EINE ANARCHISTISCHE KRITIK AN DER POSTMODERNE UND DEM POST-ANARCHISMUS

Gefunden auf Indymedia Barcelona, die Übersetzung von uns.


EINE ANARCHISTISCHE KRITIK AN DER POSTMODERNE UND DEM POST-ANARCHISMUS

Das 20. Jahrhundert, das mit einem revolutionären Wirbelwind anfing, endete mit einem Zusammenbruch der emanzipatorischen Ideen, vom Anarchismus bis zum Sozialismus, die von einem Kapitalismus „besiegt” wurden, der sich je nach seinen Bedürfnissen immer weiter verändert und wandelt. Die kapitalistische Herrschaft greift alte „revolutionäre”, soziale, ökonomische und ökologische Kämpfe wieder auf, nimmt viele dieser emanzipatorischen Ideen auf und macht sie zu einem Teil ihres Programms.

Einerseits waren die revolutionären Bewegungen nicht in der Lage, diese neuen kapitalistischen Umstrukturierungen zu erkennen und zu analysieren, andererseits führte der Kapitalismus mit seinen endlosen Kriegen und Konflikten um die Herrschaft und Destabilisierung ganzer Gebiete oder in seiner kommunistischen Ausprägung, mit seinen immensen Senken moralischen und materiellen Elends, repräsentiert durch die Gulags, führten zur Destabilisierung der revolutionären Bewegungen, die den Kapitalismus zu verschiedenen Zeitpunkten des 20. Jahrhunderts in Bedrängnis gebracht hatten. Es gelang ihnen, alle Freiheits- und Emanzipationsbestrebungen zu unterbinden und eine allgemeine Flucht der revolutionären Bewegungen zu provozieren, die später in den Ideen der Postmoderne mündeten.

Angesichts des Niedergangs und der Krise dieser revolutionären Bewegungen schien es, als hätten viele einen Ausweg gefunden: den Rückzug in die Subjektivität des Individuums und die Flucht in den Markt als Garant für ein Glück, das auf der Privatisierung des Lebens (der Zerstörung der Gemeinschaft) und dem für die Postmoderne typischen Hyperkonsum beruht. Besonders hervorzuheben ist der Hyperkonsum von Identitäten.

So sind die Ideen der Postmoderne, die heute die Linke und zu einem großen Teil auch die anarchistischen und revolutionären Bewegungen völlig vereinnahmen, das Produkt der Enttäuschung über Politik und Ideologien sowie über soziale und revolutionäre Bewegungen. Postmoderne Ideen, die das Individuum in den Mittelpunkt stellen, und dank der sozialen Netzwerke das entfleischte und atomisierte Individuum, wodurch die Möglichkeiten eines revolutionären Kampfes, der nicht die Identitäten, sondern die Gemeinschaft, das Kollektiv in den Mittelpunkt stellt, das den Klassenkampf wieder aufnimmt und die Spannung, die Konfrontation und den Konflikt sucht, die den Zusammenbruch des Etablierten herbeiführen, in weite Ferne rücken.

DER ZUSTAND PERMANENTER GLÜCKSELIGKEIT WIRD VERKÜNDET (SLOGAN VON MAI 68)

