(2015) REVOLUTION IN ROJAVA?

Gefunden auf oveja negra, die Übersetzung ist von uns.


(2015) REVOLUTION IN ROJAVA?

Das von ethnischen Kurden beanspruchte Gebiet liegt zwischen Syrien, der Türkei, dem Iran und dem Irak. Mitten in einem der größten Öl- und Gasvorkommen der Welt. Seit einem Jahrhundert finden in dieser Region zahlreiche Kämpfe und Selbstbestimmungsinitiativen statt, die von verschiedenen kurdischen Gruppen und Fraktionen geführt werden.

Der aktuelle Kontext ist kompliziert und ergibt sich im Großen und Ganzen aus dem Zusammentreffen von drei Faktoren: dem bewaffneten Konflikt, den die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) seit 1984 mit der Türkei führt, dem Einmarsch der US-geführten Koalition in den Irak im Jahr 2003 (und der anschließenden Verschärfung der interethnischen Konfrontation) sowie dem Bürgerkrieg in Syrien seit 2011.

Erinnern wir uns daran, dass verschiedene Regionen Syriens (darunter das, was die Kurden Rojava nennen) 2011 und davor Schauplatz eindrucksvoller proletarischer Kämpfe waren, mit verschiedenen Enteignungen und Zusammenstößen bewaffneter Proletarier mit den Repressionskräften (was wiederum zu massiven Desertionen von Soldaten führte), mit einem bedeutenden Maß an proletarischem Assoziationismus. Diese Situation wurde von der Bourgeoisie nach und nach in einen Bürgerkrieg umgewandelt, indem sie viele der proletarischen Strukturen, die aus dem Kampf hervorgegangen waren, in die Freie Syrische Armee (FSA) kanalisierte und so den proletarischen Kampf in einen Kampf zwischen bourgeoisen Fraktionen verwandelte.

Es ist wichtig, diesen Prozess zu erwähnen, denn in diesem Zusammenhang ist es verschiedenen kurdischen Gruppierungen, allen voran der PKK, gelungen, die Kontrolle über die Gebiete in Nordsyrien (Rojava) zu erlangen, die von vielen proletarischen Brüchen mit der FSA genährt wurden, als deren bourgeoiser Charakter immer deutlicher wurde. Das neue Schreckgespenst des Westens, die Organisation, die heute als Islamischer Staat (radikaler sunnitischer Dschihadismus) bekannt ist, ist genau aus der Zerschlagung der FSA entstanden, als diese an Stärke und Ansehen verlor und der islamische Fundamentalismus an Bedeutung gewann.

Vor allem durch die Konfrontation zwischen den kurdischen Kräften und dem IS, der eine der intervenierenden Kräfte in der Region ist, hat die PKK eine solche internationale Bedeutung erlangt und wird von einem breiten Spektrum in der Welt unterstützt, von Sozialdemokraten bis hin zu Liberalen.

Gleichzeitig gibt es in diesem komplexen Prozess, der sich unmöglich in so wenigen Absätzen zusammenfassen lässt, eine Reihe von Besonderheiten, die viele Proletarierzu veranlassen, ein Auge auf diese Region zu werfen. Für uns ist es wichtig, diese Prozesse zu verstehen und die proletarischen Brüche in ihnen zu verteidigen sowie die ideologischen Verfälschungen und bourgeoisen Kanalisierungen gnadenlos anzugreifen.

Diese Überlegungen basieren auf dieser Notwendigkeit, die vor allem durch die große Verwirrung motiviert ist, die von vielen selbsternannten revolutionären Gruppen erzeugt wird, die so weit gehen, von einer Revolution in Rojava zu sprechen. Werfen wir einen Blick darauf…

Die PKK

Die PKK ist eine kurdische politische Partei, die 1978 gegründet wurde. Sie ist ethnisch, auch wenn ihre Mitglieder und ihre Verbündeten heute versuchen, dies abzuschwächen. Sozialdemokratisch, auch wenn sie versucht, sie als revolutionär auszugeben. Feministisch, auch wenn sie unter Feminismus verstehen, dass Frauen im Krieg und bei der Arbeit gleiche Bedingungen haben sollten. Ökologen, auch wenn sie nicht zögern, weiterhin Öl zu fördern.

