(Paul Mattick) Kapitalismus und Ökologie

Wir haben diesen Text von Paul Mattick ausgegraben weil er, trotz der Jahre die seit seiner Veröffentlichung vergangen sind, immer noch unglaublich aktuell ist. Würde man einige Namen ändern, würde der Text als eine Kritik gegen die jetzige Bewegung wirken die sich die Rettung der Umwelt, der Erde, usw., auf die Fahne geschrieben hat. Denn nach wie vor wird die Gesellschaftsform in der wir leben, die des Kapitalismus, nicht in Frage gestellt, sondern nur gewisse Ausdrücke von ihr. Wir wollen nicht viel mehr dazu sagen, man kann es ja selber lesen.

Soligruppe für Gefangene


Paul Mattick, Kapitalismus und Ökologie

Vom Untergang des Kapitals zum Untergang der Welt

1976

Die Geschichtlichkeit der Natur ergibt sich aus dem vor mehr als hundert Jahren von Carnot und Clausius entdeckten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder der in den Wärmetod endenden zunehmenden Entropie. Unser Erdenleben hängt von der ständigen Energiezufuhr durch Sonnenstrahlung ab, die sich, wie langsam auch immer, mit wachsender Entropie vermindert. Die hier in Frage kommenden Zeitspannen sind vom menschlichen Standpunkt aus gesehen zu unbestimmt und zu ungeheuerlich, um praktisch in Betracht gezogen zu werden. Nichtsdestoweniger hat das Entropiegesetz eine stets vorhandene, direkte Einwirkung auf die Erde und damit auf das Schicksal der Menschheit. Zur Befriedigung ihrer Energiebedürfnisse stehen den Menschen, außer der Sonne, die Bodenschätze der Erde zur Verfügung. Deren Ausnutzung beschleunigt jedoch die Verwandlung von ‚freier’ in ‚gebundene’ Energie, d.h. Energie, die den Menschen nicht mehr zur Verfügung steht und zum Wärmetod degradiert. In anderen Worten, die vorhandenen Energiequellen haben nur einen einmaligen Nutzen. Mit ihrer Erschöpfung hört das menschliche Leben auf, und zwar sehr lange vor dem Erkalten der Sonne, da alle natürlichen Schätze der Erde nicht mehr Energie enthalten, als in ein paar Tagen Sonnenlicht zu finden ist.

Für die Menschheit beschränkt sich der zweite Hauptsatz der Thermodynamik damit auf die Begrenzung der natürlichen Bodenschätze. Je weniger von ihnen aufgebraucht wird, desto länger können die Menschen leben, je schneller sie verbraucht werden, desto eher gehen sie zugrunde. Da der Verbrauch von der Masse der Bevölkerung mitbestimmt wird, hängt der Zeitpunkt des Untergangs der Welt mit dem Bevölkerungsproblem zusammen. Um ihn hinauszuzögern, muß dem Bevölkerungszuwachs eine Grenze gesetzt werden und der Verbrauch der Bodenschätze eingeschränkt werden. Diesem Problem, das für die kapitalistische Welt vorn ‘Club of Rome’ aufgerollt wurde, wendet sich Wolfgang Harich1 mit Bezug auf den Kommunismus zu, der bisher ebenfalls einem unaufhörlichen wirtschaftlichen Wachstum verpflichtet war.

Von Harich kann man hier wohl sagen: ‚Die Katze läßt das mausen nicht’. Die vielen Jahre in Walter Ulbrichts Gefängnis haben seinen Oppositionsgeist nicht zu erschüttern vermocht. Wandte er sich dem 17. Juni 1953 gegen die Fortsetzung des stalinistischen Kurses in der DDR, um diese selbst zu schützen, so wendet er sich heute gegen die dort vorherrschende Wachstumsideologie, um mittels des Kommunismus die Welt zu retten. Wie die DDR nach 1953 dem Westen angenähert werden sollte, um ihre inneren Gegensätze zu bewältigen, so soll auch heute das im Westen aufgeworfene ökologische Problem vom Osten aufgegriffen werden, um den Untergang der Welt abzuwenden. Die Abschaffung des Kapitalismus ist für Harich damit nicht nur das Ziel kommunistischer Politik, sondern das einzig ausreichende Mittel zur Rückkehr in eine Welt ohne Wachstum, von der das langfristige Fortbestehen der Menschheit abhängig ist. Seine Ansichten werden in Interviews mit Freimut Duve vorgetragen undvon der Hoffnung begleitet, daß sie in der DDR nicht wieder falsch verstanden werden.

Weder Marx noch die klassische Ökonomie bezogen ihre Theorien auf das Entropiegesetz, obwohl das Bevölkerungsproblem durch Malthus zur Debatte gestellt worden war und die Tendenz abnehmender Bodenerträge von Ricardo als Schranke kapitalistischer Entwicklung angesehen wurde. Damit wurden die dem Kapitalismus spezifisch zugehörenden Widersprüche apologetisch auf natürliche Prozesse zurück-geführt und als unabänderlich dargestellt. Diese Theorien wurden zu einer Zeit entwickelt, in der die Landwirtschaft noch vorherrschend und die industrielle Entwicklung ihren ersten großen Anlauf nahm. Obwohl die Produktion von der Natur und den Menschen bestimmt ist, war das Hauptaugenmerk von Marx und Engels nicht auf die Schranken der Natur, sondern auf die der kapitalistischen Produktionsweise gerichtet, da die Welt — als Natur gesehen — durchaus noch unterbevölkert war, während die ‚Überbevölkerung’, auf die sich Malthus bezog, ein direktes Resultat der Kapitalproduktion war. Allerdings setze eine wachsende Bevölkerung die zunehmende Produktivität der Arbeit voraus und diese wiederum Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur. ”Je mehr ich aber den Dreck betreibe”, schrieb Marx an Engels, ”um so mehr überzeuge ich mich, daß die Reform der Agrikultur, also auch der darauf basierenden Eigentumsscheiße, das A und O der kommenden Umwälzung ist. Ohne das behält Vater Malthus recht.”2

In Anbetracht der in der DDR herrschenden Wachstumsideologie, die der Entfaltung der Produktivkräfte über alles bisher Erreichte dienen soll, versucht Harich sein Interesse an der Ökologie mit Hinweisen auf Marx und Engels und den dialektischen Materialismus zu legitimieren. Sich auf den französischen Kommunisten G. Biolat berufend, behauptet er, daß ”die Entwicklung der Ökologie einem neuen zutiefst dialektischen Heran gehen an das Studium der Natur entspricht”, womit sein eigenes Anliegen ”so orthodox ist, wie man es sich nur wünschen kann”. Ökologie beziehe sich auf die ”Wechselwirkung zwischen Natur und Gesellschaft”, die nur von Anhängern der ”Naturdialektik” und der von ”Lenin präzisierten marxistischen Erkenntnistheorie” voll begriffen werden kann. Nun hat der Metabolismus zwischen Mensch und Natur, der auch als Wechselwirkung verstanden werden kann, an und für sich nichts mit der Frage der Dialektik der Natur zu tun und wird auch von denen nicht bestritten, für die die Dialektik keine Geltung hat. Deshalb bedarf es auch nicht der Leninschen Erkenntnistheorie, um auf die Ökologie und der ihr drohenden Gefahren hinzuweisen; wie auch der Besitz dieser Erkenntnistheorie, wie Harich zu seinem Leidwesen feststellen muß, bisher wenig zur Erkenntnis des ökologischen Problems beigetragen hat. Jedenfalls bezieht sich der ‚Club of Rome’ nicht auf den dialektischen Materialismus. Da es letztenendes auch für Harich gleichgültig sein muß, ob die ‚Naturdialektik’ das ökologische Problem schon in sich einschloß, braucht auf seine linientreue Lenin-Orthodoxie nicht eingegangen zu werden. Worauf er sich stützt, ist nicht die Dialektik der Natur, sondern die Berechnungen des ‚Clubs of Rome’, die von dem zu schnellen Verbrauch der natürlichen Ressourcen und der Bevölkerungsexplosion auf einen nicht zu fernen Untergang der Menschheit schließen.

