Guerra di Classe in España – Die Schrifften von Camillo Berneri [1936-1937]

Von uns übersetzt. In ein paar Wochen veröffentlichen wir die Broschüre die die MIL-Ediciones Mayo 37 1973, zum Teil mit anderen Texten von Camilo Berneri, aus der Klandestinität veröffentlichte. Auch mit einer langen Einleitung von Ediciones Mayo 37.


Guerra di Classe in España – Die Schrifften von Camillo Berneri [1936-1937]

(1978) – Camillo Berneri (Frank Mintz)

Vorwort von Frank Mintz

(Quellen und Zitate: U. Marzocchi und V. Rabitti, Umanita Nova, 16. Juli 1966; U. Fedeli, Adunata dei Refrattari, Dezember 1961; Pensieri e Battaglie 1938).

„Um die Revolution zu sichern, reicht es nicht aus, dass die Menge bewaffnet ist oder die Bourgeoisie enteignet hat: Sie muss das kapitalistische System komplett zerstören und ihr eigenes System aufbauen. Sie muss in der Lage sein, die Ideen der stalinistischen und reformistischen Anführer mit derselben Kraft zu bekämpfen, mit der sie die kapitalistischen Individuen und die Anführer der bourgeoisen Parteien angreifen. Ab Mai 1937 ist jede revolutionäre Anstrengung, die dieser Erfahrung nicht treu bleibt, schlicht und einfach zum Scheitern verurteilt. Den Staat angreifen, der stalinistisch-reformistischen Konterrevolution ohne zu zögern entgegentreten: Das sind die charakteristischen Merkmale der kommenden Revolution.“

Diese Auszüge aus der klandestinen spanischen Neuauflage der Schriften von Berneri aus dem Jahr 1973 die von der Movimiento Ibérico de Liberación veröffentlicht wurden (deren Symbolfigur Pulg Antich ist, der am 2. März 1974 erwürgt wurde) erklären den Grund für die Veröffentlichung dieser Schriften.

Wir haben ein paar Seiten von Berneri aus dieser Zeit hinzugefügt, die seine Gedanken zum Marxismus und zu den Milizen besser wiedergeben.

Man muss wissen, dass Berneri und viele andere italienische Anarchisten und Antifaschisten nach Spanien gingen, um mit der Waffe in der Hand zu kämpfen.

Nachdem er am 29. Juli 1936 angekommen war, stellte Berneri am 7. August seinen Plan für eine italienische Kolonne vor, die aus Anarchisten, unabhängigen Sozialisten (Giustizia e Liberta), Kommunisten, Monarchisten und Republikanern bestehen sollte. Am 17. August wurde die Kolonne gebildet (Text in L ‚Autogestion dans l’Espagne revolutionnaire, S. 278). Am nächsten Tag brach die Kolonne mit 130 Mann nach Aragón auf. Schließlich zählte sie etwa 450 Mann. Am 28. erhielten sie ihre Feuertaufe am Monte Pelado, den sie trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit halten konnten.

Berneri war mal an der Front, mal in Barcelona, um die Kolonne und die Propaganda zu organisieren. Und ab Oktober 1936, mit dem Erscheinen von Guerra di Classe, ließ er sich in Barcelona nieder, ohne seinen Kontakt zur Front ganz aufzugeben.

So kämpfte Berneri gleichzeitig mit dem Gewehr und mit der Feder. Der reformistische Kurs der Revolution übte einen immer stärkeren Druck aus: „20 bis 22 Stunden am Stück mit politischen und militärischen Problemen beschäftigt zu sein, führt unweigerlich zu einer Art geistiger Übelkeit…“ (16. Januar 1937); „Die Ausgabe Nr. 8 von Guerra di Classe wird erscheinen, wenn es möglich ist. Das Komitee (CNT-FAI) hat sich genauso darum gekümmert wie um L’Espagne Anti-fasciste1, und ich will nicht beschuldigt werden.» (Februar 1937).

Die Artikel von Berneri zeigen, wie die Anarchisten – Spanier und Ausländer – dachten, die bereit waren, ihr Leben für den antiautoritären sozialen Wandel und zum Wohl aller Arbeiter zu opfern, und nicht für die patriotische und republikanische Demagogie der Privilegierten.


Camillo Berneri von Frank Mintz

Er wurde am 28. Mai 1897 in Lodi geboren, wuchs in Reggio Emilia auf und war in einer sozialistischen Jugendgruppe aktiv. Er entschied sich, mit einem offenen Brief zurückzutreten, der für einiges Aufsehen sorgte:

„… die sozialistische Bewegung hat einen katastrophalen Abstieg in die Tiefen des destruktiven Egoismus begonnen und folgt damit dem Weg der moralischen Kraft des Christentums, das durch seine Märtyrer stark wurde und in Verfall geriet, als die Opfer seiner Anhänger aufhörten.“

„Wir brauchen einen neuen Energieschub, wir müssen zu einer Zeit zurückkehren, in der die Liebe zu einer Idee bedeutete, den Tod nicht zu fürchten und sein ganzes Leben der völligen Unterwerfung zu opfern.“ (1915). Dieses tiefe und militante Engagement, das sich bis zu seiner Ermordung immer wieder zeigt, war jedoch nie blinder Glaube, wie wir sehen werden.

1917 wurde er zum Militärdienst einberufen. Wollte er Kriegsdienstverweigerer werden oder desertieren? „Es gibt Momente, in denen sich töten zu lassen die logischste Lösung ist und sich töten zu lassen zu einer moralischen Notwendigkeit wird. Gewissenskonflikte sind schlimmer als österreichische Kugeln oder erstickende Gase.“ „Man kämpft und stirbt. Veilchen wachsen auf blutgetränkter Erde, entlang der roten Wassergräben.“

Nach dem Krieg beendete er sein Studium und war gleichzeitig sehr aktiv in der anarchistischen Presse. Er wurde Lehrer für Geisteswissenschaften an einem Gymnasium. Der Aufstieg des faschistischen Regimes und seine Weigerung, diesem Regime als Beamter die Treue zu schwören, zwangen ihn ins Exil.

So begann eine lange Reihe von Verhaftungen und Ausweisungen aus Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, zu denen noch die üblichen Probleme politischer Exilanten hinzukamen: Diskussionen, Ausbrüche von Begeisterung, Spionage usw.

„Ich träumte davon, ein solides und geräumiges Gebäude zu errichten, aber ich habe festgestellt, dass meine Energie vergänglich ist: Ich habe mein Gehirn abgewogen, mein Herz durchleuchtet und spüre, dass ich manchmal gemein und manchmal stolz bin. Ich frage mich, ob meine politische Aktivität nicht nur ein nutzloses Aufwirbeln der trockenen Blätter einer Ideologie im Niedergang ist. Mein Glaube, der einst zart und reichhaltig war, ist jetzt braun wie die Weinreben im Herbst.“

Berneri lebte mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, die in Frankreich waren. 1930 schrieb er aus einem belgischen Gefängnis an seine Tochter Giliana: „Eines Tages wirst du vielleicht verstehen, wie sehr Papa deine Mutter und euch beide geliebt hat, auch wenn er ihr so oft wehgetan hat und auch wenn er dir gegenüber nicht so liebevoll war.“ (geschrieben auf Französisch).

Aber trotz dieser physischen und moralischen Hindernisse blieb Berneri intellektuell voll aktiv:

„Das Kuriose ist, dass ich mich einerseits zur militanten Politik hingezogen fühle, andererseits sind meine Lieblingsstudien im Bereich der Kultur entweder sehr speziell (ich habe viel Zeit mit dummen Dingen verschwendet: Psychologie, Zoologie, Telepathie usw.) oder extrem abstrakt (ich habe ein großes Buch mit Material über Finalismus). Das Ergebnis ist ein allgemeines Unbehagen.“ (Brief an Luigi Fabbri, September 1929).

„Je mehr ich unsere Presse lese, desto mehr glaube ich, dass ich träume. Du weißt, dass ich es nicht vermeiden kann und dass ich mit fast niemandem übereinstimme. (…) Was die Gewerkschaften/Syndikate betrifft, so glaube ich, dass dies der einzige Bereich ist, in dem wir etwas aufbauen könnten, obwohl ich die Gewerkschaftsfunktionäre/Syndikatsfunktionäre nicht akzeptieren kann und ich klare Nachteile und Gefahren im praktischen Anarchosyndikalismus sehe. Wenn ich den Individualismus kritisiere, dann deshalb, weil er, obwohl zahlenmäßig weniger bedeutend, es geschafft hat, praktisch die Totalität der Bewegung zu beeinflussen. (…) Mein Traum ist es, die Untersuchung einer langen Reihe von Problemen voranzutreiben und dann die kritischen Beobachtungen, Notizen, Lösungen usw. der Leute, die sie diskutieren, zu sammeln und ein Programm für 1932 oder 1933 zu erstellen, um es als Programm einer Gruppe von Anarchisten vorzulegen, die die anderen in Ruhe lassen, aber ihren eigenen Weg gehen wollen.” (Brief an Luigi Fabbri, Juli 1930).

Dieses Projekt scheint nicht umgesetzt worden zu sein. Berneri hat aber viele antireligiöse Artikel und Broschüren über die Emanzipation der Frau geschrieben. Er hat auch eine Theorie vorgeschlagen, die unter dem Titel „Der antisemitische Jude” veröffentlicht wurde und in der er die erzwungene oder freiwillige Assimilation der Juden untersucht hat. André Spire, Dichter und Zionist, hat das Buch als „von größter Bedeutung” bewertet.

Seine wichtigsten Schriften waren jedoch „Die faschistische Spionage im Ausland” (auf Italienisch) und „Mussolini und die Eroberung der Balearen” sowie seine militanten Artikel, aus denen wir drei Zitate anführen, die Berneri vor seiner Ankunft als Freiwilliger in Spanien zusammenzufassen scheinen.

„Glücklicherweise ist das Phänomen der Freimaurerei im italienischen Anarchismus völlig unbedeutend. Aber es gab eine beträchtliche Minderheit von Anarchisten, die, verführt von der Hoffnung auf „extreme Maßnahmen”, sich in die politischen Spiele dieser zweideutigen Form des Antifaschismus hineinziehen ließen.” „Die Freimaurerei unterstützt jede Bewegung, die der Bourgeoisie unterstützen kann, und bekämpft jede, die ihr schaden könnte.”

„Man muss die Romantik hinter sich lassen. Die Massen, würde ich sagen, muss man im Blick behalten.“

„Es gibt kein Volk, keine homogene Einheit, sondern nur Menschenmassen, die unterschiedlich und in Kategorien unterteilt sind. Es gibt keinen revolutionären Willen der Massen, sondern revolutionäre Bewegungen, in denen die Massen ein riesiger Hebel sind. (…) Wenn wir zu einer möglichen Neubewertung unserer revolutionären Kraft kommen wollen, die nicht gering ist, müssen wir unsere ideologischen Apriorismen und die Gewohnheit, Dinge auf einen zukünftigen Zeitpunkt zu verschieben, der für die Lösung taktischer Probleme und den Wiederaufbau günstig ist, ablegen. Ich sage Wiederaufbau, weil die größte Gefahr, dass die Revolution zum Stillstand kommt und vom Kurs abweicht, in der konservativen Tendenz der Massen liegt.“ (1930)

„Darauf zu warten, dass das Volk erwacht, von Massenaktionen zu reden, den antifaschistischen Kampf auf den Aufbau und die Erhaltung der Reihen der Partei und der Gewerkschaft/Syndikates zu reduzieren, anstatt die Mittel und den Willen auf die revolutionäre Aktion zu konzentrieren, die als einzige diese Atmosphäre moralischer Verkommenheit ändern kann, in der das italienische Proletariat dabei ist, sich vollständig zu korrumpieren, ist verachtenswert, reine Dummheit und ein Akt des Verrats“ (1934, Ende von „La idolatría obrera“).

Als die Nachricht vom Aufstand in Spanien bekannt wurde, machten sich Berneri und die meisten italienischen Antifaschisten sofort auf den Weg dorthin. Sie bildeten eine Kolonne, die sich in die von Berneri und Carlo Rosselli (linker Sozialist) organisierte Kolonne Ascaso der Aragonischen Front integriert. Berneri nahm an der Schlacht von Monte Pelado (28. August 1936) teil –

„Wir verteidigten die Stellung mit 130 Mann gegen etwa 600 gut ausgebildete und ausgerüstete Männer, und das in vier Stunden Kampf“ – und von Huesca (3. September 1936)

Schließlich widmete er sich hauptsächlich der Propaganda, ohne dabei die italienische Kolonne zu vernachlässigen. Er leitete die Zeitschrift „Guerra di Classe” (auf Italienisch) und sprach im Radio der CNT/FAI in Sendungen nach Italien. Das Buch „Pensieri e battaglie” (Paris 1938) enthält eine Reihe von Kommentaren zur Situation, die Berneri notiert hat. Man sieht, wie seine Artikel die Gefahr eines kommunistischen Putsches und die angespannten Beziehungen zu den regierungsfreundlichen Anarchisten verdeutlichen.

„Eine Gruppe von Leuten nervt mich, es sind die Freiwilligen, die als Beobachter gekommen sind (meist Franzosen). Sie kommen mit der Miene von Priestern und stehen auf wie Cowboys, um die Hälfte der Zeit in Cafés zu verbringen.” (21. September 1936).

„Der Artikel in Ausgabe Nr. 6 hat den Generalkonsul der UdSSR in Barcelona verärgert, der das Regionalkomitee (der CNT) gefragt hat, ob sie ihn genehmigt hätten. Ich weiß nicht, was sie geantwortet haben.“ (Januar 1937).

„Die Ausgabe Nr. 8 von ‚Guerra di Classe‘ wird erscheinen, sobald es möglich ist. Das Komitee (Regionalkomitee der CNT) hat sie genauso behandelt wie ‚L’Espagne Anti-fasciste‘[*], und ich möchte nicht angeklagt werden. Das hat mich allerdings ein wenig betrübt. Ich werde das durch Mitarbeit an Zeitschriften und das Verfassen einiger Broschüren ausgleichen.“ (Februar 1937).

„Seit einiger Zeit haben wir wegen der Stalinisten oft Kranke in unserem Lager.“ (Januar 1937).

„Giopp wurde auf Betreiben von Espla und Arieto freigelassen, aber sein Fall ist schwerwiegend, und sie haben ihn aus Angst vor einem üblen Streich der kommunistischen Tscheka, die in Valencia das Sagen hat, eskortiert und mit dem Flugzeug ausgeflogen.“ (…) „Ich weiß nicht, wann ich die Broschüre über die Balearen fertigstellen werde (an der ich trotz meiner Vorbehalte arbeiten muss!), um eine Flut von Artikeln über die Situation hier zu starten, die von den Bolschewiken gefährdet ist!“ (März 1937).

„Ich, der ich im Allgemeinen keine Angst vor Gefahren habe, werde manchmal von einer Todesangst erfasst, ohne dass es dafür einen besonders objektiven Grund gibt.“ (Brief an seine Frau, 25. April 1937).

Zehn Tage später, am 5. Mai 1937, wurden Berneri und Barbieri, beide Anarchisten, in ihrer Wohnung von zehn bewaffneten Polizisten in Zivil festgenommen und als „Konterrevolutionäre“ angeklagt. Auf Barbieris Proteste hin zog ein Polizist seinen Ausweis, Nr. 1109 (notiert von Barbieris Frau). [Beide wurden noch am selben Tag ermordet].

Die letzten beiden Arbeiten von Berneri waren „Nosotros y el POUM” (Wir und die POUM), veröffentlicht von einer italienischen anarchistischen Zeitung in New York, sicherlich weil Berneris kritische Verteidigung im April-Mai 1937 in Spanien nicht veröffentlicht werden konnte, und eine Rede vom 3. Mai 1937 im Radio der CNT/FAI nach Italien anlässlich des Todes von Gramsci: „Der hartnäckige und würdige Militant, der unser Gegner war, Antonio Gramsci, war überzeugt, dass er einen Stein zum Aufbau der neuen Gesellschaft beigetragen hatte”.

(Diese Biografie, die sich weitgehend auf die von Israel Renof in „Noir er Rouge” stützt, ersetzt die allzu sentimentale von Luigi Fabbri).

Obwohl der Name Camillo Berneri durch seinen Tod brüderlich mit dem von Francisco Barbieri verbunden wurde, wird dieser anarchistische Gefährte selten vorgestellt.

Barbieri wurde am 11. November 1895 in Briattica in der Provinz Catanzaro geboren und war seit seiner Jugend als Anarchist aktiv. Mit dem Aufkommen des Faschismus wanderte er nach Argentinien aus.

Argentinien war damals von sozialen Unruhen geprägt: gewalttätige Streiks, die vom Militär niedergeschlagen wurden (2.000 Tote in Patagonien im Jahr 1921); mächtige syndikalistische Organisationen, darunter die anarchosyndikalistische FORA. In der Zwischenzeit schloss sich Barbieri der italienisch-argentinischen anarchistischen Gruppe von Severino di Giovanni an, die zunächst bei der Ermordung von Sacco und Vanzetti amerikanische Einrichtungen mit Bomben angriff und später faschistische italienische Unternehmen. Gleichzeitig führte die Gruppe mehrere Raubüberfälle durch, um eine geheime Druckerei zu finanzieren, die 1930 zwei Bände von Elisee Reclus‘ „Escritos sociales” (Soziale Schriften) auf Italienisch veröffentlichen sollte.

Als di Giovanni und seine Gefährten verhaftet wurden, schaffte es Barbieri, ein paar heikle Dokumente zu verstecken und nach Brasilien zu flüchten, von wo aus er nach Italien abgeschoben wurde, um eingesperrt zu werden. Es gelang ihm zu fliehen und nach Frankreich zu kommen. Aber weil er beschuldigt wurde, gefälschte Papiere beantragt zu haben, wurde er eingesperrt und aus Frankreich in die Schweiz abgeschoben, von wo aus er ebenfalls abgeschoben wurde, um im Oktober 1935 nach Spanien zu kommen. Da er aber von der italienischen Geheimpolizei angezeigt wurde, die seine Auslieferung forderte, ging er heimlich in die Schweiz, wo er sich befand, als die Ereignisse in Spanien begannen. Barbieri kam am 25. Juli 1936 wieder nach Barcelona. Wegen einer Krankheit war Barbieri im Mai 1937 in Barcelona, nachdem er an der Front von Huesca gekämpft hatte. (Informationen teilweise enthalten in dem Artikel von L. Mastrodicasa, „Guerra di Classe”, 23. Juni 1937).

Durch ihren Tod vereint, veranschaulichen Berneri und Barbieri zwei sich ergänzende Aspekte des Anarchismus: den unerbittlichen Kampf gegen Diktaturen und ihre Ideologien.


Die Schriften von Camilo Berneri:


Unveröffentlichter Brief über die Militarisierung

Oktober 1936

Rosselli2 plant, einen möglichst engen Kontakt zwischen unserer Kolonne und der anderen (der italienischen Sektion der Internationalen Brigaden, die der Kommunistischen Partei angehört) herzustellen. Anmerkung des Übersetzers), was ich ablehne. Das wichtige Problem ist jedoch die Autonomie unserer Sektion, die Rosselli vorschlägt, die ich aber nicht für ratsam halte, da sie darauf hinausläuft, den Großteil der von uns gebildeten Sektion von einer Miliz zu trennen, die unseren Ideen entspricht; denn ich sehe nicht, wie die Militarisierung uns ausschließen könnte, wenn sie es nicht geschafft hat, uns von der Kolonne von Ascaso zu trennen. Ich denke also, dass es einfacher ist, der Militarisierung zu entgehen, indem wir in der Miliz der CNT und der FAI bleiben, anstatt uns direkt dem militärischen Kommando zu unterwerfen.

Bleibt noch die Frage, wie sich die Sektion entwickelt. Die italienische Kolonne von Albacete (Basis der Internationalen Brigaden, Anmerkung des Übersetzers) hat tausend Mann, und es gibt auch eine ähnlich organisierte Kolonne von 200 Deutschen, die von den Kommunisten organisiert wird. Aus einer zuverlässigen Quelle wissen wir, dass seit Beginn etwa 8.000 Deutsche unter dem Kommando „russischer Offiziere” nach Spanien gekommen sind. Es ist klar, dass Madrid sein eigenes „Tercio” aufbaut: eine ausländische Legion, die, gut bewaffnet und gut geführt, die Ordnung wiederherstellen kann. Die Verstärkung der Polizeikräfte (Guardias de Asalto und Guardias Civiles) und die massive Ankunft von Marokkanern aus Moskau sollten uns zu denken geben. Alle, die im Falle eines Versuchs, die Revolution zu niederzuschlagen, auf unserer Seite stehen würden, können als gute Verbündete angesehen werden. Andererseits halte ich die politische Heterogenität unserer Kolonne weiterhin für nützlich. Battistelli zum Beispiel ist ein idealer Offizier für eine Kolonne wie die unsere, S. hingegen wäre es nicht.

Je mehr sich der Krieg verschärft, desto wichtiger wird es, die Befehlsstrukturen zu verbessern. Zusammenfassend denke ich, dass die Anwesenheit von nicht-anarchistischen Elementen in unserer Kolonne militärisch und politisch nicht negativ war.

Abgesehen vom Bruch unserer Kolonne und unserer Miliz könnte die Vereinbarung zwischen uns und den Mitgliedern von Giustizia e Liberta auf diesen beiden Punkten beruhen

1) gemeinsame Rekrutierungskomitees;

2) gemeinsame Hilfskomitees.

Es liegt an euch, diese Vereinbarung zu prüfen und zu beschließen.3


Der Staat und die Klassen (17. Oktober 1936)

Veröffentlicht in der zweiten Ausgabe von Guerra di classe.

1921 definierte Lenin den russischen Sowjetstaat als „einen Arbeiterstaat mit bürokratischer Deformation in einem Land mit einer bäuerlichen Mehrheit“.

Diese Definition muss heute wie folgt geändert werden: „Der sowjetische Staat ist ein bürokratischer Staat, in dem sich eine bürokratische Halbbourgeoisie und eine arbeitende Kleinbourgeoisie entwickeln, während die agrarische Mittelklasse überlebt”.

