Einleitung der Soligruppe für Gefangene, an erster Stelle wollen wir diesen Text unserem Gefährten „dicke Lippe“ widmen, einem wahnsinnigen Anarchisten, von denen es leider zu wenige gibt und auch ohne ihn diese Übersetzung mit vielen Verständnisfehlern gewesen wäre. An zweiter Stelle wollen wir noch einer weiteren Person diesen Text widmen, nämlich dem „Bären“, weil dieser uns mit der Thematik der Avantgarde, Kader und III.Internationale auf die Nerven geht und dieser Text ihm hoffentlich hilft, etwas Klarheit in seinen Fragen zu finden. Drittens wollten wir kurz sagen, warum wir diesen Text ins Deutsche übersetzt haben. Nämlich weil es immer gut ist, weitere anarchistische und revolutionäre Texte in Umlauf zu bringen, um Debatten und Praxis anzuregen. Der Hauptgrund aber ist die zeitgenössische Wiedergeburt des leninistischen Kadavers, wir beziehen uns auf die nervigen Themen, die oben kursiv stehen, der sich jetzt aber auch als anarchistisch tarnt.
„Der autoritäre Gefährte ist ein Gefährte, der sich bewusst für die Freiheit entscheiden will. Er hat keine Angst, im Gegenteil, all sein Handeln zielt darauf ab, mit der Vergangenheit, mit der Tradition zu brechen. Die Akzeptanz der autoritären Struktur ist das kleinere von zwei Übeln für den Militanten, der sich naiv davon überzeugt, dass ohne Opfer nichts Dauerhaftes erreicht werden kann. Aus diesem Grund ist er bereit, das äußerste Opfer zu bringen, das Opfer seiner eigenen Freiheit. Darin liegt die Tragödie. Ein Mensch, der für die Freiheit kämpft, endet damit, dass er diese in der Illusion opfert, er kämpfe weiter für sie.“
Hier in Berlin blühen in den sogenannten anarchistischen Kreisen, die sich sehr der kurdischen und auch der plattformistischen Sache verbunden fühlen, die Debatten um Fragen wie Avantgarde und Kader.
Nun, wir befürworten aus tausend und einem Grund diese Konzepte nicht, sind uns deren Ursprung sehr bewusst, sowie der naiven Erwartungen, ja sogar Wünschen, derer, die sich aus einer angeblichen anarchistischen Position diesen Konzepten hingeben, sehr bewusst. Im Gegensatz vieler Meinungen zur Debatte unter Anarchist*innen, finden wir es sehr wichtig und notwendig mit allen Anarchist*innen zu diskutieren. Der Scheideweg liegt nicht an der Tatsache, dass wir alle evtl. gewisse Frage anders betrachten, sondern eher die Unfähigkeit eben miteinander zu diskutieren.
Dies mag jetzt einigen sehr naiv von unserer Seite aus erscheinen, aber wir fanden noch nie irgendeine Diskussion und den Versuch mit anderen Praxis zu entwickeln als ein Problem, sondern eher dass dies zu wenig praktiziert wird. Und damit meinen wir egal welchen Menschen, der alle Gründe hat die Herrschaft des Kapitalismus und dessen Verwaltung, den Staat, sowie alle Formen der Herrschaft wie Patriarchat, Rassismus usw. niederzustrecken.
Dieser Text reiht sich in die verschiedenen Textreihen ein, die wir zu verschiedenen Themen veröffentlichen, wie die Kritik an Militanz-Organisation, Militante, Postmoderne, Organisation als solche (nicht zu verwechseln mit der Organisation an sich und sich für sich zu organisieren), Postmoderne und Leninismus. Einige Texte zu diesen Themen haben wir schon veröffentlicht, der Rest wir in kommender Zeit erscheinen.
Soligruppe für Gefangene
Originaltitel: Avanguardia, perche? Veröffentlicht in Movimento e progetto rivoluzionaria Edizioni Anarchismo — Nuovi contributi per una rivoluzione anarchica — 1 — 1977. Ins englische übersetzt von Jean Weir. Die Übersetzung ins Deutsche ist von uns.
Alfredo M. Bonanno – Warum eine Avantgarde?
Die folgenden Ideen zielen darauf ab, auf das Problem der Beziehungen zwischen der Bewegung der Ausgebeuteten und der revolutionären anarchistischen Bewegung einzugehen.
