Gefunden auf biblioteca anarchica, die Übersetzung ist von uns.
Luigi Fabbri, Der europäische Krieg und die Anarchisten (1916)
Der Text dieses Pamphlets war seit Anfang April fertig, als mehrere Gruppen von Gefährten sofort das Bedürfnis verspürten, kategorisch auf das anti-anarchistische Manifest der sogenannten französisch-russischen „Intellektuellen“ zu antworten. Leider hinderten uns materielle Schwierigkeiten aller Art, die sich aus dem Kriegszustand ergaben, der die Freiheit des Denkens unterdrückte, daran, die Veröffentlichung mit der gewünschten Schnelligkeit vorzunehmen.
In der Zwischenzeit wurden von verschiedenen Seiten anarchistische Stimmen des Protests gegen diejenigen laut, die fälschlicherweise für die Wortführer unserer Ideen gehalten werden. Ohne die Einstimmigen aus den neutralen Ländern zu zählen, vermerken wir hier mit Freude einen lebhaften Artikel von Errico Malatesta, der in den englischen Zeitungen und im Genfer Réveil Anarchiste (A.d.Ü., auf Italienisch Il Risveglio anarchico) erschien und im Libertario aus Spezia vollständig wiedergegeben wurde, eine Erklärung der Internationalen Anarchistischen Gruppe in London, eine weitere von der Gruppe Temps Nouveaux in Paris, eine dritte von den Pariser Gruppen, deren Organ die Zeitung Le Libertaire war. Leider konnten diese verschiedenen Stimmen kaum gehört werden, da sie durch die Zensur behindert wurden.
Selbst anarchistische Zeitungen, sowohl in Italien als auch in Frankreich, versuchten vergeblich, die Prosa des kriegshetzerischen Manifests zu widerlegen. Die Zensur tünchte drei Artikel von Sebastiano Faure, der in der Pariser Zeitung „Ce u’il aut dire“ den sechzehn Unterzeichnern des Manifests antwortete, vollständig aus; sie unterdrückte auch jeden Hinweis auf eine Antwort im Liberatario aus Spezia. Nur „l’Avvenire Anarchico“ („Anarchistische Zukunft“) aus Pisa konnte das Manifest der internationalen Londoner Gruppe, wenn auch verstümmelt, veröffentlichen.
Aus all diesen Gründen glauben wir, dass es trotz der Verzögerung, die auch durch den größeren Umfang dieses Schreibens verursacht wurde, immer noch sinnvoll ist, dieses Pamphlet zu veröffentlichen, das nicht als Antwort auf unsere jüngsten Gegner gedacht ist, sondern als begründete Bekräftigung unserer unveränderten Überzeugungen.
Die Verleger
TURIN, JUNI 1916
* * * * *
I
Während mit dem Frühling an allen Fronten des europäischen Krieges das gegenseitige Abschlachten der Völker zugenommen hat und Blut in Strömen vergossen wird, während ein Gefühl der Bestürzung die Herzen ergreift und die Gemüter nachdenklich macht, haben wir Anarchisten mit tiefer Sorge eine Stimme gehört, die sich gegen den Frieden erhebt: eure Stimme, o Menschen, die wir geliebt haben, weil ihr für die Ideen, die uns lieb sind, gekämpft, gearbeitet und gelitten habt, doch heute vergesst ihr diese Ideen oder verschiebt sie auf eitle und gefährliche Illusionen.
Ihr fürchtet einen „verfrühten“ Frieden; und ihr erkennt nicht, dass die Verlängerung des Krieges den Ausgang des Krieges nicht sicherer macht, weil sie die lebhaftesten Gefühle der unterdrückten Klassen in allen Ländern so grausam verletzt. Auf der anderen Seite wird der Frieden dem einen oder anderen Kriegsteilnehmer immer als verfrüht erscheinen, so dass es nur eine Gewissheit gibt: dass die gegenseitige Abnutzung/Zermürbung, die sich immer mehr in die Länge zieht, die gegenwärtige tragische Situation aller Völker bis zur Erschöpfung verschlimmern wird.
Im Pariser Manifest schreibt ihr, dass ihr „die Illusionen mancher unserer Genossen zu teilen, was die friedlichen Absichten derer angeht, die die Geschicke Deutschlands lenken“1. Aber welcher Anarchist könnte jemals solche törichten Illusionen hegen? Wir sind zwar ganz anderer Meinung als ihr, haben aber die gleiche schlechte Meinung von der deutschen Regierung und einem von ihr diktierten Frieden. Wahr ist, dass wir keine ganz andere Meinung von allen anderen Staaten haben! Ihr seid es jedoch, die sich als Opfer der uns zu Unrecht vorgeworfenen Illusion des schweren Unrechts schuldig gemacht haben, indem ihr euch in gewisser Weise zu Garanten eines späteren Staatsfriedens gemacht habt, der, auch wenn er von den von euch unterstützten Regierungen diktiert wird, immer ein verlogener Frieden voller Ungerechtigkeit und mit der Gefahr neuer Konflikte in der Zukunft sein wird.
Der Frieden, der früher oder später von den Staaten geschlossen wird, wird nicht unser Frieden sein, der wahre Frieden der Völker. Kein noch so zahlreicher internationaler Arbeiterkongress könnte einen Einfluss auf das haben, was ausschließlich durch die Diplomatie bestimmt wird; die Arbeiter werden etwas darüber wissen, wenn alles vorbei ist, bevor sie überhaupt die Freiheit behalten haben, zusammenzukommen und ihre Meinung zu äußern. Ja, es ist ein schwerer Fehler, sich mit Staaten für den Krieg zu solidarisieren; aber wir werden einen solchen Fehler nicht machen, denn wir werden Staaten niemals Solidarität, Vertrauen oder Waffenstillstand gewähren, nicht einmal um des frühesten Friedens willen. Wenn wir Frieden fordern, dann aus Solidarität mit der zerrissenen Menschheit und von den Völkern, von denen wir ihn erwarten, nicht von den Regierungen.
Ihr – die Unterzeichner des Manifests – befürchtet als größtes Übel, dass sich der Wunsch nach Frieden voreilig durchsetzen könnte, und erklärt, dass ihr zwar Anarchisten und Antimilitaristen seid, euch aber auf die Seite derjenigen stellt, die Widerstand leisten und kämpfen. Von wem redet ihr, von den Regierungen oder von den Proletariern? Sicherlich die Regierungen, denn nur vom bourgeoisen und staatlichen Standpunkt aus ist diese willkürliche Unterscheidung zwischen Verteidigung und Widerstand möglich. Und ihr habt Unrecht, wenn ihr die Ereignisse aus dieser falschen Sichtweise beurteilt! Wenn ihr also nicht von den Regierungen, sondern von der Masse der Proletarier sprechen wollt, die im wahrsten Sinne des Wortes kämpfen, erscheint es uns zumindest überflüssig, dass ihr erklärt, mit ihnen zu sein, wenn sie (wir sprechen von der Allgemeinheit) keine Freiheit haben, etwas anderes zu tun. Viel interessanter wäre es zu wissen, ob diejenigen, die kämpfen, mit euch übereinstimmen, oder ob sie nicht vielmehr bedauern, dass zu der materiellen Kraft, die sie ins Feuer treibt, die moralische Kraft eurer Zustimmung hinzugekommen ist. Vielleicht sind mehr von uns bei ihnen als von euch!
Ihr erklärt, dass ihr euch nicht vom Rest der Bevölkerung trennen wollt! …Aber um euch nicht vom Rest der Bevölkerung zu trennen, war es nicht nötig, eure seltsame Haltung einzunehmen; vielleicht würdet ihr ihrem Gefühl näher kommen, wenn ihr, indem ihr euch hoch erhebt, Worte sprechen würdet, die mehr im Einklang mit eurer Vergangenheit und mit den Ideen stehen, zu denen ihr euch zu bekennen behauptet. Ihr verwechselt das sicherlich mit der Stimmung im Volk und der künstlichen öffentlichen Meinung, die von einer Lügenpresse geschaffen wird, die als einzige die Freiheit hat, gehört zu werden.
So kann die Presse euch heute mit Blumen bedecken2 und eure Namen benutzen, um uns noch heftiger zu beschimpfen! Passt auf! Das Lob von Feinden ist fast immer ein Beweis dafür, dass man einen falschen Weg einschlägt.
II
Ihr seid auf dem falschen Weg. Wir könnten es euch mit denselben Worten beweisen wie einige von euch, indem wir in euren Büchern, Flugblättern und Zeitungen blättern.
In eurem Manifest erwähnt ihr die Verantwortung des deutschen Staates für den gegenwärtigen Krieg. Euer Unrecht beginnt, wenn ihr euch darauf beschränkt, nur diese Verantwortung zu sehen, ohne zu erkennen, dass die gleiche Verantwortung auch von allen anderen Staaten getragen wird, einschließlich derer, die ihr verteidigt. Daraus ergibt sich deine gesamte falsche Einstellung.
Der deutsche Staat trägt sicherlich mehr Verantwortung als die anderen, weil er den Krieg überhaupt erst begonnen und alle damit verbundenen Schandtaten begangen hat. Aber es möglich gemacht zu haben, es vorbereitet zu haben, es provoziert zu haben, es mehr und mehr unvermeidlich gemacht zu haben, es nicht wirklich und wahrhaftig verhindern zu wollen, ist die kollektive Schuld aller kriegführenden Staaten. Frankreich und Russland waren darauf nicht vorbereitet, heißt es. Stimmt; aber sie bereiteten sich vor, und wenn sie 1914 noch keinen Krieg wollten, kündigten sie an, dass sie für später bereit sein würden. Das mitschuldige Großbritannien machte mit und spornte sie an, aus Angst vor Deutschlands Kolonial- und Expansionshunger, während Italien drei Jahre lang unbewusst den ersten Brandherd im Nahen Osten entfacht hatte, aus dem sich nach und nach ein Flächenbrand entwickeln sollte.