In ihren Anfängen war sie eine marxistisch-leninistische Partei mit klaren formalen Vorgaben, die sie vom Maoismus geerbt hatte (Guerillakrieg in ländlicher Umgebung, Verbot von Liebesbeziehungen zwischen ihren Mitgliedern, militärische Disziplin usw.). In den letzten Jahren hat sie eine eher liberal-sozialistische Tendenz angenommen, zunächst angeblich aufgrund der Bildung und des ideologischen Wandels im Gefängnis ihres Anführers Öcalan und dann aufgrund der Beschlüsse ihres 8. Kongresses im Jahr 2002.

Sie nennen ihre neue Doktrin demokratischen Konföderalismus, der eng mit dem Konzept des libertären Munizipalismus des Amerikaners Murray Bookchin verbunden ist und Kritik am traditionellen Konzept der Nation-Staat zum Ausdruck bringt und für eine föderale, ökologische und feministische Gesellschaft eintritt. In diesem Text werden wir auf die schrecklichen Grenzen einiger Aspekte diesem großen und verwirrenden ideologischen Wirrwarrs eingehen.

Zunächst möchten wir darauf hinweisen, dass die Hauptgründe für diesen Wandel zwei sind. Zum einen die internationale Strategie der PKK, von der NATO nicht mehr als terroristische Organisation eingestuft zu werden, als Ergänzung zu ihrer Taktik, Parallelorganisationen – wie die PYD (Partei der Demokratischen Union Syriens) – zu gründen, die sie im Laufe ihrer Geschichte genutzt hat, um ihre Politik in den Regionalparlamenten der vier Länder zu entwickeln.

Andererseits war es nicht mehr profitabel, marxistisch-leninistisch zu sein, als sich die globale imperialistische Polarisierung seit den 1970er Jahren deutlich veränderte. Ohne die Sowjetunion, die ihnen den Rücken freihielt und sie mit Waffen versorgte, war es wahrscheinlich notwendig, dass sie anfingen, ihre Strategie zu ändern.

Für diejenigen unter uns, die für die soziale Revolution kämpfen, ist es nichts Neues, von jedem Staat als Terroristen betrachtet zu werden, um der Repression freie Hand zu geben, aber für die PKK ist diese NATO-Aktion natürlich ein Hindernis, um endlich ein Staat zu werden, am weltweiten Ölhandel teilzunehmen und in den Vereinten Nationen zu sitzen.

„Die PKK/PYD zögerte 2012, sich dem Anti-Assad-Aufstand anzuschließen und zögert nun ebenso, das Privateigentum zu stürzen. Nachdem sie sich in der Vergangenheit mit Assads mörderischer Diktatur verbündet hat, verbündet sie sich jetzt mit den USA und deren mörderischer Bombenkampagne. Diese Kampagne mag Kobane gerettet haben, aber sie hat wahrscheinlich auch noch mehr Araber dazu gebracht, den Kurden zu misstrauen und sich ISIS anzuschließen. Und das treibt die Region jetzt noch weiter in ein innerimperialistisches Blutbad.“1 Wir müssen es offen sagen: Die PKK ist seit ihrer Gründung eine konterrevolutionäre Kraft und ist derzeit dafür zuständig, die fortschrittlichsten verbleibenden Ausprägungen in der nordsyrischen Region zu kanalisieren. Dies ist auch ein wichtiger Grund für ihren strategischen Wechsel. Wir müssen nicht nur ihre Aktionen in ihren Einflussgebieten kritisieren, sondern uns auch darüber im Klaren sein, wie solche konterrevolutionären Prozesse auf der ganzen Welt eingesetzt werden.

Was ist der Staat?

„Der Staat ist nicht nur eine Struktur aus Regierung, Polizei, Armee und Verwaltungsapparat. Der Staat, wie ihn die kommunistische Bewegung versteht, ist ein soziales Verhältnis, die Materialisierung der kapitalistischen Weltordnung, egal ob seine Legitimität auf dem Parlament oder auf Gemeindevollversammlungen beruht. Wenn die PKK und ihre Gefolgsleute von der PYD behaupten, dass sie keinen Staat schaffen wollen, dann nur deshalb, weil sie aufgrund ihrer praktischen und ideologischen Rolle, die sie in Rojava spielen, bereits den Staat repräsentieren. Das ist es, was einige der PKK-Anhänger zu Recht als „Staat ohne Staat“ bezeichnen, d.h. ein Staat, der nicht unbedingt als Nation-Staat territorialisiert ist, aber letztendlich wirklich einen Staat darstellt, in dem Sinne, dass die kapitalistischen sozialen Beziehungen, das Privateigentum, nicht grundlegend in Frage gestellt werden.