Es gibt Aspekte der Natur, die sich mit der formalen Logik begreifen lassen, und andere, die nur mittels der dialektischen Logik zu erfassen sind. Entdeckungen in der Mikrophysik erzwangen eine diesem Gegenstand angepaßte komplementäre Logik, die weder mit der formalen noch der dialektischen Logik übereinstimmt. Aber die Mittel zur Erkenntnis der Natur und ihrer die Menschen betreffenden und von diesen ermittelten Regelmäßigkeiten geben noch keine Auskunft über die ‚Totalität’ der Natur und ihrer Bewegungsgesetze, die uns bisher, und wahrscheinlich für dauernd, verschlossen sind. Auch wenn die dialektische Logik ein unablässiges Mittel der Naturerkenntnis ist, so läßt sich damit noch nicht auf die Dialektik der Natur schließen — während die Dialektik der Gesellschaft durch ihre ökonomische Entwicklung und ihre Klassenkämpfe offensichtlich ist. Man kann allerdings, wenn man will, das Entropiegesetz als ‚dialektisch’ bezeichnen, eben weil es dauernd qualitative Veränderungen impliziert und wenn man alle ökonomischen und biologischen Prozesse auf physikalische Vorgänge zurückführt. Aber der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ergab sich aus der physikalischen Chemie, nicht aus der dialektischen Methode, und ist durchaus imstande, die Ökologie in biologischer wie gesellschaftlicher Hinsicht zu erklären.

Der Marxismus ist keine Naturwissenschaft, überhaupt keine Wissenschaft im bürgerlichen Sinne, sondern bedient sich wissenschaftlicher Methoden, um die Voraussetzungen und Notwendigkeiten gesellschaftlicher Veränderung im allgemeinen und der Abschaffung des Kapitalismus im besonderen aufzudecken, um also praktisch in das gesellschaftliche Geschehen eingreifen zu können. An Naturgesetzen läßt sich nichts ändern; sie müssen hingenommen werden, wiewohl wachsende Erkenntnis über sie zu einer menschlichen Produktivkraft wird, die die Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung bestimmt. Wenn die für die Menschen in Betracht kommende Natur sich auch nur in einer Richtung entwickeln kann, nämlich ihrem Ende zu, solange die Welt besteht, sind die Probleme der Menschen von dieser Welt bestimmt und müssen in ihr ausgetragen werden. Auch wenn es wahr sein sollte, daß die Thermodynamik nur eine Eigentümlichkeit des expandierenden Universums ist und in einem möglicherweise schrumpf enden Universum den gegenteiligen Prozeß durchlaufen kann, um zu einer Neubildung der Materie aus der Radiation zu führen, so hat dies doch keinerlei Bedeutung für die inzwischen verschwundene Welt und ihre Bewohner.

Auch ohne Bezugnahme auf das Entropieprinzip ist es selbstverständlich, daß der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur von der Fruchtbarkeit der Erde und der Ergiebigkeit ihrer Rohstoffe abhängig ist. Mit der Erschöpfung der letzteren vermindern sich die Energiequellen und damit auch die Möglichkeit menschlicher Eingriffe in das Naturgeschehen. Die Welt, in der sich Marx und Engels bewegten, kannte jedoch keine von der Natur gesetzten Grenzen der Produktion. Weder physische noch biologische Vorgänge vermochten den mißlichen Gesellschaftszustand zu erklären. Der Raubbau an den Gütern der Erde und die relative Überbevölkerung waren das direkte Resultat der Profitproduktion; sie konnten durch die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse abgeschafft werden. Von einer Krise der Ökologie konnte damals nicht die Rede sein und besonders nicht vom marxistischen Standpunkt.

Liegen die Dinge heute anders? Dem ‘Club of Rome’ und Harich zufolge stehen wir mitten in der ökologischen Krise, die auch den Marxismus zwingt, mehr als bisher auf die Naturbasis der Gesellschaft und auf die von Malthus aufgeworfene Bevölkerungsfrage einzugehen. Er glaubt feststellen zu können, daß sich die kommunistischen Wissenschaftler, wenn auch noch nicht in der DDR, so doch in der UdSSR ”mit wachsender Einsicht auf die ökologische Krise einzustellen beginnen”. Um zu wiederholen: das Problem läßt sich mit drei Worten umreißen — Umweltbelastung, Rohstoffverbrauch, Überbevölkerung. Die Lösung findet sich, nach Harich, in der Umkehrung dieser Vorgänge. Sie bedingt jedoch die Vernichtung der kapitalistischen Gesellschaft und damit revolutionäre Umwälzungen im Weltmaßstabe.

Es kann sich hier, Harich zufolge, jedoch nicht mehr um die uns bisher vorschwebende kommunistische Revolution handeln, welche die gesellschaftlichen Produktivkräfte von den Fesseln kapitalistischer Produktionsverhältnisse befreit, um damit die Produktion den wachsenden Bedürfnissen anzupassen, sondern um ein Zurückschrauben der Produktivkräfte und der menschlichen Bedürfnisse im Sinne der vor-industriellen asketischen Gütergemeinschaft Babeufs. Schon Marx hätte betont, daß die Produktivkräfte im Kapitalismus zu Destruktivkräften werden, ”und genau das”, sagt Harich, ”erleben wir jetzt.” Doch handelt es sich hier um ein Mißverständnis auf seiten Harichs. Eben in Anbetracht der destruktiven Seite kapitalistischer Entwicklung sah Marx im Kommunismus die einzige Möglichkeit einer weiteren progressiven Entfaltung der Produktivkräfte, von der die Überwindung des menschlichen Elends in seiner kapitalistischen Bestimmung, wie überhaupt, abhängig ist. Allerdings beinhaltete dieses Wachsender gesellschaftlichen Produktivkräfte, daß es sich nicht mehr auf den blinden Verwertungszwang des Kapitals bezog, sondern auf rationale menschliche Bedürfnisse, die von sich aus den technologisch-wissenschaftlichen Charakter der zusätzlichen Produktivkräfte bestimmen würden.

Nun mag sich dies als Utopie herausstellen, nicht nur durch die Langlebigkeit des Kapitalismus, sondern auch durch die von der Natur gesetzten und von Marx nicht berücksichtigten Grenzen wirtschaftlichen Wachstums. Die von Marx hervorgehobene relative Überbevölkerung ist, nach Harich, zur absoluten Überbevölkerung geworden, die auch nicht durch einen Wandel vom Kapitalismus zum Kommunismus behoben werden kann, sondern nur durch ihren systematischen Abbau mittels der Bevölkerungsplanung, und nicht nur für die ‚dritte Welt’, sondern auf globaler Grundlage. So läßt auch der Kommunismus keine weitere Entwicklung auf Basis der modernen Industrie zu, sondern erfordert eine Wirtschaftsplanung ohne Wachstum und möglicherweise die Liquidation schon vorhandener Produktionsformen.

In einer Hinsicht ist die vom ‚Club of Rome’ und anderen Leuten aufgedeckte ökologische Krise ein neuer Versuch — ähnlich den Bemühungen Malthus’ und Ricardos —, die gesellschaftlichen Schwierigkeiten auf natürliche Umstände zurückzuführen, da ihnen die Gesellschaftsform selbst als natürlich und unabänderlich erscheint. Das Neuartige ist, daß ihnen heute von ‚marxistischer’ Seite entweder mit reinem oder schlechtem Gewissen zugestimmt wird. Allerdings unterscheidet sich Harichs Position von der des ‚Club of Rome’, da er sich bewußt bleibt, daß auch bei völliger Erkenntnis der Krisensituation die kapitalistische Welt außerstande ist, Maßnahmen zu treffen, die das menschliche Leben, wenn auch auf weit bescheidenerer Basis, für die weiterliegende Zukunft zu erhalten. Der ‚Club of Rome’, bemerkt Harich, spricht zwar von einer zu erwartenden Verarmung und Zerstörung der Welt, aber ”er sagt nicht, daß die Reichen von der Bildfläche verschwinden müssen”. Man ist heute zwar schon bereit, ”Benzin zu rationieren”, aber nicht bereit, ”alles zu rationieren”. Aber warum soll nicht alles rationiert werden, und zwar auf sozialistischer Grundlage, ruft Harich aus; ”wäre das nicht bereits Kommunismus?” Wäre es nicht, ”infolge der rationierten Verteilung, der Kommunismus Babeufs, zu dem die Arbeiterbewegung nun auf höherer Stufenleiter, mit einer dialektischen Spiralenbewegung — Negation der Negation — zurückkehren muß, nachdem fast 200 Jahre lang Springquellen des kapitalistischen Reichtums voll geflossen sind?”

