Gefunden auf Cultura y Anarquismo, die Übersetzung ist von uns.
In verschiedenen Ländern und auf diversen Sprachen findet seit Jahren eine Debatte und Auseinandersetzung statt, die sich mit dem Konzept und der Ideologie des Staatsbürgers und der Staatsbürgerschaft kritisch auseinandersetzt. Von Anfang an haben wir uns schwer getan dieser Debatte einen angemessenen richtigen Namen zu geben. Wie wir sehen können, sind auf anderen Sprachen Ähnlichkeiten – Citizen und Citizenship (Englisch), Ciudadano und Ciudadanismo (Spanisch) und Citoyen und Citoyenneté (Französisch) – zu finden, was auf dem etymologischen Ursprung des Wortes (civitas, aus dem Latein, was Stadt im weitesten Sinne bedeutet) zurück zu führen ist.
Wir haben uns entschieden nicht den Begriff des Bürgers zu verwenden, wie bei dem Titel der Menschenrechtserklärung zu sehen ist (Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte – Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen), weil dieser im deutschsprachigen Raum auch als eine Klassendefinition missverstanden werden kann und dies ist bei anderen Sprachen nicht der Fall, siehe die Auflistung als Beispiel oben. Denn Bürger wird auch gerne als Synonyme für Bourgeoise verwendet, sowie Bürgerlich, Bürgertum, usw. als Bourgeoisie. Deswegen, um auch keine weiteren Missverständnisse zu erzeugen, haben wir uns für den Begriff des Staatsbürgers und Staatsbürgertums entschieden.
Das sprachliche wäre nun geklärt, also wollen wir diese Debatte auch im weitesten Sinne in den deutschsprachigen Raum werfen, falls dies noch nicht stattgefunden hat. Wir wüssten davon noch nichts, obwohl die Debatte in anderen Ländern uns seit langem bekannt sind. Mit dem Text fangen wir auch eine neue Reihe an, die sich mit dieser Thematik beschäftigt.
Der erste Text, der sich kritisch mit diesem Thema beschäftigte, erschien in der Broschüre von Alain C. „Die Sackgasse der Staatsbürgerschaft. Beitrag zu einer Kritik der Staatsbürgerschaft.“ Darin ist folgende minimale Zusammenfassung der Ideologie der Staatsbürgerschaft zu finden:
„Unter Staatsbürgerschaft verstehen wir im Prinzip eine Ideologie, deren Hauptmerkmale folgende sind:
1) der Glaube, dass die Demokratie in der Lage ist, dem Kapitalismus etwas entgegenzusetzen.
2) das Projekt der Stärkung des Staates (oder der Staaten), um diese Politik umzusetzen.
3) die Staatsbürger als aktive Basis dieser Politik.“
Viele Fragezeichen werden sich in kommenden Texte klären, wir wollen und können all dies nicht in der Einleitung einer Übersetzung synthetisieren.
„Staatsbürgerschaft“ Ad-hoc-Ideologie der verallgemeinerten Bourgeoisie.
Zunächst müssen wir klären, was wir mit „Staatsbürgerschaft“ meinen, da sich die revolutionäre Theorie und die Kritik im Allgemeinen im letzten Jahrzehnt mit dieser Aktualität beschäftigt haben.
Wir verstehen Staatsbürgerschaft als eine Ideologie, die im Wesentlichen in diesen demokratisierten Zeiten konfiguriert ist, in denen kapitalistische Nationalstaaten dominieren, mit liberalen Ökonomien, regiert von Parteien der Linken und der Rechten, die dazu neigen, sich gegenseitig zu imitieren, mit einem sozialen Bruch, in dem Politik das exklusive Geschäft der herrschenden Minderheit ist und in dem der Rest in einer unvollkommenen, aber immer verbesserungsfähigen zivilen Ordnung subsumiert ist.
Staatsbürgerschaft muss vom politischen Standpunkt aus verstanden werden; eingerahmt in eine Diskussion über Regierungsführung einerseits und ziviles Verhalten andererseits; immer innerhalb eines demokratischen Staates mit gut etablierten Institutionen und einer Verfassung. Wo die Staatsbürgerschaft ihre Rolle als passiver Teil der Gesellschaft einnimmt, wo die Führer die Gesetze genehmigen, anwenden und durchsetzen, mit einem Apparat legitimer Gewalt, um die Integrität der Individuen, ihre Menschenrechte, ihr Privateigentum usw. zu verteidigen.