Boris Suvarin zeichnet in seinem Buch „Stalin“ (Paris, 1935) folgendes Bild der sozialen Verhältnisse in der UdSSR:

Die sogenannte sowjetische Gesellschaft beruht in ihrer ganz eigenen Weise auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, des Produzenten durch den Bürokraten, den Techniker der politischen Macht. Die individuelle Aneignung des Mehrwerts wird durch eine kollektive Aneignung durch den Staat ersetzt, ein Betrug, der durch den parasitären Konsum des Funktionärstums begangen wird… Die offiziellen Unterlagen lassen keinen Zweifel: Von der Arbeit der unterworfenen Klasse, die zu einem erschöpfenden und unerbittlichen System gezwungen ist, zieht die Bürokratie einen ungerechtfertigten Teil ab, der mehr oder weniger dem früheren kapitalistischen Gewinn entspricht. So hat sich um die Partei herum eine neue soziale Schicht gebildet, die an der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung und der Fortführung des Staates interessiert ist, dessen Abschaffung Lenin zusammen mit dem Verschwinden der sozialen Klassen predigte. Wenn der Bolschewismus nicht das rechtliche Eigentum an den Produktionsmitteln und den Tauschmitteln besitzt, kommt die Staatsmaschinerie zum Stillstand, die ihm die Ausbeutung durch verschiedene Verfahren ermöglicht. Die Möglichkeit, Verkaufspreise durchzusetzen, die weit über den Selbstkostenpreisen liegen, birgt allein schon das wahre Geheimnis der technisch-bürokratischen Ausbeutung, die im Übrigen durch administrative und militärische Unterdrückung gekennzeichnet ist.“

Der Bonapartismus ist nichts anderes als der politische Ausdruck der Tendenz dieser neuen Bourgeoisie, ihre eigene ökonomische und soziale Stellung zu erhalten und auszubauen. In dem Aufruf des Bolschewiki-Leninisten Tamboy an das Weltproletariat von 1935 heißt es:

„Die Aufgabe der Parteibürokratie besteht lediglich darin, die Gegner zu isolieren und zu foltern, solange sie sich nicht öffentlich selbst zerstört haben, d. h. solange sie nicht zu unpolitischen Unglücklichen geworden sind. Die Bürokraten wollen nämlich nicht, dass du ein echter Kommunist bist. Das brauchen sie nicht. Für sie ist das schädlich und lebensgefährlich. Sie wollen keine unabhängigen Kommunisten, sie wollen erbärmliche, egoistische Knechte und Staatsbürger der untersten Kategorie…

Wäre es dann möglich, dass unter einer echten proletarischen Macht der Kampf oder ein einfacher Protest gegen die Bürokratie, gegen die Diebe und Banditen, die sich ungestraft der sowjetischen Güter bemächtigen und die für den Tod von Hunderttausenden Menschen durch Kälte und Hunger verantwortlich sind, als konterrevolutionäres Verbrechen angesehen wird?“

Die gewaltige Tragödie des Kampfes zwischen der „revolutionären“ Opposition und der „konservativen Orthodoxie“ ist ein völlig natürliches Phänomen im Rahmen des Staatssozialismus. Die leninistische Opposition hat Recht, wenn sie das Weltproletariat auf die Verformungen, Abweichungen und Entartungen des Stalinismus hinweist; aber wenn die Diagnose der Opposition fast immer zutreffend ist, so ist die Ätiologie* dagegen oft unzureichend.

Der Stalinismus ist nichts anderes als das Ergebnis der Umsetzung des Leninismus auf das politische Problem der sozialen Revolution. Sich auf die Auswirkungen zu stürzen, ohne auf die Ursache, auf die ursprüngliche Sünde des Bolschewismus (bürokratische Diktatur im Dienste der Parteidiktatur) zurückzugreifen, bedeutet, die Kausalkette, die von der Diktatur Lenins zur Diktatur Stalins führt, willkürlich zu vereinfachen, ohne dass es eine nahtlose Lösung gibt.

Die innere Freiheit einer Partei, die das freie Spiel der Mehrheit (der Pluralität) zwischen den Avantgarde-Parteien innerhalb des sowjetischen Systems ablehnt, wäre heute ein wundersames Spektakel. Die Arbeiterhegemonie, der bolschewistische Absolutismus, der Staatssozialismus, der Industriefetischismus: All diese verderblichen Keime konnten nur vergiftete Früchte tragen, wie den Absolutismus einer Fraktion und die Herrschaft einer sozialen Schicht. Trotzki, in der Haltung des Heiligen Georg im Kampf gegen den stalinistischen Drachen, erinnert unweigerlich an den Trotzki von Kronstadt. Die Verantwortung des heutigen Stalinismus geht zurück auf die Formulierung und Praxis der bolschewistischen Parteidiktatur sowie auf die Illusion vom Untergang des Staates als Ergebnis des Verschwindens der Klassen durch den Staatssozialismus.

Als Trotzki am 6. September 1935 schrieb: „Die historische Absurdität der autokratischen Bürokratie in einer klassenlosen Gesellschaft kann nicht aufrechterhalten werden und wird nicht auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten werden“, sagte er etwas Absurdes in Bezug auf die „historische Absurdität“. In der Geschichte gibt es keine Absurditäten. Eine autokratische Bürokratie ist eine Klasse, und daher ist es nicht absurd, dass sie in einer Gesellschaft existiert, in der Klassen fortbestehen: die bürokratische und die proletarische. Wäre die UdSSR eine „klassenlose Gesellschaft“, wäre sie auch eine Gesellschaft ohne bürokratische Autokratie, und diese Autokratie ist das Ergebnis des Fortbestehens des Staates.

Gerade weil die bolschewistische Partei die herrschende Partei des Staatsapparats ist, ist sie zu einem Anziehungspunkt für kleinbourgeoise Karrieristen und für faule und opportunistische Arbeiter geworden. Die bürokratische Plage hat in Wirklichkeit nicht mit dem Stalinismus begonnen, sondern sie ist gleichzeitig mit der bolschewistischen Diktatur entstanden. Man muss nur die Nachrichten von 1918 und 1919 lesen, die in der bolschewistischen Presse veröffentlicht wurden.

Die Wecernia Iswestija vom 23. August 1918 berichtet über die chaotischen Zustände bei der Post und stellt fest, dass trotz eines Rückgangs der Postsendungen um 60 % die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zur Zeit vor der Revolution um 100 % gestiegen ist.

Die Prawda vom 11. Februar 1919 weist auf die ständige Schaffung neuer Ämter und neuer bürokratischer Institutionen hin, für die Mitarbeiter ernannt und bezahlt wurden, bevor die neuen Organisationen ihre Arbeit aufnahmen. „Wenn all diese neuen Angestellten”, so die Prawda vom 22. Februar 1919, „ganze Paläste überfallen und besetzen, würden ihnen aufgrund ihrer tatsächlichen Anzahl ein paar Räume genügen.”

Die Arbeit wird langsam und behindert, sogar in den Büros mit industriellen Aufgaben. „Ein Beamter des Kommissariats von Lipetzk“, berichtet die Iswestija vom 29. November 1918, „musste, um neun „Pud“ Nägel zum Preis von 417 Rubel zu kaufen, zwanzig Schreiben ausstellen, fünf Aufträge und 13 Unterschriften einholen, wofür er zwei Tage lang Vorzimmer bedienen musste, da die Beamten, die unterschreiben sollten, unauffindbar waren“. Pravda (Ausgabe 281) prangerte „die Invasion kleinbourgeoiser Elemente in unsere Partei“ an, die Enteignungen „zum persönlichen Gebrauch“ vornähmen. In der Ausgabe vom 2. März 1919 stellte dieselbe Zeitung fest:

„Man muss zugeben, dass in den letzten Jahren einige Genossen, die in der Anfangszeit nicht Mitglieder der KP waren, begonnen haben, Arbeitsmethoden anzuwenden, die in unserer Partei nicht akzeptabel sind. Sie halten sich nicht an die Meinung der lokalen Organisationen, weil sie den Befehl haben, auf der Grundlage eines ziemlich begrenzten Mandats eigenmächtig zu handeln und zum Beispiel nach Belieben Befehle zu erteilen. Daraus entsteht eine unterschwellige Spannung zwischen dem Zentrum und der Peripherie, die mit ihrer individuellen Diktatur verschiedene Schikanen auferlegt.“

Über die Provinz Pensa sagte der Innenkommissar:

„Die lokalen Vertreter der Zentralregierung verhalten sich nicht wie Vertreter des Proletariats, sondern wie echte Satrapen. Eine Reihe von Tatsachen und Beweisen belegen, dass die einzigen Vertreter der Regierung bewaffnet vor den ärmsten Leuten auftauchen, sie festnehmen und alles mitnehmen, was sie brauchen, bei Protesten mit dem Tod drohen und mit Schlägen bestrafen. Die gestohlenen Sachen werden weiterverkauft, und mit dem Geld werden Saufgelage und Orgien organisiert“ (Wecernia-Iswestija, 12. Februar 1919).

Ein anderer Bolschewik, Mescerikov, schrieb:

„Jeder von uns sieht jeden Tag unzählige Fälle von Gewalt, Schikanen, Korruption, Faulheit usw. Wir alle wissen, dass in unsere sowjetischen Institutionen massenhaft Gauner und Faulenzer eingedrungen sind. Wir alle bedauern ihre Anwesenheit in den Reihen der Partei, aber wir können nichts tun, um uns von diesem Unzucht zu reinigen.“

„… wenn eine Institution einen Gauner rauswirft, findet sich schnell eine andere, die ihn aufnimmt und ihm eine verantwortungsvolle Position gibt. Anstatt bestraft zu werden, wird er am Ende befördert“ (Pravda, 5. Februar 1919).

In einer Rede auf dem 8. Kongress der Kommunistischen Partei Russlands (11.-12. März 1919) gestand Lenin:

„Überall sehen wir Karrieristen und Abenteurer, die sich unter uns eingeschlichen haben. Sie nennen sich Kommunisten, aber in Wirklichkeit versuchen sie, uns über ihre wahren Absichten zu täuschen. Natürlich hängen sie an uns, weil wir die Macht haben und weil die ehrlichsten bürokratischen Elemente aufgrund ihrer rückständigen Ideen eine Zusammenarbeit mit uns ablehnen, während sie selbst weder Ideen noch Ehrlichkeit besitzen: Sie sind nur für die Reklame da.“

Die bolschewistische Regierung hat sich gegenüber der aufgeblähten, parasitären, arroganten und unehrlichen Bürokratie als machtlos erwiesen.

Aus fünf Millionen Bürokraten sind zehn Millionen geworden. Im Jahr 1925 gab es 400.000 Beamte in den Genossenschaften (Prawda, 20. April 1926).

Im Jahr 1927 hatte der russische Verband der Lebensmittelarbeiter 4.287 Angestellte für seine 451.720 Mitglieder, und die Moskauer Metallarbeitergewerkschaft hatte 700 Funktionäre für 130.000 Gewerkschaftsmitglieder (Trud, 12. Juni 1928).

Dieser bürokratische Überfluss geht nicht mit einer intensiven und effizienten Verwaltung einher.

„Die Führung des sowjetischen Apparats, von der Basis bis zur höchsten Ebene, ist papierlastig. Das Provinzkomitee verschickt normalerweise ein oder zwei Rundschreiben pro Tag zu allen möglichen Themen und glaubt damit seine Pflichten erfüllt zu haben.“

„Die Zahl der Rundschreiben, die die Zellen mit den erhaltenen Anweisungen erhalten, schwankt an manchen Orten zwischen 30 und 100 pro Monat“ (Pravda, 7. Juni 1925).

Ein hoher Beamter, Dzerginsky, schrieb:

„Von den Unternehmen werden die unterschiedlichsten Informationen, Berichte und statistischen Daten angefordert, die zusammen einen Strom von Briefen bilden, der einen übermäßigen Personalbestand erforderlich macht und die wichtigste Arbeit erstickt: Es entsteht ein Meer von Briefen, in dem Hunderte von Menschen verstrickt sind; die Lage der Buchhaltung und Statistik ist einfach katastrophal; Die Unternehmen ertragen widerwillig die Last, Informationen in Dutzenden und Hunderten von verschiedenen Formularen zu liefern. Die Buchhaltung wird jetzt nach Gewicht gemessen“ (Pravda, 23. Juni 1926).

„Ein Forstamt verlangt eine Zählung der Rebhühner, Hasen, Bären, Wölfe usw., die im Zuständigkeitsbereich des befragten Beamten leben, und das innerhalb einer Woche“ (Krasnaia Gazeta, 14. Mai 1926).

„Die Landwirtschaftsbehörde der Provinz Viatka schreibt dem Exekutivkomitee des Kantons vor, die auf den Feldern gefundenen Erdwürmer zu zählen“ (Prawda, 1. März 1928).

Der Bericht des Handelskommissariats enthält 27.000 Anträge, ein ukrainischer Landwirtschaftsbericht enthält 20.000 (Isvestia, 11. Dezember 1927). Ein lokaler Exekutivkomitee schickt dem Dorfsoviet einen Fragebogen mit 348 Fragen, und das während der Getreideernte (Prawda, 18. April 1928). Das Institut für experimentelle Agronomie veröffentlicht einen sechs Meter langen Fragebogen, der voll mit Fragen zu Traktoren ist (Diednota, 1. April 1929).

Auf dem XV. Parteitag zitiert Stalin unter vielen anderen den Fall eines Verstümmelten, der sieben Jahre auf eine Prothese warten musste. Ein Arbeiter, der eine Beschwerde gegen die Verwaltung eines Unternehmens einreichen will, muss 24 bürokratische Formalitäten erledigen (Trud, 14. Januar 1928). Ein Büro bearbeitet 210 Verträge pro angestelltem Mitarbeiter, obwohl das Personal sehr unbeständig ist (Trud, 5. August 1928). Eine in die UdSSR importierte Uhr durchläuft beim Zoll 142 Formalitäten (Iswestija, 9. Dezember 1928). Ein Erfinder, der nach Moskau gekommen ist, um eine Entdeckung zu testen, muss einen Antrag stellen, um ein Zimmer zu bekommen. Nach anderthalb Jahren hat er es immer noch nicht bekommen, aber er hat einen ganzen Stapel von Formularen zu diesem Antrag gesammelt: 400 Dokumente (Wetschernaja Moska, Juni 1929).

Die Funktionäre sind total überlastet. Kamenev war, bevor er entlassen wurde, Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der Partei, Vorsitzender des Arbeits- und Verteidigungsrats, Vorsitzender des Moskauer Sowjets, stellvertretender Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, Mitglied des kollektiven Präsidiums des Obersten Wirtschaftsrats, Mitglied des Exekutivkomitees der Union und des Exekutivkomitees des Sowjets der Republik, Direktor des Lenin-Instituts, Mitherausgeber der bolschewistischen Parteizeitschrift „Bolschevik“ und die Liste seiner Aufgaben und Ämter ist sicherlich noch nicht vollständig. Selbst kleine Führungskräfte sind mit Aufgaben und Ämtern aller Art überlastet. Ein junger Kommunist gab an, allein sechzehn Ämter zu bekleiden (Prawda, 21. März 1925).

Mit einer so aufgeblähten Bürokratie, einem so komplizierten Verwaltungsapparat und einer so minimalen und natürlichen Kontrolle ist es kein Wunder, dass Diebstahl eines der Merkmale des bürokratischen Lebens in Russland ist. Ein hoher Gewerkschaftsfunktionär, Dogadov, berichtete 1925 dem Zentralrat der Gewerkschaften, dass fast die Hälfte (47 %) des Budgets des russischen Gewerkschaftsbundes (700 Millionen Rubel) von den Funktionären verschlungen wurde (Prawda, 9. Dezember 1926). In einem Jahr wurden 5.323.000 Rubel in Genossenschaften verschwendet (Torgovo-Promychlenaia Gazeta, 23. Mai 1926). Die gesamte bolschewistische Presse der folgenden Jahre ist voll von Berichten über bürokratische Verschwendung in Genossenschaften. Tomsky, jetzt Vorsitzender des russischen Gewerkschaftsbundes, sagte auf dem VIII. Kongress der Gewerkschaftszentrale:

„Wo wird gestohlen? Überall: in den Fabrikkomitees, in den Kassen für gegenseitige Hilfe, in den Kreisen, in den regionalen, departementalen und Bezirkssektionen; mit einem Wort, überall. Es gibt sogar eine Rubrik mit dem Titel: „Unbekannt“, wenn irgendwo etwas gestohlen wurde, wir aber nicht wissen, wo. Und wer stiehlt? Zur Schande unserer Organisation muss ich sagen, dass die Vorsitzenden Kapitalisten sind. Wie verteilen sich die Diebstähle politisch? Ungleichmäßig zwischen Kommunisten und auch zwischen Personen, deren politische Orientierung „unbekannt“ ist. Was die Jugend betrifft, ist die Lage beunruhigend. Nur 9 % der jungen Leute sind in irgendeiner Form in einer Gewerkschaft aktiv, aber bei den Dieben sind es schon 12,2 %.”

Im November 1935 veröffentlicht Il Risveglio aus Genf den Brief eines Hotelangestellten, in dem es unter anderem heißt:

„Im März 1925, während einer internationalen Messe in Lyon, war ich im Nouvel Hotel, wo der Besitzer, ein hundertprozentiger Faschist, die sowjetische Delegation mit allen Ehren empfangen hatte. Sie nahmen die besten Zimmer, für die der Besitzer 120 Franken pro Tag und Person verlangte, was damals echt viel war, aber die Bolschewiken bezahlten ohne zu murren. Und ich konnte feststellen, dass sie genau die gleichen Laster hatten wie der russische Adel. Beim Abendessen betranken sie sich mit Cognac und ließen sich im Namen der Diktatur des Proletariats die besten Bordeaux-Weine servieren.“

„Sittsamkeit” führt zu luxuriösen und lasterhaften Gewohnheiten, und diese Gewohnheiten führen zu Korruption.

Die Prawda vom 16. Oktober 1935 prangerte zwei Fälle von bürokratischer Korruption an, die es wert sind, erwähnt zu werden:

„Die Forstwirtschaft, ein Organ des Volkskommissariats für Forstwirtschaft, hatte illegal Geld vom Ukrqiness-Trust, vom Brennstoffministerium des Kommissariats für Verkehr und Kommunikation und von anderen Wirtschaftsorganisationen erhalten. Die „Leichtindustrie”, ein Organ des gleichnamigen Volkskommissariats, hatte ebenfalls aus Kiew Geld von der Baumwollabteilung des Volkskommissariats für Landwirtschaft, vom Baumwolltrust und vom Leder- und Pelztrust erhalten.”

Die russischen Zeitungen sind voll von Berichten über die Korruption in der Bürokratie und von Infos über die „Säuberung der Partei”. Diese Säuberung besteht in der Beseitigung von Elementen, die „nicht auf Linie sind”. Hier einige typische Fälle, entnommen aus Bolchevistskaia Petchat (Ausgaben 13 und 14 von 1935). Der Chefredakteur von Kommunist aus Seratov, Sekretär der örtlichen Kommunistischen Partei, wurde nicht abgesetzt, weil er – laut Zeitung – eine „falsche politische Linie“ verfolgt hätte, sondern weil der Personalchef Davidovov „kriminelle Nachlässigkeit“ bewiesen hatte, indem er Korrektoren und Redakteure eingestellt hatte, die nicht aus dem Proletariat stammten oder verdächtig waren: Goverdovski, „dessen Eltern aus Moskau vertrieben worden waren”, die Staatsbürgerin Znamenskaia, „Tochter eines im Bürgerkrieg gefallenen Weißen Offiziers”, die Staatsbürgerin Gonciarenev, die als Konterrevolutionärin aus Moskau vertrieben worden war, der Literat Lardi, „wegen völliger Zersetzung aus der Partei ausgeschlossen (sic), ehemaliger Adliger, mit einer Tante in Polen”, der Fotograf Kruscinski, aus der Partei ausgeschlossen, weil er sich ohne Genehmigung in Lettland aufgehalten hatte und Verwandte in diesem Land hatte, die Staatsbürgerin Rounguis, Verwandte einer Frau, die wegen Beteiligung an einer Banditenbande verurteilt worden war.

Die etwas unabhängigen Funktionäre, die ehrlicher und fähiger sind, werden systematisch entfernt, während die Opportunisten, die fast alle käuflich und unfähig sind, auf ihren Posten bleiben dürfen.

Sogar die Parteiposten sind zu festen Sinekuren geworden. Die Rotation der Führungskräfte ist derzeit abgeschafft. Während die Statuten der Kommunistischen Partei Russlands vorsahen, dass die Führungskräfte der Partei, der Gewerkschaften/Syndikate und der Sowjets jedes Jahr ausgewechselt werden sollten, war ein gewisser Kakhiiani acht Jahre lang Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Georgiens.

All das hilft dabei, dass sich die Bürokratie und die Technokratie als Klasse festsetzen können.

In seinem 1929 in Paris erschienenen Buch „Vers l’autre flamme“ (Zur anderen Flamme) hat Panait Istrati diese Situation mit Zahlen belegt und beschrieben, in welchem Verhältnis die verschiedenen Klassen des russischen Volkes im Jahr 1926 gespart und ihre Ersparnisse auf Konten angelegt haben: 12 % waren Ersparnisse von Arbeitern, 3,6 % von Bauern, während Beamte und andere nicht näher bezeichnete Gruppen 56,7 % angelegt hatten.

Die neue Kategorie der Vorarbeiter und der „Stachanowisten”, also der spezialisierten Arbeiter, stützt die neue technisch-bürokratische Bourgeoisie. Die ungelernten Arbeiter bilden das eigentliche Industrieproletariat. Im Jahr 1935 war der Durchschnittslohn dieser Gruppe, wenn man die Lebensmittelpreise desselben Jahres berücksichtigt, ein Hungerlohn, da er zwischen 100 und 150 Rubel pro Monat lag. In Moskau zum Beispiel kostete ein Kilo Weißbrot 2 bis 6 Rubel, Fleisch 10 bis 15 Rubel pro Kilogramm und ein Kilogramm Butter 28 bis 30 Rubel. Eine Straßenbahnfahrkarte kostete 10 bis 25 Kopeken (also einen Viertel Rubel) und eine U-Bahn-Fahrkarte 50 Kopeken (also einen halben Rubel).

