WIR SIND KEIN „HUMANKAPITAL“

Gefunden auf oveja negra, die Übersetzung ist von uns.


WIR SIND KEIN „HUMANKAPITAL“

Eine der Neuerungen der aktuellen argentinischen Regierung war die Benennung des Ministeriums für Humankapital, was die Integration der früheren Ministerien für Arbeit, Bildung, soziale Entwicklung und Kultur bedeutete. Ursprünglich gehörte auch das Gesundheitsministerium dazu, wurde aber schließlich ausgelassen. Das Ministerium für Frauen, Gleichstellung und Vielfalt wurde abgeschafft und es blieb nur ein Untersekretariat für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt übrig, das später dem Justizministerium übertragen und dort aufgelöst wurde.

Das Konzept des Humankapitals, auf dem die Schaffung des gleichnamigen Ministeriums beruht, basiert auf der bourgeoisen Vorstellung von der Nichtexistenz sozialer Klassen. Wie wir sehen werden, liegt ihr die Vorstellung zugrunde, dass wir alle Kapitalisten wären.

Die Apologie des Kapitals, der Kapitalisten und des Kapitalismus im Allgemeinen, wird notwendigerweise von allen Regierungen verbreitet. In diesem Fall wird sie von einem offen liberalen Standpunkt aus und in einem besonderen Arbeitsmarktkontext durchgeführt, was zu einer anderen Art von Kritik und einer Rückkehr zu einigen grundlegenden Fragen einlädt.

Was ist das?

Im Programm von La Libertad Avanza (LLA) im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2023 können wir lesen: „Das Humankapital einer Person ist der Wert aller zukünftigen Vorteile, die ihr im Laufe eines produktiven Lebens aus ihrer Arbeit erwachsen“. Und weiter heißt es: „Es ist die Gesamtheit der Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse eines jeden Menschen, die für die Ökonomie eines Landes unverzichtbar sind; Investitionen in dieses Kapital erhöhen die Produktivität und fördern den technologischen Fortschritt, zusätzlich zu den vielfältigen Vorteilen, die in anderen Bereichen, wie z. B. dem sozialen oder wissenschaftlichen, erzielt werden“.

Diese Definitionen gehen auf die sogenannte Humankapitaltheorie (HKT) zurück, die seit den 1960er Jahren vor allem von den US-amerikanischen Ökonomen Schultz und Becker entwickelt wurde. Ersterer stellte fest, dass die entscheidenden Produktionsfaktoren für die Steigerung des Wohlstands der Armen die Verbesserung der Qualität der Bevölkerung, der Wissenszuwachs und die Entwicklung von Fähigkeiten sind. Becker, der die Beiträge von Schultz systematisierte, entwickelte die HKT später in seinem Buch Humankapital formell weiter. Sein Grundgedanke war, Bildung und Ausbildung als rationale Investitionen zu betrachten, um die produktive Effizienz und das Einkommen von Individuen, Unternehmen und Staaten zu steigern. Er ging außerdem davon aus, dass das Individuum als „ökonomischer Akteur“ in dem Moment, in dem es entscheidet, ob es in Bildung investiert oder nicht, zwischen den Kosten der Investition (z. B. den Opportunitätskosten – dem Gehalt, auf das es verzichtet, weil es studiert – und den direkten Kosten, d. h. den Studienausgaben) und den Vorteilen, die es in der Zukunft erzielen wird, wenn es in seiner Bildung weiter vorankommt, abwägt.

Nach der Sichtweise dieser Autoren und anderer späterer Studien könnte ein Großteil des ökonomischen Wachstums westlicher Gesellschaften durch die Einführung einer Variable namens Humankapital erklärt werden, die mit dem Grad der spezialisierten Ausbildung korreliert, über die ökonomische Akteure oder Individuen in einer Gesellschaft verfügen. Es scheint jedoch genau umgekehrt zu sein: Sie betrachten Entwicklung als ein Produkt der Ausbildung und nicht die Ausbildung als ein Produkt, eine Notwendigkeit, der Entwicklung.

Von der liberalen Tribüne aus beharren sie auf der Bedeutung der Bildung für den Fortschritt der Nation und die Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft. Jede Ähnlichkeit mit anderen Formen des „fortschrittlichen“ Liberalismus ist kein Zufall, sondern ähnelt der Idee, die Gesellschaft durch Bildung zu verändern, ohne zu verstehen, dass Bildung durch die kapitalistischen Bedürfnisse der Gesellschaft produziert und verändert wird. Und die Anpassung der Bildungsinhalte an die schwankenden Bedürfnisse des Kapitals in Bezug auf die Eigenschaften der auszubeutenden Arbeitskräfte hat schon immer den Staat erfordert. In der Tat ist das lokale Bildungsniveau so weit gesunken, dass die deutlichste Initiative des aktuellen Bildungsministeriums ein nationaler Alphabetisierungsplan ist.

