(Italien) Die Insurrektion und ihr Double

(Italien) Die Insurrektion und ihr Double

Einleitung der Soligruppe für Gefangene

Der folgende Text war seit einiger Zeit fällig, erschien erstmals im Jahr 2009 in der italienischen anarchistischen Publikation Machete Nr. 6., die Grundlage haben wir aus der anarchistischen Seite Finimondo übernommen, der Link ist am Ende der Einleitung. Wir wollten diesen seit vielen Jahren schon veröffentlichen, mit vielen Jahren meinen wir vielleicht seit damals, kamen aber leider nie dazu. Kurz und knapp, es handelt sich um eine Kritik an dem Text Der kommende Aufstand, der 2007 in Frankreich veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zu den Befürwortern und den Verleumdern dieses Textes sind wir, waren wir und werden weiterhin der Meinung sein, dass alles, was unter dem Namen eines Unsichtbaren Komitees unterschrieben wurde, nichts mit dem Anarchismus und mit dem Aufständischen Anarchismus, woanders auch nur rein als Insurrektionalismus (Insurrezionalismo, Insurreccionalismo, Insurrectionalism) betitelt, zu tun hat. Mag dies natürlich schon eine verlorene Schlacht sein, zumindest was die Wortbedeutung und Wortassoziation angeht, denn für diese Verwirrung haben hierzulande sehr viele Anarchisten und Anarchistinnen beigetragen. Wir werden aber weiterhin darauf hinweisen, dass diese falsche Assoziation nicht richtig ist. Auch haben wir weder damals, noch jetzt, wie auch nicht in der Zukunft verstanden, was an diesem Text so sonderlich gut sein sollte und niemand kann uns vorwerfen, dass wir nicht die Diskussion gesucht haben um daraus schlauer zu werden. Meistens erhielten wir sehr oberflächliche Antworten – um sie nicht als hirnamputiert zu bezeichnen-, wie: dieser Text sei schön, ein Kassenschlager, sogar die Frankfurter Allgemeine hätte darüber eine Rezension geschrieben, etc. Alles Antworten die für uns selbst keine waren, eine Feststellung ist weiterhin ja keine Erklärung, auch wenn dies weiterhin als Bares gilt. Während in südlichen Ländern dieser Text, also Der kommende Aufstand, nur eine Randnotiz spielte, meistens eher ignoriert, war dieser im deutschsprachigen Raum wie eine Oase mitten in einer Wüste, dies verstanden als eine Fata Morgana. Warum dies so war, wäre für eine zukünftige Debatte interessant, weil nicht was der Text selbst sagt, sondern was dieser im deutschsprachigen Raum hervorbrachte, sowie die Gründe dafür, sind immer noch ein Grund tiefgreifender Debatten eines Phänomens, was noch nicht unbedeutend sein mag, genauso was dies mit einer anarchistischen Bewegung zu tun haben mag. Wir werden sehen.

Alle Zitate aus Dem kommenden Aufstand haben wir aus der deutschsprachigen Übersetzung übernommen, mitsamt möglichen Übersetzungsdivergenzen. Alle kursiven Textstellen sind aus dem italienischen übernommen worden, außer im Falle von Der kommende Aufstand, wir taten dies um den Titel nur zu unterstreichen und dass es sich immer um diese Schrift handelte.

La insurrección y su doble, hier auf Spanisch

The Insurrection and Its Double, hier auf Englisch

L’insurrezione e il suo doppio, hier auf Italienisch


(Italien) Die Insurrektion und ihr Double

Bei der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Romantik beobachtete Victor Hugo, dass jeder authentische Gedanke von einem beunruhigenden Double bespitzelt wird, der immer auf der Lauer liegt, immer bereit, mit dem Original zu verschmelzen. Ein Charakter von erstaunlicher Plastizität, der mit Ähnlichkeiten spielt, um auf der Bühne etwas Applaus zu bekommen. Dieses Double hat die einzigartige Fähigkeit, Schwefel in Weihwasser zu verwandeln und vom widerspenstigsten Publikum akzeptieren zu lassen. Auch die moderne Insurrektion, die gerne auf die Zentralkomitees und Sol dell’Avvenire1 verzichtet, hat es mit ihrem Schatten zu tun, mit ihrem Parasiten, mit einem Klassiker, der sie nachahmt, der ihre Farben trägt, sich in ihre Kleider kleidet, ihre Krümel aufsammelt.

Nach dem Medienrummel, der das Buch in Frankreich zu einem Bestseller machte, ist Der kommende Aufstand nun auch auf Italienisch erhältlich.

Das im März 2007 veröffentlichte und vom Unsichtbaren Komitee unterzeichnete Buch Der kommende Aufstand2 wurde in den transalpinen Nachrichten nach der gerichtlichen Untersuchung bekannt, die am 11. November 2008 zur Verhaftung von neun Subversiven in dem kleinen Dorf Tarnac führte, die beschuldigt wurden, an einer Sabotage gegen das Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz beteiligt gewesen zu sein. Wie so oft in solchen Fällen wollte der Richter sein Theorem auch vom „theoretischen“ Standpunkt aus untermauern, indem er einem der Verhafteten die Urheberschaft des fraglichen Buches zuschrieb. Herausgegeben von einem kleinen linken kommerziellen Verlag, im ganzen Land vertrieben und zum Zeitpunkt seines Erscheinens vom Establishment gut aufgenommen, wurde Der kommende Aufstand auf Beschluss der Staatsanwaltschaft zu einem gefährlichen und gefürchteten „Sabotage-Handbuch“3. Daher sein Erfolg, begünstigt außerdem durch die Intervention zu seinen Gunsten von einigen Klerikern der Intelligenzija (französische und nicht nur), besorgt über die ungebührliche polizeiliche Einmischung auf dem Gebiet der politischen Philosophie. Man spürt die Verblüffung derjenigen, die plötzlich entdeckt haben, dass die Partei zwar imaginär ist, die Polizei aber noch viel weniger, und noch weniger die Genugtuung des Herausgebers dieses Buches, der sich nie hätte vorstellen können, im Innenministerium eine so effiziente Werbeagentur zu finden. In jedem Fall wurden alle Verhafteten nach einigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen und werden voraussichtlich diesen für eine lange Zeit nicht betreten. Wir können daher an dieser Stelle jeden Bezug zu diesem Ereignis schließen, das groteske Konnotationen hatte, da die Verbindung zwischen Der kommende Aufstand und den in Tarnac Verhafteten schließlich das Werk der französischen Justiz war. Es gibt also keinen Grund, sich weiter damit zu beschäftigen.

