Zu der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift „In der Tat“, eine Kritik und warum Wörter viel bedeuten, über rhetorische Stilmittel und die Praxis daraus
Einleitung
Der folgende Text ist von uns als Kritik an der Ausgabe Nummer 15 der Publikation In der Tat verfasst worden. In dieser Ausgabe wurde neben anderen Texten zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine ein Interview mit dem Resistance Comittee abgedruckt, das sich als anarchistisch bezeichnet und an der Seite und unter der Kontrolle des ukrainischen Militärs in diesem Konflikt kämpft. Nun mag es ja manchen Menschen egal sein, ob sich andere Menschen und Gruppen als anarchistisch bezeichnen ohne es zu sein und uns ging es in der nachfolgenden Kritik auch nicht darum einen reinen oder wahren Anarchismus, so fern es denn so etwas überhaupt geben sollte, zu predigen, womit wir aber ein Problem haben ist, wenn sich Menschen, in diesem Fall das Resistance Comittee, Anarchistinnen und Anarchisten nennen, während sie gleichzeitig gegen anarchistische Grundprinzipien verstoßen, indem sie anstatt den Staat zu zerstören oder zumindest danach zu streben dies zu tun, Hand in Hand mit der nationalen Armee einen Staat verteidigen, und wenn solchen Gruppen dann auch noch eine Plattform in Form eines Interviews geboten wird, dann erachten wir es als notwendig dies anzusprechen und aufs Schärfste zu kritisieren. Denn dieses Interview ließ jede Schärfe oder kritisches Nachfragen auf kläglichstes vermissen, ganz im Gegenteil der interessierte Leser durfte am Ende noch erfahren wie er diese konterrevolutionären Vaterlandsverteidiger und staatstreuen „Anarchisten“ und „Anarchistinnen“ unterstützen kann, aber dazu mehr im Text.
Dabei betonen wir hier noch einmal, wenn Einzelpersonen oder Gruppen sich dazu entscheiden an einem bewaffneten-militärischer Konflikt zwischen Staaten teilzunehmen, wie der in der Ukraine, aus welchem Grund auch immer, kann man das akzeptieren oder respektieren oder eben auch nicht, aber am Ende bleibt es die Entscheidung der jeweiligen Personen. Wenn dies aber mit der Idee des Anarchismus gerechtfertigt wird, wenn dies aber mit einem idealisierten Anarchismus gerechtfertigt wird, ganz im Wahnsinn der Widersprüche gefangen, wie es auch schon zuvor in der Geschichte passiert ist, sehen wir es als notwendig an, auf diese falsche Argumentation hinzuweisen und dies auch öffentlich kundzutun.
Wir haben In der Tat selbstverständlich angeboten unsere Kritik in der nächsten Ausgabe zu veröffentlichen, womit auch eine öffentliche Diskussion/Debatte unter anarchistischen Gruppen/Projekten/Kollektiven/Individuen angeregt werden sollte, und hätten sie dann im Nachgang auch auf unserem Blog veröffentlicht. Leider wollte In der Tat unsere Kritik in diesem Umfang nicht veröffentlichen und da wir sie weder von uns noch von anderen kürzen lassen wollten, erscheint sie vorläufig nur auf diesem Blog, wer weiß vielleicht erblickt sie irgendwann auch noch in anderer Form das Licht der Welt.
Zu der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift „In der Tat“, eine Kritik und warum Wörter viel bedeuten, über rhetorische Stilmittel und die Praxis daraus
„Verwirrt sind nur die Verwirrten, die Klarheit des Denken kann nur durch Taten folgen und diese werden nie verwirrt sein“ (Spruch aus einem Pissoir)
Die hier niedergeschriebene Kritik kann als ein Beitrag zu einer Debatte verstanden werden oder als das, was es eigentlich ist, ein Angriff gegen die Konterrevolution in unserer Bewegung.
Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine springen sehr viele Anarchisten und Anarchistinnen, was ihre Positionen angeht, wie Tennisbälle hin und her. Diese Positionen spiegeln sich, wenn nicht genau hingeschaut wird, nur auf die Ereignisse dieses Krieges, aber sie stellen vieles mehr zur Schau. Durch dieses hin und her Springen offenbart sich deren wahre Charakter. Der geläufigste Begriff dazu, wir meinen dieses hin und her Springen, der gerade vermehrt verwendet wird, in Texten, in Gesprächen, bei Debatten, Diskussionen, ist der der Verwirrung, man wüsste nicht was zu tun sei. Für uns offenbart es etwas viel Enstzunehmenderes, nämlich dass hinter den ganzen pseudo-revolutionären Parolen/Theorien und pseudo-revolutionärer Praxis in Wirklichkeit nichts ist, dass sich dahinter nur reformistische und konterrevolutionäre Kräfte sammeln, die von einem Moment zum anderen die ärgsten Feinde und Feindinnen des Staates, der Nation, des Kapitalismus usw. zu sein vorgeben, um als nächstes ihre ärgsten Befürworter und Befürworterinnen zu sein. Was letztendlich bedeutet, dass sie nicht revolutionär sind, sondern nur das Gegenteilige. Alles erweist sich mal wieder nach der falschen Realität der verdrehten Welt, doch holt die reale Realität immer wieder die Leute ein, wo jede Szeneparole nur innerhalb des Ghettos ein Echo erzeugt, stellt sich diese in der Realität als Großmaulerei fest, die dann im Angesicht von Konsequenzen zu Angst und Verwirrung führt.
Wir haben etwas mit uns gerungen, wie wir diese Kritik schildern, gemeint ist der Ablauf, nicht ob wir eine Kritik machen würden, denn es wäre evtl. verständlicher, könnte die Leserinnen und Leser aber auch einfach nur langweilen. Nichts desto trotz hat dieser Ablauf mit vielen Zufällen zu tun, wo unter Umständen all dies gar nicht zu Stande gekommen wäre. Summa summarum geht es darum, wie wir überhaupt an diese Ausgabe der In der Tat (ab hier IdT) gekommen sind und was bis dahin alles passierte, denn ohne dies wäre dies hier unter Umständen gar nicht entstanden, aber wer weiß. Denn erst durch einen Zufall haben wir die letzte Ausgabe kriegen können, zuerst nur Fragmente und danach eine vollständige analoge Ausgabe. Diese ganze Accumulatio an Zufällen führte uns zur Kritik, hätten wir die Ausgabe von Anfang an gehabt, wäre dies gar nicht zustande gekommen, aber wer weiß. Wir wiederholen hier gerade einen sogenannten Akzismus.
