechen und auch Prinzipien, Ideen und Kategorien hervorbringen, die diesen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechen, dann ist klar, dass auch diese Ideen, diese Kategorien, nur historische und vergängliche Produkte sind, die erscheinen und verschwinden. Eine solche Idee ist auch die Nation, ein künstlich geschaffenes Gebilde, ein historisches Produkt der Entwicklung der Produktivkräfte, das der Bourgeoisie dazu diente, ihre Revolution durchzuführen, ihre Herrschaft zu etablieren. Und auch, um das Proletariat an ihr Projekt zu binden, es in Nation-Staaten aufzuteilen und es davon zu überzeugen, dass seine Interessen mit denen der Kapitalisten derselben Nationalität identisch sind, damit sie es physisch und ideologisch besser kontrollieren kann.

Die Nation ist ein künstliches Bündnis der Ausgebeuteten und der Ausbeuter. Die „Unabhängigkeit, Kultur und nationale Freiheit des Volkes“, die sich Wayne Price ausdenkt, ist nur ein Terrain, auf dem uns die Bourgeoisie nach Belieben ausbeuten und uns glauben machen kann, dass unsere Arbeit erträglicher ist, wenn wir von einem Sklavenhalter, der unsere Sprache spricht, zur Arbeit gejagt werden.

Die Etablierung des Proletariats als Klasse wird ständig durch die Konkurrenz zwischen Proletariern als freie und gleichberechtigte Verkäufer von Waren, von Arbeitskraft, unterminiert. Alle ideologischen, politischen und militärischen Kräfte festigen diese Atomisierung, auf die sich der soziale Frieden und die bourgeoise Ordnung stützen. Das Proletariat zerfällt in das Volk, diese bourgeoise Negation des Ausgebeuteten als universelles Wesen, als eine Klasse, die im Antagonismus zum Kapital steht. Und diese Negation gipfelt schließlich in dem Massaker im kapitalistischen Krieg.

Die Gründung und Existenz von Nation-Staaten hat das eigentliche Wesen der Bourgeoisie – die Konkurrenz – nicht beseitigt, die die Bourgeois dazu zwingt, sich in Bezug auf die Verteilung der Produktionsmittel und Märkte auf allen Ebenen brutal zu bekämpfen und zu konfrontieren. Die Einheit innerhalb der Bourgeoisie (z. B. innerhalb eines Nation-Staats, internationaler Abkommen usw.) wird hergestellt, um die bestmöglichen Bedingungen im Handelskrieg (und auch im Klassenkrieg) zu erhalten. Diese Einheit kann jederzeit in verschiedene spezifische Fraktionen zerbrechen, die ihre Interessen in gegenseitigen Konflikten durchsetzen werden.

Daher ist jeder Frieden nur eine Phase eines bevorstehenden Krieges. Andererseits enthält jede Aktion des Proletariats – wie partiell auch immer -, in der es für sich und seine Interessen handelt, eine Bestätigung des Proletariats und seines Kampfes für die allgemeine soziale Revolution.

Deshalb wendet sich der Anarchismus als revolutionäre Bewegung von Anfang an gegen das Vaterland, die Nation und den nationalen Kampf und strebt die Abschaffung aller Grenzen und Nationen an. Revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten unterstützen keine Nation gegen eine andere, weder „die schwächere“ noch „die überfallene“ noch „die unterdrückte“. Revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten stehen auf der Seite des Proletariats auf beiden Seiten der Front.

Die Übereinstimmung von wessen Interessen?

Price erklärt die Tatsache, dass einige „Anarchistinnen und Anarchisten“ für die Interessen des ukrainischen Staates kämpfen, mit einer Art vorübergehender „Interessensübereinstimmung zwischen dem westlichen Imperialismus und dem ukrainischen Volk.“

Wenn „Anarchistinnen und Anarchisten“ das Gefühl haben, dass sich ihre Interessen „vorübergehend“ mit denen der Bourgeoisie überschneiden, sollten sie ernsthaft überlegen, um welche Interessen es eigentlich geht. Im Falle Russlands und der westlichen Mächte, die sich ihm entgegenstellen, geht es um die Ausweitung der Einflusssphäre und die Aufrechterhaltung des Status der Ukraine als Pufferzone.

Soweit wir wissen, ging und geht es den Anarchistinnen und Anarchisten als Teil unserer Klassenbewegung um die Herbeiführung einer sozialen Revolution. Um die Verwirklichung der Interessen der unterdrückten Klasse, um ihre Befreiung vom Joch des Kapitalismus, um dieVerwirklichung einer echten menschlichen Gemeinschaft.

Was ist also die Übereinstimmung der Interessen?

