Gefunden auf insurgent notes, die Übersetzung ist von uns.
Loren Goldners Kritik am „Antiimperialismus“
Es war genau in dem Monat, in dem wir diese kurzen Notizen schreiben, allerdings vor sechs Jahren, als wir Loren Goldner persönlich trafen. Als wir erfuhren, dass er in der Nähe Italiens unterwegs war, luden wir ihn sofort nach Athen ein, um eine öffentliche Veranstaltung zu organisieren und mit ihm über sein damals gerade erschienenes Buch Revolution, Niederlage und theoretische Unterentwicklung (Russland, Türkei, Spanien, Bolivien) zu diskutieren. Ein wichtiges Buch, das aufzeigt, wie die konterrevolutionäre Förderung der nationalen Interessen des Sowjetstaates unter dem Deckmantel des „Antiimperialismus“, seiner Interessen als Nation-Staat innerhalb des breiteren internationalen kapitalistischen Machtgleichgewichts, lange vor Stalins Doktrin des „Sozialismus in einem Land“ von 1924 begann.
Um Loren’s tiefgreifende Kritik an der antiimperialistischen Ideologie besser mit der Geschichte der Kämpfe des griechischen Proletariats zu verbinden, hatten wir ihn gebeten, das zweite Kapitel des oben erwähnten Buches vorzustellen, das sich mit der RSFSR/UdSSR–Kemal-Allianz, die auf tragische Weise mit dem Blut türkischer Kommunisten besiegelt wurde („Sozialismus in einem Land“ vor Stalin und die Ursprünge des reaktionären „Antiimperialismus“: Der Fall der Türkei, 1917–1925). Das gab uns die Chance, die Entwicklung (oder eher die Bolschewisierung) der griechischen Sozialistischen/Kommunistischen Partei (SEKE) im Kontext des griechisch-türkischen Krieges von 1922 in Kleinasien und der andauernden Kämpfe des neu entstandenen, aber multinationalen griechischen Proletariats weiter zu diskutieren.
Für Goldner und auch für uns bietet die parallele Untersuchung von Griechenland, der Türkei und der RSFSR/UdSSR aus dieser spezifischen Perspektive eine doppelte kritische Bewertung der antiimperialistischen Ideologie – und ihrer katastrophalen Folgen für die antikapitalistische Sache. Erstens aufgrund ihrer Fähigkeit, sowohl als Ideologie als auch in der Praxis kapitalistische Nation-Staaten hervorzubringen – unter Umständen auch imperialistische, sollten die Umstände und die innerkapitalistischen Dynamiken solche geopolitischen Manöver zulassen –, indem sie alle lokalen Klassenbewegungen zerschlagen, die über den Horizont der nationalen Befreiungsfronten hinausgehen und sich gegen diese richten. Zweitens aufgrund der pflichtbewussten Anpassung der lokalen sozialistischen/kommunistischen Parteien an die besonderen außen- und handelspolitischen Bedürfnisse der UdSSR. Was die Kommunistische Partei der Türkei betrifft, so führte diese Anpassung zu ihrer tatsächlichen Zerstörung durch das angeblich antiimperialistische kemalistische Regime, das von der RSFSR/UdSSR nachdrücklich unterstützt wurde, um eine wirksame „Pufferzone“ zwischen letzterer und dem „Westen“ zu sichern.
Was Griechenland betrifft, so stand der eher moderate Antikrieg-Internationalismus der SEKE ebenfalls im Einklang mit den strategischen Plänen der UdSSR und wurde noch stärker ausgeprägt, als sie vollständig bolschewisiert wurde und sich für den Ausbau der griechisch-russischen Handelskooperation einsetzte – eine Forderung, die offenbar auch von der griechischen Kapitalistenklasse unterstützt wurde. Das soll nicht heißen, dass die eigenen Mängel und Grenzen der SEKE das Verhalten des lokalen (multinationalen) Proletariats bestimmen konnten; letzteres gelang es in vielen Fällen, einen Klassenkriegs-Internationalismus zum Ausdruck zu bringen.
Es versteht sich von selbst, dass die Bedeutung solcher kritischer Diskussionen, ob öffentlich oder nicht, heute, da der proletarische Internationalismus angesichts der Reaktionen auf die anhaltenden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten weitgehend zusammengebrochen ist, noch deutlicher wird. In einer wahrhaft orwellschen Wendung steht „Internationalismus“ in unseren traurigen Zeiten für … die internationale Unterstützung eines Plans zum Aufbau eines Nation-Staates; die internationale Unterstützung für diese oder jene nationale Kapitalistenklasse; die internationale Unterstützung für die Verteidigung eines Nation-Staates; oder sogar die beschämende Zusammenarbeit von (selbsternannten) „Linken Kommunisten“ mit Stalinisten unter dem Vorwand „antikolonialer“ und „Antikriegs-“ Sitzstreiks. Loren, wir werden dich vermissen!
Oktober 2024
Was folgt, ist die englische Übersetzung der Texte, die wir während der gemeinsamen öffentlichen Veranstaltung mit Loren im Oktober 2018 in Athen vorgestellt haben. Lorens Vortrag ist nicht in Papierform erhalten geblieben, aber du kannst in dem oben genannten Kapitel seines Buches nachlesen, was er zu sagen hatte. Der dritte Teil wurde nur teilweise geändert (hauptsächlich durch zusätzliche Fußnoten), damit die Gefährten und Gefährtinnen, die nicht so gut mit der griechischen Arbeiterbewegung vertraut sind, den sozialen und politischen Kontext der Zeit von 1918 bis 1922 besser verstehen können. Da wir uns entschieden haben, diese Texte so zu veröffentlichen, wie sie sind, haben wir keine weiteren Änderungen aufgrund neuer Bücher oder anderer bibliografischer Quellen vorgenommen, die nach 2018 erschienen sind. In diesem Sinne könnte man argumentieren, dass die Texte hinsichtlich der bereitgestellten Dokumentation gewisse Beschränkungen aufweisen.
Ein paar Worte zu uns:
Die Publikationen von Red Thread wurden 2002 von TPTG und Freundinnen und Freunden ins Leben gerufen. Im Vorwort zu unserem ersten Buch1 haben wir erklärt, dass unser Hauptziel darin besteht, zu zeigen, dass der Kommunismus eine dauerhafte, existierende antagonistische Tendenz ist, die auch heute noch existiert; dass diese antagonistische Tendenz, der wir angehören, von weit her kommt und ihren langen und schmerzhaften Weg fortsetzt.
Die Texte, die wir veröffentlichen, versuchen nicht, eine weitere Ideologie, ein weiteres Programm oder eine weitere Doktrin zu präsentieren. Die praktische Notwendigkeit des Kommunismus ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Sackgasse der widersprüchlichen kapitalistischen sozialen Verhältnisse und die realen, alltäglichen Kämpfe des Proletariats zu überwinden.
Unsere Publikationen versuchen, die theoretische Vielfalt und die praktischen Erfahrungen der kommunistischen Bewegung und der Klassenkämpfe seit dem 19. Jahrhundert zu skizzieren, um einen Beitrag zur Erforschung der historischen Perspektive zu leisten, in der die heutigen sozialen Konflikte verstanden werden können, und um Wege und Methoden aufzuzeigen, mit denen wir die Spaltungen (nationale, berufliche, geschlechtsspezifische oder andere) unter uns im Kampf für die Neugestaltung der menschlichen Gemeinschaft überwinden können.
Wer ist unser Gast, Loren Goldner?
Als Student an der University of California/Berkeley im Frühjahr 1966 nahm Goldner an Antikriegsdemonstrationen, Hausbesetzungen und Auseinandersetzungen an der Universität teil, um das Recht auf Aufschub der Wehrpflicht für Studenten zu verteidigen, und wurde bei einer dieser Mobilisierungen verhaftet. Er steht den maoistischen, trotzkistischen und drittweltistischen Gruppen dieser Zeit skeptisch gegenüber. Seine Begegnung mit Marx‘ Werk und seine eigentliche Ausbildung in marxistischer Politik findet in den Independent Socialist Clubs (ISC) statt, aus denen in den 1970er Jahren die International Socialists hervorgehen. Bald darauf prägten ihn die Bewegung in den USA und Westeuropa, die Streikwellen in den USA von 1966 bis 1973, der Generalstreik in Frankreich im Mai/Juni 1968, die Kämpfe in Italien von 1969 bis 1977 und der Aufschwung der Arbeiterklasse in Spanien und Portugal Mitte der 1970er Jahre.
