(Frankreich) Brief von Boris geschrieben im Juni 2021 aus dem Gefängnis von Nancy-Maxeville

Per Mail erhalten, ursprünglich auf Attaque am 16.06.2021 veröffentlicht

Brief von Boris geschrieben im Juni 2021 aus dem Gefängnis von Nancy-Maxeville, Frankreich

Nach 8 Monaten Untersuchungshaft im Centre Pénitentiaire von Nancy-Maxéville wurde unser anarchistischer Genosse am 19. Mai zu vier Jahren Gefängnis, wovon 2 bedingt, und zu einer Busse von hunderttausend Euro verurteilt weil er zwei Funkmasten im Jura im April 2020 während dem ersten Lock-down abgefackelt hat. Am vergangenen 7. August wurde er nach einem Brand in seiner Zelle in die Station für Schwerverbrannte des Hospitals von Metz eingewiesen, wo er sich in kritischem Zustand noch immer befindet.

Da wir über keine andere Version als jene der Folterer in Uniform und des journalistischen Gesindels verfügen, die in ihrem Eigeninteresse produzieren, ist unsere einzige Gewissheit, dass das Gefängnis ein System der institutionalisierter Folter ist, und dass der Staat – von der Polizei bis zur Justiz und zum Gefängnis – der direkte Verantwortung für diese Situation, die keinesfalls ein Einzelfall ist, trägt.

In diesem im Juni aus dem Knast geschriebenen Brief kommt Boris auf seinen Angriff und seine Gründe zurück, die gegen die Kontrollmittel und gegen die verheerenden Folgen für das Lebende des Abbaus der für den Bau dieser Technologien notwendigen Rohstoffe gerichtet sind.

Die Worte von Boris zu verbreiten scheint uns ein Mittel unter anderen zu sein um eine gegenüber dieser Situation, die uns den ganzen Horror der Einschliessung in Erinnerung ruft, notwendige Solidarität auszudrücken.

Von den Antennen bis zu den Gitterstäben, nieder mit der Gefängnis-Welt. Solidarität für Boris!

Wieso ich die zwei Antennen vom Mont Poupet abgefackelt habe

Hallo, ich bin Boris. Nun bin ich seit 9 Monaten wegen den Brandanschlägen auf zwei Funkantennen im Jura im April 2020 in der Haftanstalt von Nancy Maxéville eingesperrt.

Wenn ich mich erst jetzt entschieden habe einige öffentliche Worte über meinen Fall zu schreiben, dann insbesondere weil der Staat mich gerade verurteilt hat und es mir lebenswichtig erscheint, meine Eindrücke und meine Wut über diesen Technototalitarismus niederzuschreiben, die seit meiner Verhaftung überhaupt nicht nachgelassen haben. Ganz im Gegenteil.

Während die Staaten vereinbarten, die Bevölkerung mundtot zu machen indem sie diese unter dem Vorwand, die Covid 9 Pandemie einzudämmen, aufforderte brav zuhause zu bleiben, brandeten in Frankreich und in Europa (Niederlande, England, Italien) Sabotagewellen gegen die Infrastrukturen der technologischen Herrschaft (Funkantennen, unterirdische Glasfasernetze, Kraftwerke…) auf. Vom Osten bis Westen, vom Norden bis Süden Frankreichs wurden Masten gefällt, ihre Kabel durchtrennt und die meisten bzw. Dutzende abgefackelt und so die Telekommunikationen und die Ortung der Handys und die Ausspionierung jener unterbrochen, die sich im Fadenkreuz des Repressionsapparates befinden.

Während ich schreibe gehen die Sabotagen der Telekommunikationsnetze umso heftiger weiter, obwohl das oberste Interesse der Herrschaft darin besteht, sie zu verschweigen oder zu verharmlosen. Manchmal ist das Ausmass der Zerstörung dermassen, dass sie es nicht verschweigen können, wie etwa das Feuer eines TDF (Télédiffusion de France) Relais in den Bouches-du-Rhône Anfangs Dezember 2020 oder auch 2021 die Brandsabotage bei Limoges mit Bekennung als guter Vorsatz fürs neue Jahr.

Das technologische Netz, das das ganze Territorium überzieht, sich rasend verbreitet und seine Funktion mit dem neuen 5G Netz perfektioniert, ermöglicht die Akzeptanz eines ganzen Haufens an vom Staat auferlegten neuen sozialen Normen, die von Doktoren und Wissenschaftern empfohlen und abgesegnet werden. Genauso wie ein ganzer Haufen an Produkten und Drogen, die die Bevölkerung brav und gefügig halten, spielen die Bildschirme eine Hauptrolle darin, die Mehrheit dazu zu bringen, die Ausgangssperre zu akzeptieren: Telearbeit, Tele-Apéro, Tele-Schule, Tele-… Wie hätte die Herrschaft ohne diese Technostruktur die „Einhaltung“ dieses grossflächigen Hausarrests jemals durchsetzen können!