Aber warum bei Babeuf stehen bleiben? Warum nicht zurück zur perfekten Ökologie des Paradieses vor dem Sündenfall? Das eine wie das andere ist eine Unmöglichkeit, an der schon Babeuf scheitern mußte. Die Geschichte läßt sich nicht ungeschehen machen, auch nicht durch die Negation der Negation’. Selbst eine rationierte Verteilung setzt Produktivkräfte voraus, die den Bedürfnissen von vier Milliarden Menschen gewachsen sind, und damit die fortgesetzte produktive Entfaltung, um dem Gesetz der zunehmenden Entropie entgegenzuarbeiten, d.h. um mit dem geringsten Aufwand an ‚freier’ Energie die negative Entropie der lebendigen Welt zu erhalten.

Aber davon abgesehen: die Rationierung, von der Harich spricht, ist der kapitalistischen Welt durchaus nicht fremd und wurde in Kriegszeiten (oder auch im ‚Kriegskommunismus’) mit mehr oder weniger großer Gründlichkeit betrieben. Zudem basiert der Kapitalismus durch das Mehrwertgesetz auf einer Art von ‘Rationierung’ proletarischer Lebensbedingungen, ein Zustand, der auch die Produktionsverhältnisse der angeblich ‚sozialistischen’ Länder charakterisiert, obwohl der Mehrwert dort als Mehrprodukt aufzutreten vermag. Tatsächlich hängt die Existenz des Kapitals, wie Harich selbst ausführt, von der dauernden ‚Rationierung’ der Produzenten ab, um die wachsenden Mehrwertansprüche der Akkumulation zu befriedigen. Wenn und wo notwendig, wird das Kapital auch auf politischen Wegen versuchen, die Lebensbedingungen der Arbeiter auf ein bescheideneres Maß herabzusetzen. Das sich im Weltmaßstube ausbreitende Elend ist ein Produkt der Mehrwertproduktion, das Resultat der mit dem Kapitalismus verbundenen Rationierungs der Lebensbedingungen immer größerer Menschenmassen, und kann deshalb nicht als Lösung der ökologischen Krise empfohlen werden. Wäre es eine Lösung, so wäre das Kapital am besten imstande, sie durchzusetzen.

Wenn Harich von der Notwendigkeit der Herabsetzung der Produktion und Konsumtion spricht, so wirft sich die Frage auf: Wem erzählt er das eigentlich? Den Arbeitern, denen stets mehr Mehrwert entzogen wird? Den Arbeitslosen, die sich kaum über Wasser halten können? Den Hunderten von Millionen in den unterentwikkelten Ländern, die an Unterernährung leiden und langsam (oder oft sehr schnell) verhungern? Und wenn es die absolute Überbevölkerung und der zu schnelle Verbrauch der Rohstoffe sind, die diese Leiden verursachen, dann kann auch eine gerechtere Verteilung nichts Wesentliches daran ändern. Also muß, so Harich, mit der Akkumulation Schluß gemacht werden, damit sich die Gesamtproduktion auf Basis der einfachen gesellschaftlichen Reproduktion und ohne Bevölkerungszuwachs ausschließlich auf den Konsum beziehen kann.

Die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse schließen die einfache gesellschaftliche Reproduktion aus. Mit dem Aussetzen der durch den Akkumulationszwang forcierten industriellen Entwicklung setzen die Wirtschaftskrise und das Elend der Depression ein. Von einem Standpunkt aus, der die ökologische Krise für bereits aktuell hält, wäre dies allerdings ein begrüßenswerter Zustand. Da jedoch der Krisenzustand ohne revolutionäre Beseitigung des kapitalistischen Systems nur zu einer neuen Akkumulationsphase führen kann, bleibt eine Verwirklichung der einfachen Reproduktion dem Kommunismus vorbehalten. Zwar ist der Kommunismus auch in Harichs Auffassung noch keine Realität, aber seine Voraussetzungen wären durch die Existenz ‚sozialistischer Länder’ bereits gegeben. Es hängt von diesen und den Arbeiterbewegungen der kapitalistischen Länder ab, ob der Gesellschaft ihre Naturbasis erhalten bleibt. ”Der Sturz der Bourgeoisie, die Errichtung der Diktatur des Proletariats und die Verwirklichung des Kommunismus sind”, nach Harich, ”die Voraussetzungen dafür, die Forderungen des ‘Club of Rome’ in der Gesellschaft durchzusetzen.”

Abgesehen von einer Handvoll von Wissenschaftlern sind sich aber weder die Autoritäten der ‚sozialistischen Länder’ noch die Arbeiter der kapitalistischen Welt dieser hohen Aufgabe bewußt geworden. Wie F. Duve hervorhebt: ”Nach wie vor findet Wirtschaftspolitik aller Staaten — ohne Ausnahme — statt, als hätte es die Studien des ‚Club of Rome’ etwa nie gegeben.” Das trifft auch für die ‚sozialistischen’ Staaten zu, was Harich jedoch nicht hindert, ihnen die Möglichkeit einer schnelleren und besseren Anpassung an die ökologische Krise zuzuschreiben, da in ihnen der Zwang zur erweiterten Reproduktion nicht besteht. Wenn auch die Umweltzerstörung ein Problem der Industriegesellschaft überhaupt ist, so wäre doch die Möglichkeit, dieses Problem in den Griff zu bekommen, auf keinen Fall systemneutral. Allerdings, und leider, mache der Rohstoffreichtum der ‚sozialistischen’ Länder kommunistische Regelungen vorderhand noch unnötig. Aber letztenendes würden sie sich doch der ökologischen Krise zuwenden, da Kommunisten sich ”nie und nimmer damit abfinden werden, daß die Menschheit zum Untergang verurteilt ist”.

Inzwischen gilt es von neuem ‘gegen den Strom’ zu schwimmen und der Welt ihr Zukunftsbild vor Augen zu halten, um sie auf den Pfad der Rettung hinzuweisen. Daß der‚ Club of Rome nur warnen und vorschlagen kann, ändert, nach Harich, nichts an der ”revolutionären Sprengkraft” der von ihm ermittelten ökologischen Erkenntnisse. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen können nur von der Arbeiterbewegung und den Arbeiterstaaten gezogen werden, verlangen jedoch die Revision traditioneller kommunistischer Vorstellungen. ”Die Vorzüge des sozialistischen Systems müßten genützt werden, die Produktion aller materiellen Güter planmäßig so zu regeln, daß sie optimal den Kriterien der Ökologie […] gerecht wird.” Zu diesem Zweck, sagt Harich, ”müssen die Linksparteien schon jetzt, sofort damit anfangen, der Arbeiterklasse die Gründe darzulegen, aus denen sie, sobald sie zur Macht gelangt sind, das Wirtschaftswachstum stoppen und der ganzen Bevölkerung, mit Einschluß der Arbeiter, materielle Einschränkungen auferlegen werden.” Hier handelt es sich also um eine Revolution nicht für die Verbesserung, sondern für die Verschlechterung der Lebenslage der Arbeiter.

Es wird schwer fallen, viel revolutionären Enthusiasmus dafür aufzubringen. Aber das ist Harichs geringste Sorge. Als wahrheitsliebender Mensch will er keine Illusionen erwecken und den Arbeitern die Notwendigkeit neuer Entbehrungen klar machen, ”so populär, wie es möglich, und so unpopulär, wie es nach dem Urteil der Wissenschaft nötig ist”. Auf jeden Fall muß mit dem Wohlstandsdenken und dem Wachstumsfetischismus aufgeräumt werden, soweit wie möglich, ”mittels Umerziehung und aufklärender Überzeugung, doch, falls nötig, auch durch rigorose Unterdrükkungsmaßnahmen, etwa durch Stillegung ganzer Produktionszweige, begleitet von gesetzlich verfügten Massen-Entziehungskuren”. Es ist klar, wenigstens für Harich, ”daß dafür das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln, vom proletarischen Staat verwaltet, die unabdingbare Voraussetzung ist. Aber es genügt noch nicht. Der proletarische Staat muß vielmehr, darüber hinaus, über die Machtmittel verfügen, auch den Konsum der Individuen zu kontrollieren, und zwar nach Kriterien, die ihm die Ökologie an die Hand gibt. ”In dem endlichen System Biosphäre”, fährt Harich fort, ”in der der Kommunismus sich wird einrichten müssen, kann er die menschliche Gesellschaft nur in einen homöostatischen Dauerzustand überführen, der, sowenig er die Dynamik des Kapitalismus oder die des Sozialismus fortzusetzen erlaubt, auch keine schrankenlose Freiheit der Individuen zulassen wird. Jeder Gedanke an ein künftiges Absterben des Staates ist daher illusorisch.”