Der Fall der Berliner Mauer, die Massengesellschaft, die Freizeit, der Hyperkonsum, die Entzauberung revolutionärer Ideen, der Rückzug des Individuums, das Ende des Kalten Krieges … all das führt zum Aufkommen der Postmoderne. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts setzte sich nach und nach die Idee durch, dass alles interpretierbar und relativ ist, dass die Kategorien, die bis vor kurzem noch die Welt erklärten, aktualisiert, neu erfunden und neu definiert werden müssen. Dass bestimmte soziale Kategorien wie Macht, Staat, Kapitalismus und revolutionäre Bewegungen überholt waren und im Mixer der Geschichte aufgelöst werden mussten. Ab der Postmoderne sind nur noch die Fragen relevant und beachtenswert, die dem desillusionierten Subjekt Wohlbefinden verschaffen, für das das Streben nach individuellem Glück (oder die Sichtbarmachung seiner eigenen Probleme) fortan einen funktionalen Ersatz für jene revolutionären Ideen darstellt, die bis vor kurzem noch einen hohen Stellenwert hatten. Die Postmoderne macht die Suche nach subjektivem Wohlbefinden zu einem moralischen Imperativ. Dieses Wohlbefinden setzt eine Privatisierung des Lebens voraus, die ein strukturelles Merkmal der Postmoderne ist. Das Individuum flüchtet sich in sich selbst in einem Prozess der fortschreitenden Isolation, und so nimmt in Ermangelung eines nahen Umfelds, einer Gemeinschaft, der Staat seinen Platz ein. Der Staat ist nicht mehr der zu bekämpfende Feind, sondern die Zuflucht, an die man sich wenden kann, um seine Probleme darzulegen und sichtbar zu machen. Der Verlust jener kollektiven Projekte, die „eine neue Welt” versprachen, wird durch Individualismus „belohnt”, repräsentiert durch ein desillusioniertes Individuum, das neue Quellen der Befriedigung in einer Gesellschaft sucht, die ihm über den Markt neue Formen bietet und ihm einen Horizont der Hoffnung verspricht, auf der Grundlage der Verwirklichung seiner sehnlichsten Wünsche.

Nach und nach bricht die Welt der Ideen in der Postmoderne zusammen. Es gibt keine Religionen oder revolutionären Ideen mehr, an denen man sich festhalten kann, alles wird flüchtig, cool, oberflächlich, vergänglich. In der Postmoderne gibt es keinen Platz mehr für große revolutionäre Projekte, da alles relativ, vergänglich, provisorisch ist… Alles scheint fragwürdig, optional, relativ. So ist Freiheit kein kollektives Projekt mehr, sondern steht nun im Mittelpunkt der individuellen Erfahrung, und alles, was das Individuum betrifft, von der Geburt bis zum Tod, erhält politische Bedeutung: die Wahl der Kinder, die Art der Ernährung, die sexuelle Orientierung, die Gesundheit, die Art des Konsums usw. Alles ist diskutabel und wird zu einer Ware, die die Wünsche des Individuums befriedigen kann. So rücken Fragen, die die strukturellen Bedingungen des sozialen Lebens, die Lebensbedingungen und die Politik betreffen, aus dem Mittelpunkt des Kampfes und ziehen sich auf das Individuum zurück.

Postmoderne Ideen sollten nicht mit einer strikten Entpolitisierung gleichgesetzt werden, sie sind untrennbar mit einer besonderen relationalen Begeisterung verbunden, wie die Verbreitung von Assoziationen, Selbsthilfegruppen und reformistischen Gruppen zeigt. Das postmoderne Individuum ist kein asozialer Individualist, sondern sucht Verbindungen und Verknüpfungen in Kollektiven mit miniaturisierten, hochspezialisierten Interessen, die weder den Konflikt mit dem Staat noch mit dem Kapitalismus suchen. Sie suchen Menschen mit den gleichen Identitätswünschen: Kollektive von „Rassifizierten”, Veganergruppen, Assoziationen von „Discas” (A.d.Ü., Abkürzung für personas discapacitadas, also Personen mit Behinderungen), transfeministische Gruppen, Orte, an denen sie die Solidarität von Mikrogruppen aufbauen können, wodurch politische und/oder revolutionäre Kämpfe fragmentiert werden. Sie bilden eine Vielfalt von Gruppen, die nicht mehr danach streben, jene Momente der Spannung oder des Konflikts zu schaffen, die zu einer allgemeinen Revolte führen können. So hat in der Postmoderne das Individuum jene gefährliche Klasse ersetzt, die mit Bomben, Gift, Messern, Büchern, Flugblättern … die Grundfesten der Bourgeoisie ins Wanken brachte. Eine Bourgeoisie, die nun all jenen, die sich als Revolutionäre verkleiden, eine ganze Kultur und liberalen Konsum bietet.

