Gefunden auf der anarchistischen Zeitung Anarquista aus Argentinien, die Übersetzung ist von uns.
18. Mai 2024
Auf der Suche nach Frieden. Inhaftierte, Eingeschleuste/Spitzel, Recht und Ordnung
„Angesichts dieser Repression dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Du musst dich ihr stellen, du musst dich ihr stellen wie Gandhi, indem du deinen Körper einsetzt. Wenn du bezahlt werden musst, werde bezahlt. Verletze keine andere Person; verletze kein anderes menschliches Wesen. Juan Grabois über die Ereignisse vom 12. Juni.
„Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ Offenbarung 3,16, Die Bibel.
Wir verstehen den Protest nicht als ein Recht, sondern als eine Notwendigkeit. Es ist uns egal, ob es verfassungsmäßig ist oder nicht, unsere Existenz als Menschen mit ausreichender Würde zu deklarieren, um unsere Stimme oder unsere Arme zu erheben. Wir sehen die Repression durch staatliche Kräfte nicht als Anomalie, sondern als Grund für ihre Existenz. Wir glauben auch nicht, dass staatliche Gewalt mit Blumen bedacht werden sollte.
Mehr als ein Dutzend Menschen werden aufgrund der Menschenjagd, die während der Sitzung zum Ley Bases entfesselt wurde, in Bundesgefängnissen festgehalten. Jede Inhaftierung ist willkürlich, und gleichzeitig ist keine davon willkürlich.
Das Gesetz
Die Verabschiedung der Ley Bases im Senat sollte für niemanden eine Überraschung sein. Tatsächlich waren einige der Zugeständnisse, die jedem Beamten gewährt wurden, schon vor der Abstimmung bekannt; dennoch ging die Show mit einer Prozession leerer Worte weiter, die bis in die frühen Morgenstunden andauerte. Draußen fand am frühen Morgen eine viel kleinere Kundgebung als bei den letzten Mobilisierungen zur Verteidigung der Universitäten oder am 24. März statt.
Von den frühen Morgenstunden an überschwemmten die verschiedenen Sicherheitskräfte von Minister Bullrich die Straßen und provozierten bereits kurz nach Mittag die Demonstranten in der Nähe der Zäune mit Tränengas. Sogar eine Gruppe von Abgeordneten wurde von der Polizei angegriffen; es ist schwer zu sagen, ob der betreffende uniformierte Beamte wusste, wer er war. Später setzten sie Feuerwehrautos ein, um kleine Brände auf der Straße zu löschen, woraufhin Steine und Stöcke flogen. Die Polizei antwortete zunächst mit Wasser, dann mit Gummigeschossen und Tränengas. Eine große Gruppe von Menschen, deren Gesichter mit T-Shirts, Lumpen oder Masken bedeckt waren, jubelte und beteiligte sich an der Konfrontation.
Durch die Kraft und Menge des Gases gelang es, den Großteil dieser Gruppe zurückzudrängen. Einige Leute warfen ein Medienfahrzeug um und andere setzten es in Brand. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die staatlichen Kräfte noch hinter dem Zaun, etwa achtzig Meter von dem fraglichen Auto entfernt.
Wir machen diese Beschreibung, weil eine Medienoperation im Gange ist, die darauf abzielt, die Realität der Fakten so zu verändern, dass sie besser in eine eigene Erzählung passt. Von den Medien, die dem peronistischen Sektor angehören, mit Página12 an der Spitze, über die Wahllinke mit Izquierda Diario bis hin zu denjenigen, die sich als unabhängige Medien verstehen, wird eine Kriminalisierungskampagne gegen diejenigen geführt, die an diesem Konflikt beteiligt waren. Die Behauptung, dass es bei den Demonstrationen Eingeschleuste/Spitzel gibt, die Zerstörungen anrichten, wird verbreitet, um den Unterschied zwischen den guten Staatsbürgern, die sich an die Gesetze halten, und den gewalttätigen Staatsbürgern, die Polizisten angreifen, zu verdeutlichen. Die vorgelegten Beweise sind nur Ausschnitte, Mutmaßungen und falsche Nachrichten.