Bemerkenswert ist jedoch die kurze Vorbemerkung zur italienischen Ausgabe, in der die „Unsichtbaren Übersetzer“ (wenn man von dem Franchising der Politik spricht …) nicht zögern, die gerichtliche Untersuchung, von der wir sprechen, als praktische Demonstration des Wertes dieses Textes zu verwenden. Nachdem sie dem angeblichen Autor das Wort erteilt haben, demzufolge „das Skandalöse an diesem Buch ist, dass alles, was darin steht, rigoros und katastrophal wahr ist, und es beweist sich immer mehr“ (Zitat aus einem Interview, das der bekannten subversiven Zeitung Le Monde4 gewährt wurde), kommt der Unsichtbare Übersetzer zu dem bizarren Schluss, dass er nur deshalb verhaftet wurde, weil er verdächtigt wurde, „das Buch, das du in deinen Händen hältst“, geschrieben zu haben. In ihrer Aufregung behaupten sie, es übersetzt zu haben, „weil das, was er sagt, wahr ist, und vor allem, weil er es sagt“. Weshalb man „dem traurigen kleinen Theater der Anti-Terror-Gesetze … fast dafür danken sollte, dass dieses Buch in so großem Umfang, kollektiv und oft unter praktischen Gesichtspunkten gelesen wurde. Wären sie nicht gewesen, hätte die Freude, die dieses Buch verbreitet, wahrscheinlich nicht so viele Menschen erreicht“. Was ist von solchen Überlegungen zu halten, die in der Hingabe mit anderen Speichelleckereien der Prositu-Reminiszenz5 konkurrieren? Vielleicht sollte man sich daran erinnern, dass es nicht das erste Mal ist, dass eine subversive Schrift zur Unterstützung einer gerichtlichen Untersuchung verwendet wurde, ohne zum Evangelium zu werden. Das wäre so, als würde man behaupten, dass die Verhaftung einiger Stalinisten die Wahrheit der marxistisch-leninistischen Publikationen beweist, oder die einiger Anarchisten die Wahrheit der antiautoritären Bücher. Und gleichzeitig zu behaupten, die französische Macht sei nicht beunruhigt durch die Revolten, die das Banlieu entflammen, durch die periodischen radikalen sozialen Bewegungen, durch die direkten Aktionen, die sich im ganzen Gebiet/Territorium ausbreiten, oder durch ein mögliches Zusammentreffen all dieser Ereignisse – ach woher – , sondern durch einen Kommentar dazu, der für sieben Euro in jeder Buchhandlung erhältlich ist… dies ist ein typischer Trost gewisser Salonbarrikadisten6. Dass die Übersetzer, unsichtbar, aber vor allem daran interessiert, die Repression in einen Werbespot zu verwandeln, sagt nichts über dieses Buch, aber viel über sie. Vergesst dieses Elend, Der kommende Aufstand wird nicht warten.

Aber von welcher Insurrektion sprechen wir, der ursprünglichen, die von Frankreich ausgeht, oder der, die an anderen Orten landet, der Fanfarenstöße vorausgehen? Lassen wir uns nicht von Erscheinungen täuschen, denn sie sind ganz und gar nicht dasselbe. Die erste ist der Ausdruck eines Milieus, das in einer Welt der Zombies direkt auf den Erfolg abzielt, indem es den Leichnam der Avantgarde wieder auferstehen lässt, und stützt sich auf die Kulturindustrie. Die zweite, die das Pech hat, in einem Land präsentiert zu werden, in dem die Revolution vorerst keinen Markt hat, ist gezwungen, den Glanz der Ware mit dem Mantel der Verschwörung zu bedecken. Hätten die italienischen Leser, die diesen Text eifrig lasen, berauscht von dem subversiven Parfüm, das die Bullen (Flic) versprühten, dasselbe getan, wenn sie ihn in einem Regal bei Feltrinelli7 mit der Empfehlung eines Insiders als einzige Referenz gefunden hätten? Das wollen wir bezweifeln. Aber wie auch immer, es ist sinnlos, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Beginnen wir also, uns dem Text über seinen Inhalt zu nähern, außerhalb seines spezifischen Kontextes, auf den wir am Ende kurz zurückkommen werden. Offensichtlich sind es die Uneinigkeiten und nicht die Einigkeiten, die unsere Aufmerksamkeit erregt haben.

Neben einem Prolog besteht das Buch aus sieben Kreisen und vier Kapiteln. Im ersten Teil führt uns das Unsichtbare Komitee, in dantesquer Verkleidung durch die Hölle der heutigen Gesellschaft und illustriert sie mit zahlreichen Beispielen. Im zweiten Teil stellt es uns das Paradies der Insurrektion vor, die durch die Vermehrung der Kommunen erreicht werden soll. Wenn der erste Teil sehr leicht eine eindeutige Zustimmung erhält, mit einem Panoramablick auf die Welt, die uns einen Blick auf die kontinuierlichen Verwüstungen bietet, hinkt der zweite Teil und nicht wenig. Beide haben jedoch ein gemeinsames Merkmal: eine gewisse Unbestimmtheit, die durch den trockenen und zwingenden Stil gut kaschiert wird. Aber sind wir sicher, dass dies ein Mangel ist und nicht, im Gegenteil, eine wesentliche Zutat des Erfolgs dieses Buches?