Diese ‚Revision’ des ‚klassischen Marxismus-Leninismus’ richtet sich allerdings nur gegen die Ideologie, nicht gegen die Realität der ‚sozialistischen’ Länder, die nie die Absicht hatten, noch haben, auf ”staatliche Autorität und kodifiziertes Recht” zu verzichten, um den Kommunismus im ursprünglichen Marxschen Sinne zu verwirklichen. Aber wie der autoritäre Staat, nach Harich, notwendig war, um mit ”beispielloser Härte und Brutalität” die ”schwerindustrielle Basis nationaler Selbstbehauptung” zu errichten, so wäre er noch viel notwendiger, um diese Basis wieder abzubauen. Wie Stalin zum Zweck industrieller Entwicklung ”das Land vergewaltigte”, so muß der die ”Voraussagungen der Wissenschaft mit ins Kalkül ziehende” proletarische Staat alle notwendigen Mittel anwenden, um die Menschen zu einem der Ökologie entsprechenden Leben zu zwingen. Selbst den Kommunismus Babeufs kann man den Arbeitern nicht selbst überlassen, er kann nur durch die unaufhebbare staatliche Gewalt marxistisch-leninistischer Parteien durchgesetzt werden.

An diesem Punkt wirft F. Duve ein, daß vom Standpunkt der autoritären kommunistischen Vorstellungen Harichs überhaupt nicht von Kommunismus gesprochen werden kann, da ”die Verwaltung des Mangels auf jeden Fall den Verwaltern die eigentliche Macht geben wird”. Die Verewigung des Staates ist natürlich die Verewigung der Klassengesellschaft und damit ausbeuterischer Produktionsverhältnisse, die zugleich Eigentumsverhältnisse sind. Als Staatseigentum treten die Produktionsmittel auch weiterhin als von den Arbeitern getrennte Produktionsmittel auf. Wie und was produziert wird, untersteht nicht ihrer Kontrolle, sondern der der staatlichen Institutionen, die angeblich die Interessen der Gesellschaft vertreten. Aber diese Gesellschaft bleibt geteilt in eine als durch den Staat organisierte Gruppe von Menschen, die die Produktionsmittel und damit die Verteilung beherrschen, und die Masse der Bevölkerung, die deren Anweisungen zu folgen hat. Dieser neue durch die staatliche Kontrolle der Produktionsmittel gekennzeichnete Gesellschaftstyp erscheint der Bourgeoisie als Staatssozialismus oder Sozialismus schlechthin, bleibt den Arbeitern gegenüber jedoch ein Kapitalverhältnis und findet in dem Begriff Staatskapitalismus seinen passenden Ausdruck, obwohl er ideologisch als Sozialismus aufzutreten versucht.

Ist diese Situation einmal gegeben, so vollzieht sich der gesellschaftliche Reproduktionsprozess auch als Reproduktion der staatlichen Beherrschung und das Anwachsen des gesellschaftlichen Reichtums als Zunahme der staatlichen Macht. Abgesehen von dem internationalen Konkurrenzkampf nationalorganisierter Kapital -massen, der durch die Unterschiedlichkeit der kapitalistischen Systeme noch verschärft wird, hat die sich innerhalb der staatskapitalistischen Verhältnisse herausbildende privilegierte Klasse schon von sich aus ein direktes Interesse an der Zunahme des ihr zur Verfügung stehenden Mehrprodukts und damit an der Entfaltung der Produktivkräfte auf staatskapitalistischer Basis. Von ihr kann keine freiwillige Unterbindung der Produktivkräfte erwartet werden, und wo sie ihr aufgezwungen werden sollte, wird sie die damit verbundenen Entbehrungen nicht auf sich selbst ausdehnen, sondern der machtlosen Masse der Bevölkerung überlassen. Das ökologische Argument böte allerdings ein gutes Alibi.

Es dient Harich schon heute zur Verteidigung der noch bestehenden Rückständigkeit der ‘sozialistischen’ Staaten gegenüber den kapitalistischen Industrieländern. ”Das West-Ost-Gefälle des Lebensstandards”, sagt er, ”das bisher den Fortgang der proletarischen Revolution in den kapitalistischen Industriestaaten gehemmt hat, müssen wir nun umkehren in ein Ost-West-Gefälle des vorbildlichen Umweltschutzes, des vernünftigen, maßvollen, haushälterischen Umgangs mit den Rohstoffen und einer damit in Einklang stehenden Qualität des sozialistischen Lebens.” Die Arbeiter des Westens müssen sich, wenn auch erst nach erfolgreicher Revolution, den niedrigeren Lebensstandard des Ostens zum Vorbild nehmen und gerade in dem Verzicht auf die wenigen Annehmlichkeiten, die ihnen der Kapitalismus gelegentlich noch bot, ihre revolutionäre Aufgabe erblicken. Was die Arbeiter der DDR anbetrifft, so sei ihnen klarzumachen, ”daß die Eigenschaften der DDR, wie des sozialistischen Lagers überhaupt, in denen wir Nachteile zu sehen gewohnt waren, sich als Vorzüge erweisen, sobald wir sie an den neuen Maßstäben der ökologischen Krise messen”.

Diese Umwertung bisheriger Werte kann jedoch auch in Harichs Auffassung nicht über Nacht erreicht werden. Der Gleichheitskommunismus Babeufs setze eine ”erste sozialistische Phase”, wie sie schon Marx hervorhob und wie sie in der DDR existiere, voraus, d.h. eine Verteilung nicht nach Bedürfnissen, sondern nach Leistungen. Da die Bewertung der Leistungen dem ‘proletarischen Staat’ untersteht, wird dieser Staat zum Instrument der Ungleichheit und beinhaltet nichts weiter als diese Ungleichheit, oder sich selbst. Aber sowenig wie die herrschende Klasse des Privatkapitalismus auf ihre Privilegien freiwillig verzichten wird, sowenig wird die durch den ‚proletarischen Staat’ zur Herrschaft gebrachte neue Klasse ihre damit verbundenen Privilegien aufgeben. Wie das Kapital, ist auch der ‚sozialistische Staat’ außerstande, im Sinne Babeufs die Warnungen des ‚Clubs of Rome’ wahrzunehmen, es sei denn auf Kosten der Arbeiter, was, mit öder ohne ökologische Krise, sowieso stets der Fall ist. Und sowenig wie die Arbeiterklasse unter den Bedingungen der Ausbeutung und Ungleichheit in den kapitalistischen Ländern bereit sein wird, ihre Bedürfnisse im Interesse der Umwelterhaltung herabzusetzen, so wenig werden die Arbeiter der ‚sozialistischen’ Länder im Interesse ‚kommender Generationen’ auf eine Verbesserung ihrer Lebenslage verzichten. Der Kampf der Klassen, der latent stets vorhanden ist, wird über den weiteren Verlauf der Wirtschaftsentwicklung entscheiden. So muß mit dem Abbruch des Wirtschaftswachstums auch der Klassenkampf abgeschafft werden, oder, in Harichs Terminologie, die ‚Diktatur des Proletariats’ unter Führung der kommunistischen Parteien auf weltweiter Ebene errichtet werden, um den Anforderungen der ökologischen Krise schon in der ‚ersten Phase’ des Kommunismus nachzukommen.