Überall stellten die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst in ihren wilden Streiks die Taktik der Gewerkschaften/Syndikate und der Arbeiterparteien in Frage und stellten damit die linke Analyse der Gewerkschaften/Syndikate als Vehikel für die Förderung des Klassenkampfs infrage. Zu dieser Zeit begegnete Loren zum ersten Mal der Theorie der „Ultra-Linken“ – libertären Kommunisten, den Situationisten, der Gruppe Sozialismus oder Barbarei in Frankreich um Lefort und Castoriadis, der IKS, den Neo-Bordigisten, die versuchten, die Thesen der niederländischen kommunistischen Linken und der italienischen kommunistischen Linken zu synthetisieren – also theoretische Strömungen, die auch uns beeinflusst haben.
Abgesehen von unserer politischen Verbundenheit mit Goldner fasziniert uns auch sein breites Spektrum an Interessen: Seine Texte und Bücher behandeln eine Vielzahl von Themen, die von der Oktoberrevolution, Krisen und Klassenkämpfen überall auf der Welt bis hin zu Analysen des Rassismus, der Aufklärung und einer Kritik der Postmoderne reichen.
Bis zu seinem Tod war er an der Zeitschrift für kommunistische Theorie und Praxis „Insurgent Notes“ beteiligt und hatte auch eine eigene Website, „Break their haughty power“.2
Einige seiner Texte wurden ins Griechische übersetzt und veröffentlicht, zum Beispiel:
„Communism is the Material Human Community: Amadeo Bordiga Today (Der Kommunismus ist die materielle menschliche Gemeinschaft: Amadeo Bordiga heute)“
„Fictitious capital for Beginners, (Fiktives Kapital für Anfänger)“, von Coghnorti
„Revolutionary Termites in Faridabad (Revolutionäre Termiten in Faridabad)“, von Rebelnet
„The Spanish Revolution, Past and Future (Die spanische Revolution, Vergangenheit und Zukunft)“
„The Spanish Revolution, Past and Future (Kurze Geschichte der Weltarbeiterbewegung von Lassalle bis zum Neoliberalismus)“
„We’re Tempted to Say We Told You So, But We Won’t (Wir sind versucht zu sagen, wir haben es euch ja gesagt, aber wir tun es nicht)“, von Enzymo
„The Sky Is Always Darkest Just Before the Dawn: Class Struggle in the United States from the 2008 Crash to the Eve of the Occupations Movement—The Occupy Movement in the USA (Der Himmel ist immer kurz vor der Morgendämmerung am dunkelsten: Klassenkampf in den Vereinigten Staaten vom Crash 2008 bis zum Vorabend der Occupy-Bewegung – Die Occupy-Bewegung in den USA)“, von SKYA.
Wir haben Loren eingeladen, über ein Kapitel aus seinem Buch „Revolution, Niederlage und theoretische Unterentwicklung“ zu sprechen: „‚Sozialismus in einem Land‘ vor Stalin und die Ursprünge des reaktionären ‚Antiimperialismus‘: Der Fall der Türkei, 1917–1925“.3
Darin geht er auf die ersten Jahre der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) ein und widerlegt die weit verbreitete Ansicht, dass die Förderung der nationalen Interessen der Sowjetunion, ihrer Interessen als Nation-Staat innerhalb des größeren internationalen kapitalistischen Machtgefüges, erst mit Stalins Doktrin des „Sozialismus in einem Land“ im Jahr 1924 begann. Tatsächlich zeigt Goldner, dass dies schon viel früher begann, durch die antiimperialistische Ideologie der Bolschewiki (vor allem den Leninismus) und ihre Verbindung zu den neuen nationalistischen, antikolonialen Bewegungen in Zentralasien und anderswo, die aus den zerfallenden multinationalen Imperien hervorgingen. Er zeigt insbesondere, warum die Bolschewiki Verbündete des kemalistischen nationalistischen Entwicklungsregimes wurden, welche besonderen Interessen sie hatten und warum dieses Bündnis durch das Massaker am Zentralkomitee der türkischen KP im Januar 1921, das aller Wahrscheinlichkeit nach von kemalistischen nationalistischen Kräften verübt wurde, nicht erschüttert wurde. Im Gegenteil schlossen die Sowjets nur wenige Monate später ein Handelsabkommen mit demselben kemalistischen Regime und schwiegen über das Massaker und die Unterdrückung der türkischen Kommunisten für weitere Monate. Mit anderen Worten: Goldner erklärt, warum die türkischen Kommunisten und die anderen revolutionären Bewegungen in der Region nicht die Unterstützung der Bolschewiki hatten und warum die Erhaltung des kemalistischen Regimes Vorrang vor einer möglichen proletarischen Revolution im Osten hatte.
Dieser spezielle Fall gibt uns die Möglichkeit, die linke antiimperialistische Ideologie zu kritisieren, die einen verheerenden, lang anhaltenden Einfluss auf das griechische antiautoritäre, autonome und anarchistische Milieu hatte, indem wir die Ereignisse aufzeigen, die zu ihrer ersten Umsetzung in den ersten Jahren der Oktoberrevolution führten. Weil wir uns vor allem auf die politische Nutzung antiimperialistischer Theorien konzentrieren, die Ansichten und Haltungen rechtfertigen wollen, die eine Perspektive des Klassenkampfs untergraben, halten wir es für wichtig, die Ereignisse hervorzuheben, die die spezifische politische Absicht der Bolschewiki in dieser frühen Phase des Antiimperialismus zeigen.
Konkret
Antiimperialismus ist die Ideologie, die die Schaffung neuer Nation-Staaten aus den alten zerfallenden Imperien und Kolonialsystemen legitimiert, und diese erweisen sich selbst als imperialistisch.
Der Antiimperialismus der Komintern war Teil einer viel ehrgeizigeren politischen Strategie, die auf die Neugestaltung der globalen imperialistischen Kette und die Sicherung des Sowjetstaates abzielte und daher selektiv war.
Wir sollten auch hinzufügen, dass eine der beiden Hauptquellen, die Goldner in seinem Text verwendet hat, die Broschüre der türkischen Genossen (die damals Teil der IKS waren), auch auf Griechisch zu finden ist. Der Text der türkischen Gruppe mit dem Titel „Der linke Flügel der Kommunistischen Partei der Türkei“ wurde in vier aufeinanderfolgenden Ausgaben der Zeitschrift Enzymo (vor ihrer nationalistischen, reaktionären Mutation) veröffentlicht.
Antiimperialismus als Mittel der bolschewistischen außen- und innenpolitischen Konterrevolution
Seit den Ausschreitungen in Griechenland 2008 wird viel über Konterrevolution diskutiert. Meist beschränkt sich die Debatte auf moderne polizeilich-militärische Kontrolltechniken. Selten geht sie auf die Ursprünge der Konterrevolution ein – auf die Ereignisse unmittelbar nach der großen proletarischen Revolution 1917 in Russland.
Die wesentlichen Elemente der bolschewistischen Konterrevolution lassen sich unter folgenden Überschriften zusammenfassen:
– Einführung des staatlich monopolistischen Kapitalismus;
– Aufstellung einer „linken“ Polizei, die überwacht, ob das Verhalten der Proletarier politisch korrekt ist oder nicht;
– Entpolitisierung der Presse und Verunglimpfung von Streiks und Arbeiterausschreitungen in Russland als „petit-bourgeoise“ oder „konterrevolutionäre“ Aktionen;
– Ausübung von Druck auf die westlichen Arbeiterparteien, die bourgeoisen nationalen Befreiungsbewegungen im Osten zu unterstützen;
– Aufnahme diplomatischer, militärischer und kommerzieller Beziehungen zu den westlichen Imperialisten;
– Einführung der Theorie vom „Sozialismus in einem Land“.
Am 8. Januar 1918 befürwortete Lenin auf einer Vollversammlung der Parteikader einen separaten Friedensvertrag mit dem deutschen imperialistischen Staat. Die Linke der Partei lehnte diesen Vorschlag ab und behauptete, ein solcher Frieden widerspreche den Prinzipien des proletarischen Internationalismus und würde den österreichisch-deutschen Imperialismus stärken.