Als Verfasser eines Essays über politische Philosophie, hat das Unsichtbare Komitee eine starke Verachtung für Spekulationen und eine ausgeprägte Neigung zur Praxis. Was auch gut so ist, zumal sie damit den Beifall, sowohl vitaminabstinenter Gelehrter als auch wissenshungriger Aktivisten gewinnen können. In Abgrenzung zu den zahlreichen marxistischen Sekten mag das Unsichtbare Komitee keine großen Analysen, die alles subsumieren und erklären und alles erklären und subsumieren. Intelligente Analysen, wenn man so will, in Ordnung, aber die sind nach anderthalb Jahrhunderten schon nervtötend. Sie sind unsicher, diskutabel, manchmal sogar erbärmlich. Es geht ihr nicht darum, die Welt in ihrer Gesamtheit (Totalität) zu kritisieren. Aber wie die verschiedenen marxistischen Sekten ist auch das Unsichtbare Komitee geil darauf, ihre eigene Vision durchzusetzen. Da aber heute ein Diskurs, der ernst genommen werden will, weil er auf „wissenschaftlichen“ Annahmen beruht, urkomisch wäre, ist es besser, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, besser, ihn als wahr auszugeben, weil er auf Feststellungen beruht. Genug der Analyse, der Kritik, der Studien, macht Platz für die Beweise und ihre Granit-Objektivität, die dir direkt in die Fresse schlägt. So legt das Unsichtbare Komitee mit affektierter Bescheidenheit von Anfang an fest, dass es sich damit begnügt, „ein bisschen Ordnung in die verschiedenen Allgemein-plätze dieser Epoche zu bringen, in das, was an den Tischen der Bars, was hinter verschlossenen Schlafzimmertüren gemurmelt wird.“, das heißt, „Sie haben nur die nötigen Wahrheiten fixiert“. Auch sehen sich die Mitglieder nicht als Autoren dieses Buches: „Sie haben sich zu den Schreibern der Situation gemacht. Es ist das Privileg der radikalen Umstände, dass die Richtigkeit in logischer Konsequenz zur Revolution führt. Es reicht aus, das zu benennen, was einem unter die Augen kommt, und dabei nicht der Schlussfolgerung auszuweichen.“ Wir wetten, dass ihr sicher nicht daran gedacht habt: Die Gemeinplätze sind die notwendigen Wahrheiten, die umgeschrieben werden müssen, um den Sinn für Präzision zu wecken, der logischerweise zur Revolution führt. Offensichtlich, nicht wahr?

Wir werden dann in die sieben Kreise eintauchen, in die die zeitgenössische soziale Hölle unterteilt ist, und wir werden nur wenige Ideen zum Nachdenken finden, aber viele Geisteszustände zum Teilen. Wie bereits gesagt, vermeiden es die Autoren dieses Textes, ihren Diskurs auf eine Theorie zu stützen. Um nicht Gefahr zu laufen, altbacken zu wirken, ziehen sie es vor, das Erlebte in seiner Alltäglichkeit festzuhalten, wo alles familiär wird, als Gemeinplatz eben. In diesem klaren und gut artikulierten Fluss der alltäglichen Banalität – bestehend aus Anekdoten, Witzeleien, Werbesprüchen, Umfragen usw. – jeder findet etwas, in dem er sich wiedererkennt. Bei der apokalyptischen Betrachtung des bevorstehenden Weltuntergangs und der verschiedenen sozialen Bereiche, in denen er sich abspielt, beschränkt sich das Unsichtbare Komitee auf die unmittelbar wahrnehmbaren Auswirkungen, während es über die möglichen Ursachen schweigt. In der Tat informiert es uns, dass „ das allgemeine Unglück wird unerträglich, sobald es als das erscheint, was es wirklich ist: ohne Grund und Ursache.“ Ohne Ursachen und Gründe? Man sollte keine radikale Kritik am Bestehenden erwarten, etwa eine Mischung aus kommunistischer Kapitalismuskritik und anarchistischer Staatskritik: Das ist altmodisch und sollte vermieden werden, wenn man originell erscheinen will. Die politische Ohnmacht, der ökonomische Bankrott und der soziale Verfall dieser Zivilisation werden zwar bezeugt, aber immer nur von innen gesehen. Ohne Enttäuschung für das, was ist, aber auch ohne jeden Anstoß für das, was sein könnte. Deshalb wurde Der kommende Aufstand in Form einer Editions-Ware geboren und ist so konzipiert und geschrieben, dass er das „große Publikum“ erreicht. Und das „große Publikum“ besteht aus Zuschauern, die gierig nach Emotionen sind, die sie an Ort und Stelle und im Verlauf von Situationen konsumieren können, und ist widerspenstig gegenüber Ideen, die einem ganzen Leben einen Sinn geben können. Wenn man das „große Publikum“ verführen will, muss man ihm einfache Bilder anbieten, in denen es sich ohne allzu große Anstrengung spiegeln kann (wie die unvergleichlichen italienischen Übersetzer süffisant erklären, „ohne Versprechen auf Verständnis, das am Ende von wer weiß wie vielen Interpretationen erreicht wird“). Es ist fast banal zu erwähnen, dass der Geist von Guy Debord den gesamten Text heimsucht, der stellenweise auch an Fight Club erinnert. Ja, der berühmte Film nach dem Roman von Chuck Palahniuk, der für seinen „harten, innovativen, nihilistischen Stil“ bekannt ist. Das Unsichtbare Komitee erinnert uns an Edward Norton, der mit einem Ikea-Katalog in der Hand auf der Toilette sitzt und kurz davor ist, zu explodieren und sich in einen wilden Brad Pritt zu verwandeln. Dieselbe „Schizophrenie“, dieselben Phrasen, die aus nächster Nähe abgefeuert werden.

– Dies ist dein Leben, und es endet von Minute zu Minute.

– Nach dem Kampf wird alles in deinem Leben leißer … du kannst es nachher mit allem aufnehmen!

– Es war direkt vor jedermanns Nase, Tyler und ich haben es einfach sichtbar gemacht. Es lag jedem auf der Zunge, Tyler und ich gaben ihm einfach einen Namen.

– Mord, Verbrechen, Armut, das sind Dinge, die mir keine Sorgen bereiten. Was mir Sorgen bereitet, sind Promi-zeitschriften, Fernsehen mit fünfhundert Kanälen, der Name eines Mannes auf meiner Unterwäsche, Rogaine, Viagra, Olestra.

– Erst wenn wir alles verloren haben, sind wir frei zu handeln.

– Wir sind die verfluchten Kinder der Geschichte, entwurzelt und ziellos. Wir haben weder einen großen Krieg noch die große Depression erlebt. Unser großer Krieg ist der geistige Krieg, unsere große Depression ist unser Leben.

– Wir sind mit dem Fernsehen aufgewachsen, das uns davon überzeugt hat, dass wir eines Tages Millionäre, Filmlegenden oder Rockstars werden würden. Aber es ist nicht passiert. Und das wird uns langsam bewusst, was uns sehr sauer macht.