Mit den Mitteln der staatlichen Gewalt läßt sich der Klassenkampf zwar nicht aufheben, aber doch für längere oder kürzere Zeitspannen einseitig führen, d. h. durch die faschistische oder demokratische Diktatur des Kapitals oder durch die ‘Diktatur der Arbeiterklasse’ im Sinne des ‚Marxismus-Leninismus’. Wenn sich in der den kapitalistischen Produktionsverhältnissen entspringenden ökonomischen Krise die Klassengegensätze zuspitzen, so muß auch aus den Maßnahmen zur Überwindung der ökologischen Krise, die denen der ökonomischen Krise entsprechen, auf die Verschärfung der Klassenkämpfe gerechnet werden. Die dauernde Bedrohung der herrschenden Klassen wird diese einerseits zwingen, mit diktatorischen Mitteln ihre Macht zu erhalten; andererseits aber werden sie auch versuchen, den Forderungen der Arbeiter soweit wie möglich entgegenzukommen. Für das Privatkapital kann es sich dabei nur um Maßnahmen handeln, die zu einer Wiederaufnahme der Kapitalakkumulation und damit der Ausdehnung der Produktion führen. Um sich selbst zu erhalten, müssen die herrschenden Klassen der ‚sozialistischen’ Länder die Produktivität der Arbeit und die Produktion vermehren und sich ohne Rücksicht auf ökologische Folgen dem weiterer Wachstum verpflichten.

So stoßen die Warnungen des ‚Club of Rome’ überall auf taube Ohren und besonders in den ‚sozialistischen’ Ländern, in denen sich eine neue ‚Bourgeoisie’ auf staatlicher Grundlage herausbildet. Es handelt sich hier nicht, wie Harich es sich vorzuzaubern versucht, um einen Mangel an Verständnis auf seiten der ‚kommunistischen’ Autoritäten, dem durch ‚wissenschaftliche’ Einsicht abgeholfen werden kann, sondern um das Klassenbewußtsein einer neuen herrschenden Klasse, das dem der alten herrschenden Klasse um nichts nachsteht. Es ist die Verfälschung des Sozialismus in den Staatssozialismus, die einzige Art ‚Sozialismus’, die sich Harich vorzustellen vermag, welche es ihm erlaubt, seine ökologischen Hoffnungen von der staatlichen Diktatur und ihrer Verewigung abhängig zu machen.

Hängt die Rettung der Welt von den schon bestehenden und ähnlichen noch zu erwartenden ‚sozialistischen’ Ländern ab, dann kann man alle Hoffnung fahren lassen. Was Harich dem Kapitalismus vorwirft, nämlich die Unfähigkeit, dem wirtschaftlichen Wachstum Einhalt zu gebieten, trifft auch für die als ‚Sozialismus’ posierenden staatskapitalistischen Systeme zu. Seinem illusorischen Verlangen ”nach einem stationären Zustand der Menschheit im System der Natur” könnte nur durch die gleichzeitige Überwindung der kapitalistischen und staatskapitalistischen Systeme entsprochen werden und würde revolutionäre Bewegungen erfordern, die sich nicht dem ‚Urteil der Wissenschaft’ und der staatlichen Autorität bedingungslos unterwerfen, sondern die sich die Welt eigenmächtig, ihren eigenen Notwendigkeiten und Bedürfnissen entsprechend, einrichten.

Da es solche Bewegungen noch nicht gibt, werden wir in der ökologischen Krise verharren müssen. Die ‚Wissenschaft’ ist nicht verantwortlich für die praktische Anwendung oder Unterlassung der von ihr gewonnenen Erkenntnisse; diese bleiben den Regierungen und damit den herrschenden Klassen überlassen. Es ist eigenartig, daß sich Harich gegen den Wachstumsfetischismus im Namen der Wissenschaft wendet, da die letztere selbst nur ein Aspekt des Wachstumsfetischismus ist. Die Wissenschaft wird durch Menschen repräsentiert, die nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Mitglieder der Gesellschaft sind, und es sind die spezifisch gesellschaftlichen Interessen, die den praktischen Bereich der Wissenschaft bestimmen. Die Entfaltung der kapitalistischen Produktivkräfte oder, was dasselbe ist, die Erzeugung der ‚ökologischen Krise’ war ein durch die Wissenschaft geförderter Prozeß, war in wachsendem Maße ein direktes Resultat der Wissenschaft und ihrer Einwirkung auf die Technik. Von dieser umweitzerstörenden Wissenschaft erwartet nun Harich die notwendigen Anleitungen zur Wiederherstellung eines ökologischen Gleichgewichts, dessen praktische Verwirklichung nicht nur dem Wachstum der Wirtschaft, sondern auch dem der Wissenschaft definitive Grenzen setzen würde. Er spricht zwar von der Wissenschaft unter der ‚Diktatur des Proletariats’, aber da es sich dabei nur um eine Umbenennung des — durch das Staatseigentum — weiterbestehen- den Kapital-Arbeiter-Verhältnisses handelt, bleibt auch hier die Entwicklung der Wissenschaft vom weiteren Wachsen der Produktivkräfte abhängig, womit die gesellschaftlich bestimmten Interessen der Wissenschaftler dem Gedeihen des Staatskapitalismus verhaftet bleiben.

Dem widerspricht scheinbar die dem ‚Club of Rome’ zugemessene Anerkennung von seiten russischer Wissenschaftler, wie auch überhaupt die allgemeine Aufmerksamkeit, die den mit ‚revolutionärer Sprengkraft’ versehenen Ermittlungen des ‚CIubs of Rome’ zuteil werden. Es scheint verwunderlich, daß diese Forschungen von kapitalistischen Institutionen und Unternehmen, wie z. B. der Volkswagenstiftung, finanziert werden, ganz zu schweigen von der unerwarteten Liberalität totalitärer Staaten, ihren Akademikern das Recht auf pessimistische Zukunftsforschung einzuräumen. Bricht sich hier die Wissenschaft als solche, unabhängig von gesellschaftlichen Umständen, freie Bahn, oder sind ihre heutigen Besorgnisse auch die der diversen herrschenden Klassen? Hängt dies vielleicht mit den Geboten langfristiger Planung zusammen, oder ist es nur eine spontane Reaktion auf politisch-inszenierbare Verknappungen notwendiger Roh- und Brennstoffe im Rahmen des Preismechanismus? Oder handelt es sich hier um nichts mehr als eine der Wissenschaft erlaubte Narrenfreiheit, die letztenendes zu nichts weiter als einer weitgehenden Projektmacherei führen kann, um den Wissenschaftlern Beschäftigung und Einkommen zu vermitteln? Obwohl das ökologische Problem tatsächlich existiert, haben die von ihm ausgehenden Forschungen doch keinerlei praktische Bedeutung. Soweit ihnen praktische Bedeutung zugesprochen werden könnte, ist diese widersprüchlich: während sie den Arbeitern in Ost und West das Grausen beizubringen vermag und sie vom Kampf um bessere Lebensbedingungen zurückhält, vergrößert sie den Mehrwert oder das Mehrprodukt bei fortschreitender ökologischer Zerstörung.

Die absolute Einhaltung der ökologischen Balance ist unmöglich. Aber die Verlängerung der menschlichen Existenz durch die Berücksichtigung der ihr von der Natur gesetzten Schranken ist eine auch heute noch bestehende Möglichkeit, deren Realisierung allerdings das Ende des kapitalistischen Raubbaus voraussetzt. Die von der Natur gesteckten Grenzen sind auch jetzt noch nicht von erster Wichtigkeit. Was notwendig ist, heute und morgen, ist die Überwindung des durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse verursachten menschlichen Elends; und dies als Voraussetzung einer den naturgegebenen Bedingungen angepaßten rationalen planmäßigen Wirtschaftsgestaltung, nicht aber durch weitere Entbehrungen, sondern durch einen für alle Menschen erreichbaren höheren Lebensstandard, von dem die Einschränkung des Bevölkerungs-zuwachses abhängig ist und der die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte bedingt.

