Leninismus oder Marxismus: Imperialismus und die nationale Frage – L’Ouvrier Communiste Nr. 2 & 3 – Oktober 1929

Von uns übersetzt, französisches Originaltext hier zu lesen. Ein weitere Text der nationale Befreiungsbewegungen (die nationale Frage im allgemeinen) und Lenin kritisiert.


Leninismus oder Marxismus: Imperialismus und die nationale Frage – L’Ouvrier Communiste Nr. 2 & 3 – Oktober 1929

Chinas aktueller Konflikt mit Russland und die Kriegsgefahr, die von diesem innerimperialistischen Zwischenfall ausgeht, wie auch von all den anderen, die uns die aktuellen Ereignisse täglich bringen, zeigen, dass ein neuer Weltkrieg bald passieren könnte, und zwingen uns, uns wieder mit dem Problem zu beschäftigen, das der Ausbruch und Verlauf des Krieges von 1914 der marxistischen Linken der 2. Internationale so brutal vor Augen geführt hat.

In dieser Frage waren sehr wichtige Differenzen zwischen den leninistischen Elementen (in diesem Fall beschränkt auf Lenin und Sinowjew, die allein die Sozialdemokrat herausgaben) und der Mehrheit der Linken (die sich hauptsächlich aus Elementen aus Deutschland, Polen und Holland zusammensetzte) entstanden. Es ist nicht unwichtig, die Isolation des russischen Bolschewismus in seiner besonderen Position zur nationalen Frage im Verhältnis zu anderen Strömungen zu erwähnen. Es ist kein Zufall, dass der Bolschewismus oder Leninismus in diesem Bereich bereits im Widerspruch zur westlichen proletarischen Ideologie stand.

Zu lange wurden diese für die Entwicklung der internationalen Revolution grundlegenden Unterschiede von den verschiedenen Elementen der Dritten Internationale verschwiegen. Wie die Mehrheit haben auch die sogenannten Oppositionellen, die als Leninisten, Trotzkisten oder Bordigisten bezeichnet werden, immer so getan, als würden sie den Antagonismus zwischen der luxemburgistischen und der bolschewistischen Tendenz ignorieren. Prometeo, das kürzlich einen Artikel von Amadeo Bordiga zur „nationalen Frage” veröffentlichte, versäumt es, darauf hinzuweisen, dass sich der Inhalt dieses Artikels vom Leninismus zu entfernen und dem Luxemburgismus anzunähern scheint. Man sollte noch hinzufügen, dass Bordiga selbst dazu beigetragen hat, diese Unterschiede, die seit etwa fünfzehn Jahren in der marxistischen Linken bestanden, im Verborgenen zu halten, indem er sie unter dem Mantel der bolschewistischen Disziplin versteckte. Erst in seinem Vortrag über Lenin von 1924 machte er eine vage Anspielung auf diese Divergenz und drückte in einer diplomatischen Formulierung seine Sympathie für die antileninistische Tendenz der marxistischen Linken in der Zweiten Internationale aus.

Tatsächlich ermöglichten der Tod von Luxemburg und der Ausschluss linker Elemente wie der niederländischen Tribunisten und der Kommunistischen Arbeiterinnen und Arbeiterpartei Deutschlands (K.A.P.D.) aus der Dritten Internationale, dass der Leninismus die Taktik der Komintern in der nationalen Frage wie auch in allen anderen Fragen dominierte.

Deshalb ist es wichtig, zuerst die marxistische Position zu diesem speziellen Problem zu zeigen, wie sie aus den Zitaten von Sinowjew und Lenin selbst klar hervorgeht. In „Gegen den Strom“ wird auf Marx‘ Ausspruch im „Kommunistischen Manifest“ verwiesen: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“. Lass uns die Passage aus dem Manifest, in der Marx und Engels ihre Gedanken zur Frage des Vaterlandes in Bezug auf die Arbeiter darlegen, vollständig wiedergeben:

„Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie. Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung.“

Lenin gibt hier eine genaue Interpretation von Marx‘ Text, indem er anerkennt, dass die sozialistische Revolution nicht innerhalb der Grenzen des alten Vaterlandes gewinnen kann, dass sie sich nicht innerhalb nationaler Grenzen bewahren kann, dass ihre gemeinsame Aktion, wie Marx zu Recht sagt, zumindest in den zivilisierten Ländern eine der ersten Bedingungen für die Emanzipation ist. Es ist klar, dass Karl Marx hier von den Proletariern der fortgeschrittenen Länder schon vor dem revolutionären Sieg ein hohes Maß an Internationalismus erwartet und darin eine Grundlage für die Entwicklung der Revolution sieht. Der Ausdruck „Nation“, der auf das soziale Ganze angewendet wird, das das Proletariat beherrscht und mit dem es sich allmählich identifiziert, ist formal, wie ein bedeutungsloser Rest, den die Bourgeoisie bei ihrem Untergang hinterlassen hat. Er lässt keineswegs den Schluss zu, dass Karl Marx an die eigenständige Existenz eines „sozialistischen Vaterlandes” glaubte.