Genauso wenig wie es im Interesse des Proletariats liegt, neue Fabriken zu bauen (in denen es seine Lebensenergie in Schmutz und Schweiß für einen Hungerlohn eintauscht und damit nicht nur zur Bereicherung eines bestimmten Kapitalbesitzers, sondern vor allem zur Reproduktion des gesamten sozialen Kapitalverhältnisses beiträgt, das es versklavt), liegt es auch nicht in seinem Interesse, nationale Grenzen, die Unversehrtheit des Territoriums, die Demokratie oder die Menschenrechte zu verteidigen, die nur einen Rahmen für seine Ausbeutung und ein Instrument der Kontrolle darstellen.

Wayne Price beruft sich auf das Beispiel der Freunde von Durruti (A.d.Ü., eigentlich ‚Agrupación de los Amigos de Durruti‘ auf Spanisch). Aber er hat deren Kritik an der Einheitsfront nicht im Geringsten verstanden. Denn die Einheitsfront, die die Freunde Durrutis kritisieren, ist nicht nur eine einheitliche formale Organisation, die Beteiligung von Anarchistinnen und Anarchisten an der Regierung oder die Zusammenarbeit mit dieser oder jener Partei, sondern auch ein informelles Bündnis, ein einheitlicher Kampfkurs für und im Namen des bourgeoisen Programms, ein Verzicht auf das Programm des Proletariats und dessen Verschiebung auf die Zeit „nach dem Krieg“, also genau die oben erwähnte Einheit der Interessen.

Zwar forderten die Freunde Durrutis nicht den Rückzug der Anarchistinnen und Anarchisten von der Front, doch dies erwies sich aus historischer Sicht als entscheidender Fehler. Während die Proletarier an der aragonischen Front glaubten, mit ihrem Kampf die laufende soziale Revolution gegen die Faschisten zu verteidigen, führten die demokratischen antifaschistischen Parteien im Hinterland eine Konterrevolution durch. Mit anderen Worten: Anstatt in den Schützengräben zu frieren und unter dem Mangel an Vorräten und Munition zu leiden, hätten die Anarchistinnen und Anarchisten Spaniens nach Barcelona und Madrid gehen sollen, um die Kräfte zu bremsen, die unter dem Deckmantel einer vereinigten antifaschistischen Front die Herrschaft des Kapitals Schritt für Schritt wiederherstellten. Die spanische Revolution wurde sowohl von den Faschisten als auch und vor allem von den demokratischen Parteien, die ihnen den Boden bereitet hatten, besiegt.

Jetzt gibt es keine proletarische Revolution in der Ukraine, und die Proletarier an der Front sterben unbestreitbar nur für den bourgeoisen Staat und seine Interessen. Deshalb können wir nur wiederholen, worauf viele vor uns hingewiesen haben. Das Proletariat hat kein Interesse daran, seinen Staat zu verteidigen oder für die Demokratie zu kämpfen. Weder die Demokratie noch „unser eigener Staat“ sind ein Terrain, das dem Klassenkampf förderlich ist – ganz im Gegenteil.

Die Losung des ukrainischen Proletariats lautet nicht „Ruhm für die Ukraine“ (eine bessere, demokratischere, sozial gerechtere und überhaupt eine, die es in der Realität der kapitalistischen Verhältnisse nicht geben kann), sondern „Kein Mensch aus der Fabrik, kein Pfennig aus dem Lohn!“

Welche Solidarität?

Wir können die kapitalistische Welt und ihre tiefen sozialen Widersprüche nur durch die Perspektive des proletarischen Kampfes verstehen, der notwendigerweise internationalistisch ist und sein muss. Das Proletariat, egal in welchem Land es sich befindet und mit welchen Bedingungen es konfrontiert ist, bildet eine einzige internationale Klasse und hat es mit ein und demselben Feind zu tun, das liegt in der Logik der Sache.

Die Bourgeoisie und ihre Ideologen (auch wenn sie sich schön „ Anarchistinnen und Anarchisten“ nennen) leugnen den universellen Charakter der Kampfbedingungen des Proletariats, indem sie die Besonderheiten dieser oder jener Situation betonen.

Die Bourgeoisie versucht, uns das Terrain aufzudrängen, auf dem sie uns am besten besiegen kann. Mit anderen Worten: Die Bourgeoisie lässt das Proletariat „vergessen“, dass es die einzige universelle Klasse ist, und zwingt ihm das Terrain der Konfrontation auf, das ihr am besten passt. Auf diese Weise kann sie den Rahmen des Krieges diktieren, in den sie uns schickt: die internationale vereinte Kraft der Bourgeoisie gegen die isolierte Aktivität unserer Klasse, die sich auf dieses oder jenes Gebiet beschränkt. Die bourgeoise Politik für das Proletariat, die sozialdemokratische Politik, hält das Proletariat eines jeden Landes innerhalb seiner Grenzen und verwandelt den „Internationalismus“ unserer Klasse in Sammelaktionen, Petitionen, parlamentarische Interpellationen und „Solidarität“ durch Überweisungen und unterstützende E-Mails. Diese Form der Aktivität ist nicht nur völlig harmlos für die Bourgeoisie, sondern verwandelt auch die Notwendigkeit direkter Aktionen gegen das Kapital in Kollaboration mit der Bourgeoisie.