Ohne einen Captatio Benevolentiae machen zu wollen, bitten wir darum dies zu berücksichtigen. Aber ganz ohne eine Enumeration kommen wir auch nicht aus. Nun vor einigen Wochen, ende Mai, fragten wir mehrere Gefährten und Gefährtinnen ob es denn schon eine neue Ausgabe der IdT geben würde, denn es hieß, dass im Mai eine erscheinen sollte und hier in Berlin war noch keine zu finden. Ein Paar (also zwei) erwiderten, dass sie diese letzte Ausgabe erhalten hätten und dass darin der Schwerpunkt der Krieg in der Ukraine sei und dass außerdem zwei Interviews gemacht worden seien. Nämlich mit dem Resistance Comittee (ab hier RC) aus der Ukraine und anarchy2day aus der Russischen Föderation.
Wir folgen nicht nur mit viel Interesse und Besorgnis alle Geschehnisse um den Krieg in der Ukraine, sowie deren Auswirkungen international, sondern es war und ist uns wichtig alle möglichen Texte, die von revolutionären Gruppen veröffentlicht wurden, ins Deutsche zu übersetzen, die die klare Haltung vertreten, dass es nur den einen Staat gibt, nämlich den kapitalistischen, dass alle Kriege nur den Interessen des Kapitals dienen und dass die einzige Lösung darin besteht den Staat und den Kapitalismus ohne Umwege und ohne Übergänge zu zerstören. Also eigentlich nichts neues unter der Sonne was die Ziele des Anarchismus und des Kommunismus betreffen. Diese Übersetzungen sollten auch dazu dienen, dass man sich entweder an einer Debatte beteiligen kann, oder zumindest sich bewusst ist, dass eine solche international geführt wird. Es sollte aber erwähnt werden, dass diese Debatte in einer reaktionären und konterrevolutionären Form auch geführt wird, in der sich anarchistische Gruppen als die letzte Barrikade des Kapitalismus und des Staates formiert haben, indem sie dazu aufrufen die effektivste Form der Herrschaft des Kapitals, die Demokratie, zu schützen.
Es stellte sich schnell heraus, zumindest in den letzten Monaten, dass die revolutionären Positionen und Haltungen gegen den Krieg, daraus folgend im Allgemeinen, gegen jede darin beteiligte Seite/Partei, die einer Minderheit sei und dass ganze wenige diese verteidigen würden, während der Rest sich in seiner Verwirrung, die sich wie immer nicht nur auf den Krieg, sondern auf alles entpuppte, krümmten, verdrehten und in ein geistiges Nirvana drifteten.
Daher waren wir, ohne die Interviews oder die Ausgabe gelesen zu haben, sehr entsetzt, dass zumindest eine Gruppe, wir meinen RC, die eine Organisation ist, die aus angeblichen Anarchisten und Anarchistinnen, Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie aus Antiautoritären besteht, die in dem sie den ukrainischen Staat verteidigen, ergo die Verwaltung des Kapitalismus dort, ergo den Kapitalismus und den Staat überhaupt, sich selbst als Patrioten darstellen, ganz klar die Ideen des Anarchismus verraten haben und nichts mehr damit zu tun haben können, dass ihnen ein Sprachraum wie die IdT gegeben wurde, IdT stand plötzlich für uns da als ein weiteres Sprachrohr der Konterrevolution. Dies hat sich seit der Gründung des RC entlang vieler Interviews immer wieder bestätigt und diese Gruppe/Organisation hat sich kein bisschen davor versteckt ihre reaktionäre Haltung verschleiern zu müssen. Wir folgen der Publikation IdT seit Anbeginn und waren umso verwundeter, da der Ton dieser Zeitschrift immer scharf und direkt war, wenn auch oft idealistisch und manchmal metaphysisch argumentiert, eine Publikation, die auf der moralischen Ebene wie Ikarus immer den Himmel zu erreichen versuchte, aber uns interessiert weder Moral noch uns auf die Höhe der Götter zu schwingen, sondern sie zu stürzen. Es war uns sogar eigentlich egal, was in dem Interview gesagt worden ist, welche die Fragen waren, die Tatsache alleine eine Debatte oder ein Gespräch mit diesen Leuten zu führen bestätigte die fortdauernde Lage einer allgemeinen Verwirrung, die nicht der Krieg ausgelöst hat, sondern die viel älter ist und dass man außer hohlen Phrasen und selbstgefälliger Praxis nichts vorzuweisen hat, denn seit wann bietet man der Konterrevolution die eigene Publikationen an. Was würde denn als nächstes kommen? Ein Interview mit den Naxaliten? Die kämpfen ja immerhin gegen den Staat, auch wenn sie danach diesen übernehmen werden.
Es war ein genauso verwirrter „Gefährte“, der zum Krieg schon alle Positionen verteidigt hat, so nett und fotografierte uns die Interviews, damit wir sie lesen konnten, denn bis zu diesem Zeitpunkt war immer noch keine Ausgabe in Berlin zu finden, oder niemand wollte sie uns aushändigen, wahrscheinlich waren wir die einzigen, die bis dato so vehement nach den Ausgaben der IdT in Berlin nachgefragt hatten.