À LA CARTE: WÄHLE DEINE REBELLION

Das Spektakel hat den Kampf verändert. Viele Bewegungen, die sich in ungewissen Kämpfen engagieren, versuchen nicht mehr, das Bestehende zu stürzen, die Herrschaft zu kritisieren oder langfristige Kämpfe zu planen, die das System ins Wanken bringen. Wir leben in einem technischen Zeitalter, in dem das Visuelle im Vordergrund steht, nicht nur dieser Sinn wird priorisiert, sondern gleichzeitig werden uns die anderen Sinne vorenthalten, sensorische Deprivation ist ein Zeichen der wissenschaftlichen Gesellschaft. Deshalb leben wir im „Zeitalter der Sichtbarkeit”, in dem Kämpfe sichtbar gemacht werden müssen, nicht mehr, um als Propaganda verbreitet zu werden, die das Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung erreicht, sondern um die Existenz der Vielzahl von Subjekten zu zeigen, die die „liberale Rebellion” bilden, diejenigen, die nicht vorhaben, den Staat oder den Kapitalismus zu stürzen. In den meisten Fällen wollen sie sich einfach selbst bestätigen und sich der Welt präsentieren, als würde es sich um ein kommerzielles Schaufenster handeln.

An dieser Stelle wird die Personalisierung besonders wichtig, also die Möglichkeit einer umfangreichen Auswahl, wie in einem Restaurant, wo man seine eigene „Rebellion“ auswählen kann. Wir könnten es so etwas wie „Wähle dein eigenes Abenteuer“, „Gestalte deine Reise“ nennen. Der Kapitalismus bietet diesen hyperindividualisierten Konsum mit einer Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten, die immer mehr Optionen und maßgeschneiderte Entscheidungen bieten, eine Art Selbstbedienung einer Existenz à la carte, die darin besteht, jedem Menschen verschiedene Optionen anzubieten, Normativität, Autorität und einheitliche Unterwerfung durch freie Wahl, Homogenität durch Vielfalt, Sparsamkeit durch Wunscherfüllung zu ersetzen. So verkauft dir der Kapitalismus eine „Rebellion“ in einem einfachen Format. Die Idee ist einfach: Die Bevölkerung soll weiter konsumieren und arbeiten, aber ohne den alten autoritären Normen und Zwängen zu unterliegen. Jetzt bist du „frei“, deine Wünsche zu erfüllen (die dir der Kapitalismus in Geschenkpapier verpackt hat). So hat sich diese kapitalistische Lebensweise in die widerständigen Bereiche eingeschlichen, die sich heute oft mehr mit persönlichen, narzisstischen, hedonistischen und identitätsstiftenden Verwirklichungen beschäftigen als mit der Zerstörung des Bestehenden. Die Rebellion tarnt sich jetzt als Identität, du kannst dir aussuchen, welche du willst (der spanische Staat erkennt bereits 37 Geschlechtsidentitäten an, du kannst dir aussuchen, welche du willst). Die Welt ist zu einem Supermarkt der Identität geworden. Es gibt auch verschiedene Identitäten im Zusammenhang mit der Ernährung, die ebenfalls rebellisch sein wollen. Normativ zu sein bedeutet heute, nicht normativ zu sein. Man kann noch weiter gehen und aufhören, ein Mensch zu sein: sich verkabeln, verschiedene Chips implantieren lassen, ein Exoskelett anlegen und seinen Körper mit Prothesen füllen, um sich in einen Transhumanen zu verwandeln – alles ist formbar, alles ist eine Option, die man in der Postmoderne konsumieren kann. Sogar bestimmte „Feministinnen” wie Butler, Preciado oder Haraway entscheiden sich dafür, uns zu Cyborgs zu machen, mit der Ausrede, dass wir uns zu dem neu erfinden können, was wir wollen, und dass es weder Männer noch Frauen mehr gibt. Wir als widerspenstige und freiheitsliebende Menschen lehnen eine solche Abnormität entschieden ab. Die Gesellschaft hat ihre autoritäre Starrheit aufgegeben und ist offen und pluralistisch geworden, berücksichtigt die Wünsche der Individuen und erhöht ihre Freiheit entsprechend den individuellen Motivationen, dem flexiblen Leben im Zeitalter des Konsums. Die Linke hat dieses Gesellschaftsmodell übernommen und verkauft es uns als etwas Rebellisches. So sind soziale Bewegungen, die Linke und einige Anarchistinnen und Anarcihsten in die Falle getappt, in der der „Kampf” auf den Konsum von Gegenständen und künstlichen Zeichen reduziert wird, was zu einer Lähmung der Revolte und einer Atomisierung des Sozialen führt. Hier sehen wir die coole Zerstörung des Sozialen und die Kämpfe um einen Isolationsprozess, der nicht mehr durch rohe Gewalt oder reglementarische Strukturen, sondern durch Hedonismus, Begehren, Sichtbarkeit und Konsum gesteuert wird.