Anarchistinnen und Anarchisten sind nicht an dieser Art von „Solidarität“ mit den Proletarierinnen und Proletariern (nicht mit dem Volk) in der Ukraine interessiert, sondern daran, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um denselben Kampf, dieselben Interessen, dieselbe Kampfgemeinschaft auf der ganzen Welt zu fördern. Dieser falschen „Solidarität“ setzen wir eine echte Solidarität entgegen, die das Ergebnis eines gemeinsamen Kampfes ist.

Was soll man zum Schluss sagen?

Jemand sollte Wayne Price sagen, dass die Positionen, die er vertritt (nicht nur in Bezug auf den Krieg in der Ukraine), nicht die von Anarchistinnen und Anarchisten sind, sondern die von Liberalen.

Und die Anarchistische Föderation sollte sich überlegen, ob sie nicht das Wort „anarchistisch“ aus ihrem Namen streichen sollte, da es völlig unvereinbar mit den Positionen ist, die sie vertritt. Heute steht die AFed mit mehr als einem Fuß im Lager der Kriegstreiber, die das gegenseitige Massaker an Proletariern in der Ukraine im Namen der Verteidigung einer imaginären Demokratie, der nationalen Selbstbestimmung und anderer Konzepte unterstützen, die dem Proletariat (und erst recht den Anarchisten) völlig fremd sind.

Und wenn sich der gegenwärtige Kriegskonflikt auf das übrige Europa ausweitet, wird die AFed dann vielleicht unsere Brüder und Schwestern im Namen der gleichen fehlgeleiteten und im Wesentlichen bourgeoisen Ideologie zur Schlachtbank schicken?

Klassenkrieg/Class War/Tridni Valka [ CW ] & Antimilitaristische Initiative [ AMI ] – Mai 2023


Gefunden auf anarkismo.net, die Übersetzung ist von uns. Der Text auf den die Kritik von Tridni Valka und AMI gerichtet ist.

Lassen sich Anarchistinnen und Anarchisten vom Kriegsfieber anstecken?

Samstag, 18. Februar 2023 von Wayne Price

Zur Verteidigung der Anarchistinnen und Anarchisten, die das ukrainische Volk unterstützen

Meine Antwort auf den Artikel „Der britische Anarchismus erliegt dem Kriegsfieber“ von Alex Alder. Der Artikel bringt seine Bestürzung darüber zum Ausdruck, dass viele Anarchistinnen und Anarchisten in Großbritannien, Osteuropa und anderswo die ukrainische Seite in ihrem Krieg mit dem russischen Imperialismus unterstützen. Er betrachtet diese Perspektive als Verrat am Anarchismus, am Internationalismus und am Antimilitarismus.

Ich hingegen finde, dass diese Solidarität mit den Ukrainern eine sehr gute Sache ist. Sie ist völlig im Einklang mit dem revolutionären Anarchismus.

Dies ist meine Antwort auf den Artikel „Der britische Anarchismus erliegt dem Kriegsfieber“1 von Alex Alder. Er erschien auf der Website libcom und wurde von der Anarchist Communist Group gefördert. Er wurde auf anarchistnews veröffentlicht. https://anarchistnews.org/comment/51586#comment-51586

Der Autor ist bestürzt darüber, dass sich so viele revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten sowie Sozialistinnen und Sozialisten mit dem ukrainischen Volk solidarisch zeigen. „Wie kommt es also, dass die Anarchistinnen und Anarchisten in Großbritannien (und anderswo) heute das Militär einer Nation gegen eine andere unterstützen und die ukrainischen Kriegsanstrengungen ideologisch rechtfertigen und materiell versorgen? … Von der seit langem bestehenden anarchistischen Zeitung Freedom und der anarcho-kommunistischen Anarchist Federation (AFed) bis hin zur anarchistischen „Szene“ um antifaschistische und andere Aktivistengruppen ist das Kriegsfieber weit verbreitet.“ Aus meiner Sicht ist es eine sehr gute Sache, dass so viele westliche Anarchistinnen und Anarchisten das ukrainische Volk gegen den russischen imperialistischen Angriff unterstützen. Das tun auch die meisten ukrainischen, russischen und belarussischen Anarchistinnen und Anarchisten. „Viele Anarchistinnen und Anarchisten in der Ukraine und in ganz Osteuropa haben sich hinter die Kriegsanstrengungen der Ukraine gestellt.“ Alex Alder sieht darin einen Verrat am anarchistischen Internationalismus und Antimilitarismus. Das sehe ich nicht so.