Lenin entgegnete, dass eine Beteiligung Russlands am Krieg den anglo-französischen Imperialismus stärken würde. „In keinem Fall“, sagte er, „würden wir uns vollständig einer imperialistischen Bindung entziehen“. Durch die Verzerrung des Standpunkts der Linken seiner Partei kam der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare zu einer Schlussfolgerung, die die neue Theorie des Sozialismus in einem Land beinhaltete:
Die richtige Schlussfolgerung daraus ist, dass in dem Moment, in dem eine sozialistische Regierung in einem Land triumphiert, Fragen nicht danach entschieden werden dürfen, ob dieser oder jener Imperialismus vorzuziehen ist, sondern ausschließlich danach, welche Bedingungen für die Entwicklung und Konsolidierung der bereits begonnenen sozialistischen Revolution am günstigsten sind.
Mit anderen Worten: Das Grundprinzip unserer Taktik darf nicht sein, welchem der beiden Imperialismen es in der gegenwärtigen Lage am profitabelsten ist zu helfen, sondern wie die sozialistische Revolution am festesten und zuverlässigsten die Möglichkeit erhalten kann, sich in einem Land zu festigen oder zumindest zu erhalten, bis andere Länder sich ihr anschließen.4
Auf der nächsten Sitzung des Zentralkomitees am 11. Januar erklärte Stalin, ein ebenso „pragmatischer“ und „einsichtsvoller“ Politiker wie Lenin, der sich auf die Seite des Letzteren stellte, vor dem Zentralkomitee ihrer Partei: „Es gibt keine revolutionäre Bewegung im Westen, nichts Existierendes, nur ein Potenzial, und auf ein Potenzial können wir uns nicht verlassen.“
Am 3. März unterzeichneten die Sowjets in Brest-Litowsk einen für sie schmerzhaften Friedensvertrag. Sie gaben den Deutschen ein Viertel des ehemaligen Zarenreichs – die Ukraine, Polen, einen Teil von Belarus, Finnland und die baltischen Länder. Neben 60 Millionen Menschen umfassten diese Gebiete ein Drittel des Eisenbahnnetzes, über die Hälfte der Industriebetriebe, drei Viertel der Stahlwerke und fast alle Kohlebergwerke.
Vier Tage später, auf dem 7. Kongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki), die später Kommunistische Partei genannt wurde, erklärte Lenin, wie das Parteiprogramm von nun an aussehen würde:
Ja, wir werden die internationale Weltrevolution erleben, aber bis dahin ist es ein sehr schönes Märchen, ein sehr hübsches Märchen. Ich verstehe gut, dass Kinder schöne Märchen mögen, aber ich frage: Ist es normal, dass ein ernsthafter Revolutionär an Märchen glaubt?5
Alles sollte der Logik des Aufbaus eines neuen disziplinierten Volksstaates untergeordnet werden:
Der letzte Ausbruch des Krieges hat dem russischen Volk eine bittere, schmerzhafte, aber ernste Lektion erteilt und es gezwungen, sich zu organisieren, sich zu disziplinieren, sich zu unterwerfen und eine vorbildliche Disziplin zu entwickeln. Lernt von den Deutschen ihre Disziplin, sonst sind wir ein verdammtes Volk und werden für immer in Sklaverei leben.6
„Sozialismus“ bedeutete für Lenin nicht die Veränderung der Produktionsverhältnisse, die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise. Nein, „Sozialismus“ bedeutete das Wachstum der Produktivkräfte, Akkordlohn7, die tayloristische Arbeitsorganisation, die Ein-Mann-Führung der Produktion, die Trennung zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die Aufgaben ausführen. „Sozialismus“ war nicht gleichbedeutend mit der bewussten Schaffung einer neuen menschlichen Gemeinschaft durch die Arbeiterklasse selbst; er bedeutete lediglich die freiwillige Anpassung der Arbeiterinnen und Arbeiter an den Rhythmus der kapitalistischen Arbeitsmaschine:
Die Massen müssen das Recht haben, sich selbst verantwortliche Anführer zu wählen … Das bedeutet aber keineswegs, dass der Prozess der kollektiven Arbeit ohne eine bestimmte Führung, ohne die genaue Festlegung der Verantwortung der verantwortlichen Person, ohne die strengste Ordnung, die durch den einzigen Willen dieser Person geschaffen wird, bleiben kann … Der Sozialismus verdankt seinen Ursprung der groß angelegten Maschinenindustrie. Wenn sich die Massen der arbeitenden Bevölkerung bei der Einführung des Sozialismus als unfähig erweisen, ihre Institutionen so anzupassen, wie es die groß angelegte Maschinenindustrie erfordert, kann von einer Einführung des Sozialismus keine Rede sein … Gegenwärtig stehen wir unmittelbar vor der Aufgabe, die Diskussion und das Aufwerfen von Fragen in Versammlungen strikt von der unfehlbaren Ausführung aller Anweisungen der verantwortlichen Person zu trennen … Die Anweisungen dieses individuellen Anführers müssen freiwillig befolgt werden, es muss ein Übergang von der gemischten Form von Diskussionen, öffentlichen Versammlungen, Erfüllung – und gleichzeitig Kritik, Kontrolle und Korrektur – zur strengen Regelmäßigkeit eines Maschinenunternehmens stattfinden.8
Da es jedoch „Faulenzer“, „Parasiten“ und „Penner“ gab, die nicht bereit schienen, den Anweisungen der „Organisationstalente“ der Geschäftsleitung zu folgen, forderte der Präsident seine Anhänger auf, ohne Gerichtsverfahren zu Überzeugungen zu gelangen:
An einem Ort werden ein halbes Dutzend Reiche, ein Dutzend Schurken und ein halbes Dutzend Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken (auf die Art von Rowdys, wie es viele Schriftsetzer in Petrograd, insbesondere in den Parteidruckereien, tun), ins Gefängnis gesteckt. An einem anderen Ort werden sie Latrinen reinigen müssen. An einem dritten Ort werden sie nach Verbüßung ihrer Strafe mit „gelben Ausweisen“ versehen, damit jeder sie als gefährliche Personen im Auge behält, bis sie sich bessern. An einem vierten Ort wird jeder zehnte Faulenzer auf der Stelle erschossen.9
Da „das ökonomische Wesen des Imperialismus der Monopolkapitalismus ist“10 und der Staatsmonopolkapitalismus „die kleine Hälfte des Sozialismus“ (es fehlt ihm nur die richtige politische Form), wie uns der Vorsitzende im Mai 1918 mitteilte, als er zum x-ten Mal den deutschen Kapitalismus lobte11, und da, wiederholen wir es, die imperialistischen Bindungen unvermeidlich sind, wandte sich Lenin im Herbst 1918, nachdem Deutschland besiegt war, an die Entente-Mächte, um die Konsolidierung seines Staates und seines „sozialistischen“ Programms sicherzustellen.
Am 25. Dezember 1918 übergab Litvinow dem Anführer der norwegischen Sozialdemokraten, Ludwig Meyer, den sowjetischen Friedensvorschlag an die Alliierten, wonach in Russland ein politisches Amnestiegesetz eingeführt, die Pressezensur abgeschafft, Polen, der Ukraine usw. das Recht auf nationale Selbstbestimmung gewährt und die Auslandsschulden des zaristischen Regimes überprüft werden sollten. Außerdem würden die Sowjets „jede Art von Propaganda gegen die alliierten Länder unterlassen, die als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten angesehen werden könnte“. Im Gegenzug forderten die Sowjets finanzielle und technische Hilfe sowie die Beendigung der alliierten Militäroperationen auf ihrem Territorium.12
Am 4. Februar 1919 kehrte Tschitscherin mit einem besseren Vorschlag zurück. Die Sowjetregierung war bereit, den Alliierten Gebiete des Zarenreichs abzutreten, die Auslandsschulden des Zaren anzuerkennen, Zinsen für neue Kredite in Form von Rohstoffen zu zahlen, ausländischen Kapitalisten Mineralrechte und Waldprodukte zu garantieren und ihre Propaganda in den Entente-Ländern einzuschränken.13
Einer der Hauptgründe, warum die Entente und vor allem die französische Regierung diese Angebote ablehnten, war, dass sie glaubten, durch Handelsembargos und Militäroperationen alles für sich herausholen zu können.
Gleichzeitig gründete der sowjetische Staat im März 1919 die sogenannte Kommunistische Internationale als Druckmittel gegen den britischen Imperialismus im Osten und als wichtiges Instrument seiner Außenpolitik.