„Es sind die Klassen, die Revolutionen machen, nicht die Individuen” Kropotkin

Für uns sind die verschiedenen Formen der Ausbeutung und Unterdrückung kein Problem an sich, sondern ein Thema, das mit der sozialen Frage zusammenhängt. Politische Diskurse, die Ausbeutung und Herrschaft auf verschiedene Bereiche reduzieren, vermeiden es, die Wurzel der Probleme zu sehen, die allen Ausgebeuteten gemeinsam sind. Diese Diskurse (postkolonial, neofeministisch, neoökologisch…) scheinen sich der einzig plausiblen Lösung hinzugeben: der sozialen Fragmentierung nach ethnischen, rassischen, geschlechtsspezifischen, ernährungsbezogenen Kriterien usw. Diese soziale Fragmentierung führt zur Bildung verschiedener Gruppen, in denen unterschiedliche Konflikte und Spannungen untereinander entstehen, wobei der wahre Feind, den es zu bekämpfen gilt, vergessen wird: die kapitalistische soziale Reproduktion, die von Waren und Technologie geprägte Welt, die Lohnarbeit. Auf diesem unsicheren Boden verschwinden die Möglichkeiten, das Gemeinsame zu denken, ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Auf der einen Seite sehen wir, wie sich der Kampf in ethnischer, kultureller, sexueller usw. Hinsicht neu formiert, und auf der anderen Seite sehen wir, dass kritische Analysen und Praktiken in Bezug auf ökonomische Ausbeutung oder soziale Reproduktion nicht mehr auf der Tagesordnung stehen. Die fragmentarischen Kämpfe wollen nicht das Bestehende zerstören, geschweige denn bestimmte Spannungen und Konflikte provozieren, die zu einer allgemeinen Revolte führen könnten. Das Ziel dieser linken Kämpfe ist es, die Sichtweise auf die Menschen zum Positiven zu verändern. In der Tat bedeutet der Wunsch, sichtbar zu machen, die Wahrnehmung der anderen zu verändern, die Funktionsweise ihrer „Gemeinschaft” zu verstehen, nicht unbedingt, die Situation der Ausbeutung, in der sie sich befinden, zu verändern.

Das heißt, die Sichtbarkeit oder der Versuch, die Wahrnehmung bestimmter Gruppen (sexuelle, ethnische…) zu verändern, ist kein revolutionärer Kampf, sondern der Linkstum, die ihre Aufgabe erfüllt, die Kämpfe zu rekuperieren und die Richtung vorzugeben, in die sie gehen sollen. So laufen Multikulturalismus und die Verteidigung in der Öffentlichkeit von Minderheiten Gefahr, die besten Garanten einer kapitalistischen Ordnung zu sein, die den großen strukturellen Unterschied hervorbringt: den zwischen Arm und Reich. Der Klassenkampf bleibt in all diesen fragmentarischen Kämpfen auf der Strecke. Wie Walter Benn Michaels sagt: „Diversität ist kein Mittel zur Herstellung von Gleichheit, sondern ein Mittel zur Verwaltung von Ungleichheit. Es ist politisch nichts Radikales daran, Diversität hervorzuheben oder zu verherrlichen […] Es ist heute nichts anderes als unsere Art, Ungleichheit zu akzeptieren.“ Das Einzige, was durch Diversität und diese fragmentarischen Kämpfe ausgelöscht wird, ist der Unterschied zwischen den Klassen. Der Feind, den es zu besiegen gilt, ist nicht mehr die Klassengesellschaft, sondern es wird die Einbeziehung aller in eine vielfältige Klassengesellschaft angestrebt.