„Iswestija” vom 9. Mai 1935 berichtete, dass ein Werkstattleiter der Hochöfen von Krivoirog (Ukraine) im April 3.300 Rubel Lohn bekommen hatte. „L´Humanité”, eine bolschewistische Tageszeitung aus Paris, berichtete in ihrer Ausgabe vom 16. Dezember 1935 von einem Arbeiter, der in 24 Tagen 4.361 Rubel verdient hatte, und von einem Arbeiter, der für einen einzigen Arbeitstag 233 Rubel erhalten hatte.

Am 15. Dezember 1935 verkündete „L´Humanité”, dass die Sparkassen der UdSSR über eine Reserve von 4.256.000 Rubel mehr verfügten als am 1. Dezember 1934. Im Jahr 1936 (vom 1. Januar bis zum 11. Mai) stiegen die Gesamtsparbeträge um 403 Millionen Rubel gegenüber 261 Millionen Rubel im entsprechenden Zeitraum des Jahres 1935. Die Herren Lewis und Abramson, die im Auftrag des BIT (Bureau Internationale du Travail) in Genf in Russland waren, haben kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der die zunehmende Differenzierung der Löhne in der Industrie bestätigt.

„In der Metallindustrie“ – so wird berichtet – „umfasst die am häufigsten angewandte Lohnskala acht Klassen (oder Kategorien). Der Lohn für den am wenigsten qualifizierten Arbeiter entspricht dem Koeffizienten 1, der Lohn der nächsten Klasse dem Koeffizienten 1,15 und so weiter mit 1,32, 1,51, 1,83, 2,17, 2,61 und schließlich 3,13.”

Akkordarbeit, Lohnskala, Prämiensystem: All das schafft eine Kleinbourgeoisie, die die technisch-bürokratische Mittelbourgeoisie stützt und die von der revolutionären Meinung befürwortete „dritte Revolution“ verzögert, wodurch die Diktatur eines Clans gefestigt wird.

Dieses Phänomen der Neukonstitution der Klassen „durch den Staat“ haben wir vorausgesehen und klar angeprangert. Die leninistische Opposition schafft es nicht, die ätiologische Untersuchung des Phänomens zu vertiefen, weil sie die leninistische Position zum Problem des Staates und der Revolution nicht revidiert.


Die Abschaffung und Auslöschung des Staates (24. Oktober 1936)

Veröffentlicht in der dritten Ausgabe von Guerra di classe.

Während wir Anarchisten die Auslöschung des Staates durch die soziale Revolution und die Schaffung einer neuen autonomen-föderalen Ordnung wollen, wollen die Leninisten die Zerstörung des bourgeoisen Staates, aber auch die Eroberung des Staates durch das „Proletariat“. Der „Staat des Proletariats“ – so sagen sie – sei ein Halbstaat, weil der integrale Staat der bourgeoise Staat sei, der durch die soziale Revolution zerstört werde. Selbst dieser Halbstaat muss laut den Marxisten irgendwann von selbst sterben.

Diese Theorie der Auslöschung des Staates, die in Lenins Buch „Staat und Revolution” eine wichtige Rolle spielt, stammt von Engels, der in „Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft” schreibt:

Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit).

Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft – ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht „abgeschafft“, er stirbt ab. Hieran ist die Phrase vom „freien Volksstaat“ zu messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen Berechtigung wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit; hieran ebenfalls die Forderung der sogenannten Anarchisten, der Staat solle von heute auf morgen abgeschafft werden.“

Zwischen dem heutigen Staat und der Anarchie von morgen gäbe es den Halbstaat. Der sterbende Staat und „der Staat als Staat“, also der bourgeoise Staat. Und in diesem Sinne ist der Satz zu verstehen, der auf den ersten Blick der These vom sozialistischen Staat zu widersprechen scheint. „Der erste Akt, in dem der Staat wirklich als Vertreter der gesamten Gesellschaft auftritt, nämlich die Inbesitznahme der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich der letzte Akt des Staates.“

Wörtlich genommen und aus dem Zusammenhang gerissen könnte dieser Satz die zeitliche Gleichzeitigkeit der ökonomischen Vergesellschaftung und des Untergangs des Staates bedeuten.

Sogar wenn man den Satz über das sich selbst zerstörende Proletariat als Proletariat im Akt der Staatsmachtübernahme wörtlich nimmt, würde das bedeuten, dass es keinen „proletarischen Staat“ braucht. In Wirklichkeit drückt sich Engels unter dem Einfluss des „dialektischen Stils“ nicht so gut aus. Zwischen dem heutigen bourgeois-staatlichen und dem morgigen sozialistisch-anarchistischen Zustand sieht Engels eine Reihe aufeinanderfolgender Stufen, in denen Staat und Proletariat nebeneinander existieren. Um etwas Licht in diese dialektische Dunkelheit zu bringen … und die abschließende Anspielung auf die Anarchisten, „die den Staat von einem Tag auf den anderen abschaffen wollen”, d. h. die keine Übergangsphase in Bezug auf den Staat zulassen, dessen Eingreifen – laut Engels – „in allen Bereichen, einer nach dem anderen”, d. h. schrittweise, überflüssig wird.

Ich denke, dass die leninistische Position zum Staat ziemlich genau der von Marx und Engels entspricht, wenn man den Geist ihrer Schriften richtig versteht und sich nicht von einigen unklaren Formulierungen verwirren lässt.

Für das marxistisch-leninistische politische Denken ist der Staat das vorübergehende politische Instrument der Sozialisierung, vorübergehend aufgrund des Wesens des Staates selbst, der ein Organ der Herrschaft einer Klasse über eine andere ist. Der sozialistische Staat begeht durch die Abschaffung der Klassen Selbstmord. Marx und Engels waren Metaphysiker, denen es häufig vorkam, historische Prozesse aus Treue zu dem von ihnen erfundenen System zu schematisieren.

„Das Proletariat“, das den Staat erobert, ihm das gesamte Eigentum an den Produktionsmitteln überträgt und sich selbst als Proletariat und den „Staat als Staat“ zerstört, ist eine metaphysische Fantasie, eine politische Hypostase sozialer Abstraktionen.4

Nicht das russische Proletariat hat die Staatsmacht an sich gerissen, sondern die bolschewistische Partei, die das Proletariat nicht vollständig vernichtet hat, sondern stattdessen einen Staatskapitalismus, eine neue Bourgeoisie, eine Reihe von Interessen geschaffen hat, die mit dem bolschewistischen Staat verbunden sind und sich in dem Maße zu erhalten suchen, wie dieser Staat sich erhält.

Die Auslöschung des Staates ist in der UdSSR weiter entfernt denn je, wo der staatliche Interventionismus immer umfassender und unterdrückender wird und wo die Klassen nicht verschwunden sind.

Das leninistische Programm von 1917 umfasste folgende Punkte: Abschaffung der Polizei und der stehenden Armee; Abschaffung der Berufsbürokratie; Wahlen für alle öffentlichen Ämter und Funktionen; Abwählbarkeit aller Beamten; Gleichheit der bürokratischen Löhne mit den Arbeiterlöhnen; maximale Demokratie; friedliche Pluralität der Parteien innerhalb der Sowjets; Abschaffung der Todesstrafe. Keiner dieser Programmpunkte wurde umgesetzt.

In der UdSSR gibt es eine Regierung, die eine diktatorische Oligarchie ist. Das Politbüro des Zentralkomitees (19 Mitglieder) dominiert die russische kommunistische Partei, die wiederum die UdSSR dominiert. Jede politische Strömung, die nicht zu den Untertanen gehört, wird als konterrevolutionär gebrandmarkt. Die bolschewistische Revolution hat eine saturnische Regierung5 hervorgebracht, die Riazanov, den Gründer des Marx-Engels-Instituts, deportiert, während er die vollständige und originale Ausgabe von „Das Kapital“ herausgibt; die Zinoviev, den Präsidenten der Kommunistischen Internationale, sowie Kamenev und viele andere der höchsten Vertreter des Leninismus zum Tode verurteilt, die aus der Partei ausgeschlossen werden um sie dann aus der UdSSR zu schicken, einen „Chef“ wie Trotzki, der im Grunde genommen ohne Rücksicht bestraft und sich an achtzig Prozent der wichtigsten leninistischen Militanten rächt.

Lenin schrieb 1920 eine Lobeshymne auf die Selbstkritik innerhalb der Kommunistischen Partei, sprach aber von den „Fehlern”, die von der „Partei” anerkannt wurden, und nicht vom Recht des Staatsbürgers, die Fehler der Regierungspartei, oder das, was er als solche ansah, anzuprangern.

Obwohl Lenin ein Diktator war, riskierte oder ertrug jeder, der rechtzeitig dieselben Fehler anprangerte, die Lenin selbst im Nachhinein eingestand, Ausgrenzung, Gefängnis oder Tod. Der bolschewistische Sowjetismus war eine grausame Verhöhnung, auch von Lenin, der die demiurgische Macht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands in der gesamten UdSSR verherrlichte, indem er sagte: „In unserer Republik wird keine wichtige Angelegenheit, sei es in Bezug auf die öffentliche Ordnung oder die Organisation einer staatlichen Institution, ohne die Weisungen des Zentralkomitees der Partei entschieden.

Wer „proletarischer Staat“ sagt, sagt „Staatskapitalismus“. Wer „Diktatur des Proletariats“ sagt, sagt „Diktatur der Kommunistischen Partei“.

Leninisten, Trotzkisten, Bordigisten, Zentristen sind nur durch unterschiedliche taktische Vorstellungen gespalten. Alle Bolschewiki, egal welcher Fraktion sie angehören, sind Anhänger der politischen Diktatur und des Staatssozialismus. Sie alle sind durch die Formel „Diktatur des Proletariats“ verbunden, eine irreführende Form, die dem „souveränen Volk“ des Jakobinismus entspricht. Jeder Jakobinismus ist dazu verdammt, die soziale Revolution in die Irre zu führen. Und wenn sie in die Irre geführt wird, zeichnet sich der Schatten eines Bonaparte ab.

Man muss blind sein, um nicht zu sehen, dass der stalinistische Bonapartismus nichts anderes ist als der Schatten des leninistischen Diktaturismus.


Was können wir tun? (24. Oktober 1936)

Guerra di Classe Nr. 3

1. Zu denken, dass man durch eine Politik der Nichteinmischung die Möglichkeit eines internationalen bewaffneten Konflikts ausschließen kann, heißt, ihn hinauszuschieben, während sich die Probleme verschärfen. Es würde Italien, Deutschland und Portugal ermöglichen, sich besser auf den Krieg vorzubereiten, und den spanischen faschistischen Kräften, sich mit Waffen und Munition zu versorgen.

Wenn der Faschismus siegen würde, wäre Frankreich im Süden bedroht und das Kräfteverhältnis im Mittelmeerraum würde sich endgültig zugunsten Italiens und Deutschlands verschieben, die gestärkt und aggressiver aus diesem Abenteuer hervorgehen würden. Italien ist in Äthiopien stark engagiert, und Deutschland befindet sich in einer sehr schlechten finanziellen Lage; wollen sie „sofort” einen Krieg? Nein. Sie könnten in den Krieg ziehen, aber sie wollen bewusst nicht sofort einen Krieg. Wenn sie das wollten, hätten sie ihn schon in Spanien begonnen. Deshalb müssen wir eine entschlossene Außenpolitik verfolgen, ausgehend von Portugal, das sich der Kontrolle Großbritanniens entzogen hat. Genf ist machtlos. Es bleibt also nur, mit Portugal zu brechen, und zwar mit folgenden Maßnahmen: sofortige Ausweisung aller portugiesischen Diplomaten; sofortige und vollständige Schließung der Grenze zu Portugal; Beschlagnahmung aller Vermögenswerte der in Spanien lebenden portugiesischen Kapitalisten.

Was Deutschland und Italien betrifft: sofortige Ausweisung aller diplomatischen Vertreter, Aussetzung des Rechts deutscher Fluggesellschaften, spanisches Hoheitsgebiet zu überfliegen, Verbot der Einfahrt aller Schiffe unter deutscher oder italienischer Flagge in spanische Häfen, Aussetzung jeglicher Immunität für in Spanien ansässige deutsche und italienische Bourgeois.

Eine solche Außenpolitik würde Großbritannien und Frankreich sofort dazu zwingen, klar Stellung zu beziehen. Wenn das zu einer bewaffneten Intervention Italiens und Deutschlands führen würde, würde diese Intervention zumindest jetzt und nicht zu einem von diesen Mächten gewählten Zeitpunkt stattfinden.

2. Die operative Basis der faschistischen Armee ist Marokko. Wir müssen unsere Propaganda für die marokkanische Autonomie im gesamten panislamischen Einflussbereich verstärken. Wir müssen Madrid unmissverständliche Erklärungen diktieren, in denen wir den Rückzug aus Marokko und den Schutz der marokkanischen Autonomie ankündigen. Frankreich würde mit Sorge die Möglichkeit von aufständischen Auswirkungen in Nordafrika und Syrien betrachten; Großbritannien würde mit ansehen müssen, wie sich die Selbstverwaltungsbewegungen in Ägypten und unter den Arabern in Palästina verstärken. Wir müssen diese Ängste durch eine Politik ausnutzen, die mit einer Revolte in der gesamten arabischen Welt droht.

Für diese Politik brauchen wir Geld, und wir müssen dringend Agitatoren und Organisatoren als Gesandte in alle Zentren arabischer Migration, in alle Grenzgebiete des französischen Marokkos entsenden. An den Fronten von Aragón, Centro, Asturien und Andalusien würden schon wenige Marokkaner ausreichen, um die Rolle von Propagandisten (über Radio, Flugblätter usw.) zu übernehmen.

3. Da wir nicht genug Waffen und Munition haben, müssen wir die Produktion vor Ort mit Hilfe ausländischer Techniker ausbauen, deren Einsatz bisher echt schlecht organisiert war; außerdem müssen wir schnell alle möglichen Kriegsindustrien aufbauen und die Verschwendung von Munition durch weitreichende Anweisungen und entschlossene Befehle beenden.

4. Wir müssen „Einheit” erreichen, sowohl im allgemeinen und spezifischen Plan der militärischen Operationen, die an allen Fronten durchgeführt werden müssen, als auch in der Verbindung zwischen den Kommandos der Gebiete durch einen Generalstab, der von einem „Nationalen Verteidigungskomitee” kontrolliert wird.

5. Die faschistischen Überreste, die uns zwingen, eine Front in unseren Reihen aufrechtzuerhalten, müssen gnadenlos und vollständig beseitigt werden, und zwar durch systematische Durchsuchungen, Massenverhaftungen von Personen, die nicht in Gewerkschaften/Syndikate organisiert sind und die das richtige Alter und die richtige körperliche Verfassung für den Militärdienst haben, durch strenge Kontrollen der neuen Rekruten in den Gewerkschaften/Syndikate usw. …..

6. Wir müssen Madrid dazu bringen, sofort das gesamte spanische diplomatische Corps wieder aufzubauen, das mit Mitgliedern, die vom „Nationalen Verteidigungskomitee” ausgewählt werden, reformiert werden muss.


Die Diktatur des Proletariats und der Staatssozialismus (5. November 1936)

Die Diktatur des Proletariats ist ein marxistischer Begriff. Lenin zufolge ist „nur derjenige Marxist, der die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der Diktatur des Proletariats ausdehnt”.

Lenin hatte Recht, denn die „Diktatur des Proletariats“ ist für Marx nichts anderes als die Eroberung des Staates durch das Proletariat, das als politisch herrschende Klasse durch den Staatssozialismus die Abschaffung aller Klassen erreicht.

In der „Kritik des Gothaer Programms“, die Marx 1875 schrieb, heißt es:

„wischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“

Im Kommunistischen Manifest (1847) heißt es:

„der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse…

Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren(…)“

Lenin bestätigt in Staat und Revolution die marxistische These:

„Das Proletariat braucht den Staat nur zeitweilig. In der Frage der Abschaffung des Staates als Ziel gehen wir mit den Anarchisten keineswegs auseinander. Wir behaupten, daß zur Erreichung dieses Ziels ein zeitweiliges Ausnutzen der Organe, Mittel und Methoden der Staatsgewalt gegen die Ausbeuter notwendig ist, ebenso wie zur Aufhebung der Klassen die vorübergehende Diktatur der unterdrückten Klasse notwendig ist. …

Der Staat verschwindet in dem Maße, wie wir aufhören, Kapitalisten zu sein, keine Klassen mehr haben und es folglich keine Notwendigkeit mehr gibt, irgendeine Klasse zu „vernichten”.

„Aber der Staat ist noch nicht ganz tot, weil er noch durch das „bürgerliche Recht” geschützt wird, das in der Tat die Ungleichheit festschreibt. Damit der Staat vollständig untergeht, muss der totale Kommunismus kommen.”

Der proletarische Staat wird als eine vorübergehende politische Form verstanden, die dazu bestimmt ist, die Klassen zu zerstören. Der schrittweise Verlauf der Enteignung und die Idee eines Staatskapitalismus sind die Grundlagen dieser Auffassung. Lenins Wirtschaftsprogramm am Vorabend der Oktoberrevolution schließt mit dem Satz: „Der Sozialismus ist nichts anderes als ein sozialistisches Staatsmonopol”.

Laut Lenin „Der Unterschied zwischen Marxisten und Anarchisten besteht darin, daß 1. die Marxisten, die sich die völlige Aufhebung des Staates zum Ziel setzen, dieses Ziel für erreichbar halten erst nach der Aufhebung der Klassen durch die soziale Revolution, als Resultat der Errichtung des Sozialismus, der zum Absterben des Staates führt; die Anarchisten wollen die völlige Aufhebung des Staates von heute auf morgen, ohne die Bedingungen für die Durchführbarkeit einer solchen Aufhebung zu begreifen. 2. Die Marxisten halten es für notwendig, daß das Proletariat nach Eroberung der politischen Macht die alte Staatsmaschinerie völlig zerstört und sie durch eine neue, eine nach dem Typ der Kommune gebildete Organisation der bewaffneten Arbeiter ersetzt; die Anarchisten, die auf die Zerstörung der Staatsmaschinerie schwören, stellen sich ganz unklar vor, was das Proletariat an ihre Stelle setzen und wie es die revolutionäre Macht gebrauchen wird; die Anarchisten verwerfen sogar die Ausnutzung der Staatsgewalt durch das revolutionäre Proletariat, dessen revolutionäre Diktatur. 3. Die Marxisten fordern die Vorbereitung des Proletariats auf die Revolution unter Ausnutzung des heutigen Staates; die Anarchisten lehnen das ab.

Lenin verdreht die Sache. Die Marxisten „streben nicht die vollständige Zerstörung des Staates an“, sondern sehen vielmehr dessen natürlichen Untergang als Folge der Zerstörung der Klassen durch die „Diktatur des Proletariats“ oder durch den Staatssozialismus, während die Anarchisten die Zerstörung der Klassen durch eine soziale Revolution wollen, die den Staat zusammen mit den Klassen abschafft. Die Marxisten befürworten außerdem nicht die bewaffnete Eroberung der Kommune durch das gesamte Proletariat, sondern die Eroberung des Staates durch die Partei, die behauptet, das Proletariat zu vertreten. Die Anarchisten lassen die Ausübung politischer Macht durch das Proletariat zu, aber diese politische Macht wird als die Gesamtheit der kommunistischen Verwaltungssysteme, der korporativen Organe, der kommunalen, regionalen und nationalen Institutionen verstanden, die frei außerhalb und gegen das politische Monopol einer Partei gebildet werden und zu einer minimalen Verwaltungszentralisierung tendieren. Lenin vereinfacht aus polemischen Gründen willkürlich die Begriffe der gängigen Unterschiede zwischen den Marxisten und uns.

Die leninistische Formel „Wir Marxisten wollen das Proletariat auf die Revolution vorbereiten, indem wir den modernen Staat zu seinem Vorteil nutzen“ bildet die Grundlage des leninistischen Jakobinismus ebenso wie des parlamentarischen und des sozialreformistischen Ministerialismus. Auf den internationalen Sozialistenkongressen in London (1896) und Paris (1900) wurde beschlossen, dass nur Arbeiterparteien und -organisationen der Sozialistischen Internationale beitreten können, die das Prinzip der „sozialistischen Eroberung der Staatsmacht durch das in einer Klassenpartei organisierte Proletariat“ anerkennen. An diesem Punkt kam es zur Spaltung, aber der Ausschluss der Anarchisten aus der Internationale bedeutete tatsächlich den Sieg des Possibilismus, des Opportunismus, des „parlamentarischen Kretinismus” und des Ministerialismus.

Die parlamentarischen Gewerkschaften/Syndikate sowie einige sich als marxistisch bezeichnende kommunistische Fraktionen lehnen die vorrevolutionäre oder nicht revolutionäre Eroberung der Staatsmacht ab.

Eines Tages wird ein Rückblick auf die Geschichte des Sozialismus nach der Trennung von den Anarchisten unweigerlich die allmähliche Degeneration des Marxismus als politische Philosophie durch die Interpretationen und die Praxis der Sozialdemokratie feststellen müssen.

Der Leninismus ist zweifellos eine Rückkehr zum revolutionären Geist des Marxismus, aber auch eine Rückkehr zur Sophistik und zur Aushöhlung der marxistischen Metaphysik.


VORSICHT MIT DER GEFÄHRLICHEN KURVE (5. November 1936)

1. Ich werde nicht wie gewissen Leute sagen: „ Schweigen kann ich nicht!“. Nein: was mich betrifft, will ich sprechen. Das soll und darf ich im Namen dieser Selbstkritik, die das Grundwesen jeder Bewegung bzw. Partei ist, die darum besorgt ist, ihre Natur zu behalten und ihre eigene historische Aufgabe zu erfüllen. Da ich überzeugt bin, dass die spanische Revolution einer gefährlichen Kurve überstürzt entgegeneilt, greife ich zu meiner Feder wie ich zu einer Pistole bzw. einem Gewehr greifen würde – mit der gleichen Entschlossenheit aber auch mit der gleichen Grausamkeit. Es sei mir also ein Stil erlaubt, welcher zu der Kriegsstimmung, in der ich lebe paßt – der Stil eines losschießenden Maschinengewehrs.