Die progressive Umweltzerstörung ist nicht so sehr das Resultat der wachsenden Produktivkräfte, vielmehr das der Entwicklung dieser Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen. Wäre kapitalistische Produktion wirklich, was von ihr behauptet wird, eine Produktion zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, dann hätte die Entwicklung der Produktivkräfte einen anderen als den ihr tatsächlich gegebenen Charakter, eine andere Technologie und andere ökologische Ergebnisse. Daran ändert auch die erweiterte Reproduktion bei zunehmender Bevölkerungszahl und zunehmenden Bedürfnissen prinzipiell nichts. Aber die Entwicklung der Produktivkräfte vollzieht sich auf Basis kapitalistischer Produktionsverhältnisse und ist damit an die Produktion von Kapital gebunden; sie kann die menschlichen Bedürfnisse nur insoweit betreffen, als diese mit den Akkumulationsnotwendigkeiten des Kapitals zusammenfallen. Damit ist jeder direkte Bezug auf die wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnisse und auf die natürlichen Schranken gesellschaftlicher Produktion ausgeschlossen. Unter den Bedingungen der Kapitalkonkurrenz, die auch durch die Monopolisierung des Kapitals nicht aufgehoben wird und der — auf internationaler Basis — auch die staatskapitalistischen Systeme unterworfen sind, vollzieht sich die Entwicklung der Produktivkräfte blindlings, und dies um so mehr, je mehr auf nationaler Ebene versucht wird, die Produktion unter bewußte zentrale Kontrolle zu bringen. Dieser Prozeß bedingt eine ungeheure Vergeudung menschlicher Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen, die in einem anderen Gesellschaftssystem nicht (oder nicht in diesem Ausmaß) zu finden wäre.

Obwohl es nicht viel Sinn hat, könnte man berechnen, inwieweit die Expansion der kapitalistischen Produktion von den Notwendigkeiten oder den Bedürfnissen der menschlichen Existenz bestimmt ist und inwieweit sie sich auf den spezifischen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise bezieht. Mit anderen Worten: Wie würde die Produktion aussehen, wenn alle sich aus dem Kapitalismus ergebenden produktiven und unproduktiven Aktivitäten wegfallen würden? Sicherlich würde eine solche Berechnung ergeben, daß zumindest die Hälfte der kapitalistischen Produktion aufgegeben werden könnte, ohne daß damit die Lebensbedingungen der Menschen beeinträchtigt wären. Der Großteil der heute angewandten Arbeit ist unproduktive Arbeit, die nur einen ‚Sinn’ innerhalb der kapitalistischen Markt- und Eigentumsverhältnisse hat. Sie ließe sich, bei gleichzeitiger Verminderung der Arbeitszeit, in produktive Arbeit verwandeln; nicht ‘produktiv’ im Sinne von profitabel, sondern im Sinne der Gebrauchswertproduktion. Diese Art von Produktion würde durch das Wegfallen des Profitprinzips, der Konkurrenz, und des unnötigen‚ moralischen Verschleißes’ der Produktionsmittel eine bedeutende Einsparung von Rohstoffen mit sich bringen, ohne deshalb die den menschlichen Bedürfnissen dienende Produktion herabzusetzen.

Eine solche Umstellung erfordert eine andere als die existierenden Gesellschaftsordnungen. Folgt man den Berechnungen des ‚Club of Rome’, so mag es sich, angesichts der Überbevölkerung, der begrenzten Ertragsfähigkeit der Erde und der versiegenden Energie-, quellen bereits um eine verpaßte Gelegenheit handeln. Freilich genügt ein Blick auf die heutige Weltproduktion, um festzustellen, daß von einem aktuellen Mangel materieller Ressourcen noch nicht gesprochen werden kann. Im Gegenteil, und trotz der vor kurzem künstlich erzeugten ‘Energiekrise’, scheint die Welt an ‚Überproduktion’ oder einer mangelnden zahlungsfähigen Nachfrage zu leiden, und zwar aufgrund einer zu niedrigen Akkumulationsrate, die schon von sich aus der Expansion der Produktion Schranken setzt. Die sich so darstellende Krisensituation hat noch keinerlei natürliche Ursachen, sondern hat ihren Grund in den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals. Auch für den ‚Club of Rome’ werden sich die Auswirkungen der ökologischen Krise erst in ”zwei oder drei Generationen” voll bemerkbar machen und katastrophale Formen annehmen, und zwar nur dann, wenn bis dahin keine Schritte zu ihrer Abwendung unternommen werden.

In den zwei Berichten für den ‘Club of Rome”, auf die sich Harich beruft, zieht sich die der Welt noch gewährte Gnadenfrist bis in die zeitige Abschaffung der Unter- und Überentwicklung in den dies bezüglichen Regionen; einer entsprechenden weltweiten Allokation nicht regenerierbarer Roh- und Brennstoffe; einer effektiven Bevölkerungspolitik; der Zuwendung zur Sonnenenergie anstelle weiterer Kernreaktoren; einer großzügigen Unterstützung der armen durch die reichen Länder und ähnlicher lobenswerter Maßnahmen. Über die praktische Durchführung des Programms wird kein Wort verloren. Fest steht nur, daß die Lösung der problématique humaine die engste Zusammenarbeit im Weltmaßstab erfordert, da es eine Zukunft nur dann geben kann, ”wenn die Geschichte nicht mehr, wie bisher, von Persönlichkeiten oder sozialen Klassen bestimmt wird, sondern durch die Zuwendung zu den materiellen Ressourcen zur Sicherstellung der menschlichen Existenz”. Die Verkennung der kapitalistischen Realität steht der Harichs in Bezug auf die ‘sozialistische’ Welt um nichts nach. In beiden Fällen haben wir es nur mit in den Wind gesprochenen Beschwörungen zu tun. Irgendwie ist es den Autoren des zweiten Berichts dabei selbst nicht recht wohl zumute. So ‚rational’ der Computer ist, so irrational sind die Menschen. Obwohl der Computer nachwies, daß der Menschheit nicht durch Konflikte, sondern nur durch Zusammenarbeit geholfen werden kann, bezieht sich die Computer-Analyse notwendigerweise doch nur auf die materiellen Grenzen des Wachstums. Aber die Welt wird von den Menschen selbst bedroht aufgrund sozialer, politischer und organisatorischer Schwierigkeiten, die letztenendes der ‚menschlichen Natur’ entspringen. Da der ‚Club of Rome’ in politischer Hinsicht jedoch unparteiisch ist, kann nicht darauf eingegangen werden. Trotzdem wird angemerkt, daß der schnellste Weg zur Vernichtung der Menschheit wohl ein Atomkrieg wäre; aber diese Eventualität, wie auch die ungeheure Vergeudung kostbarer Ressourcen durch Aufrüstung und Militarismus, fällt nicht in den Rahmen der vom ‚Club of Rome’ aufgeworfenen Probleme, da die Welt auch ohne Atomkrieg der Gefahr völliger Vernichtung ausgesetzt ist.

Der Dialektiker Harich kann sich damit nicht zufrieden geben. Die vom ‚Club of Rome’ getroffene Unterscheidung der natürlichen von den gesellschaftlichen Problemen widerspricht der ‘Wechselwirkung’ zwischen Mensch und Natur. Für ihn stehen der drohende Atomkrieg und die ökologische Krise im engsten Zusammenhang. Zwar bestreitet er nicht, daß es gesellschaftliche Gegensätze sind, die Kriege hervortreiben, aber ”in einer Zeit, in der das Wirtschaftswachstum an unaufhebbare Naturschranken stößt, müssen wir auch da ein wenig umlernen. Unter den Bedingungen der ökologischen Krise verfilzen sich die natürlichen und die gesellschaftlichen Faktoren in nie dagewesener Weise […] Die Einwirkung der Gesellschaft auf die Natur kann eine Lage schaffen, die dann wieder die Gesellschaft dazu treibt, in einer Katastrophe Zuflucht zu suchen”. Es genügt also nicht, den Krieg zu verhindern, sondern es muß auf die ökologische Krise als eine der möglichen Ursachen des Krieges eingegangen werden, um diesen selbst abzuwenden.