Nachdem die „ökonomische Blockade“ Sowjetrusslands im Januar 1920 aufgehoben worden war, begannen diplomatische Kontakte zwischen der britischen und der sowjetischen Regierung, die zum anglo-sowjetischen Handelsabkommen vom 16. März 1921 und zur Einführung der Neuen Ökonomischen Politik in Russland führten.
Der Versuch Lenins und seiner Leute, die westlichen Kapitalisten davon zu überzeugen, dass das Sowjetregime ein zuverlässigerer Partner sei als ein Russland der Weißen Garde und des privaten Kapitalismus, ging irgendwie auf. Diese Politik wurde am deutlichsten vom ehemaligen Handelskommissar Bronski in einem Interview mit der italienischen sozialistischen Zeitung Avanti! am 5. August 1920 zum Ausdruck gebracht:
Die internationalen Kapitalisten wissen sehr gut, dass ein bourgeoises Russland eine finanzielle Belastung für sie wäre, was neue Steuern bedeuten würde; die Verpflichtungen eines bourgeoisen Staates gegenüber seiner eigenen Bourgeoisie wären enorm, und der Weltkapitalismus wäre gezwungen, diese Verpflichtungen in den nächsten zwei Jahrzehnten zu übernehmen, während wir keine Belastung darstellen. Ein bourgeoiser russischer Staat wäre nicht in der Lage, die von ihm aufgenommenen Auslandskredite zurückzuzahlen, während wir dazu in der Lage sind. Wir können nicht nur mit unserem Gold bezahlen, sondern auch mit unseren natürlichen Ressourcen, unseren riesigen dichten Wäldern, unserem grenzenlosen und fruchtbaren Boden und unseren Minen. Wenn ihr jetzt einwenden wollt, dass auch ein bourgeoises Russland mit denselben Mitteln bezahlen könnte, sage ich euch sofort: NEIN! Denn die russischen Proletarier würden in einem bourgeoisen Staat nicht arbeiten, während sie bei uns bereitwillig ohne Arbeitszeitplan und ohne übertriebene Lohnforderungen arbeiten, weil sie direkt an dem Regime beteiligt sind, das sie selbst geschaffen haben. Ich sage euch noch etwas: Nicht nur die russischen Arbeiter würden mehr produzieren, sondern auch die Arbeiter in anderen Ländern, wenn sie wüssten, dass ihre Produkte für das proletarische Russland bestimmt sind … Die Bergleute in Deutschland und der Tschechoslowakei haben mehrfach erklärt, dass sie nicht streiken und ihre Arbeitszeit verlängern würden, wenn sie wüssten, dass sie für den Handel mit dem proletarischen Russland arbeiten. Das ist das Geheimnis unserer Stärke, das ein bourgeoises Russland nicht haben kann.14
Während die sowjetische Außenpolitik an der Westfront auf eine internationale Organisation der Ausbeuter und eine Neuordnung der imperialistischen Kette durch individuelle Handelsabkommen (und nicht nur) hinarbeitete, diente an der Ostfront dasselbe Ziel die Förderung nationaler Befreiungs- und antikolonialer, entwicklungsorientierter, autoritärer Regime wie das von Kemal Atatürk in der Türkei.
Der Inhalt von Lorens Bemerkungen basierte auf dem oben genannten Kapitel.
Auf der anderen Seite der Grenze…
Wie bereits erwähnt, hat der linke Flügel der TKP den Beitrag der SEKE15 zum Widerstand gegen den Krieg von 1919–22 anerkannt. Genauer gesagt sagten sie: „Wir sollten mit unseren Genossen zufrieden sein, dass sie ihre Pflicht sowohl in der Türkei als auch in Griechenland erfolgreich erfüllt haben. Es ist heute eine unbestreitbare Tatsache, dass die Niederlage der griechischen Truppen hauptsächlich auf die erfolgreiche Propaganda der griechischen kommunistischen Genossen gegen den Krieg sowohl innerhalb der Armee als auch unter den griechischen Arbeitern zurückzuführen ist. Der Einfluss ihrer Propaganda war so groß, dass die griechische Regierung heute ernsthaft darüber nachdenken sollte, bevor sie das Land in einen neuen Krieg hineinzieht, denn sie ist sich voll bewusst, dass dieser ein negatives Ergebnis haben und zu einer noch viel größeren Niederlage für die griechische Bourgeoisie führen wird: einem Aufstand und einer Machtübernahme durch die griechische Arbeiterklasse. Türkische Arbeiter, Genossen! Seid euch sicher, dass die griechischen Kommunisten viel mehr für die türkischen Arbeiter getan haben als die Türken und die muslimischen Kaufleute und Generäle, die während des letzten Krieges ihre Bäuche und Lagerhäuser vollgestopft haben, indem sie euch Schlamm statt Brot zu essen gaben.“16
Wenn man Loren’s gründliche Analyse der Politik der TKP-RSFSR/USSR bedenkt, hätte man eigentlich sagen müssen, dass die griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter viel mehr für die türkischen Arbeiterinnen und Arbeiter und die TKP getan haben als die Bolschewiki selbst.
Was genau passierte auf der anderen Seite der – noch im Entstehen begriffenen – Grenzen? War das multinationale griechische Proletariat so effektiv bei der Sabotage der Kriegsanstrengungen? Bevor wir uns mit der lokalen Arbeiterbewegung befassen, wollen wir zunächst ein paar Worte zu ihrer Lage sagen.
Nach Angaben von A. Benaroya, dem jüdischen Anführer der Sozialistischen Arbeiterföderation im Osmanischen Reich und später in Griechenland17, war das Jahrzehnt nach 1910 von einem industriellen Boom geprägt18. Bis 1918 gab es etwa 700 große Industrieunternehmen, die etwa 70.000 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigten. Weitere 60.000 bis 70.000 Arbeiterinnen und Arbeiter waren in kleinen Manufakturen und im Handwerk beschäftigt. Mehr als 75.000 von ihnen waren im gleichen Zeitraum in Gewerkschaften/Syndikaten organisiert.
Bei der Beschreibung des politischen Kontextes dieser Zeit muss darauf hingewiesen werden, dass das modernisierungsorientierte Regime der Venizelos-Regierung tatsächlich eine Arbeiterkonföderation befürwortete, um eine liberalere kapitalistische Öffentlichkeit zu schaffen, die von den Einschränkungen der Arbeitsorganisation im quasi-feudalen Osmanischen Reich (z. B. Zunftarbeitsteilung und Produktionskontrolle, Arbeiterhilfsklubs) befreit war, aber auch um die aufkommenden Arbeiterkämpfe effektiv zu vermitteln, einzudämmen und zu befrieden. Allerdings hatte Venizelos offensichtlich eine liberale Arbeiterkonföderation im Sinn, keine sozialistisch orientierte, die auch als Mittel zur weiteren Verwirklichung des Ziels der nationalen Integration und zur Förderung nationalistischer Ansprüche in internationalen Foren dienen sollte.19
Am ersten allgemeinen Arbeiterkongress (21.–28. Oktober 1918), aus dem der Allgemeine Arbeiterkonföderation Griechenlands (GSEE) hervorging, nahmen 214 Gewerkschaften/Syndikate teil, die etwa 65.000 Arbeiterinnen und Arbeiter vertraten.20 Gegen die liberalen/reformistischen politischen Fraktionen, darunter auch diejenigen, die den Klassenkampf grundsätzlich ablehnten, verwies die endgültige Satzung der Konföderation ausdrücklich auf den Klassenkampf und die Notwendigkeit, „den Klassenkampf gegen jeden bourgeoisen Einfluss zu schützen“.21 Außerdem forderte sie eine Demokratische Föderation der Balkanstaaten. Gleichzeitig gelang es jedoch der venizelistischen Strömung, die Kontrolle über den Verwaltungsrat zu erlangen.