– Ihr seid nicht euer Job, ihr seid nicht euer Girokonto, ihr seid nicht das Auto, das ihr besitzt, ihr seid nicht der Inhalt eurer Brieftasche, ihr seid nicht eure Designerklamotten, ihr seid die singende, tanzende Scheiße der Welt!

– Warum diese Gebäude, warum diese Kreditkartenfirmen? Wenn die Schuldenquote eliminiert wird, gehen wir alle zurück auf Null. Es wird ein totales Chaos verursachen.8

…. Und so weiter bis zum Untergang der Metropole.

In diesem ästhetisch-nihilistischen Klima stellt Der kommende Aufstand das Ende des zivilen Zusammenlebens mit der Distanz nach, die sentimentale Liedchen von der Kriegstreiberei des militantesten Rap trennt. Das Ende der Familie zeigt sich in der Atmosphäre von Langeweile und Verlegenheit, die über den rituellen gemeinsamen Mahlzeiten liegt. Das Ende der Ökonomie lässt sich an den Witzen ablesen, die unter den Managern kursieren. Das Ende der Städte hat die Form einer Werbetafel. Am Ende des siebten Kreises ist das Fazit klar: Wie das Duo Norton/Pitt verdient das Unsichtbare Komitee den ganzen Applaus.

Die Tatsache, dass es nicht so schwierig ist, überzeugend zu sein, wenn man nur das tägliche Grauen beschreibt, dem wir alle zum Opfer fallen, spielt keine Rolle. Und wen kümmert es, wenn diese lange Reihe objektiver Beobachtungen hier und da ein paar subjektive Ticks offenbart? Komm schon, sei nicht so pedantisch. Knurrt nicht vor der wiederholten Apologie des kollektiven Wir, begleitet von der drängenden Verachtung des individuellen Ichs. Das Individuum, das bereits als Inspiration für den Reebok abgetan wurde, wird dann als Synonym für „Identität“, „Problem“, „Zwangsjacke“ herausgeschmuggelt. Angehende Hirten sonnen sich gerne im Gestank der Herde. Alles, was sie brauchen, um glücklich zu sein, ist die Beschwörung einer Straßengang oder eines politischen Kollektivs mit ihren Anhängern, die kämpfen und marschieren, um die mafiöser Kontrolle über das „Territorium“ zu erpressen. Die Einzigartigkeit ist abzulehnen, weil sie keinen Handlungsspielraum schafft. Der Nullpunkt des Bewusstseins ist die Stille, in der die Slogans am lautesten ertönen, das weiße Papier, auf dem die Aufrufe zum Mitmachen gedruckt sind.

Man sollte auch nicht die Stirn runzeln angesichts der byzantinischen Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politiker, angesichts des verzweifelten Versuchs, zu retten, was zu retten ist, nachdem man erkannt hat, dass man Schiffbruch erlitten hat. Das Feuer, das jede Forderung verbrennt, hat ebenso wie die Wut, die jede zivilisierte Konfrontation scheut, sicherlich eine politische Bedeutung. Aber für wen? Nicht für die anonymen Aufständischen, die Tabula Rasa machen und einfach ihren Wünschen freien Lauf lassen wollen. Jedes politische Anliegen gehört nur dem „staatlichen biomechanischen Apparat“. Und schnaubt nicht über die Wiederholung dialektischer Spielchen, über unvermeidlich ineinandergreifende Spiele, die die Abfolge der Ereignisse zu einem gut geölten Mechanismus machen (wenn für Marx und Engels „die Bourgeoisie die Waffen hergestellt hat, die ihren Tod verursachen“9, so produziert für das Unsichtbare Komitee „die Metropole (…) die Mittel ihrer eigenen Zerstörung.“). Wenn dich das alles an etwas Altes und Düsteres erinnert, dann nur, weil du von alten und düsteren ideologischen Vorurteilen durchdrungen bist.

Das Unsichtbare Komitee ist sich der Tatsache bewusst, dass „entledigen uns nicht von dem, was uns fesselt, ohne gleichzeitig das zu verlieren, worauf sich unsere Kräfte ausüben könnten “, und hält daher eine sorgfältige Distanz zu jeder irreduziblen Andersartigkeit. Es ist besser, die „Sezession“ nicht zu übertreiben, besser, sie bleibt „politisch“. Diese Gesellschaft sei unbewohnbar geworden, heißt es immer wieder, aber erst nachdem man festgestellt hat, dass sie ihre Versprechen nicht einhält. Man fragt sich: Was sonst? Wer weiß, wenn wir nicht, „unserer Sprache enteignet durch die Schule (wurden)“, oder „unserer Lieder durch die Hitparade “, oder „unserer Stadt durch die Polizei“… vielleicht wären wir immer noch glücklich, in unserer eigenen Welt zu leben. Während wir darauf warten, etwas wiederzuerlangen, was wir nie hatten, können wir leben und kämpfen, indem wir unsere Eltern ausnutzen („Aus dem, was es an Unbedingtem in verwandtschaftlichen Verbindungen gibt, beabsichtigen wir das Gerüst für eine politische Solidarität zu errichten, die für den staatlichen Zugriff so undurchdringbar ist wie ein Zigeunerlager. Sogar in den endlosen Subventionen, die viele Eltern ihrem proletarisierten Nachwuchs zu zahlen gezwungen sind, gibt es nichts, was nicht zu einer Art Mäzenentum für die soziale Subversion werden könnte.“), oder vielleicht durch die Teilnahme an der Wahlmesse10 („Diejenigen, die noch wählen, scheinen dies nur noch mit der Absicht zu tun, die Urnen durch pure Proteststimmen hochgehen zu lassen. Man fängt an zu erraten, dass gegen die Wahlen selbst weiter gewählt wird.“). Diese radikalen Philosophen, was für Spaßvögel! So sehr, dass sie die konformistischsten ihrer Leser misshandeln, indem sie sie mit der Beschwörung der Feuer des Winters 2005 erschrecken, sie mit der Apologetik der Vorstadt-Lumpen bedrohen, sie mit der Behauptung der praktischen Nutzlosigkeit des Staates überraschen und sie sogar beschuldigen, das Leben der Armen zu beneiden.