Wenn zwei Sklavenhalter in eine Schlägerei geraten, werden sich freiheitsliebende Menschen heraushalten. Es ist uns egal, wer gewinnt. Aber wenn ein Sklavenhalter mit einem Sklaven kämpft, der zu fliehen versucht, werden freiheitsliebende Menschen den Sklaven unterstützen. Wenn ein anderer Sklavenhalter (ein Feind des Kämpfenden) einen Knüppel oder ein Messer nach dem Sklaven wirft, werden wir, die wir die Freiheit lieben, den Sklaven trotzdem unterstützen und ihm oder ihr zur Flucht verhelfen. (Die Metapher stellt den „Sklaven“ nicht als den ukrainischen Staat dar, sondern als das ukrainische Volk).

Nationalismus und Internationalismus

Alder argumentiert, dass die Unterstützung der Ukraine der anarchistischen Opposition gegen den Nationalismus widerspricht. Er zitiert mit Wohlwollen eine frühere Erklärung der britischen AFed gegen den Nationalismus: „ Als Anarchistinnen und Anarchisten haben wir uns immer gegen Nationalismus ausgesprochen … auch gegen den der ‚unterdrückten Nationen‘. Wir sind zwar gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Enteignung aus nationalen Gründen und gegen Imperialismus und imperialistische Kriege, aber wir weigern uns, in die auf der Linken so häufig anzutreffende Falle zu tappen … sich mit der Seite der Unterlegenen zu identifizieren und den „Widerstand“ zu verherrlichen – wie „kritisch“ er auch sein mag.“

Dies ist sicherlich eine merkwürdige Aussage. Einerseits wendet sie sich gegen nationale Unterdrückung und Ausbeutung und imperialistische Kriege, andererseits weigert sie sich, sich mit dem „Underdog“, den Unterdrückten und Ausgebeuteten, zu identifizieren. Warum sollten sich Anarchistinnen und Anarchisten, die gegen jegliche Unterdrückung und Ausbeutung sind, nicht mit den Unterlegenen identifizieren und den populären Widerstand (A.d.Ü., populär verstanden als ‚völkisch‘) unterstützen (wenn nicht sogar „glorifizieren“)?

Als Grund wird angeführt, dass der nationale Widerstand unter dem ideologischen Deckmantel des „Nationalismus“ stattfindet. Hier lohnt es sich, die Meinung des großen italienischen Anarchisten Errico Malatesta (ein Weggefährte von Bakunin und Kropotkin) zu zitieren. Im Jahr 1915 schrieb er die Schrift „Solange das Gemetzel andauert“, in der er sich gegen beide Seiten des Ersten Weltkriegs wandte,

„Wir sind Kosmopoliten….Wir verstehen jedoch, dass in Ländern, in denen die Regierung und die Hauptunterdrücker ausländischer Nationalität sind, die Frage der Freiheit und der ökonomischen Emanzipation unter dem Deckmantel des nationalistischen Kampfes auftritt, und wir sympathisieren daher mit nationalen Aufständen wie mit jedem Aufstand gegen die Unterdrücker. In diesem Fall, wie auch in allen anderen, sind wir auf der Seite des Volkes gegen die Regierung. …. beugen wir uns dem Willen der Betroffenen.“

https://theanarchistlibrary.org/library/errico-malatesta-while-the-carnage-lasts2

Mit anderen Worten: Anarchistinnen und Anarchisten sind keine Nationalisten, sondern Internationalisten („Kosmopoliten“). Dennoch erkennen wir an, dass manchmal Völker von Herrschern aus anderen Nationen unterdrückt werden. Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden zum Beispiel nicht nur als Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet (obwohl der Klassenkonflikt immer eine Rolle spielt). Sie werden als Ukrainer bombardiert, massakriert, vergewaltigt und gefoltert. Als Ukrainer werden sie bedroht, dass ihre Sprache aus den Schulen verbannt, ihre Kinder entführt und ihre Unabhängigkeit abgeschafft wird. Das ist es, was das frühere Zitat „Unterdrückung, Ausbeutung und Enteignung aus nationalen Gründen“ nennt. Daher neigen sie dazu, diesen Konflikt in nationalistischen Begriffen zu sehen – was nicht weiter verwunderlich ist. Malatesta schlussfolgerte: „wir sympathisieren daher mit nationalen Aufständen … sind wir auf der Seite des Volkes [eindringende ausländische WP-] gegen die Regierung.“

Der „Nationalismus“, den Anarchistinnen und Anarchisten ablehnen, ist nicht einfach dasselbe wie der Widerstand gegen nationale Unterdrückung. Es ist nicht nur der Wunsch, dass das eigene Volk selbst entscheiden kann, was für ein Land es haben will. Das ist „nationale Selbstbestimmung“ – einschließlich der Freiheit eines Volkes, selbst zu entscheiden, welches politische System es haben möchte (z.B. einen demokratischen Staat, einen zentralisierten Staat oder gar keinen Staat [Anarchie]) – und seiner Freiheit zu entscheiden, welches ökonomische System es haben möchte (Staatssozialismus, Kapitalismus, libertärer Sozialismus).