Seit einigen Jahren verfolgte Frankreich ebenso wie Deutschland eine aggressive Politik; jeder erinnert sich an die kriegerischen Morde von Delcasse, und seit der Wahl von Poincare zum Präsidenten der Republik war allen klar, dass dies kurzfristig Krieg bedeutete.
Und dass der taube, noch nicht militärische Krieg zwischen den großen Räubern in Afrika und im Nahen Osten längst begonnen hatte; die verschiedenen europäischen Imperialismen aus Handel und Politik konkurrierten überall um koloniale Märkte, Handelsplätze, Eisenbahn- und Hafenkonzessionen, sogenannte Einflusszonen: in Marokko und Persien, auf dem Balkan und in Mesopotamien, in der Türkei und in China, vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Deutschland, das als letztes ankam, reich an Industrie und Waffen, aber arm an Kolonien, versuchte, sich seinen Weg zu bahnen, um… auch ein wenig zu stehlen; aber seine kolonialen Geschäftsmänner (laut einem eurer eigenen) trafen überall auf einen gewaltigen Rivalen, die Engländer, die ihnen den Weg versperrten3, um ihre maritime Entwicklung zu stoppen und diplomatisch an der Vorbereitung des Krieges zu arbeiten.
Und der Krieg kam, alles andere als unerwartet. Der Gefährte Domela Nieuwenhuis sprach bereits 1911 davon, dass dies eine sichere Sache sei, ebenso wie die Gewerkschafter/Syndikalisten Merrheim und Delaisi; der Einmarsch in Belgien selbst, über den viele 1914 überrascht schienen, wurde von ihnen als sicher angesehen4. Das Deutsche Reich wartete nicht darauf, dass seine Feinde sich vorbereiteten, dass Frankreich den Ertrag des Dreijahresgesetzes erhielt, dass Russland die versprochenen Schlachtschiffe und die polnischen strategischen Eisenbahnen baute usw. Sie, die im Moment die stärksten waren, hätte versuchen können, die andauernden Streitigkeiten anders zu regeln, anders Zusicherungen für die Zukunft zu erhalten, kurzum alle Möglichkeiten zu nutzen, um einen Krieg zu vermeiden. Das haben sie nicht getan, und das ist seine Verurteilung. Stattdessen wollten sie ihr Schwert aus der Scheide ziehen!
Wir haben jedes Recht, den finsteren deutschen Kaiser und seinen verbrecherischen Generalstab zu verfluchen, weil sie die Ereignisse herbeigeführt haben, während es vielleicht möglich war, dass eine populäre Revolution in der Zwischenzeit von irgendeiner der europäischen Nationen aus dem Lauf der Geschichte eine andere Richtung aufdrücken konnte. Wir, und nur wir, haben dieses Recht, weil wir von einem nicht-staatlichen, aber revolutionären Standpunkt ausgehen. Die Regierungen und ihre Parteigänger, nein, sie haben nicht das Recht, gegen die deutsche Regierung zu peitschen, denn sie sind alle Komplizen dabei, denn auf dem zwielichtigen Terrain der Staatsdiplomatie kann auch der berüchtigte deutsche Staat seinen Anteil an der Vernunft gegen sie geltend machen.
Wenn das Deutsche Reich auf der höllischen Skala der Verantwortung den ersten und abscheulichsten Platz einnimmt, ist es auch wahr, dass kein Staat vor seinen Untertanen behaupten kann, alles getan zu haben, um die Quittungen des Krieges zu vermeiden. Die Geheimverträge der Allianzen hatten die Oberhand. Bekannte Autoren haben dies vor allem in England nachgewiesen; wir verzichten darauf, diesen Nachweis, der auch allein auf der Grundlage offizieller und diplomatischer Dokumente erfolgen könnte, zu wiederholen, weil die Argumentation zu lange dauern würde. Es genügt, an die Ermordung von John Jaures zu erinnern und an die Worte, die er kurz zuvor über den Krieg geäußert hatte; diese Ermordung ist bereits ein Akt, der eine direkte, nicht nur entfernte, sondern auch unmittelbare, nicht nur negative, sondern auch positive Verantwortung der Hochfinanz und des französischen Nationalismus für den gegenwärtigen Krieg impliziert.
Wenn ihr sagt, dass es notwendig ist, „die Partei, die Europa seit fünfundvierzig Jahren5 in ein gigantisches Schützengrabenfeld verwandelt hat“ zu besiegen ist habt ihr vollkommen recht; aber um deutlicher zu sein und den Beifall des Figaro und des Corriere della Sera zu vermeiden, hättet ihr hinzufügen sollen (und dabei wiederholen, was einige von euch vor Ausbruch des Krieges gesagt haben6), dass diese Partei in jedem Land existiert und ihre Zentren und ihre wechselseitigen Verzweigungen hat, überall mächtig und überall siegreich gegen die Menschen heute sind. Die Tatsache, dass die Verbrecherbande in Berlin 1914 besser vorbereitet war als anderswo, schmälert nicht die Verantwortung der Letzteren. Vielleicht steigert es sie, denn man könnte sich fragen, was sie mit den Milliarden gemacht haben, die sie dem Volk unter dem Vorwand der militärischen Vorbereitung entzogen haben.
Aber darauf sollten wir nicht bestehen, denn das geht über unseren Standpunkt hinaus und würde uns aus unserem Terrain herausführen. Schließlich ist der Krieg kein Fechtturnier, bei dem der Kampf erst beginnt, wenn alle bereit sind!
III
All diese Dinge sind und waren seit langem bekannt. Die Tatsachen, die sich vor unseren Augen entfalten, sind von unseren Gegnern und von uns selbst mehrfach als höchst plausible Hypothesen vorgebracht worden; und ihr und wir haben im Laufe unserer Propaganda wiederholt die Interpretation im oben genannten Sinne vorweggenommen. Es ist die realistischste Interpretation, die sich aus unserer libertären und revolutionären Auffassung von Leben und Kampf ergibt.
Krieg ist die natürliche Folge der kapitalistischen und staatlichen Ordnung der Gesellschaft. Vor fünfzig Jahren wurde der Militarismus und die Reaktion in Europa von Napoleon III. verkörpert, heute wird er von Wilhelm II. verkörpert, und in fünfzig Jahren wird er vom stärksten Staatsoberhaupt derjenigen der beiden Koalitionen verkörpert, die den gegenwärtigen Krieg gewinnen werden. Nur wenn die Ausbeutung durch den Arbeitgeber und die Unterdrückung durch den Staat aufhört, kann dieses Hin und Her der militärischen Tyrannei von einem Staat zum anderen aufhören; nur dann wird es keinen preußischen oder französischen Militarismus und keine Kriege mehr geben.
„Ah! Ihr wolltet nichts vom Sozialismus wissen? Nun, werdet ihr den Krieg haben, den dreißigjährigen Krieg, den fünfzigjährigen Krieg!“, sagte Herzen nach 1848. Und wir haben es; wenn die Kanone für einen Moment aufhört, in der Welt zu donnern und zu verschnaufen, um an einem anderen Punkt wieder anzufangen, schlimmer noch, während der europäische Krieg – das allgemeine Durcheinander der Völker – uns seit zehn Jahren droht…7“ Einer von euch hat vor dreiunddreißig Jahren so gesprochen, und er hatte recht, ebenso wie Herzen. In all diesen Jahren hat die Kriegsgefahr nur in kurzen Abständen aufgehört, wie ein Damoklesschwert über Europa zu schweben, und ihr habt, solange ihr die Dinge noch gelassen beurteilen konntet, gesagt, was wir heute wiederholen.
Wenn dieser Krieg vorbei ist, wer auch immer gewinnt, können wir die Warnung von Herzen wiederholen. Der Krieg wird sich selbst reproduzieren, er wird aus seiner Asche wiedergeboren werden, wenn – bevor neue Generationen für ein neues Gemetzel bereit sind und bevor der Schrecken dieses Krieges vergessen ist – die Völker nicht Herr ihres eigenen Schicksals geworden sind und den einzig möglichen dauerhaften Frieden auf Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit gründen.
Aber ihr, die ihr gestern dieselbe Sprache wie wir gesprochen habt, scheint heute dieselbe oberflächliche und rhetorische Interpretation der Tatsachen zu akzeptieren, die uns seit zwanzig Monaten in all ihren Reden von den verschiedenen Ministern der Entente und ihren mehr oder weniger sozialistischen Handelsreisende aufgetischt wurde – dieselbe, mit einer anderen Anwendung, von den österreichisch-deutschen Ministern und ihren sozialdemokratischen Getreuen, die den Untertanen jenseits des Rheins aufgezwungen wurden. Ihr legt also allergrößten Wert auf diese Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg, als ob alle Kriege in der unmittelbaren materiellen Realität nicht immer ein Angriffskrieg auf der einen und ein Verteidigungskrieg auf der anderen Seite wären!
Wir haben gesehen, wie oberflächlich diese Unterscheidung ist. Oft ist das, was als Angreifer erscheint, nichts anderes als der schwächere oder weniger glückliche Angreifer; oft ist das, was als Angreifer erscheint, nichts anderes als derjenige, der angegriffen werden soll und sich im Voraus verteidigt, indem er zuerst angreift. Fast immer hat dann jeder Staat, sowohl der Angreifer als auch der Angegriffene, vom Standpunkt seiner nationalen Interessen aus stichhaltige Argumente, um zu behaupten, dass er zur Selbstverteidigung gehandelt hat. In Wirklichkeit sind sie alle richtig und falsch zugleich, und es gibt nur einen mehr oder weniger großen Unterschied zwischen ihnen, den wir nicht beurteilen können, denn sie sind alle gleichermaßen unsere Feinde, und selbst wenn wir es wollten, würden uns die Elemente fehlen. Denn was wissen wir schon über sie? Das Wissen um geheime Verträge, die Geheimnisse der Diplomatie und der Finanzen könnte jede bisherige Hypothese umstoßen.