Es ist außerdem klar, dass nationale Grenzen bereits unter dem bourgeoisen Regime ihre ökonomische und politische Bedeutung verlieren und dass sie durch die Entwicklung der proletarischen Macht vollständig abgeschafft werden sollen.

Die spätere Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie hat die Richtigkeit dieser These durch die Verwirklichung der universellen Einheit des Marktes für Rohstoffe, Exporte und Kapital gründlich bewiesen. Der letzte Krieg hat den Nationalismus als ultrareaktionären Überrest entlarvt, der nicht mehr die Interessen einer autonomen sozialen Formation zum Ausdruck bringt, sondern als ideologische Verkleidung für imperialistische Realitäten dient.

Die petit Bourgeoisie aller Couleur und die in den großen Monopolen verwurzelte Arbeiteraristokratie sind nur in dem Maße Träger des Patriotismus, wie sie dem Großkapital unterworfen sind, das sie zu seinen Marionetten macht und die Komödie der nationalen Verteidigung mit der des Wilsonismus, Locarnoismus usw. abwechselt. Die Arbeiterklasse hat keinen Grund, an nationalen Grenzen zu hängen, wie der proletarische Internationalismus zeigt. Es ist offensichtlich, dass die historische Grundlage ihrer Kämpfe und revolutionären Erfahrungen das Proletariat dazu bringen wird, Grenzen abzuschaffen, sobald es in mehr als einem Land die Macht übernommen hat. Der ethnische Charakter der Nationalisten verliert jeglichen Wert, die Verschmelzung der unterschiedlichsten ethnischen Elemente ist längst alltäglich geworden, und so können nationale Grenzen der Flut der bourgeoisen Zivilisation ebenso wenig widerstehen wie ethnische Grenzen.

Die internationalistische These des Marxismus lässt also keinen Raum für Missverständnisse; der Ausdruck, der sie zusammenfasst: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“ ist unmissverständlich klar und markiert die wirkliche Trennung zwischen bourgeoisem Nationalismus und proletarischem Internationalismus; die nachfolgende historische Entwicklung hat den eindeutig bourgeoisen Charakter der patriotischen und nationalen Ideologie entlarvt. Und doch hat Lenin den Einfluss dieser patriotischen Ideologie, die von den marxistischen Elementen des Westens völlig abgelehnt wurde, nicht vollständig aus seiner „marxistischen“ Konzeption getilgt.

Es ist interessant festzustellen, dass Lenin, wenn er mit den Reformisten polemisiert, ultralinke Positionen einnimmt, während er, wenn er mit den Ultra-Linken polemisiert, reformistische Positionen einnimmt. Diese eklektische Haltung zieht sich durch alle Themenbereiche. Die Schwankungen seines Zentrismus kommen in Werken wie „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ einerseits und „DerLinke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ andererseits sehr gut zum Ausdruck. In der Passage aus „Gegen den Strom“ (Seite 18 des ersten Bandes) polemisiert Lenin gegen die Reformisten und Sozialverräter. Er wird zum reinen Internationalisten und erinnert an den unmissverständlichen marxistischen Ausdruck: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“.

Auf Seite 213 polemisiert er gegen den Niederländer Nieuwenhuis und vergleicht ihn mit Gustave Hervé, wobei er behauptet, dass Letzterer Unsinn redete:

„Als er aus dem Axiom, dass „jedes Land nichts anderes als eine Geldquelle für die Kapitalisten ist“, schlussfolgerte, dass „die deutsche Monarchie oder die französische Republik für die Sozialisten gleich sind“.

„Als Hervé in dem Entschließungsantrag, den er dem Kongress vorlegte, erklärte, es sei für das Proletariat „völlig gleichgültig“, ob das Land unter der Herrschaft dieser oder jener nationalen Bourgeoisie stehe, formulierte und verteidigte er eine Absurdität, die noch schlimmer war als die von Nieuwenhuis. Für das Proletariat ist es keineswegs gleichgültig, ob es beispielsweise seine Muttersprache frei sprechen kann oder ob es zusätzlich zur Klassenausbeutung auch noch unter nationaler Unterdrückung leidet. Anstatt aus den Prämissen, die den Sozialismus ankündigen, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass das Proletariat die einzige Klasse ist, die bis zum Ende kämpfen wird, sicherlich gegen jede nationale Unterdrückung, für die vollständige Gleichheit der Rechte der Nationen, für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, erklärt Hervé stattdessen, dass das Proletariat sich nicht um nationale Unterdrückung kümmern muss, dass es die nationale Frage im Allgemeinen ignoriert.“

Natürlich greift Lenin in diesem Fall auf seine Lieblingsmethode der Analogien zurück, um eine Theorie aufgrund des Verrats eines einzelnen Mannes ablehnen zu können. Aber das ist für uns nicht so wichtig. Wichtiger ist der Inhalt dieser Passage, der Lenins Theorie zur nationalen Frage zusammenfasst. Und darüber hinaus behauptet er, diese spezielle Auffassung von ihm und den Bolschewiki aus den Prämissen abzuleiten, die den Sozialismus ankündigen!