In diesem Sinne ist die Staatsbürgerschaft eine Antwort auf die Krise des demokratischen und liberalen Kapitalismus, nicht um sie wirklich zu bekämpfen, sondern um sie zu mildern und zu verbessern. Es ist die Antwort auf die Klimakatastrophe, das Energieproblem, die Nahrungsmittel „Knappheit“, das Finanzdebakel, die Wirtschaftskrise und alle ihre Folgen.
Diese Antwort wird nicht mehr von „politisierten“ Teilen der Gesellschaft gegeben, sondern von denen, die sich als „unpolitisch“ präsentieren, als einfache Staatsbürger, ohne mehr oder weniger, die keine Präferenzen von „links oder rechts“ haben.
Die Ideologie der Staatsbürgerschaft wird von sozialen Schichten hergestellt, die sich Sorgen um ihre Zukunft in einem System machen, das ihnen offensichtlich nicht viel Sicherheit gibt (mit seinem wirtschaftlichen Auf und Ab und den Brüchen in der Führung der Gesellschaft). Diese sozialen Schichten befinden sich in der Mitte zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, daher beziehen wir uns auf das, was Soziologen gerne als Mittelschicht bezeichnen, und auf das, was die revolutionäre kritische Theorie mit der „Aristokratie des Proletariats“ als petite Bourgeoisie bezeichnet.
Dieser Teil der Gesellschaft ist sich darüber im Klaren, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt und trotz des demokratischen Staates die Schwierigkeiten ihres wirtschaftlichen Fortschritts offensichtlich sind, dass sie von einem Moment auf den anderen das wenige Vermögen verlieren könnten, das sie angesammelt haben, dass ihre kleinen Unternehmen von einem Tag auf den anderen in Konkurs gehen, dass sie keine Gewissheit haben, dass sie in ihren Jobs weiterhin die saftigen Prämien erhalten, an die sie gewöhnt sind, usw. Sie erkennen, dass das politische System in ihren jeweiligen Ländern die unmittelbaren Probleme, wie Armut, Kriminalität, Gewalt, Gerechtigkeit und andere, nicht löst. Sie sind sich auch bewusst, dass sie in der liberalen Wirtschaft zu einem blutigen Wettbewerb mit den kapitalistischen Konzernen bestimmt sind, die immer die großen Gewinner sein werden.
Aus diesem Grund geht es bei den staatsbürgerlichen Forderungen um die Einmischung in die Regierungspolitik, um die Verteidigung einer „echten Demokratie“, um die Kritik und Missbilligung schlechter Beamter und Institutionen, um die aktive Beteiligung des einfachen Staatsbürgers an der Verwaltung der Regierung, um die Ethik und Moral des Staatsbürgerseins und alles, was dies mit sich bringt, usw.
Über die Ideologie der Staatsbürgerschaft
Nach dem Scheitern der sozialistischen Revolutionen, dem Aufstieg der Diktatur des demokratisierten Kapitals und dem Niedergang der Vorteile, die das Wirtschaftswachstum des Wohlfahrtskapitalismus der petite Bourgeoise im letzten Jahrhundert verschaffte, hat sich in der Gesellschaft eine Perspektivlosigkeit vieler Gesellschaftsschichten etabliert, vor allem der unteren Schichten der Proletarier, die von Tag zu Tag ohne jede Sicherheit über ihre Zukunft leben; Aber nicht nur diese Sektoren bekommen die Auswirkungen der Krisen und der Umstrukturierung der Wirtschaft zu spüren, auch ein anderer Teil der Gesellschaft, nämlich die petite Bourgeoisie, sieht ihre Interessen beeinträchtigt, indem sie der Unnachgiebigkeit der Sozial- und Wirtschaftspolitik ausgesetzt ist und ihre Illusionen von Wachstum und Wohlstand in der gegenwärtigen Situation untergraben sieht.
Seit Beginn dieses Jahrzehnts sind wir Zeuge, wie in verschiedenen Teilen oder aus verschiedenen Gründen eine Legion verzweifelter Individuen, sei es durch Gewalt, fehlende Möglichkeiten, politische Misswirtschaft, Umweltverschmutzung und andere Ursachen, demonstriert und ihre Zugehörigkeit zur allgemeinen Bevölkerung, wie sie selber sagen, zum Volk, zu allen Staatsbürgern, einfordert.
Sie zeichnen sich dadurch aus, dass diejenigen, die diese Bewegungen anführen, Menschen sind, die wir noch nie auf der Straße gesehen haben, also Fachleute, kleine Geschäftsleute, Demokraten ohne Partei, kleine bürokratische Kader, Facharbeiter.