Wohin soll das alles führen? Für das Unsichtbaren Komitee hat diese Zivilisation nichts mehr zu bieten. Nur, dass es ein Sonnenuntergang ist, der keinen Sonnenaufgang ankündigt. Wie bei allen Formen des Nihilismus – und bekanntlich reizt nichts radikale Philosophen mehr als der Nihilismus – geht die utopische Spannung verloren. Außerhalb dieser Welt gibt es nur diese Welt. Es gibt keine Lösung, keine Zukunft. Alles, was bleibt, ist eine schnell zerfallende Gegenwart, in der man zumindest überleben kann. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn „autonom werden“ für die Schriftgelehrten einfach bedeutet, „lernen, auf der Straße zu kämpfen, sich leere Häuser zu nehmen, nicht zu arbeiten, sich wie verrückt zu lieben und in den Supermärkten zu klauen.“: eben auf das Schlimmste zu verzichten.

Aber dann, was ist mit der Insurrektion? Was soll’s, jetzt hast du’s kapiert. Nach der Beschreibung eines sozialen Unwohlseins ohne Ursache und Grund kommen wir nun zum zweiten Teil, in dem eine Insurrektion ohne Inhalt angekündigt wird. Auch hier gibt es von Anfang an eine Annäherung, die gut genug ist, um alle Gaumen zu befriedigen. Eine Insurrektion, beginnt das Unsichtbare Komitee, „wir können uns nicht mal mehr vorstellen, wo er beginnt“. Von einem Aufstand – es wurde mit Irritation darauf hingewiesen. Naaah, zu präzise. Es ist besser, die Angelegenheit in der Schwebe zu lassen, um möglichst viele Neugierige anzulocken und die Punkte zu vermeiden, an denen sich die Gemüter normalerweise scheiden. Denkst du, dass die Beziehungen zwischen Subversiven auf Affinität (d.h. auf einem etablierten Austausch von allgemeinen Perspektiven und Ideen) oder eher auf Zuneigung (d.h. auf einem momentanen Austausch von bestimmten Situationen und Gefühlen) basieren sollten? Keine Angst, das Unsichtbare Komitee braucht nur einen akrobatischen Sprung, um das Hindernis nonchalant zu überwinden und sich über eine sensationelle Überschneidung zu schwingen („Man hat uns an eine neutrale Idee der Freundschaft gewöhnt, wie reine Zuneigung ohne Konsequenzen. Aber jegliche Affinität ist Affinität in einer gemeinsamen Wahrheit.“). Der Trick ist einfach. Anstatt von individuellen Wünschen auszugehen, die notwendigerweise vielfältig und unterschiedlich sind, genügt es, von sozialen Zusammenhängen auszugehen, die leicht als gemeinsam wahrgenommen werden. Das Unsichtbare Komitee mag keine Ideen, die wir besitzen, es bevorzugt Wahrheiten, die uns besitzen: „Eine Wahrheit ist nicht eine Sicht auf die Welt, sondern das, was uns auf unreduzierbare Art mit ihr verbunden hält. Eine Wahrheit ist nichts, was man besitzt, sondern etwas, das einen trägt.“ Die Wahrheit ist äußerlich und objektiv, eindeutig und unbestreitbar. Das bevorstehende Ende der Welt um uns herum, zum Beispiel (wobei eine mögliche künstliche Verlängerung dieses Leidens ignoriert wird). Es genügt, das Gefühl dieser Wahrheit zu teilen, um sich selbst in Plattitüden wie „entsprechend muss man sich organisieren“ wiederzufinden. Brecht nicht den Bann. Nehmt diese Wahrheit als gegeben hin, dass die Sackgasse der sozialen Ordnung eine Autobahn zur Insurrektion ist, und wagt nicht zu fragen: Wie organisieren? Um was zu tun? Mit wem? Und warum?

Gehörst du zu denjenigen, die glauben, dass die Zerstörung der alten Welt unvermeidlich und die Vorstufe zu einer echten sozialen Umgestaltung ist? Oder bist du vielleicht davon überzeugt, dass es durch die unmittelbare Entstehung neuer Lebensformen gelingen wird, die alten autoritären Modelle zu entmachten, so dass eine direkte Konfrontation mit der Macht überflüssig wird? Kein Problem, denn das Unsichtbare Komitee ist wieder einmal in der Lage, mit dem Finger in der Wunde, Spannungen zu versöhnen, die schon immer gegensätzlich waren. Es hofft auf „eine Vielfalt von Kommunen, welche die Institutionen des Staates ersetzen würden: die Familie, die Schule, die Gewerkschaft, den Sportverein, etc..“, und stellt die Theorie auf, „die Anonymität, in die wir abgeschoben wurden, zu unserem Vorteil zu wenden und daraus, mittels der Verschwörung, der nächtlichen oder vermummten Aktion, eine unangreifbare Position des Angriffs zu machen“. Die fehlende Peinlichkeit der Schriftgelehrten, die die Evidenz begründen, ist peinlich. Es stimmt, dass die Geschichte der revolutionären Bewegung ein unermessliches Arsenal ist, theoretisch und praktisch, das es zu plündern gilt. Aber die Leichtigkeit, mit der sie jahrhundertealte Knoten auflösen, ist erstaunlich, weil sie die Frucht einer so groben Manipulation ist. Beobachten wir, wie sie den Begriff „Kommune“ in einen ideologischen Universalschlüssel verwandeln, der ihnen alle Türen öffnen kann. Um Unterstützung aus dem ganzen bunten Feld der Unzufriedenen zu gewinnen, sowohl unter den Feinden dieser Welt (für die die Kommune ein Synonym für das aufständische Paris von 1871 ist) als auch unter den Alternativen zu dieser Welt (für die die Kommune die glückliche Oase in der Wüste des Kapitalismus ist), machen sie sich selbst zu Sängern einer „Kommune“, die sie überall sehen: „Jeder wilde Streik ist eine Kommune, jedes kollektiv besetzte Haus, das auf einer klaren Basis steht, ist eine Kommune, die Aktionskomitees von 68 waren Kommunen, so wie es die Cimarrones geflohener Sklaven in den Vereinigten Staaten waren, oder Radio Alice in Bologna im Jahre 1977“. Und was noch? „Die Kommune ist die elementare Einheit der Realität der Partisanen. Eine aufständische Erhebung ist vielleicht nichts anderes als eine Vervielfachung der Kommunen, ihrer Verbindungen und ihres Zusammenspiels. Im Lauf der Ereignisse verschmelzen die Kommunen zu größeren Einheiten oder splittern sich auf. Zwischen einer Bande von Brüdern und Schwestern, verbunden »auf Leben und Tod«, und der Zusammenkunft einer Vielzahl von Gruppen, Komitees und Banden um die Versorgung und Selbstverteidigung eines Stadtteils, oder sogar einer aufständischen Region, gibt es nur einen Unterschied im Umfang, sie sind ununterscheidbar Kommunen.“ Natürlich sind alle Kühe gleich grau.