Ungeachtet unserer unterschiedlichen Sympathien und Vorlieben halten wir es daher für höchst verfehlt und im Widerspruch zu den grundlegenden Gründen anarchistischer Ideen und den nahen und fernen Notwendigkeiten der Revolution, uns in unserem Urteil und in unserer Haltung gegenüber dem Krieg von dem vereinfachenden Kriterium leiten zu lassen, das Aggression von Widerstand unterscheidet, das die Kriegführenden in Engel und Dämonen einteilt und den Ersteren alle Gründe und den Letzteren alle Ungerechtigkeiten zuschreibt. Wenn euer Kriterium akzeptiert würde, wäre unsere gesamte internationalistische und staatsfeindliche Propaganda der letzten vierzig Jahre falsch – denn in keinem Krieg könnten Anarchisten ein einheitliches, brüderliches, internationales Auftreten an den Tag legen, da es immer eine angegriffene Nation gäbe, mit deren Regierung sich die Anarchisten solidarisch zeigen müssten.
Euer heutiges Kriterium ist genau das, das bis gestern von den demokratischen Sozialisten der verschiedenen Länder vertreten wurde, die jede Idee eines Generalstreiks im Kriegsfall, jede konkrete gemeinsame Aktion ablehnten, die zuerst von uns Anarchisten und dann von ihren revolutionäreren Minderheiten vorgeschlagen wurde, eben weil sie behaupteten, dass jedes Volk, das angegriffen wird, zuerst daran denken muss, sich selbst zu verteidigen, und dass die Sozialisten die Pflicht hätten, sich an der Verteidigung zu beteiligen. Wir haben ihnen immer gesagt, dass dies Opportunismus ist, dass ihre internationale Solidarität beim ersten Windstoß zusammenbrechen würde, und wir hatten Recht.
Leider haben die Sozialisten einiger Nationen – die Guesses, die Sudekums, die Vanderweldes, die Adlers – diesen Opportunismus in der Praxis noch weiter getrieben und ihren Prinzipien noch mehr widersprochen, als vorgesehen war; aber ihre Inkonsequenz ist weniger überraschend als die eure.
IV
Wir haben bereits gesagt, dass wir uns keine Illusionen über die friedlichen Absichten der deutschen Regierung machen und dass wir, selbst wenn es sie gäbe, keine Hoffnung auf Gutes in sie setzen würden, noch würden wir uns in sie einmischen oder sie beeinflussen wollen. Es besteht also keine Gefahr, dass wir – um einen unsympathischen Ausdruck aus eurem Manifest zu verwenden – das Spiel von Bülow und seinen Agenten spielen, genauso wenig wie wir das Spiel von Briands Agenten spielen wollen. Die beiden Spiele würden gleichgesetzt werden.
Ihr seid vielmehr die ersten unter uns, die über die hypothetischen deutschen Friedensbedingungen diskutieren, die eine Schweizer Zeitung aufgestellt hat. Wir erwähnen sie nur, weil ihr über sie gesprochen habt, und es fällt uns nicht schwer zuzustimmen, dass sie grotesk und parteiisch sind. Aber auch wenn viele eurer Bedenken in dieser Hinsicht verständlich und berechtigt sind, besteht euer Fehler darin, dass ihr nicht erkennt, dass der Krieg euch nicht von ihnen befreien wird, sondern nur andere, aus eurer Sicht ebenso ernste Bedenken mit sich bringt. Denn selbst wenn die Staaten, die ihr favorisiert, gewinnen, wird keine der wichtigsten Fragen, die heute auf dem Spiel stehen (Nationalitäten, Militarismus oder Abrüstung usw.), gelöst werden. Denn Krieg ist ein Mittel, das die schwerwiegendsten Fragen nicht löst, sondern sie verkompliziert, verschlimmert, verdrängt oder auf einen späteren Zeitpunkt für einen weiteren Krieg verschiebt.
Dass gerade die Staaten, zu denen ihr als Anhänger/Verfechteer angehört, in jeder Hinsicht viele Enttäuschungen für euch vorbereiten, zeigen die Fehler in der Kriegsführung, die sich die verschiedenen Regierungen in ihrer inoffiziellen Presse jetzt nicht so sehr vorwerfen. Die anglo-russischen Rivalitäten um die Dardanellen, die italienisch-griechische Feindschaft und vor allem das Balkan-Durcheinander, das im serbisch-bulgarischen Krieg gipfelte, offenbarten ein egoistisches, geschäftliches und imperialistisches Substrat in der Arbeit der verschiedenen Staaten, das zwar weniger brutal, aber nicht weniger offensichtlich ist als das des deutschen Verhaltens.
In dieser Hinsicht sind die Erklärungen, die die Minister der beiden Kriegsparteien gelegentlich austauschen, aufschlussreich. Ein deutscher Minister spricht in Berlin? Gleich danach wird er von einem Minister aus London beantwortet! Natürlich wollen alle Europa Frieden geben. Es ist müßig zu zeigen, wie zynisch und verlogen die Stimme aus Berlin ist; die gesamte Presse unserer Länder ist voll von ihrer Widerlegung, und wir sind da der gleichen Meinung. Aber ihr hört mit einem anderen Geist auf die Stimme, die aus London kommt und die euch verführt, obwohl sie keine Sirene ist. In letzter Zeit beteuert Minister Asquith, er wolle nur die Ruhe in Europa durch einen Sieg sichern, er wolle nur den preußischen Militarismus ausrotten und nicht die nationale Existenz der Germanen bedrohen oder sich in die Ausübung ihrer friedlichen Arbeit einmischen.
Ausgezeichnete Absichten! Aber am nächsten Tag8 erweiterte [Eyre] Crowe im englischen Oberhaus in Beantwortung einer Frage im Namen der Regierung das Konzept des Krieges gegen den preußischen Militarismus wie folgt: „… dass es Deutschland in Zukunft nicht erlaubt sein sollte, die gleiche Handelspolitik wie bisher fortzusetzen… Es ist unmöglich, einen Unterschied zwischen deutschem Handel und preußischem Militarismus zu machen. Also… lasst uns den deutschen Handel zerstören!“ Was sagt ihr, ihr Unterzeichner des Manifests, die ihr befürchtet, dass ein deutscher Frieden ökonomische Unterwerfung bedeuten könnte? Ist das nicht dasselbe, als würde man den Deutschen mit einem englischen Frieden drohen?
Es ist ein neuer Krieg, der innerhalb des aktuellen Krieges vorbereitet wird. Der englische Schriftsteller Richard Bagot demonstrierte dies am Abend des 12. April in Florenz auf einer in Italien viel diskutierten Konferenz. Er zeigte u.a., dass nach dem Frieden der Handelskrieg beginnen wird, der seiner Meinung nach der wahre Krieg sein wird – auch der um Zivilisation, Freiheit usw. usw. Wir wissen nicht, wie viel Beachtung Bagot verdient; aber was er sagt, scheint gar nicht so weit hergeholt zu sein, wenn man die Arbeitsweise der internationalen Finanzklassen auf dem einen und auf dem anderen Gebiet beobachtet. Schon vor ein paar Monaten war von Versöhnungen der Industrie- und Bankenhaie Deutschlands und Österreich-Ungarns die Rede; seit einiger Zeit werden sogar nach dem Krieg ökonomische Konferenzen von den Geiern der englischen, russischen, französischen und italienischen Hochfinanz organisiert.
Diese dunklen Morde des Kapitalismus scheinen uns Anarchisten genauso zu beunruhigen wie die offene Gewalt des preußischen Militarismus. Wir sehen stattdessen, dass ihr euch in eurem Manifest eher um die belgischen und französischen Kolonien und das Schicksal der achtzehn Milliarden sorgt, die Frankreich an Russland verliehen hat, um die Revolution von 1905 zu unterdrücken und Waffen zu liefern. Es erscheint uns unwahrscheinlich, dass ihr glaubt, dass es sich lohnt, den Krieg fortzusetzen – d.h. in einem Menschenleben dieselben Milliarden zu verpulvern, die ihr fürchtet, zu verlieren – unter dem Druck solcher Sorgen, die nichts mit der Sache der Zivilisation und der Freiheit zu tun haben!
Aber wir betrachten es nicht als unsere Aufgabe, hier mit euch über die Grundlagen eines Friedens zwischen Regierungen zu diskutieren, den die Regierungen ohne uns und ohne euch, gegen uns und gegen euch schließen werden.
V
Eure Behauptung, dass „das deutsche Volk seine Regierung in ihren Eroberungsgelüsten unterstützt“, bedeutet nichts. Das kann man immer sagen, für alle Völker, für alle Regierungen, für alle Eroberungen, selbst für die schändlichsten!
Ihr wisst, dass sich Mehrheiten leider – in allen Ländern, nicht nur in Deutschland – leicht an vollendete Tatsachen anpassen und der Meinung des Stärkeren, desjenigen, der die Macht und den Reichtum besitzt, sind oder zu sein scheinen – solange die gegnerischen Minderheiten nicht in der Lage sind, das Umfeld zu verändern. Für uns zählen also die Avantgarde in der Minderheit, und auf sie müssen wir unseren Blick richten, um die intimen und tief sitzenden Tendenzen eines Volkes zu erkennen.
Um dem deutschen Proletariat gegenüber fair zu sein9, ist es auf jeden Fall nicht schlecht, sich daran zu erinnern, dass bis zum ersten Ausbruch der Feindseligkeiten, d.h. bis der Kriegszustand jede Freiheit unterdrückte, in allen deutschen Städten Hunderte von Antikriegskundgebungen mit der Zustimmung und Beteiligung von Millionen von Menschen stattfanden. Dann wurde die Stimme des Volkes von der militärischen Reaktion und der verlogenen Presse mit der Komplizenschaft der mit der Regierung verbündeten sozialistischen Anführer im Keim erstickt; die Proletarier, die gezwungen waren, schweigend zu gehorchen, wurden zur Schlachtbank getrieben. Das beweist, dass sie zu schwach und machtlos waren, um die Verbrechen ihrer Regierung zu verhindern; es beweist auch den enormen Fehler des Legalitarismus und Autoritarismus, mit dem ihre Opposition gegen die Bourgeoisie in der Vergangenheit geführt wurde; aber es reicht nicht aus, um sie für die staatlichen Schandtaten mitverantwortlich zu machen.