Die linke Ideologie hat bestimmte widerspenstige Ideen tief geprägt, und Anarchistinnen und Anarchisten haben es geschafft, die Kämpfe zu fragmentieren und Teile ihres Programms in anarchistische Projekte einzuschleusen, was zu einer Lähmung und zu beispiellos sterilen internen Kämpfen geführt hat, nachdem bestimmte „alte Themen“ wie Staat, Kapital, Waren, Lohnarbeit usw. beiseite geschoben wurden… die Linken hatten freie Bahn für eine Neuordnung der politischen „Agenda” im Sinne des Kampfes gegen die Macht der Normen, anstatt gegen ein kapitalistisches System, das Entfremdung, Elend, Armut und Ökozid hervorbringt. Dieser Kampf wird oberflächlich, es geht nicht mehr darum, Kritik oder Angriffe gegen unsere Feinde zu üben, sondern jetzt geht es darum, das Denken, die Ideen und die Postulate des Gegners zu „dekonstruieren”.

Für uns sind die verschiedenen Formen der Ausbeutung und Unterdrückung kein Problem an sich, sondern ein Thema, das mit der sozialen Frage zusammenhängt. Politische Diskurse, die Ausbeutung und Herrschaft auf verschiedene Bereiche reduzieren, vermeiden es, die Wurzel der Probleme zu sehen, die allen Ausgebeuteten gemeinsam sind. Diese Diskurse (postkolonial, neofeministisch, neoökologisch…) scheinen sich der einzig plausiblen Lösung hinzugeben: der sozialen Fragmentierung nach ethnischen, rassischen, geschlechtsspezifischen, ernährungsbezogenen Kriterien usw. Diese soziale Fragmentierung führt zur Bildung verschiedener Gruppen, in denen unterschiedliche Konflikte und Spannungen untereinander entstehen, wobei der wahre Feind, den es zu bekämpfen gilt, vergessen wird: die kapitalistische soziale Reproduktion, die von Waren und Technologie geprägte Welt, die Lohnarbeit. Auf diesem unsicheren Boden verschwinden die Möglichkeiten, das Gemeinsame zu denken, ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Auf der einen Seite sehen wir, wie sich der Kampf in ethnischer, kultureller, sexueller usw. Hinsicht neu formiert, und auf der anderen Seite sehen wir, dass kritische Analysen und Praktiken in Bezug auf ökonomische Ausbeutung oder soziale Reproduktion nicht mehr auf der Tagesordnung stehen. Die fragmentarischen Kämpfe wollen nicht das Bestehende zerstören, geschweige denn bestimmte Spannungen und Konflikte provozieren, die zu einer allgemeinen Revolte führen könnten. Das Ziel dieser linken Kämpfe ist es, die Sichtweise auf die Menschen zum Positiven zu verändern. In der Tat bedeutet der Wunsch, sichtbar zu machen, die Wahrnehmung der anderen zu verändern, die Funktionsweise ihrer „Gemeinschaft” zu verstehen, nicht unbedingt, die Situation der Ausbeutung, in der sie sich befinden, zu verändern.

Das heißt, die Sichtbarkeit oder der Versuch, die Wahrnehmung bestimmter Gruppen (sexuelle, ethnische…) zu verändern, ist kein revolutionärer Kampf, sondern der Linkstum, die ihre Aufgabe erfüllt, die Kämpfe zu rekuperieren und die Richtung vorzugeben, in die sie gehen sollen. So laufen Multikulturalismus und die Verteidigung in der Öffentlichkeit von Minderheiten Gefahr, die besten Garanten einer kapitalistischen Ordnung zu sein, die den großen strukturellen Unterschied hervorbringt: den zwischen Arm und Reich. Der Klassenkampf bleibt in all diesen fragmentarischen Kämpfen auf der Strecke. Wie Walter Benn Michaels sagt: „Diversität ist kein Mittel zur Herstellung von Gleichheit, sondern ein Mittel zur Verwaltung von Ungleichheit. Es ist politisch nichts Radikales daran, Diversität hervorzuheben oder zu verherrlichen […] Es ist heute nichts anderes als unsere Art, Ungleichheit zu akzeptieren.“ Das Einzige, was durch Diversität und diese fragmentarischen Kämpfe ausgelöscht wird, ist der Unterschied zwischen den Klassen. Der Feind, den es zu besiegen gilt, ist nicht mehr die Klassengesellschaft, sondern es wird die Einbeziehung aller in eine vielfältige Klassengesellschaft angestrebt.

