Stoppt den Krieg! Antiimperialismus oder Klassenkampf?

Gefunden auf panfletos subversivos, die Übersetzung ist von uns. Ein paar Bemerkungen zum Text, erstens der Ausbruch der Russischen Revolution von 1917 ging nicht von den Bolschewiki aus, genauso wenig 1918 im Deutschen Reich von den Spartakisten, und die sogenannten Antikolonialkämpfe waren nie ein von den Proleten geführter Kampf, sondern einer lokaler aufstrebenden bourgeoisen Fraktionen die das Proletariat als Masse mit Versprechen in die Irre führten um sie genauso wie von den „fremden“ Herren ausbeuten zu können. Aber all dies wurde ja auch schon vor 60 Jahren kritisiert.


Stoppt den Krieg! Antiimperialismus oder Klassenkampf?

von Instituto de Balística

Wieder ein neuer Krieg…

1. Die israelische Militäraktion in Palästina ist nicht nur brutal, sondern hat auch rassistische und ethnisch-reinigende Züge, sodass es nicht übertrieben ist, sie als Genozid zu bezeichnen, ohne dass man sich dabei in statistische Debatten verstricken muss. Ihre Natur ist jedoch nichts Außergewöhnliches, sondern ein soziales Unterfangen der Zerstörung1 wie alle anderen modernen Kriege, dessen letztendliches Ziel die Eroberung des Gazastreifens und anschließend des Westjordanlandes ist.

2. So erschütternd die Bilder auch sein mögen, es ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um einen weiteren Krieg des Kapitalismus handelt. Die Formen mögen sich ändern, manchmal wegen Rohstoffen, manchmal wegen der Expansion von Märkten oder, wie in diesem Fall, wegen eines Raums, von dem aus man sich im Krieg zwischen Imperien positionieren kann.

3. Was im Oktober 2023 begonnen hat, hat eine Neuordnung der Geopolitik im Nahen Osten und in der Welt ausgelöst, die sich mit der traditionellen Geometrie nicht erklären lässt. Der Kapitalismus hat mehrere erfolgreiche Globalisierungswellen erlebt, vom Seehandel im 16. Jahrhundert bis zur Eroberung des sowjetischen Eisernen Vorhangs Ende des 20. Jahrhunderts. Heute können wir sagen, dass er alle Ecken der Welt beherrscht und dass es keine regionalen Gegenspieler mehr gibt, da die einzige Opposition zur Bourgeoisie das aufständische Proletariat sein könnte, und das „regiert“ nirgendwo auf der Welt (geschweige denn in China).

4. Die Regime, denen man oft einen Unterschied zuschreibt, sei es aufgrund ihrer Form oder ihrer Kultur, sind nichts anderes als kapitalistisch. Es gibt keine „Leerstellen”, die es zu schützen gilt. Die materielle Produktion des Lebens selbst am entlegensten Ort der Erde ist bereits Teil einer Wertschöpfungskette, und deren Produkt wird zwangsläufig von der Bourgeoisie verwaltet, die dieses Gebiet durch ihre politische Form, den Staat, beherrscht. Die Bilder von Rafah vor dem Krieg zeigen das mit ihrem Warenhandel unter der2 Polizeikontrolle nicht nur der zionistischen Armee, sondern auch der Polizei der PA oder der Hamas.

Und wir?

5. Wie man sich zu kapitalistischen Kriegen positioniert, ist ein Thema, das die organisierten Elemente des Proletariats seit zwei Jahrhunderten spaltet, weil wir davon ausgehen, dass es so etwas wie einen nationalen Kampf nicht gibt, da beide Klassen weltweit existieren und wir Proletarier Gefährten sind, die überall auf der Welt kämpfen3. Slogans wie „Wenn du hier kämpfst, kämpfst du dort“ sind nicht nur Verse, sie drücken eine materielle Realität aus.