Die Stunde ist gekommen für die Beschleunigung der Datenflüsse und die Konnektivität der alltäglichen Objekte zur immer stärkeren Kontrolle, Abhörung, Nachverfolgung und Ausspionierung, und um damit die Menschenwesen immer mehr zu Sklaven der Maschine zu machen. All das nennt die Herrschaft “Fortschritt” und “Zivilisation”. In Wirklichkeit hat dieses Projekt von Gesellschaft alles an sich, was eine Dystopie ausmacht.

Gegenüber diesem digitalen Raster gibt es nicht 36’000 Lösungen. Mir scheint die Überwindung des Stadium des Kritizismus und hier und jetzt zu handeln notwendig, indem Ideen mit der Aktion verbunden werden, indem die notwendigen Vorsichtsmassnahmen getroffen werden um nicht in die Maschen der Repression zu fallen. Und leider weiss ich, wovon ich rede.

Die ganze Angelegenheit beginnt mit einem neu aussehenden blauen öligen Plastikverschluss, der unter einem der beiden Relais des Mont Poupet mit meinem DNA drauf gefunden wird. Da ich registriert bin, gerate ich ins Visier der Richter und Bullen, die mit grossem Aufwand an Kräften und Finanzen im Sommer 2020 mein tägliches Leben ausspionieren (Gewohnheiten, Beziehungen, mit Imsi Catcher, Kameras vor Wohnungen, gps unter den Autos der mir Nahestehenden, Abhören und Ortung, Beschattung und Observierung durch Zivis des GIGN (Versailles) …).

Was das Polizeigewahrsam angeht, muss ich sagen, dass ich „Scheisse gebaut“ habe als ich Aussagen machte (auch wenn es nur über mich war). Auch wenn ich vorher etliche Male in Polizeigewahrsam war ohne etwas zu sagen, an diesem Tag machte ich den fatalen Fehler, der, mal gemacht, nicht mehr gut gemacht werden kann, nicht ausgelöscht werden kann. Es bleibt das Risiko noch tiefer zu sinken, sich in Erklärungen zu verstricken, die die Angeklagten bloss benachteiligen können.

Ich war wütend auf mich selbst und ich bin es auch noch heute weil ich diesen Inquisitoren der Macht Anhaltspunkte gegeben habe, diesen echt Perversen, die genau wissen wie sie die psychologischen Schwachstellen der Individuen ausnützen können um ihnen Geständnisse zu entlocken. Was nie wieder geschehen wird.

Am 22. September stürmten in Besançon Gendarmen der regionalen Abteilung Besançon (und weitere der Einheit Oracle) begleitet von der Gerichtspolizei Dijon um 6:30 morgens meine Wohnung sowohl zwei weitere. Das im Auftrag der Ermittlungsrichterin Lydia Pflug (Chefin des JIRS – Juridictions intérregionales specialisées – Nancy) wegen Zerstörung mittels Feuer von Funkmasten in einer organisierten Bande und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, in Besançon im Zeitraum vom 9. Januar bis zum 9. April 2020.

Während die beiden anderen gesuchten Leute am Abend desselben Tages entlassen wurden, wurde ich nach dem Ende meiner 48 Stunden Gewahrsam ins Büro der Richterin überführt und der Brandstiftung an 2 Funkmasten am Mont Poupet am 10. April 2020 im Jura und für ein anderes Feuer an einem SFR technischen Raum des Relais TDF Mont de Bregille ob Besançon als Mitwisser angeklagt. Was als Versuch qualifiziert wird.

Am Ende der Ermittlungen im März 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Anklagepunktes der kriminellen Vereinigung und des gegen Ende März versuchten Brandanschlags. Sie bestand aber auf die Überweisung ans Strafgericht für das Feuer am 10. April 2020.

Wegen dieses nächtlichen Feuers während der Ausgangssperre war die Telekommunikation aller Telekom-Anbieter (Bouygues, SFR Orange und Free) sowie der staatlichen Repressionsorgane (Polizei und Gendarmerie) und der Elektrogesellschaft Enedis momentan unterbrochen und sie schätzten den Schaden auf 750’000 bis zu einer Million Euro. Genau dafür erschien ich also am 19. Mai vor dem Gericht in Nancy. Trotz des Antrags auf Verschiebung durch meinen Anwalt, der nicht präsent sein konnte, bestimmte das Gericht nach mehr als einer Stunde Wartezeit die Durchführung der Verhandlung.

So konnte die Posse weitergehen, ohne Publikum aber mit einem Vertreter der lokalen Journaille, der nur darauf wartete, seine Verve als Lakai der Macht blank zu ziehen um die Herrschaft noch ein wenig mehr zu festigen und um dem Staat zu helfen, seine vor den Blicken und den Ohren der zur Unterstützung gekommenen Leute geschützte feige und kalte Rache durchzuziehen.