Das Gleiche gilt für die Proletarier aller Nationen im Krieg. Überall sind die autoritären Sozialisten mitverantwortlich für die Passivität des Volkes, die auf die legalistische Erziehung der Mehrheit des in Parteien und Gewerkschaften/Syndikate organisierten Proletariats zurückzuführen ist. Nicht einmal Frankreich ist eine Ausnahme, wo sich der Gewerkschaftsbund in letzter Zeit auf einen sehr reformistischen Korporativismus zubewegt hat, was einige von euch nicht übersehen und beklagt haben. Überall scheinen die Staaten daher die Zustimmung ihrer Völker zu allen ihren Handlungen zu haben, auch zu den schlechten, bis die Stimme des Volkes wieder durch den Mund der wiedererstarkenden oppositionellen Minderheiten gehört wird.
Diese Stimme wurde bereits in jeder Nation erhoben, in Deutschland wie in euren Ländern.
Ihr wisst bereits, dass die deutschen Anarchisten immer gegen den Krieg und seine Urheber geblieben sind und dass ihre Opposition – die in einem vor langer Zeit veröffentlichten Manifest festgehalten wurde – sich nur wegen ihres zahlenmäßigen Mangels und der polizeilichen Verfolgung, für die ihre gesamte Presse unterdrückt und viele Gefährten inhaftiert wurden, nicht äußern konnte; so wisst ihr auch, dass viele von ihnen in die Schweiz und nach Dänemark geflüchtet sind, um nicht in den Krieg zu ziehen10. Das Gleiche gilt für die revolutionären Gewerkschaftler/Syndikalisten des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Leider stellen die einen und die anderen eine zu schwache Minderheit dar, um die Fakten zu beeinflussen, aber wir Anarchisten haben die Pflicht, sie nicht zu vergessen.
So dürfen wir das Verhalten von Karl Liebknecht nicht vergessen und trotz unseres Antiparlamentarismus seine Bedeutung und Aufrichtigkeit nicht verschweigen.
Die parlamentarische Opposition der Minderheit der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten, die seit etwa zehn Monaten Gestalt annimmt, hat eine andere Bedeutung. Wir wissen heute, dass etwa ein Drittel der einhundertzehn sozialistischen Abgeordneten gegen die Regierung sind, obwohl nur etwa zwanzig es gewagt haben, sich von der Mehrheit zu lösen, die sogenannte Disziplin zu brechen und in die Opposition zu gehen. Wir wollen ihre Gutgläubigkeit nicht in Frage stellen, aber wir sollten auch nicht das wahltaktische Wesen ihres Sozialismus vergessen. Egal, ob der parlamentarische Opportunismus sie am 4. August 1914 dazu brachte, für den Krieg zu stimmen oder ihre abweichende Meinung zum Schweigen zu bringen, es ist sicher, dass ihre heutige Opposition vor allem auf die Entwicklung des Oppositionsgeistes unter den Massen zurückzuführen ist, von dem sich ihre Mandate ableiten. Tatsächlich wissen wir, dass in mehreren deutschen Städten sozialistische Vollversammlungen ihr Verhalten billigten, so wie andere Vollversammlungen Liebknechts Verhalten billigten.
Es ist dieser Teil des Volkes, der von den deutschen Delegierten auf der Internationalen Sozialistischen Konferenz in Zimmerwald im September letzten Jahres vertreten wurde. Ihr liegt also falsch, wenn ihr behauptet, dass es an einer Vertretung der deutschen Arbeiter gemangelt hat, und wenn ihr davon ausgeht, dass der gesamte Widerstand der deutschen Arbeiter sich auf ein paar Unruhen wegen der steigenden Lebensmittelpreise beschränkt hat. In Zimmerwald erklärten Vertreter der deutschen Arbeiter, dass sie genau das wollen, von dem ihr glaubt, dass sie es nicht wollen: einen Frieden ohne Annexionen, ohne Kriegsentschädigungen, ohne ökonomische Versklavung11.
Ihr seht also, dass es im Gegensatz zu dem, was ihr sagt, keinen Mangel an Aufbruchsstimmung im deutschen Volk gibt.
Ihr wendet ein, dass die Mehrheit der deutschen Sozialdemokraten und der organisierten Arbeiter – trotz allem, was wir gesagt haben – auf der Seite ihrer Regierung steht. Das bedeutet, dass wir und ihr in der Vergangenheit zu Recht mit den Schultern gezuckt habt, als wir uns mit den Abermillionen organisierter und wählender deutscher Sozialisten brüsteten. Jetzt haben wir den Beweis für das, was wir früher sagten: dass sie größtenteils keine Sozialisten waren, sondern nur zum Zweck des unmittelbaren materiellen Nutzens reglementiert wurden. Der Krieg hat sie in die passive Mehrheit der Bevölkerung zurückgetrieben, die wählt, gehorcht und zahlt. Die Davids, die [Carl] Legiens, die [Albert] Sudekums sind ihre würdigen Hirten… für den Moment.
Denn es ist nicht sicher, ob nicht auch diese unbewusste Masse unter dem Peitschenhieb der Ereignisse die Opposition allmählich anschwellen und in eine Revolution verwandeln wird. Das ist eure Hoffnung – und unsere!
Aber inmitten der Entfesselung des nationalen Hasses durch diesen Krieg ist eure Sprache sicher nicht die geeignetste, um von den deutschen Arbeitern gehört zu werden, an die ihr euer Manifest auch richtet. Erstens klingt sie zu sehr nach der Sprache eurer patriotischen Landsleute, und ihr werdet merken, dass die deutschen Arbeiter um des Patriotismus willen lieber die Sprache ihres eigenen Landes hören werden. Ein Schaden statt ein Vorteil! Vielleicht war das nicht eure Absicht, aber der Ton eures Manifests wurde euch von euren Schmeichlern im nationalistischen und konservativen Journalismus mitgeteilt. Es stimmt, dass eine Revolution in Deutschland durch den Schmerz und das Leid der Niederlage ausgelöst werden könnte, aber wenn ihr an der Seite derer steht, die diese Schmerzen und dieses Leid über das deutsche Volk bringen, wie soll es dann auf eure Worte des Widerstands oder der Revolte hören?
Eure parteiische Haltung, anstatt die Entwicklung der Opposition in Deutschland zu begünstigen, könnte sie in Verlegenheit bringen und behindern, genauso wie es unserer Sache schaden würde, wenn die deutschen patriotischen Sozialisten, die in einer Sprache, die der euren sehr ähnlich ist, ständig für eine französische, russische oder englische Niederlage stimmen, zum Widerstand gegen die Regierungen der Intensiven aufrufen würden. Noch weniger könnt ihr es den deutschen Arbeitern mit eurem System erleichtern, sich bei ihren eigenen Machthabern Gehör zu verschaffen – selbst wenn eure letztgenannte Hypothese nicht, wie es uns scheint, völlig inakzeptabel wäre.
Kurz gesagt, der Rat, den ihr – gewissermaßen von oben herab, wie die Propheten des auserwählten Volkes an das götzendienerische Volk biblischen Gedächtnisses – den deutschen Arbeitern gebt, mag an sich gut sein, aber er hat den Fehler, dass er nicht auf gleicher Augenhöhe gegeben wird. Um ihnen effektiv zu sagen, dass sie ihre eigene Regierung bekämpfen sollen, dürft ihr euch nicht mit eurer Regierung solidarisieren.
Ihr solltet euch stattdessen an unsere anarchistischen Gefährten wenden, die unseren Ideen treu geblieben sind; ihr solltet euch an die oppositionellen Minderheiten wenden, die die Möglichkeit haben, früher oder später die Massen in ihre Mitte zu ziehen, aber nicht, indem ihr vorgebt, sie zu ignorieren oder versucht, ihre Bedeutung zu schmälern, sondern indem ihr ihre Absichten und Ideen fair zur Kenntnis nehmt und euch der Schwierigkeiten bewusst seid, denen sie gegenüberstehen.
Außerdem solltet ihr nicht die beispiellosen Schandtaten vergessen, die die deutsche Regierung mit ihren Armeen begangen hat, und dass sie dasselbe getan hätten, wenn es ihnen gelungen wäre, auf feindlichem Boden zu kämpfen, wenn sie die Seewege des Feindes abgefangen hätten usw.
Man muss sich nur an vergangene Kriege erinnern, und zwar an alle, um sich davon zu überzeugen, dass die Konventionen, die von den Staaten in Friedenszeiten gebilligt werden, eine dumme Heuchelei sind; in Kriegszeiten berufen sich nur die Schwachen auf sie, während die Starken sie mit Füßen treten oder sie nur im Rahmen ihres eigenen Vorteils respektieren. Wie oft haben wir das in der Vergangenheit nicht schon gesagt und uns über zwischenstaatliche, pazifistische und humanitäre Kongresse lustig gemacht?
Dass alle Staaten die gleiche Fähigkeit haben, Verbrechen zu begehen, und dass nur äußere Umstände den einen weniger stark erscheinen lassen als den anderen, beweist die Erinnerung an Bürgerkriege (Paris, erinnere dich an dein 1848 und dein 1871!), es beweist die Erinnerung an den russischen Einmarsch in Preußen und Galizien, es beweist vor allem die ganze Geschichte der Kolonialkriege, in denen ausnahmslos jeder Staat der Menschheit und der Zivilisation entsetzlichen Schaden zugefügt hat. Wenn im Kongo, auf Madagaskar, in Tripolitanien usw. keine Kathedralen oder Universitäten zerstört wurden, wie in Reims und Löwen, dann nur, weil es dort keine gab!