Vielmehr ist der Nationalismus nur ein Programm, das für die nationale Selbstbestimmung vorgeschlagen wird. Er impliziert die totale Einheit der Nation, leugnet die Realität von Klassen- und anderen Unterschieden und unterstützt die herrschende Klasse und ihren Staat. Anarchistinnen und Anarchisten lehnen den Nationalismus ab, nicht aber das Ziel der nationalen Selbstbestimmung. In demselben Artikel schrieb Malatesta: „Wir möchten, dass jede menschliche Gruppe unter den Bedingungen leben kann, die sie bevorzugt, und dass es ihr freisteht, sich mit anderen Gruppen zusammenzuschließen oder sich von ihnen zu trennen, wie es ihr gefällt.“ Das ist Anarchismus.

Ähnlich schrieb Michael Bakunin: „Nationalität … bezeichnet das unveräußerliche Recht von Individuen, Gruppen, Verbänden und Regionen auf ihre eigene Lebensweise. Und diese Lebensweise ist das Produkt einer langen historischen Entwicklung. Deshalb werde ich mich immer für die unterdrückten Nationalitäten einsetzen, die darum kämpfen, sich von der Unterdrückung durch den Staat zu befreien.“ (Er bezieht sich dabei besonders auf den fremden Staat, der diese Nationalität unterdrückt.) (Bakunin On Anarchism. [S. Dolgoff, Ed.] 1980; Black Rose, Hervorhebung von mir).

Im Gegensatz zu den Nationalisten glauben die Anarcho-Sozialisten (Anarcho-Kommunisten), dass alle Länder nur durch die Revolution der internationalen Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten unter allen Unterdrückten ihre volle Selbstbestimmung erlangen können. Dazu gehören Frauen, People of Color und, unter anderem, Menschen aus unterdrückten Ländern. In der Zwischenzeit sollten Anarchistinnen und Anarchisten den Nationalismus des Volkes nicht als Ausrede benutzen, um nicht „auf der Seite des Volkes gegen die [eindringende] Regierung zu stehen.“

Der ukrainische Staat erhält erhebliche Unterstützung von den USA und ihren NATO-Verbündeten. Alder argumentiert: „Mit ihrer Unterstützung für die Ukraine haben sich die britischen Anarchistinnen und Anarchisten auf der Seite der NATO wiedergefunden, einem imperialistischen Militärbündnis … Doch anstatt dies zum Anlass zu nehmen, die NATO abzulehnen und eine bloße Übereinstimmung der Interessen in dieser besonderen Situation anzuerkennen, haben die Anarchistinnen und Anarchisten in Großbritannien in ihrer Opposition geschwankt (…)“

Wenn das stimmt, machen diese Anarchistinnen und Anarchisten einen Fehler. Es ist möglich, den Widerstand gegen die NATO fortzusetzen und ihre Auflösung zu fordern, während man gleichzeitig anerkennt, dass es eine „Interessensübereinstimmung“ zwischen dem westlichen Imperialismus und dem ukrainischen Volk gegeben hat. So sehr die USA und andere imperialistische Staaten den Ukrainern auch materiell helfen, es sind die Ukrainer, die den eigentlichen Kampf führen. Es ist das ukrainische Volk, das bombardiert und massakriert wird. Sie bezahlen für ihre Unabhängigkeit mit ihrem Blut.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass konkurrierende Imperialismen die Rebellion von Ländern unterstützen, die von dem anderen imperialen Staat unterdrückt werden. Während des Kalten Krieges unterstützte die UdSSR die Völker, die sich gegen die westlichen Imperien in Afrika, Asien und Lateinamerika auflehnten, sowohl militärisch als auch anderweitig. Gleichzeitig unterstützten die USA Russlands Satelliten in Osteuropa.