Um die Existenz von Klassen und ihren Antagonismus unsichtbar zu machen, muss man auch die Ausbeutung unsichtbar machen: Man muss davon ausgehen, dass wir alle Staatsbürger einer liberalen Harmonie sind. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt keine gleichen Bedingungen, wenn es darum geht, unsere Arbeitskraft zu verkaufen oder einen Mietvertrag zu unterschreiben. Auf dem Markt besteht die Beziehung nicht zwischen Kapitalisten, sondern zwischen Warenbesitzern: denen, die die Produktionsmittel besitzen, und denen, die nur ihre Arbeitskraft besitzen. Es handelt sich also um einen Vertrag, der auf der sozialen Asymmetrie basiert, die der kapitalistischen Produktionsweise eingeschrieben ist und zu der „Freiheit zu verhungern“ führt.

Sind wir Kapitalisten?

Es reicht nicht aus, in einer kapitalistischen Gesellschaft zu leben, um sich als Kapitalisten zu betrachten. Es reicht nicht aus, eine „konsumistische“ Einstellung zu haben, denn die große Mehrheit der Bevölkerung ist nicht Eigentümer von Kapital. Mit anderen Worten: Wir sind keine Kapitalisten. Wir verfügen nicht über die Produktionsmittel, mit denen wir andere ausbeuten können, wir besitzen keine Unternehmen, Banken oder Land. Wir haben höchstens die Mittel zum Lebensunterhalt, einige Arbeitsgeräte, ein Transportmittel und nur sehr wenige können ein Haus besitzen. Einige Glückliche gewinnen vielleicht einmal in der Lotterie und haben dann eine große Summe Geld zur Verfügung. Aber je nachdem, wie die Person die Lotterie gewonnen hat es einsetzten, wird er ein Kapitalist sein oder nicht. Eine große Geldsumme, ein Haus, eine Nähmaschine oder ein Auto sind nicht einfach Kapital, nur weil man sie besitzt.

Nach der Humankapitalperspektive wäre das Wissen, über das eine Person verfügt, eine Form von Kapital. Ebenso könnte jede Eigenschaft von Menschen, die den individuellen Lohn beeinflusst, eine Form von Kapital sein: Gesundheit, Alter, Erfahrung und sogar der geografische Standort. Es mag lächerlich klingen, aber aus Sicht der HKT ist eine Person, die sich auf der Suche nach einem besseren Lohn zur Migration entschließt, „kapitalisiert“. Laut Statistik wandern vor allem junge Menschen aus, was darauf hindeutet, dass die „Investition“ und das Wagnis, auszuwandern, ihre Arbeit in Zukunft profitabler machen würde.

Laut HKT erhöht das in der allgemeinen und beruflichen Bildung erworbene Wissen die Fähigkeiten und Kompetenzen des Individuums, wobei alle anderen Elemente außer Acht gelassen werden. In diesem Sinne sind sie, was den pädagogischen Optimismus angeht, genauso enthusiastisch, wenn nicht sogar noch enthusiastischer, als ihre vermeintlichen Gegner. Als ob alles auf den Zugang zu Wissen, den freien Willen und sauberen Handel hinausläuft. Der idyllische Traum derer, die den Kapitalismus wollen, aber ohne Hunger und Gemetzel (und ohne den Staat für die Ultraliberalen).

Das hohe Maß an prekärer Arbeit hat viele von uns zu Selbstständigen (cuentapropistas), Monotributisten (monotributistas) oder, wie man sagt, zu Unternehmern gemacht. Aber das macht uns nicht zu Kapitalisten, und das soll auch keine moralische Rechtfertigung sein. Die verschiedenen Strategien zur Abmilderung der Inflation in diesem Land und die sporadische Natur bestimmter Jobs machen es notwendig, etwas über Finanzen zu wissen: Zinsraten, feste Laufzeiten, Investmentfonds, verschiedene Arten von Dollar, Kryptowährungen, sogar Anleihen oder Unternehmensanteile. Die Tatsache, dass wir eine Art von Ersparnissen haben, die nicht in Pesos ausgestellt sind, oder dass wir sicherstellen wollen, dass unser Gehalt nicht einfach nur von Tag zu Tag sinkt, hat uns in diese uns bisher fremde Sphäre gebracht.

In diesem Rahmen von Prekarität und großer Heterogenität beim Verkauf von Arbeitskraft, von Individualismus und sozialer Atomisierung, ergänzt durch inflationäre Gewalt, ist die Verteidigung des Kapitalismus tief eingedrungen. Wir werden aufgefordert, wie Kapitalisten zu denken, uns mit ihnen zu identifizieren und ihnen für ihre gesellschaftliche Rolle zu danken, und es wird uns die Möglichkeit versprochen, durch Verdienst und Wahlfreiheit einer zu werden.

Der Unternehmer wird verherrlicht, um uns im besten Fall bessere Löhne in einer nicht allzu fernen Zukunft zu versprechen. Besser als die aktuelle Misere und schlechter als im vorherigen Zyklus. Das ist der Teufelskreis der argentinischen Ökonomie, zu dem jetzt eine neue Arbeitsreform hinzukommt, die die Beschäftigung ankurbeln soll, indem sie die bestehende Prekarität des riesigen lokalen informellen Arbeitsmarktes formalisiert, der auf der Grundlage eines wachsenden Bevölkerungsüberschusses (A.d.Ü., industrielle Reservearmee, oder auch Surplus-Bevölkerung) für die Bedürfnisse des Kapitals erzwungen wird.

