Drei Freunde – und eine explosive Mischung

Anfang Oktober 2018 wurden drei Freunde im niedersächsischen Verden an der Aller in Gewahrsam genommen, gegen die seitdem mehrere Verfahren, unter anderem wegen Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechen, sowie ein Prüfverfahren bei der Bundesanwaltschaft laufen. Wir veröffentlichen hier in chronologischer Reihenfolge die bisher publizierten Texte, gefunden auf der Seite der Roten Hilfe Hamburg.


Drei Freunde – und eine explosive Mischung

Über erfundene Explosionsverbrechen, DNA und einen entfesselten Staat

Hiermit wollen wir euch über unsere laufenden Verfahren informieren, die Ereignisse der letzten zwei Jahre darlegen und diese inhaltlich kurz einordnen. Am Anfang unseres Verfahrens haben wir aus verschiedenen Überlegungen und unterschiedlichen Bedürfnissen keinen Sinn in der Veröffentlichung gesehen. Mit der Entnahme unserer DNA, laufenden Observationen und der Eröffnung weiterer Verfahren haben wir unsere Einschätzung geändert. Wir hoffen, euch einen Einblick in die Logik und Abläufe der Repressionsbehörden geben zu können und wollen zu einem bewussten Umgang motivieren.

Wir sind Anfang Oktober 2018 zu dritt im niedersächsischen Verden an der Aller festgenommen worden. Eine Polizeistreife hielt und setzte uns, mit Hand an der Waffe, fest. Innerhalb der Kontrolle eröffneten uns die Cops, dass uns ein Rollkoffer und eine Tasche gehören sollen. Sie behaupteten, in den Taschen Kanister mit einer nicht identifizierbaren Flüssigkeit sowie mehrere Zündvorrichtungen gefunden zu haben. Zeitgleich wurden zusätzliche Streifenwagen und Cops in Zivil zusammengezogen. Sie durchsuchten uns und nahmen uns anschließend in Gewahrsam. Auf der nächstgelegenen Polizeistation wurden wir erkennungsdienstlich behandelt. Die Cops fertigten Fotos an und beschlagnahmten unsere Klamotten und Schuhe. Parallel durchsuchten sie unsere Wohnungen in Hamburg und Niedersachsen. Mittels der beschlagnahmten Klamotten und Schuhe wurden Geruchsproben erstellt und diese an Spürhundeinheiten übergeben. Am Ort unserer Festnahme wurde mit Hilfe der Spürhunde ein Auto festgestellt, welches umgehend von der Spurensicherung durchsucht und beschlagnahmt wurde.

Während der gesamten Prozedur wurde uns der Kontakt zu unseren Rechtsbeiständen verwehrt. Ab dem Moment unserer Entlassung wurden wir von dem Mobilen Einsatz Kommando (MEK) der Polizei überwacht und observiert. Diese Überwachungen und Observationen dauern seit unserer Entlassung bis heute an. An Tagen um den 1. Mai herum oder bei angekündigten linken Demos stehen wir beispielsweise immer wieder ab der Haustür unter unerwünschter Beobachtung.

Uns wird die Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens vorgeworfen. Die von der beschlagnahmten Kleidung und Schuhen angefertigten Geruchsproben wurden überregional an verschiedene Polizeibehörden verschickt und weitere Verfahren gegen uns eröffnet. Aktuell laufen mindestens zwei weitere Verfahren in Bremen und Niedersachsen. Außerdem hat die Bundesanwaltschaft ein Prüfverfahren eingeleitet. Im Laufe der letzten zwei Jahre sind unsere Bankkonten und Telefondaten ausgelesen worden. Alle bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Geräte wurden zunächst an den Zentralen Kriminaltechnischen Dienst in Cuxhaven und Wilhelmshaven geschickt, daraufhin an das Kriminaltechnische Institut in Hannover und anschließend an das BKA in Wiesbaden. Mehrfach wurden wir von verschiedenen Polizeibehörden aus unterschiedlichen Bundesländern aufgefordert, unsere DNA abzugeben. Es dauerte allerdings Monate, bis ein richterlicher Beschluss vorlag. Schlussendlich wurden wir Anfang November 2020 gezwungen, unsere DNA in Hamburg abzugeben.