6. Die Formen der Solidarität haben sich an die historischen Bedingungen jedes Krieges angepasst. Am Anfang waren es romantische Gesetzlose im Stil von Bakunin, die die Welt durchquerten, um Aufstände zu unterstützen, und dabei nach Paris, Bologna oder Cuautla kamen. Aber in der Zeit der Zweiten Internationale nahmen Arbeiterparteien und Gewerkschaften/Syndikate sie in den Mittelpunkt ihrer Diskussionen. Nicht am Krieg teilzunehmen, sondern seine Maschinerie zu stoppen, war eine Pflicht der Revolutionäre, und dafür wurde zu einem internationalen Generalstreik aufgerufen4. In der Praxis scheiterten all diese Bemühungen, da diese Organisationen von ihren Feinden vereinnahmt wurden. Nicht nur die Sozialdemokratie stimmte den Kriegserklärungen zu, sogar einige Patriarchen des Anarchismus erklärten, es sei besser, wenn die Alliierten den Krieg gewinnen würden (also jene Demokratien, die Revolutionäre bei der geringsten Provokation hinrichteten)5.

7. Dennoch begann 1918, mitten im weltweiten Gemetzel, der erste proletarische Angriff mit Meutereien und Desertionen von Wehrpflichtigen an beiden Fronten. Was die Bolschewiki und Spartakisten als „revolutionären Defätismus” bezeichneten, also nichts anderes als Soldaten, die ihre Waffen gegen ihre Generäle richteten, um den Krieg zu beenden, war die wichtigste Lehre dieser Zeit6.

8. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich diese Parole total verändert. Da es zwei Lager gab, sollten die Kolonialländer einen progressiven Charakter haben und die Niederlage der Metropolen revolutionäre Prozesse auf beiden Seiten auslösen. Das galt für die Partisanen in Europa, die Maoisten in Asien, die Panarabisten, Afrikanisten und Lateinamerikaner. Das Schema der nationalen Befreiung hielt drei Jahrzehnte lang an.

9. Solidarität war eine weit verbreitete Praxis des Proletariats auf der ganzen Welt. Sei es durch die Bereitstellung von Ressourcen (finanziell oder menschlich) über ihre jeweiligen militanten Bürokratien (Komitees zur Unterstützung der Dritten Welt), sei es durch moralische Verurteilung und die Forderung nach einem abstrakten Frieden (Hippies und New Age) oder in einigen Fällen durch die Infragestellung der Rolle der eigenen Bourgeoisie als Aggressorin oder Komplizin. Der Slogan „Bringt den Krieg nach Hause” fasst die Lehre aus der zweiten Runde zusammen7.

10. Tatsache ist, dass diese antikolonialen Prozesse schnell gekapert wurden und in einigen Fällen despotische Herrschaftsgebiete für neue lokale Bourgeoisien (oft in militärischer Form) schufen oder neue Verbindungen zu einer imperialistischen Seite, entweder der UdSSR oder den USA, herstellten. In den meisten Fällen wurden die revolutionären Gruppen liquidiert und das Proletariat demobilisiert, um wieder in die Produktion zurückzukehren.

Und jetzt?

11. Der Konflikt im Nahen Osten lässt uns über die Grenzen der aktuellen Positionen zum Krieg nachdenken. Obwohl es einige Auswüchse wie die pro-zionistische deutsche Linke gibt, wissen wir, dass die Ablehnung dieses Krieges in der Bevölkerung massiv ist, sich aber in Form einer sentimentalen Moral (die zwar positiv, aber unzureichend ist) äußert und dass innerhalb der militanten Organisationen noch immer eine gefährliche Haltung vorherrscht: der Verteidigunsismus (A.d.Ü., im Originaltext defensismo, auf Englisch defencism), der bedeutet, Partei für eine der staatlichen Konfliktparteien zu ergreifen.

12. Dieser Antiimperialismus8 geht von der Annahme aus, dass es gute und schlechte Nationen gibt, während es in der Realität nur starke und schwache gibt. Ob im Krieg – Ukraine gegen Russland oder Israel gegen Iran oder demnächst USA gegen China –, ihre jeweiligen Regierungen unterdrücken ihre Bevölkerung und ihre Armeen werden jederzeit zu internen Henker. Die Arbeiter dieser Nationen werden von Lasttieren zu Kanonenfutter.