2. Die militärische Lage hat sich nicht verbessert. Aus folgenden Hauptgründen: Waffen- und Munitionsmangel oder -knappheit, Fehlen eines einheitlichen Kommandos, allgemeinen Minderwertigkeit der Befehlshaber, Kapitulationshaltung der Zentralregierung, Dualismus und Antagonismus zwischen Madrid und Barcelona. Es kommt klar zum Vorschein, dass jetzt von einem Stellungskrieg zu einem Bewegungskrieg übergangen werden muss, indem die Offensive nach einem breiten und festen Gesamtplan entfesselt wird. Von nun an ist die Zeit gegen uns. Das gesamte Kriegsverfahren muss unbedingt beschleunigt werden, damit über die Stufe des bloßen Krieges hinaus mit der umfangreicheren und tieferen der sozialen Revolution angefangen werden kann.

3. Der Krieg muss überwunden werden; das wird aber noch nicht erreicht, indem man das Problem auf die „bloß militärischen“ Bedingungen des Sieges beschränkt. Vor allem müssen dagegen seine „politisch-sozialen“ Bedingungen ins Auge gefasst werden.

Da der Bürgerkrieg in Spanien ein internationaler Konflikt ist, muss das Problem der revolutionären Aktion in Zusammenhang mit dem Krieg auch auf internationaler Ebene gestellt werden und der spanische Faschismus an seinen wunden Stellen – also Marokko und Portugal – unerbittlich getroffen werden. Bisher hat die quälende Sorge um das Kriegsmaterial es nicht erlaubt, einen Aktionsplan in die Tat umzusetzen, dessen zeitgemäße und geschickte Durchführung den faschistischen Putsch hätte scheitern lassen können. Die als Generäle amtierenden Anarchisten würden gut tun, sich an ihre eigenen Erfahrungen als Revolutionäre zu erinnern.

4. Wenn die Madrider CNT erklärt, dass die „Regierung in Madrid es nicht verstehe, den Krieg zu führen“, stellt sich damit unvermeidlich das Problem nicht nur des Eingriffs der CNT in die Kriegsführung, sondern auch der Bedingungen und der Formen eines solchen Eingriffs. Es handelt sich dabei nicht um übermenschliche Reformen, sondern bloß um eine umfangreiche, tiefe und schnelle Reform der Führungskader und der Verbindungsorgane bzw. Mittel zwischen den verschiedenen Kolonnen. Die Militarisierung der Milizen ist keine Lösung bloßer technischer Art und es ist ein politischer Irrtum, sie friedlich angenommen zu haben, ohne Absichten aufzuklären, unklar Punkte zu erkläutern und ohne Hauptlinien diskutiert zu haben. Der „Kolonnengeist“ und die Verwechslung zwischen der Macht der politischen Kontrolle und der des militärischen Kommandos mögen den Erlass der katalanischen Generalität zum Teil rechtfertigen, aber ein solcher Erlass führt auf keinen Fall weiter auf dem Weg zur Lösung der lebenswichtigen Fragen eines militärischen Sieges der Revolution.

5. Eine Lösung des Problems der Kriegsbedürfnisse kann erst gefunden werden, wenn die Frage der spanischen Politik selbst gelöst worden ist.

Der Finanzrat Kataloniens konnte sagen: „Wir hatten eine Kommission nach Madrid geschickt, um die Regierung um einen Kredit von 300 Mio. Franken zu bitten, 30 Mio. für den Kauf von Kriegsmaterial und 150 Mio. für den Kauf von Rohstoffen. Als Garantie hatten wir 1 Milliarde Peseten in Rentenbriefe angeboten, die zu unseren Sparkassen gehörten und in der Bank von Spanien deponiert waren. All das ist abgelehnt worden.“ (Solidaridad Obrera vom 29.9.36)

Madrid gibt sich nicht damit zufrieden, zu herrschen – es will noch dazu regieren. Insgesamt steht die spanische Regierung der sozialen Revolution genauso feindlich gegenüber wie dem monarchistischen und klerikalen Faschismus. Was Madrid wünscht, ist die Rückkehr zur Legalität und nichts anderes. Katalonien zu bewaffnen und zu finanzieren – das hieße für Madrid, Kolonnen zu bewaffnen, die die Revolution an der Spitze ihrer Bajonette mittragen und die neue egalitäre Wirtschaft versorgen.

Wenn wir uns also an die Madrider Regierung wenden, müssen wir sie vor die Wahl zwischen der Niederlage im Krieg oder dem Sieg der Revolution stellen.

6. Da es völlig klar ist, dass die Madrider Regierung weiter eine „Kriegspolitik“ treiben wird, die ihr die politische Vormachtstellung sichern und zugleich die Entwicklung der sozialen Revolution eindämmen soll; dass zudem die KP – den Anweisungen von Mosau folgend – dazu neigt, zur Fremdenlegion der Demokratie und des spanischen Liberalismus zu werden und die spanische Sozialdemokratie (oder wenigstens ihre Führungskader) Revolutionäre à la Largo Caballero sind, muss unsere Presse von dem unheilvollen Geist der „Heiligen Allianz“, der die politische Kritik schließlich bis zu einem verschwinden kleinen Minimum eingeschränkt hat, zumindest entgiftet werden – und das ohne einem Krieg bzw. einem „Marsch auf auf Madrid“ zu drohen, sogar ohne sich in eine Polemik mit den Kommunisten und den Sozialisten einzulassen und die Festigkeit eines Bündnisses zwischen der CNT und der UGT anzugreifen. Indem sie dagegen die bolschewistische Regierung in der UdSSR hochpreist, erreicht „Solidaridad Obrera“ – das sei nebenbei gesagt – den höchsten Grad an politischer Naivität.

7. Die Säuberung der inneren Front wird von nun an durch die polizeiliche und rechtliche „Normalisierung“ des Kampfes gegen den Faschismus gefesselt. Durch die Tatsache, dass CNT und FAI-Elemente in die Polizeiorgane eingetreten sind, wird die Autonomie nicht genügend ausgeglichen die Schnelligkeit und Diskretion der Dienste und Aufträge ermöglicht hätte. Dazu muss noch hinzugefügt werden, dass gewisse unsinnige Bestimmungen sowie bürokratischer Formkram, die von den CNT- und FAI-Vertretern abgeschafft werden sollen, weiter bestehe und unheilvolle Folgen haben.

8. Die Auswahl des Personals in der Armee, im Krankenwesen und in den Büros ist sehr ungenügend. Sie hätte derart vorgenommen werden sollen, dass die unfähigen und weniger sicheren Elemente sofort und in vernünftigen Verhältnis durch zwar fremde Elemente ersetzt werden, die dafür aber der Sache der spanischen Revolution treu sind, oder zumindest erprobte Antifaschisten. Das ist nicht einmal versucht worden.

Gleichfalls benutzt die CNT die Techniker ungenügend, die die unfähigen und verdächtigen heute ersetzen und morgen die angemessenen Kader des libertären Kommunismus bilden könnten.

9. Seit einiger Zeit haben die CNT und die FAI eine Verzichthaltung der „Normalisierung“ der spanischen Revolution gegenüber angenommen. „Das antifaschistische Spanien“ hat dieses Phänomen mit viel Mut und Scharfsinn denunziert – ich will also nicht dabei verweilen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Abschaffung des Zentralkomitees der Milizen sowie die Beseitigung der Macht der Arbeiter- und Soldatenräte einen Anschlag auf die gewerkschaftliche/syndikalistische Kontrolle der Milizen darstellen. Nicht ohne Grund also kann meiner Meinung nach die „Temps“ erleichtert aufseufzen, indem sie feststellt, dass „die soziale Revolution in Katalonien immer gesetzmäßiger wird“.

10. Der „Rat für Wirtschaft“ ist im Grunde genommen nichts anderes als der durch die französische Regierung gebildete „Wirtschaftsrat“. Er scheint mir den Ministerialismus der CNT und der FAI sogar durch seine praktische Anwendung nicht genügend ausgleichen zu können. Bedauerlich ist es außerdem, einen Fortschritt der Bolschewisierung innerhalb der CNT feststellen zu müssen, der durch die Tatsache zum Vorschein kommt, dass die Elemente der Basis immer weniger eine wachsame, aktive und unmittelbare Kontrolle über die Arbeit der Organisationsvertreter in den Regierungskomitees bzw. der Räte ausüben können. Man sollte eine Reihe von Kommissionen bilden, die durch die CNT und die FAI gewählt und dafür sorgen würden, das Werk unserer Vertretr im Kriegs- und Wirtschaftsrat zu erleichtern und nötigenfalls auch zu berichtigen.

Das würde auch dazu notwendig sein, Kontaktpunkte zwischen der persönlichen Arbeit dieser Vertreter un den Bedürfnissen bzw. Möglichkeiten der CNT- und FAI-Initiativen herzustellen.

11. Ich habe mich hier bemüht, die „jetzigen“, den Notwendigkeiten des historischen Augenblickes innewohnenden Betrachtungen mit den „Tendenz“linien zu vereinbaren, die meines Erachtens jenen Notwendigkeiten nichts gegensätzlich sind. Ich schlage den Lotsen, die zwischen Klippen auf der Wasseroberfläche und auf reißenden Strömen schiffen, keine „gerade Linie“ vor. Die Politik hat ihre eigenen Bedürfnisse und der historische Augenblick drängt den spanischen Anarchisten die Bedürfnisse der Politik auf. Man muss aber der historischen Rolle gewachsen sein, die man zu übernehmen für nützlich gehalten hat. Andererseits ist es auch notwendig, in den Tendenzlinien keine Lösungen kontinuierlicher Tiefe zu erschaffen.

Die „Bedürfnisse“ des Krieges, mit den „Willen“ der Revolution und die „Bestrebungen“ des Anarchismus zu versöhnen – hier liegt das Problem. Es ist notwendig dass dieses Problem gelöst wird. Von seiner Lösung hängen der militärische Sieg des Antifaschismus ab, die Schaffung einer neuen Wirtschaft, die soziale Befreiung Spanien und die Aufwertung der Ideen und der Aktion der Anarchisten. Drei großartige Dinge die jedes Opfer wert sind und einem die Pflicht auferlegen, den Mut zu haben, um das auszusprechen, was man denkt.


Madrid, erhabene Stadt (2. Dezember 1936)

Guerra di Classe Nr. 5

Pilatus ist genauso schlimm wie Judas. Wer ist heute Pilatus? Es ist nicht mal die Vollversammlung der Füchse in Genf, es sind nicht mal die Strauße der sozialdemokratischen Ministerialisten. Pilatus seid ihr, das europäische Proletariat.

Kannst du, oh zärtliche proletarische Mutter, deinen kleinen Sohn in sein Bettchen legen, ohne die zerfetzten Kinder zu sehen, die wie Aas auf den Straßen liegen? Kannst du liebevoll mit deinem Kind spielen, oh Proletarier, ohne an die Kinder zu denken, die schmerzvoll in den Krankenhäusern liegen und unter den Qualen ihrer verwundeten Körper und den Ängsten der Furcht leiden?

Und doch liest du die linken Zeitungen und weißt, dass es eine große Stadt gibt, die blutig, zerrissen und durch Granatenexplosionen in Schutt und Asche gelegt wurde; sie berichten, dass Kinder vom Tod überrascht wurden, als sie ihre unbeschwerten Lieder in den Himmel schrien, dass ihre Mütter auf der Suche nach den Früchten ihres Leibes umherirren und ihre blutbefleckten Körper auf der Suche nach unwahrscheinlicher oder verspäteter Hilfe tragen. Der Gestank des Todes steigt aus den Büros und der Korrespondenz Madrids auf. Der Himmel über Madrid färbt sich rot von den Feuern, die die Welt in Brand setzen sollten. Und doch bricht alles zusammen, alles brennt, eine ganze Bevölkerung stirbt, ohne dass die Massen davon betroffen sind.

In der Agonie Madrids liegt der ganze Schrecken einer Vergewaltigung auf dem Marktplatz an einem Markttag.

Der Tod kann weiter zuschlagen, plötzlich wie Hagel im Sommer und unvermeidlich wie ein Blitz. Die vier Reiter der Apokalypse hatten die Ruhe der Höhen und die moralische Leere der Zeit für sich. Mögen sie diese gequälte Stadt erschüttern, zerreißen, langsam verbrennen – Millionen von Proletariern ist das egal. Hält Madrid stand? Viele fragen sich, wie lange es noch durchhalten kann. Es ist ein europäischer Stierkampf. Es ist eine Schande für die Völker und nicht nur für die Regierungen und Klassen. Es ist die Blockade der antifaschistischen Gleichgültigkeit, die sich zur kriminellen faschistischen Belagerung gesellt. Die Versammlungen werden die Flugzeuge nicht davon abhalten, den Himmel über Madrid zu durchqueren und Tod und Verderben zu verbreiten. Der kalte Schweiß auf den Stirnen der Mütter, die vor Angst geweiteten Augen der Kinder, die von Krämpfen geschüttelten Körper sind nichts anderes als eine Vorahnung dessen, was ihr erleiden werdet, die ihr euch hinter der Nicht-Intervention verschanzt. Heute tobt der Krieg am Himmel über Madrid, morgen wird er am Himmel über Barcelona toben, übermorgen am Himmel über Paris. Der Krieg in Europa hat wieder angefangen. Er ist da, auch wenn er nicht erklärt wurde. Es sind die Flugzeuge und Piloten von Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland, die Madrid zerstören und ruinieren.

Berührt der Schrecken die Gewissen der Menschen nicht mehr? Nun gut, die Bomben werden sie aufrütteln. Und das wird historische Gerechtigkeit sein.

Madrid, das fröhliche Wien der Iberischen Halbinsel, erlebt gerade die Heldentaten von Sagonte. Es ist vom Walzer der Liebenden zur Heroischen Symphonie übergegangen. Als epischer Zeuge der Heldentaten der Massen und Milizen, neben denen die der Pariser Kommune verblassen, enttäuscht es die Kriegshoffnungen der Generäle, wird ihre sorgfältigen Berechnungen offenlegen und ihren Prahlereien Recht geben. Es widersteht und wird widerstehen. Wenn das Mitgefühl der Massen taub ist, wenn Europa unfähig ist, sich zu empören, dann wird die ganze Welt von der Energie dieser Stadt geprägt sein. Madrid wird nicht eingenommen werden. Es kann vollständig zerstört werden, aber es wird nicht lebend eingenommen werden. Tod, Exodus und Flammen werden es bis zum Ende zu einem neuen Pompeji machen.

Wenn es nicht die Flügel des Sieges sind, dann werden es die der Nemesis sein, die sich über sie ausbreiten. Der Ruf der faschistischen Generäle ist gesichert, aber es wird der Ruf von Dschingis Khan sein. Es wird eine weitere Kommune sein, aber es wird kein letzter Funke sein; es wird die Glut eines Feuers sein, das alle „Zuschauer” aus ihren Verstecken treiben wird, zumindest solange es sie nicht in ihren blumistischen Betten verbrennt.

Madrid, wo hier Tausende von Männern mit einer Leidenschaft kämpfen, die durch die Anwesenheit von Tausenden von Frauen und Kindern genährt und aufrechterhalten wird, ist dabei, seine Henker und die blinden und tauben Massen an den Pranger zu stellen. Es ist dabei, für alle ein Licht zu entzünden, das wieder Hoffnung in den Menschen weckt.

Madrid, die Märtyrerstadt, verdient bereits den Titel „erhaben”.


ZWISCHEN DEM KRIEG UND DER REVOLUTION (16. Dezember 1936)

Viele unter uns sind es die sich die bewaffnete Intervention der Mächte wünschen, die wirtschaftliche und moralische Interessen haben, die denen Italiens und Deutschlands entgegengesetzt sind.

Falls diese Nationen eingreifen, mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Kräfften, liegt es auf der Hand, dass die Intervention von Russland, Frankreich und England – gemeinsam – den Sieg des spanischen Antifaschismus und der Sieg im Krieg versichern können.

Genauso klar ist es aber auch, dass den Faschisten genug Zeit bleibt, die revolutionären Kräfte nieder zu werden, bevor diese bewaffnete Intervention ihre eigenen Kräfte zu Boden schlägt.

Es liegt im Interesse der englischen und französischen Kapitalisten, zu vermeiden, dass der Sieg der spanischen Faschisten von Italien und Deutschland genutzt wird; dagegen haben sie aber auch kein Interesse daran, einem Sieg der spanischen Revolutionäre zuzusehen. Sollten Italien und Deutschland mit der unmittelbaren Absicht in Spanien einschreiten, Frankreich anzugreifen – durch einen Überraschungsangriff im westlichen Mittelmeer – dann würden wohl Russland und England sofort eingreifen. Wäre dem aber nicht so, dann könnte es wohl passieren, dass die spanische Revolution noch vor der Intervention zermalmt worden ist.

Wir können gar keine Hoffnungen auf die Große Paralytikerin vom Genfer See setzen, wie gewisse Naive und zahlreiche Heuchler tun. Madrid wird von Fiat, Capronis und Junkers gefoltert, deren Maschinen von italienischen und deutschen Fliegern gesteuert werden, die Balearen werden der terroristischen Diktatur eines faschistischen italienischen Führers unterworfen und Tausende von deutschen und italienischen Söldnern kommen mit Sack und Pack in Spanien an Land. Die italienisch-deutsche Intervention könnte also unmöglich offener, wirksamer und besorgniserregender sein. Die Hilferufe der spanischen Regierung an den Völkerbund sind auf eine Versammlung von freiwilliger Gehörlosen gestoßen, die es sein wollen und groteskerweise damit beschäftigt sind, durch rechtliche Spitzfindigkeiten Verwirrung zu schaffen.

Von Frankreich können wir nicht mehr erwarten. So wie Eden die Unabhängigkeit Äthiopiens und den Weltkrieg in die Waagschale der internationalen Justiz legte, so legt Blum dorthinein auch die Freiheit des spanischen Volkes und den Weltkrieg. „Der Krieg ist der Preis. Wir akzeptieren ihn nicht!“

Niemand hasst den Krieg mehr als wir, wir sind aber de Meinung, dass wir jetzt den Zeitpunkt erreicht haben, an dem die damals von demselben Blum geäußerte Formel bestätigt wird: „Um den Frieden zu retten, müssen wir die Eventualität eines Krieges annehmen.“

Die Politik der Nicht-Einmischung hat Bolivien nicht daran gehindert, Uruguay anzugreifen, um ihm die Chaco-Gegend streitig zu machen; sie hat weder Japan daran gehindert,die Mandschurei zu annektieren; noch Italien, seinen grausamen Eroberungskrieg gegen Äthiopien zu führen. Der Weg zum Pazifismus ist wie der zur Hölle zwar mit guten Absichten gepflastert, aber er führt zum Abgrund.

Der Genfer Friede wird Gemetzel und Ruinen als schwerwiegende Folgen haben. Der Genfer Friede bedeutet den Rüstungswettlauf, die Vernichtung der militärisch schwächeren Völker, einen immer mächtigeren Duce in Italien und Führer in Deutschland, die die neuen Faschismen immer mehr in ihrer Entstehung unterstützen.

Die Internationale Gewerkschaftsföderation und die Sozialistische Arbeiterinternationale machen die durch die französische und englische Regierung unterstützte Nicht-Einmischungsfarce weiter mit, während die Faschisten schon bis zum Herzen Spaniens vorgedrungen sind. Die Arbeitermassen müssen jetzt also wählen: entweder ergreifen sie ein oder der Faschismus siegt.

Aber sie rühren sich nicht. Es wird immer wieder umsonst gesagt: „Spanien dient als Tummelplatz eines Kampfes, dessen Folgen weit über die Grenzen des Landes hinausreichen – denn in Spanien setzt der Faschismus tatsächlich alles auf eine arte.“

Man soll die imperialistischen Ziel der italienisch-deutschen Intervention nicht überschätzen und ausschließlich im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung der Expansion im Mittelmeerraum betrachten. Für Mussolini und Hitler stellt Spanien ein unmittelbares Eroberungsziel und somit eine aktuelle Frage dar. Für den deutschen und den italienischen Faschismus ist der Sieg über die spanische Revolution gleich der Eroberung Spaniens. Siegt der Faschismus in Spanien, dann ist die Revolution bezwungen und der Weg für imperialistische Eroberungen frei. Dann haben wir als den Krieg, die Versklavung des europäischen Proletariats und ein neues „Mittelalter“.

Weder das französische noch das englische Proletariat werden etwas zugunsten des spanischen Proletariats unternehmen. Es ist zwecklos, sich Täuschungen hinzugeben. Es wäre noch dazu unehrlich.

Und dann?

Dann ist die spanische Revolution in Gefahr, wie der Krieg auch militärisch enden mag.

England, Russland und Frankreich werden wahrscheinlich nicht überstürzt mit Waffen einschreiten, es wäre aber wohl möglich in dem Augenblick, in dem Spanien zugrunde geht. Ein Eingreifen also der Löwen gegen die Hyänen, das Spanien vielleicht dem italienisch-deutschen Imperialismus entreißen wird, aber gleichzeitig um den Brand der spanischen Revolution auszulöschen.

Heute schon wird Spanien ins Kreuzfeuer genommen – und zwar von Burgos und Moskau.

Die Macht der spanischen anarchosyndikalistischen Bewegung darf uns nicht verblenden. An dem Tag, an dem französische, englische und russische Armeekorps eingreifen würden – nach einem erschöpfenden Kampf zwischen den revolutionären Kräften und der faschistischen, spanisch-italienisch-deutschen Koalition – an demselben Tag wäre die soziale Revolution zum Stillstand gebracht und die Bahn für die bourgeoise Revolution frei:

„Ist einmal der Faschismus zu Boden geschlagen, kann es wohl angehen, dass die anarchosyndikalistischen FAI und CNT weiterkämpfen um ihr soziales Programm durchzusetzen. In diesem Fall aber würde der sozialistisch-kommunistische Block entgegensetzen.“

Diese Zukunftsaussicht wird uns von der französischen sozialistischen Zeitung „Le Populaire“ vom 17. November 1936 geboten.

Die Republikaner, die sozialistischen Anführer und die Kommunisten sind sich schon über eine „verfassungsmäßige“ Plattform einig geworden. Das Exekutivkomitee der spanischen KP hat vor kurzem erklärt, dass es im jetzigen Kampf vorhatte, die Demokratie zu verteidigen und das Privateigentum zu schützen. Es riecht also hier nach Noske. Würde Madrid nicht in Flammen stehen, müsste man noch einmal Kronstadt heraufbeschwören. Madrid´s Politik ist aber dabei zu siegen. Es hat sich geweigert, dem revolutionären Katalonien Waffen und Geld zu liefern, um sein Schicksal in die Hände der UdSSR zu legen; diese hat Waffen geliefert und Kader, die den antifaschistischen Kampf kontrollieren und die weitere Entwicklung der sozialen Revolution in ihrem bewaffneten Kampf gegen den Faschismus zum Stehen bringen wollen.