Es ist unglaublich, sich daran erinnern zu müssen, dass die Debatte über das Verhältnis zwischen revolutionärem Bruch und dem Experimentieren mit alternativen Lebensformen zu dem von den herrschenden sozialen Verhältnissen auferlegten einzigen Modell mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht. In Italien manifestierte sie sich vor allem in den Diskussionen um die Kolonie Cecilia, während sie in Frankreich in den existenziellen Entscheidungen zweier Brüder, Emile und Fortuné Henry, zum Ausdruck kam (entschuldigung, aber jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Anders als das Unsichtbare Komitee denken wir an Anarchisten). Der erste der Brüder, der die Worte von Alexander Herzen „Wir bauen nicht auf, wir zerstören; wir verkünden keine neuen Enthüllungen, wir zerstören alte Lügen“ beherzigte, ging nach einigen Bombenanschlägen an den Galgen; der zweite gründete die Kolonie Aiglemont. Die Ausdrücke der Frage sind seitdem fast unverändert geblieben: Kann eine neue Lebensform nur während insurrektionlistischer Brüche entstehen oder auch außerhalb davon? Sind es die Barrikaden, die das Unmögliche möglich machen, indem sie jahrhundertealte Gewohnheiten, Vorurteile und Verbote außer Kraft setzen, oder kann dieses Unmögliche täglich am Rande der herrschenden Entfremdung ausgekostet und genährt werden?

Das Unsichtbare Komitee ist wie die Tugend: Es ist immer in der Mitte. Wie die heutigen Verfechter der „nicht-staatlichen Öffentlichkeit“ (von den arrogantesten anarchistischen Militanten bis hin zu den gerissensten „disobbedienti“ Negrianern11) behauptet es, dass „indem sie der staatlichen Kartographie ihre eigene Geographie aufzwingt, sie verschwimmen lässt, sie löscht, produziert die lokale Selbstorganisierung ihre eigene Sezession“. Doch während die ersten in der fortschreitenden Verbreitung von Erfahrungen der Selbstorganisation eine Alternative zur insurrektionalen Hypothese sehen, schlägt das Unsichtbare Komitee eine strategische Integration von Wegen vor, die bis jetzt als getrennt betrachtet wurden. Nicht mehr die Sabotage oder der Gemüsegarten, sondern Sabotage und der Gemüsegarten. Tagsüber pflanzen sie Kartoffeln, nachts fällen sie Strommasten. Die Tagesaktivität wird mit der Erfordernis gerechtfertigt, nicht von den Leistungen abhängig zu sein, die heute vom Markt und vom Staat erbracht werden, und somit eine gewisse materielle Autonomie zu gewährleisten („Wie können wir uns ernähren, wenn alles lahmgelegt ist? Die Geschäfte zu plündern, wie dies in Argentinien gemacht wurde, hat seine Grenzen“), die nächtliche durch die Erfordernis, den Fluss der Macht zu unterbrechen („Die erste Geste, damit etwas mitten in der Metropole hervorbrechen kann, damit sich andere Möglichkeiten eröffnen, besteht darin ihr Perpetuum Mobile zu stoppen.“). Mitgerissen vom Enthusiasmus für diese brillante Kombination, die noch nie zuvor in den Köpfen eines Revolutionärs aufgetaucht war, fragen sich die Schreiber, nachdem sie vorgeschrieben haben, dass „Die sich ausbreitende Bewegung der Bildung von Kommunen muss diejenige der Metropole unterirdisch überholen.“: „Warum können sich die Kommunen nicht ins Unendliche vermehren? In jeder Fabrik, in jeder Straße, in jedem Dorf, in jeder Schule. Endlich die Herrschaft der Basiskomitees!“. Die Antwort auf diese Frage ist am 11. November 2008 in Tarnac leicht zu erkennen: Die kommende Polizei. Ohne jegliche Originalität greift das Unsichtbare Komitee die alte, in den 1970er Jahren aktive Illusion einer „bewaffneten Kommune“ wieder auf, d.h. einer Kommune, die sich nicht in der Verteidigung ihres eigenen befreiten Raums verschanzt, sondern zum Angriff auf die anderen Räume übergeht, die in den Händen der Macht bleiben. Dies ist jedoch aus mindestens zwei Gründen nicht machbar.

Der erste ist, dass eine Kommune außerhalb eines insurrektionalistischen Kontextes in einem der Zwischenräume lebt, die die Herrschaft leer lässt. Ihr Überleben hängt von ihrer Harmlosigkeit12 ab. Solange es darum geht, Zucchini in Biogärten anzubauen, Mahlzeiten in Voküs zuzubereiten, Kranke in selbstverwalteten Kliniken zu behandeln, ist alles gut. Manchmal braucht man jemanden, der die Unzulänglichkeiten der sozialen Dienste ausgleicht. Schließlich ist ein Parkplatz für Randgruppen/Marginalisierte abseits der glitzernden Schaufenster des Stadtzentrums praktisch. Aber sobald man sich auf die Suche nach dem Feind macht, ändert sich alles. Früher oder später klopft die Polizei an die Tür und die Kommune endet oder wird zumindest kleiner. So viel zum Thema „Synchronisierung“ der Metropole! Alle Kommunen, die das Bestehende angegriffen haben, waren nur von kurzer Dauer.