13. Die Offensive, die das kriminelle Regime von Netanjahu gegen Teheran gestartet hat, hat diese Stimmen wieder in die Arena gebracht. Die Rufe zur Verteidigung des Regimes der Ayatollahs vergessen sowohl den Ursprung als auch die Funktion dieser Theokratie, der islamischen Konterrevolution. 1979 gab es einen riesigen Volksaufstand, um den Schah zu stürzen, angeführt von den Arbeiterräten (Shoras), die nicht nur einen politischen Wandel, sondern eine soziale Revolution wollten. Die Bourgeoisie musste sich deshalb an Khomeini und seine politische Gruppe wenden, um den Aufstand zu lenken und die für die kapitalistische Entwicklung in Persien notwendige Stabilität aufrechtzuerhalten. Ihr angeblicher Antiimperialismus bröckelte, als sie diesen heiligen Krieg gegen den Irak der Baath-Partei starteten9.

14. Heute hat sich der Iran durch seinen Konflikt mit den USA ein Image als „Widerstand“ gegen den Westen aufgebaut, aber im Grunde ist es nur ein weiterer ökonomischer Krieg, in dem die Ayatollahs durch ihre Unterstützung islamistischer Milizen, wie im Libanon und in Palästina, eine regionale Front aufbauen und kurdische Bevölkerungsgruppen massakrieren. Kurz vor diesem Konflikt wurde die Regierung von der Bevölkerung stark kritisiert, unter anderem durch Proteste gegen die Sittenpolizei nach dem Tod von Amini, der nun inmitten der Rufe nach nationaler Einheit begraben wird, genau wie die Gegner Netanjahus in Tel Aviv.

Kein Krieg außer dem Klassenkrieg

15. Der Aufruf, das kleine Land zu verteidigen, um das Imperium zu zerschlagen, war nicht nur eine absurde, sondern auch eine nutzlose Strategie, die sogar dazu geführt hat, dass man sich unter die Diktatur von Videla in Argentinien10 oder unter den Mantel der Taliban gestellt hat. Die Verwüstungen, die diese Politik in der revolutionären Bewegung angerichtet hat, sind immer noch zu spüren11, weil der Krieg nicht nur an der Front, sondern auch im Hinterland geführt wird, was eine Erhöhung der Ausbeutung bedeutet, um die Ressourcen für die Armee zu sichern, sowie eine verstärkte Überwachung und Repression des Alltagslebens.

16. Jetzt ist die Kritik all dieser Gruppen am „revolutionären Defätismus“ so schwach, dass sie denken, es sei ein Aufruf an die Proletarier jener Länder die unter einer Invasion leiden, sich entwaffnen zu lassen und den Besatzungstruppen den Weg freizumachen, aber das ist lächerlich. Wir wissen, dass Armeen nicht aus Wehrpflichtigen bestehen, sondern aus Söldnern und Berufssoldaten, und wir erwarten nicht, dass diese sich gerührt zeigen werden, das Schießen einstellen und sich zurückziehen. Wir sind nicht im Jahr 1917, die Formen haben sich geändert12, wir halten an diesem Prinzip fest.

17. Was hier verteidigt wird, ist keine Erfindung, sondern der Geist der Aktionen, die bereits gegen den Krieg stattfinden: Aus der Armee desertieren, wie es die Refuzniks in Israel taten, die Lieferung von Nachschub stoppen, wie die Hafenarbeiter in Frankreich, die Herstellung von Waffen einstellen, wie die Arbeiter in England, oder sogar die Camps der Studenten in Boston. Die Grenzen dieser Aktionen zu kennen, hindert uns nicht daran, ihre Kraft anzuerkennen. Wir müssen von den Bitten der Zivilgesellschaft und den Boykotten der Verbraucher zu einem Bruch und einer Blockade der Ketten übergehen, die militärische Aktionen ermöglichen.