Die Straße
Im Jahr 2022, während der Kongress über das IWF-Abkommen debattierte, wurden draußen Steine geworfen, Container in Brand gesetzt und Molotowcocktails auf die Polizei geworfen. Wenn wir Jahre zurückblicken, werden wir ähnliche Situationen finden, bis hin zu den berühmten „vierzehn Tonnen Steinen“, bei denen in den umliegenden Straßen Container und Fahrzeuge durchquert wurden, um dem Vormarsch der Polizei auszuweichen. Bei keinem dieser Ereignisse waren es eingeschleuste Polizisten, die für Unruhe sorgten.
Ende 2023, wenige Tage vor den Wahlen, kam es während einer Anti-Wahl-Aktion zu Repressionen im Stadtzentrum von Buenos Aires. Die Polizisten töteten mehrere Menschen, darunter auch Facundo Morales. Facundo starb, als ein „Beamter“ sein ganzes Gewicht auf ihn legte. Es ist schwierig, eine solche Aktion anders als Mord zu bezeichnen; Facundo hat sein Leben nicht verloren, es wurde ihm von staatlichen Kräften genommen.
Einen Tag nach seinem Tod griff eine kleine Gruppe bei einer Kundgebung zu diesem Fall die Überwachungszentrale der Stadtpolizei an. Einige Medien wie Página12 (immer Página) behaupteten, es handele sich um Eingeschleuste/Spitzel; das war nicht der Fall. Es ist merkwürdig, dass selbst in einer Situation wie dieser die automatische Antwort lautet, dass es sich um Eingeschleuste/Spitzelvhandeln muss. Der Schmerz und die Wut, die ein solches Ereignis auslösen kann, werden nicht berücksichtigt.
Aber es überrascht nicht, dass sich diese Geschichte über Eingeschleuste/Spitzel 2017 großer Beliebtheit erfreute, als ein anarchistischer Gefährte getötet wurde. Jede Aktion für das Erscheinen von Santiago Maldonado wurde mit der Antwort beantwortet, dass sie von Eingeschleuste/Spitzel verübt worden sein muss. Es passte nicht in die nationale und populäre Vorstellung, dass es Menschen gab, die nicht die Absicht hatten, aus dem Tod Politik zu machen.
Einen Monat nach Lechus Verschwinden veröffentlichte La Izquierda Diario Folgendes: „Obwohl wir nicht daran zweifeln, dass es im ganzen Land junge Menschen gibt, die ihrer Wut auf die Polizei Luft machen wollen, lässt die plötzliche Existenz von koordinierten ‚Anschlägen‘ im ganzen Land in den letzten Wochen den Verdacht aufkommen, dass es sich zumindest um eine provokative Aktion der Regierung und der Geheimdienste handelt“.
Zur Klarstellung für dieses Medienunternehmen: Es gab nicht nur Anschläge im ganzen Land, sondern auch in mehreren anderen Ländern. Nur einen Monat später griff eine große Zahl anarchistischer Gefährtinnen und Gefährten die argentinische Botschaft in Chile an. Die anarchistische Solidarität und der gemeinsame Schmerz kennen keine Grenzen.
Wir können nicht vergessen, dass der Abgeordnete Leopoldo Moreau ein Foto hochhielt und unverhohlen über eine Gruppe von Menschen log, die „alle schwarz gekleidet waren, um so zu tun, als seien sie Anarchisten“, sie als Polizisten bezeichnete und Namen erfand. Wir vergessen auch nicht die erbärmliche Vorstellung der PTS, als sie die Zäune um die Kathedrale vor der Plaza de Mayo umstellten, um die Polizei vor Feuer und Steinen zu schützen. Währenddessen wartete die Leiche von Lechu in einer Leichenhalle.