Aber er hat bereits mit Marx zugegeben, dass „die Arbeiter keine Vaterland haben“ und dass die nationale Frage für die Arbeiterklasse kein Interesse haben kann. Marx sagt klar, dass man ihnen (den Proletariern) nicht nehmen kann, was sie nicht haben. Und doch geht aus dieser Passage von Lenin klar hervor, dass den Arbeitern das Vaterland genommen werden kann, dass es nicht nur ein Privileg der herrschenden Klassen ist, sondern auch ein Vorteil der ausgebeuteten Klassen. Tatsächlich „ist es nicht gleichgültig, zusätzlich zur Ausbeutung durch die Klasse auch noch nationale Unterdrückung zu erleiden“. Hier wird der Widerspruch zwischen marxistischem und leninistischem Denken deutlich. Für Lenin muss das Proletariat an der nationalen Frage interessiert sein, es muss gegen jede nationale Unterdrückung sein, mit anderen Worten gegen jede Unterdrückung durch das Vaterland, das es laut Marx nicht hat und dem es nichts wegnehmen kann. Für Lenin ist das Proletariat sogar der Vorkämpfer der nationalen Verteidigung, weil es die einzige Klasse ist, die bis zum bitteren Ende kämpfen wird, vor allem gegen jede nationale Unterdrückung.

Dies sind zweifellos die Ursprünge des Nationalbolschewismus. Und wenn wir einmal die Bedeutung von Lenins Gedanken durchdacht haben, wird es uns nicht überraschen, dass Bucharin 1923 sagte:

„Der Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland von 1923 war nicht einfach eine Wiederholung des Konflikts von 1914. Er hat vielmehr einen nationalen Charakter. Folglich muss die KPD der deutschen Arbeiterklasse klar machen, dass nur sie die deutsche Nation gegen die Bourgeoisie verteidigen kann, die die nationalen Interessen ihres Landes verkauft.“

Das leninistische Denken verkennt auch die Künstlichkeit der sogenannten nationalen Gefühle, die von der Bourgeoisie ausdrücklich geschürt werden. Es verkennt, dass chauvinistische Gefühle in bestimmten privilegierten Schichten der Bevölkerung einfach eine Folge ihrer ökonomischen Situation sind. Dass heute die Liebe zum Vaterland auf diese Schichten beschränkt ist, haben wir bereits erwähnt.

Und war Deutschland im Sinne des Leninismus nicht ein unterdrücktes Land? Daran kann kein Zweifel bestehen. Deutsche Regionen wurden durch die französische Besatzung unterdrückt, und es war die „Pflicht“ der deutschen Arbeiter, bis zum bitteren Ende für die Befreiung dieser Regionen zu kämpfen! Für die Befreiung Deutschlands von der Unterdrückung durch die Entente. Die Ergebnisse der Anwendung von Lenins Taktik in Deutschland im Jahr 1923 sind allen bekannt.

Aus dieser katastrophalen Erfahrung geht klar hervor, dass das Proletariat, wenn es sich zur Verteidigung „seines Vaterlandes”, „der unterdrückten Nation”, aufmacht, nur ein Ergebnis erzielt, nämlich die Stärkung der eigenen Bourgeoisie. Es muss jedoch noch auf einen weiteren sehr offensichtlichen Widerspruch hingewiesen werden, der in den Artikeln von Gegen den Strom besteht, um die Zweideutigkeit des Nationalbolschewismus zu verdeutlichen. In einem anderen Artikel (Seite 70 des ersten Bandes) schreibt er:

„Solange es kapitalistische Staaten gibt, also solange die imperialistische Weltpolitik das Innen- und Außenleben der Staaten bestimmt, ist das Selbstbestimmungsrecht der Nation weder im Frieden noch im Krieg von Bedeutung. Außerdem gibt es im aktuellen imperialistischen Umfeld keinen Platz für einen Verteidigungskrieg, und jede sozialistische Politik, die dieses historische Umfeld ignoriert und versucht, sich von der isolierten Basis eines einzelnen Landes aus zu orientieren, ist von Anfang an auf Sand gebaut.“

Wie wir gerade gesehen haben, hat der Imperialismus jede Möglichkeit eines nationalen Krieges im marxistischen Sinne des Wortes beseitigt, und Karl Marx‘ Meinung von 1871 hat in der späteren Entwicklung des kapitalistischen Imperialismus eine solide Grundlage gefunden. Nun scheint es in dem oben zitierten Abschnitt so, als würde der Leninismus in seiner allgemeinen Linie dieser Meinung nahekommen. Das ist aber nicht der Fall. In seiner Polemik gegen die polnischen Sozialdemokraten (Seite 129 des zweiten Bandes) entwickelt Lenin seinen Gedanken im Gegensatz zu ihnen:

„Offensichtlich stellen die polnischen Autoren die Frage der ‚Verteidigung des Vaterlandes‘ ganz anders als unsere Partei. Wir lehnen die Verteidigung des Vaterlandes im imperialistischen Krieg ab (…) Offensichtlich lehnen die Autoren der polnischen Thesen die Verteidigung des Vaterlandes generell ab, d. h. sogar für einen nationalen Krieg, vielleicht in der Annahme, dass nationale Kriege in der imperialistischen Ära unmöglich sind.“

Es ist klar, dass Lenin in dieser Passage sagt, dass für ihn nationale Kriege noch nicht vorbei sind und dass er die Verteidigung des Vaterlandes in einem nationalen Krieg akzeptiert. Es ist klar, dass die leninistische Ideologie hier im Widerspruch zum Marxismus und zu sich selbst steht. Für Lenin schwankt die Realität zwischen zwei Polen, die sich gegenseitig ausschließen. Einerseits erkennt er die schreckliche Realität des imperialistischen Krieges an, der offenbar aus einem nationalen Konflikt entstanden ist; andererseits klammert er sich verzweifelt an einen abgestandenen und überholten Nationalismus, den er mit Gewalt wiederbeleben will. Und genau aus diesem Grund sucht er Beispiele in nationalen Aufständen, die nach und nach ihren reaktionären Charakter offenbart haben und der revolutionären Bewegung des Proletariats keinen Vorteil gebracht haben. Lenin sagt (Seite 139 des zweiten Bandes):

„Die Sozialisten wollen alle nationalen Bewegungen, die sich gegen den Imperialismus richten, für ihre Revolution nutzen. Je klarer der Kampf des Proletariats gegen die gemeinsame Front der Imperialismen jetzt wird, desto wichtiger wird das internationalistische Prinzip, das besagt: Ein Volk, das andere Völker unterdrückt, kann selbst nicht frei sein.“

In seiner Auseinandersetzung mit der Junius-Broschüre (Seite 154 des zweiten Bandes) wird Lenins Denken zu dieser Frage immer klarer. Für Lenin gibt es eine klare Trennlinie zwischen nationalen Kriegen und imperialistischen Kriegen:

„Nur ein Sophist (Seite 158) könnte versuchen, den Unterschied zwischen einem imperialistischen Krieg und einem nationalen Krieg zu verwischen …“

Und weiter unten erwähnt er sogar die Möglichkeit eines großen nationalen Krieges:

„Wenn der Imperialismus außerhalb Europas ebenfalls etwa zwanzig Jahre lang andauern würde und keinen Raum für den Sozialismus ließe, beispielsweise aufgrund eines amerikanisch-japanischen Krieges, dann wäre ein großer nationaler Krieg in Europa möglich.“

Junius (Luxemburg) behauptete als konsequente Marxistin, dass es keine nationalen Kriege mehr geben könne, und Lenin sagte, es wäre falsch, „die Einschätzung des gegenwärtigen Krieges auf alle unter dem Imperialismus möglichen Kriege auszudehnen und die nationalen Bewegungen zu vergessen, die gegen den Imperialismus entstehen können“. Und er fügt hinzu, dass sogar ein großer nationaler Krieg möglich ist! Hier wird der Widerspruch zwischen seinem Denken und dem marxistischen Denken immer deutlicher, denn für Sinowjew selbst beendete der Krieg von 1870/71 die Ära der großen nationalen Kriege in Europa.

Vergeblich versucht Lenin auf den Seiten 122–123 desselben Werks, sich in seiner Polemik gegen die polnischen Sozialdemokraten zu retten, indem er auf Engels‘ Gedanken aus dem Werk „Der Po und der Rhein“ zurückgreift. Sein Widerspruch zum Marxismus ist nicht weniger offensichtlich. Engels glaubt, dass die Grenzen der großen europäischen Nationen im Laufe der Geschichte festgelegt wurden, in der mehrere kleine und nicht lebensfähige Nationen absorbiert und durch Sprache und die Sympathien der Bevölkerung zunehmend in eine große Nation integriert wurden. Engels‘ These ist aus historischer Sicht schon sehr schwach. Vor allem aber muss Lenin feststellen, dass der reaktionäre, imperialistische Kapitalismus diese demokratisch definierten Grenzen immer öfter aufbricht. Es muss gesagt werden, dass diese Art, den Einfluss des Kapitalismus auf die Veränderungen der alten Grenzen zu verstehen, die Engels als „natürlich“ betrachten würde, überhaupt nicht mit der Hauptidee des Marxismus übereinstimmt, die in der oben erwähnten Passage des „Kommunistischen Manifests“ enthalten ist:

„Schon verschwinden mit der Entwicklung des Bürgertums, der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und den ihr entsprechenden Existenzbedingungen die nationalen Abgrenzungen und Antagonismen zwischen den Völkern immer mehr.”