Zu den Interviews selbst ist nicht viel zu sagen, die Fragen waren weder konfrontativ, noch kritisch noch wurde anscheinend an irgendeinem Punkt nachgefragt. Sowohl mit dem RC, als auch mit Gruppen wie Operation Solidarity oder anderen angeblichen anarchistischen Gruppen und Individuen wurden schon etliche Interviews gemacht und die gleichen sich alle sehr stark, auch wenn wir schon einige vorgefunden haben, wo wenigstens ein paar direkte Fragen, die nach einer Kritik klangen, gestellt wurden. Die Fragen von IdT sind eigentlich sehr nett und höflich formuliert, man wäre über die Haltung und Entscheidungen dieser vermeintlichen Anarchisten und Anarchistinnen „irritiert“ und es würde gewisse „Zweifel“ hinterlassen, mehr aber anscheinend auch nicht. Weder RC noch anarchy2day wurden in der Wortwahl klar kritisiert, ganz zu schweigen von angegriffen, jedes Boulevardmagazin ist in der Rede da direkter, IdT verlor sich in einer Objektivität der Leere. Wir fragten uns nach der Intention von IdT, was sie bezwecken wollten, denn wenn Fragen gestellt werden, die nicht kritisch sind, nicht mal unbequem, ist die Publikation entweder inkonsequent – war die Kritik ernst gemeint? – und man bot RC eine klare Plattform an, um sich ausdrücken zu können, wo sie ja sogar Werbung für ihre Sache machen konnten. Man spielte der Ideologie der Konterrevolution voll in die Hände. Die Antworten in beiden Interviews waren, wie es meistens der Fall gewesen ist, ausweichend, es wurde eigentlich selten auf die Frage eingegangen und alles blieb wie immer vage, außer beim Opportunismus, der Vaterlandsliebe1, dem Reformismus, der konterrevolutionären Haltung usw… also ein klarer Ausdruck der Linken des Kapitals. Da der russische Staat letztendlich der Schlimmere sei, mal abgesehen, dass dies einen immer zu der Verteidigung des Staates und des Kapitalismus katapultiert, denn wo es schlimme Staaten gibt, gibt es auch am Ende gute Staaten2, die es zu schützen gilt, gelte es die Ukraine zu schützen. Ganz die Sprache der SPD 1914 und der Bolschewiki ab 1918. Nicht mehr der kapitalistische Staat ist das Problem, sondern anscheinend nur noch dieser oder jener Staat. Die revolutionären Parolen/Theorie wurde wieder einmal zugunsten der bourgeoise Parole des Faschismus oder Demokratie aufgegeben, sollte die Parole immer noch Kapitalismus oder Anarchie, bzw. soziale Revolution oder Konterrevolution sein.
„Der Opportunismus will sich mit ihnen verbinden und teil an der neuen Herrschaft nehmen; indem er glaubt, sie in den Weg des Kommunismus lenken zu können, wird er durch sie kompromittiert.“ Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, 1920
Nachdem wir also die Interviews gelesen hatten, waren wir natürlich noch mehr außer uns, interessant wäre sich zu fragen wieso? IdT bezeichnete diese Verräter an den anarchistischen Ideen ja sogar als Gefährt*innen, daraus lässt sich für uns schließen, dass man sie irgendwie als Gleichgesinnte betrachtet. Also mussten wir dem Ganzen noch mehr auf den Grund gehen, dass war ja noch nicht die Klimax des Ganzen. Auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung fragten wir nach und es wurde uns versichert, dass wir falsch liegen würden, dass man die ganze Ausgabe lesen sollte, vor allem die Einleitung dieser Ausgabe, wo man sich voll von all dem distanzieren würde. All das, was uns versichert wurde, auf was wir nochmals eingehen werden, ließen wir sacken und wir warteten bis uns eines Tages am Ende per Post eine Ausgabe erreichte.
Nun haben wir am Ende die komplette Ausgabe gelesen und es ist nicht besser geworden, aber jetzt können wir auf den Punkt gehen. Die sogenannte Einleitung, die den Namen „Auf niemandes Seite! Einige kritische Anmerkungen zum Krieg in der Ukraine und anarchistischem Antimilitarismus“ trägt, entpuppte sich nicht als kritisch oder angreifend, sondern eher als ein Paradoxon, wo bei uns der Eindruck hinterlassen wurde, dass es sich hier um zwei Objekte handeln würde, die auf Kollisionskurs sind, aber de facto tun sie es nicht, nicht mal ansatzweise. Abgesehen davon, dass einige Daten und Fakten, die angegeben werden, falsch sind.
Einerseits werden die „anarchistischen Gefährt*innen“ aus der Ukraine sowie „ihre Positionen, Entscheidungen und Texte“ erfreulicherweise weltweit übersetzt und rezipiert, man würde es aber für „problematisch“ halten. IdT subsumiert die Haltung der Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine auf drei Punkte: die Verteidigung der Demokratie, der Kampf gegen Russland, der zusammen mit der NATO geführt wird, und dass es sich hier um einen „russischen Angriffskrieg“ handeln würde. Nun es wäre fast ein Oxymoron, aber wo liegt der Unterschied zwischen einem Angriffs- und Verteidigungskrieg? Es gibt keinen.
IdT redet dann vage vor sich hin und wiederholt die ewigen bourgeoisen Mantras des Sinnes des Lebens, aber in anarchistischer Form konjugiert; „Was bedeutet es zu sagen, dass wir gegen jeden Krieg sind? Welche Konsequenzen hat unsere Ablehnung des Staates in der Theorie und der Praxis? Wie ist unser Verhältnis zur Demokratie, wenn eine Diktatur droht?3“ Um diesen kolossalen Spagat nicht zu überspannen, man konnte die Schreie beim Lesen noch hören, wird genauso vage und abstrakt in die Geschichte gesprungen. Mit einigen Beispiele, die später erörtert werden, wird die Klimax nochmals gespannt, denn; „Die anarchistischen Erfahrungen, Diskussionen und Reflexionen in diesen Umwälzungen4 und Krisen sind zahlreich, komplex und oft widersprüchlich.“ Wir persönlich lieben solche Ausführungen, ein Kopf an Kopf rennen zwischen Tautologien und schrecklich-erfreuliche Pleonasmen. Da der Krieg Krieg ist, und der Anarchismus eine Aneinanderreihung nie aufhörender Widersprüche – ob im Sinne von Hegel? – stellt jeder Titan schnell fest, dass seine Größe unbedeutend ist, wenn er sich nicht bewegen kann.