(…) Die PYD hat praktisch ein Monopol auf Waffen. Sie ist der Staat. Und in jedem Land (Irak, Iran und Syrien) hat die lokale kurdische Bourgeoisie ihre eigene nationale Einheit nach demselben Muster gegründet. Auch wenn diese vom internationalen Imperialismus nicht anerkannt werden, sind sie nur dem Namen nach Staaten. In mancher Hinsicht greifen sie stärker in das Leben der Menschen ein als der Staat in Großbritannien. Wer zum Beispiel über 18 Jahre alt ist, unterliegt der Wehrpflicht.2 Und was den angeblichen Internationalismus der PYD angeht, so hat ihr Anführer Salih Muslim damit gedroht, alle Araber aus den „kurdischen“ Gebieten in Syrien zu vertreiben, obwohl die meisten von ihnen dort geboren wurden “2

Es gibt zwar entschiedenere pro-staatliche kurdische Äußerungen, wie die irakische Regierung unter Talabani oder die irakische Regionalregierung Kurdistans unter Barzani (die beide miteinander und mit der PKK verfeindet sind), aber das bedeutet nicht, dass die PKK nicht auch pro-staatlich ist.

Die PKK hat offenbar mit der klassischen marxistisch-leninistischen Auffassung von der Ergreifung der Staatsmacht gebrochen, um in ihrer neuen Doktrin des demokratischen Konföderalismus bestimmte „Kritiken“ am Staat anzubringen. Diese Kritik schlägt eine formale Veränderung vor, bei der der neue Staat, den sie als „Konföderation“ bezeichnen, mehr und mehr Aufgaben der gesellschaftlichen Organisation mit Basisdemokratie übernimmt, während er versucht, so friedlich wie möglich mit den bestehenden Staaten zu koexistieren und notfalls von der legitimen Selbstverteidigung Gebrauch zu machen.

Dieses Märchen von der direkten Demokratie, vom lokalen Widerstand gegen bereits bestehende Staaten, von der Selbstbestimmung der Völker, von der Verwaltung eines Gebiets „ohne Staat“ ist in Wirklichkeit nichts Neues.

All diese Fantasien haben viele Strömungen des Anarchismus (auch in unserer Region) verführt, die sie auf verschiedene Weise unterstützen und sogar dazu aufrufen, sich an den kurdischen Milizen zu beteiligen, wie David Graeber, die Gallionsfigur der Occupy-Bewegung.

Es ist wieder einmal erstaunlich, wie viele von denen, die behaupten, für die Zerstörung des Staates zu sein und ihre Kritik und Analyse auf ihn zu konzentrieren, wieder einmal in die Falle tappen. Denn viele der Kritiker, die sich auf den Staat als zentrales Problem der kapitalistischen Gesellschaft konzentrieren, verstehen sein Wesen nicht und verteidigen ihn am Ende in einer neuen Form.

Wir müssen darauf bestehen, dass wir die Gesellschaft so umfassend wie möglich verstehen und kritisieren müssen. Wenn wir von sozialer Revolution sprechen, sprechen wir von der Abschaffung der Gesamtheit der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse: Staat, Privateigentum, Lohnarbeit, Marktproduktion, Wert.…

Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass wir, wenn wir von Revolution sprechen, von der Form und nicht vom Inhalt sprechen. In diesem Sinne sind wir sogar der Leichtigkeit verfallen, Bilder von bewaffneten Frauen der kurdischen Milizen mit denen der Milizen von 1936 in Spanien zu vergleichen, sowie den Islamischen Staat als Faschismus zu bezeichnen und wieder einmal für eine Versöhnung mit der Bourgeoisie gegen das größere Übel einzutreten, wie es mit den Republikanern gegen den Franquismus im spanischen Bürgerkrieg geschah.

Wieder einmal haben wir es mit historischen Parallelen zu tun, die auf Missverständnissen der einen und der anderen Zeit beruhen und nicht auf einer kritischen und antikapitalistischen Bilanz der Kämpfe unserer Klasse.

Feministische Revolution?