VI
Weil wir all das denken und sagen – also alles, was wir seit vierzig Jahren sagen – werden wir von der bourgeoisen Presse als Handlanger der Deutschen verunglimpft. Trotz der verleumderischen Absicht lässt uns das gleichgültig, genauso wie es einem Atheisten gleichgültig sein kann, wenn eine Begine (A.d.Ü. Beginen und Begarden waren Mitglieder von religiösen Laiengemeinschaften in weiten Teilen Europas vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert. Sie richteten ihr Leben am Armuts- und Bußideal in der Nachfolge Jesu Christi aus und verrichteten vor allem karitative Tätigkeiten für Kranke, Arme und Sterbende.) auf die Idee kommt, ihn zu beleidigen, indem sie ihn einen Juden oder einen Freund der Juden nennt.
Wir können euch jedoch unsere Seele öffnen und sagen, dass der Krieg in uns ganz ähnliche Gefühle weckt wie in euch. Wir alle hatten einen Moment ängstlicher Beklemmung, als die deutsche rohe Gewalt 1914 Paris erreichen sollte. Selbst wenn man andere mehr oder weniger unbewusste Elemente, die in uns gewirkt haben könnten, außer Acht lässt, reichten die Arroganz der Invasion und die in Belgien und Nordfrankreich begangenen Gräuel aus, um uns das preußische militaristische Monster in diesem Moment mehr als alles andere hassen zu lassen. Diese Haltung stand keineswegs im Widerspruch zu unseren idealistischen Überzeugungen – wir, die wir in der Vergangenheit nie mit unserer Sympathie für unterdrückte Nationalitäten gespart und oft die militaristische Gefahr angeprangert hatten, die von Deutschlands politischen Institutionen ausging.
Aber wir merkten bald, wie die natürliche und spontane Stimmung der Mehrheit von den Feinden der Revolution und der Freiheit kunstvoll ausgenutzt wurde, um sie in diametral entgegengesetzte Richtungen zu lenken. Sogar bei einigen Sozialisten, Gewerkschaftern/Syndikalisten und Anarchisten ersetzte dieses Gefühl in seiner Erregung den lebendigen, aber oberflächlichen Eindruck des Augenblicks durch eine synthetische Vision der Realität. Es ließ sie die Vergangenheit vergessen und die Zukunft vernachlässigen, was zu Schlussfolgerungen führte, die all unserer bisherigen Propaganda und den Grundlagen unserer revolutionären und libertären Ideale widersprachen.
Einige, die Bakunin und Marx vergaßen, beriefen sich auf Victor Hugo und Mazzini, um die Idee des Vaterlandes zu rehabilitieren; andere trennten die soziale Frage von der nationalen und ordneten sie ihr unter, indem sie sich um Elsass und Lothringen, Trient und Triest usw. sorgten. Einige, zumindest in Italien, gingen so weit, sich den Expansionsabsichten der Bourgeoisie anzuschließen. Manche nannten die Gegenwart einen Befreiungskrieg, sie nannten sie sogar einen revolutionären Krieg! Viele Kriegsbefürworter schürten wütend den National- und Rassenhass, den sie noch wenige Monate zuvor beklagt hatten. Und in den neutralen Ländern gab es diejenigen, die die traurige Verantwortung übernahmen, ihre eigene Regierung selbst in den Krieg zu treiben!
Wir wissen nicht, ob ihr die Arbeit und die Ideen all dieser Leute gutheißt, die auch eure Namen tragen und sich in ihrer Propaganda eurer Solidarität rühmen. Wir würden gerne glauben, dass dem nicht so ist. Aber ihr müsst verstehen, dass wir angesichts all dessen nicht schweigen konnten. Unter dem Vorwand Belgiens oder Frankreichs, unter dem Deckmantel einer edlen Gesinnung, die allen gemeinsam ist, haben wir gesehen, dass überall ein völlig reaktionärer, militaristischer, tyrannischer Zustand und Geist geschaffen wird. Ihr selbst tragt dazu bei, trotz all eurer gegenteiligen Absichten, mit einer Haltung, die euch automatisch auf die Seite fast aller unserer Feinde stellt und euch von den meisten eurer Gefährten in der ganzen Welt entfernt.
Daraus ergibt sich die absolute Notwendigkeit – ohne unser primitives Gefühl zu leugnen oder zu schmälern – gegen die Abweichungen und Übertreibungen dieses Gefühls vorzugehen. Die Tatsache, dass auch Menschen wie ihr von der Straße gezerrt werden könnten, hat uns neben einer tiefen Trauer auch das Bedürfnis geweckt, Tendenzen einzudämmen, die die Zukunft zu untergraben und unsere Ideen zu überwältigen drohen. Diese Bedrohung ist nicht weniger gefährlich als die des preußischen Militarismus. Beobachtet um euch herum, wie jede Form von geistiger Reaktion und Despotismus durch Krieg wiedergeboren und gestärkt wird, und denkt daran, dass keine Sklaverei dauerhafter und hartnäckiger ist als die, die durch eine mehr oder weniger stillschweigende Zustimmung der Untertanen aufrechterhalten wird.
Aber, so könnten einige von euch sagen, um den moralischen Schaden und die despotischen Formen des Kriegszustandes nicht zu tolerieren, mussten wir uns von den Ulanen des Kaisers unterdrücken und abschlachten lassen?
Wir können euch mit euren Worten aus anderen Zeiten antworten, als ihr dem gleichen Einwand der bourgeoisen Journalisten ein ganz klares Programm entgegensetzte: Die Revolution beginnen und das Territorium verteidigen, um sie fortzusetzen. Mach die Revolution und renne zu den Grenzen. Das Gewehr in die Hand nehmen, ABER NICHT ALS SOLDATEN DER BOURGEOISIE, SONDERN ALS SOLDATEN DER REVOLUTION12… Unter Androhung eines UNVERBINDLICHEN TODES eine revolutionäre Situation gegen die Hochfinanz heraufbeschwören13… Mutig sein und den Menschen zeigen, dass das Führen eines Krieges aus Profitgründen und unter der Leitung einer Oligarchie neue Katastrophen begünstigt… eine schnelle Säuberung, einige große soziale Maßnahmen, die im ersten Impuls beschlossen und angewendet werden, und gleichzeitig die Organisation der Verteidigung fortsetzen, ändert sich die Situation; und das Präludium zur sozialen Revolution14.
VII
Leider war das nicht möglich, weil der Staat überall stärker war – in Deutschland wie in Frankreich, in Belgien wie in Italien, in Russland wie in Österreich – und weil die Revolutionäre wieder einmal mit sehr guten Ideen im Kopf, aber ohne jede praktische und materielle Vorbereitung von den Ereignissen überrascht wurden. Aber etwas nicht tun zu können, bedeutet nicht, dass man das Gegenteil rechtfertigen und tun sollte!… Auf jeden Fall kann man jetzt, wo die Ereignisse vorbei sind, sagen, was vorher nicht gut zu sagen war – als es vielleicht ein Schlupfloch war, um sich selbst vom Handeln zu befreien, oder ein Grund zur Entmutigung, um den Initiativgeist anderer zu unterdrücken -, dass der Anlass eines Krieges, auch wenn man nicht ausschließt, dass man versuchen sollte, ihn trotz der ungünstigen Umstände auszunutzen, der denkbar schlechteste für eine siegreiche Insurrektion ist15.
Ihr selbst sagt in eurem Manifest, dass „(…) wir es lieber gesehen hätten, dass diese Bevölkerung ihre Selbstverteidigung in die eigenen Hände nimmt. Da dies unmöglich war, blieb nur, sich in das Unabänderliche zu fügen.“ Und in der Tat, wenn ihr, besiegt auf unserem revolutionären und libertären Boden, die Ereignisse nur „erlitten“ hättet, hätten wir heute nichts zu sagen. Aber ihr habt nicht nur „ertragen“, sondern auch die vollendeten Tatsachen akzeptiert, bis hin zur journalistischen Zusammenarbeit mit unseren Feinden, die an einigen Orten wie Italien nicht wenig dazu beigetragen hat, genau das zu verhindern, was ihr einst vorausgesagt habt.
Heute kümmert es euch nicht mehr, dass diejenigen, die kämpfen, Soldaten der Bourgeoisie und nicht der Revolution sind; und ihr habt ohne Frage erklärt, dass ihr auf ihrer Seite seid. Indem ihr die Erklärung für die Ursachen von Kriegen, die ihr bis vor zwei Jahren gegeben habt, ins Gegenteil verkehrt habt, habt ihr euch auf die Seite der Kriegführenden gestellt, die sich unter der Leitung und zum Profit einer Oligarchie verteidigen: etwas, das ihr einst als katastrophal und als Ursache für einen nicht wiedergutzumachenden Verfall für uns vorausgesehen habt. Ihr seid sogar so weit gegangen, euer neuestes Manifest zu veröffentlichen, das (abgesehen von den Fehlern, die wir versucht haben zu widerlegen) nur sagt, was unseren Feinden gefällt und sie nicht so sehr gegen äußere Feinde verteidigt, sondern gegen die sozialistische und libertäre Opposition, die von innen heraus entsteht.
Das widerspricht vielleicht eurer Absicht, denn ihr glaubt, dass ihr nur von eurem Recht Gebrauch macht, eure Meinung zu sagen. Niemand spricht euch dieses Recht ab; wir können uns höchstens darüber beschweren, dass wir es nicht in gleichem Maße nutzen können, nur weil wir anders denken. In Italien wie in Frankreich hindert uns die Zensur daran, eure Ideen mit unseren zu widerlegen – so wie sie uns daran gehindert hat, euer Manifest zu widerlegen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Haltung, die in eurem Manifest zum Ausdruck kommt, nicht die von jemandem ist, der nur leidet, sondern die von jemandem, der sich anpasst, bis hin zu einer echten Zusammenarbeit.
Viele unserer Leute wurden durch staatliche Gewalt und die Umstände gezwungen, entgegen ihren eigenen Vorstellungen zu handeln… All das ist menschlich; sie haben unter den Auswirkungen unserer Niederlage gelitten. Wir erlauben uns daher nicht, uns zu ihren Zensoren zu erheben, weil sie als Soldaten des Staates in den Kampf gezwungen worden sind.