Marx sah diesen Prozess des Verschwindens nationaler Abgrenzungen nicht als reaktionäres Phänomen, wie Lenin behauptete. Lenin betrachtet den gesamten Prozess und die Haltung der polnischen Sozialdemokraten dazu als „imperialistischen Ökonomismus“. Hier ist, was er dazu zu sagen hat:

Die alten „Ökonomen“1, die nur eine Karikatur des Marxismus hinterließen, lehrten die Arbeiter, dass „das, was ökonomisch ist“ nur für Marxisten von Bedeutung sei. Glauben die neuen „Ökonomen“, dass der demokratische Staat des siegreichen Sozialismus ohne Grenzen existieren wird (wie ein Komplex von Empfindungen ohne Materie)? Glauben sie, dass Grenzen nur durch die Bedürfnisse der Produktion bestimmt werden? In Realität werden diese Grenzen demokratisch festgelegt, also entsprechend dem Willen und den Sympathien der Bevölkerung. Der Kapitalismus nutzt Gewalt, um „Sympathien“ zu beeinflussen, und erschwert damit die Arbeit, Nationen zusammenzubringen.

Für Marx lassen die Bourgeoisie und die ökonomische Organisation des Kapitalismus Grenzen verschwinden und beseitigen nationale Schwierigkeiten; für Lenin verstärkt der Kapitalismus diese Schwierigkeiten. Es sei angemerkt, dass die Bourgeoisie 1848 progressiv und in der imperialistischen Phase reaktionär war. Diese Unterscheidung ist nicht sehr sinnvoll, da der Aufstieg der Weltökonomie seitdem trotz gewaltiger Krisen nicht aufgehört hat, die nationalen Bevölkerungen immer näher zusammenzubringen und manchmal diese nationalen Elemente zu verschmelzen.

Lenins Denken erscheint uns hier als historischer Anachronismus, als Rückschritt. Er will die Einheit der Völker erreichen, indem er zu einer historischen Grundlage zurückkehrt, die der Marxismus bereits 1848 als vom Verschwinden bedroht ansah. Lenins Denken in diesem Bereich, das von westlichen kommunistischen Militanten weitgehend ignoriert wird, kann daher nur als reaktionär bezeichnet werden.

Anstatt nationale Gefühle zu bekämpfen, an deren Aufrechterhaltung die Bourgeoisie jedes Interesse hat, fördert er sie, legitimiert sie und macht sie zu einer moralischen Grundlage für die Entwicklung des Sozialismus.

Wenn man Lenins Polemik gegen Junius liest, wird niemand auch nur einen Moment daran zweifeln, dass alle Sophistik auf seiner Seite ist. Was ist denn das einzige Argument, das er gegen Luxemburg vorbringen kann? Der subtile Vorwand, dass Dialektik in Sophistik abgleiten kann. Und dafür beruft er sich auf die Dialektik der Griechen, die nichts mit der materialistischen Dialektik zu tun hat, die keine Methode außerhalb der Realität ist, sondern eine Methode innerhalb der Realität selbst. Denn dieser nationale Krieg (das kleine Serbien, das gegen das große Österreich rebellierte) hatte sich nicht abstrakt, sondern in Realität in einen imperialistischen Krieg verwandelt. Das zeigte ganz klar, dass die Sophistik auf Lenins Seite lag, wenn es um nationale Kriege und Fragen ging.

Bevor wir aber die historischen Ereignisse betrachten, die diese Einschätzung bestätigen, ist es nicht verkehrt, Lenins Denken anhand eines Zitats, dessen Inhalt unbestritten ist, klarer darzulegen. In dem Artikel gegen die Junius-Broschüre (Seite 158, zweiter Band) bekräftigt Lenin eindeutig seinen Glauben an nationale Kriege und erweitert seine Theorie auf die Kolonialfrage:

„Nationale Kriege sind in einem Zeitalter des Imperialismus auf Seiten der Kolonien und Halbkolonien nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich. In den Kolonien und Halbkolonien (China, Türkei, Persien) leben insgesamt bis zu einer Milliarde Menschen, also mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Die nationalen Befreiungsbewegungen in diesem Gebiet sind entweder schon sehr stark oder sie wachsen und reifen heran. Die Fortsetzung der nationalen Befreiungspolitik der Kolonien wird unweigerlich in den nationalen Kriegen liegen, die sie gegen den Imperialismus führen. Kriege dieser Art können einen Krieg der großen imperialistischen Mächte von heute auslösen, aber sie können auch nichts bewirken, das hängt von vielen Umständen ab.“ [6]

Bisher haben wir die Widersprüche zwischen Marxismus und Leninismus in der nationalen Frage aufgezeigt. Wir haben auf den scharfen Kontrast zwischen der nationalbolschewistischen These des Leninismus und dem marxistischen Internationalismus der deutschen, polnischen und niederländischen Linken hingewiesen. Wer Bordigas Artikel „Kommunismus und die nationale Frage“ in Prometeo vom 15. September 1929 gelesen hat oder lesen wird, wird feststellen, dass dieser Kontrast (wenn auch versteckt) auch zwischen dem italienischen linken Denken und dem leninistischen Denken bestand.