Nun haben wir zwar schon zwei Weltkriege und viele kleinere Scharmützel hinter uns, noch ehe die Bedrohung der Ökologie ins Bewußtsein rückte und nicht weil sich die Nationen, wie Hunde um einen Knochen, um knapp werdende Rohstoffe balgten, sondern weil sich der kapitalistische Konkurrenzkampf um den von der arbeitenden Bevölkerung extrahierten Mehrwert auf weltweiter Ebene abspielt. Der Konkurrenzkampf existiert unter allen Umständen, mit oder ohne Rohstoffverknappung, hat also mit der letzteren nichts zu tun, sondern ergibt sich aus der kapitalistischen Produktionsweise. Auch wenn auf einen eintretenden Mangel an Rohstoffen und Lebensmitteln tatsächlich mit dem Krieg und nicht anderweitig reagiert werden würde, hinge diese Art der Reaktion mit der Gesellschaftsform und nicht mit dem allgemeinen Mangel zusammen. An diesem Punkt nähert sich Harich jedoch wieder der einseitigen Einstellung des ‚Club of Rome’ auf das rein ökologische Problem, ohne Bezugnahme auf die reale kapitalistische Welt. Diese Welt ist auch für ihn, trotz der ”Verfilzung der natürlichen und gesellschaftlichen Faktoren”, nur ein nachgeordneter Faktor, da es die ökologische Krise ist, die zum Krieg verleiten kann, so daß die Abwendung des Krieges die Beendigung der ökologischen Krise voraussetzt. Aber der Krieg kann morgen ausbrechen, die ökologische Katastrophe erst Mitte des nächsten Jahrhunderts. Ihr kann durch den Atomkrieg vorgegriffen werden, um auf diese gräßliche Weise nachzuweisen, daß die Menschheit nicht von der Natur, sondern vom Kapitalismus umgebracht wurde.

Aber wie steht es tatsächlich mit der ökologischen Krise? Die statistischen Ergebnisse der Computermodelle, auf die sich Harich und der ‚Club of Rome’ beziehen, sind nicht einwandfrei und können von verschiedenen Gesichtspunkten aus angezweifelt werden. Wie es sich nur in sehr ungenauer Weise feststellen läßt, was in den letzten 50 Jahren an Rohstoffen und Energie von den industriellen Ländern verbraucht worden ist, so läßt sich mit noch geringerer Sicherheit sagen, was noch vorhanden ist. Hier handelt es sich um eine unbekannte Größe, was schon daraus zu ersehen ist, daß diesbezügliche Schätzungen fortlaufend revidiert werden — nicht nur durch die Entdeckungen neuer Reserven, sondern auch durch die Verbesserung der Schätzungsmethoden. Um nur ein Beispiel anzuführen: Die unangetasteten Kohlevorkommen in den Vereinigten Staaten wurden 1969 auf 3.000 Milliarden Tonnen geschätzt, 1975 wurde dieser Bestand aufgrund besserer Schätzungsmethoden um 23 Prozent erhöht. Aber da auch Fehlschätzungen nach oben oder unten nichts daran ändern, daß die Roh- und Brennstoffe letztenendes verbraucht sein werden, hat es nicht viel Sinn, den pessimistischen Erwartungen optimistische entgegenzusetzen. Tatsächlich ist nämlich zu erwarten, daß für absehbare Zeit nicht ökologische Erwägungen die Wirtschaftspolitik und damit die Politik bestimmen werden, sondern — wie bisher — die dem Kapital immanente Notwendigkeit der Profitproduktion.

Die historische Schranke des Kapitals ist, nach Marx, das Kapital selbst. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte auf dem Wege der Akkumulation verbraucht nicht nur unersetzbare Rohstoffe und bringt die relative Überbevölkerung hervor, sondern auch die Tendenz fallender Profite im Verhältnis zur wachsenden Masse des Kapitals; und damit deutet sie auf die Grenzen kapitalistischer Expansion hin. Auch ohne ihm von der Natur gesetzte Schranken muß das Kapital zugrunde gehen. Es kann sich deshalb nicht an erster Stelle auf die Natur beziehen, sondern nur auf die vom Mehrwert abhängigen Profitraten, von denen, mit der Akkumulation, das Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft bestimmt wird. So haben auch die ‘ökologischen’ Befürchtungen des ‚Club of Rome’ oft einen sehr prosaischen Hintergrund, wie er z.B. in der sogenannten Ölkrise von 1973 hervortrat. Hier handelte es sich nicht um einen plötzlich einsetzenden Mangel an Öl, sondern um politisch erzielte Preiserhöhungen im Gefolge der allgemeinen weltweiten Inflation, die das Angebots-Nachfrage-Verhältnis zu Gunsten der Ölproduzenten verschob. Marktmäßig könnte nur eine erhebliche Abnahme der Nachfrage auf den Monopolpreis einwirken, was sich aber nur schwerlich (und nicht sofort) bewerkstelligen läßt. Die Vermehrung der Ölproduktion bei steigenden Preisen würde aber, dem zweiten Bericht des ‚Club of Rome’ zufolge, nicht nur die Energiequellen zu schnellerem Versiegen bringen, sondern auch zu einer Übertragung von Reichtum und ökonomischer Macht aus den Industrieländern in die ölproduzierenden Staaten führen. Iran besäße bereits eine Minoritätskontrolle über die deutschen Kruppwerke. Innerhalb von zehn Jahren könnten die Ölstaaten mit einem akkumulierten Kapital von 500 Milliarden Dollar einen großen Teil des westlichen Kapitals in ihre Hände bringen und die Weltwirtschaft, einschließlich der unterentwickelten Länder, aufs tiefste erschüttern. Ohne auf diese unbegründeten und mehr als zweifelhaften Spekulationen einzugehen, sei doch bemerkt, daß das Verlangen des ‚Club of Rome’ nach einer ”globalen Lösung des Energieproblems” mehr von ökonomischen als von ökologischen Gesichtspunkten bestimmt zu sein scheint. Jedenfalls ist es zur Zeit nicht ein tatsächlicher Mangel an natürlichen Ressourcen, der die Welt bedroht, sondern der mit allen Mitteln geführte Konkurrenzkampf um den Weltprofit.

Da die Bewegung der Welt vom Profit bestimmt wird, kümmern sich die Kapitalisten um das ökologische Problem nur insoweit, als es sich auf den Profit bezieht. Den Kapitalisten liegt nichts an der Zerstörung der Welt; sollte es sich herausstellen, daß auch die Erhaltung der Welt profitabel sein kann, dann wird auch der Schutz der Welt zu einem Geschäft. Und dies um so mehr, da die Umweltzerstörung selbst ein Instrument der Konkurrenz und der Aufteilung des Gesamtprofits ist. Dieses Problem erscheint in der ökonomischen Literatur als das ‚externer Effekte’ oder der Unterscheidung zwischen privaten Auswirkungen und den sozialen Begleiterscheinungen der kapitalistischen Produktion. Die sozialen sind zugleich ökologische Erscheinungen, wie z. B. die Emission von Schadstoffen aller Arten, die den Naturkreislauf beeinträchtigen, bis hin zur Zerstörung der notwendigen globalen Sauerstoffbilanz. So verbindet sich mit dem Raubbau eine Umweltzerstörung, die oft für noch aktueller und gefährlicher gehalten wird als der rapide Verbrauch materieller Ressourcen. Diese allzu bekannten Vorgänge, die einerseits der Profitproduktion zuzuschreiben sind, andererseits aber auch die Profitproduktion beschneiden, betreffen die verschiedenen Kapitale unterschiedlich und bringen damit schon Bestrebungen zur Einschränkung der Zerstörung innerhalb des Kapitalismus hervor. Es hängt dann von der Masse des Mehrwerts ab, ob diesen Bestrebungen nachgekommen werden kann, d.h. von der zunehmenden Ausbeutung der Arbeiter oder von deren ‚bescheidener Lebenshaltung’. An diesem Punkt treffen sich die Vorschläge Harichs mit den dem Kapital empfohlenen Maßnahmen, wie sie im ‚Club of Rome’ zum Ausdruck kommen.

Ist es auch nicht ausgeschlossen, daß — bei ausreichender Mehrwertproduktion — das Kapital selbst imstande ist, die Umweltzerstörung im eigenen Interesse zu vermeiden oder gänzlich auszuschalten, so kann dies doch nur auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung geschehen. Und da dem Mehrwert durch die Akkumulation Schranken gesetzt sind, ist die sich tatsächlich fortsetzende Umweltzerstörung auf die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise zurückzuführen. Damit ist schon gesagt, daß es sich hier um ein soziales und kein ökologisches Problem handelt. Aber wie steht es mit der Überbevölkerung? Das ist ein Problem für sich, das auch durch einen vorstellbaren rationalen Umgang mit den Rohstoffen und dem Ende der Umweltzerstörung nicht aus der Welt zu schaffen ist. Im Verhältnis zur wachsenden Bevölkerung geht die Produktion von Nahrungsmitteln zurück. Wird die Erde unfruchtbarer? Oder reicht sie überhaupt nicht aus, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren?