Die Vorsitzende, die sich am Anfang über die mangelnde Achtung ihres Ministers (ihr nach sind die Gefangenen die Privilegierten des Ministers, weil sie als erste – vor den RichterInnen – geimpft werden, was sicher nicht stimmt) gegenüber der Richterschaft beschwerte (ob der Unmut der Bullen die Magistratur auf dumme Ideen bringt?), gibt dann den Kehrreim des armen kranken Citoyen zum Besten, der von seinem abgelegenen Hinterland aus kein Spital mehr anrufen kann um sich behandeln zu lassen.

Ich antworte einfach, dass es an der Zeit ist zu lernen miteinander zu leben, was die Gesellschaft uns geraubt hat indem sie uns hinter Maschinen isoliert hat, mit Bildschirmen die uns blind machen, mit Scheuklappen, die uns gegenüber den Grausamkeiten dieser Welt taub machen, eine Welt, die alle Lebewesen, menschliche und nicht menschliche, ausbeutet, vergiftet und tötet. Ich gebe dann, durch die Tatsache, dass ich selbst ohne Handy aufgewachsen bin, ein persönliches Beispiel und dass es damals sicher mehr gegenseitige Hilfe und Unterstützung unter den Leuten gab, in einer Zeit wo wir keinerlei Anwendungen brauchten um miteinander zu reden, uns zu treffen, uns zu küssen…

Ich gehe direkt zum Urteil über, dass die Vorsitzende, die ich kaum gehört habe, verkündete. 4 Jahre Knast, davon zwei auf Bewährung plus mehrere Zehntausend Euro Busse (Ich erinnere mich nicht genau an die Summe).

Als ich das Gericht verliess hatte ich die Freude eine recht zahlreiche Unterstützungsgruppe von FreundInnen und Compas zu sehen, die einen Moment die CRS abhängen konnten um mich mit den Rufen “Liberté! Liberté!“ zu begrüssen. Das gab mir nicht wenige Wärme und Kraft.

Meine Augen waren plötzlich voller Trauer, Freude und grosser Wut zugleich. Einige Minuten nach der Urteilsverkündung wusste ich schon, dass ich Widerspruch einlegen würde, was ich dann drei Tage danach aus der Arrestzelle heraus auch tat.

Ich möchte einige Punkte über das, was in der Presse erschien, klären. Ich handelte nicht nur gegen die 5G-Technologie. Ich kämpfe gegen das gesamte an Wellen (2g, 3g, 4g). Der Techno-Totalitarismus auferlegt seine makabren Pläne rasend schnell indem es seine schon existierenden Infrastrukturen verstärkt und verbessert. Sicherlich wird das 5G überall die Einrichtung einer Unmenge an Miniantennen erfordern um den Datenfluss der Informationen zu beschleunigen und damit zum Beispiel zu erlauben, alle Objekte des täglichen Lebens miteinander zu verbinden. Die Individuen jeglicher Autonomie zu berauben, sie zu SklavInnen der Maschine zu machen und sie zu kommerziellen und anderen Zwecken (Selbstisolierung, Ausbeutung daheim durch Telearbeit, Aufgabe des taktilen Kontaktes unter uns, Omnipräsenz kleiner und grosser Bildschirme in unserem Leben) zu benutzen, das ist die nahe sich abzeichnende Zukunft, die laufende Dystopie.

Andererseits, für jene, die immer noch an die sogenannt „grünen“ Energien glauben, an den Pseudo-Energiewandel: in Wahrheit ist es bloss eine Ressourcenanhäufung bzw. die immer wachsende Förderung einer ganzen Reihe von Metallen überall in der Welt, die notwendig sind um ihre Elektrokarren, ihre zig-Kilometer an Kabel (unter- oder überirdisch) zu produzieren, was Krebserkrankungen, Verheerung und Tod sät. Denn das Problem ist nicht bloss der Treibhausgasausstoss. Das ist bloss ein kleinster Teil davon. Das “alles elektrisch” ist genauso zerstörerisch und tödlich. Der Abbau dieser Metalle kann nur durch den Einsatz von ultra-schädlichen und die Umwelt verseuchenden Säuren geschehen, die die Böden und Wasseradern kaputt machen und vergiften und unheilbare Krankheiten wenn nicht einen raschen und sicheren Tod verursachen. Das ist die Realität des voll Digitalen, das sie uns als ökologisch, als eine Alternative zur Luftverpestung verkaufen wollen.

Lauter Gründe für jene, zu denen ich gehöre, die beim ersten Aufruf der staatlichen und sanitären Ordnung sich weigerten, sich zuhause einzuschliessen und ausgezogen sind, um einen der Pfeiler der Herrschaft direkt anzugreifen.

Kopf hoch, feuriges Herz

Vive l’anarchie!

Boris

Dieser Beitrag wurde unter Frankreich, Repression/Knast, Texte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.