Das war kein Zufall. Der antimarxistische Leninismus verbarg einen tiefen Unterschied in den objektiven Bedingungen zwischen Russland und den anderen europäischen Ländern in der nationalen Frage. Die objektiven Grundlagen der kommenden russischen Revolution waren nicht rein sozialistisch, und im leninistischen Denken gab es diese seltsame Vermischung von proletarischen und bourgeois Elementen, die mit dem klar proletarischen Denken des Westens kollidierte. Die objektiven Bedingungen Russlands wurden in der Reflexion zum Denken des zukünftigen Anführers der Oktoberrevolution widergespiegelt.

Diese Überlegungen, die ihre theoretische Grundlage in der Konzeption des historischen Materialismus haben und die das Urteil über die nationale Konzeption des Leninismus enthalten, wären nicht ausreichend, wenn sie nicht durch den historischen Bankrott des Nationalbolschewismus gestützt würden. Viele kommunistische Militante haben bis heute geglaubt, dass die vom Leninismus, Bucharinismus und Stalinismus angewandten Taktiken nichts mit dem Bolschewismus zu tun hätten; sie dachten, dass diese taktischen Linien der Kommunistischen Internationale eine Entartung der reinen Linie des Bolschewismus seien. Das lag auch an der diplomatischen Haltung einiger linker Gegner, die, wie wir am Anfang dieses Artikels gesagt haben, ernsthafte Differenzen mit dem Leninismus verdeckten, indem sie sich auf die Entartung des Bolschewismus beriefen. Sinowjewistische, Bucharinistische, Stalinistische und sogar Trotzkistische Nuancen sind keineswegs vom authentisch leninistischen Nationalbolschewismus losgelöst.

Deshalb mussten wir auf zahlreiche Zitate von Lenin zurückgreifen, damit nicht-fanatische kommunistische Arbeiter, die lesen und denken, verstehen können, dass der Nationalbolschewismus eine einzige Quelle hat, nämlich den Leninismus.

Aber kommen wir nun zur Analyse des historischen Prozesses, der auf die theoretische Begründung des National-Leninismus folgte, um dessen antiproletarischen Charakter und endgültigen Bankrott zu erkennen.

Wir haben schon gesehen, dass Lenin, anders als die marxistische These von 1871, die Möglichkeit eines großen nationalen Krieges in Europa ins Auge gefasst hat, und wir haben gesehen, dass Lenin es auch als Pflicht des Proletariats ansah, die unterdrückte Nation zu verteidigen. Für die Leninisten im Jahr 1923, in der Zeit der Besatzung und des ökonomischen Krieges im Ruhrgebiet, führte Deutschland einen nationalen Krieg. Sie behaupteten, dass Deutschland nach dem Vertrag von Versailles zu einer unterdrückten Nation geworden sei. Deshalb war Bucharin in dem bereits zitierten Ausschnitt der Meinung, dass das deutsche Proletariat die Nation verteidigen müsse. Sinowjew behauptete in der Roten Fahne vom 17. Juni 1923, dass die Kommunisten die wahren Verteidiger des Vaterlandes, des Volkes und der Nation seien. Bucharin und Sinowjew waren damals Leninisten, reine Bolschewiki. Hatte Lenin nicht in „Gegen den Strom“ den „großen nationalen Krieg“ vorhergesehen? Sicherlich hatte Sinowjew seinen früheren Artikel über die Plünderer vergessen, aber hatte Lenin 1916 nicht seine Überlegungen von 1914 gegen die Reformisten vergessen? Radek, der Schlageter lobte und sich auf den Seiten der „Roten Fahne“ freundschaftlich mit dem Faschisten Réventlow stritt, war auch ein konsequenter Leninist, weil er daran dachte, die „unterdrückte“ deutsche Nation gegen den Imperialismus der Entente und die verräterische deutsche Bourgeoisie zu verteidigen.

Es stimmt, dass Ruth Fischer ein bisschen über die Grenzen des Leninismus hinausging, als sie vor rassistischen Studenten den faschistischen Antisemitismus rechtfertigte, um das unterdrückte Vaterland zu retten, aber das war nur ein Ausrutscher aufgrund ihres übertriebenen Temperaments. Paul Frœlich hatte nichts Leninistisches an sich, als er in der Roten Fahne vom 3. August 1923 schrieb:

„Es stimmt nicht, dass wir Kommunisten während des Krieges Anti-Nationalisten waren. Wir waren gegen den Krieg, nicht weil wir Anti-Deutsche waren, sondern weil der Krieg nur den Interessen des Kapitalismus diente… Genau deshalb lehnen wir die Landesverteidigung nicht ab, wenn sie auf der Tagesordnung steht!“