Der vietnamesisch-amerikanische Krieg war ein Spiegelbild des ukrainisch-russischen Krieges, aber das Prinzip war das gleiche. Die USA waren der aktive Aggressor, während das stalinistische Russland militärische Hilfe nach Vietnam schickte. Der zentrale Konflikt bestand jedoch zwischen dem rebellischen vietnamesischen Volk und den imperialistischen USA. Dass die imperialistischen Russen Hilfe schickten oder dass die Vietnamesen von Ho´s (A.d.Ü., wir denken dass hier die Rede von Ho Chi Minh ist) stalinistischen Nationalisten in die Irre geführt wurden, änderte nichts an der grundlegenden Dynamik und der Rechtfertigung für die Solidarität mit dem vietnamesischen Volk.

Es besteht keine Notwendigkeit, die NATO politisch zu unterstützen. Es gibt lediglich eine „Interessensübereinstimmung“ und sie würden die Ukrainer im Handumdrehen verraten, wenn es ihren Interessen dient – so wie es die USA wiederholt mit den Kurden getan haben. Aber die Ukrainer haben jedes Recht, Waffen und Hilfe von der NATO anzunehmen. Irgendwoher müssen sie ja ihre Raketen bekommen, und woher sonst? (Ähnlich wie im Krieg zwischen Vietnam und den USA hatten die Vietnamesen jedes Recht, Waffen von der Sowjetunion zu bekommen).

Antifaschismus und die Volksfront

Alex Alder weiß, dass Putins Russland und Zelenskys Ukraine nicht dasselbe sind. Zwar würde er beide nicht als „faschistisch“ bezeichnen, aber Russland hat seiner Meinung nach „ein Niveau von autoritärem Nationalismus, interner Repression und revanchistischem Expansionismus erreicht, das mit den faschistischen Regimen des zwanzigsten Jahrhunderts vergleichbar ist. Der ukrainische Staat kann besser als neoliberale, korrupte Demokratie beschrieben werden.“ In beiden Gesellschaften gibt es faschistische Bewegungen, aber er weist Putins Behauptung zurück, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen.

Er leugnet nicht, dass es besser ist, in einer begrenzten, bourgeoisen Demokratie zu leben als in einer halbtotalitären Diktatur. Aber er glaubt nicht an den Kampf für die bourgeoise Demokratie. Er zitiert Gilles Dauve: „Der Kampf für einen demokratischen Staat ist unweigerlich ein Kampf für die Konsolidierung des Staates, und ein solcher Kampf lähmt den Totalitarismus nicht, sondern verstärkt seinen Würgegriff auf die Gesellschaft.“

Er erkennt nicht, dass der Kampf für bourgeois-demokratische Rechte auch ein Kampf für Elemente der Arbeiterdemokratie ist, die es im Kapitalismus gibt: die Freiheit, Gewerkschaften/Syndikate zu gründen, radikale politische Organisationen zu bilden, für Anarchismus und Sozialismus zu streiten, linke Literatur zu veröffentlichen, sich für mehr Freiheit für Frauen und People of Color zu organisieren, gegen ökologische Katastrophen und imperialistische Kriege zu demonstrieren und so weiter. Er erkennt auch nicht die revolutionäre Bedeutung der Unfähigkeit des kapitalistischen Staates, seine demokratischen Versprechen zu erfüllen. Der Kampf für demokratische Freiheiten muss an die Grenzen der bourgeoisen repräsentativen Demokratie stoßen. Wenn er bis zum Ende geführt wird, führt er zu einer anarchistisch-sozialistischen Revolution.

Alder vergleicht die Unterstützung des ukrainischen Krieges wiederholt mit einer „Volksfront“. In den 1930er Jahren waren Volksfronten politische Bündnisse von „Arbeiterinnen und Arbeitern“ (Sozialisten und Kommunisten) mit liberalen und konservativen pro-kapitalistischen Parteien, um Regierungskoalitionen zu bilden. Da sie bourgeoise Parteien einschlossen, garantierten sie, dass die Regierung nicht über den Kapitalismus hinausgehen konnte, obwohl die „Arbeiterinnen und Arbeiter“ behaupteten, für eine Art Sozialismus zu stehen. In einer Reihe von Ländern wurden Volksfronten gebildet, zum Beispiel in Frankreich und Spanien. In Spanien schlossen sich nach Francos faschistischem Militäraufstand auch die wichtigsten anarchistischen Organisationen (CNT-FAI) der Volksfrontregierung an. Damals wie heute betrachten revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten dies als eine Katastrophe und ein Vorspiel zum Sieg der Faschisten.

Tatsächlich hat keine der Anarchistinnen und Anarchisten, die die ukrainische Seite des Krieges unterstützen, Volksfronten befürwortet. Vor allem in der Ukraine, wo fast alle Anarchisten und Anarchistinnen den Krieg unterstützen, ist niemand Zelenskys Partei beigetreten, hat zur Stimmabgabe für Zelensky aufgerufen, seine Partei unterstützt, sich mit ihr verbündet, Positionen in der Regierung eingenommen oder sogar auf einem eigenen Wahlzettel kandidiert. Auch andere Anarchistinnen und Anarchisten in Großbritannien oder anderswo haben nicht zu Koalitionen mit bürgerlichen Parteien aufgerufen.