Sind wir das Kapital?

Wir sind keine Kapitalisten, aber wir sind auch kein Kapital. Was manche Bourgeois als Humankapital bezeichnen, nannte Marx Arbeitskraft, also die Fähigkeit zu arbeiten. In seinem Buch Das Kapital können wir lesen: „Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.“ (siehe die Ähnlichkeit mit der oben zitierten Definition des Humankapitals von LLA). Die Arbeitskraft wird mit der Entstehung des freien Individuums zur Ware: zum einen ist es legal, seine Arbeitskraft auf eigene Rechnung zu verkaufen, zum anderen ist es von den Produktionsmitteln befreit, die es braucht, um sie in Bewegung zu setzen, und daher verpflichtet, sie zu verkaufen. Und dies ist eine ganz besondere Ware in der Welt der Waren. Eine, deren Gebrauchswert die Eigenschaft hat, eine Quelle von Wert zu sein, deren Ingangsetzung mehr Wert schafft, als es kostet, sie zu reproduzieren und damit zu erwerben. Nur die Beschäftigung bei einem Kapitalisten kann unsere Arbeitskraft in Kapital umwandeln.

In diesem Sinne ist das Kapital auch nicht einfach eine Anhäufung von Waren. Geld als Kapital kauft Waren, um sie als Mittel in einem Prozess der Inwertsetzung, der Steigerung ihrer Menge, zu nutzen. Die Formel G-W-G‘ ist die Synthese dieser Bewegung: Geld (G) als Kapital kauft Waren (W), produziert mit ihnen neue Waren, um sie zu verkaufen und so mehr Geld (G‘) zu erhalten als das, das den Zyklus der Akkumulation in Gang gesetzt hat. Durch die Untersuchung der Besonderheit der Ware Arbeitskraft und des Unterschieds zwischen Arbeitskraft und Arbeit (der Umsetzung der Arbeitskraft) konnte Marx das Geheimnis des Ursprungs des kapitalistischen Profits, der Schaffung von Mehrwert, lüften.

Der Staat garantiert diese Realität mit Blut und Feuer an den Ausgebeuteten, versucht aber, sich als Verteidiger des Gemeinwohls zu präsentieren. Das ist möglich, weil er auch der Bourgeoisie Bedingungen auferlegt, die mit der Reproduktion des Kapitals als Ganzes übereinstimmen. Diese Reproduktion ist nicht harmonisch, denn die Kapitalien stehen in Konkurrenz zueinander und damit auch die gesellschaftlichen Klassen im Ausbeutungsverhältnis. Wo ein Bedürfnis (des Kapitals) entsteht, entsteht ein Recht … oder ein Recht stirbt … immer entsprechend dem Fortschritt des Kapitals.

Auch wenn diese Regierung etwas anderes behauptet, ist die Verflechtung zwischen Staat und Kapital sowie zwischen Ökonomie und Politik konstitutiv für die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Und sie können die Ministerien nennen, wie sie wollen, aber die Substanz ihrer Rolle bleibt unverändert.

„Ohne soziale Entwicklung gibt es kein Humankapital“, so lautete ein Spruch der Opposition, die damit die Notwendigkeit eines gegenwärtigen Staates im Gegensatz zu seiner angeblichen Abwesenheit, wie sie der kreolische Liberalismus vorschlägt, betonen wollte.

Es sei darauf hingewiesen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der der Lebensunterhalt im Austausch von Waren gefangen ist, die privat und unabhängig produziert werden, und wir gezwungen sind, nur eine Ware auf dem Markt anzubieten: unsere Arbeitskraft. Sie zu verkaufen oder zu verprassen ist unsere Wahl, denn es ist unmöglich, sie zu akkumulieren; das ist unsere Freiheit.

Vom Ultraliberalismus bis zur Sozialdemokratie führen sie die Idee der „Investition in das Humankapital“ ein, was eine Verbesserung der Qualität der Arbeit bedeutet, um zum ökonomischen Wachstum eines Individuums, eines Unternehmens, eines Landes oder eines Blocks von Ländern beizutragen. Wir möchten auf die schamlose bourgeoise, ökonomistische Sprache hinweisen, die in der heutigen Zeit bereits verwendet wird. Es stimmt zwar, dass in dieser Gesellschaft aus bourgeoiser Sicht alles „kapitalisierbar“ ist, aber darauf nicht hinzuweisen oder sich angesichts einer solchen Situation zu freuen, verdammt uns zur Komplizenschaft mit der kapitalistischen Apologie.

Schon 2002 sagte Fidel Castro: „Heute verfügen wir über das wichtigste Humankapital, mehr als jedes andere entwickelte Land der Welt…, und die Zeit wird kommen, in der dieses immense Humankapital in ökonomischen Reichtum umgewandelt werden wird“. Verschiedene Arten, die kapitalistische Gesellschaft zu verwalten, mögen denselben Traum haben. Aber es geht darum, ihn zu überwinden.

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