Die Schlussfolgerung ist sehr einfach und stellt den Ausgangspunkt einer Überlegung dar, die wir allen Gefährten vorschlagen: Man arbeitet nicht innerhalb der Umzäunung der spezifischen anarchistischen Bewegung für die Revolution, sondern außerhalb in der Realität der Kämpfe, die uns in diesem Moment nicht anwesend sehen. In diesem Sinne hat die anarchistische Bewegung noch einen langen Weg vor sich. Angesichts der Dringlichkeit der Situation ist es für alle aufrichtigen revolutionären anarchistischen Gefährten unerlässlich geworden, über die Wege und Bedingungen nachzudenken, sich zu organisieren, um im libertären Sinne zur Ausweitung der gegenwärtigen Situation von Krisen und Unbehagen beizutragen.
Die Zeit des Zögerns und Wartens ist vorbei. Wer immer für den revolutionären Kampf zur Verfügung steht, möge seine Gefährten suchen und sich nicht dem Warten auf ein Zeichen oder eine Klarstellung seitens der konkreten Bewegung hingeben.
AMB
Warum eine Avantgarde?
Mit dem Problem der Avantgarde haben sich alle bewussten Revolutionäre der Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt. Sie fürchten ihre Gefahren und versuchen herauszufinden, was sie verursacht und wie sie beseitigt oder ihre Auswirkungen abgeschwächt werden können.
Für Anarchisten ist das Problem weitaus gravierender. Sie akzeptieren nicht die politischen Absichten, die andere Revolutionäre in ihrer Eile, die Macht zu übernehmen, letztendlich rechtfertigen.
Gleichwohl produzieren Anarchisten am Ende auch Avantgarden, aber sie hüten sich davor, sie so zu nennen, ein Wort, das sie verabscheuen. Aber wir haben keine Tarnung, mit der wir die Realität verschleiern könnten, und wenn dazu Strukturen gehören, die denen der Autoritäten gleich oder ähnlich sind, dann ist es sinnlos, diese Tatsache einfach mit anderen Worten verschleiern zu wollen.
Ist dann eine Avantgarde notwendig?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Anarchisten neigten bisher dazu, den Kopf in den Sand zu stecken, in der Hoffnung, das Problem durch den Gebrauch von Metaphern zu lösen.
Wir sind der Meinung, dass wir einen Schritt nach vorne machen müssen und riskieren, diejenigen zu verärgern, die hartnäckig an ihren Positionen festhalten wie derselbe alte Krake auf demselben alten Felsen.
Viele haben das Problem abgekürzt, indem sie einfach erklärten, dass eine Avantgarde notwendig sei. Indem sie die zugrundeliegende Ideologie – die immer im Anarchismus präsent ist – in eine autoritäre Richtung drängen, ziehen sie die Ärmel hoch und machen sich an die Arbeit. Mit Hilfe einiger extrem destillierter und verfeinerter Theorien fangen sie an, geheimnisvolle Konstruktionen aufzubauen, die Maximen der Kontrolle und Auswahl sind.
Eine solche Position unterscheidet sich nicht wesentlich von denen, die kategorisch leugnen, dass es so etwas wie eine Avantgarde im Anarchismus gibt, und sich weigern, die Realität so zu sehen, wie sie ist.
Diese Tendenz – gewöhnlich in humanistische Rhetorik verpackt, die an nebulösen Idealismus grenzt – ist der eingeschworene Feind des ersteren, dem sie vorwirft, der unheimlichste, als Anarchismus getarnte Leninismus zu sein. Auf der anderen Seite ersetzt der scharfsinnigere Teil der Bewegung, der sich der Schwierigkeiten bewusst ist, die mit dem Versuch verbunden sind, einen Teil der Führung zu rechtfertigen, den Begriff „Avantgarde“ durch „aktive Minderheit“ und ähnliche Euphemismen.
Das Problem ist jedoch nicht nur eine Frage der Worte. Es geht uns nicht darum, einen Begriff durch einen anderen zu ersetzen und zu erklären warum, sondern wir versuchen, den Problemen auf den Grund zu gehen, zu denen ein solches Konzept führt.
Und die Frage ändert sich nicht, wenn wir das „Ding“ als Avantgarde oder als aktive Minderheit bezeichnen.
Was ist dieses Ding dann? Was ist eine revolutionäre Avantgarde?