Die DNA-Erfassung ist im deutschen Gesetz in der Strafprozessordnung unter dem Paragrafen §81 a-h geregelt und erfolgt durch die Entnahme von Speichel oder Blut. Die angefertigten Proben werden von einem Labor analysiert und in einen 13 – bis 16-teiligen Code aus Buchstaben und Zahlen umgewandelt und sollen darüber vergleichbar gemacht werden. Die Identitätsfeststellung bzw. der Abgleich erfolgt lediglich über eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, mit welcher Abgleiche in anderen Verfahren über Teilspuren ermöglicht werden.

Die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens angelegten Personenprofile werden automatisch in der bundesweiten Datenbank des Bundeskriminalamtes gespeichert und mit allen DNA-Spuren abgeglichen. Gespeichert wird das DNA-Personenprofil in Form des Codes und das chromosomale Geschlecht. Darüber hinaus ist es möglich, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zur familiären Abstammung vorzunehmen. Merkmale wie Haar- und Augenfarbe, ungefähres Alter, vermeintliche „Gendefekte“ sowie regionale Abstammungen können ebenfalls aus einer DNA-Probe ausgelesen werden. Dies gilt bisher als nicht rechtmäßig, ist allerdings bisher auch nicht eindeutig im Gesetz geregelt worden.

Wir alle müssen uns vergegenwärtigen, dass solche Verfahren dazu dienen, die Betroffenen und ihr Umfeld in einer bestimmten Weise regulierbar zu machen. Auf der abstrakten Ebene der staatlichen Herstellung von vermeintlicher Sicherheit nutzen die Ermittlungsbehörden das Moment für sich aus, dass Betroffene mit dem Wissen leben müssen, dass alles potentiell über eine:n gewusst wird. Dieses Wissen, welches auf der tatsächlichen permanenten Überwachung der:des Einzelne:n basiert, soll nicht nur Einzelpersonen sondern auch potentielle (Unterstützungs-)Strukturen verhandelbar machen. Die permanente Unsicherheit über mögliches weiteres Auskundschaften unseres Lebens soll dazu dienen, uns zu regulieren und unserer habhaft zu werden. Dabei ist der:die Betroffene für den Staat nur so viel wert, wie er:sie auch tatsächlich Auskunft über vermeintliche Gefahrenlagen und Strukturen geben kann. Dieser Logik folgend ist der:die Einzelne für den Staat von Interesse, da durch noch so kleine Tätigkeiten, Veränderungen in der Stärke des Staates erzielt werden können. Regieren ist nur möglich, wenn die Stärke des Staates für alle sichtbar ist. Nur durch dieses Wissen und die damit verbundene Selbstdisziplinierung kann er fortbestehen.

Auf der anderen Ebene stehen die konkreten potentiellen Verfahrensausgänge, die durch eben dieses „Gläsern machen“ erst möglich werden. Mit der Entnahme unserer DNA wird unsere Identität ausgelesen und in Cluster, Strukturen und Kategorien eingeteilt. Wir werden verhandelt sowohl in unserer Körperlichkeit als auch in unserem Sein. Durch das gesammelte Wissen über uns sollen wir kalkulierbar gemacht werden, auch um weitere Maßnahmen rechtfertigen zu können. Beim Konstruieren von Zusammenhängen zeigen die Behörden sich erfahrungs- und erwartungsgemäß besonders kreativ.

Das Maß an repressiven Mitteln scheint keine Grenzen zu kennen. Dies zeigt sich aktuell anhand vieler Verfahren gegen antagonistische, linke Strukturen. Die Möglichkeiten, die dem Staat gegeben sind, können wir hier nur im Groben aufzeigen. Umso wichtiger ist es, die Funktion von Repression zu verstehen.