Neben anderen ergab auch eine vor drei Jahren für den ‚Club of Rome’ unternommene und von H. Linneman geleitete ‚Untersuchung’ daß die globale Kapazität der Lebensmittelproduktion auch einer Verdoppelung der Bevölkerung gewachsen wäre. Die abnehmende landwirtschaftliche Produktion im Verhältnis zur wachsenden Bevölkerung hat vorläufig nichts mit irgendwelchen von der Natur gesetzten Schranken zu tun, sondern findet ihre Ursachen in gesellschaftlichen Verhältnissen, die einer Ausdehnung der Produktion im Wege stehen. Zudem hat der in der Welt vorhandene Hunger nichts mit der Ergiebigkeit der landwirtschaftlichen Produktion zu tun. Auch eine Verdoppelung der Produktion könnte ihn nicht beseitigen, ja würde ihn höchstwahrscheinlich noch vermehren. Das Vorhandensein ausreichender Nahrungsmittel garantiert noch nicht die Befriedigung menschlicher Konsumtionsbedürfnisse. Waren existieren nur für die zahlungsfähige Nachfrage, und für die Nichtzahlungsfähigen kann eine Überproduktion noch gefährlicher sein als eine auf die Natur zurückführbare Mißernte. Daß auch Mißernten noch zum Hunger führen, hat ebenfalls nichts mit der unberechenbaren Natur zu tun, sondern mit der gesellschaftlichen Vernachlässigung von Maßnahmen, die, mit der Vermehrung der landwirtschaftlichen Produktion und der Verbesserung der Produktivität der Landwirtschaft, genügend Reservebestände hervorbringen, um Naturkatastrophen begegnen zu können.

Im größten Teil der unterentwickelten, vornehmlich agrarischen Welt, wie z. B. in Südasien, ist es nicht so sehr die geizige Natur, sondern ein soziales Klassensystem von Institutionen und Macht-beziehungen, das der Vermehrung der Produktion und der Produktivität im Wege steht. Neben der mehr und mehr unhaltbaren Subsistenzwirtschaft sind es der Grundbesitz, das Pachtsystem, das Wucherkapital, die Plantagenwirtschaft und die parasitäre staatliche Bürokratie, die jede progressive Entwicklung durch das Beharren auf der bestehenden Gesellschaftsstruktur verhindern. In den afrikanischen Staaten hat die durch das Kolonialsystem erwirkte Spezialisierung auf die Produktion von industriellen Rohstoffen zu einem Zustand geführt, der deren weitere Entwicklung auch heute noch dem kapitalistischen Krisenzyklus und dem damit verbundenen Elend unterwirft. Nicht nur dort, sondern auch in den südamerikanischen Staaten vollzieht sich die zunehmende Industrialisierung auf Kosten der landwirtschaftlichen Produktion. Frühere Exportländer werden zu Nahrungsmittel importierenden Ländern. Auch die russische Entwicklung zur konkurrierenden Weltmacht ließ sich nur durch die relative Vernachlässigung der Landwirtschaft erreichen und zwingt bei jeder Mißernte zur Lebensmittel- einfuhr. Die zunehmende Diskrepanz zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Produktion hat weniger mit dem Bevölkerungszuwachs und abnehmenden Bodenerträgen zutun, als mit der durch die kapitalistische Konkurrenz erzwungenen einseitigen Überbetonung der industriellen Expansion oder der des Kapitals.

Es stimmt natürlich, daß die Bevölkerung enorm zugenommen hat. Da die Medizin die Sterblichkeitsziffern weitgehend senkte, erscheinen die gleichbleibenden Geburtenziffern als ‘Bevölkerungsexplosion’. Es stimmt ebenfalls, daß die Bevölkerung nicht dauernd wachsen kann und sich früher oder später den ökologischen Gegebenheiten gemäß zu stabilisieren hat. Aber es läßt sich nicht nachweisen, daß die existierende Bevölkerungszahl bereits für das in der Welt vorhandene Elend verantwortlich ist. Eine dem Bevölkerungszuwachs und deren Bedürfnissen angepaßte Produktion würde höchstwahrscheinlich ergeben, daß von einer absoluten Überbevölkerung noch nicht gesprochen werden kann. Die prozentuale Erhöhung der Produktion und Produktivität der Landwirtschaft in Ländern wie den Vereinigten Staaten und Australien übertrifft bei weitem den prozentualen Bevölkerungszuwachs. Obgleich nicht überall mit gleichen Produktionsmethoden gleiche Resultate erzielt werden können, ist es zweifellos noch möglich, die Weltproduktion von Nahrungsmitteln bedeutend zu steigern. Und nur von einer allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen kann eine bewußte Beschränkung des Bevölkerungszuwachses erwartet werden. Allerdings kann sie auch durch die von Hunch gepriesene staatliche Gewalt erzwungen werden. So liegen in Indien zur Zeit Gesetzesvorlagen zur zwangsmäßigen Sterilisierung der Bevölkerung vor, der jede Familie nach dem zweiten Kind verfallen sein soll. Von hier aus ist es nur ein weiterer Schritt zur direkten Ausrottung der überzähligen Menschen. Aber es geht auch anders. Wenn sie auch vorerst das Privileg einer Minderheit der Weltbevölkerung ist, so demonstriert die in den hochentwickelten Ländern bereits realisierte freiwillige Geburtenkontrolle die Möglichkeit einer Bevölkerungsplanung, die im Laufe der Zeit die Bevölkerung nicht nur stabilisieren, sondern absolut vermindern kann.

Harichs und des ‚Club of Rome’ Warnungen wären völlig sinnlos, verbände sich mit ihnen nicht die Überzeugung der Abwendbarkeit der gefürchteten ökologischen Katastrophe. Ist dies eine objektive Möglichkeit, dann ist damit schon gesagt, daß es von der Gesellschaft und nicht von der Natur abhängt, ob die Menschheit noch eine unübersehbare Zukunft vor sich hat. Für Hanich ist die Abschaffung der Kapitalproduktion die dafür unerläßliche Voraussetzung. Nur damit wäre überhaupt an das ökologische Problem heranzukommen. Nur ist die von ihm ins Auge gefaßte Revolution keine Umwälzung, die zu einer kommunistischen Gesellschaft führen könnte und damit auch nicht zu einer Gesellschaft, die das ökologische Problem zu meistern imstande wäre. Der ‚Club of Rome’ kann sich nicht einmal Harichs Pseudo-Revolution vorstellen und verläßt sich auf den guten Willen und die Bereitwilligkeit einsichtiger Staatsmänner, die zur Lösung des ökologischen Problems notwendigen Maßnahmen zu treffen. Daß aber solche Maßnahmen mit der Gesellschaftsstruktur auch ihre Staatsmänner beseitigen würden, kann von dieser Seite aus nichts erwartet werden.3

Was also ist zu tun in dieser anscheinend hoffnungslosen Situation? Überhaupt nichts, wenn an das Problem vom Standpunkt der Ökologie herangetreten wird. Schon deshalb nicht, weil es nicht das nächstliegende ist, das die Weiterexistenz der Menschheit bedroht. Die ‘ökologische Krise’ ist zum großen Teil selbst ein Produkt der gesellschaftlichen Krisensituation, und die sich aus der letzteren ergebende herannahende Katastrophe geht der ökologischen Katastrophe voraus. Wie die Dinge heute liegen, macht die hohe Wahrscheinlichkeit atomaren kriegerischer Auseinandersetzungen die Beschäftigung mit der ökologischen Krise überflüssig. Alle Aufmerksamkeit muß auf die gesellschaftlichen Vorgänge gerichtet werden, um den Atomverbrechern in Ost und West zuvorzukommen. Gelingt dies den Arbeitern der Welt nicht, dann werden sie auch nicht in die Lage kommen, sich der ökologischen Bedrohung entgegenzustellen und mit der kommunistischen Gesellschaft die Voraussetzungen für die Weiterexistenz der Menschheit zu schaffen.


1Wolfgang Harich, Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der ‚Club of Rome‘, Reinbek bei Hamburg, 1975.

2Marx/Engels, Werke, Bd. 27, S. 314.

3The limits of Growth, 1972, und Mankind at the Turning Point, 1974.

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