Das Dilemma „entweder Madrid oder Franco“ hat den spanischen Anarchismus lahmgelegt. Heute liegt Barcelona zwischen Burgos, Rom, Berlin, Madrid und Moskau. Ist also belagert.

Schwarze Wolken häufen sich am Horizont an und der Nebel macht uns blind.

Schärfen wir unseren Blick und führen wir das Ruder mit stählerner Hand. Wir fahren auf hoher See und der Sturm ist losgebrochen, wir können aber immer noch Wunder bewirken.

Zwischen Preußen und Versailles eingezwängt entfachte die Pariser Kommune einen Brand, der die Welt noch immer erhellt.

Zwischen Burgos und Madrid gibt es Barcelona.

Daran sollen die Moskauer Godets denken.


DIE DRITTE PHASE (18. Januar 1937)

Eben hat die dritte Phase des spanischen Bürgerkriegs begonnen. Die erste war die des „faschistischen Militärputsches“, der durch die revolutionären Kräfte mit der CNT und der FAI an der Spitze und durch den Widerstand der proletarischen Massen Barcelonas niedergekämpft wurde. Die zweite ist die des „Bürgerkrieges“ – auf der einen Seite ein Teil der Armee und der Polizeitruppen, die von aufrührerischen Offizieren angeführt werden und auf der anderen Seite der Arbeiter- und Bauernmilizen, die von loyalen Offizieren geführt und durch die verschiedenen vorgeschrittenen bzw. fortschrittlichen Parteien kontrolliert werden. Es handelt sich um einen guerillaähnlichen Bürgerkrieg, dessen soziale Entwicklungen einen revolutionären und kollektivistischen Charakter annehmen – besonders in Katalonien, in Aragonien und in der Levante, d.h. in Regionen, die unter dem Einfluss der CNT und der FAI stehen. Wir sind immer noch in dieser zweiten Phase, zu der eine dritte, „internationale“, jetzt hinzukommt, die durch das offene Eingreifen des italienisch-deutschen Faschismus einerseits und des russischen Bolschewismus andererseits entstanden ist.

Von nun an wird die Entwicklung der inneren Lage hauptsächlich fremden Faktoren unterworfen. An der Madrider Front bekämpfen sich die Nazis und die antifaschistischen Emigranten aus Deutschland und Österreich, die italienischen Faschisten und Antifaschisten, die russischen Bolschewiki und die Weißen, die französischen Kommunisten und die irischen Katholiken. Und das werden sie bald an allen Fronten tun. Die Kräfteverhältnisse sind im Begriff, sich militärisch und politisch zu verändern. Der Bürgerkrieg bekommt jetzt ein schnelleres Tempo, einen immer weiteren Aktionsrahmen und einen entschlosseneren Charakter, während das russische Einschreiten die Vormachtstellung der sozialistisch-kommunistischen Kräfte sichert, denen die anarchistischen bisher völlig überlegen waren.

Ich habe es schon gesagt und ich wiederhole es hier: der Bürgerkrieg kann militärisch gewonnen werden, der Sieg der politischen und sozialen Revolution ist aber bedroht. Die Probleme von morgen sind in Spanien mit der internationalen Entwicklung des Bürgerkrieges von jetzt an untrennbar verbunden.

Dass die französische und die englische Regierung aus ihren Gesandtschaften in Addis-Abeba Konsulate machen, lässt die Anerkennung der italienischen Eroberung Äthiopien voraussehen. Wird Mussolini sich von Deutschland trennen, indem er das faschistische Eingreifen in die spanischen Angelegenheiten aufgibt? Dafür müsste das französische Quai d´Orsay und das englische Foreign Office sich dafür entscheiden, mit fester Stimme „Jetzt ist genug!“ zu sagen. Und was sehen wi im Gegenteil dazu?

Das Blum-Kabinett, das die Angst vor dem Krieg nicht los wird, steckt alles ein: so erlaubt es, dass der französische Journalist Aguillard erschossen und der Korrespondent des „Paris-Soir“ Delaprée, der in dem Flugzeug der französischen Botschaft in Madrid saß, getötet wird und lässt sogar zu, dass das „Air France“-Flugzeug auf französischen Gebiet beschossen wird. Die faschistischen Kräfte mögen damit drohen, die Eisenbahn Cerbere-Port Bou zu sprengen, die französischen Schiffe wie den russischen Dampfer „Komsomol“ in den Grund zu bohren, sie mägen sich darum bemühen, den Aufstand in Marokko zu entfesseln – das alles führt die Blum-Regierung nicht dazu, bei den Banditen in Burgos vorstellig zu werden.

Die italienische Regierung wird „Freiwillige“ für Franco an und lässt Tausende von ihnen in Portugal un im spanischen Marokko landen. Eine Brigade italienischer Faschisten ist an der Madrider Front bei den Vorposten bei Carabanchel gesehen worden. Hitler schickt seinerseits weiter Tausende von Freiwilligen, die Francos Kräfte verstärken.

Ein militärischer Sieg des Faschismus in Spanien würde für Frankreich die Einkreisung durch Italien und Deutschland bedeuten. Im „Ami du Peuple“ finden wir folgenden Kommentar zu der durch die „News Chronicle“ bekannt gegebene Sendung von mindestens fünf deutschen Divisionen nach Spanien: „Wenn es so mit den deutschen Truppenlandungen auf die Halbinsel weitergeht, werden wir nicht nur am Rhein entlang, sondern auch an den Pyrenäen Wache halten müssen. Lassen wir den Führer seine diesbezüglichen Bemühungen weitertreiben, dann läuft Frankreich Gefahr, eingekreist zu werden – oder wenigstens zwei Grenzen zu Deutschland zu haben. So sieht die harte Wirklichkeit aus und sie geht also weit über die doktrinäre Vorliebe für die eine oder die andere iberische Partei hinaus.“

Offensichtlich wird die reaktionäre Meinung zugunsten der Neutralität im spanischen Krieg in Frankreich stärker. Das ist ein Umschwung, der eine feste Politik des Blum-Kabinetts zugunsten des antifaschistischen Spaniens stark fördern könnte.

Manche Franzosen rechtfertigen die Politik ihrer Regierung dem spanischen Bürgerkrieg gegenüber, indem sie sagen, England mache nicht mit. Tatsächlich haben wir jetzt das „gentlemen´s agreement“ zwischen Italien und England. Mussolini hat die Bedingungen angenommen, die er wenige Monate vorher abgelehnt hatte, um neue Handelsbeziehungen mit England anzuknüpfen, er ist dem Protokoll des U-Boot-Krieges beigetreten und hat von neuem bestätigt, dass er nicht beabsichtige, die Balearen zu erobern. Das Mittelmeer, das ist es, was dem englischen Empire Sorgen macht. Durch seine Rede vom 1. November letzten Jahres, in der Mussolini für Italien das Recht auf Expansion im Mittelmeer gefordert hatte, hatte er England, Jugoslawien, Griechenland und die Türkei aufgeschreckt.

Nachdem Mussolini das Foreign Office über die Mittelmeerfrage beruhigt hat, liebäugelt r weiter mit der Wilhelmstraße, während das französische Quai d´Orsay hartknäckig weiter die Rolle des gutmütigen betrogenen Ehemanns spielt. Hitler seinerseits, überzeugt, dass Frankreich sich nicht rühren wird, ist dabei – der Zeitung „L´Oeuvre“ gemäß – einen Überfall auf die Tschechoslowakei vorzubereiten.

Kurz, während Mussolini, Hitler und Eden hoch spielen, zündet das Blum-Kabinett Kerzen an und betet einen Rosenkranz – ohne Aktionsplan, ohne die geringste Kühnheit oder Würde.

Blum wartet und hofft, ungerührt und neutral dem Opfer Iruns gegenüber und als lauer und vorsichtiger Zeuge von Madrids Marter. Voller Vertrauen glättet er die Federn seiner weißen Tauben, indem er sich selbst allerlei einbildet und den anderen allerlei vortäusct.

Irun, Huesca und Zaragoza wären die Gräber des Faschismus gewesen, hätte man nur Brennus und Cäsar daran gehindert, ihre Schwerter auf die faschistischen Waagschalen des spanischen Bürgerkrieges zu legen. Jetzt steht Madrid auf dem Spiel – und wenn es Gemetzel und Ruinen kosten sollte.

Die unter Sabotageneutralität und der Hilfe beim Tropfenzählen verflossene Zeit hat es möglich gemacht, dass aus einem Guerillakrieg – der sich schnell erschöpft hätte oder durch den Sieg der proletarischen Milizen beendet worden wäre – ein Bürgerkrieg wird, der alle Gräuel eines großen Krieges aufweist und eine Gefahr für das europäische Gleichgewicht darstellt.

Dort, wo ein entschlossener Chirurg nötig gewesen wäre, war Blum bloß ein zaghafter Homöopath.

Kommen die Divisionen der „blonden Mauren“ und der Schwarzhemden zur Verstärkung von Francos Kadern an, wird ganz Spanien zum Schauplatz verzweifelter Kämpfe. Ein solcher Brand lässt sich dann nicht mehr eindämmen und auf denjenigen, die ihn schon zu Beginn nicht auslöschen konnten bzw. nicht wussten, wie sie das machen sollten, wird eine schwere Verantwortung lasten.

Schon entlarvt das gekreuzigte Madrid seinen Pilatus. Leon Blum? Nicht nur er, sondern Tausende und Millionen von Menschen. Du selbst, französisches Proletariat! Ein einziger Mann, wer er auch sein mag, kann den Massen, wenn sie der Freiheit und der Gerechtigkeit entgegengehen, den Weg nicht versperren.

Um Dreyfuß zu retten, sind deine Boulevards, Paris, in Aufruhr gewesen. Desgleichen, um Ferrer zu retten und noch einmal, um Sacco und Vanzetti zu retten.

Jetzt aber schreien sie nicht mehr vor lauter Wut, es sind nicht mehr Frankreichs Schlagadern, nict mehr die mächtigen Strombetten des Protests, die die vielen Schandtaten rächen, um die Menschenwürde zu retten. Madrid wird gekreuzigt, Madrid steht auf dem Scheiterhaufen – was tust du Paris?

Aber jetzt pocht dein Herz nicht mehr, du schreist nicht mehr vor Wut; es sind nicht mehr die Adern Frankreichs; es sind nicht mehr die Betten jener mächtigen Protestströme, die die Würde des Menschen reinwuschen, um ihn vor so viel Schande zu retten. Madrid ist gekreuzigt. Madrid steht auf dem Scheiterhaufen. Was machst du, Paris?

Paris ruft „Flugzeuge für Spanien” und Paris schickt Krankenwagen, Lebensmittel und Freiwillige.
Aber das reicht nicht aus. Paris gibt nicht, was es hat, seinen größten Reichtum, den mächtigsten, den europäischsten, seine Wut, seine laute Stimme des Protests.

Wenn Paris wütend ist, schweigt die ganze Welt und dreht sich um, um zuzuhören. Als riesiger Sendemast aller gerechten Kampagnen kann es nicht umhin, sein SOS für das revolutionäre Spanien auszusenden.

Paris, rufe deine Barmherzigkeit für das gemarterte und erhabene Madrid, deine Proteste gegen die Henker des spanischen Volkes, deinen Hass gegen die Feinde der Menschenrechte und der Rechte des Staatsbürgers, die du mit deinen großen Revolutionen bekräftigt hast.

Möge deine mächtige Stimme Burgos, Rom und Berlin verurteilen; möge sie Madrid und die anderen Märtyrerstädte trösten; möge sie den großmütigen Kämpfern der antifaschistischen Milizen, die die Rechte der Produzenten und die Würde der Staatsbürger verteidigen, Mut machen; möge sie die unentschlossenen Minister mit Scham erfüllen; möge sie schließlich deine große, großzügige Stimme, die Stimme deiner besten Tage, die aus den Tiefen deines Herzens kommt…

Diese Stimme donnerte so oft mit dieser Liebe, die die Axt schwingen muss! …

Und das ist die tiefste Liebe!


DIE WEISHEIT EINES ALTEN SPRICHWORTES (1. Februar 1937)

Der Schweizer Bundesrat hat als Erster angefangen, die Verfolgung von Freunden des freien Spaniens zu starten, „im Namen der Neutralität”, um mit dieser unterwürfigen und reaktionären Haltung den Ungeheuern in Berlin und Rom zu huldigen.

Daraufhin gab es einen großen Aufschrei in den Synagogen der Sozialdemokratie. Und die Stalin-Anbeter protestierten heftig.

Kurz darauf schmeißt die belgische Regierung, in der es sozialdemokratische Minister gibt, den Kanoniker Gallegos und Pater Lobos raus, zwei katholische Priester, deren einziger Fehler darin besteht, dass sie in privaten Treffen ihre Solidarität mit der legalen spanischen Regierung gezeigt haben.

Daraufhin holte die englische Regierung ein Dekret aus dem Jahr 1870 aus der Versenkung, das die Rekrutierung „von Engländern in ausländischen Milizen” verbietet und unter Strafe stellt.

Die Vereinigten Staaten brachten ihrerseits ein Gesetz aus dem Jahr 1811 auf den Tisch, das amerikanischen Staatsbürgern die Rekrutierung im Ausland verbietet. Schließlich hat die französische Regierung von der Kammer die Vollmacht bekommen, das republikanische Spanien mit einem „Cordon sanitaire” gegen den Zustrom ausländischer Freiwilliger zu umgeben. Diese Vollmacht hat sie von den kommunistischen und sozialistischen Fraktionen im Parlament bekommen. Die Haltung der Sozialisten ist nicht überraschend. Sie stimmt mit der Position der Zeitung „Populaire” überein und bestätigt sie. Die Haltung der Kommunisten ist aber eine skandalöse Kehrtwende. Die englischen Kommunisten hatten gegen die Blockade der Freiwilligen protestiert. Ted Barnales, Chef der Londoner Sektion der englischen Kommunistischen Partei, hatte in einer seiner Reden am 11. November gesagt:

„Für jeden deutschen Soldaten, der nach Spanien kommt, schicken wir einen ehemaligen englischen Soldaten. Das ist unsere Antwort auf die Entscheidung der Regierung, die Ausreise von Freiwilligen nach Spanien zu verhindern.”

Und „L’Humanité” geht auf die Barrikaden, als sie erfährt, dass die französische Regierung vorhatte, die Rekrutierung von Freiwilligen zu verbieten – eine platonische Geste der französischen sozialdemokratischen und stalinistischen Anführer, die voll und ganz mit der Feuerwehrregierung und dem Mann mit dem Kopf im Sand solidarisch waren.

Der „Petit Parisién“ vom 15.12.1936 kündigte eine „Verstärkung der Kontrolle“ durch Frankreich an, woraufhin Gabriel Peris in „L’Humanité“ schrieb:

„Le Petit Parisién ist der inoffizielle Sprachrohr des Quai d’Orsay. Wir würden gerne wissen, ob der darin angekündigte Plan – wie Le Petit Parisién angibt – die Zustimmung des Ratspräsidenten hat. Wenn nicht, würden wir gerne so schnell wie möglich seine Dementi lesen”.

Anstelle einer schnellen Dementi schrieb „Le Populaire” am 8. Januar:

„Wir glauben, dass es kein Problem wäre, die Idee der deutschen Regierung zu übernehmen, alle Ausländer, die an den Kämpfen beteiligt sind, sowie alle politischen Agitatoren und Propagandisten aus Spanien wegzuschicken, um die Situation vom August 1936 wiederherzustellen.“

Und er schloss:

„Wir dürfen keine Zeit damit verschwenden, sinnlos die Absichten zu hinterfragen und zu versuchen, mögliche Fallstricke in den Antworten aus Berlin und Rom aufzudecken.

Es gibt ein wirksames Mittel, um alle Schwierigkeiten zu überwinden. Es besteht darin, die Politik der Nichteinmischung in Spanien für alle anzuwenden und durchzusetzen und alle nichtspanischen Kämpfer aus Spanien zu entfernen. Das muss getan werden, und je früher, desto besser.“

Peri, Cachin, Vaillant, Couturier und Cíe haben sich beschwert. Aber Moskau hat das Ruder übernommen. Und wer hat sich im Namen der kommunistischen Fraktion sofort mit Blums Block solidarisiert? Genau Peri, der am strengsten und vehementesten gesagt hat, dass Frankreich eine Politik machen sollte, die sich klar für die Spanische Republik einsetzt. Die Akrobaten und Idioten des Bolchewismus sind genauso viel wert wie die Akrobaten und Idioten der Sozialdemokratie. Die sozialistische Fraktion hat die letzte Resolution der Exekutivkomitees der LO.S. und der F.S.L. abgelehnt, in der es heißt:

„… dass die Sicherung des Friedens, der das höchste Gut der Arbeiter aller Länder und daher das wichtigste Anliegen der Regierungen mit sozialistischer Führung oder Beteiligung ist, nur gewährleistet werden kann, wenn die Demokratie entschlossen gegen Erpressung und faschistische Drohungen vorgeht”.

Die kommunistische Fraktion hat ihrerseits unzählige Erklärungen gegen die französische „Neutralität“ komplett zurückgewiesen, die bei ihren Kundgebungen abgegeben und in den offiziellen Parteizeitungen, allen voran „L’Humanité“, veröffentlicht wurden.

Die Nichtintervention spielt Hitler und Mussolini in die Hände und begünstigt damit Franco. Die englische und französische Note, in der den deutschen und italienischen Regierungen vorgeschlagen wurde, die Entsendung von Freiwilligen nach Spanien einzustellen, stammt vom 3. Dezember 1936. Die italienisch-deutsche Antwort erfolgte am 7. Januar. Fünfunddreißig Tage des Nachdenkens! Fünfunddreißig Tage der massenhaften Entsendung von Männern und Kriegsmaterial in den Dienst Francos!

Die italienische Regierung hat die „Freiwilligen” durch Befehle der Militärbezirke rekrutiert; sie hat mit Gewalt Männer nach Spanien geschickt, die eigentlich für die Arbeit in Äthiopien vorgesehen waren; sie hat die Freiwilligen für Spanien in Kasernen zusammengefasst; sie hat Strafgefangene eingesetzt, um die Reihen der Freiwilligen zu verstärken; sie hat in Spezia, Eboli, Salerno und Cagliari Expeditionsstreitkräfte zusammengestellt; und sie hat all diese Streitkräfte mit Staatsschiffen nach Spanisch-Marokko transportiert.

Nach den Bombardierungen auf spanischem Gebiet durch italienische Flugzeuge, die von der Basis Elmas aus starten, und nach der Besetzung Mallorcas liegen alle Elemente und Beweise vor, um festzustellen, dass Italien militärisch in den spanischen Bürgerkrieg eingegriffen hat. Mussolini hat nicht die Absicht, Spanien aufzugeben. Das faschistische Rom erklärt ohne Umschweife: „Wir kämpfen in Spanien und wir werden siegen.“

Der Dómale d’Italia lässt durchblicken, dass die französische Kontrolle der Zugangswege nach Spanien auf dem Landweg praktisch umgesetzt werden wird. Hitler und Mussolini, ermutigt durch ihren Erfolg, wagen es, von der englischen und französischen Regierung Unmögliches zu verlangen, wie zum Beispiel die Unterdrückung der Propaganda zugunsten Spaniens und die Entfernung aller ausländischen Antifaschisten aus Spanien.

Die Böswilligkeit von Mussolini und Hitler ist ebenso offensichtlich wie die Dummheit von Blum. Mussolini hat 20.000 Männer nach Spanien geschickt und damit das Völkerrecht völlig missachtet, und laut L’Ami du Peuple und L’Echo de Paris sind mindestens 30.000 deutsche Soldaten in Spanien.

Die italienische und die deutsche Regierung werden weiterhin Männer, Waffen und Munition schicken, unabhängig von den eingegangenen Verpflichtungen.

Die „Neutralität” der Briten und Franzosen war, ist und bleibt eine heuchlerische Unterstützung des spanischen, deutschen und italienischen Faschismus.

Die Kontrolle und Blockade zu akzeptieren, bedeutet, die loyale Regierung und die rebellische Armee auf eine Stufe zu stellen, und das ist so, als würde man Europa vor die Wahl stellen:

Krieg oder der Sieg des Faschismus. Und der Sieg des Faschismus wird in naher Zukunft Krieg bedeuten.

Die Blumistische Politik hat nie eine klare und konsequente Aktion verfolgt, weil sie von Angst und Kompromissbereitschaft geprägt ist. Es ist eine sozialdemokratische Politik.

Die Kommunistische Partei Frankreichs hat durch ihre Zustimmung zu dieser Politik eines ihrer selten schönen Kapitel geschrieben. Die internationalen Auswirkungen werden verheerend sein. Das gilt auch für die französische Innenpolitik. Aber was uns im Moment am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie wir unseren Kampf in Spanien angesichts der neuen Situation gestalten müssen. Darüber werden wir ein anderes Mal sprechen. Heute erleben wir eine akute und deprimierende Emotion, die die Weisheit des Volkssprichworts bestätigt: „Gott bewahre mich vor meinen Freunden. Um meine Feinde kümmere ich mich selbst.“

Spanien, umgeben von erklärten Feinden und falschen Freunden, wird seinen Weg trotz allem fortsetzen. Mit all unserer kindlichen Zuneigung für dieses großartige Volk würden wir uns wünschen, dass dieser Weg zu den leuchtenden Gipfeln des Triumphs führt. Aber selbst wenn er uns in den tiefsten Abgrund der Niederlage führen würde, hätten wir immer noch die tröstliche Ehre, dass wir bei den unschuldigen Opfern und nicht bei den Mördern unbewaffneter Menschen sein wollten und waren; die heilige Sache der Freiheit und Gerechtigkeit verteidigt zu haben und nicht die Rückkehr zu Tyrannei und feudalen Privilegien; uns entschlossen an dem Kampf beteiligt zu haben und die erniedrigende Schande feiger und dummer Kompromisse abgelehnt zu haben.