Die Ordnung
Jeden Tag, jede Stunde gibt es eine Agenda, die sich von der einen oder anderen Seite der Politik aufdrängen will. Jeder Ausschnitt der Realität wird so interpretiert, dass er dem einen oder anderen Sektor passt. Heute versucht die Linke, die so sehr auf gesellschaftliche Bestätigung angewiesen ist, mit allen Mitteln, sich als demokratische und friedliche Bewegung zu präsentieren. Gleichzeitig sprechen sie zusammen mit den fortschrittlichen1 Peronisten davon, dass Milei „die“ Diktatur ist, dass er rausgeworfen werden muss und sie füllen ihre Münder mit kämpferischen Reden. Worte.
Manchmal fragen wir uns, wie es während der letzten Militärdiktatur so viel zivile Komplizenschaft geben konnte, aber hier sehen wir deutlich die Handlungen von Gruppen, die nach ihren eigenen Vermutungen definieren, wer schuldig und wer unschuldig ist. Von allen Seiten des Spektrums wird immer wieder die Inhaftierung von „Kriminellen“ gefordert, sei es von Eduardo Feinmann oder von Revista Cítrica. Beide fordern die Verhaftung derjenigen, die ein Auto angezündet oder einen Aufstand verursacht haben. Es gibt keinen Riss in dieser Ode an Recht und Ordnung.
Das war nicht immer so. Wir haben Seite an Seite mit vielen militanten Linken gestanden. Wir haben die Bullen in Schach gehalten, Sit-ins an Arbeitsplätzen abgehalten und auf Freiheit außerhalb und innerhalb von Polizeistationen gehofft. Heute scheinen sie auf das Spiel der Netzwerke und Petitionen zu setzen. Mit dem Unterschreiben von Petitionen wurde noch nie etwas erreicht. Man würde sie nicht als Errungenschaften bezeichnen, wenn die Macht Rechte verschenken würde, indem sie auf nette Weise darum bittet; jede Verbesserung in unserem Leben ist das Ergebnis eines direkten Konflikts mit denen, die alles haben und nicht einmal das Minimum abgeben wollen.
Aber wir verstehen, dass nichts nur schwarz und weiß ist; es gibt Grautöne, und in diesen Grautönen leben wir die meiste Zeit. Wir sagen nicht, wie die Dinge sein sollten, wir haben keine Rezepte und wir erwarten auch nicht, dass wir mit diesen Worten eine gemeinsame Vision davon haben, was möglich ist oder nicht. Jeder Moment ist besonders und erfordert seine eigene Analyse. Es ist gültig zu sagen, dass „das Spiel gespielt wird“, „es funktioniert“ oder dass „es nicht vereinbart wurde“; alle Argumente sind gültig. Was nicht unwidersprochen bleiben darf, ist die Anschuldigung, dass die Menschen Polizisten sind. Was passiert, wenn die Polizei vorrückt, provoziert und angreift, liegt nicht in den Händen von politischen oder sozialen Organisationen und schon gar nicht in den Händen von Anarchistinnen und Anarchisten. Es ist einfach nur die Menschlichkeit, die an die Oberfläche kommt und sich selbst verteidigt, wie es in jeder Epoche der Geschichte geschehen ist.
Der Knast
Bei jeder Mobilisierung gibt es Polizisten in Zivil, die nachrichtendienstlich tätig sind, Menschen kennzeichnen und Fotos machen, die sie in ihren WhatsApp-Gruppen teilen, um zu berichten, was an den Orten passiert, an die die Uniformierten nicht herankommen. Das ist etwas ganz anderes als das, was man unter einem „agent provocateur“ versteht, also jemandem, dessen einzige Aufgabe es ist, Konflikte zu provozieren, um Repression zu rechtfertigen. Die Realität in diesen Ländern ist, dass solche Strategien wenig nützen. Es gibt Gruppen, die bereit sind, „zu stochern und zu schubsen“, aber es gibt auch wenig Toleranz für Polizeieinsätze. Ob das nun gut, schlecht, besser oder schlechter ist, ist unerheblich; der Punkt ist, dass die Realität zumindest ein wenig eine Rolle spielen sollte, wenn es darum geht, zu reden, denn in Zukunft wird es mehr Repression, mehr Menschen im Gefängnis und längere Strafen geben.