Warum bedient sich der Staat derlei Mittel und wie kann ein Umgang mit ihnen sein?

Wir müssen uns bewusst machen, was diese Methoden für uns und andere bedeuten können, um ihnen kraftvoll und widerständig begegnen zu können. Wir warten gespannt auf die erfinderische Auslegung der Behörden über unsere staatlich geprüfte Freundschaft. Das wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir von uns hören lassen.

Wir freuen uns über Solidarität!


Drei Freunde im Fadenkreuz der Bremer Ermittlungsbehörden

Von Verden nach Bremen und zurück in unter 90 Sekunden

Über eine gescheiterte Brandstiftung, DNA-Spuren und autoritäre Formierung

Im Dezember 2020 veröffentlichten wir erstmals einen Bericht über unser laufendes Verfahren in Verden (Aller) – daran wollen wir anknüpfen. Konkret geht es diesmal um eine Anklage wegen versuchter Brandstiftung in Bremen, deren Widersprüche und Absurditäten.

Nehmt Einblick in die Logik deutscher Repressionsbehörden und ihrer Abläufe! Seid clever und zieht für euch Schlüsse!

Wir sind drei Freunde aus dem Raum Hamburg/Niedersachsen und sind Anfang Oktober 2018 in Verden (Aller) festgenommen worden. Dabei wurden uns ein Rollkoffer und eine Tragetasche mit Kanistern und Zündvorrichtungen zugeordnet. Die Repressionsbehörden führen seitdem ein Verfahren wegen Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens gegen uns und haben weitere Verfahren eröffnet. Das BKA und die Bundesanwaltschaft haben ein Prüfverfahren gegen uns drei eingeleitet.

Drei Freunde – und eine explosive Mischung

Bremen

Im Oktober 2018 wurden auf dem Gelände des Bremer Verleihs für Baumaschinen „Boels“, mehrere Brandsätze entdeckt, unter anderem auf einem Bagger sowie einem Hubwagen. Die entsprechenden Maschinen waren über einen längeren Zeitraum auf einem unbewachten, offen zugänglichen Areal abgestellt worden. Der Polizei nach, hatte der Baumaschinenverleih die Gerätschaften in der Vergangenheit für die Rodung des Hambacher Forstes bereitgestellt. Die Brandsätze zündeten nicht.

Ganze sechs Tage nach dem Fund durchsuchte die Bereitschaftspolizei Bremen das Umfeld des Baumaschinenverleihs erneut, u.a. auch einen dortigen Baumarktparkplatz. Sie sicherte mehrere Gegenstände für eine forensische Auswertung, darunter Kanister, Sicherheitsschuhe, Zigarettenreste und eine Likörflasche.

Von Bremen nach Verden und wieder zurück

Die mögliche Tatzeit wird von den Behörden auf über mehrere Tage hinweg bestimmt. Die Behörden geben als mögliche Tatzeit einen Zeitraum von mehreren Tagen an. In diesem Zeitraum wurden wir jedoch weit entfernt in Verden (Aller) festgenommen, saßen in den Gefängniszellen der dortigen Polizeiinspektion und wurden anschließend vom MEK observiert.

Bei unserer Festnahme in Verden (Aller) wurden Kleidungsstücke beschlagnahmt und uns zu geordnet. Mit Hilfe eines privaten Man-Trailer-Hundes aus Bremen, suchte die Polizei den vermeintlichen Tatort ab. Bei zwei von uns dreien glaubt die Polizei eine Spur gefunden zu haben. Nun wird das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Bremen gegen zwei von uns geführt. Mehrere Überwachungskameras in der Nähe des Baumarktes wurden ausgewertet und eine Funkzellenabfrage für mehrere Tage beantragt. Die Ergebnisse wurden daraufhin mit der Funkzellenabfrage um unsere Festnahme in Verden abgeglichen. Zwei Jahre nach der Sicherstellung kam es zur DNA-Probenentnahme, die mit den gefundenen Spuren abgeglichen wurden. Eine Übereinstimmung der gefundenen DNA-Spuren mit unseren Proben wurde ausgeschlossen, demnach ist die Fährte des privaten Man-Trailer-Hundes der einzige Anhaltspunkt, der uns mit dem Tatort in Verbindung bringt.