Die historischen Beispiele waren einige, wenn auch willkürliche, einerseits geht es um „russische Anarchist*innen“ im Jahr 1905, wahrscheinlich im Verlauf der Revolution, die nichts von der Demokratie wissen wollten. Warum denn auch? Anscheinend ein Beispiel an Anarchisten und Anarchistinnen, die an ihren Ideen festgehalten haben. Über den, wie IdT es selber nennt, „Disput“ zwischen 15 Anarchisten und Anarchistinnen und fast der restlichen Bewegung, was die Haltung der anarchistischen Bewegung im ersten Weltkrieg anging, ist die Bezeichnung von diesem als Disput zu höflich und ungenau, wenn dich die Bewegung als Verräter der Ideale brandmarkt und fast lynchen würde. Als das Manifest der Fünfzehn 1916 veröffentlicht wurde, Piotr Kropotkin als bekanntester Unterzeichner, brach ein Streit von so einer großen Dimension aus, wo heutzutage bei was ähnlichem die Fünfzehn armseligen sich nur noch mit Vorwürfen aller Art gegen die anderen zu verteidigen wüssten. Diesem letzten historischen Hinweis wird die Bombenkampagne, in der Regel Briefbomben, um die italienischsprachigen Zeitungen in den USA namens Cronaca Sovversiva und Luigi Galleani und den späteren bekannten wie Sacco und Vanzetti entgegengestellt. Gefolgt von der Erwähnung der Machnowitschina, die mal nicht 1918 von den Bolschewiki verraten wurden, sondern erst Jahre später, es sei denn man bezieht sich auf den Verrat der Bolschewiki durch den Brest-Litowsk Friedensvertrag, wo die Ukraine, damals noch Teil des russischen Zarenreichs, an Österreich-Ungarn abgegeben wurde und somit die junge UdSSR mit dem Deutschen Kaiserreich noch während des Ersten Weltkrieges einen Frieden mit dem imperialistischen Feind abschloss. Weiter geht es mit der Erwähnung sogenannter „Unkontrollierbaren“, gemeint wird ein Teil der Eisernen Kolonne – Columna de Hierro sein, einer bewaffneten anarchistischen Miliz aus der Gegend um Valencia, die sich beim Ausbruch der sozialen Revolution bildete und berühmt für die Befreiung von Gefangenen aus den Knästen wurde, was aber in allen Gebieten wo die anarchistische Bewegung präsent und stark war stattfand. Diese Kolonne war zu ihrer Zeit nicht die einzige die den Regierungsbeitritt kritisierte, dies taten viele andere auch und viel vehementer als die Eiserne Kolonne verteidigten die Amigos de Durruti, Camilo Berneri oder Jaume Balius einen revolutionären Kurs. Alles was IdT als bemerkenswert aufzählt, trifft nicht ganz so zu, es wird mit gegenwärtiger Ideologie erklärt und trifft daher für die damalige Zeit nicht zu. Aus anarchistischer Geschichte ist dann noch die, sehr oft erzwungene, Beteiligung von Anarchisten und Anarchistinnen an den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges erwähnt, welches wie es geschildert wird, historisch wenig bis gar keinen Sinn ergeben oder es ist einfach frei erfunden. Um zum Ende zu kommen, was die historische Auflistung von IdT angeht, kommen wir bei der Unterstützung sogenannter „anti-imperialistischer Befreiungsbewegungen“ an, die auch von nicht wenigen Anarchisten und Anarchistinnen unterstützt wurden. Letztendlich, nach einer Auflistung mehrerer solcher Kämpfe wird selbstverständlich auch „Rojava“5 erwähnt. Alles eine längere Auflistung bei der wir in der Tat sehr widersprüchliche Haltungen in den anarchistischen Reihen vorfinden. Abgesehen davon, dass in dieser Auflistung mehrere historische Fehler auftauchen, wir haben sie jetzt nicht alle erwähnt, wie zum Beispiel der Kuschelkurs der PKK mit der syrischen Regierung, denn der geht bis zum Vater von Baschar al-Assad zurück, fragt sich, was für einen Sinn sie ergeben sollen? Soll dies die Vielfalt des Anarchismus symbolisieren? Was denn für einen Anarchismus überhaupt? Auf der einen Seite mit der Waffe in der Hand eine Regierung verteidigen und auf der anderen dieselbe oder eine andere stürzen zu wollen?
Für IdT sind all diese Fragen, was denn nun Krieg sei, was der Anarchismus sei, welche Haltung denn eingenommen werden soll, komplexer Natur. In ihrer Auflistung, was die „Logik des Krieges“ ausmacht, listen sie einiges auf, der Staat und der Kapitalismus tauchen gar nicht auf. Wir dachten, dass, trotz aller Differenzen und Diskrepanzen, es sich hier um eine wichtige Zeitschrift handeln würde, nun ist sie in dieser verwirrenden Zeit entweder zum Postmodernismus oder zum Dosimeter des letzteren mutiert.
So verwirrt, dass: „Deswegen sind wir skeptisch, wenn Anarchist*innen plötzlich real-politisch argumentieren und meinen, dies sei nun die falsche Zeit um seinen Prinzipien treu zu bleiben. Wir finden es fragwürdig, wenn Anarchist*innen militärischen Strukturen beitreten und sich gleichzeitig keineswegs einer militärischen Ästhetik der Camouflage-Uniformen verwehren.“ Abgesehen davon, dass der letzte Punkt total schwachsinnig ist, man ist nicht skeptisch, wenn man den Prinzipien nicht treu bleibt, man ist entsetzt, oder man hat sich der Armee angeschlossen, soll es ein Akt der Rebellion sein lieber nackt oder verkleidet auf ein Schlachtfeld zu gehen? Darüber hinaus ist der grundlegende Punkt mal wieder, dass IdT nur „skeptisch“ und „fragwürdig“ ist, anstatt klar und deutlich zu sagen, dass es ganz klar um eine konterrevolutionäre Haltung und Praxis geht. IdT ist am Ende mit den Nerven, es ist halt „genervt“, es hat „Probleme“ mit der Rolle die Anarchisten und Anarchistinnen vor Ort spielen, es ist nur in der Lage sich emotional ausdrücken. Um alles abzurunden wird am Ende der Einleitung noch verkündet: „Weil wir diese Skepsis und unsere Gedanken und Fragen auch gegenüber den in der Ukraine und in Russland kämpfenden Gefährt*innen artikulieren wollten, haben wir zwei Interviews gemacht, die wir im folgenden abdrucken. Es wird teils recht offensichtlich, dass man konträre Gedanken hat – aber macht euch ein eigenes Bild!“ Von Kritik nach wie vor nicht die Rede, wer nun genau die „kämpfenden Gefährt*innen“ sein sollen – wie die, die sich dem ASOV Bataillon angeschlossen haben, die ,die sich der Armee oder der sogenannten Territorialen Selbstverteidigung angeschlossen haben, die auch in den ukrainischen Streitkräften eingegliedert sind, all die, die der Meinung sind, alle politische Differenzen spielen jetzt keine Rolle mehr, die, die Aufgaben der Polizei übernommen haben, Plünderer an Laternen binden, usw… – , dass ist nicht klar. Das Konträre lässt sich nirgends blicken, und trotz alldem wurde ein Interview gemacht. Der postulierte Anspruch wurde anscheinend erreicht, „Skepsis“ plus einige Gedanken plus Fragen zu artikulieren, ein Armutszeugnis.