Hier geht es nicht um die Frage, ob Gewalt angewendet werden soll oder nicht, sondern um die Einsicht, dass Methoden der Selbstverteidigung wie Kapuzen, Barrikaden, Steine und Stöcke, die einen Rückzug ermöglichen, Werkzeuge sind, die nicht ohne eine ernsthafte Debatte darüber weggeworfen werden können, wann sie notwendig sind. Diese Mittel zu verunglimpfen und sie als Aktionen des Staates abzutun, gefährdet die Freiheit und das Leben der Demonstrierenden.
Die Realität ist, dass die Polizei keine Vorwände braucht, um Menschen zu unterdrücken oder festzunehmen. Die Unschuld, die Ausbildung, der Beruf usw. der Festgenommenen spielen nur dann eine Rolle, wenn es darum geht, ihre Herkunft zu beweisen oder eine Bewährung auszuhandeln. Wenn wir uns so sehr auf die Tatsache konzentrieren, dass die Festgenommenen gute Argentinier sind, rechtfertigen wir am Ende, wer ins Gefängnis gehört. Uns interessiert weder der Grad der Schuld oder Unschuld der einzelnen Personen, noch ihre Universitätsabschlüsse oder wie gut sie für die Gesellschaft sind. Wir wollen ihre Freiheit.
Ungeachtet dessen, was Journalisten und digitale Besserwisser sagen, werden vermummte Menschen wie die, die der fortschrittlichen Staatsbürger gerne als „Eingeschleuste/Spitzel“ bezeichnet, inhaftiert. Einige von ihnen verbringen eine lange Zeit in diesen Folterzentren, die wir Gefängnisse nennen, vergessen von der Mehrheit des „populären Lagers“ , die zu der Zeit vielleicht ihre Freiheit gefordert hat. Wenn die Kameras ausgeschaltet werden und die Sender über andere Dinge sprechen, hören die Gefangenen auf, politisch zu dienen. Deshalb verstehen wir, was die Familien, Freunde und Nahestehenden der Inhaftierten durchmachen. Es ist wichtig, Solidarität zu organisieren, zu kämpfen und nach Formen des Widerstands gegen eine neue Periode des Elends zu suchen, die kommen wird. Diese Regierung hat keine Angst zu handeln, sie hat keine Angst davor, ihr politisches Kapital auf jede Bewegung zu setzen und sie gewinnt viel mehr, als sie verliert, wenn sie Knüppel und Gefängnisstrafen verteilt. Dass es Teile der Opposition gibt, die lieber Wahnsinn vortäuschen und Menschen beschuldigen, unterwandert zu sein, weil sie nicht ihrer Linie folgen, kann ein Weg ohne Wiederkehr sein.
Das liegt nicht in unserer Hand und auch nicht in der Hand von irgendjemand anderem. Das Leben, die Rebellion, findet immer einen Weg. Wie Marcelo Villarroel, ein Gefährte, der immer noch als Geisel in einem Gefängnis auf der anderen Seite der Anden festgehalten wird, sagte: „Solange es Elend gibt, wird es Rebellion geben“.
1A.d.Ü., hier handelt es sich um den Begriff progre, eine Abkürzung von progresista, was eine fortschrittliche Person oder Fortschrittlicher bedeutet. In anarchistischen Kreisen wird dieser Begriff meistens in einer pejorativen Form verwendet.