Probleme der Revolution: die Stadt und das Land (Tierra y Libertad, Februar 1937)

Emile Pouget schrieb 1906 (Almanaque de la Revolución): „Revolutionen sind nur dann möglich und wirksam, wenn Arbeiter und Bauern an der Bewegung beteiligt sind. Wenn dagegen nur eine dieser Gruppen in Bewegung ist, seien es die Bauern oder die Arbeiter, wird die Bewegung scheitern.“

Mehr als unter allen anderen Umständen wurde diese Notwendigkeit der Vereinigung von Bauern und Arbeitern durch die gewerkschaftliche/syndikalistische Propaganda betont.

Bisher hat die Entwicklung der spanischen sozialen Revolution eine bemerkenswerte Synchronität zwischen den kollektivistischen Aktionen in den Städten und auf dem Land gezeigt, und es gab keine Opposition, wie sie in der russischen und ungarischen Revolution existierte. Das heißt aber nicht, dass sie morgen nicht doch noch auftauchen könnte, und die spanischen Gefährten müssen unbedingt wie bisher ihre Bemühungen fortsetzen, ein intelligentes Gleichgewicht zwischen Stadt und Land aufrechtzuerhalten.

Der erste antagonistische Konflikt zwischen Stadt und Land während der Revolution kommt von der dringenden Frage der Versorgung. Spanien hatte einen großen Vorteil: eine gewisse Autonomie gegenüber ausländischen Ländern. Jetzt fängt Spanien aber an, Schwierigkeiten zu haben, das Problem der Versorgung der Städte zu lösen. Und dieses Problem könnte immer schwieriger werden.

Unter den Massen der Arbeiter in den Städten zeigen sich zwei Tendenzen: erstens die Zwangsbeschlagnahme, dann eine friedlichere und rationalere Lösung.

Die Zwangsbeschlagnahme ist ein großer Fehler. Das zeigt die ganze Geschichte der Revolutionen. Die französische Revolutionsregierung von 1793 versuchte, die „harte” Methode anzuwenden, und die Ergebnisse waren katastrophal: Am 11. April 1794 ordnete das Komitee für öffentliche Sicherheit die Beschlagnahme von jedem achten Schwein an. Der Besitzer musste es so lange halten, bis es sein maximales Gewicht erreicht hatte. Es gab einen großen Aufwand an Rundschreiben und Maßnahmen zur Kontrolle, Bezahlung, Aufbewahrung, Zentralisierung usw. Als der Kommissar einige Monate später kam, um das Tier abzuholen, fand er nur noch ein Skelett oder ein Schwein vor, das mehr tot als lebendig war.

Die Russische Revolution ist ein jüngeres Beispiel für die katastrophalen Auswirkungen einer Politik der Zwangsbeschlagnahmung. Sie bestätigt voll und ganz die Vorhersagen von Kropotkin in „Die Eroberung des Brotes”: „Wenn die Revolution ausbricht, werden die russischen Bauern das Brot für sich und ihre Familien behalten.” Die Bolschewiki selbst haben den Fehler der Zwangsbeschlagnahmung auf dem Provinzkongress der Sowjets 1919 in Moskau eingestanden. Die Ergebnisse der Versorgungsaktionen waren echt schlimm: Chaos, Verschwörungen, Bauernaufstände (Lunivsk, Paulovsk, Mokoovsk, Bielieh, Ponikolsk usw.), gewaltsame Unterdrückung, schlechte ökonomische Ergebnisse. Die verängstigten Bauern säten weniger. Auch der Viehbestand ging stark zurück. Reiche Gebiete wie Tambow litten unter Mangel.

Die Politik der Beschlagnahmungen bremste den revolutionären Elan auf dem Land komplett. Emma Goldman erzählt eine Anekdote, die die miserablen Lebensbedingungen der Bauern deutlich macht: Eine Gruppe von Bauern kam eines Tages zu Lenin, um über ihr Schicksal zu sprechen.

„Gott schütze euch“, sagte der älteste der Bauern.

„Bist du nicht glücklich, mein Freund? Ihr habt Land, Kühe, Hühner, was wollt ihr mehr?”, antwortete Lenin.

„Gott sei Dank, wir haben Land, aber ihr nehmt uns den ganzen Mais weg; wir haben Hühner, aber ihr nehmt uns die Eier weg, wir haben Kühe, aber unsere Kinder haben keine Milch. Deshalb, mein Freund, bitten wir dich, uns zu helfen.”

Die Aufhebung der Beschlagnahmung, die von den Matrosen von Kronstadt am 1. März 1921 erneut gefordert wurde, wurde erst am 12. März von Lenin bei der Eröffnung des X. Kongresses der Kommunistischen Partei verkündet, als Trotzki Kronstadt im Würgegriff hatte.

Es bleibt noch die Beschaffung landwirtschaftlicher Produkte zu untersuchen. Auch hier bietet die Französische Revolution wichtige Beispiele für die Gefahr, die von der Verwendung von Geld, das von den Bauern abgelehnt wird, und von zu niedrigen Preisen ausgeht.

Wenn 1793 auf dem Land eine Hungersnot in den großen Städten ausbrach, dann lag das nicht am Rückgang der Getreideproduktion, sondern daran, dass die Bauern die Schuldscheine ohne jegliche Golddeckung ablehnten. Es wäre falsch zu glauben, dass nur die reichen Bauern sich weigerten, ihre Produkte zu verkaufen. Auch die Kleinbauern waren dagegen, die Früchte ihrer Arbeit gegen diese Schuldscheine einzutauschen, worüber Kropotkin in „Die große Revolution” Folgendes sagt:

„Solange man den Bauern ein wertloses Stück Papier anbot, änderte sich nichts an der Situation. Die Lebensmittel blieben auf dem Land, auch wenn man zur Guillotine griff.“

Die Politik der Preisbindung hatte keine besseren Auswirkungen: Die Lebensmittel wurden knapp. Die Nationalversammlung senkte die Einzelhandelspreise per Dekret (29. September 1793) und ging davon aus, dass die Großhandelspreise folgen würden. Der Großhandel kam zum Erliegen, ebenso wie der Handel.

Die Russische Revolution bietet weitere Beispiele. Als die Gewalt keine Ergebnisse brachte, begann die bolschewistische Regierung, landwirtschaftliche Produkte aufzukaufen, machte dabei aber einen neuen Fehler. Der Preis war zu niedrig. Wie im Fall von Mais, dessen Preis nur geringfügig über dem Preis vor der Revolution lag, während die Preise für Industrieprodukte um das Dreißig- bis Vierzigfache gestiegen waren.

Wir haben gesehen, dass weder Zwangsbeschlagnahmungen noch Schuldscheine gute Ergebnisse gebracht haben. Es bleibt nur noch der Tausch von Industrieprodukten gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Kropotkin hat diese Lösung in „Die Eroberung des Brotes” als sehr effektiv dargestellt, obwohl ein Mitarbeiter der Zeitschrift von Malatesta (Carlo Molasehi in „Pensiero e Volonta”, Rom, 1. Januar 1925) sie als „unbekannt” ansieht. Dazu schrieb er in „Lotte Umana” von Fabbri (Paris, März 1928): „Als Kropotkin schrieb, dachte er an die Fackel, die das Paraffinlicht ersetzen würde, an die Schaufel, die den Pflug ersetzen würde, usw.” Heute ist der Bedarf der Bauern an landwirtschaftlichen Maschinen relativ, und in bestimmten Gebieten und für bestimmte Anbauformen sind sie unbrauchbar. Sie haben viele praktische Dinge und brauchen nicht mehr alles. Nur wenige Bauern würden ihren Mais gegen eine Gemüsereinigungsmaschine eintauschen. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Bedürfnisse der Bauern steigen und die Industrie die Produktion von Luxusgütern aufgibt. „Folglich werden die Bauern in Geld bezahlt, in Bargeld mit anerkanntem Gewicht und Wert.“

Luigi Fabbri fügte eine Anmerkung hinzu, in der er feststellte:

„Wenn die Mentalität der Bauern so rückständig ist, dass sie Geld verlangen, sollte man sich überlegen, wie man dieser Forderung nachkommen kann. Es ist eine Hypothese, die aus guten Gründen die Anarchisten verletzt, die alles in ihrer Macht Stehende tun müssen, durch Propaganda und die Erforschung anderer Mittel, um eine solche Wahl zu vermeiden. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass diese Wahl aus anarchistischer, revolutionärer, menschlicher und auch praktischer Sicht dem System der Zwangsmaßnahmen und autoritären Beschlagnahmungen vorzuziehen ist.“

Wie man sieht, schloss Fabbri die Beschlagnahme aus und lehnte Geld nicht ab, ging aber nicht auf das Problem ein. In meinem Artikel „Die Anarchisten und das System der Aufteilung in landwirtschaftliche Kleinbetriebe” (La Revista Blanca, 15. November 1932) schrieb ich, nachdem ich mich für die Verwendung von Geld im Handel zwischen Stadt und Land ausgesprochen hatte:

„Natürlich ist ein System des Austauschs von Waren, Arbeit und Transportmitteln immer als integriertes Element des Kauf- und Verkaufssystems möglich.” Wenn die Gemeinden oder die Gewerkschaften/Syndikate oder beide zusammen als Vermittler zwischen den Kleinbauern und den landwirtschaftlichen Genossenschaften sowie zwischen diesen und den Industriearbeitern fungieren würden, könnten sie diesen Austausch ohne Geld erleichtern.

Ein lokaler Rat, der die Brotproduktion organisiert hat, will zum Beispiel Mais bekommen. Er geht zu den Bauern und bietet ihnen für ihre Arbeit Mais an, den die Baugenossenschaft liefert, die wiederum vom Stadtrat die nötigen Materialien bekommt. Man könnte unzählige Beispiele finden.

Damals hatte ich einen grundlegenden Aspekt des Problems übersehen: die Übereinstimmung zwischen den Preisen der Fabriken und der Kaufkraft und dem Kaufwunsch der Bauern. Der Warenaustausch zwischen Stadt und Land ist eine ideale Form, die nicht immer erreichbar ist. Er ist einer der Schwachpunkte der sozialistischen Ökonomie. In der Russischen Revolution war er einer der Hauptfaktoren für den Übergang von der SEP (Sozialistische ökonomische Politik) zur NEP (Neue Wirtschaftspolitik).

Die Koordination zwischen der städtischen und der agrarischen Ökonomie ist viel schwieriger, als die Sozialisten annehmen. Die Ablehnung der katalanischen Bauern gegenüber den Tauschvorschlägen der Holzgewerkschaft von Barcelona ist ein typisches Beispiel dafür. Die Bauern brauchen in der Regel Saatgut, chemische Düngemittel und landwirtschaftliche Maschinen, und erst später bringen ökonomischer Wohlstand und geistige Entwicklung den Wunsch nach Komfort, ästhetischen und Luxusgütern mit sich.

Die städtische Gesellschaft muss also auf diese Möglichkeiten und die Vorlieben der Bauern eingehen, wenn sie es vermeiden will, dass sich Stadt und Land antagonistisch entwickeln. Wie in der UdSSR, wo die Preise für landwirtschaftliche und industrielle Produkte so unterschiedlich sind, dass sie unterschiedliche Interessen schaffen und aufrechterhalten, was der Kernpunkt aller Variationen der bolschewistischen ökonomischen Politik ist und fast alle Aspekte der internen politischen Kämpfe erklärt.

Zusammenfassend muss ich sagen, dass die Anarchisten in den Städten sich weigern müssen, an Zwangsbeschlagnahmungen teilzunehmen, und diese sogar verhindern müssen, indem sie fordern, dass das Problem der Versorgung der Städte und Milizen durch eine gemeinsame Vereinbarung zwischen Bauern und Arbeitern über den Kauf landwirtschaftlicher Produkte gelöst wird, sei es mit einer stabilen Währung oder durch Tausch- und Kreditzertifikate.

Die Anarchisten, die auf dem Land leben, sollten gleichzeitig die Beschlagnahmung ablehnen und gegen alle Versuche des Kaufs und der Sabotage kämpfen und eine intensive Überzeugungskampagne zum Thema der Probleme der Städte, wie z. B. der Versorgung, durchführen, um die Einigung zwischen den Landarbeitern und den Arbeitern und Technikern der Städte zu erleichtern, um den Zusammenschluss zwischen städtischen und ländlichen Genossenschaften zu fördern und um alle spontanen Erfahrungen zu unterstützen, die darauf abzielen, die Geldmenge zu reduzieren. Harmonie zwischen Stadt und Land ist nur möglich, wenn die Fehler der UdSSR vermieden werden: Zwangsbeschlagnahmung, Zerstörung des Konsumgenossenschaftswesens, Zentralisierung der Verteilung, Erhöhung der Fabrikpreise, Übergang von der Unterdrückung zur Toleranz gegenüber Spekulanten, Geldentwertung usw.

Ich bin kein Prophet. Deshalb konnte ich einige ganz oberflächliche Ansichten sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft äußern. Ich halte es jedoch nicht für sinnlos, Pläne für die Beziehungen zwischen Stadt und Land vorzuschlagen, da dieses Problem unsere Aufmerksamkeit erfordert und eine gründliche und sorgfältige Untersuchung und Ausarbeitung verlangt. Diese Aufgabe überlasse ich denjenigen, die dafür kompetenter sind, da ich kein Ökonom bin.


Offener Brief an die Gefährtin Federica Montseny (14. April 1937)

Liebe Gefährtin!

Ich hatte die Absicht, mich an Euch alle, Gefährten Minister, zu wenden, als ich aber die Feder in die Hand nahm, schrieb ich spontan nur an Dich und ich wollte diesem instinktiven Drang dann nicht entgegenwirken.

Daß ich mit Dir nicht immer einverstanden bin – das wundert und ärgert Dich nicht und Du konntest Kritiken herzlich vergessen, die man fast immer leicht – weil ja menschlich – als ungerecht und übertrieben hätte betrachten können. Das ist für mich keine geringe Qualität und sie zeugt von der anarchistischen Natur Deines Geistes. Dies ist eine Sicherheit, die die ideologischen Eigentümlichkeiten wirkungsvoll ausgleicht – für mich als Freund gut verständlich -, die Du in Deinen Artikeln mit ihrem sehr persönlichen Stil und Deinen Reden mit ihrer bewundernswerten Redekunst oft zu erkennen gegeben hast.

Ich konnte die von Dir behauptetet Identität des bakunistischen Anarchismus und des föderalistischen Republikanismus Pi y Margalls nicht ruhig hinnehmen. Ich verarge Dir weiter geschrieben zu haben, daß „nicht Lenin, sondern wohl Stalin, ein tatkräftiger Mensch, der wahre Aufbauer Rußlands war“ und ich habe Volins Antwort in „Terre Libre“ auf Deine völlig falschen Behauptungen über die russische anarchistische Bewegung beigestimmt. (…)

In Deiner Rede vom 3. Januar sagtest Du:

„Die Anarchisten sind in die Regierung eingetreten, um zu vermeiden, daß die Revolution von ihrem Wege abkommt, um sie noch über den Krieg hinaus fortzusetzen und um jedem Versuch einer Diktatur entgegenzuarbeiten, von welcher Seite sie auch kommen mag.“

Nun, Gefährtin, wir finden uns im April – also nach drei Monaten des Experiments einer Kollaboration in der Regierung – einer Situation gegenübergestellt, die ernste Ereignisse beinhaltet, während noch ernstere sich schon abzeichnen.6

Dort, wo (wie z.B. im Baskenland, in der Levante und in Kastilien) unsere Bewegung nicht durch die Kräfte an der Basis aufgezwungen wird – d.h. also durch einen breiten gewerkschaftlichen/syndikalistischen Kader und die entscheidende Zustimmung der Massen -,drängt die Konterrevolution und droht damit, alles zugrundezurichten. Die Regierung sitzt in Valencia und eben aus Valencia kommen die Sturmgardisten, die die zur Verteidigung gebildeten revolutionären Kerne entwaffnen sollen. Man wird an Casas Viejas erinnert, wenn man an Vilanesa7 denkt. Es sind die Zivil- und Sturmgardisten die die Waffen aufbewahren; sie sind es auch, die die „Unkontrollierbaren“ (Bezeichnung für die Anarchistinnen und Anarchisten, die sich nicht der Regierung unterordnen wollten, Anm.) in der Etappe kontrollieren, die, mit Gewehren und Pistolen versehen, revolutionäre Kerne entwaffnen sollen. Und das geschieht zu einer Zeit, zu der die innere Front nicht liquidiert ist. Das findet im Laufe eines Bürgerkrieges statt, in dem alle Überraschungen möglich sind, und in Regionen, in denen die ganz nahe und äußerst gezackte Frontlinie nicht mathematisch zu bestimmen ist. Das schließlich, während eine politische Verteilung der Waffen ganz klar zutage liegt, die darauf abzielt, die aragonesische Front – diese bewaffnete Schutzwache der Landkollektivierung in Aragonien und den Ausläufern Kataloniens, diese spanische Ukraine – nur mit dem Unentbehrlichsten (wir wollen hoffen, daß sich dieses „Unentbehrlichste“ als genügend erweist) zu bewaffnen.

Du bist in einer Regierung, die Frankreich und England Begünstigungen in Marokko angeboten hat, während es schon im Juli 1936 nötig gewesen wäre die politische Autonomie Marokkos feierlich bekanntzugeben. Ich kann mir das vorstellen, wie Du als Anarchistin über diese so banale wie dumme Angelegenheit denken magst; ich glaube aber, daß die Zeit gekommen ist bekanntzugeben, daß weder Du noch die anderen anarchistischen Minister mit der Art und dem Inhalt solcher Angebote einverstanden sind.

Am 24. Oktober 1936 schrieb ich in „Guerra di Classe“:

„Marokko ist die Operationsbasis der faschistischen Armee. Es muß also die Propaganda zugunsten der marokkanischen Autonomie auf dem ganzen Gebiet des panislamischen Einflusses verstärkt werden. Madrid müssen eindeutige Erklärungen abgezwungen werden, die den Verzicht auf Marokko und den Schutz für ein selbständiges Marokko ankündigen. Voller Angst faßt Frankreich die Möglichkeit rückwirkender Aufstandsbewegungen in Nordafrika und Syrien ins Auge, während England sehen muß, wie die ägyptischen Autonomisten sowie die Araber in Palästina die Unruhe verschärft entfachen. Solche Sorgen müssen wir durch eine Politik ausnützen, die mit einer Entfesselung der Revolte in der islamischen Welt droht. Für eine solche Politik braucht man aber Geld und man muß dringend Sendboten zur Agitation nach allen Zentren der arabischen Auswanderung und allen Grenzgebieten des französischen Marokko schicken. An den Fronten Aragoniens, Mittelspaniens, Asturiens und Andalusiens genügen einige Marokkaner als Propagandisten (durch Funk, Flugblätter usw. )“

Selbstverständlich kann man nicht gleichzeitig die englischen und französischen Interessen in Marokko bewahren und ein Werk des Aufruhrs betreiben. Valencia betreibt Madrids Politik weiter. Diese muß aber verändert werden. Um sie zu verändern, muß man seine Meinung klar und laut aussprechen, da in Valencia Einflusse am Werk sind, die sich mit Franco abfinden wollen.

In „Le Populaire“ vom 3. März schrieb Jean Zyromski: „Offensichtliche Machenschaften zielen darauf ab, einen Frieden zu schließen, der in Wirklichkeit nicht nur die Einstellung der spanischen Revolution, sondern auch die Niederschlagung der durchgeführten Errungenschaften bedeuten wurde.

Weder Caballero noch Franco – so hieße die Formel, die eine Auffassung kurz zusammenfassen könnte, die wirklich vorhanden ist, und ich bin sogar Regierungskreisen in England und auch in Frankreich befürwortet wird.“

Durch diese Einflüsse und diese Machenschaften lassen sich verschiedene dunkle Punkte erklären – wie z.B die Untätigkeit der der Republik treu gebliebenen Flotte. Aus ihr folgen der Aufmarsch der Kräfte aus Marokko, die Seeräuberei der „Cananas und der Baleares“ und Malagas Einnahme. Und dabei ist der Krieg noch nicht aus! Ist Prieto unfähig und nachlässig, warum soll er weiter geduldet werden? Ist Prieto durch eine Politik gebunden, die ihn die Flotte lahmlegen läßt, warum soll diese Politik nicht denunziert werden?

Ihr anarchistische Minister, Ihr haltet beredte Reden und schreibt glänzende Artikel, mit Reden und Zeitungsartikeln gewinnt man aber nicht den Krieg, noch verteidigt man so die Revolution. Jener wird gewonnen und diese verteidigt, indem es möglich gemacht wird, von der Defensive zur Offensive überzugehen. Das Problem kann nicht dadurch gelöst werden, daß man Parolen – allgemeine Mobilmachung, Waffen für die Front, einheitliches Kommando, Volksarmee usw. – ausgibt. Das Problem wird gelöst, indem man das sofort durchführt, was durchgeführt werden kann.

„Depeche de Toulouse“ vom 17. Januar schreibt: „Die größte Sorge des Innenministeriums besteht darin, die Autorität des Staates über die Gruppen und Unkontrollierbaren jeder Herkunft wiederherzustellen.“

Wenn man monatelang versucht, die „Unkontrollierbaren“ zu vernichten, kann man das Problem der Liquidierung der „Fünften Kolonne“8 (HelferInnen der FaschistInnen im republikanischen Gebiet, Anm.) selbstverständlich nicht lösen. Die erste Bedingung für die Beseitigung der inneren Front ist eine Ermittlungs- und Repressionstätigkeit, die nur von erprobten Revolutionären durchgeführt werden kann. Eine Innenpolitik der Kollaboration zwischen den Klassen und der Schmeichelei gegenüber den Mittelklassen fuhrt unvermeidlich zur Toleranz den politisch zweideutigen Elementen gegenüber. Die Fünfte Kolonne besteht nicht nur aus Elementen, die zu faschistischen Verbänden gehören, sondern auch aus allen Unzufriedenen, die eine gemäßigte Republik wünschen. Eben diese Elemente nützen aber die Toleranz derer aus, die Jagd auf die „Unkontrollierbaren“ machen.

Die Liquidation der inneren Front war durch eine weitere und radikale Aktivität der von den CNT- und UGT-Gewerkschaften/Syndikate gebildeten Verteidigungskomitees bedingt. Nun erleben wir, wie zweideutige Elemente ohne Garantie einer politischen bzw. gewerkschaftlichen/syndikalistischen Organisierung die führenden Kader der Volksarmee durchdringen. Die Komitees und die politischen Delegierten der Milizen übten eine heilvolle Kontrolle aus, die heute durch das Vorherrschen der streng militärischen Aufrückungs- und Beförderungssysteme geschwächt wird. Die Autorität dieser Komitees bzw. Delegierten muß also verstärkt werden.