Für diejenigen, die in den regulären Armeen kämpfen, und das ist die Mehrheit – auch wir können jederzeit dazugehören -, können wir sehr gut erklären, wie sie in eine ungewollte Situation geraten sind, aus der sie nicht entkommen konnten.
Aber ihr Verhalten zu erklären, vielleicht zu zeigen, dass sie nicht anders handeln konnten, bedeutet nicht, dass wir als Anarchisten und Revolutionäre solidarisch sind. Selbst in Friedenszeiten wurden so manche Gefährten eingezogen, und niemand beschuldigt sie, wenn sie keine andere Möglichkeit darüber hinaus hatten; aber niemand denkt auch nur im Traum daran, mit ihnen zu sympathisieren. Wir können nicht – wie ihr sagt – sagen, dass wir „auf der Seite der Kämpfenden stehen“, denn sie sind nicht Herr ihres eigenen Handelns und kämpfen unter dem Befehl von Leuten, von denen wir wissen, dass sie der Feind des Proletariats und unserer Ideen von Gleichheit und Freiheit sind, mehr noch als die Deutschen.
VIII
Gestehen wir lieber ein, dass wir überall in Europa besiegt wurden, bevor wir gekämpft haben, und dass wir gezwungen waren, uns dem Gesetz des Siegers zu unterwerfen, gegen unsere wertvollsten Überzeugungen zu handeln und unser Blut für die Sache eines anderen zu geben; aber rühmen wir uns nicht unseres erzwungenen und widersprüchlichen Handelns, als ob es anarchisch wäre, versuchen wir nicht, uns einzureden, dass wir den Brudermord, an dem wir teilnehmen, gegen die Verteidigung der Freiheit der Völker eintauschen!
Die Rhetorik der britischen Minister spekuliert auf das Entsetzen, das wir alle über die deutschen Schandtaten in Belgien empfinden, um einen totalen Krieg anzuzetteln. Aber wenn ein Krieg bis zum bitteren Ende den Wunsch der belgischen Regierung und der Bourgeoisie nach territorialer und finanzieller Entschädigung befriedigen kann, ist es zumindest zweifelhaft, ob die unglückliche Bevölkerung es nicht vorziehen würde, Frieden zu schließen und das Land zu räumen, bevor die französisch-englischen Befreier ihren Vormarsch beginnen, der durch die Notwendigkeit des Krieges alles zerstören muss, was die deutsche Armee noch nicht zerstört hat. Die letztgenannte Hypothese, die auch von einem britischen Politiker geäußert wurde, ist leider nicht weit hergeholt, wenn man das System der Kriegsführung bedenkt und die Tatsache, dass die deutsche Führung Belgien in ein riesiges verschanztes Lager verwandelt hat.
Ungefähr dieselben Überlegungen könnten für alle Territorien angestellt werden, von denen der eine oder andere Staat behauptet, sie zu „befreien“. Und wir erwähnen dies nicht, um den Regierungen, die nicht auf uns hören und von denen nichts Gutes zu erwarten ist, eine Lösung zu empfehlen, sondern einfach, um zu zeigen, wie übertrieben ihre Sprache ist und wie ihre Ziele nie mit den populären Interessen und Bestrebungen übereinstimmen.
Das gilt auch in Bezug auf nationale Themen. In der Tat wird unser Mitgefühl für unterdrückte Nationalitäten heute nur noch sehr wenig in Anspruch genommen. Ganz abgesehen davon, dass in Kriegszeiten jedes Territorium, auf dem Krieg geführt wird, als unterdrückt angesehen werden kann, ist es eine Tatsache, dass im gegenwärtigen Krieg keine der beiden Krieg führenden Koalitionen behaupten kann, die Befreiung von Nationalitäten zu wollen, weil es auf beiden Seiten welche gibt. Staaten, die Länder anderer Nationalitäten als ihrer eigenen heftig unterdrücken. Auf der anderen Seite ist die Frage, die in vielen Fällen eine umstrittene Frage der Grenzen und modern veraltet, (mit der möglichen Ausnahme von Russland) weil nationale Ansprüche von sozialen Ansprüchen absorbiert und mit ihnen verwechselt wurden16. Nationale Freiheiten können daher nur zusammen mit allen anderen Freiheiten von Individuen und Gruppen durch die soziale Revolution und nicht durch staatliche Kriege eingefordert werden. Genauso können Grenzfragen – die ebenso auf militärische Gründe und staatliche Rivalitäten zurückzuführen sind wie auf die Schwierigkeit, eine genaue Grenze festzulegen, wo sich Rassen, Bräuche und Sprachen vermischen und überschneiden – nur durch die direkte Intervention der Völker gelöst werden, die alle künstlichen Barrieren nutzlos macht, mit der revolutionären Unterdrückung der staatlichen Autorität und der Ausbeutung durch den Staat.
Wenn wir so reden, sagt man, wir seien Utopisten – als ob es nicht viel utopischer wäre, vom bourgeoisen Staat, der so utilitaristisch und tyrannisch ist, eine befreiende Aktion zu erwarten! Als ob es nicht viel utopischer wäre, aus Hass auf den germanischen Militarismus (einen Hass, den wir teilen), die Funktion, uns zu befreien, dem französisch-russischen Militarismus anzuvertrauen! Als ob wir nicht wüssten, dass es dem Letzteren nicht gelingen wird, den Ersteren zu vernichten, es sei denn, er wird stärker als der Letztere und schafft damit eine neue Gefahr für die Zukunft, die genauso bedrohlich ist wie der Erstere.
Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass unsere feste Überzeugung, dass nur eine direkte und revolutionäre Aktion des Volkes all diese Fragen lösen kann, von denen, die uns nicht kennen, für Gleichgültigkeit angesichts so vieler Qualen, so vieler beschnittener Freiheiten und so vieler Bedrohungen für die Zukunft gehalten wird! Stattdessen empfinden wir nur noch größere Angst, nicht nur, weil wir im Lager der Alliierten genauso viel Schande und Leid sehen, sondern auch und vor allem, weil wir nicht einmal den Trost haben – so irreführend und gefährlich das auch sein mag -, auf irgendetwas Gutes vom Sieg des einen statt des anderen zu hoffen. Sicherlich spüren wir unsere gegenwärtige Hilflosigkeit viel stärker als ihr, die ihr eure Hoffnungen auf die Anstrengungen von vier mächtigen bewaffneten Armeen stützt, während wir keine andere Rettung sehen als das Handeln eines Volkes, das noch immer versklavt, geteilt und unbewaffnet ist…
Doch wir glauben, dass wir Recht haben, nicht nur im Hinblick auf die formale Kohärenz mit den Lehren der Anarchie, sondern vor allem auf dem Boden der Realität. Wir glauben jedenfalls, dass eure Illusionen für die Zukunft und für die Freiheit gefährlicher sind, als unsere Vergangenheit, sagen wir der Masse des Volkes: Rette dich! Nur durch deine eigene Kraft, nur durch deine eigenen Anstrengungen kannst du dich selbst und mit dir die Menschheit retten!
IX
Aber wir sind nicht absolut pessimistisch, sondern nur relativ in Bezug auf die Tätigkeit der Regierungen und ihre Absichten. Aber wir schließen nicht aus, dass aus so viel Bösem ein Motiv und ein Prinzip des Guten entstehen kann, unabhängig vom Willen der Herrschenden. Die aktuellen Ereignisse sind so neu in der Geschichte und so gewaltig, dass sogar das Unvorhersehbare eine wichtige Rolle dabei spielen könnte.
Da wir davon überzeugt sind, dass die wahre Freiheit vergeblich von den Regierungen erhofft wird, scheint es uns sinnlos, dem einen oder dem anderen etwas zu wünschen. Aber da wir einen eigenen Weg wählen müssen, ohne uns auf unsere Feinde zu verlassen und ohne nutzlose Berechnungen über Unvorhergesehenes anzustellen, scheint es unsere Aufgabe zu sein, uns an den bekannten Tatsachen zu orientieren, an dem, was wir für die Wahrheit halten, und im Licht unserer Ideen den Weg zu gehen, den wir für uns selbst vorgezeichnet haben, als wir die anarchistische Idee angenommen haben. Wir bleiben uns und unserer Flagge treu.
Aus dem europäischen Krieg und seiner Verlängerung oder aus einem überstürzten Frieden könnten sich Umstände ergeben, die auch in unserem Sinne ausgenutzt werden könnten. Aber damit dies möglich ist, ist es das Wichtigste, sich nicht auf die Seite dieser oder jener staatlichen Koalition zu stellen, wie es so viele Sozialisten getan haben und wie ihr es getan habt, sondern zu versuchen, den Geist der sozialistischen und libertären Opposition an jedem Ort lebendig zu halten, um das proletarische Gewissen und die Liebe zur Freiheit so weit wie möglich zu wecken, gegen National- und Rassenhass vorzugehen, jede Tendenz zur Solidarität zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu verhindern, die heute zahlreichsten Opfer der zivilen und militärischen Reaktion zu verteidigen und schließlich bereit zu sein und andere anzustacheln, sich darauf vorzubereiten, aus den Ereignissen, wie auch immer sie sich entfalten oder überstürzen, Nutzen zu ziehen.
Dies, so scheint es uns, sollte die eigentliche Funktion von Anarchisten sein; ihr spezifisches parteiliches (A.d.Ü., im Sinne von Partei ergreifen) Handeln sollte auf dieser Richtlinie beruhen, unabhängig davon, was jeder Einzelne persönlich in einem anderen Sinne zu tun gezwungen sein mag, wenn er in das Räderwerk von Ereignissen gerät, die er nicht will. Die anarchistische Sprache, wenn Anarchisten es für richtig hielten, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, hätte von dieser Richtung geprägt sein sollen, um unseren Glauben zu trösten und zu beleben, wo immer ihr Wort ankommt, um auf das tiefe und innige Gefühl der Gefährten in allen Ländern einzugehen. Es hätte eine ausschließlich anarchistische, revolutionäre, internationalistische Sprache sein müssen, die uns nicht spaltet, sondern zu einem zäheren Bündel von Herzen und Willen vereint.