Der andere Grund, warum der Versuch, „bewaffnete Kommunen“ außerhalb einer Insurrektion zu verallgemeinern, vergeblich ist, sind die materiellen Schwierigkeiten, mit denen sich solche Erfahrungen konfrontiert sehen, die in der Regel eine Unzahl von Problemen vor sich herschieben, begleitet von einem chronischen Mangel an Ressourcen. Da nur einige wenige Privilegierte in der Lage sind, jedes Problem so schnell zu lösen wie das Ausstellen eines Schecks (oder dessen Unterzeichnung durch die Mamas und Papas der Subversion), sind die Teilnehmer der Kommune fast immer gezwungen, ihre gesamte Zeit und Energie für das interne „Funktionieren“ der Kommune aufzuwenden. Kurz gesagt, um in der Metapher zu bleiben, neigt einerseits die Tagesaktivität mit ihren Anforderungen dazu, alle Kräfte zu Lasten der Nachtaktivität zu absorbieren; andererseits neigt die Nachtaktivität mit ihren Folgen dazu, die Tagesaktivität zu gefährden. Am Ende prallen diese beiden Spannungen aufeinander. Als Fortuné Henry eine intensive Propagandatätigkeit begann, die dazu führte, dass er nicht mehr in Aiglemont war, sah er sein soziales Experiment in kürzester Zeit scheitern (und niemand bedauerte es). Die französischen illegalistischen Anarchisten des frühen 20. Jahrhunderts hatten in der Kolonie Romanville gelebt, aber erst nach dem Scheitern dieses Gemeinschaftsversuchs und ihrer Rückkehr nach Paris wurden sie zu den „Autobanditen“.

Um es klar zu sagen. Damit soll die Wichtigkeit und der Wert solcher Experimente nicht negiert werden. Es bedeutet nur, sie nicht mit einer Bedeutung und Tragweite zu überladen, die sie nicht haben können. Malatesta formulierte 1913: „Wir haben nichts dagegen einzuwenden, dass einige Gefährten versuchen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen, und das Beste aus den Umständen zu machen, in denen sie sich befinden. Aber wir protestieren, wenn Lebensweisen, die nur Anpassungen an das gegenwärtige System sind und sein können, als anarchistisch dargestellt werden und, schlimmer noch, als Mittel zur Umgestaltung der Gesellschaft, ohne auf die Revolution zurückzugreifen.“ Ein In-vitro-Experiment, das begrenzt und umgrenzt ist, kann sicherlich gute Hinweise liefern und unter bestimmten Umständen mehr als nützlich sein, aber es stellt an sich keine Befreiung dar.

Das Konzept der Kommune auf alle rebellischen Manifestationen auszudehnen und ihre Summe mit einer Insurrektion gleichzusetzen, wie es das Unsichtbare Komitee tut, ist ein instrumenteller Trick, um das Problem zu umgehen und seinen Werbeslogan überall durchzusetzen. Wenn die Summe der subversiven Praktiken die Insurrektion ist, dann ist diese überhaupt nicht im Kommen: Sie ist schon da, sie war schon immer da. Hast du sie noch nicht bemerkt? Statt einer Feststellung, die Freude verbreitet, scheint sie uns ein Trost zu sein, der Selbstgefälligkeit verbreitet. Im rhetorischen Jargon könnte man es vielleicht als Metonymie bezeichnen, wobei ich mich für die Trivialität entschuldige. Laienhaft ausgedrückt, ein Austausch von Begriffen wie der, der darin besteht, den Namen der Ursache für den der Wirkung, das Behältnis für den Inhalt, das Material für das Objekt zu verwenden…. Diese Verwirrung ist für das Unsichtbare Komitee nützlich, denn sie erlaubt es ihm, sowohl denjenigen zu schmeicheln, die auf die Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse abzielen, als auch denjenigen, die utopische Wünsche verwirklichen wollen ( „Schlussendlich hätte man die Wut nie von der Politik lösen sollen.“), sowohl diejenigen zu umschmeicheln, die sich dem „die Biologie des Plankton (…) zu verstehen“ verschrieben haben, als auch diejenigen, die Probleme haben wie „Wie können eine TGV-Linie oder ein Stromnetz unbrauchbar gemacht werden? Wie können die Schwachstellen der Computer-Netzwerke gefunden, wie die Radiofrequenzen gestört und die Flimmerkiste wieder zum Rauschen gebracht werden?“ Indem das Unsichtbare Komitee mit seinem praktischen Wesen prahlt – ein nobles Ziel, dem sich niemand zu widersetzen wagt – überspielt es alle Fragen, die zu Unstimmigkeiten führen könnten, und reibt sich die Hände über die „politische Fruchtbarkeit“, die es erreicht hat. Es wettert lautstark gegen diese Zivilisation und sagt kein Wort darüber, wofür es kämpft. Das praktische Ergebnis dieser Haltung? „Wir haben die Feindschaft gegenüber der Zivilisation, um weltweit Solidaritäten und Fronten aufzuspüren.“ Wäre die Feindseligkeit gegenüber dieser Zivilisation nämlich von der Leidenschaft für eine Existenz frei von jeglicher Form von Herrschaft begleitet, wären all diese gemeinsamen Fronten nicht möglich: Wer würde schon ein Bündnis mit einem Konkurrenten der Macht eingehen?

Wenn nicht mal das Warum, das Was, geschweige denn das Wie ausgedrückt wird! Auch hier wird das Vermeiden in ein stilistisches Gewand gekleidet: „Geht es darum, über Aktionen zu entscheiden, so könnte das Prinzip lauten: Jeder holt eigene Erkundungen ein, die Übereinstimmung der Nachrichten wird geprüft, und die Entscheidung wird von alleine kommen, ergreift uns mehr, als wir sie ergreifen.“ Es ergibt also keinen Sinn, Zeit mit langwierigen Debatten über die zu wählende Methode und das zu verfolgende Ziel zu vergeuden, die leider zu Meinungsverschiedenheiten führen: Lasst uns alle umherwandern und die Entscheidung wird sich von selbst ergeben. Schön, strahlend und gültig für alle. Wenn du dann etwas Klarheit brauchst, sieh dir ihre historischen Referenzen an und lass deiner Fantasie freien Lauf. Auch wenn es heißt: „Das Feuer von November 2005 bietet dafür das Vorbild“, scheint die Aktion, die den Schreibern vorschwebt, eher die einer von Blanqui angeführten Black Panther Party zu sein. Wenn du denkst, dass sie einem avantgardistischen, autoritären Mischmasch ähnelt, dann bist du hoffnungslos alt und überholt/ausrangiert. Da du dich nicht mit flüchtigen Qualitäten wie der „Dichte“ der Beziehungen oder dem „Geist“ der Gemeinschaft zufrieden geben kannst, wirst du die literarische Beschreibung dessen, was bei einer Insurrektion passieren könnte, mit der das Buch endet, vielleicht sogar als ekelerregend empfinden! Wir haben bereits auf die mangelnde Präzision hingewiesen, mit der dieser Text verfasst ist, was keineswegs sein Hauptmanko, seine schwache Seite ist, wie einige in ihrer Rezension behauptet haben. Im Gegenteil, es scheint seine Stärke zu sein. Der kommende Aufstand ist auf der Höhe der Zeit und absolut zeitgemäß. Er besitzt die begehrtesten Eigenschaften des Augenblicks, er ist flexibel und elastisch, er passt sich allen Umständen (im subversiven Milieu) an. Er präsentiert sich gut, hat Stil und spricht jeden an, weil er es jedem ein bisschen recht macht, ohne dass es jemandem bis zum Ende missfällt. Unter diesem Gesichtspunkt ist es ein ausgesprochen politisches Buch.