Wir erleben eine weitere neue Tatsache, die katastrophale Folgen nach sich ziehen kann – ganze Bataillone werden von Offizieren befehligt, die von den Milizsoldaten weder geschätzt noch geliebt werden. Was ja schlimm ist, da der Wert der meisten spanischen Milizsoldaten dem Vertrauen, das ihr eigenes Kommando genießt, direkt proportional ist. Es ist also notwendig, die direkte Wählbarkeit und das Absetzungsrecht für die von unten wiederherzustellen.

Es war ein großer Irrtum, die autoritären Formeln zu akzeptieren, nicht einmal, weil es solche von einem formellen Standpunkt aus waren, sondern weil sie riesige Irrtümer und politische Ziele enthielten, die mit den Erfordernissen des Krieges nichts mehr zu tun hatten.

Bei gelegentlichen Unterhaltungen mit italienischen, französischen und belgischen hohen Offizieren konnte ich feststellen, dass sie über die wirklichen Notwendigkeiten der Disziplin nachweislich eine viel modernere und rationellere Auffassung haben als gewisse Neo-Generäle, die Anspruch darauf erheben, Realisten zu sein.

Ich glaube, daß die Stunde gekommen ist, die konföderierte Armee zu bilden, wie die Sozialistische Partei ihre eigenen Truppen gebildet hat – das fünfte Regiment der Volksmilizen. Ich glaube weiter, daß die Stunde gekommen ist, das Problem des einheitlichen Kommandos zu lösen, indem man die Einheit des Kommandos tatsächlich verwirklicht, die es erlaubt, die Offensive auf der aragonesischen Front zu eröffnen. Ich glaube, daß die Stunde gekommen ist, Schluß mit den Tausenden von Zivil- und Sturmgardisten zu machen, die nicht zur Front gehen, weil sie gebraucht werden, um die „Unkontrollierbaren“ zu kontrollieren. Ich glaube, daß die Stunde gekommen ist, eine ernstgemeinte Kriegsindustrie zu schaffen. Und ich glaube schließlich, daß die Stunde gekommen ist, mit gewissen offenkundigen Absonderlichkeiten – wie z.B. derjenigen der Einhaltung der Sonntagsruhe und gewisser „Rechte“ für Arbeiter, die die Verteidigung der Revolution sabotieren – Schluß zu machen.

Vor allem muß ein hoher Kampfgeist erhalten werden. Louis Bertoni machte sich zum Interpreten der Gefühle verschiedener italienischer Gefährten an der Front bei Huesca, indem er vor kurzem schrieb: „Der spanische Krieg, jeden neuen Glaubens, jeden Gedankens einer sozialen Veränderung und jeden allgemeinen Sinnes beraubt, ist nur noch ein normaler Krieg für nationale Unabhängigkeit, der geführt werden muß, um die Ausrottung zu vermeiden, die durch die Weltplutokratie beabsichtigt wird. Er stellt außerdem eine furchtbare Lebensfrage dar, er ist aber nicht mehr ein Krieg für die Behauptung eines neuen Regimes und einer neuen Menschheit. Man wird zwar sagen, daß alles noch nicht verloren ist – in Wirklichkeit aber ist alles bedroht und eingeschlossen. Die Unseren sprechen der Sprache der Entsagung, dieselbe wie die italienischen Sozialisten, als der Faschismus heranrückte: Keine Provokationen! Ruhe und Heiterkeit! Ordnung und Disziplin – was praktisch das Gewährenlassen bedeutet. Und wie der italienische Faschismus schließlich gesiegt hat, so kann in Spanien der Antisozialismus mit republikanischem Gewand nur triumphieren, es sei denn, daß Ereignisse stattfinden, die unserer Voraussicht entgehen.“ (…)

Die Stunde ist auch gekommen, vom Standpunkt der Einheitlichkeit aus zu klären, welche Bedeutung unsere Teilnahme an der Regierung haben kann. Wir müssen mit den Massen sprechen und sie dazu auffordern zu beurteilen, ob Marcel Cachin Recht hat, wenn er in der „Humanite“ vom 23. März schreibt:  Die anarchistischen Verantwortlichen bemühen sich vielfach um Einheit und ihre Aufrufe finden immer mehr Gehör.“ … oder ob die „Prawda“ und die „Izwestia“ Recht haben, wenn sie die spanischen Anarchisten verleumden, indem sie sie Saboteure der Einheit schimpfen. Man muß die Massen dazu auffordern, über die moralische und politische Mitschuld der spanischen anarchistischen Presse zu richten, wenn sie über die Verbrechen der stalinschen Diktatur, die Verfolgung der russischen Anarchisten und die greulichen Prozesse gegen die leninistische und trotzkistische Opposition schweigt, ein Schweigen, das in den Verleumdungen der „Izwestia“ gegen „Solidaridad Obrera“ (Zeitung der CNT, Anm.) seinen verdienten Lohn erhält.

Man muß die Massen dazu auffordern, zu beurteilen, ob gewisse Sabotagevorfälle in der Lebensmittelversorgung nicht dem Plan angehören, der am 17. Dezember 1936 von der „Prawda“ angekündigt wurde: „Was Katalonien betrifft, so hat die Säuberungsaktion gegen trotzkistische und anarcho-syndikalistische Elemente begonnen; sie wird mit derselben Energie wie in der UdSSR durchgeführt werden.“

Die Stunde ist gekommen, sich darüber klar zu werden, ob die Anarchisten in der Regierung sitzen, um die Hüter eines ausglühenden Feuers zu sein, oder ob sie dort nur als Jakobinermützen von Politikern benutzt werden, die mit dem Feind bzw. den Kräften kokettieren, die „die Republik aller Klassen“ wiederherstellen wollen. Das Problem wird gestellt durch die Tatsache einer Krise, die weit über die Menschen hinausgeht, die sie persönlich darstellen und vertreten.

Das Dilemma: Krieg oder Revolution ergibt keinen Sinn mehr. Das einzige Dilemma ist folgendes: entweder Sieg über Franco dank dem revolutionären Krieg oder Niederlage.

Für Dich und die anderen Gefährten heißt das Problem, zwischen dem Versailles von Thiers und dem Paris der Kommune zu wählen, noch bevor Thiers und Bismarck eine heilige Allianz9 bilden.

Du sollst jetzt antworten, da Du das Licht unter dem Scheffel bist.


KRIEG UND REVOLUTION (21. April 1937)

Die spanische Republik entstand im April 1931 aus einer fast friedlichen Revolution. Ein spanischer sozialistischer Anführer meinte, dass diese Revolution „das Land nicht wirklich bewegt hat”. Die Leute waren von der Republik enttäuscht, weil sie keine soziale Stabilität brachte und den Bauern kein Land gab. Die von den Cortes beschlossene Agrarreform wurde von Projekt zu Projekt verschoben und nur in homöopathischen Dosen umgesetzt.

Im Oktober 1934 sprach ein andalusischer Bauer für Millionen seiner Leute, als er Bertrand de Joúvenel sagte: „Die Sozialisten hatten uns Land versprochen. Heute sagt man uns, dass die Umsetzung der Agrarreform eine sehr komplizierte Sache sei. Und wir arbeiten weiter wie immer für drei Peseten am Tag.”

Die Republik enttäuschte auch die breiten Massen in den Städten. Als Ernesto Toller einen katalanischen Arbeiter fragte, was er von der Republik halte, bekam er diese vielsagende Antwort: „Es ist immer noch derselbe Hund mit einem anderen Halsband.“

Eine Republik, die entschlossen gewesen wäre, die sozialen Bedingungen zu verbessern, wäre politisch so stark gewesen, dass sie keinen faschistischen Aufstand zu befürchten gehabt hätte.

Die Republik schützte die kapitalistischen Interessen nicht ausreichend und förderte auch nicht die Emanzipation des Proletariats. Sie war historisch gesehen Komplizin des Faschismus, weil sie hartnäckig versuchte, durch Regierungskoalitionen ein Gleichgewicht herzustellen, anstatt sich durch eine entschlossene sozialistische Politik zu festigen.

Als der faschistische Aufstand ausbrach, polarisierte die Republik alle Parteien und Avantgardeorganisationen politisch, nur weil sie frei von eindeutig reaktionären Unterwanderungen schien und als einziger Schutzwall erschien, hinter dem man sich gegen den Angriff der konservativen Kräfte behaupten konnte.

Anstelle der Regierung wurde der Staat akzeptiert. Dieser trat als Verbindungsorgan zwischen den verschiedenen Verteidigungsformationen und den neuen Verwaltungsorganen sowie als regulierendes Zentrum der verschiedenen politischen Kräfte der Linken auf.

Unter der scheinbaren Einheit gibt’s eine tiefe Spaltung. Auf der einen Seite waren die „Loyalen”, einfach Republikaner und mehr oder weniger progressiv. Ihnen nahestehend war die Sozialdemokratie, für die sich der Kampf zwischen Faschismus und sozialer Revolution auf einen Krieg zwischen Faschismus und Antifaschismus reduzierte. Auf der anderen Seite standen die Anarchisten und die proletarischen Eliten, die beide davon überzeugt waren, dass die „Parole” „den Krieg gewinnen” keinen anderen realen Sinn ergibt als das Erreichen eines unmittelbaren Ziels. Dieses Ziel zu erreichen, war für alle linken Parteien und Gewerkschaften/Syndikate eine lebenswichtige und absolute Notwendigkeit; es war auch eine Voraussetzung für den politischen und sozialen Fortschritt der Nation. Das heißt aber nicht, dass die soziale Revolution auf einen „Krieg zwischen Madrid und Burgos”, auf einen Krieg zwischen der Republik Azañas und der Regierung Francos beschränkt werden sollte.

Der „Krieg“ in Spanien ist ein „Bürgerkrieg“, also ein bewaffneter politischer und sozialer Kampf. Und das umso mehr, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um einen Kampf einfacher Fraktionen handelt, die wenig mit dem Leben der Massen zu tun haben. Das Ereignis hat nichts mit einem privaten Kampf zu tun. Ein Kampf zwischen den Anhängern Francos und denen Azañas hätte durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit einem „Krieg“ haben können. Dies ist jedoch nicht der Fall bei diesem bewaffneten Kampf, in dem die sozialen Errungenschaften Kataloniens, Aragoniens und der Levante auf dem Spiel stehen; bei diesem Kampf, der das gesamte Leben der Nation entsprechend der politischen und sozialen Ausrichtung der Sieger verändern wird; bei diesem Kampf, der nicht durch einen Truppenrückzug, sondern durch die Vertreibung der Besiegten beendet werden kann.

Die Natur und das Ausmaß des Konflikts, seine Entwicklungsformen und die unvermeidlichen Bedingungen seiner Lösung sind derart, dass die Aspekte des bewaffneten Kampfes denen eines „Krieges” entsprechen, sein Wesen jedoch das einer „sozialen Revolution” ist.

Das Proletariat kämpft gegen die Bourgeoisie, während die hohe Geistlichkeit und die Militärkasten ihm den Krieg erklären. Wie die Franzosen sagen: „Gold ist der Nerv des Krieges”.

Die ökonomische Last des Krieges kann nicht weiter von der Bourgeois getragen werden; sie muss daher auf einer „neuen Kriegsökonomie” lasten. Eine leistungsfähige „Kriegsindustrie” braucht als unverzichtbare Voraussetzung eine „Kriegsökonomie”, die, um eine echte Ökonomie zu sein, sich sowohl in ihrer Zielsetzung als auch in ihrer absoluten Daseinsberechtigung an den Bedürfnissen des Allgemeinwohls orientieren muss. Finanzielle und monetäre Probleme sowie verschiedene ökonomische Probleme können nicht „ökonomisch“ gelöst werden, ohne mit den Interessen bestimmter sozialer Schichten zu kollidieren.

Ich denke, dass die Vergesellschaftung der großen und mittleren Industriebetriebe eine „Kriegsnotwendigkeit” und eine unverzichtbare Schöpfung der „Kriegsökonomie” ist. Einige Antifaschisten sind davon genauso überzeugt wie ich, aber sie sind aus Prinzip keine Kollektivisten. Und wenn ich die „aktuelle Notwendigkeit” der Vergesellschaftung der großen und mittleren Industrie betone, werde ich die Meinung dieser Antifaschisten auf meiner Seite haben, die schließlich bereit sein werden, ihre Hilfe anzubieten.

Im Gegensatz dazu habe ich meine Zweifel an der ökonomischen Nützlichkeit der Vergesellschaftung der Kleinindustrie im Zusammenhang mit den „Kriegsnotwendigkeiten” und sehe mich gezwungen, mit den Gefährten zu diskutieren, die die industrielle Vergesellschaftung so weit wie möglich ausdehnen wollten.

Ich berufe mich auf meine „zentristische” Position. Auf der rechten Seite stehen die Gegner der Vergesellschaftung und auf der linken Seite diejenigen, die sie absolut und mit maximalistischen Tendenzen befürworten; ich befinde mich in der Mitte, zusammen mit allen Kollektivisten, die wie ich denken, und den einfachen Antifaschisten, die die Schaffung einer soliden Kriegsökonomie für unverzichtbar halten und glauben, dass die Vergesellschaftung der Schwer- und Mittelindustrie eine ihrer wichtigsten Grundlagen und Faktoren ist. Die zentristische Position berücksichtigt nicht nur die rein ökonomischen und aktuellen Gründe, die für eine Toleranz gegenüber der Kleinbourgeoisie sprechen, sondern auch psychologische Gründe.

Die russische Kleinbourgeoisie kämpfte von 1917 bis 1920 an der Seite des Proletariats; während des Ruhr-Aufstands im März-April 1920 hat sie sich am Kampf gegen Kapp und die Schwarze Reichswehr beteiligt; in Madrid und Katalonien hat sie sich im Oktober 1934 mit aktiver Aktivität am Aufstand beteiligt, ebenso wie am Aufstand in Asturien. Heute, wo wir gegen den Faschismus kämpfen, sollten wir uns daran erinnern, dass die Bauern, die von der gescheiterten Agrarreform enttäuscht waren, zwar nur schwach am sozialistischen Aufstand vom Oktober 1934 teilnahmen, die bewaffnete Intervention der Rabasaires 1936 aber einer der Hauptgründe für die Niederlage des Faschismus in Katalonien war.

Zwischen den offen konservativen Äußerungen von Largo-Caballero und bestimmten doktrinär maximalistischen Kritiken am Opportunismus der C.N.T. und der F.A.I. muss meiner Meinung nach ein fairer und angemessener Ausweg aus der rein rationalen Lösung der Probleme der „Kriegsökonomie” gesucht werden. Eine solche Einigung wird sicher nicht ausreichen, um eine Brücke zwischen uns und der P.O.U.M. auf der einen Seite und den Führungssphären der P.S.U.C. auf der anderen Seite zu schlagen. Aber sie kann eine ehrliche und funktionierende Verständigung zwischen allen echten Antifaschisten erleichtern und zweitens eine engere Zusammenarbeit zwischen allen aufrichtigen Sozialisten ermöglichen.


DIE KONTERREVOLUTION IM ANMARSCH (5. März 1937)

Azaña, der zusammen mit Zamora und Lerroux Mitglied der provisorischen Regierung der Republik war, sagte bei einer Kundgebung in Madrid im September 1930: „Wir werden die Freiheit erobern, indem wir alle antimonarchistischen Kräfte mobilisieren, egal wie sie heißen und wo sie sich befinden.“ Das war die Formel der ersten „heiligen Union“ (A.d.Ü., wieder ein Bezug auf die union sacrée). Diese Union nahm den Republikanismus als gemeinsamen politischen Nenner an. Im August 1931 glaubte sich die Republik stark genug, um die Abkehr der proletarischen Massen von der Regierung zu beschleunigen. Per Dekret wurden Anarchisten und Gewerkschafter/Syndikalisten in die Gefängnisse von Guinea deportiert. Am 20. Oktober 1931 stimmten die Cortes, einschließlich der sozialistischen Abgeordneten, für den Gesetzentwurf zur „Verteidigung der Republik”, der zur Repression der anarchosyndikalistischen Bewegungen angewendet wurde. Seit 1932 zeigt der Aufstand von Sevilla, dass der republikanische Faschismus eine größere Gefahr darstellt als die Wiederherstellung der Monarchie, aber Azaña erklärte in den Cortes zum Versuch von General Sanjurjo, dass die Republik nicht krank sei und dass sie „von den verstreuten Überresten des alten Regimes, die sie noch enthalten konnte, gesäubert” worden sei. Im Januar 1933 ordnete Azaña mit einem „Schuss in den Bauch” das Massaker an den Aufständischen von Casas Viejas an. Diese Tat wurde am folgenden 2. Februar von 150 sozialistischen Abgeordneten gebilligt. Im Februar 1936 verkündete Azaña in einem Interview mit Paris-Soír, dass Gil Robles und Lerroux beseitigt worden seien, und erklärte: „Vor allem wollen wir für Ordnung sorgen … Um es klar zu sagen: Wir wollen keine Revolution … Ich möchte im Rahmen der Legalität regieren. Keine gefährlichen Innovationen … Wir wollen sozialen Frieden, wir wollen Ordnung, wir sind moderat …”.

Nach dem Ausbruch des faschistischen Aufstands schlossen sich die sozialistische und die kommunistische Partei Azañas Formel vom September 1930 an: Verteidigung der demokratischen und parlamentarischen Republik. Und sie halten immer noch an dieser Position fest, die den Weg für die Konterrevolution ebnet.

Luis Pierard, Abgeordneter der Belgischen Arbeiterpartei, meinte kürzlich in Regards, dass „der Sozialismus in Katalonien vor dem 19. Juli so gut wie nicht existierte”. Die U.G.T., die damals in Katalonien 9.000 Mitglieder hatte, zählt heute 50.000. So ein schneller Anstieg ist echt bemerkenswert. Die U.G.T. zieht die Mittelklasse an. Die Fischverkäufer von Barcelona sind massenhaft beigetreten, um der Kollektivierung des Fischhandels zu entgehen, die im Plan der C.N.T. vorgesehen ist. Und was in Barcelona passiert, passiert auch in ganz Katalonien, in Aragonien und im Levante. Die Feinde der Kollektivierung von Land, Industrie und Handel sind massenhaft der U.G.T. und der P.S.U.C. beigetreten; Treball, das Organ der P.S.U.C., kämpft gegen die Kollektivierung, während die C.N.T. und die P.O.U.M. sie verteidigen. Der Zusammenhang zwischen dem opportunistischen Pragmatismus der Anführer der PSUC und der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie, die sich der Volksfront angeschlossen haben, ist natürlich offensichtlich. Schon während des Aufstands in Asturien konnte man das schnelle pseudo-revolutionäre Nachahmungsverhalten der hungernden Klasse beobachten. Als das Komitee von Mieres die Angestellten, Ingenieure, Vorarbeiter usw. aufrief, kam es zu folgendem Phänomen, das im „Tagebuch eines Bergarbeiters” beschrieben wurde, das von Gíustizia e Liberta veröffentlicht wurde: „Kaum war die Proklamation verlesen, stürzten sich die rechten Elemente darauf, sich unter unser Kommando zu stellen, und stritten sich sogar untereinander, um der Erste zu sein. Verdächtiger Übereifer. Sie sind die ersten, die mit erhobener Faust grüßen … Und die die Revolution besingen, wenn sie den Arbeitern begegnen. Dafür bekommen sie Lebensmittelrationen, Tabak und andere Produkte, manchmal sogar mehr als die Revolutionäre selbst. Die Proletarier sind unvorsichtig und großzügig wie Kinder …”

Auch die Bourgeois zeigen Geschick und Heuchelei, „vor allem, wenn ihr Leben auf dem Spiel steht“. Nach dem 19. Juli ist in Katalonien, Aragonien und Levante das gleiche Phänomen zu beobachten.

Als die Kommunistische Partei Spaniens im August 1936 ein von Jesús Hernández unterzeichnetes Manifest veröffentlichte, in dem sie erklärte, nur für eine demokratische Republik zu kämpfen, und als dieselbe Partei diese Linie am 15. Dezember desselben Jahres bestätigte, war das nicht nur, um die ausländische Plutokratie und die „demokratischen Regierungen” zufrieden zu stellen, sondern auch, um die Tausenden von Pseudo-Neophyten zu beruhigen, die sich in ihre Reihen und in die der U.G.T. eingeschlichen hatten. Sogar die Juventudes Socialistas Unificadas (Vereinigten Sozialistischen Jugendorganisationen) haben sich vom Sozialismus abgewendet. Der Generalsekretär Santiago Carrillo sagte auf dem Nationalkongress der JSU in Valencia am 15. Januar 1937: „Wir kämpfen nicht für die soziale Revolution. Unsere Jugend ist weder sozialistisch noch kommunistisch. Die JSU ist keine marxistische Jugendorganisation.” Jetzt unterstützte das Organ der JSU diese These und lehnte die Richtlinien und klassenbewussten Parolen ab.

Die konterrevolutionären Aussagen von Juan Casanovas – La Dépéche de Toulouse, März 1937 – stimmen mit denen von Comorera überein, einem bekannten Militanten der PSUC, der sie im vergangenen Dezember gemacht hat. Die Elemente der Generalitat, die im Oktober 1934 den faschistischen Autonomieputsch unter der Führung des Triumvirats Badia, Dencás und Méndez unterstützt haben, sind nicht verschwunden. Ein weiterer Beweis dafür sind die Aussagen von Nicolau d’Olwer. „La Acción Catalana”, der rechte Flügel der PSUC, Galarza und Konsorten: Das sind die Kräfte der Konterrevolution.

Die spanische Revolution „ist zwischen Burgos und Bilbao gefangen, wo Katholiken, Marxisten und Republikaner ihre „heilige Union” noch stärker und besser verknüpfen, indem sie die C.N.T. im Norden suspendieren und das Regionalkomitee der C.N.T. inhaftieren. Sie ist zwischen Burgos und Valencia blockiert, wo die anarchistische Zeitung Nosotros verfolgt und 218 Mitglieder der F.A.I. und der Juventudes Libertarias inhaftiert werden. Sie ist zwischen Burgos und Almería in die Enge getrieben, wo der Cacique Morón einen der heldenhaftesten antifaschistischen Kämpfer, Francisco Maroto, in Haft hält.