Stattdessen habt ihr es vorgezogen, euch zu spalten, euch zu unterscheiden. Niemand stellt euer Recht in Frage, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, welchen Schaden ihr bei uns angerichtet habt. Die praktische Wirkung eurer Worte war fast gleich null, zumindest bei uns, denn unsere Reihen lichteten sich nicht und nur sehr wenige Einzelpersonen machten es euch nach. Aber im Gegenzug habt ihr viele Herzen, die euch liebten, tief verwundet, ihr habt Bitterkeit und einen Grund zur Skepsis unter unsere bescheidensten und eifrigsten Gefährten gestreut; ihr habt unseren schlimmsten und heimtückischsten Gegnern eine weitere Waffe gegeben, mit der sie uns angreifen können, den ganzen Anschein eurer Solidarität in einer Kampagne der Verunglimpfung und Verleumdung gegen uns, die seit zwanzig Monaten andauert. Jedes Mal, wenn wir versucht haben, uns zu verteidigen, wurden uns eure Namen als Vorwurf ins Gesicht geworfen, fast schon als Empörung. Daran seid ihr vielleicht nicht schuld, aber das ist eine Folge eurer Haltung, die, wenn sie überhaupt ein praktisches Ergebnis hatte, genau das war, was ihr nicht wolltet.
Denn wenn wir die absurde Hypothese zulassen, dass ihr Recht haben könntet, glaubt ihr dann, dass die Armeen der Staaten, die ihr verteidigt, weniger gewinnen oder verlieren werden, nur weil unsere kleine Minderheit von Anarchisten so und nicht anders denkt? Der Krieg wird von den Regierungen geführt und von den großen Staaten organisiert; der Kriegszustand nimmt alle Macht in ihre Hände, und ihr Handeln entzieht sich unserer Kontrolle und selbst dem entfernten und indirekten Einfluss, den wir in normalen Zeiten durch Propaganda ausüben könnten. Wir wissen nur wenig über den Verlauf des Krieges, außer im Nachhinein; wir kennen die Wahrheit nicht einmal über die wichtigsten Ereignisse, die es in unserem Interesse ist, vor uns zu verbergen. Wir selbst müssen, ob wir wollen oder nicht, als Soldaten gehen, wenn es unser Alter zulässt, vom Ersten bis zum Letzten!
Wir sind nicht unsere eigenen Herren, wir können nicht alles sagen, was wir denken; die Diplomatie arbeitet im Verborgenen und wird völlig unabhängig von uns Frieden schließen oder den Krieg fortsetzen, ohne sich überhaupt um unsere Existenz und unsere Meinung zu kümmern. Erscheint es euch nicht wie die Fliege, die sich auf dem Kopf eines Ochsen niederlässt, der am Pflug hängt, und großspurig sagt: „Wir pflügen“, wenn sie sich einmischt und sagt: „Wir sind auch da!“ Warum sollten wir unsere Funktion als Minderheit – die eine Funktion der Opposition ist – aufgeben, um den Standpunkt der Regierungen zu vertreten, wenn dies nur uns und unserer Sache schadet? Wenn dies der Zukunft schadet und Kompromisse eingeht, ohne die Gegenwart zu verändern? Wenn es also nur die Regierungen gegen die ihnen unterworfenen Völker stärkt?
X
Man sagt man wolle das das geringere Übel aus dem heutigen Konflikt herausholen. Unabhängig von unserer militärischen und diplomatischen Ohnmacht müssen wir bedenken, dass selbst das „geringere Übel“ in der gegenwärtigen Tragödie das Schrecklichste ist und seine Folgen auch morgen noch eine enorme Ansammlung von Schmerzen sein werden. Und wir müssen im Interesse unserer Sache in der Lage sein, uns den Menschen morgen frei von jeglicher moralischen Verantwortung für die schmerzhaften Ergebnisse des Krieges als Anarchisten zu präsentieren. Es wäre sehr seltsam, dass wir nach vierzig Jahren, in denen wir jeden anderen Kontakt als Feindseligkeit mit den Autoritäten vermieden haben, ihnen gerade dann vertrauen, wenn ihre Autorität am absolutesten und willkürlichsten ist; dass wir uns an das reformistische Kriterium des am wenigsten Schlimmen halten, gerade in einer Situation, in der nichts unsicherer ist als die tatsächlich am wenigsten katastrophale Lösung – wenn wir nur sicher wissen, dass eine solche Lösung das Proletariat enorme Opfer kosten wird.
Zwischen diesen beiden Lösungen – einem sofortigen Frieden oder der Fortsetzung des Krieges – habt ihr euch zu Verfechtern der letzteren gemacht. Ob ihr die Befreiung der unterdrückten Nationalitäten oder das Ende des Militarismus wollt, wir haben euch bereits gesagt, dass ihr euch etwas vormacht. Aber habt ihr noch nicht begriffen, dass in diesem Wettlauf auf Leben und Tod ganz Europas die größte Wahrscheinlichkeit darin besteht, dass es keiner der Krieg führenden Koalitionen gelingen wird, den Gegner zu vernichten, dass es am Ende weder Gewinner noch Verlierer geben wird?
Wir können uns natürlich irren, aber der Irrtum ist wahrscheinlich der unsere und hat keine Folgen, weil wir unsere Haltung nicht von Vorhersagen über den Fortgang und das Ende des Krieges abhängig machen. Wir antworten auf euer Manifest für die Fortsetzung des Krieges nicht mit einer Erklärung für einen sofortigen Frieden, eben weil wir uns nicht zu Komplizen der Regierungen machen wollen, auch nicht – wie wir bereits gesagt haben – mit einem Werk für den Frieden, das, ob sofort oder nicht, zweifellos andere Schandtaten und andere Schikanen sanktionieren würde. Unsere Haltung, die nichts mit dem Pazifismus der bourgeoisen Philanthropie gemein hat und sich scharf vom Neutralismus der autoritären Sozialisten unterscheidet – wir sind keine Neutralisten, sondern feindselig gegenüber beiden Staatenbündnissen – ist völlig unabhängig von den beiden Lösungen, denn wir wollen auf dem Terrain der revolutionären und libertären Aktion gegen die staatliche Bourgeoisie bleiben, egal ob der Krieg weitergeht oder der Frieden geschlossen wird.
Und es ist unsere moralische Stärke, mit der ganzen Zähigkeit unseres Willens an unserem unnachgiebigen Flagge festzuhalten, um nicht überwältigt zu werden. Man wird sagen, dass dies wenig praktische Auswirkungen hat; das mag stimmen. Aber während wir materiell von den Tatsachen besiegt und wie Sklaven an den Wagen des kriegerischen Staates gefesselt wurden, kann unsere Stärke nur eine moralische sein. Nur wenn wir diese Stärke beibehalten, können wir auf eine mehr oder weniger baldige zukünftige Rache hoffen. Wir wären doppelt besiegt, wenn wir zu unserer erzwungenen materiellen Einhaltung der blutigen Staatspolitik auch noch jegliche moralische Einhaltung hinzufügen würden!
Deshalb hat uns euer Manifest geschmerzt. Es erschien uns wie die Abtrünnigkeit eines Teils von uns – eines kleinen Teils zwar, der aber im Angesicht des Feindes viel größer erscheint und uns deshalb mehr geschadet hat. Ihr, wegen eures Namens, wegen eurer Vergangenheit, wegen eurer Werke, wegen der Zuneigung all eurer Gefährten zu euch, wegen des Respekts, mit dem ihr von euren Gegnern umgeben wart, trotz eurer selbst und trotz uns, seid ihr in den Augen der Öffentlichkeit, in Ermangelung einer stabilen Organisation, fast als die Vertreter unserer Idee und unserer kämpferischen Kollektivität erschienen17. Ihr wart sicher nicht verpflichtet, über eure Gedanken zu schweigen, die von unseren abwichen, aber euer Prestige erhöhte eure Verantwortung für die Zukunft.
Denkt an die schrecklichen Folgen dieses unendlichen Krieges der Erschöpfung, der Verlierer und Sieger erschöpft zurücklassen wird, und denkt an die einzigen wahren Verlierer, die Proletarier aller Länder! Wie traurig, dass die Hinterbliebenen, die Verstümmelten, die Witwen und Mütter dann das Recht haben sollen zu sagen: „Vor drei Monaten, sechs Monaten, einem Jahr hat jemand vorgeschlagen, aufzuhören; und unter denen, die Nein gesagt haben, waren Anarchisten!“
Aber seid ihr immer noch Anarchisten? Wir ignorieren es. Sicherlich ist eure aktuelle bourgeoise und staatliche Sprache die schärfste Verneinung des Anarchismus.
XI
Glaubt nicht, dass wir versuchen, sentimental zu sein, um von eurem Herzen oder von denen, die uns lesen, die Zustimmung zu bekommen, die uns die Vernunft verweigern würde.
Wir haben bisher vor allem versucht, zu argumentieren und uns stark zu machen, wenn wir statt des trockenen Arguments aus unserer Seele lieber den Protest hervorgebracht hätten. Vielmehr sind es unsere Gegner, die fast alle und fast immer der Diskussion ausweichen. Ohne Ideen und Argumente ziehen sie es vor, alle, die nicht so denken wie sie, für böse zu halten und füllen die Zeitungen mit leichter Ironie und Sarkasmus, mit witzigen Bemerkungen, Unterstellungen, Lügen, Beleidigungen und Verleumdungen. Wir kümmern uns nicht um sie. Aber es gibt auch andere, die Aufrichtigen und Guten, die sich der Vernunft verweigern, nur weil die Leidenschaft in ihnen den Verstand trübt und sie von den Tatsachen nur bestimmte Details und Bruchstücke wahrnehmen, die sie am meisten bewegen und ihr Urteil oberflächlich und ungerecht machen.
Die einen und die anderen sehen ihre Propaganda also sowohl durch die interessierte Parteilichkeit der Regierungen als auch durch die Veranlagung eines Umfelds begünstigt, das durch die einfache und falsche journalistische Kultur, von der sich die Mehrheiten in unseren Ländern ernähren, getrübt ist.