Abschließend noch ein paar Worte zu dem Kontext, aus dem dieses Buch stammt. Frankreich ist bekanntlich das Vaterland der Revolution und der Liebe. Aber auch der kulturellen Avantgarde. Das Futuristische Manifest, das als Ahnherr der Avantgarde gilt, wurde dort veröffentlicht; die Situationistische Internationale, die als deren letzter Ausdruck gilt, war dort aktiv. Das Unsichtbare Komitee ist der Nekromant dieser fauligen Tradition, die revolutionäre Spannungen und die Einnahme von Lebensmittelverkäufen miteinander verbinden möchte (indem es die Ersteren in den Dienst der Letzteren stellt). Wie seine Vorgänger macht es lediglich Themen publik, die schon immer von Einzelpersonen und Gruppen fernab und im Schutz der kulturellen und politischen Bühne behandelt wurden. Nachdem es aus den unterschiedlichsten Quellen des revolutionären Erbes geschöpft und die einzelnen Elemente gut miteinander vermischt hat, runzelt es die Stirn, als es diese schillernde subversive Mischung einem Publikum von Konsumenten von radikalem Nervenkitzel präsentiert und sich seiner Originalität rühmt. Das Unsichtbare Komitee ist zwar über die Widersprüche aufgeklärt, in die sich seine Väter/Paten verstrickt haben, folgt ihnen aber sowohl in der Tat als auch im Wort. Das Ergebnis ist ein Text, der von einem kommerziellen Verlag veröffentlicht wird, der aber gleichzeitig vor „kulturellen Milieus“ warnt, deren Aufgabe es ist, „alle aufkeimenden Intensitäten aufzuspüren und den Sinn dessen, was Ihr tut, zu unterschlagen“. Einerseits wird es von der FNAC13 zum Buch des Monats gewählt, andererseits warnt es, dass „die Literatur ist in Frankreich der Raum, den man selbstherrlich zur Unterhaltung der Kastrierten zugelassen hat. Sie ist die formelle Freiheit, die denen gewährt wurde, die sich nicht an die Nichtigkeit ihrer realen Freiheit gewöhnen“. Aber wie bereits erwähnt, braucht eine revolutionäre Bewegung, die von dem Wunsch beseelt ist, einen Bruch mit der bestehenden Ordnung zu erreichen, keine Bestätigung der sozialen Ordnung, die sie kritisiert. Überlassen wir den Opportunisten aller Couleur die Heuchelei, das, was in Wirklichkeit Kollaboration ist, als rücksichtsloses Eindringen in Feindesland zu bezeichnen. Es ist eine seltsame Idee der Abspaltung und der Autonomie von den Institutionen, die empfiehlt, einen Fuß in sie zu setzen und ohne zu zögern an ihr teilzunehmen.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Fans dieses Buches Grund zur Freude haben: Nachdem die US-Ausgabe, die von Semiotext(e), einem auf poststrukturalistische französische Theorie spezialisierten Verlag, gedruckt wurde, von M.I.T. Press vertrieben wird (zum Preis von nur 12,95 $), verspricht der Erfolg dieses Buches planetarisch zu werden. Und worauf ist dieser Erfolg zurückzuführen? Trotz der Assonanzen, die darin zu finden sind, ist Der kommende Aufstand, in die Schaufenstern aller Buchhandlungen kommend, nur die Karikatur und Kommodifizierung14 jener Insurrektion, die sie alle zerschlagen könnte.

[aus Machete Nr. 5, November 2009].


1A.d.Ü., im Falle von Sol dell’Avvenire, handelt es sich um einen italienischen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2008, über ehemalige Mitglieder der Roten Brigade und deren Geschichte, Erinnerungen, etc.

2A.d.Ü., L’Insurrection qui vient

3Anmerkung aus der englischen Übersetzung, „in dem Material was ich auf Englisch gelesen habe, ist der französische Innenminister soweit gegangen es als ein „Handbuch des Terrorismus“ zu bezeichnen.

4A.d.Ü., hier handelt es sich um eine sozialdemokratische Tageszeitung aus Frankreich.

5A.d.Ü., Prositu oder Pro-situ ist ein Begriff der eine Nähe zu den Situationistischen Internationale verkündet, kann sowohl negativ, wie positiv, verwendet werden.

6A.d.Ü., jeder kennt die Ausdrücke Salonkommunisten oder Salonanarchistin, also jene die anstatt die Revolution machen, nur darüber reden und sich selbst gerne zuhören, in diesem Falle führen die Autoren einen Neologismus ein und präsentieren eine ähnliche parasitäre Figur, nämlich den „barricaderi da salotto“, also den Salonbarrikadisten.

7Das größte Verlagshaus Italiens, das wiederum große, über das ganze Land verteilte Buchhandlungen besitzt.

8A.d.Ü., alle Zitate aus dem Film selbst.

9A.d.Ü., wir denken dass die Autoren und Autorinnen dieses Textes dies meinten: Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“ Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei

10A.d.Ü., hier handelt es sich um einen Wortspiel, fiera elettorale bedeutet eine Wahlmesse, aber auch eine Wahlbestie, da fiera sowohl Messe, als auch Bestie bedeutet.

11A.d.Ü., gemeint sind die Anhänger und Anhängerinnen von Toni Negri.

12A.d.Ü., im Originaltext wird der Begriff inoffensività verwendet, was als nicht-offensiv auch verstanden werden sollte.

13A.d.Ü., FNAC ist eine große Kette von Buchhandlungen.

14A.d.Ü., zur Ware werden.

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