Die ständige Verstrickung des griechischen Staates in imperialistische Kriege zwischen 1912 und 1922 (Balkankriege, Erster Weltkrieg, Griechischer Feldzug in der Ukraine 1919)22 und die darauf folgenden massiven Einberufungen führten zu einem Rückgang der lokalen relativen Überschussbevölkerung: Es kam zu einem Arbeitskräftemangel, der zu nominalen Lohnerhöhungen führte, obwohl die allgemeine finanzielle Lage der Arbeiterklasse weiterhin prekär blieb.23
Bereits bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai 1919 wollte die radikale Strömung der GSEE (die der SEKE angehörte, die, wie bereits erwähnt, inzwischen gegründet worden war) „die Feierlichkeiten in eine regierungsfeindliche Kundgebung verwandeln, während die regierungsnahen Gewerkschafter/Syndikalisten im Gegenteil versuchten, die Arbeiterbewegung an den Wagen der herrschenden Politik und des Klassenkompromisses zu binden“.24 Die Behörden nutzten die „außergewöhnlichen nationalen Umstände“ und lösten die Kundgebung auf.25
Darüber hinaus als Reaktion auf die Beteiligung von mehr als 20.000 griechischen Soldaten am Kampf gegen die Bolschewiki in der Ukraine und die Besetzung Smyrnas durch griechische Truppen im Mai 191926 wurden regelmäßig Antikriegsartikel in Rizospastis [„Der Radikale“] veröffentlicht, einer Zeitung, die damals von Petsopoulos herausgegeben wurde und mit der SEKE verbunden war. Als Gegenreaktion wurden Petsopoulos und Dimitratos verhaftet.27
Trotz staatlicher Repression blieben die Klassenunterschiede stark. 1919 dauerte ein Streik von 2.500 Maschinisten im Industriezentrum von Piräus, einem wichtigen Sektor für die Kriegsvorbereitungen, drei Monate und wurde von einer Aussperrung (Lockout)28 der Arbeitgeber beantwortet. „Der Streik griff auf andere Industriezweige in Piräus über, darunter die chemischen Düngemittelfabriken, während die Arbeiter in der Papierfabrik bereits im Streik waren“,29 und wurde schließlich am 8. Februar 1920 nach dem Eingreifen der reformistischen Gwerkschaft/Syndikat für Transit und Transport beendet.
Im April 1920 traten die Tabakarbeiter in der ethnisch, religiös und sprachlich heterogenen Region Westmakedonien (Thessaloniki, Xanthi, Kavala) in den Streik.30 Der Streik richtete sich gegen Versuche, den Beruf durch den Export von unverarbeitetem Tabak zu entqualifizieren.31 In ihrer Erklärung nach dem Ende des Streiks versuchte die SEKE, ihn mit dem andauernden Krieg in Kleinasien in Verbindung zu bringen: „Die Bourgeoisie, die privilegierte Klasse der Gesellschaft, die Blutegel, die unseren Schweiß und unser Blut saugen, hat einen weiteren Kampf aufgenommen, um die Hüterin der europäischen und amerikanischen Kapitalistenklasse zu werden. Skrupellos wie sie ist, hat sie den Willen unserer Arbeiterklasse an die internationalen Kapitalisten verkauft und ist daher doppelt daran interessiert, uns in der Sklaverei zu halten.“32
Im September 1920 wurde die Erklärung der SEKE mit dem Titel „Gegen den Vertrag von Sèvres“ (28. Juli/10. August 1920) in der Zeitung Rizospastis veröffentlicht: „Unser Vaterland, dessen Name von ihnen [d. h. den Kapitalisten] vereinnahmt wurde, das Vaterland derer, für die wir in den Kampf geschickt wurden, ist nichts anderes als das geografische Gebiet, auf dem die Ausbeutung verbreitet ist. Die Expansion, über die sie sich freuen, ist die Ausweitung der Grenzen der Ausbeutung und der profitablen Investition ihres Kapitals […] In der Befreiung der versklavten Brüder sehen sie nichts als die Beschaffung billiger Arbeitskräfte für ihre Industrie, billiger Sklaven für ihre Landgüter und Ländereien, neuer Konsumenten für ihre Waren.“ Die Erklärung fährt fort: „Die Zeit des Krieges ist gekommen, der Feind ist innerhalb der Grenzen und nicht außerhalb!“33
Nach dem außerordentlichen Wahlkongress der SEKE im September 1920 wurde eine Antikriegserklärung abgegeben: „Stoppt den Krieg und bekämpft mit allen Mitteln jeden Versuch eines neuen Krieges und einer neuen Wehrpflicht, gewährt allen Verurteilten und allen wegen politischer und militärischer Vergehen Angeklagten (Deserteure, ungehorsame Soldaten) eine Generalamnestie.“ Außerdem forderte sie den griechischen Staat auf, „die Russische Arbeiterrepublik endgültig anzuerkennen und reguläre ökonomische und politische Beziehungen zu ihr aufzunehmen“,34 was den ständigen Bestrebungen der russischen Außenpolitik zu dieser Zeit entsprach – wie später noch gezeigt werden wird, war dies auch in anderen Fällen der Fall.
Am 20. September 1920 veröffentlichte eine der beiden Zeitungen, die der SEKE nahestanden, Ergatikos Agonas („Arbeiterkampf“), einen Antikriegstext von Pouliopoulos mit dem Titel „Die Stimme der Soldaten an der Front“, der trotz seines vielversprechenden Titels ziemlich vage blieb [Offizielle Texte der KKE, Bd. 1 (1918–1924), S. 114–116]. Dieser Artikel spiegelt jedoch die Antikriegsspannungen innerhalb der griechischen Armee in Kleinasien wider.
Während der Wahlen im November 1920 konzentrierte sich die SEKE hauptsächlich auf ideologische/politische Aktionen gegen die Regierung Venizelos.35 Man könnte von rein propagandistischen Aktivitäten sprechen, denn „SEKE erhebt keinen Anspruch, heute die Macht zu übernehmen. Erst während des Krieges begann die lokale Arbeiterklasse zu erwachen und sich zu organisieren, erst jetzt hat sie den Kampf für das Erwachen und die Organisation aller arbeitenden und leidenden Klassen aufgenommen usw.“36 Tatsächlich war die Frage ihrer Teilnahme an den Wahlen und damit auch die Frage einer engeren Verbindung zwischen GSEE und SEKE bereits auf ihrem zweiten Kongress (5.–12. April 1920) aufgeworfen worden.
Bei den Wahlen von 1920, die nach einem komplizierten Wahlsystem mit zwei Stimmen abgegeben werden konnten, schätzten einige Mitglieder, dass die Partei etwa 100.000 Stimmen erhielt.37 Benaroya selbst schätzt die Stimmenzahl auf nur 35.000. Die Vorherrschaft der Monarchisten, die gegen die Regierung und damit gegen den Krieg waren, spiegelte auch diese breite klassenübergreifende soziale Tendenz gegen den Krieg wider. Es überrascht jedoch nicht, dass die neu gewählte Regierung den Krieg fortsetzte: Bald darauf wurden eine neue Wehrpflicht und Zwangsanleihen (–50 Prozent des Nennwerts der Banknoten) angekündigt.38
Die „innere Front”
Eine große Streikwelle brach 1921, also während des andauernden Krieges, aus. Einige Schätzungen gehen von etwa 50 größeren Streiks im Jahr 1921 aus, an denen 40.000 Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt waren. Einige davon sind im Folgenden aufgeführt.
Vom 16. bis 22. Februar 1921 kam es in Volos zu einer allgemeinen Arbeiterkundgebung gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und den Krieg, die in Ausschreitungen ausartete. Die Armee wurde zur Niederschlagung der Ausschreitungen herbeigerufen, während Telegramme die Lage als „bolschewistische Revolution“ bezeichneten.39 „Das Signal zum Beginn der Ausschreitungen wurde gegeben, als Benaroya, der aus einem Nachbarhaus Klavierklänge hörte, seine Rede unterbrach und sagte: „Während wir über den Hunger des Volkes sprechen, spielen sie Klavier.“40 Im selben Monat traten Seeleute, die auf Schiffen der berühmten Reederfamilie L. Empeirikos arbeiteten, in den Streik. Empeirikos war auch Minister für Ernährung. Der Streik endete mit der Zwangsrekrutierung der Streikenden, genau am Tag des Beginns des Eisenbahnstreiks, am 21. Februar 1920.