Das Profil von Noske zeichnet sich in düsteren Tönen ab. Der monarchistisch-katholisch-traditionalistische Faschismus ist nur einer der Bereiche der Konterrevolution. Das muss man sich vor Augen halten. Das muss man sagen. Man darf sich nicht auf die Manöver dieser großen „Fünften Kolonne” einlassen, die während der sechs Jahre der Spanischen Republik ihre ganze Hartnäckigkeit und ihr schreckliches Mimikry unter Beweis gestellt hat.

Der Bürgerkrieg in Spanien wird an zwei politisch-sozialen Fronten ausgetragen. Die Revolution muss an diesen beiden Fronten siegen. Und sie wird siegen.


Interview in Spain and the World (Februar 1937)

Die erste Frage, die wir Camillo Berneri stellen, dreht sich um die militärische Lage, wie er sie sieht.

„Ich habe keine besonderen Kenntnisse in Militärtechnik”, sagt er, „aber ich kann ihnen meine Eindrücke von der Front in Huesca schildern, die ich gut kenne, weil ich dort als einfacher Milizionär, als politischer Delegierter der „italienischen Sektion” der Columna Ascaso und jetzt als Delegierter im Verteidigungsrat tätig war. Ich habe den Eindruck, dass die Miliz große Fortschritte gemacht hat. Am Anfang war ein großer Mangel an Erfahrung im Kampf gegen moderne Kriegsmaschinen zu spüren: Zum Beispiel wurde Zeit damit verschwendet, auf hoch fliegende Flugzeuge zu schießen, automatische Waffen wurden zugunsten der Waffen vernachlässigt, mit denen die Kameraden vertraut waren; das Problem der Straßen wurde vernachlässigt; es gab zu wenig Munition; die Verbindung zwischen den verschiedenen Waffen und Einheiten war schlecht und manchmal überhaupt nicht vorhanden.“

„Im Moment haben die Milizionäre von den Erfahrungen der letzten sechs Monate profitiert, der Transport wird besser organisiert, die Straßen werden repariert, die Ausrüstung ist reichlicher vorhanden und besser verteilt, und in den Köpfen der „Kolonne” setzt sich die Idee durch, dass die Führung koordiniert werden muss.“

„Wir bilden Divisionen, und das wird den ökonomischen Plan des Krieges vervollständigen, und die bekanntesten Vertreter der CNT und der FAI sind zu seinen Befürwortern geworden. Tatsächlich waren es diese beiden Organisationen, die als erste eine gemeinsame Führung vorgeschlagen haben, um entscheidenden Druck auf die Schwachstellen der feindlichen Linien auszuüben, den Druck des Feindes auf die belagerten Städte zu verringern und ungünstige Manöver und Konzentrationen zu verhindern.“

„Wir sehen also, dass die Militarisierung auch etwas Gutes hat.“

„Sicher“, antwortete Berneri überzeugt, „aber man muss unterscheiden: Auf der einen Seite steht der militärische Formalismus, der nicht nur lächerlich, sondern auch nutzlos und gefährlich ist, und auf der anderen Seite steht die Selbstdisziplin. Letztere kann extrem streng sein, wie im Fall der Columna Durruti. Militärischer Formalismus findet sich zum Beispiel in bestimmten Kolonnen, die von der Arbeiterpartei der Marxistischen Vereinigung (POUM) kontrolliert werden. Wenn man behauptet, wie es im Pflichtenkodex der Kolonne Uribarri steht, dass „der Soldat, der richtig zu grüßen weiß, auch zu kämpfen versteht“, begeht man eine Dummheit, die an Friedrich II. oder Peter den Großen erinnert.“

„Ich bin für einen vernünftigen Mittelweg: Wir sollten weder in militärischen Formalismus noch in abergläubischen Antimilitarismus verfallen. Wenn wir die Reformen akzeptieren und umsetzen, die uns die Natur der Dinge auferlegt, werden wir mit denselben Mitteln in der Lage sein, den Manövern Madrids und Moskaus zu widerstehen, die unter dem Vorwand der Militarisierung versuchen, ihre militärische Vorherrschaft über die spanische Revolution zu etablieren, um sie zu einem Instrument ihrer politischen Vorherrschaft zu machen.“

„Ich persönlich halte es für falsch, wie es einige Vertreter der CNT-FAI tun, von einer globalen oder „obersten” Führung zu sprechen, anstatt von einer einheitlichen Führung. (Das heißt, von der Koordinierung in Bezug auf die Kontrolle des bewaffneten Kampfes). Ihre Absichten sind gut, aber die verwendeten Begriffe führen zu gefährlichen Verwirrungen.“

„Daher wären meiner Meinung nach folgende Reformen in der Miliz notwendig: eine klare Trennung zwischen militärischer Führung und politischer Kontrolle im Bereich der Vorbereitung und Durchführung von Kriegshandlungen; die strikte Befolgung der erhaltenen Befehle, aber die Wahrung bestimmter Grundrechte: das Recht, Offiziere zu ernennen und zu degradieren.”

An dieser Stelle kam uns folgende Frage in den Sinn: „Was denken Sie über die innenpolitische Lage in Bezug auf die Position der CNT und der FAI?“

„Die Notwendigkeit einer Heiligen Allianz aller antifaschistischen Kräfte hat die spanischen Anarchisten dazu gebracht, viele ihrer früheren Feinde als „Kameraden“ zu betrachten und einen Teil der Regierungsverantwortung aus ihrer Hand anzunehmen. Es ist nicht einfach, eine genaue Bilanz der Gewinne und Verluste zu ziehen, die sich aus dieser Erfahrung ergeben, aber ich glaube, dass wir heute genug Infos haben, um die russisch-bolschewistische Unterwanderung im militärischen und technischen Bereich zu bewerten und uns darüber zu sorgen, was zu den diktatorischen Absichten der marxistischen Parteien hinzukommt. In diesem letzten Punkt ist eine gewisse Schwächung der CNT zu beobachten, und die Situation ist gefährlich. Aber ich hoffe, dass wir sie erfolgreich überwinden werden, denn unter den spanischen Anarchisten mangelt es nicht an Menschen, die klar sehen und die Notwendigkeit verstehen, so schnell wie möglich auf den richtigen Weg zurückzukehren.”

Und schreitet die Kollektivierung voran?

„Sie schreitet in gewissem Maße voran, wie Sie selbst feststellen konnten. Man muss schon ziemlich ignorant und böswillig sein, um, wie es einige abtrünnige Kommunisten tun, von einem „Stillstand“ der sozialen Revolution in Spanien zu sprechen oder die spanischen Anarchisten als „konservativ“ darzustellen (gerade jetzt, wo sich die Kollektivierung in Regionen wie Levante und Katalonien, wo die Anarchisten den größten Einfluss haben, ausbreitet und verstärkt).

Wenn es eine konservative Fraktion innerhalb der Linken gibt, dann besteht sie zweifellos aus den Rechten der spanischen Sozialdemokratie und den orthodoxen Organisationen des russischen Bolschewismus. Für uns ist der Kampf ein Kampf zwischen Faschismus und libertärem Kommunismus. Für die „Gemäßigten” geht es einfach um die Verteidigung der Demokratie. Aber auch wenn die politischen Ziele unterschiedlich und gegensätzlich sind, bringt der Schlachtplan alle Fraktionen der Linken zusammen. Die wichtigste Frage ist, ob die ‚Kameraden‘, die gegen die soziale Revolution sind, diese so weit einschränken werden, dass sie ihr Versprechen brechen.”

Der Kamarad Berneri wollte uns gerade verlassen, und wir stellten ihm schnell eine letzte Frage: „Was denken Sie über das Verhalten der Volksfrontregierung in Frankreich in Bezug auf die Interventionspolitik Roms und Berlins?“

„Es ist ebenso feige wie dumm. Die Faschisten haben Port-Bou, einen internationalen Bahnhof, bombardiert, und die französische Regierung hat den Zugverkehr in diese Richtung eingestellt! Ein weiteres Flugzeug der Air France wurde beschossen, und kein französisches Flugzeug wird mehr die Pyrenäen überqueren! Jetzt kümmert sich Frankreich darum, die Antifaschisten daran zu hindern, nach Spanien zu kommen, um dort zu kämpfen, während die Regierungen von Hitler und Mussolini weiterhin Männer, Waffen, Flugzeuge und Munition an die faschistischen Kräfte schicken. Eine vernünftige Politik zur Unterstützung der spanischen Regierung hätte es den antifaschistischen Milizen ermöglicht, die militärische Meuterei innerhalb weniger Tage zu beenden. Aber die französische Regierung glaubt immer noch, dass Neutralität möglich ist, obwohl sie damit die Dreierallianz von Hitler, Mussolini und Franco unterstützt. Nur eine breite und entschlossene Aktion der Bevölkerung in Frankreich und Großbritannien kann die jeweiligen Regierungen dieser Länder dazu bringen, sich weniger absurd zu verhalten.“


Die letzten Tage

In einem Brief an seine Frau schrieb er am 25. April 1937:

„Ich, der ich im Allgemeinen keine Angst vor Gefahren habe, werde manchmal von einer Todesangst erfasst, ohne dass es dafür einen besonders objektiven Grund gibt.“

In der Nacht vom 3. auf den 4. Mai schrieb er an seine Tochter Mane-Louise:

„Was tun die Kommunisten auch hier für Unheil! Es ist fast zwei Uhr, und ich gehe jetzt schlafen. Das Haus ist heute Nacht in Alarmbereitschaft. Ich habe angeboten, wach zu bleiben, damit die anderen schlafen können, und alle haben gelacht und gesagt, ich würde nicht einmal die Kanone hören! Aber dann sind sie einer nach dem anderen eingeschlafen, und ich passe auf sie alle auf, während ich für die arbeite, die noch kommen werden. Das ist das einzig wirklich Schöne. Absoluter als die Liebe und wahrer als die Realität selbst: Was wäre die Menschheit ohne dieses Pflichtgefühl, ohne dieses Gefühl der Verbundenheit mit denen, die waren, mit denen, die fern sind, ignoriert, verloren? Manchmal denke ich, dass dieses messianische Gefühl nichts anderes als eine Flucht ist, nichts anderes als die Suche und der Aufbau eines Gleichgewichts, einer Stabilität, die uns sonst in Chaos oder Verzweiflung stürzen würde. Was auch immer es ist, sicher ist, dass die intensivsten Gefühle die menschlichsten sind.

„Man kann die Illusionen über alles und jeden verlieren, aber nicht über das, was man mit seinem moralischen Gewissen bekräftigt. Wenn es möglich wäre, Bilbao mit meinem Leben zu retten, würde ich keinen Moment zögern. (…)

„Alles, was ich oben gesagt habe, klingt für jemanden, der nicht hier lebt, ein bisschen lächerlich. Aber vielleicht werdet ihr es eines Tages verstehen, wenn ich euch von diesen Monaten erzählen kann.“


1937-1977: Vier Jahrzehnte ohne Geschichte. Die blutigen Tage von Barcelona – Die OGPU in Spanien

Der Pariser Verlag Spartacus veröffentlichte einige Monate nach diesen Ereignissen die Broschüre von Marcel Ollivier „Die blutigen Tage von Barcelona – Die GPU in Spanien“ (1976 zusammen mit anderen unter dem Titel „Spanien – Die Totengräber der sozialen Revolution“ neu aufgelegt).

Inwieweit korrigieren oder unterstreichen historische Forschungen und die Veröffentlichung verschiedener Augenzeugenberichte die Untersuchungen und Interpretationen von Ollivier?

Es ist bemerkenswert, dass die meisten Historiker Jahr für Jahr anerkennen, dass diese Frage gründlich untersucht werden muss: Orwell 1938 in „Hommage an Katalonien” (ein Bericht von Augenzeugen und eine grundlegende Studie); Burnett Bolloten in „The Grand Camouflage [Die große Täuschung]”; César Lorenzo in „Les Anarchistes espagnols et le pouvoir“; und man fragt sich, ob sich seitdem etwas geändert hat, da Carlos Semprun Maura 1974 in „Revolution et contre-révolution en Catalogne“ Olliviers Beweise ausgiebig nutzt.

Auf Olliviers Frage: „Gab es tatsächlich eine Anweisung?”, die er nur teilweise beantwortete, können wir heute mit Nein antworten. Und das gilt für beide Antagonisten.

H. Thomas erklärt zu Recht, dass die Kommunisten und ihre katalanischen nationalistischen und bourgeois-republikanischen Verbündeten, wenn sie den Anarchismus und den heterodoxen Marxismus angreifen und vernichten wollten, ihre Divisionen vertrieben hätten, wie sie es im August 1937 in Aragon getan haben, um den Autonomismus und die Arbeiterkontrolle zu unterdrücken.

Andererseits hätten die Anarchisten und die POUM, wenn sie die Kommunisten in Barcelona und Katalonien auslöschen wollten, als erste Maßnahme deren Divisionen vertrieben; und vor allem hätte es eine Reihe systematischer Zwischenfälle in ihren Hochburgen (d. h. in allen Industriestädten und den meisten Dörfern) gegeben. In Lérida, wo die POUM besonders stark war, in Hospitalet de Llobregat, Cornellá, Badalona, Mataró, den Vororten von Barcelona mit FAI-Gruppen, die für ihren Aktivismus bekannt waren, ist aber nichts passiert.

Außerdem hatten die Arbeiter von Barcelona, die CNT und die POUM trotz der Propaganda über die in der Reserve zurückgehaltenen Waffen kaum Waffen und Munition (siehe Orwell). Was die von der CNT-FAI kontrollierten Munitionsfabriken und die von den Anarchisten betriebenen Artillerieanlagen von Montjuich betrifft, so weigerte sich die CNT-FAI, diese einzusetzen, und nutzte sie nur, um während der Verhandlungen Druck auszuüben (Abad de Santillán, „Por que perdimos la guerra” [Warum wir den Krieg verloren haben], 1940). Es wurden nur fünf Panzerwagen – der Begriff ist genauer als „Panzer” – eingesetzt, um … das Hauptquartier der CNT-FAI zu schützen (nicht um die Telefonzentrale zu verteidigen!), wie Souchy in „La semana trágica de mayo” (Die tragische Woche im Mai), 1937, schreibt.

Die Kommunisten lehnen diese Interpretationen strikt ab, und wenn der Begriff „anarchistischer und trotzkistischer Putsch” von 1960 (Maidanik, „Ispanski proletariat v natsionalnoe revoliutsonnoe voine”) bis 1977 (Vidiella, in „Historia 16”) automatisch verwendet wurde, so gibt es auch hier eine Entwicklung. Während den Agenten Francos nach den Beweisen von Von Faupel, dem Nazi-Botschafter bei Franco (Botschaft vom 13. Mai 1937, die Unruhen in Barcelona seien von seinen Agenten provoziert worden, in den deutschen politischen Archiven), stets eine schwere Verantwortung zugeschrieben wird, sprechen jetzt Carrillo in „Demain l’Espagne”, 1974, und vor allem Viviella im April 1977 von „den internen Widersprüchen in den sowjetischen Revolutionsprozessen. … übertragen auf die internationale Ebene”, und – über die Ermordung des POUM-Führers Andrés Nin – war es ein „Mord”. Aber ich würde behaupten, dass weder die Kommunistische Partei Spaniens noch die PSUC – die Kommunistische Partei Kataloniens – etwas damit zu tun hatten”. Ein Satz von Vidiella, der umso überraschender ist, als er auf derselben Seite behauptet, dass sowjetische Agenten „überhaupt nicht” eingegriffen hätten.

Olliviers chronologische Beschreibung ist nach wie vor korrekt, aber es gibt Lücken für den 5. Mai, da die Morde an Berneri und Barbieri sowie an dem Kommunisten Sese nicht erwähnt werden. Dagegen ist die Ablehnung der Hilfe der anarchistischen Divisionen und der POUM-Sektionen durch die Anführer der CNT absolut richtig. Zu diesem Punkt, der von den Kommunisten und ihren bourgeoisen Verbündeten so oft betont wurde, muss man hinzufügen, dass die katalanische Regierung am Tag nach den Unruhen, dem 4. Mai, die Alpenmilizen einsetzte (was Manuel Cruells in seinem berühmten, aber unvollständigen Buch „Mayo Sangriento” (Blutiger Mai, 1969) erwähnt), die in aller Eile einberufen worden waren (siehe „Serra d’Or”, Sonderausgabe über den katalanischen Tourismus von 1976), und damit die Front verließ.

Was die Beschreibung der Kommunisten angeht, so hat sie ebenso wie die Rolle der UdSSR eine Entwicklung durchlaufen. Maidanik gab 1960 eine erste Version (damals zeigte Orwell die Widersprüche der englischen kommunistischen Zeitungen auf): Die Wachen wurden von Provokateuren und Ausgestoßenen der Telefonzentrale angegriffen, aber an den Kämpfen waren 1.000 Mitglieder der POUM und 6.000 der CNT, der FM und der Juventudes Libertarias beteiligt. Im Levante und in Madrid „schloss sich die CNT nicht einer gemeinsamen Sache an”.

Zwei Jahre später fügte Pritsker in „Podvik ispanskoy respubliki” den „Beweis” aus den Nazi-Archiven über Francos Agenten hinzu (offensichtlich ging es darum, Hitler zu beeindrucken). Der ehemalige sowjetische Botschafter beim Nicht-Interventionskomitee in London, heute Dekan der sowjetischen Hispanistik, ist der originellste dieser kommunistischen Historiker, da er in „Carnets espagnols (1964-1966)“ behauptet, dass der Putschist die Wachen entwaffnete und die Telefonzentrale besetzte. General Batov, Militärberater in Spanien (von Lukas an der Aragon-Front im Februar 1937, wo er gleichzeitig mit Gustav Regler und Lukas, der starb, durch ein Geschoss schwer verletzt wurde), schrieb in „Unter der Flagge des republikanischen Spaniens” (russisches Original von 1965), dass der Putsch „von den Arbeitern der Fabriken und Unternehmen Barcelonas niedergeschlagen wurde”. Schließlich lesen wir 1971 in „Krieg und Revolution in Spanien” (Moskau, Band III, von einer Gruppe der Kommunistischen Partei Spaniens) über „die mangelnde Weitsicht von Aiguader” und die Neutralität der „konföderierten Arbeitermassen”. Es ist zu erwarten, dass uns die kommunistischen Historiker bis zum Jahr 2000 noch viele Details liefern werden.

Die Zahl der Opfer dieser Tage belief sich laut Ollivier auf mehr als 800 Tote. Die meisten Autoren sprechen von 400 bis 500 Toten und 1.000 Verletzten. Souchy schreibt von 1.500 Verletzten und Maidanik von 950 Toten und 2.600 Verletzten (die Gruppe der spanischen KP sagt 500 und 1.000). In der Realität berücksichtigen diese Zahlen aber nicht die Repression, die nach diesen Tagen im Mai kam. Orwell behauptet, dass diese Zahlen höher sind als die Zahl der Opfer der Tage im Juli 1936 in Barcelona gegen die Truppen Francos. Thomas gibt unter Berufung auf anarchistische Quellen 500 Tote (von denen 200 Antifaschisten waren) und 3.000 Verletzte (innerhalb von zwei Tagen) an, was die Meinung von Orwell widerlegt.

Olliviers Schlussfolgerungen über „die Stärke der Anarchisten; die Unentschlossenheit ihrer Anführer” und die Stärkung der Bourgeoisie wurden damals von den „Los Amigos de Durruti” geteilt: In „Hacia una nueva revolución” (Barcelona 1937) schrieben sie: „Im Mai mussten wir die Revolution retten, wir waren die Einzigen, die der Situation gewachsen waren”.

Diese Schlussfolgerungen finden sich in identischer Form in den Werken aller Autoren, die die Revolution von unten befürworteten: José Peirats, Vernon Richards, Munis usw.

Wir schließen mit einem Auszug aus Guerra di Classe, einer Beilage vom 9. Mai 1937, die der Ausgabe Nr. 15 vom 3. Mai beilag. Er zeigt die Ideen der Gefährten von Berneri:

„Einmal mehr und wie immer hat sich gezeigt, dass alles, was in einer sozialen Bewegung lebenswichtig und wirksam ist, nichts anderes sein kann als ein spontaner und instinktiver Ausdruck, der von unten kommt.

Die Basis hat gekämpft und gut gekämpft und hätte Barcelona in den ersten 24 Stunden des Kampfes eingenommen, wenn ihr großartiger und heldenhafter Elan nicht durch die wiederholten Befehle der Kontrollorgane gebremst worden wäre.“


1Dies war die Zeitschrift von Prudhommeaux und seinen Gefährten in Barcelona. Um der Zensur der CNT zu entgehen, mussten sie nach Béziers in Frankreich zurückkehren.

2Carlo Rorsselli und sein Bruder standen hinter der Gruppe „Giustizia e Liberta”, die eine vereinte antifaschistische Front für eine sozialistische Republik forderte. Berneri schloss sich ihrer Position an.

3Berneri war nicht an der Kolumne beteiligt, da er „Guerra di Classe” leitete. Der Brief scheint aus dem Oktober 1936 zu stammen. Er wurde am 19. Juli 1951 in Volontá veröffentlicht.

4Hypostase: In der Theologie bedeutet dieses Wort so viel wie „Nuance”, so sind der Vater, der Sohn und der Heilige Geist drei Hypostasen einer einzigen göttlichen Substanz. Hier ist die Machtübernahme durch das Proletariat eine Hypostase, die mehrere magische Prozesse beinhaltet: die Zerstörung des Staates und des Proletariats.

5Saturnal: Anspielung auf den Mythos von Saturn, der seine eigenen Kinder fraß. Die Partei verschlang Trotzki, dann Stalin, dann Chruschtschow usw.

6Wie es Berneri voraussah, was zu seinem Tod führen würde, die Mai-Ereignisse 1937.

7A.d.Ü., in Vilanesa wurde das Büro/Lokal der CNT zerstört und deren Militante mitten im revolutionären Prozess erschossen.

8Quinta Columna, Name, den die spanische Presse der Gruppe faschistischer Organisationen hinter der Republikanischen Front gab.

9A.d.Ü., hier eine Anspielung auf die berühmt berüchtigte Union Sacrée.

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