Die linke Ideologie hat bestimmte widerspenstige Ideen tief geprägt, und Anarchistinnen und Anarchisten haben es geschafft, die Kämpfe zu fragmentieren und Teile ihres Programms in anarchistische Projekte einzuschleusen, was zu einer Lähmung und zu beispiellos sterilen internen Kämpfen geführt hat, nachdem bestimmte „alte Themen“ wie Staat, Kapital, Waren, Lohnarbeit usw. beiseite geschoben wurden… die Linken hatten freie Bahn für eine Neuordnung der politischen „Agenda” im Sinne des Kampfes gegen die Macht der Normen, anstatt gegen ein kapitalistisches System, das Entfremdung, Elend, Armut und Ökozid hervorbringt. Dieser Kampf wird oberflächlich, es geht nicht mehr darum, Kritik oder Angriffe gegen unsere Feinde zu üben, sondern jetzt geht es darum, das Denken, die Ideen und die Postulate des Gegners zu „dekonstruieren”.

EINE KLEINE KRITIK AM POST-ANARCHISMUS

Wir betonen, dass linke Ideen in die Anarchie eingedrungen sind und manchmal die Gedanken vieler Anarchistinnen und Anarchisten prägen. Ideen, die von der „radikalen Linken” kommen, von einigen Typen wie Foucault, Deleuze und Guattari, aber auch von neuen Feministinnen wie Butler oder Haraway oder aus postkolonialen Diskursen. Einer der ersten, der den Begriff Post-Anarchismus verwendete, war Hakim Bey, bekannt für sein Buch T.A.Z. (TEMPORÄRE AUTONOME ZONEN). Dieser Autor war ein Postmoderner, der die Anarchie nutzte, um seinen Wahnvorstellungen freien Lauf zu lassen. Unter anderem meinte er, dass Macht nie mehr als reine „Simulation” sei oder dass „Pornografie und populäre Unterhaltung als Mittel einer radikalen Umerziehung” dienen. Wir werden nie verstehen, warum dieser Autor in bestimmten anarchistischen Kreisen so „erfolgreich” war, vielleicht wegen seiner radikalen/situationistischen Sprache, vielleicht weil er etwas Neues präsentierte, wir werden es nie erfahren. Er zerstört eine Grundlage des anarchistischen Denkens, nämlich die „Macht”, die die Ausbeutung und Herrschaft der Reichen über die Armen mit sich bringt. Auch Foucault sagte, dass Macht etwas „Abstraktes” sei, und so entstand der Post-Anarchismus. Für diese Autoren, die sich hinter dem Trugschluss des Post-Anarchismus verstecken, weil für sie alles formbar und fließend ist, geht es sogar darum, den Anarchismus neu zu definieren, der für sie nicht mehr das revolutionäre Streben repräsentiert, sondern den Zerfall des Sozialen unter der Maske einer spektakulären individuellen Rebellion. Auf diese Weise versuchen sie, alles zu destabilisieren, worauf der klassische Anarchismus beruht. Sie wollen ihr Modell einer formbaren, fließenden und veränderlichen Welt auf den Anarchismus übertragen. In dieser „Neugestaltung” des Anarchismus finden wir Unsinnigkeiten wie die der kanadischen Universitätsprofessorin Sandra Jeppesen, die behauptet: „Der Anarchismus ist keine weiße Bewegung, […] der Anarchismus ist keine Bewegung der heterosexuellen Monogamie […] der Anarchismus bezieht die Arbeiter nicht mit ein […] der Anarchismus bedeutet, Ereignisse zu schaffen”, auch wenn es nicht lustig ist, müssen wir doch schmunzeln, wenn wir solchen Unsinn hören. Der Anarchismus bezieht die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht mit ein? Man muss zugeben, dass es seltsam und falsch ist, das über eine Bewegung zu sagen, die 1872 aus einer Abspaltung der Internationalen Arbeiterassoziation entstanden ist, aus der Bakunin und Guillaume ausgeschlossen worden waren, es sei denn, man löscht einfach die Vergangenheit und beschränkt sich auf die unmittelbare Gegenwart.