Lenin sagte, dass er die Verteidigung des Vaterlandes in einem imperialistischen Krieg ablehnte, aber nicht generell? Wir sehen ganz klar, dass weder Sinowjew noch Bucharin, Radek oder Froehlich in ihrer Strategie von 1923 den Leninismus verraten haben. Es war allein der Leninismus, der die deutsche Revolution zunichte machte, es war der Nationalbolschewismus, der unter dem Vorwand, die Nation vor der deutschen Bourgeoisie zu retten, die Bourgeoisie vor dem deutschen Proletariat rettete. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Proletariats von seinem Hauptziel ab: dem Kampf gegen den internationalen Kapitalismus, und trennte so diejenigen ohne Vaterland in Deutschland (d. h. das Proletariat) von denen ohne Vaterland in anderen Nationen, indem er von nationaler Unterdrückung, dem nationalen Verrat der deutschen Bourgeoisie und anderen kleinbürgerlichen Sirenengesängen schwatzte. Was waren die Folgen der konsequenten Anwendung von Lenins nationaler Taktik in Deutschland im Jahr 1923? Die Folgen waren, dass das Proletariat eine schwere Niederlage erlitt und die deutsche Bourgeoisie so gestärkt wurde, dass Bucharin auf dem Sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale gezwungen war, uns die Wiederauferstehung des deutschen Imperialismus zu offenbaren!

So fand Lenins nationale Ideologie, zumindest was den „großen europäischen Nationalkrieg“ betrifft, 1923 in Deutschland ihr Grab. Und hinter diesem Grab erscheint das blutige Bild des Autors der Junius-Broschüre, der ausruft: „Unter dem kapitalistischen Imperialismus sind keine nationalen Kriege mehr möglich“.

Aber wenn der große europäische nationale Krieg 1923 in Deutschland sein Ende fand, starben auch die kleinen nationalen Kriege der Kolonien und Halbkolonien (Türkei, Persien und China) im Sumpf der imperialistischen Reaktion. Auch sie konnten sich dem Einfluss des vom Kapitalismus dominierten historischen Umfelds nicht entziehen. Die Geschichte der chinesischen und türkischen nationalen Kriege ist die bekannte Geschichte von Kemal Pascha und Chang-Kai-Shek. Das sind zwei blutige Tragödien, in denen das Proletariat und die Kommunisten der Türkei und Chinas die Rolle der Opfer spielten. Das Russland Lenins, des Bolschewismus, des „sozialistischen“ Aufbaus, gab Chang-Kai-Shek und Kemal Pascha die Waffen für diese nationalen Kriege; letztere, die sofort in den Kreis der imperialistischen Politik hineingezogen wurden, bildeten eine Einheitsfront mit den Imperialisten gegen das Proletariat; sie richteten die Waffen, die Russland ihnen geliefert hatte, gegen das Proletariat und die Kommunisten. Und trotzdem wurde unter diesen Umständen eine rein leninistische Taktik angewendet, egal was Trotzki und seine Anhänger sagen mögen. Dem chinesischen Proletariat und dem türkischen Proletariat wurde gesagt, sie sollten ihre Heimat verteidigen, die von den Imperialisten und den Agenten der Imperialisten unterdrückt wurde; der Kreuzzug der unterdrückten Nationen gegen den Imperialismus wurde ausgerufen. Hat nicht Lenin selbst die Bildung einer Einheitsfront der unterdrückten Nationen gegen den Imperialismus befürwortet? Man kann sicher nicht behaupten, dass der Kampf zur Verteidigung der unterdrückten Nation mit den revolutionären Interessen der Arbeiter vereinbar sei, denn der Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus und den internationalen Imperialismus ist der Kampf gegen die eigene Bourgeoisie, nicht im Namen der Nation, sondern im Namen des internationalen Proletariats. Was in China für das chinesische und internationale Proletariat am wichtigsten war, war der Eintritt der chinesischen Arbeiterklasse in den revolutionären proletarischen Kampf und nicht in den nationalen Kampf, der in seinem Wesen reaktionär war und auf keinen Fall zur nationalen Befreiung Chinas führen konnte, sondern nur zur Verflechtung der chinesischen Bourgeoisie mit den Kräften des Imperialismus. Können wir heute nationale Kriege als Konflikte bezeichnen, die sich dem historischen Einfluss und Sog des Imperialismus nicht entziehen können? Natürlich nicht. Deshalb ist die Idee von nationalen Kriegen, von einer nicht-kapitalistischen, nicht-imperialistischen Heimat, komplett gescheitert und hat nur zu schrecklichen Niederlagen und einem Meer von proletarischem Blut geführt. Und so wird der heilige Kreuzzug der unterdrückten Nationen gegen den unterdrückenden Imperialismus zu einer Verbindung der einheimischen Bourgeoisie gegen das Weltproletariat.

