Kronstadt Journal VI

Kronstadt Journal VI

Die Bolschewiki bringen mehr und mehr Artilleriegeschütze und Truppen in Stellung um Kronstadt angreifen zu können. Ihrer Nachricht, dass die Matrosen sofort die Waffen niederlegen, wird nicht gefolgt und jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit bis Kronstadt durch Waffengewalt eingenommen wird. In der jungen Sowjetunion dürfen keine weiteren Kritiken und abweichende Meinungen mehr ausgesprochen, geschweige denn in die Praxis umgesetzt werden.

Auch der Versuch von „renommierten“ Anarchisten und Anarchistinnen wie Emma Goldman und Alexander Berkman, die versuchen das unausweichliche zu verhindern, wird ignoriert.

„Obwohl Berkmans Appell unbeantwortet blieb, sandte der Petrograd-Sowjet am nächsten Tag, dem 6. März, ein Telegramm an das Revolutionskomitee mit der Frage, ob eine Delegation aus Partei- und Nichtparteimitgliedern des Sowjets Kronstadt besuchen könne, um die Situation zu untersuchen. Ob nun von den Anarchisten veranlasst oder nicht, dies war die erste konstruktive und versöhnliche Geste der Bolschewiki seit dem Ausbruch des Aufstandes. Es ist daher bedauerlich, dass sie abgelehnt wurde. Voller Bitterkeit gegen eine Regierung, die gerade ihre Frauen und Kinder verhaftet hatte, antworteten die Aufständischen, dass sie „dem überparteilichen Status eurer überparteilichen Vertreter nicht trauen.“ Stattdessen verlangten sie, dass die Petrograder Bevölkerung echte parteilose Arbeiter, Soldaten und Matrosen entsenden sollte, die in Anwesenheit von Kronstädter Beobachtern ausgewählt würden, plus maximal 15 Prozent kommunistische Delegierte, die vom Petrograder Sowjet ernannt werden sollten. Diese Antwort, abrupt und unnachgiebig, erstickte den Vorschlag effektiv im Keim. Danach gab es keine weiteren Bemühungen der Regierung, eine Einigung mit den Aufständischen zu erzielen.“ Paul Avrich, Kronstadt 1921

Die aufständischen Matrosen und Arbeiter stehen jetzt ganz alleine, den Verleumdungen der Bolschewiki ausgesetzt, nur noch ein Wunder kann ihre ernsthafte und kritische Lage retten. Alle revolutionären Ansätze, die sowohl die Herrschaft von Lenin und Trotzki, als auch von den Bolschewiki bedrohten oder in Frage stellten, sind mit Waffengewalt niedergestreckt worden. Die anarchistische Bewegung und die Sozialrevolutionäre waren die Ersten, die dies am eigenen Leibe erfuhren.

In der Ausgabe Nummer sechs der aufständischen Zeitung Izvestiia wurde am sechsten März prophetisch vorausgesehen und mit großer Acht gewarnt, dass „Ihr, Gefährten, feiert jetzt einen großen und unblutigen Sieg über die kommunistische Diktatur, aber eure Feinde feiern mit euch. Die Motive eurer Freude und ihrer Freude sind jedoch völlig entgegengesetzt. Während ihr von dem brennenden Wunsch beseelt seid, die wirkliche Macht der Sowjets wiederherzustellen und von der edlen Hoffnung, dem Arbeiter freie Arbeit und dem Bauern das Recht zu geben, über sein Land und die Produkte seiner Arbeit zu verfügen, sind sie von der Hoffnung beseelt, die zaristische Peitsche und die Privilegien der Generäle wiederherzustellen. Ihre Interessen sind andere, und deshalb sind sie keine Mitläufer von euch. Ihr wollt den Sturz der kommunistischen Herrschaft zum Zwecke des friedlichen Wiederaufbaus und der schöpferischen Arbeit; sie wollen ihn zur Versklavung der Arbeiter und Bauern. Ihr wollt die Freiheit; sie wollen euch wieder fesseln. Seid wachsam. Lasst die Wölfe im Schafspelz nicht an die Brücke des Steuermanns heran.“

Die letzten Aufrufe vor dem Sturm werden bald wie Tränen in einem Meer verloren gehen. „Am 6. März veröffentlichte Burtsevs Obshchee Delo, das halboffizielle Organ des Zentrums, einen leidenschaftlichen Appell an alle Emigrantengruppen, sich zur Unterstützung der Rebellion zusammenzuschließen, um nicht die letzte Chance zur Rettung Russlands zu verpassen: Wir leben in einer Stunde, die sich nicht wiederholen wird. Ein untätiger Zeuge der Ereignisse zu bleiben, kommt nicht in Frage. Wir richten einen dringenden Appell an alle Russen und durch sie an unsere Verbündeten, den Kronstädter Revolutionären aktive materielle Unterstützung zu gewähren. Gebt den Aufständischen Waffen, sichert die Lebensmittel für Petrograd. Der Kampf gegen die Bolschewiki ist unsere gemeinsame Sache! Wenn wir uns durch diese schrecklichen Tage quasseln, wenn wir uns nicht aus dem Sumpf der Debatten und Resolutionen herausziehen können, wehe uns, wehe Russland! Wenn Europa, das schon so viele Chancen verloren hat, auch diese verliert, dann wehe ihm, wehe der ganzen Welt!“ Paul Avrich, Kronstadt1921

 

 

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