(Chile) Der schwarze Faden, der unsere Geschichte verbindet

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Der schwarze Faden, der unsere Geschichte verbindet

In diesen Tagen gingen wir mit tiefer Trauer und Bitterkeit zum Friedhof, um uns von der Leiche eines anarchistischen Gefährten zu verabschieden, der bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam.

Ein Sprengsatz konnte ihn vor 13 Jahren nicht von uns allen fernhalten, als dieser bei der Anbringung explodierte. Er überlebte trotz der Schwere seiner Verletzungen und verbrachte mehr als 80 Tage im Krankenhaus und kämpfte um sein Überleben. Sein Körper wies tiefe Verstümmelungen und Narben auf … und er kämpfte weiter. Er stand vor Gericht, wurde von den Medien bis zum Gehtnichtmehr verfolgt, wurde verurteilt und kämpfte weiter.

Er stahl dem Tod 13 Jahre und in dieser Zeit baute er verschiedene Projekte, Räume, Bibliotheken, Aktivitäten auf, er machte und löste sich auf, er kam den Gefährt*innen näher, er distanzierte sich von anderen, aber ein Arbeitsunfall trennte Tortuga von uns allen.

Am 14. August 2010 erließ die Staatsanwaltschaft Süd Haftbefehle und führte gleichzeitig Razzien durch, außerdem wurde ein besetzter Raum geräumt. Die Staatsanwaltschaft versuchte, eine fiktive illegale Vereinigung zu zerschlagen, die sie in ihrem verdrehten Söldnerhirn erschaffen hatte. Sie waren hinter denjenigen her, die hinter der Anbringung einer Reihe von Sprengsätzen steckten, die den Frieden der Mächtigen stören sollten.

14 Gefährt*innen wurden als schuldig präsentiert und einem Gerichts- und Medienprozess ausgesetzt. Eine*r Gefährt*in schaffte es, sich dem zu entziehen und begann eine lange Reise in den Untergrund, die 2 Jahre und 3 Monate später, am 19. November 2012, mit der letzten Anhörung im Prozess gegen Tortuga endete. Das Datum war übrigens kein Zufall, sondern ein Zwinkern zwischen Komplizen.

Termine, so sagt man, werden gesucht und gefunden, und so haben uns die Wendungen des Lebens und seiner Wege dazu gebracht, uns am 14. August von dir zu verabschieden?

Derselbe August, an dem wir uns so oft zum Gedenken an die Gefährten Sacco und Vanzetti trafen, eine Erinnerung, aus der ein besetzter Raum und eine Bibliothek hervorgingen, in der wir uns trafen und in deren Aktivitäten wir gemeinsam und individuell unsere Ideen/Praktiken schärften, in Spannungen und Debatten, Ausbrüchen und Gelächter, Wut, Freude und der anarchistischen Gefährt*innenschaft.

Heute versucht ironischerweise ein Teil seiner Blutsverwandten über dieselbe offizielle Presse, die sich nach dem Unfall 2011 über Tortuga auskotzte, ihn als Kriegstrophäe ausstellte und ihn mit Beleidigungen und Schimpfwörtern überschüttete, erneut, das Leben des Gefährten zu entführen.

Sie erfinden einen Tortuga, der „wieder in die Gesellschaft integriert“ und „ökonomisch erfolgreich“ ist und wie dies angeblich zum Bruch mit seinen anarchistischen Gefährt*innen, mit der Anarchie selbst, zur Reue seinerseits und zum Neid seiner Gefährt*innen geführt hat.

Mitten im Sprachrohr der Macht gibt es diejenigen, die erfinden, dass Tortuga für uns, die Gefährt*innen des diffusen anarchistischen Umfelds, ein „Held“ ist, dass aber gleichzeitig unser „Neid“ oder unsere Vorwürfe ihm nicht erlaubten, zu heilen, seine Wut oder Frustration nach dem Unfall zu bewältigen. Er beschuldigt uns, ihn nicht zu kennen und ihn manipulieren zu wollen.

Dass jemand, der behauptet, Tortuga zu lieben, sich auf diese Weise über ihn äußert, seine Ideen und Analysen herunterspielt, versucht, seinen Beitrag zur Anarchie auszulöschen und sein Andenken nicht respektiert, macht uns zwar traurig, überrascht uns aber nicht. Es ist Teil des Elends, das in der Vergangenheit von jenen familiären Kreisen über die Gefährt*innen ausgegossen wurde, die weder respektieren noch wissen, wen sie zu lieben behaupten.

Wir rufen die Gefährt*innen überall dazu auf, zur Verteidigung unserer verstorbenen anarchistischen Brüder und Schwestern beizutragen, damit weder die Stimme noch die Umdeutung derer, die die Macht verteidigen, aufgezwungen wird. Die Aufgabe des Gedenkens ist kontinuierlich und wir alle können dazu beitragen.