Wenn in China und der Türkei die Legende des nationalen Krieges in einer Tragödie endete, so starb sie in Afghanistan und Persien als Spott der Geschichte in der Farce von Amanullah.

Die Kolonien selbst (Ägypten, Indien usw.) – diese Länder, die Millionen von Menschen umfassen und von denen Lenin hoffte, sie in ihrem nationalen Feuer gegen den Imperialismus des kapitalistischen Kolosses zu entfesseln, erlauben uns keinen nationalen Krieg. Denn in der Swaraj, der Wafd usw. hat die einheimische Bourgeoisie bereits ihre nationale Aggressivität verloren und sucht einen Kompromiss, ein unterwürfiges Bündnis mit dem imperialistischen Koloss. Und dennoch bereiten die überzeugten Leninisten immer noch neue nationalistische Kreuzzüge vor, d. h. neue Massaker an den kolonialen Proletariern, anstatt die sozialistische Revolution vorzubereiten, indem sie das Bewusstsein des Proletariats in denselben Ländern entwickeln.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Analyse der tatsächlichen Verhältnisse in der nationalen Frage ziehen?

Dass es für das Proletariat keine nationale Frage gibt, dass die Arbeiter keinen Vorteil aus der Existenz einer Heimat für sie ziehen können und dass sie sich nicht um „nationale Unterdrückung” und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen kümmern müssen. Das Proletariat entwickelt seine Bewegung, macht seine Revolution als Klasse und nicht als Nation. Unmittelbar nach dem Sieg des Proletariats in mehreren Nationen können Grenzen nur verschwinden. Die leninistische These von der nationalen Autonomie sozialistischer Staaten ist Unsinn. Lenin behauptet, dass die Nation, solange der Staat existiert, eine Notwendigkeit bleibt. Aber die Nation ist nur ein Produkt des bourgeoisen Staates und nicht des proletarischen Staates. Proletarische Staaten können nur zur Vereinigung und zur Abschaffung der Grenzen tendieren. Besser noch, der Sozialismus als ökonomische und soziale Ordnung kann nur auf der Grundlage des vollständigen Verschwindens der Grenzen verwirklicht werden. Die Abschaffung der nationalen ökonomischen Unterschiede kann nicht ohne die Abschaffung der nationalen Grenzen erreicht werden, die künstlich und eine Frage historischer Konventionen sind. Die proletarische Diktatur, der Arbeiterstaat, der nicht der bourgeoise Staat ist, kann nur universell und nicht national, demokratisch einheitlich und nicht föderativ sein. Marxistische Kommunisten wollen nicht die Vereinigten Staaten von Europa oder der Welt aufbauen; ihr Ziel ist die universelle Republik der Arbeiterräte.

Marxistische Kommunisten müssen daher unter den breiten Massen der Arbeiter den Hass auf das Vaterland verbreiten, das ein Mittel des Kapitalismus ist, um Zwietracht zwischen den Proletariern verschiedener Länder zu säen. Sie müssen unter den breiten Massen der Arbeiter die Notwendigkeit der Verbrüderung, der internationalen Vereinigung aller Proletarier in allen Ländern, vertreten. Sie müssen nicht nur alle chauvinistischen, faschistischen oder sozialdemokratischen Tendenzen, die sogar Arbeiterkreise vergiften, sondern auch alle versteckten Tendenzen, die versuchen, dem nationalen Ideal eine Grundlage zu geben, heftig bekämpfen. Sie müssen gegen die Legenden von nationalen Kriegen und populären antiimperialistischen Kreuzzügen kämpfen. Sie müssen die historische Erfahrung nutzen, um den Glauben an den Sieg des Sozialismus auf einer rein klassenkämpferischen und internationalistischen politischen Grundlage tief in den proletarischen Massen zu verankern.

Wir müssen daher alle unsere Anstrengungen auf die Wiedergeburt des wahren marxistischen Internationalismus konzentrieren, der von den Sozialreformisten und den Nationalbolschewisten verzerrt wurde.Wir sind uns bewusst, dass unsere Propaganda allein dieses Ziel, den Internationalismus wieder zu den Massen zu bringen und ihn in einem bisher unbekannten Ausmaß zu entwickeln, nicht erreichen kann. Wir wissen, dass unsere Propaganda, obwohl notwendig, nicht den geringsten Einfluss haben wird, wenn sie nicht durch die nachfolgenden Entwicklungen im historischen Prozess bestätigt wird. Aber wir wissen auch, dass diese Entwicklungen das Proletariat nur zu den Positionen drängen können, die die wahren Internationalisten nie verraten haben, nämlich die Positionen, die Rosa Luxemburg bis zu ihrem Tod vertreten hat.

L’Ouvrier Communiste Nr. 2 & 3 – Oktober 1929


1Die „Ökonomen” bildeten eine Strömung innerhalb der russischen Sozialdemokratie, die dem Kampf für partielle ökonomische Forderungen absolute Bedeutung beimaß.

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