Obwohl reformistisch, rief die Gewerkschaft/Syndikat der Eisenbahner, die sich geweigert hatte, sich der SEKE und damit der GSEE anzuschließen, einen Streik aus, der das gesamte lokale Eisenbahnnetz lahmlegte und Lohnerhöhungen sowie die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages forderte. Obwohl der Gegenvorschlag der Regierung für einen 9-Stunden-Arbeitstag mit nur 11 Stimmen Mehrheit angenommen wurde, wurde der Streik fortgesetzt. Die Regierung beschloss daraufhin, die Streikenden einzuziehen, und so wurden Hunderte von ihnen gewaltsam an die Front in Kleinasien geschickt.41 Dies führte jedoch zu einer schnelleren Verbreitung radikaler Antikriegsideen unter den Soldaten.
Obwohl die Feierlichkeiten zum 1. Mai 1921 verboten waren, fanden sie trotzdem statt. Interessanterweise weigerten sich Soldaten, die Schiffe zu besteigen, die sie nach Kleinasien bringen sollten, und schlossen sich den Streikenden an. Daraufhin verhängte die Regierung das Kriegsrecht und einige der Verhafteten, darunter Stinas, wurden vor das Außerordentliche Militärgericht von Adrianopel gestellt.42
Im November 1921 rief die Föderation der Elektrokinesis (zu der Straßenbahn-, Eisenbahn-, Gas- und Elektrizitätsarbeiter gehörten) einen Streik aus. Wieder reagierte der Staat hart: Kriegsgerichte und harte Strafen für die Verhafteten, darunter Mitglieder und Kader der SEKE.43
Im nächsten Monat entwickelt sich die Kundgebung der Olivenölproduzenten in Korfu, die den freien Export von Olivenöl fordern, schnell zu einer Antikriegsdemonstration. Nach der lebhaften Schilderung eines Teilnehmers – damals ebenfalls Deserteur – „begleiten Trompeten und Dynamit die Rufe ‚Nieder mit dem Krieg‘“, während „ein Zug Soldaten sich den wütenden Bauern anschließt. Die Behörden sind in Panik. Der Präfekt zittert so sehr, als er zum Fenster tritt, um zu sprechen, dass ihm die Zahnprothese herausfällt.“44 Laut Benaroya wird trotz der Niederlage „an der Front und in der Heimat eine breite Antikriegspropaganda entwickelt wird”.45
Darüber hinaus streiken im März und April 1922 Hafenarbeiter in Thessaloniki, Bäckereiarbeiter, Hafenarbeiter, Zimmerleute, Elektriker und Tabakarbeiter in zwei wichtigen Produktionszentren des kürzlich annektierten Mazedoniens (Kavala und Xanthi).
Klassenungehorsam an der kleinasiatischen Front
Während sich dies in Griechenland abspielte, was geschah an der Front? Einer Quelle zufolge erreichte die Zahl der Deserteure 90.000, von denen einige bewaffnet waren. Eine andere Quelle gibt eine moderatere Schätzung ab und reduziert diese Zahl auf 60.000. Dimitratos, damals Sekretär der SEKE, erwähnt während der Diskussion über die „nationale Frage” auf dem 3. Kongress der KI (12. Juli 1921) 100.000 Deserteure.46 Das war aber nicht nur eine Frage der Zahlen, sondern hatte auch eine qualitative Seite. Einigen Quellen zufolge fungierten die eingezogenen Eisenbahnarbeiter als effiziente Verbindungsglieder zwischen den verschiedenen kommunistischen Gruppen an der Front und verteilten unter den Soldaten und der lokalen Bevölkerung schriftliches Material gegen den Krieg. Sie leisteten auch praktische Hilfe für viele Deserteure, die die Front verließen, und für kommunistische Kader, die Militäreinheiten besuchten.
Mindestens 200 Leute aus Arbeiterclubs/-gruppen versammelten sich an der Front, zumindest laut einigen Zeugenaussagen.47 Stinas meint, dass es in fast allen Einheiten an der Front kommunistische Zellen gab.48 Benakis behauptet, dass die Aktionen hauptsächlich um Smyrna stattfanden, nicht an der Ostfront in Preußen.49 Andere Quellen schätzen das aber eher konservativ ein: Der tatsächliche Beitrag der kommunistischen Zellen muss weniger entscheidend gewesen sein, da es zu dieser Zeit ohnehin nicht so viele SEKE(K)-Mitglieder/Kader gab. So waren beispielsweise während des Zweiten Kongresses im April 1920 nur 1.000 Mitglieder registriert (darunter 500 Jugendliche), während die Auflage der Arbeiterzeitungen insgesamt kaum 16.000 Exemplare überschritt.
An der Front gab es nachweislich mindestens 19 Soldatenzeitungen. Diese Zeitungen gelangten über Thessaloniki und Alexandroupolis (damals Dedeagats) an die Front, wahrscheinlich ab Sommer 1921. Andere wurden von den Soldaten selbst handgeschrieben und verbreitet. Einige waren legal (humoristisch, wie Founta), aber zwei waren kommunistisch (z. B. „Red Guard” und „Bohemio”). Kemals Truppen suchten Material aus der in Istanbul verbreiteten regierungsfeindlichen griechischen Presse heraus und verteilten diese Antikriegsartikel an der Front, um die Moral der griechischen Soldaten weiter zu untergraben.
Zu diesem Zweck war die tatsächliche Koordinierung der Kriegsgegner unter den griechischen Soldaten sehr wichtig und führte später zur Gründung der Bewegung/Union der Kriegsveteranen im Jahr 1924. Laut Stinas organisierte die Antikriegsbewegung in Korfu im Jahr 1923, an der „Archivmarxisten” beteiligt waren, eine Anti-Steuer-Kampagne und einen Streik der Landarbeiter.50
Während des Zusammenbruchs der Front (1922) brach laut den aussagekräftigen Berichten vieler Beteiligter ein Soldatenstreik aus. Genauer gesagt wurden in Tekirdag (auch bekannt als Raidestos) rote Fahnen gehisst und bewaffnete Gruppen skandierten „Lang lebe die Sowjets“, während die Behörden abgeschafft wurden.51 Zur gleichen Zeit wurden das Zentralkomitee der SEKE(K) und die 22 aktivsten Kommunisten an der Front verhaftet. Letztere wurden wegen Hochverrats in Gefängnisse in Smyrna gebracht. Ihre Prozesse fanden aber nicht statt, weil der griechische Militärapparat zusammen mit den imperialistischen Bestrebungen des Regimes zusammenbrach. Die ehemaligen Gefangenen hielten zusammen mit anderen SEKE-Mitgliedern, die zu dieser Zeit in Smyrna waren, eine Versammlung ab. Einige schlugen vor, die Macht zu übernehmen und mit der Armee gegen die griechische Regierung zu marschieren. Andere, die wohl realistischer waren, einfach mit ihren Einheiten nach Griechenland zurückzukehren, während wieder andere beschlossen, in Smyrna zu bleiben, um nach Sowjetrussland zu gelangen.
Ergebnisse
Sowohl die Broschüre der ICC als auch Dumont weisen darauf hin, dass die Agitation der SEKE gegen den Krieg tatsächlich ein wichtiger Faktor für den Zusammenbruch der Front war. Dumont behauptet unter Berufung auf eine sowjetische Quelle, dass „die griechischen Kommunisten Mitte 1920 gegen den Krieg in Kleinasien aufstanden. Es scheint, dass sie durch ihre aktive antimilitaristische Propaganda wesentlich zum Zusammenbruch der nach Anatolien entsandten Truppen beigetragen haben. Ab Ende 1920 nahmen die Desertionen in der griechischen Armee zu, und es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass es in den Kasernen um Smyrna zu einer Reihe von Meutereien kam. Laut N. Dimitratos, dem Delegierten der Kommunistischen Partei Griechenlands auf dem Dritten Kongress der Komintern, desertierten in den ersten beiden Kriegsjahren mehr als 100.000 „Arbeiter und Bauern“. Diese Zahl mag etwas übertrieben erscheinen, vermittelt aber dennoch eine gewisse Vorstellung vom Ausmaß des Phänomens.“52
Stinas relativierte jedoch den tatsächlichen politischen Einfluss der SEKE auf die Antikriegsbewegung an der Front, indem er klarstellte, dass „die gesamte Antikriegs- und Antimilitarismusbewegung ohne Wissen und gegen den Willen des Zentralkomitees stattfand. Die Partei hatte keinerlei feste Linie und keine konkreten Ziele. Ihre Politik war verwirrend, opportunistisch, vielleicht pazifistisch und „pro-arbeiterisch“, aber nicht mehr als das. Hin und wieder tauchten Artikel mit reißerischen Titeln wie „Bordellstaat“, „Wir antworten mit dem Satz von Cabron“ [Anmerkung: Scheiße!] usw. auf, aber nirgendwo war eine revolutionäre Politik zu sehen oder zu spüren, die in irgendeiner Weise auf die kritischen Bedingungen aufgrund des andauernden Krieges reagiert hätte.“53 Gleichzeitig, so Stinas, gab es keine Verurteilung der Verfolgung der muslimischen Bevölkerung in Thrakien im Jahr 1921.54 Die unmittelbaren Interessen der SEKE waren andere. In den Beschlüssen der 1. Außerordentlichen Konferenz (6. Februar 1922) wurde ausdrücklich festgelegt, dass die Partei „eine lange legale Existenz braucht“, weil sie „sich noch in einer Organisations- und Propagandaphase befindet“, während gleichzeitig der griechische kapitalistische Staat durch „den Geist des petit-bourgeoisen Kompromisses“ geprägt ist, „der sich in der Bindung der Volks- und Arbeitermassen an demokratische und parlamentarische Institutionen manifestiert“. Es ist klar, dass die SEKE in dieser Zeit versucht, sich eine aktivere Rolle in der bourgeoisen Politik zu sichern.