Dass die Staatsanwaltschaft Bremen unser Verfahren zur Anklage bringt, ist ein Versuch, der Öffentlichkeit einen Erfolg zu präsentieren. Linke und antagonistische Strukturen hielten in den letzten Jahren die Ermittlungsbehörden in Bremen kontinuierlich auf Trab. Diverse Aktionen konnten bisher nicht aufgeklärt werden. Aus Sicht des Staates ist dadurch ein erheblicher gesellschaftlicher Schaden entstanden. Der mediale und politische Druck führt bei der Staatsanwaltschaft Bremen jetzt dazu, diese absurden Anklagekonstruktionen überhaupt verhandeln zu wollen. Aus unserem Verden-Verfahren haben wir bisher nichts Neues zu berichten.

Im Kontext autoritärer Formierung im Polizeiapparat, in politischen Parteien und im militärisch-industriellen Komplex sehen wir umfangreiche Repressionsschläge gegen linke und antagonistische Strukturen. Die Reformierung der Polizeigesetze und die damit einhergehenden Gesetzesverschärfungen sind ein Ausdruck davon. Die Verfahren gegen die Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren, Berlin/Athen, das 129a Verfahren in Frankfurt oder die Drei von der Parkbank sind hierfür aktuelle Beispiele.

In der Logik des Staates werden einzelne exponiert, verfolgt und bestraft, um Ideen und Träume von einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu zerstören. Der Versuch, linke und antagonistische Bewegungen entlang gewählter Mittel und strafrechtlicher Vorwürfe zu spalten, soll eine politische Bezugnahme verunmöglichen. Isolation und Individualisierung sind Methoden des Staates, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten und Proteste dagegen zu beenden. Gleichzeitig werden faschistische, marktradikale und sozial-darwinistische Strömungen hofiert. Das überrascht uns wenig, da diese der grundlegenden Logik von Patriarchat, Staat und Kapital nicht entgegenstehen, sondern Teil dessen sind. Das Ziel des Staates ist es dabei, sich selbst als starken Regenten zu stilisieren und jede Hoffnung auf eine bessere, solidarische Welt im Ansatz zu unterdrücken. Wir verstehen die absurde Konstruktion der Staatsanwaltschaft und die anhaltende Repression gegen uns nicht als zufällig, sondern sehen sie in der gleichen Logik. Der staatliche Verfolgungswille trifft jene, die von einem besseren Morgen träumen.

Wie weiter, was tun?

Die anhaltenden Observationen, der tiefe Eingriff in unsere Leben und die ständig wechselnden Verfahrenslagen, konfrontieren uns mit immer neuen Situationen. Sie erfordern stets neue Strategien des Umgangs. Der Staat versucht weiter, zu spalten, zu individualisieren und uns einzeln zu verhandeln. Die unterschiedlichen Formen der Repression wirken dabei manchmal wie ein kafkaeskes Schauspiel und erscheinen unüberwindbar. Doch die Herausforderung, einen täglichen Umgang damit zu finden, gehen wir mit einem gestärkten Bewusstsein und einem Gefühl der Selbstermächtigung in die kommenden Auseinandersetzungen an. Wir wissen, wir sind nicht allein im Kampf für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!

Seid mutig! Macht euch bewusst, dass politische Praxis auch Repression nach sich ziehen kann. Bereitet euch darauf vor, redet miteinander, tauscht euch aus und profitiert von den Erfahrungen anderer. Lassen wir uns nicht einschüchtern, stehen wir zusammen und bleiben wir solidarisch!

Grüße an alle von Repression Betroffenen!

Freiheit und Glück für Lina!

Dieser Beitrag wurde unter Deutschland, Repression/Knast, Texte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.