… „Der Schmerz erfüllt unsere Herzen in dieser Zeit, aber es ist wichtig, dass wir unsere Moral nicht senken und nicht in die Lethargie verfallen, die der Verlust eines Bruders bedeuten kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass er starb, als er sein Ziel vor Augen hatte. Und diese Tatsache muss uns aufrütteln, sie muss uns helfen, unsere Augen zu öffnen.

Wir befinden uns im Krieg, die Schläge werden viele sein, in verschiedenen Formen, aber ein*e Krieger*in wird zum*zur Krieger*in, wenn er*sie nicht aufhört, wenn er*sie nicht aufgibt, wenn er*sie sein*ihr Leben u.a. zu einer ständigen Überwindung von Hindernissen macht.

Die Rohheit des Todes trifft uns und der Sog ist so stark, dass es manchmal schwer zu glauben ist, dass es passiert. Tod oder Gefängnis ist nicht nur ein Slogan, heute ist es für uns ein Satz, der mit Blut und Feuer tätowiert ist…“…

Das schrieben wir am 22. Mai 2009, nach Mauris Tod und der aus Rache entfesselten Jagd. Und heute rufen uns diese Worte erneut auf den Plan.

Wie viel wir über Mauri und seinen Verlust mit Tortuga reden, wie viel wir uns zurückmelden, das Feuer der Erinnerung schüren, Traurigkeit oder Freude teilen, die Last zwischen Gefährt*innen lindern, auch wenn die Zeit vergeht, die die Abwesenheit nicht abschwächt, sondern uns nur lehrt, damit zu leben und den Schmerz manchmal vor anderen zu verbergen…

Während wir versuchen, den physischen Verlust des Gefährten Tortuga zu verarbeiten, erreicht uns die Nachricht vom Verlust einer anderen anarchistischen Gefährtin, Belén Navarrete, die auf unterschiedliche Art und Weise und mit unterschiedlichen Mitteln zur Anarchie beigetragen und ihr Leben gegeben hat, mit einem Hunger nach Lernen, der gegen die gesellschaftliche Passivität kämpfte und Autorität, Legalität und Bequemlichkeit in Spannung setzte.

Wie der Verlust von Gefährt*innen schmerzt, wie er Hunderte von Artefakten tief im Geist explodieren lässt. Kein schwarzes Herz bleibt gleichgültig … denn die Wege der Konfrontation kreuzen sich immer.

Die Entscheidung für das Leben im Kampf, das schwierige Leben, mit seinen Schönheiten und Bitterkeiten, führt uns weg von „normalen“ Menschen und lässt uns komplexe Gefährt*innen treffen und deren Wege kreuzen, mit ihren Lichtern und Schatten, aber mit dem aufrichtigen Wunsch, gegen die Macht und die Beziehungen, die sie aufrechterhalten, zu kämpfen.

Es kann ein bitteres und komplexes Leben sein, so kann man es auch sehen. Für uns ist es die einzige Art zu leben, die einzige Art, die Schönheit zu finden, in der alles einen Sinn hat, die Anarchie zu leben, Grenzen zu überwinden, unsere eigene Existenz zu strapazieren, das Kaos zu umarmen.

Die Tiefe oder Komplexität der Gefühle im Angesicht eines Verlustes kann auch zu einem Käfig werden, der erstickt und Gefährt*innen dazu bringt, sich zu isolieren oder Mauern um sich herum zu errichten, die für andere nicht zu überwinden sind.

Es gibt Menschen, die sich in ihrer Einsamkeit einsam fühlen können, indem sie komplizenhafte und solidarische Bindungen abschneiden… Man muss wissen, wie man diese Dynamik zerstört, die uns in unserer besonderen und bitteren Erfahrung einsperrt und die letztlich immer der Macht und ihren verschiedenen Vertretern zugute kommt. „Dass ein*e Gefärt*in nicht allein ist“ hängt auch vom Kampf gegen uns selbst ab.

… „Kopf hoch, Gefährt*innen, und seid auf der Hut. Sie werden uns holen, früher oder später, daran haben wir keinen Zweifel. Deshalb ist es wichtig, dass die schonungslose Kritik an der etablierten Ordnung lebendig wird und sich wie die schwarze Pest ausbreitet…“ …

Wir hoffen, dass die Gruppe der Gefährt*innen, die sich im Leben so sehr geliebt haben, Mauri, Angry und Tortuga, mit ihrer konspirativen Energie jenseits aller Sterne wieder vereint werden können; dass sie zusammen mit Belén neue Funken schlagen, zusammen mit all der breiten Flut unserer verstorbenen Brüder und Schwestern.

Wie viel lernen wir von dir, liebe Gefährtin Luisa Toledo, von der Schärfe deines Blicks und der Genauigkeit deiner Überlegungen, wie viel lernen wir von der Tiefe deiner Worte im Angesicht eines jeden neuen Aufbruchs.

Niemand ist vergessen, lang lebe das schwarze Gedächtnis! Niemals besiegt, niemals bereuen.

Biblioteca Antiautoritaria Sacco y Vanzetti

Ende August 2024, 97 Jahre nach der Hinrichtung von Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti.

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