Die restliche Ausgabe war ohne weitere Pejorative verwenden zu wollen das Übliche, was man so in einer linken Publikation finden kann. Entgegen dem was von einigen, IdT auch, gesagt wird, sind wir überhaupt nicht einverstanden, dass das Patriarchat der Grund für den Krieg ist, auch wenn es eine wichtige Rolle innehat, dass dieser Krieg überhaupt aufgrund des Patriarchats vom Zaun gebrochen worden sei, weil unter anderem nur Männer an die Front geschickt werden, was nicht stimmt, auf beiden Seite sind Frauen in den Armeen sowie in den meisten Streitkräften auf der Welt, Nord Korea ganz weit vorne. Was ist mit der IDF, der YPJ usw.?
Genauso wie was IdT immer wieder mit „anarchistischen Antimilitarismus“ meint und betont. Dass wir als Anarchisten und Anarchistinnen gegen Armeen sind mit all dem, was diese implizieren – Disziplin anstatt Verantwortung und Verpflichtung, Ränge und Dienstgrade anstatt Gefährten- und Gefährtinnenschaft, blinde Gehorsamkeit anstatt Gemeinschaft, usw. – , ist ein Teil unserer Ideen/Prinzipien/Theorie und muss daher nicht betont werden. Da IdT eine anarchistische Publikation ist, verstehen wir nicht, warum sie eine Differenz zu machen versucht indem „Antimilitarismus“ mit dem Adjektiv des „anarchistischen“ ergänzt wird. Als ob dies erstens nicht klar wäre und darüber hinaus wird darauf nicht mehr eingegangen, außer dass darüber Diskussionen geführt wurden, mit welchen Ergebnissen? Dass man es „fragwürdig“ sehen würde, dass sich Anarchisten und Anarchistinnen einer Armee anschließen würden, wie wir schon auch weiter oben anmerkten. Es handelt sich hierbei um eine leere Hülse, die mit redundanten Begriffen untermauert werden, aber die Bedeutung dafür ist jedem selbst überlassen, wir bewegen uns ein weiteres Mal auf der Ebene der Wahrsagerei.
Wir leben in einer verdrehten Welt, ganz nach Orwells 1984, wo Krieg Frieden ist und daraus folgend alle Begriffe verdreht werden. Wir erleben, wie meistens Begriffe oder Wörter total aufgeblasen werden, oder gar nichts mehr bedeuten. Sie alle werden je nach Belieben dermaßen ausgedehnt, wie es der verkündenden Person, Gruppe, usw. beliebt. Dieser billige Polyptoton, den wir geradewegs gemacht haben, soll niemanden verwirren, Wörter sind wie Waffen, sie meinen, was sie sagen, daher ist es umso wichtiger eine Klarheit in der Sprache zu finden, damit niemand auf die Idee kommen könnte zu sagen, hier wäre etwas missverstanden worden. Wir werden es ein paar Mal sagen, unsere Aufgabe ist es immer die Wahrheit zu sagen, unsere Prinzipien und Positionen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, komme was wolle. Worum es immer geht, ist diese durch die Praxis zu überprüfen, nicht mehr, nicht weniger.
Da es aber leider nicht so ist, das man Wörter genauso verwendet, direkt an deren Bedeutung gebunden, kann daher vieles nur noch emotional und subjektiv verklärt werden, als ob es sich um einen Kampf zwischen gut und böse handeln würde. Da haben wir wieder die Moral. In dieser verdrehten Welt, wo alle Begriffe anscheinend keinen Sinn mehr ergeben, sind Anarchistinnen und Anarchisten die Schützer der künstlichen Gemeinschaft namens Nation, sie verteidigen die Interessen einer lokalen Bourgeoisie gegen die Interessen einer fremden, Begriffe wie Faschismus, Staat, Kapitalismus, Nation, Imperialismus und vor allem Anarchie bzw. Anarchismus werden so verdreht, dass jeder es ganz nach eigenen Belieben verwendet und daraus wird nichts entstehen. Jeder und Jede hat jetzt die eigene Anarchie, genauso wie das bourgeoise Verständnis von Freiheit, alles wie Eigentum portioniert, hier dies für dich und das für mich. Der Anarchismus mag verschiedene Strömungen inne haben, die sich nicht bei allen Dingen einig sein müssen, was wir auch begrüßen, aber an unseren Zielen, an der Vehemenz diese zu erreichen, daran zu feilschen, dies ist nicht drin.
Der jetzige Krieg lässt sich in vielerlei Hinsicht durch den Ersten und den Zweiten Weltkrieg verstehen, vor allem in der Hinsicht wie sich Anarchistinnen und Anarchisten darin verhalten haben, aber nicht nur. Ein paar Beispiele wurden schon von IdT, zum Teil falsch, erwähnt. Aber was würde sich daraus schließen lassen, wenn wir auch erwähnen, dass sich Anarchisten und Anarchistinnen der III.Internationale-Komintern 1919 und der Profintern-Rote Gewerkschafts-Internationale 19216 angeschlossen hatten, obwohl es kein Geheimnis war, was allen Revolutionären in der noch jungen UdSSR widerfuhr? Ein Hinweis, Gulags und Tod. Was es bedeutet nicht die soziale Revolution zu machen, den Staat zu schonen, um diesen dann zu verteidigen, um dann von der Sozialdemokratie, ohne die es keinen Ersten Weltkrieg gegeben hätte (nicht nur die deutsche, sondern auch die französische und die britische warfen sich in den Krieg, um ihre Nationen zu verteidigen), ermordet zu werden, wie es 1919 in München der Fall war oder 1923, wo tausende von Anarchistinnen und Anarchisten sowie Kommunisten und Kommunistinnen ermordet wurden. Und was für eine Überraschung, dazu war der Faschismus nicht notwendig. Oder wie jetzt die vermeintlichen Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine in anderen Interviews schon gesagt haben, es handelt sich hier darum, den wenig schlechteren Staat zu verteidigen, um dann die soziale Revolution zu machen, was überhaupt keinen Sinn ergibt und bis jetzt noch nie in der Geschichte geschehen ist. Die Instrumente der herrschenden Klasse nützen nur der herrschenden Klasse, sonst würden sie gar nicht existieren, daher ist diese Haltung wiedereinmal nicht nur konterrevolutionär, sondern nun sind auch die Apologeten dieser dasselbe.