Neben einer Reihe von Forderungen, deren Besonderheit in der Grammatik ihres entkoffeinierten und pazifistischen Diskurses schlechthin liegt: „Verbesserung der Demokratie“, „dass die Regierung ihre Arbeit gut macht“, „dass das kapitalistische System flexibler wird“, „dass der Reichtum besser verteilt wird“ und eine endlose Liste von Forderungen, mit der Besonderheit, dass sie eine Analyse im Rahmen des Zivilrechts zum Nachteil jeglicher Klassenanalyse aufgreifen.
Aus all dem können wir sie auf diese Weise charakterisieren:
Im Politischen: Sie sind besorgt über das demokratische System, sie sagen, dass die Demokratie nicht so funktioniert, wie sie sollte, deshalb ist es die Pflicht des Staatsbürgers, zu fordern, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, wie z.B. die Änderung von Gesetzen, um das demokratische System inklusiver zu machen, wo Beamte und Institutionen für ihre schlechte Leistung bestraft werden, genauso wie, wenn nötig, nicht bei Wahlen zu wählen, als Zeichen der Nicht-Konformität mit der negativen Einstellung, die von den Politikern, die sie regieren, propagiert wird.
Ökonomisch: Für sie ist das kapitalistische System die einzige Möglichkeit, über die Realität nachzudenken, aber sie glauben, dass Konzerne, Monopole und der Mangel an staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, Störungen wie Krisen verursachen, in diesem Sinne suchen sie auch eine „gutartigere“ Wirtschaft, dass Reichtum besser verteilt wird, dass Armut bekämpft wird, neben anderen Maßnahmen.
Im sozialen Bereich: Angesichts des Panoramas der Gewalt und der Zersetzung der Beziehungen im Rahmen der bourgeoisen Gesellschaft appellieren sie an das ethische und moralische Gewissen des „guten Staatsbürgers“ (im Gegensatz zum „schlechten Staatsbürger“), sie fordern auch, dass die Behörden Probleme wie die Unsicherheit, den Drogenhandel, die schreckliche Erziehung in den Schulen lösen, sowie dass der gängige Staatsbürger die Kontrolle über sein Privatleben übernimmt, um „eine bessere Zukunft“ zu ermöglichen.
Die staatsbürgerliche Pest
In letzter Zeit sehen wir in den Nachrichten und anderen Massenmedien immer häufiger staatsbürgerliche Demonstrationen, Werbespots der Wirtschaftsverbände, um Mexiko zu einem besseren Land zu machen, Koalitionen von Medienunternehmen in Reality-Shows, in denen der „unternehmungslustigste“ und der „engagierteste“ Mexikaner ausgezeichnet wird, und mehr von dieser Art von Müll. Auch aus Spanien kommen die Indignados von Democracia Real Ya!, ATTAC und andere; es wimmelt von NGOs der großen Konzerne und von anderen, die von ihnen finanziert werden, die den Armen, den Indigenen, den Behinderten, den kleinen Schildkröten, dem mexikanischen Wolf, usw., usw. helfen. Auch Staatsbürgervereine für verschiedene Anliegen, wie Menschenrechte, alleinerziehende Mütter, Homosexuelle. … sowie linke und rechte Organisationen, die das Spiel und die Witze der Medien, NGO’s und Staatsbürgervereine, die sieaufdem Weg finden, mitspielen.
Die Pest des Staatsbürgertums ist seit den Protesten des letzten Jahrzehnts gegen die Globalisierung, den alternativen Gipfeln und anderen solchen Festen, wo immer die Positionen der Sozialdemokratie, der parteilosen Demokraten und alternativen Hippies aller Art vorherrschten, wo immer versucht wurde, den Protest zu spalten, zwischen den „guten Staatsbürgern“ auf der einen Seite und den „Vandalen“, die im friedlichen Protest keine Stimme haben oder beschwichtigt werden, eingefallen.
Ein weiteres Beispiel ist die massive Entlarvung von staatsbürgerlichen Ideologen par excellence, die ihre Bestseller nach Belieben verkaufen, wie die linken Staatsbürger Noami Klein, Antonio Negri, Noam Chomsky und viele andere, sowie die rechten Staatsbürger, die sich gegen ihre fehlgeleiteten Mitbürger stellen (wie die Indignados), wie es Fernando Savater, der widerspenstigste Exponent des rechten Staatsbürgertums (einst ein Träumer und Philosoph der Anarchie), kürzlich tat.
Das oben Gesagte stellt nur eine kurze Skizze der Staatsbürgerschaft als einer lähmenden Ideologie der Bourgeoisie dar, die sich wie die Cholera auf dem Terrain des politischen Angebots des Augenblicks ausbreitet, einem Terrain, auf dem das Kapital nicht aufhört, über eine krude Realität zu stolpern, die keine Lösung zu haben scheint.
Grupo Anarco Comunista