Doch für Alder und seine Mitdenker macht die bloße Teilnahme am Krieg Anarchistinnen und Anarchisten zu Kollaborateuren mit dem kapitalistischen Staat, zu einem Teil seines Militarismus, zu einer de facto Volksfront. Andere Anarchistinnen und Anarchisten haben das ganz anders gesehen. Während des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren prangerten zum Beispiel einige revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten die Politik der anarchistischen Führung an. Sie lehnten es ab, sich der Volksfront anzuschließen und beim Wiederaufbau des spanischen Staates mitzuwirken. Sie forderten, dass sich die Anarchistinnen und Anarchisten aus der Regierung zurückziehen. Aber sie riefen die Anarchistinnen und Anarchisten nicht dazu auf, sich aus dem Krieg gegen die Faschisten zurückzuziehen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter hätten einen solchen Vorschlag nicht verstanden; sie hätten ihn als Kapitulation vor dem Faschismus gesehen. (Und heute würden die Ukrainerinnen und Ukrainer eine Aufforderung, den Kampf einzustellen, als eine Aufforderung zur Kapitulation vor Russland verstehen). Außerdem war die Arbeit in den meisten Industriezweigen während eines Krieges fast genauso kriegsdienlich wie der Einsatz im Militär. Stattdessen schlugen sie vor, aus der Regierung herauszubleiben, sich aber an den antifaschistischen Kriegsanstrengungen zu beteiligen, um schließlich genügend Mitglieder der Arbeiterklasse für eine Revolution sowohl gegen die liberalen Republikaner als auch gegen die Faschisten zu gewinnen.

Eine dieser dissidenten Anarchistinnen und Anarchisten war die Gruppe „Freunde von Durruti“. In ihrem Pamphlet Einer neuen Revolution entgegen (geschrieben 1938 von Jaime Balius) schrieben sie:

„Es darf keine Kollaboration mit dem Kapitalismus geben….Der Klassenkampf hindert die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht daran, weiterhin auf den Schlachtfeldern zu kämpfen und in den Kriegsindustrien zu arbeiten….Revolutionäre Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen keine offiziellen Posten bekleiden oder in Ministerien sitzen. Wir können für die Dauer des Krieges auf den Schlachtfeldern, in den Schützengräben, auf den Brüstungen und bei der Produktion in der Nachhut mitarbeiten. “ (Hervorhebung hinzugefügt)

Diese Strategie basiert auf der Annahme, dass der Krieg gerecht ist und im Interesse der Arbeiterklasse und der Unterdrückten geführt wird und dass das Ziel der Anarchistinnen und Anarchisten – egal ob kurz- oder langfristig – eine Revolution gegen Staat und Kapital ist.

Krieg und Klassenkampf

Der Autor interpretiert den europäischen Konflikt so, dass es nur zwei Aspekte gibt: die Kapitalistenklasse und ihr Staat gegen die Arbeiterklasse. Sein Ansatz passt zu dem Slogan: „Kein Krieg außer dem Klassenkrieg!“ Doch die meisten Anarchistinnen und Anarchisten würden heutzutage neben dem Proletariat auch andere unterdrückte Gruppen anerkennen. Dazu gehören Frauen, People of Color, LGBTQ-Menschen, Gehörlose, Juden, andere religiöse Minderheiten (je nach Land) und so weiter und so fort. Sicherlich überschneiden sich diese Unterdrückungen mit dem Klassenkampf, aber sie haben auch ihre eigene Realität und Dynamik. Sollen wir also skandieren: „Kein Krieg außer dem Klassenkrieg, und Krieg gegen das Patriarchat durch Frauen und ihre Verbündeten, Krieg gegen die weiße Vorherrschaft durch People of Color und ihre Verbündeten, Krieg gegen den Antisemitismus durch Juden und ihre Verbündeten, usw., usw.“? Die meisten Anarchistinnen und Anarchisten meinen es aber wirklich ernst, wenn sie skandieren: „Kein Krieg außer dem Klassenkrieg!“