Wenn es darum geht in der anarchistischen Geschichte etwas Gewissheit und Bestätigung zu suchen, dann ist es immer damit verbunden, wo man hin will, falls die soziale Revolution nicht ausreicht. Deshalb ist die Auflistung von IdT zugleich richtig – mit den jeweiligen unkorrekten Angaben – und tückisch gleichermaßen. Es geht nicht darum, aus allem, was in unserer Geschichte passiert ist, eine Art Hirnbrei zu subsumieren, sondern daraus zu lernen, aus den Fehlern, aus den Fehlentscheidungen, aus den Abweichungen usw. Das geht aber nur, wenn wir an unseren Ideen, an unseren Prinzipien, an der historischen Notwendigkeit festhalten, dass es keinen Staat, den es zu schützen gilt, gibt, so human und nett sich dieser hinstellt, es gibt keinen Kapitalismus, den es – vor anderen – zu retten gibt, so umweltfreundlich, antirassistisch, antifaschistisch, usw. oder was auch immer sich dieser gibt. Denn dieser wird der zukünftige Henker all jener sein, die ihn und seinesgleichen infragestellen.
Unser Bezug auf die Geschichte gilt der Überprüfung der Theorie durch die Praxis, nicht dem Wiederholen von Fehlern, dem Opportunismus, dem Reformismus oder der Konterrevolution. All dies sind Feinde jeder revolutionären Bewegung und der anarchistischen erst recht. Wir könnten tausende an Beispielen von abertausenden nehmen, um dies zu beschreiben und die Geschichte wird uns Recht geben. Wählen um den Faschismus zu bekämpfen? Mehr Rechte für Menschen und Natur einfordern? Vor allem wenn es immer die Rechte der herrschenden Klasse sind, Rechte sind nur juristische Maßnahmen, die nur durch das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt werden können, aber welcher Staat hält sich denn überhaupt an die eigenen Gesetze? Oder Freiräume einfordern? Als ob es im Kapitalismus Oasen der Freiheit geben würde. Die Demokratie schützen und erst später die Revolution machen? Wir wissen, was daraus geworden ist, der Erste und der Zweite Weltkrieg sind Beispiele, die sozialen Revolutionen von 1917 bis 1927, die von 1936, der zweite proletarische Ansturm von 1968 bis 1981 (variiert etwas je nach Land/Gebiet), die nationalen Befreiungsbewegungen, Rojava, usw. all dies lehrt uns, was vor allem nicht gemacht werden sollte.
In all dem fiel des öfteren der Begriff des Opportunismus, was immer eine taktische Frage ist. Wie eine Allegorie, wer uns durch den Kopf ging, war Lenin. Ein schmerzhafter Durchgang, aber dieser war ein Vertreter der Anpassung, begründet durch taktische Abwägungen, man musste immer wieder, in seinem Falle immer, die Prinzipien beiseite lassen, man musste sich mit jenen Kräften zusammentun, die eine Mehrheit ausmachten (zu seiner Zeit mit der Sozialdemokratie), aber man musste vor allem schlauer sein als diese, man musste intelligenter sein als diese, und nicht nur schlauer und intelligenter als die Sozialdemokratie, sondern auch schlauer und intelligenter als der Kapitalismus musste man sein, mal muss man den Parlamentarismus – welchen Lenin sogar selbst als Reaktionär bezeichnet – ausnutzen, um als nächstes diesen anzugreifen, mal muss man den Feind angreifen, um nachher mit diesem einen Frieden abzuwickeln, man muss die bourgeoisen Institutionen ausnutzen, bis sie auseinandergejagt wurden, was bekanntlich nie der Fall war. Wie gesagt, der Opportunismus, als eine taktische Abwägung, erlaubt es einem alles zu machen, um immer, selbstverständlich, das Richtige zu tun, so zumindest Lenin. Lenin selbst erklärt es sehr deutlich in „Der „linke Radikalismus“ die Kinderkrankheit im Kommunismus“ und in „Staat und Revolution“. Alles sind taktische Fragen und auf diese wird alles reduziert, im Krieg in der Ukraine ist es gerade nicht anders, wenn man sich die Entscheidungen der sogenannten Anarchisten und Anarchistinnen anschaut. Und in einem weiteren wichtigen Punkt decken sich diese angeblichen Anarchisten und Anarchistinnen mit Lenin komplett, nämlich die Begründung, dass man auf der Seite, in der Nähe, unter, usw. der Massen sein muss. Es ist jetzt nicht wichtig darauf hinzuweisen, was Lenin eigentlich damit meint, um es in anderen Texten zu revidieren, denn seiner Meinung nach, als treuer Schüler von Kautsky, müssen die Massen geleitet werden, weil sie selbst nicht in der Lage sind ein revolutionäres Bewusstsein zu entwickeln, dieses und die Leitung der Massen kann nämlich nur von der revolutionären Partei kommen. Diese Parallelismen könnten Zufall sein, werfen dennoch viele Fragen auf, aber wir lassen dies mal so stehen.