Sie wollen die Anarchie zerstören, aber das werden wir nicht zulassen. Wir sind hartnäckig wie unsere Gefährtinnen und Gefährten aus dem 19. Jahrhundert, die mit aller Kraft diejenigen bekämpften, die sie zerstören wollten. Heute greift der Feind von links an. Wir fragen uns, an wen sich dieser Anarchismus richtet, der nicht „für die Arbeiterinnen und Arbeiter” ist. Der Post-Anarchismus reduziert politische Aktion auf die Subversion der Identität, sein dekonstruktivistisches Denken macht es unmöglich, Kritik in Begriffen wie Entfremdung oder Ausbeutung zu denken, und wir treffen uns in Vollversammlungen und an Orten, an denen „das Pronomen jedes Einzelnen”, „seine sexuelle Identität” oder „was er isst” in den Vordergrund stellt, um Projekte zu verwirklichen, die mit ihrer Praxis und Kritik diese Welt ins Wanken bringen, die uns zum Elend verdammt. Ein klares Beispiel dafür sehen wir beim Feminismus: Auf der einen Seite stehen die radikalen Feministinnen, die gegen das patriarchalische System und die Unterdrückungsmechanismen kämpfen, und auf der anderen Seite der Neofeminismus/Queer, der ausschließlich die Destabilisierung der Normen anstrebt, indem er seine Politik in einem sozialen Vakuum entfaltet und den Slogan „das Persönliche ist politisch“ so weit übertreibt, dass die Politik in der Neuerfindung der Sexualität aufgeht. In diesen Diskursen des sogenannten Post-Anarchismus verschwindet jede Kritik am Leben, das durch Waren, Lohnarbeit oder Technologie verstümmelt wird.

Das aktuelle „anarchistische Spektrum“ scheint nicht in der Lage zu sein, sich von diesem ganzen postmodernen und linken Cocktail zu lösen, der die Art und Weise, wie wir in unserem Umfeld handeln, denken und fühlen, prägt. So sehen wir, wie das Denken in den anarchistischen Bewegungen immer mehr eingeengt und vereinheitlicht wird, mit wenig Möglichkeiten, Kritik am post-anarchistischen Einheitsdenken zu üben, das sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Diese post-anarchistischen Bewegungen bestehen oft aus autoritären Personen, die unter dem Deckmantel einer „freundlichen” Ideologie jede Debatte oder Vertiefung bestimmter Aspekte und sogar jede Kritik daran unmöglich machen, weil man schnell aus ihrem „großen Bruder” ausgeschlossen wird. Der Versuch, den Anarchismus zu fragmentieren, indem man Menschen aufgrund ihrer Privilegien, Fähigkeiten usw. kategorisiert und die andere Seite als privilegiert oder fähigkeitsorientiert beschuldigt… Dies mit einem rebellischen Diskurs zu versehen, ist nichts weiter als eine Farce, die keinerlei revolutionären Sinn hat/ergibt. Der Anarchismus löst durch gegenseitige Hilfe und Solidarität die Probleme von Fähigkeiten oder Privilegien, ohne dass soziale Kategorien festgelegt werden müssen. Einen Teil der Bevölkerung zu Opfern zu machen, ist Teil des kapitalistischen Diskurses, der von denen übernommen wurde, die behaupten, sich ihm zu widersetzen. Dem Feind wieder ins Gesicht zu schauen, ohne Angst in den Abgrund zu blicken, eröffnet aufständische Möglichkeiten. Kategorien zu schaffen und die revolutionäre Bewegung zu spalten, führt nur dazu, dass das Bestehende weitergeht. Anarchie dient hier als Mittel für Tyrannei. Es ist zu einfach, einer skrupellosen und von Angst gelähmten Umgebung die Schuld zu geben, wenn es darum geht, etwas zu verbieten oder durchzusetzen, indem man sich als „Opfer”, „Vertreter der Unterdrückten”, „Unterdrückte” oder „Diskriminierte” von Minderheiten ausgibt. Im Grunde genommen sind diese Aktivisten, die von Universitäten, Verlagen, der Welt des Spektakels und den Medien unterstützt und gefeiert werden, die ideologischen Vertreter der transhumanistischen Technokratie, die darauf aus sind, alle Formen der Verteidigung einer freien Menschheit in einer wilden Natur zu zerstören.

CHIMPANCES DEL FUTURO (SCHIMPANSEN DER ZUKUNFT)

MADRIP, OKTOBER 2025

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