In diesem Zusammenhang verurteilte die SEKE Desertion als Strategie des „Individualismus“ und der „Feigheit“, während sie gleichzeitig ihre Ablehnung des Krieges erklärte und die Notwendigkeit von Einheitsfronten betonte. Genauer gesagt: „Die Partei nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass sie stets eine Antikriegspartei geblieben ist und sich allen nationalistischen Bestrebungen und imperialistischen Bündnissen der Parteien der alten und neuen Bourgeoisie widersetzt hat. Sie ist der Ansicht, dass die in dieser Frage gewonnene Anerkennung durch eine verstärkte und methodische Propaganda gegen alle Kriege ausgebaut werden muss. Ihre Politik in diesem Punkt sollte jedoch nicht mit Pazifismus verwechselt werden und nicht auf den Gefühlen des Individualismus und der Feigheit der Flüchtigen beruhen. Ihre Politik gegen den Krieg muss immer dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie die Katastrophen und Zerstörungen aufzeigt, die über die Interessen des Landes und des Volkes hereinbrechen, sowie die Gefahren, die die kriegsbefürwortenden Tendenzen für den Frieden und das Zusammenleben der Völker des Balkans und des Ostens im Allgemeinen mit sich bringen. Unsere Partei wird somit nicht nur die Kriminalität der Politik der bourgeoisen Parteien aufdecken, sondern auch den Weg zur Rettung des griechischen Volkes durch enge Beratung und Zusammenarbeit mit den anderen Völkern des Ostens aufzeigen.“55 Der obige Ausschnitt ist echt aufschlussreich, weil er zeigt, wie der praktische Widerstand gegen die griechische imperialistische Politik (z. B. der Soldatenstreik während des Zusammenbruchs der Front) als individualistisch abgetan wird, im Gegensatz zur (vagen) anklagenden/kriegsfeindlichen Propaganda der SEKE.
Am 23. März 1922 verurteilte die GSEE/SEKE die neuen Zwangsanleihen und Steuern und brachte diese Maßnahmen richtig mit den laufenden Kriegsanstrengungen in Verbindung. Der praktische Widerstand der Proletarier blieb jedoch ein zukünftiges Ziel unter der Führung der Partei, denn „es ist Zeit, dass das unterdrückte Volk gerettet und vor Zerstörung, Hunger und Tod gerettet werden müssen“, das Volk „muss zuerst aufwachen“.56
1922, während des Kongresses der Kommunistischen Balkanföderation in Sofia, wo die „nationale Frage“, vor allem die Frage nach der Unabhängigkeit Mazedoniens, diskutiert wurde, umarmte und küsste Petsopoulos vor Tausenden von Arbeiterinnen und Arbeitern den türkischen Delegierten, verurteilte den Krieg und sprach über die gemeinsamen Interessen der türkischen und griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter. Trotz dieser Erklärung wurde in der griechischen kommunistischen Presse nicht erwähnt, dass die Repression und die Morde an türkischen Kommunisten, die ein Jahr zuvor von den Kemalisten begangen worden waren, stattfanden, während deren nationale Befreiungsbewegung in enger ökonomischer und politischer Allianz mit Sowjetrussland stand. In Griechenland machte diese Erklärung großen Eindruck auf die bourgeoise Presse, und in der Folge wurde Petsopoulos gemäß den Beschlüssen des außerordentlichen Kongresses vom Oktober 1922 aus der SEKE ausgeschlossen, damit die Partei mit der Ausweisung aller „inneren Oppositionellen“ fortfahren und die Beschlüsse vom Februar 1922 ratifizieren konnte.57
Die Bolschewisierung der griechischen Partei beschleunigte sich 1924, im selben Jahr, in dem die nationalistische rechte Fraktion der TKP, unterstützt von der Komintern, die Führung dieser Partei übernahm. Bis 1925 waren sowohl die KKE als auch die TKP endgültig zu Organen der sowjetischen Außenpolitik geworden. Bereits im Januar 1924 erklärte die Partei in einer Erklärung mit dem vielsagenden Titel: „Die Wiederaufnahme der griechisch-sowjetischen Beziehungen“ behauptete die SEKE, dass „die Wiederaufnahme unserer diplomatischen Beziehungen mit dem neuen Russland […] auch für unseren Handel vorteilhaft ist, da die Schwarzmeerhäfen (Südrussland) schon immer die wichtigste Handelsroute für die griechische Handelsmarine waren […] Diese Tatsache wird sich nicht nur positiv auf den Handel, sondern auch auf die nationale Ökonomie auswirken.“58
Als ob das noch nicht genug wäre, hieß es in den „Thesen zur politischen Lage”, die im Februar 1924 in der Zeitung Rizospastis veröffentlicht wurden, in der Schlussbemerkung: „Unsere Partei wird für die sofortige Wiederherstellung sowohl der ökonomischen als auch der politischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Union der Sowjetrepubliken Russlands kämpfen.”59
Ende desselben Jahres (26. November bis 3. Dezember) wurde die SEKE in KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) umbenannt. Die „neue“ Partei, befreit von ihren „inneren Feinden“, war nun in der Lage, ihre Beziehungen zur UdSSR weiter zu festigen und damit die lokalen Klassenkämpfe zu untergraben.
1Gilles Dauvé, Eclipse and Re–emergence of the Communist Movement, https://www.kokkinonima.gr/?p=1.
2Siehe http://insurgentnotes.com/ und https://bthp23.com/.
3Der vollständige Text des Kapitels ist verfügbar unter https://breaktheirhaughtypower.org/socialism–in–one–country–before–stalin–and–the–origins–of–reactionary–anti–imperialism–the–case–of–turkey–1917–1925/
https://breaktheirhaughtypower.org/socialism–in–one–country–before–stalin–and–the–origins–of–reactionary–anti–imperialism–the–case–of–turkey–1917–1925/.
4Lenin, Gesammelte Werke, Band 26, S. 445.
5Lenin, op. cit., Band 27, S. 102.
6Ebenda, S. 106.
7Ebenda, S. 258, 583.
8Ebenda, S. 212–213.
9Lenin, op. cit., Band 26, S. 414.
10Lenin, op. cit., Band 22, S. 298.
11Lenin, op. cit., Band 27, S. 340.
12Degras, Sowjetische Dokumente zur Außenpolitik, Band 1, S. 133–135.
13Ebenda, S. 137–139.
14Avanti!, 8.5.1920, zitiert in Piero Melograni, Lenin und der Mythos der Weltrevolution.
15Die Sozialistische Arbeiterpartei Griechenlands (SEKE) wurde im November 1918 nach der Gründung der Allgemeinen Konföderation der Arbeiter Griechenlands (GSEE) gegründet und damit im Vergleich zu sozialistischen Parteien in anderen Ländern relativ spät. Später, nach ihrem 2. Kongress (5.–12. April 1920), wurde sie in „SEKE(K)“ (K für Kommunistisch) umbenannt. Im selben Jahr trat die Partei der Kommunistischen Internationale bei und schwankte lange zwischen den Positionen der 2. und 3. Internationale. Gemäß den Beschlüssen ihres dritten außerordentlichen Kongresses vom 26. November bis 3. Dezember 1924 erhielt sie schließlich den Namen KKE (Kommunistische Partei Griechenlands). Um die inneren ideologisch-politischen Konflikte dieser Zeit zu beschreiben, bräuchte man einen eigenen Text. Es genügt zu sagen, dass die lokale Dynamik des Klassenkampfs nur teilweise von den Konflikten innerhalb der SEKE(K) abhängig war, während letztere notwendigerweise, wenn auch nur teilweise, die lokalen klassenbasierten Konflikte reflektierten.