Die Antwort sieht einfach aus: Es ist ein organisches Ganzes, das sich aus den Individuen zusammensetzt, aus denen es besteht. Diese Organisation neigt dazu, sich von der revolutionären Bewegung, die sie hervorgebracht hat, abzuschneiden und sich ihr aufzudrängen.
Betrachten wir das in Etappen.
Es gibt viele Möglichkeiten, die Notwendigkeit einer spezifischen Organisation zu rechtfertigen, die sich bestimmter Probleme annimmt, die Massenorganisationen nicht lösen können. Offensichtlich müssen diejenigen, die diese Organisation bilden, drei Eigenschaften haben: a) Wissen; b) Einsatz; c) Zeit. Macht etabliert sich eher auf der Grundlage von gebieterischem herrischem Wesen als von Autorität im engeren Sinne des Wortes. Wir sprechen von revolutionären Organisationen im Allgemeinen, aber wir sollten diejenigen nicht aus den Augen verlieren, an deren Untersuchung wir besonders interessiert sind, nämlich anarchistische Organisationen. Gerade in letzteren überwiegen Elemente des gebieterischen herrischen Wesens gegenüber der Autorität, wobei das zugrunde liegende Problem intakt bleibt: das des Wachstums und der Konsolidierung einer Organisation (also einer Gruppe von Personen), die die Kontrolle über den Rest der Bewegung ausübt.
Die Revolution ist in erster Linie ein organisatorisches Ereignis, so dass es kein Wunder ist, dass ein Prozess der organisatorischen Überlappung stattfindet, wenn sich Basisorganisationen vervielfältigen. Dies könnte (zumindest in der Anfangsphase) durchaus begrenzt werden, indem auf die Fragen hingewiesen wird, mit denen sich eine solche Organisation befassen und sie durch eine Abberufung ihrer Delegierten kontrollieren sollte. Wir werden sehen, warum solche Mittel (Beschränkung der Aufgaben und Abberufung der Delegierten) sehr zerbrechliche Bollwerke darstellen und wie diese oft einfach zur Gewissenslösung, d.h. als Alibi, und nicht als Instrumente zur Begrenzung der Macht als solcher benutzt werden.
Wenn die Konterrevolution loslässt, neigt diese Gruppe dazu, sich in sich selbst zu verschließen. Unterdrückung und Klandestinität führen dazu, dass sie sich in eine militarisierte Gruppe verwandelt, die (plötzlich oder allmählich) ihre Beziehung zu den alten Basisorganisationen verliert, die als erste der Unterdrückung erliegen. Zu anderen Zeiten spaltet sich die vorherrschende organisatorische Gruppe in eine Reihe separater oder koordinierter Gruppen auf, die – noch immer zahlenmäßig begrenzt – den Kampf weiterführen und oft diejenigen aus der Basisorganisation hinzuziehen, die es vorziehen, in die Klandestinität zu gehen. Wir haben es hier mit einer extremen Situation zu tun, die den Wert der zu anderen Zeiten geleisteten Arbeit mindert, wenn die Konterrevolution die revolutionäre Bewegung relativ ruhig lässt. Aber die Probleme, die sich aus dieser Radikalisierung ergeben, sind keine anderen als die, die bereits in einer selteneren, offensichtlicheren Form bestanden.
Die Bedingungen, die zur Bildung der Avantgarde führen, sind daher mit der Entwicklung der revolutionären Tätigkeit selbst verbunden. Es entsteht eine Organisation, die aus Männern und Frauen – den besten verfügbaren – gebildet wird, und mit ihr die Gefahr, dass sie anfängt, gemäß der Logik aller Organisationen selbständig zu argumentieren, wobei ihr eigenes Überleben zu ihrer Priorität wird.
Eine solche Schlussfolgerung scheint die Unvermeidbarkeit einer Avantgarde zu implizieren, doch im Gegenteil, ich glaube, dass es möglich ist, über eine Minderheitenlogik hinauszugehen. Damit dies jedoch deutlich wird, müssen einige Punkte berücksichtigt werden.
Die organisatorische Frage
Ohne Organisation ist nichts möglich. Das menschliche Leben würde aufhören und alles würde ins Chaos fallen. Organisation ist für den Menschen so unentbehrlich, dass jede Verbesserung dieser, auch wenn sie von Tyrannen durchgeführt wird, als etwas Positives zu betrachten ist. Der Gedanke des Fortschritts selbst wäre nie entstanden, wenn Organisation für den Menschen nicht unerlässlich gewesen wäre. In diesem Sinne ist Geschichte, wenn sie die Entwicklung von etwas ist, dann ist sie die Entwicklung von etwas Organisiertem.