In der nahen Vergangenheit gab es mehrere Beispiele zu all dem, was wir hier beschreiben, sei es die Volksfront, die Einheitsfront, oder die Arbeiterregierung, die natürlich immer nur innerhalb des bourgeoisen kapitalistischen Staates existieren konnten und diesen schützen würden. Im Falle Deutschlands war es die Frage sich mit der SPD zusammen zu tun, die nicht nur den Ersten Weltkrieg ermöglichte und garantierte, sondern später die Revolution mit ihren Bluthunden massakrierte. In der heutigen Notion der Realität spielt darin die Sozialdemokratie, genauso wie ihre radikalen Flügel, keine Rolle als verändernde Kraft in der Geschichte, sondern es ist die Demokratie selbst und ihre zentrale Figur, die der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Wir können sehen, wie die Erneuerung der Demokratie darin in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle gespielt hat, jetzt in der Ukraine auch, die Aufteilung einer Gesellschaft in Klassen wird verleugnet, das beste System ist die Demokratie und aus ihr heraus, und nur aus ihr, können Veränderungen stattfinden, wir sind nach wie vor auf einige historische Beispiele gespannt7. Im Falle der Ukraine wurden den Staatsbürgern nicht nur die Waffen ausgehändigt, sondern es wurde ihnen erlaubt, die Institutionen zu erobern, daran teilzunehmen, man verstehe hier bitte den Euphemismus, und die Territoriale Selbstverteidigung, sowie andere vom kapitalistischen Staat der Ukraine kontrollierten Organismen waren willkommen, sie tragen den Anschein der Autonomie, doch werden die Menschen mehr und mehr an ihren Patron gebunden. Der Kreis schließt sich mit der Politik des geringeren Übels, mit der Allianz mit dem demokratischen Staat des Kapitalismus, also mit ihrer herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, nicht nur mit der historischen Sozialdemokratie, alle vereint gegen den Faschismus. So wie es von einigen genannt wird. Die Verdrehung der Realität und der Begriffe, genauso wie der Kommunismus in der UdSSR mit ihren Gulags, Massenerschießungen und der Auslieferung von Kommunisten und Kommunistinnen nach Nazi-Deutschland durch den Befehl von Stalin, der sich danach als Sieger über den Faschismus krönen würde.
Die Demokratie ist ein System der Integration/Anbindung, aber auch der Nötigung, wenn es sein muss, durch die politischen Instrumente, die ihr zur Verfügung stehen (Parteien, Gewerkschaften/Syndikate, Regierung, Parlament, usw.). Diese Instrumente können nicht gegen sie verwendet werden, sie untermauern nur sich selbst. Der Opportunismus sich auf die Seite des „Volkes“, der „Nation“ zu stellen spricht Bände.
Ein Land, eine Nation, das Volk, usw. zu verteidigen heißt auch die Herrschaft des Kapitals nicht zu verstehen, weil dieser erstens international ist, wenn der Kapitalismus auf ein Land reduziert wird, kämpft man nur für das geringere Übel, von dem aus der Kapitalismus immer obsiegen wird. Die soziale Revolution kann und muss daher auch international sein. International ist das Kapital, so wird auch seine Zerstörung international sein.
Nun haben Anarchisten und Anarchistinnen ein gepeinigtes Sein (Ontologie) und leiden anscheinend dermaßen an Komplexen, zumindest historischer Natur, dass man eckige Kreise vorzieht und sich ständig selber Steine in den Weg legt. Was soll dieses Wirrwarr bedeuten, gerade jetzt, wo alles immer wieder durch die Ideologie der Postmoderne argumentiert wird, wo es keine allgemeine Wahrheiten mehr gibt, sondern nur noch komplexe, undefinierbare, subjektive und ungreifbare? Wir sind damit selbstverständlich nicht einverstanden. Nun die Antwort ist ganz einfach, die sublime Geschichte zeigt uns in jeglicher Art und Weise, was es bedeutet, wenn die Prinzipien, die eigenen Ideen, die eigene Haltung usw. aufgegeben wird, dass die Widersprüche dialektischer Natur sind, die sich aus der Überprüfung der Theorie ergeben, und nicht alles gilt und nicht alles als eine gültige Referenz für das Hier und Jetzt angeht.
Würde jede widersprüchliche Entscheidung und jedes widersprüchliche Verhalten aller Anarchisten und Anarchistinnen aufgezählt werden, dann würde der Anarchismus nicht nur nicht existieren, sondern es würde die jetzige Situation als ein Antagonismus seiner selbst bestätigt werden. Anarchisten und Anarchistinnen gehen Wählen, sie führen reformistische Kämpfe, unterstützten den Staat, ziehen in die Kriege des Kapitalismus, als Beispiel letzteres dient die Figur von Sholem Schwarzbard, diese wurde in diesem Zusammenhang in englischsprachigen Debatten des öfteren erwähnt und als positives Beispiel herangezogen, da dieser es als seine Pflicht sah, die Zivilisation im Ersten Weltkrieg gegen die Barbarei des Deutschen Kaiserreichs in der Französischen Armee zu verteidigen. Im Falle von Sholem, von dem wir bis vor kurzem auch nichts wussten, handelt es sich um einen russischstämmigen Anarchisten, der viele Jahre in Frankreich lebte, er soll ein eifriger Verfechter des Antimilitarismus gewesen sein, was ihn natürlich nicht daran hinderte sich im Ersten Weltkrieg der französischen Fremdenlegion anzuschließen, um gegen die, so im Jargon der Zeit, deutsche Barbarei zu kämpfen, um danach an der Revolution in Russland teilzunehmen, in der Roten Armee, und um wieder danach, enttäuscht, nach Frankreich zurückzukehren und in Kreisen von Mahkno und Archinoff zu verkehren. Peter Archinoff selbst war zuerst Bolschewiki, danach Anarchist um am Ende wieder Bolschewiki zu werden. Garcia Oliver, ein Weggefährte von Durruti, Bankräuber, verantwortlich für mehrere Hinrichtungen, wurde selbst unter Largo Caballero Justizminister von November 1936 bis Mai 1937 in der Republik von Spanien. Beim ersten Jubiläum von Durrutis Tod bezeichnete er sich auch als einen „Terroristen“, hatte aber einige Monate davor eine tragende konterrevolutionäre Rolle gespielt, wir meinen die Mai-Ereignisse in Barcelona 1937.
Nun es gibt sehr viele solcher Beispiele, wo die Kohärenz vieler Anarchisten und Anarchistinnen sehr viel zu wünschen übrig lässt. Was aber komplett unsinnig ist, ist dies immer wieder in eine Art anarchistischen Pluralismus oder Diversität einzubringen, man kann also gleichzeitig Anarchist und Justizminister sein. Man kann gleichermaßen das eigene Vaterland, die eigene Nation verteidigen und trotzdem den anarchistischen Ideen treu bleiben. Natürlich nicht! Aber IdT relativiert dies nun mal und gibt klein bei, indem solchen Fehltritten der Raum gegeben wird sich äußern und sich evtl. rechtfertigen zu können.