16EKS/ICC, Der linke Flügel der TKP, S. 81.
17A. Benaroya, Die erste Entwicklung des griechischen Proletariats, S. 110–115.
18Auf politischer Ebene ist der modernisierende Charakter des „Goudi-Putsches“ von 1909 und später die liberale/republikanische Regierung von Venizelos zu sehen. Der Goudi-Putsch war ein Militärputsch nach dem Griechisch-Türkischen Krieg von 1897 und die erste militärische Intervention dieser Art in der lokalen Politik. Der Putsch ebnete Eleutherios Venizelos den Weg in die griechische Politik und markierte damit den Übergang zu einer Ära, die von zwei gegensätzlichen politischen Kräften geprägt war: dem liberalen Venizelismus auf der einen und dem konservativ-monarchistischen Anti-Venizelismus auf der anderen Seite.
19Elefantis, Das Versprechen der unmöglichen Revolution: KKE und Bourgeoisie in der Zwischenkriegszeit, S. 28–29; Stinas, Erinnerungen: Siebzig Jahre unter dem Banner der sozialistischen Revolution, S. 27–28.↩
20Stinas, der für seine aktive Beteiligung an der Arbeiterbewegung als Mitglied der KKE und kleinerer Gruppen, die aus der Archiv-Marxistischen Partei hervorgegangen waren, bekannt war, gibt eine höhere Zahl von Arbeiterinnen und Arbeitern an, die auf dem Kongress vertreten waren: 70–80.000. Op.cit., S. 28.
21Eine kleine anarchosyndikalistische Gruppe, darunter Speras, Koukhtsoglou und Fanourakis, lehnte das Prinzip, dass man sich „vor jeglichem bourgeoisen Einfluss hüten“ müsse, entschieden ab. Sie bestanden darauf, dass die Gewerkschaft/Syndikat sich nicht nur vor bourgeoisem Einfluss, sondern ganz allgemein vor jeglichem politischen Einfluss schützen müsse, womit sie auch die sozialistische/kommunistische Partei meinten. Ebenda. S.31.
22In den ersten fünf Monaten des Jahres 1919 kämpften mehr als 23.000 Griechen gegen die Rote Armee in der Ukraine. Dies war eine bedeutende Intervention, da die französische Armee unorganisiert war und einige ihrer wichtigsten Seestreitkräfte sich mit der Roten Armee und den Streikenden in Sewastopol verbündet hatten. Die griechischen Soldaten wurden daraufhin zur Unterdrückung der Streiks eingesetzt.
23Bolaris, SEKE: Die revolutionären Wurzeln der Linken in Griechenland, S. 21–22.
24https://www.rizospastis.gr/story.do?id=4017252
25Bolaris, op. cit., S. 24. Nach diesen Ereignissen verließen die Venizelisten die GSEE und gründeten ihre eigene Konföderation mit Sitz im Industriezentrum/Hafen von Piräus, ihrer Hochburg.
26Vom 2. bis 15. Mai 1919 landeten griechische Truppen der 1. Division unter dem Kommando von General Zafiriou in Smyrna und besetzten mit Unterstützung der griechischen, französischen und britischen Seestreitkräfte sowohl die Stadt als auch das umliegende Gebiet. Im Oktober 1920 rückte die griechische Armee mit Unterstützung der oben genannten Länder, die ihrerseits die türkische Regierung zur Unterzeichnung des Vertrags von Sèvres zwingen wollten, in Ostkleinasien vor.
27Benaroya, op. cit., S. 139. Dimitratos war Gründungsmitglied der SEKE und war von 1918 bis 1922 Sekretär des Zentralkomitees. Danach unterstützte er die Bolschewisierung der SEKE, wurde aber später ein Befürworter der „legalen Existenz” der SEKE. Nach seinem Ausschluss aus der SEKE im Jahr 1924 verbündete er sich kurzzeitig mit Benaroya, um sozialdemokratische Positionen zu vertreten.
28Bolaris, op. cit., S. 29.
29Kabagiannis, Die Gewerkschaftsbewegung in Griechenland, 1918–1926, S. 80.
30Diese Region war erst acht Jahre zuvor nach langwierigen Militäroperationen Teil des griechischen Staatsgebiets geworden und beherbergte eine große Anzahl muslimischer und jüdischer Proletarier – viele von ihnen waren Mitglieder der größten sozialistischen Gruppe, der Föderation, einer Gruppe mit internationalistischer Ausrichtung, die sich gegen die damals kürzlich verabschiedete zionistische Politik stellte.
31Bolaris, op. cit., S. 29–30.
32Siehe Rizospastis, 17.5.1920. Offizielle Texte der KKE, Band 1 (1918–1924), S. 83.
33Ebd., S. 106–108.
34Ebenda, S. 127.
35Benakis, Die andere Seite der griechischen Arbeiterbewegung (1918–1930), S. 54.
36Offizielle Texte der KKE, Band 1 (1918–1924), S. 148, Hervorhebung von uns.
37Siehe Benaroya, op. cit., S. 196–7.
38Stinas, op. cit., S. 36.
39Benaroya, op. cit., S. 142–144; Stinas, op. cit., S. 36–38.
40Volos, ein Jahrhundert. Von der Eingliederung in den griechischen Staat (1881) bis zu den Erdbeben (1955), Volos Publications, Volos 1999, S. 167–168.
41Bolaris, op. cit., S. 33–36.
42Stinas, op. cit., S. 36–38.
43Bolaris, op. cit., S. 39–40.
44Stinas, op. cit., S. 38.
45Benaroya, op. cit., S. 148.
46J. Riddell, An die Massen: Protokolle des Dritten Kongresses der Kommunistischen Internationale, 1921, 2015, S. 840. Zu diesem Zweck kam zu dem Druck durch die Desertion noch ein weiterer wichtiger Faktor hinzu: die niedrige Wehrpflichtquote, nicht nur in Griechenland, sondern auch unter der griechischsprachigen Bevölkerung Kleinasiens. Einigen Generälen, die Truppen in Asien befehligten, zufolge war die griechischsprachige lokale Bevölkerung trotz mehrerer Einberufungen viel zu zurückhaltend, sich den griechischen Streitkräften anzuschließen. Ungeachtet der Propaganda der griechischen Regierung stieß die „Befreiung der Griechen in Kleinasien” bei den Betroffenen nicht auf große Begeisterung.
47D. Livieratos, Pantelis Pouliopoulos: Ein intellektueller Revolutionär, S. 17.
48Stinas, op. cit., S. 41.
49Benakis, op. cit., S. 54.
50Ebd., S. 91–92.
51Stinas, op. cit., S. 62; Benaroya, op. cit., S. 158.
52Dumont, Paul, Du socialisme ottoman à l’internationalisme anatolien, Istanbul: Les Editions Isis, 1997, S. 392 n. 2.
53Stinas, op. cit., S. 41–42, Hervorhebung von uns.
54Ebenda, S. 54–55.
55Offizielle Texte der KKE, Band 1 (1918–1924), S. 211–225, erste Hervorhebung von uns.
56Ebenda, S. 236, Hervorhebung von uns; siehe auch S. 242–244 zur Verknüpfung von Krieg und brutaler Besteuerung (21. Mai 1922).
57Stinas, op. cit., S. 64, Benaroya, op. cit., S. 156, 160. Zur Ansicht, die die „legitime Tätigkeit” der SEKE befürwortet, siehe oben. Diese Resolution löste natürlich heftige interne Debatten aus.
58Offizielle Texte der KKE, Band 1 (1918–1924), S. 392, Hervorhebung von uns. Eine öffentliche Erklärung zu diesem Thema durch die griechischen Reeder, Kaufleute und Bankiers, drei der führenden Sektoren der lokalen Wirtschaft, hätte nicht viel anders ausfallen können…
59Ebenda, S. 409, Hervorhebung von uns.