Während fast alle Anarchistinnen und Anarchisten all diese nicht klassenbedingten (aber sich mit der Klasse überschneidenden) Unterdrückungen als real anerkennen, lehnen viele aus irgendeinem Grund die nationale Unterdrückung als real ab. Wie ich bereits zitiert habe, sah Bakunin sie als real an und Malatesta nahm sie als etwas Ernstes, das den Menschen sehr am Herzen lag. Dennoch lehnen viele die nationale Selbstbestimmung ab, weil sie darin die Unterstützung eines neuen Staates sehen, von dem Anarchisten und Anarchistinnen wissen, dass er nicht die Lösung ist. Aber die Selbstbestimmung eines Volkes bedeutet, dass es seine eigene Gesellschaft wählen kann. Sie können (relativ) frei entscheiden, ob sie einen Staat wollen, sich mit einem anderen Staat zusammenschließen oder einen föderalen oder zentralisierten Staat bilden wollen. Im Moment sind die meisten Völker nicht anarchistisch. Sie wollen ihren eigenen Staat. Hoffentlich werden sie die Gelegenheit haben, aus ihren Fehlern zu lernen. Aber wir, die wir an die Freiheit glauben, wollen, dass sie die Chance haben, es selbst herauszufinden – die Palästinenser, die Tibeter, die Puertoricaner, die Jemeniten, die Westsaharaner, die Uiguren, die Tschetschenen, die Afroamerikaner oder, ja, die Ukrainer.

Wir, die wir an die Freiheit glauben

Für einige Anarchistinnen und Anarchisten und revolutionäre libertäre Sozialistinnen und Sozialisten, zu denen keineswegs nur Alex Alder und die Anarchist Communist Group (UK) gehören, ist die Unterstützung der Ukraine unanarchistisch. Das gilt auch für die Unterstützung jedes nationalen Befreiungskampfes. Dennoch sind viele revolutionäre Anarchistinnen und Anarchisten mit dem ukrainischen Volk solidarisch – trotz ihrer Regierung, ihrer kapitalistischen Klasse und der Unterstützung (aus ihren Gründen) durch den US-Imperialismus. Das gilt sowohl für viele britische Anarchistinnen und Anarchisten als auch für ukrainische und osteuropäische Anarchistinnen und Anarchisten. So viele Anarchistinnen und Anarchisten sind anderer Meinung als sie! Auch wenn Alder es nicht erwähnt, haben viele Anarchistinnen und Anarchisten in der Geschichte der Bewegung nationale Selbstbestimmungskriege unterstützt. Ich habe Bakunin und Malatesta genannt; es gibt viele andere Beispiele.

Wir, die wir an die Freiheit glauben, lehnen nicht beide Seiten ab, wenn eine mächtige imperialistische Armee versucht, ein kleineres, schwächeres und ärmeres Land zu vernichten. Wir sind nicht neutral, wenn eine imperialistische Diktatur versucht, die Unabhängigkeit, Kultur und nationale Freiheit eines Volkes zu zerstören. Wir suchen nicht nach Ausreden, um das angegriffene Volk nicht zu unterstützen. Wir lassen auch nicht unser Grundsatzprogramm der revolutionären Opposition gegen alle Staaten und alle Kapitalisten fallen. Wir unterstützen den ukrainischen Staat und seine herrschende Klasse nicht. Wir solidarisieren uns mit den Arbeiterinnen und Arbeitern, den Bäuerinnen und Bauern und anderen Teilen des ukrainischen Volkes, die sich tapfer gegen die Wiederbesiedlung durch den imperialen russischen Staat wehren. Dies ist ein Teil (nicht der ganze) des Kampfes für die Freiheit, um den es im Anarchismus geht.

Wird ein Sieg der Ukraine mit ihrem derzeitigen Staat und ihren imperialistischen Allianzen die Möglichkeit für mehr Freiheit und Demokratie eröffnen – und damit auch die Möglichkeit einer anarchistisch-sozialistischen Revolution? Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe keine Kristallkugel. Aber die Niederlage des ukrainischen Volkes gegen das autoritäre Russische Imperium Putins wird es wahrscheinlich noch schwieriger machen, unsere Ziele zu erreichen. In jedem Fall ist es das Richtige, sich auf die Seite der größeren Freiheit zu stellen.

*geschrieben für Anarkismo.net


1A.d.Ü., wir haben den Text auch übersetzt, Der britische Anarchismus erliegt dem Kriegsfieber

2A.d.Ü., auch diesen Text haben wir ebenfalls übersetzt, Solange das Gemetzel andauert – Errico Malatesta (1915), wir empfehlen diesen vollständig durchzulesen, denn Wayne Price lässt einiges raus, was ihm nicht passt, auch empfehlen wir Anarchistinnen und Anarchisten haben ihre Prinzipien vergessen, auch von Malatesta, sowie weitere Texte, von Malatesta und anderen zum Thema Krieg, die auf unseren Blog zu finden sind.

Dieser Beitrag wurde unter Krieg, Kritik am Nationalismus, Kritik am Reformismus, Kritik an der (radikalen) Linke des Kapitals, Russland-Ukraine Krieg, Texte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.