„Denken und Handeln sind wie Pissen, wenn es nicht gerade geht hinterlässt man eine Sauerei.“ (Aus demselben Pissoir)
Anarchisten und Anarchistinnen ergreifen in keinem innerbourgeoisen Krieg Partei, dies zu tun bedeutet an den Massakern teilzunehmen, die wir zerstören wollen. Es gibt keine geringere Übel die es zu verteidigen gilt. Wir ergreifen nur Partei im Sinne der sozialen Revolution. Jene, die alle Eigenschaften der Realität, die wir kennen, die des Kapitalismus, zerstört. Es ist kein abstrakter Gedanke, wie heutzutage einige zu sagen vermögen, die Zerstörung von Geld, Ware, Grenzen, Armee, Nationen, Staaten, Gefängnissen, Schulen, Familie, Eigentum, Polizei, Psychiatrien, Parteien, Syndikaten/Gewerkschaften, Politik usw. erreichen zu wollen, denn all diese Dinge, die den kapitalistischen Staat bedingen, sind sehr real, daher ist die Zerstörung all dessen weder abstrakt noch unkonkret, sondern genau das Gegenteil. Daher ist die Frage nicht Zivilisation oder Barbarei, Faschismus oder Demokratie, sondern Kapitalismus oder soziale Revolution. Die sogenannten Anarchistinnen und Anarchisten in der Ukraine, die es für richtig halten für die eigene herrschende Klasse zu kämpfen und zu sterben, für die Interessen dieser zu töten und getötet zu werden, so sehr man diese in den herrlichsten Tönen schildert und darstellt, wird sie dasselbe wie die herrschende Klasse tun, gegen die man gegenwärtig kämpft: aus allen Menschen so viel Mehrwert auspressen, wie es geht. Man denke an den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, Erfahrungen in denen sogenannte Revolutionäre und Libertäre sich auf die Seite der Demokratie stellten, erinnern wir uns, die Demokratie ist und bleibt die beste Form der Herrschaft für die Bourgeoisie, um die eigene Herrschaft zu verewigen, und wir sehen, was daraus resultierte. Niederlage auf Niederlage, Knäste voller Revolutionäre, usw.
„Der Opportunismus schließt nicht notwendig eine sanfte, friedfertige, entgegenkommende Haltung und Sprache im Gegensatz zu einer dem Radikalismus gehörenden schärferen Tonart ein; im Gegenteil verbirgt sich der Mangel an prinzipieller klarer Taktik nur zu oft hinter rabiaten kräftigen Worten; und es gehört gerade zu seinem Wesen, in revolutionären Situationen auf einmal alles von der großen revolutionären Tat zu erwarten. Sein Wesen ist, immer nur das Augenblickliche, nicht das Weiterabliegende zu berücksichtigen, an der Oberfläche der Erscheinungen zu haften, statt die bestimmenden tieferen Grundlagen zu sehen. Wo die Kräfte zur Erreichung eines Zieles nicht sofort ausreichen, ist es seine Tendenz, nicht diese Kräfte zu stärken, sondern auf anderem Wege, auf Umwegen das Ziel zu erreichen. Denn das Ziel ist der augenblickliche Erfolg, und dem opfert er die Bedingungen künftigen, bleibenden Erfolges. Er beruft sich darauf, dass es doch oft möglich ist, durch Verbindungen mit anderen „fortschrittlichen“ Gruppen, durch Konzessionen an rückständige Anschauungen die Macht zu gewinnen oder wenigstens den Feind, die Koalition der kapitalistischen Klassen zu spalten und damit günstigere Kampfbedingungen zu bewirken. Es stellt sich dabei jedoch immer heraus, dass diese Macht nur eine Scheinmacht ist, eine persönliche Macht einzelner Führer, nicht die Macht der proletarischen Klasse, und dass dieser Widerspruch nur Zerfahrenheit, Korruption und Streit mit sich bringt.“ Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, 1920
Ist IdT zu dem geworden, was sie eigentlich kritisieren? Auch wenn es einige nicht so sehen werden, der Meinung sind, dass wir übertreiben, ja gar überreagieren, fragen wir uns ganz klar nicht nur, was sich IdT bei dieser Ausgabe gedacht hat, es wird sich selbstverständlich um gute Absichten gehandelt haben, aber der Schuss ging direkt nach hinten los. Warum werden Reaktionäre wie RC interviewt? Warum soll mit solchen diskutiert werden? Warum wird diesen Platz in einer anarchistischen Zeitschrift gegeben und wird dadurch zu einer Plattform für deren Ideologie? Warum versucht sich IdT ganz mir nichts dir nichts durchzuschlängeln ohne einen klaren Punkt zu machen? Vor allem auf diese harmonische Art und Weise, wo das stärkste der Gefühle „Skepsis“ ist.
Unsere Aufgabe ist es immer die Wahrheit zu sagen, unsere Prinzipien und Positionen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, diese aus materialistischer Analyse und nicht durch historische Rechtfertigungen/Ausreden begründen. Dass der soziale Frieden und der Krieg des Kapitalismus mittels des Klassenkrieges, des sozialen Krieges und letztendlich der sozialen Revolution von der Weltfläche und von der Geschichte weggefegt werden. Soziale Revolution oder Konterrevolution, es gibt keine Nuancen dazwischen.
Soligruppe für Gefangene, Juli 2022, Berlin
1Uns persönlich interessiert es nicht, was RC zum faschistischen Nationalheld Stepan Bandera zu sagen hat. Da Straßen und Plätze nach einem Faschisten benannt sind, Kinder über diesen in der Schule lernen, ist es doch offensichtlich mit was für einem Hohn behauptet wird, dass Faschismus keine Rolle spielt.
2Es ist so absurd wie in der Debatte von Klassismus, als ob die Klassenfrage eine Form der Unterdrückung sei und ein netter Boss einem bösen Boss vorzuziehen wäre.
3Verdammte Scheiße, sīc scriptum erat.
4Davor war die Rede von „Kriegen, Massakern, Bürgerkriege – als auch von Revolten, Aufständen und Revolutionen.“
5Class War/Tridni Valka 13/2021: „Rojava Revolution“? „Antistaatlich“? „Antikapitalistisch“? Oder eine neue Mystifizierung?
6Wie zum Beispiel die späteren Gründer der POUM Andreu Nin und Joaquím Maurin, als sie noch Mitglieder der CNT waren und als Delegierte nach Moskau geschickt wurden.
7Wir verweisen gerne auf den hervorragenden Text von Paul Mattick, Die Grenzen der Reformen.