Der Vorwurf der „Sentimentalität“ konnte uns also keinesfalls treffen. Wir könnten ihnen antworten: Arzt, heile dich selbst! Aber lasst uns mehr sagen; lasst uns sagen, dass wir, nachdem wir die Frage, die uns interessiert, mit Vernunft, auf der Grundlage von Tatsachen und mit unseren eigenen Taten als Richtschnur erörtert haben, und nachdem wir gezeigt haben, dass angesichts des gegenwärtigen Krieges der Regierungen nichts Gutes kommen und nichts Böses gemildert werden kann, und dass, wenn irgendeine Hoffnung für die Sache der Arbeit und der Freiheit bleibt, sie ausschließlich entweder auf dem Unvorhergesehenen oder auf der direkten und autonomen Intervention der Arbeiterklasse beruht, – wir haben das Recht, auch die Stimme der Gefühle zu hören. Wir haben das Recht zu fordern, dass wir in der Waage der Verantwortung, in der Abwägung von Pro- und Anti-Krieg, all das Blut, das vergossen wird, all den Schmerz, der erzeugt wird, all die Leben, die verstümmelt werden, all die Tränen, die in erzwungenem Schweigen von den Ehepartnern, Müttern und Töchtern der Opfer vergossen werden, für etwas abwägen!
Wir sind Revolutionäre und dürfen daher nicht vor der Vision von Risiko und Opfer zurückschrecken. Wir wissen auch, dass man für eine gute Sache kämpfen muss, ohne sich durch den Schmerz, den der Kampf bei unseren Lieben verursacht, schwächen zu lassen. Aber hier steht keine gute Sache auf dem Spiel; im Gegenteil, die gute Sache wird beschädigt. Das Blut der Arbeiter und die Tränen ihrer Frauen werden gegen ihren Willen entsorgt, zum Nachteil ihrer Freiheit und ihrer Klasseninteressen. Wir haben daher das Recht, unseren Protestschrei zu erheben, der der Schrei der Menschheit ist, die im Fleisch ihrer Kinder und ihrer Hoffnungen für die Zukunft zerrissen ist.
Glaubt ihr, dass die Formel des Krieges bis zum Sieg, des Krieges bis zum Erreichen des Ziels es ist – welches Ziel denn? Seid ihr euch selbst sicher, was ihr vernünftigerweise erhoffen könnt – dieser Wettlauf zu einem immer weiter entfernten Ziel – könnte der einzige Weg für die Regierungen sowohl der zentralen Reiche als auch der Entente sein, um der schrecklichen Verantwortung zu entkommen, die sie für sich selbst geschaffen haben? Vielleicht haben sie bereits erkannt, in welchen Abgrund sie sich selbst hineingegraben haben, und versuchen, ihn zu vermeiden, indem sie den Krieg fortsetzen, bis sie den jüngsten und stärksten Teil des Proletariats los sind. Auf diese Weise ersparen sie sich, später bei den absehbaren Repressionen, von denen sie nicht wissen, dass sie so sicher ausgehen werden wie in der Vergangenheit, „Blut“ aus dem Volk zu schöpfen. Kurz gesagt, die Fortsetzung des Krieges kann bedeuten, dass die Staaten den Tag des redde rationem verschieben und die Kraft, die sie in den Händen halten, nutzen, um die Richter von morgen loszuwerden.
Und ihr wagt es, von einem verhängnisvollen Fehler zu sprechen, was die Gerüchte über den Frieden angeht! Aber was für ein verhängnisvollerer Fehler als euer – wir, die wir die Regierungen nicht um Frieden bitten – was für ein törichterer Fehler als der, den ihr macht, indem ihr die Politik der Fortsetzung des Krieges verteidigt? Ihr sprecht selbstgefällig vom Frühling, in dem die Regierungen, die ihr verteidigt, neue Armeen, neue Munition und neue und stärkere Artillerie einsetzen können! Aber denkt ihr nicht auch an den Frühling, wenn das Leben in seinen schönsten Knospen erdrückt wird? Meint ihr nicht, dass Anarchisten die Aufgabe, die ihr übernommen habt, anderen überlassen sollten, um das Recht zu wahren, eines Tages wieder von Freiheit und Liebe, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu sprechen?
Wir verstehen euch heute so wenig, dass wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass ihr uns für immer verlassen habt, weil ihr eure Vorstellungen komplett geändert habt. Wenn dem so ist, wird es nicht lange dauern, bis ihr selbst dies erkennt und es offen sagt, in eurer Loyalität. Aber wenn es nicht so ist, werdet ihr uns vielleicht eines Tages mit der gleichen Loyalität dafür danken, dass wir euch heute widersprochen haben, dass wir euch daran gehindert haben, die Wege der Zukunft für die Anarchie zu ebnen.
Italien, April 1916
EINE GRUPPE VON ANARCHISTEN
1A.d.Ü., Das Manifest der Sechzehn, aus der anarchistischen Bibliothek übernommen.
2In Italien hat die gesamte reaktionäre Presse, vom Giornale d‘ Italia in Rom bis zum Corriere della Sera in Mailand, das Pariser Manifest in den höchsten Tönen gelobt. Die Demokraten benutzten es dann, um die italienischen Anarchisten auf die dümmste Art und Weise schlecht zu machen. Wir wissen, dass das Gleiche in Frankreich passiert ist.
3P. Kropothine – La science moderne et l’anarchie
4La Vie Ouvrière, revue, Paris. – Artikel „La guerra anglo-allemande vue de Hollande“ von Domela Nieuwenhuis (5. Juli 1911). – L’approche de la guerre“ von Merrheim (5. und 20. Januar und 5. und 20. Februar 1911). – Pamphlet „La guerre qui vient“ von Delaisi (Edit. „La guerre sociale“ – Paris)
5Gemeint ist: seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870–1871.
6P. Kropotkin – „La science moderne at l’anarchie“ – Heute gibt es in jedem Staat eine Klasse, oder besser gesagt eine Clique, die unendlich viel stärker ist als die Industriellen, und die ebenfalls zum Krieg treibt. Und Hochfinanz, etc…
7P. Kropotkin – Paroles d’un révolté
8Aus einem Telegramm von Stefani aus London am Abend des 12. April (veröffentlicht in italienischen Zeitungen am 13.)
9Hier geht es nur um proletarische und sozialistische Demonstrationen, aber um ganz fair zu sein, sollten wir auch daran denken, dass es in Deutschland eine sehr sympathische geistige Oppositionsbewegung unter den jüngeren Intellektuellen gibt, über die Romain Rolland in einigen seiner berühmten Artikel, die später in einem Buch gesammelt wurden, ausführlich sprach. Siehe sein Au dessus de la Melee (Edit. Ollendorff, Paris), besonders von S. 124 bis S. 150. – In deutschen bourgeoisen Kreisen gibt es auch eine beträchtliche Strömung gegen territoriale Annexionen nach dem Krieg; eine Art Manifest der Anti-Annexionisten wurde letztes Jahr in der Pariser Humanite für mehrere Ausgaben hintereinander veröffentlicht.
10In den Zeitungen, vor allem bis vor einem Jahr, war sogar mehrfach von tatsächlichen kollektiven Aufständen deutscher Soldaten die Rede. Es könnte sich aber auch um künstlich in die Welt gesetzte Gerüchte ohne Grundlage handeln. Es lohnt sich jedoch, einen dieser Berichte aus einer unverdächtigen Quelle zu zitieren, und zwar aus der Libre Federation in Lausanne, einer Zeitung, die die Ideen einiger Unterzeichner des Pariser Manifests widerspiegelt: „Eine Dame aus Brüssel versicherte uns vor vier Monaten, dass in der belgischen Hauptstadt 200 deutsche Soldaten auf einmal erschossen wurden, weil sie sich weigerten, gegen belgische Truppen an die Westfront zu ziehen. – (Libre Federation, Nr. 1 vom 2. Oktober 1915)
11Wir haben die Zimmerwalder Konferenz und ihre Beratungen objektiv erwähnt, weil sie im Manifest der Sechzehn (wie sie es in Frankreich nennen) erwähnt wurde und weil dieses Ereignis tatsächlich einen hohen moralischen und menschlichen Wert hatte. Wir gehen noch weiter: Die Konferenz war nicht anarchistisch und kein Anarchist hat an ihr teilgenommen, und so steht es uns nicht zu, ihre unbestreitbare internationale Bedeutung zu illustrieren. Aber wenn daraus eine neue Internationale entsteht, wird sie wie die vorherige untergehen, wenn sie nicht auf libertären und revolutionären Grundlagen erneuert wird.
12P. Kropotkine – Antimilitarisme et revolution – Journal „Les Temps Nouveaux“ de Paris – no. 26 und 27 vom 28. Oktober und 4. November 1905.
13Ch. Malato – De la Commune a l’Anarchie (1894) – S. 243.
14Ch. Malato – Philosophie de l’Anarchie (1897) – S. 266 und 267.
15E. Malatesta. – A propos d’insurrection. Zeitschrift „Le Mouvement Anarchist“, Paris. Nr. 6-7, Januar-Februar 1913.
16Die versuchte Revolution in Irland – die ausbrach, nachdem das Obige bereits geschrieben worden war – ist ein faktischer Beweis dafür, dass wir in jeder Hinsicht in der Wahrheit liegen. Wir kennen noch nicht die ganze Wahrheit über diese Bewegung, aber das Festhalten der gewerkschaftlichen/syndikalistishen Arbeiterorganisationen in Dublin an ihr ist ein ziemlich beredtes Zeichen, auf das wir die Leser aufmerksam machen. Obwohl sie einen nationalen Charakter hat, verdient diese Bewegung, gerade weil sie revolutionär und populär ist, unsere Sympathie auf einer Stufe mit den vergangenen Aufständen in [unklar] Polen, Kuba und Mexiko.
17Die italienischen bourgeoisen Zeitungen haben fast alle vom Pariser Manifest als einer Emanation der Anführer der anarchistischen Bewegung gesprochen.