18. Der Aufruf zum „Abbruch der diplomatischen Beziehungen”, der weiterhin in den Demonstrationen vorherrscht, muss in eine Aktion münden, die darauf abzielt, die Bedingungen, die den Krieg ermöglichen, zu sabotieren. Die Reflexion, die Diskussion und die Verschwörung vergrößern/erweitern. Und das so lange, bis die Waffen der Kritik zur Kritik der Waffen werden, an allen Fronten, der von Trump und Netanjahu, aber auch der der Ayatollahs13, von der Arktis bis zur Antarktis.


1Neben den Klassikern über die soziale Untersuchung des Krieges ist das Werk des surrealistischen Soziologen Roger Caillois, La cuesta de la guerra, empfehlenswert.

2Verschiedene Gruppen und Wissenschaftler stellen Gaza als eine Art Flüchtlingslager dar, als eine atypische Klassengesellschaft. Allerdings gab es vor dem Krieg eine Bauindustrie, die Arbeiter nach Israel mobilisierte, sowie eine lokale Landwirtschaft und einen lokalen Markt.

3Dieses Thema ist vielleicht das umstrittenste. Von den Gruppen, die sich als dekolonial bezeichnen, kommt Kritik, wie solidarisch die Arbeiterklasse der entwickelten Länder mit der ihrer ehemaligen Kolonien sein kann, von denen sie weiterhin profitiert, um ihren hohen Lebensstandard zu halten, und sich gleichzeitig gleichgültig gegenüber der Bevölkerung zeigt, die entweder aus Arbeit oder aus Sicherheitsgründen auswandert. Der Fall der israelischen Siedler ist vielleicht der skandalöseste.

4Es gibt viele Texte über „den Bankrott der Internationale”, wir empfehlen den von James Joll, La segunda Internacional, Barcelona, Icaria, 1976, wegen seiner Betonung des Themas Krieg und der Debatten zwischen Persönlichkeiten wie dem Anarchisten Domela Niewenhius.

5Wir meinen das berühmte Manifest der Sechzehn, das von Kropotkin und Grave unterschrieben und von Malatesta heftig kritisiert wurde.

6Es gibt verschiedene Texte darüber, was diese Kampfstrategie bedeutete, zum Beispiel die der Gruppe Bilan. Es gibt sogar eine Episode, die in Filmen nachgestellt wurde, die berühmte „Weihnachtspause”.

7In den USA wurde dieser Slogan von radikalen Gruppen benutzt, um durch massive Unruhen und Sabotage zum Aufstand anzustacheln, damit die Truppen aus Vietnam zurückkommen mussten. Diese Episode ist als „Die Tage der Wut” bekannt.

8Nicht nur aus dem „globalen Norden” wurde dieses Konzept als anachronistisch und reaktionär kritisiert, auch Raphael Pallais hat dies bereits vor über 40 Jahren in Bezug auf seine Verwendung durch die sandinistische Bürokratie in Nicaragua getan.

9Der Text „Fuego a la polvora” (Feuer auf das Pulver) von Bardo Ediciones enthält eine Einführung zu diesem Thema vom Aufständischen Wolfi Lanstreicher.

10Es gab würdige Ausnahmen, die sich im Gegensatz zur leninistischen Welle nicht in den patriotischen Krieg einziehen ließen, wie die Gruppe „Emancipación Obrera” (Arbeiterbefreiung).

11Die sogenannten anarchistischen Gruppen tappen immer noch in diese Falle, wie die letzte Erklärung der Überreste des lateinamerikanischen Plattformismus zeigt.

12Auf der Website von Proletarios Revolucionarios findest du einen aktuellen Stand der Debatte, wir laden dich zum Lesen ein.

13Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels freuen wir uns über mehrere Texte gegen den Krieg von iranischen Proletariern, Feministinnen, Gewerkschaftler/Syndikalisten usw., unter denen das Zeugnis eines Anarchisten besonders hervorsticht: Teheran unter den Bomben. (Auch von uns übersetzt, Link hier)

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