Der subversive Charakter einer Bewegung oder Organisation lässt sich nicht an der Anzahl der Frauen in Waffen messen. Genauso wenig wie ihr feministischer Charakter. Seit den 1960er Jahren gab und gibt es in den meisten Guerillaorganisationen auf allen Kontinenten sehr viele weibliche Kämpferinnen, z. B. in Kolumbien. Dies gilt noch mehr für maoistisch inspirierte Guerillas (Nepal, Peru, Philippinen usw.), die die Strategie des „Volkskriegs“ anwenden: Die Gleichstellung von Männern und Frauen soll dazu beitragen, die traditionellen, feudalen oder tribalen (immer patriarchalischen) Strukturen zu zerstören. Die Quelle dessen, was Experten als „martialischen Feminismus“ bezeichnen, liegt in den maoistischen Ursprüngen der PKK-PYD.“3.

„Auch die feministische Revolution ist bescheiden ausgefallen. Sowohl auf der Straße als auch am Arbeitsplatz überwiegen immer noch die Männer. Und wie die Website der PKK zeigt, geht die feministische Theorie der Organisation eher auf die Gedanken ihres Patriarchen Abdullah Öcalan zurück als auf eine unabhängige feministische Bewegung. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass die Stärkung der Frauen durch den Beitritt zur Miliz – oder durch die Zwangsrekrutierung – von Dauer sein wird. Wie in früheren Revolutionskriegen wird sie unweigerlich durch die Entmachtung, die das Befolgen von Befehlen mit sich bringt, sowie durch die Brutalisierung und das Trauma des Krieges konterkariert werden. “4

Und so…

Diejenigen, die diese Veröffentlichung mit bösem Blick lesen, werden uns vorwerfen, dass wir Puristen sind, dass wir uns nicht schmutzig machen wollen, dass wir uns aus dem Weg gehen. Aber es ist eine Sache, die Widersprüche in einem gegebenen sozialen Prozess zu verstehen und dafür zu kämpfen, diese Widersprüche auf revolutionäre Weise zu überwinden, und eine ganz andere, diese Widersprüche zu verteidigen, als ob ihre bloße Existenz den Beginn einer sozialen Revolution implizieren würde.

Wir zweifeln nicht an der historischen Existenz proletarischer Kämpfe in der Region, die die Kurden Kurdistan nennen. Es ist unsere Aufgabe und die aller Internationalistinnen und Internationalisten, zu versuchen, den sozialdemokratischen ideologischen Mantel zu durchdringen und Schlussfolgerungen aus der gegenwärtigen Zeit zu ziehen. Es geht nicht darum, die Unterstützung für die Kurden zu vermeiden, sondern die Kurden als eine ethnische Gruppe wie jede andere anzuerkennen, mit sozialen Klassen und kulturellen und alltäglichen Spannungen aller Art. Es geht nicht um eine allgemeine und unkritische Unterstützung für irgendeinen Ausdruck unter der viktimisierenden Idee eines Volkes ohne Nation. Zur Hölle mit Nationen!

Wir Revolutionärinnen und Revolutionäre sind Internationalistinnen und Internationalisten, wir verschließen nicht die Augen vor dieser oder jener Region und wir kämpfen auch nicht für unterschiedliche Dinge in verschiedenen Regionen. Wir befürworten nicht die nationale Befreiung hier, die kommunistische Revolution dort und den demokratischen Konföderalismus anderswo. Scheiß auf die Selbstbestimmung!

Wir müssen uns von dieser linken Logik befreien, die immer von der Analyse der innerbourgeoisen Konflikte in einer Region ausgeht und dann für ihre Lieblingskraft Partei ergreift. Wir müssen immer von den echten Kampfäußerungen unserer Klasse ausgehen, um einen Weg zu finden, Solidarität zu zeigen und bei ihrer Projektion und Ansteckung mitzuwirken.

Wir können in diesem Konflikt keine Partei ergreifen, wenn wir uns auf das Narrativ verlassen, das man uns verkaufen will. Unsere einzig mögliche Seite ist es, die unveränderlichen Slogans zu bekräftigen, uns nicht zu verbiegen und uns nicht zu blenden: Soziale, weltweite und totale Revolution!


1Tridni Valka, Rojava, fantasías y realidades (Anm. auch von uns übersetzt)

2Tridni Valka, Rojava: la guerra popular no es la guerra de clases (Anm. auch von uns übersetzt)

3Gilles Dauve, ¿Kurdistan? (Anm. auch von uns übersetzt)

4Tridni Valka, Rojava, fantasías y realidades (Anm. auch von uns übersetzt)

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