Die Machtstruktur ist eine ziemlich raffinierte Organisation, die danach strebt, Ziele zum Wohle einer Minderheit zu erreichen. Die Mehrheit ist damit beschäftigt, diese Ziele zu erreichen. Aber wir können nicht leugnen, dass die Interessen der Minderheit auch gewisse positive Aspekte für die Mehrheit haben. Letztere würde sonst rebellieren oder sterben, und die Ziele der Minderheit würden nicht erreicht werden.
Die Machtstruktur ist voll von Zweckdienlichkeiten, um das Maximum zu erreichen und gleichzeitig das Minimum zu geben. Sie arbeitet diese Mittel aus und setzt sie in die Tat um, wobei sie diese von Zeit zu Zeit im Verhältnis zum Kampf der Mehrheit, d.h. der Ausgebeuteten1, modifiziert.
Letztere haben als Ergebnis verschiedener – allesamt dramatischer – Kampferfahrungen eigene Organisationen entwickelt, um den Kampf effektiver zu gestalten. Diese sind nach und nach in die Logik der Ausbeutung eingetreten und zu einem integralen Bestandteil von ihr geworden, zeitgleich mit der Entdeckung der Macht über die Unhaltbarkeit des Absolutismus und der Idiotie des faschistischen Irrationalismus.
So entstand die demokratische Macht, eine Organisation, die weiterhin die Mehrheit zum Nutzen der Minderheit ausbeutet, dies aber indem sie sich die eigenen Verteidigungsorganisationen der Mehrheit zu Hilfe nimmt.
Was dies außerdem ermöglicht hat, ist die Tatsache, dass die Verteidigungsorganisationen der Mehrheit fast immer erst nach ihrer Legalisierung in Kraft getreten sind.
Organisatorische Tätigkeit sollte jedoch nicht unbedingt als etwas gesehen werden, das von außen durch Spezialisten aufgebaut wird, die Entscheidungen nach ihren eigenen Zielen treffen. Diese Interpretation enthält zwei grundlegende Fehler: das, was man den biologischen Fehler nennen könnte, und den funktionalistischen. Nach dieser Denkweise muss sich eine Organisation mehr oder weniger wie ein Organismus strukturieren (Kopf und Glieder haben, also eine Hierarchie) und die wesentlichen Anforderungen an Effizienz und Funktionalität erfüllen. Wenn die ausgebeutete Mehrheit sich nicht verteidigen kann, weil sie in einzelne Einheiten zerstreut ist (wie die Zellen des organischen Gewebes), müssen wir diese Zellen zusammenfügen und einen Körper mit einer wertvollen Struktur (d.h. Gewerkschaften und Vereinigungen im Allgemeinen) aufbauen, die den angestrebten Zielen entspricht, um sich den Bossen im Prozess der Ausbeutung entgegenzustellen und die Mehrheit zu verteidigen.
Die Rechtfertigung dafür ist das Konzept, dass, weil die Struktur der Bosse monolithisch ist, dies auch für die Verteidigungsstruktur gelten sollte.
Die biologisch-funktionalistische Analogie dominierte auch im Bereich der politischen Verteidigung, da die Parteistrukturen mit dem Niedergang der absolutistischen Staaten an Bedeutung gewannen.
Die Rechtfertigung, die Monolithizität des Staates.
Das alles ist recht erbärmlich. Die große Ironie der Geschichte liegt in der Tatsache, dass die Macht selbst über die Bedingungen der großen Verteidigungsorganisationen zu entscheiden hatte. Diese Bedingungen wurden auf einer organischen und funktionalen Grundlage produziert, oft als unfreiwillige Folge bestimmter Veränderungen innerhalb der Machtstruktur selbst. Es ist klar, dass ein Verteidigungsorganismus ein Produkt einer bestimmten historischen Epoche ist und sich fast immer in einer genauen Beziehung zu der Machtstruktur konsolidiert, die ihn bedingt und möglich macht.
Eine unglaubliche Anzahl von Gefährten behauptet, revolutionär zu sein, besteht jedoch auf der Gültigkeit der Nutzung der Verteidigungsstrukturen der Ausgebeuteten. Sie sehen letztere als Instrumente des Kampfes, ohne sich der engen Abhängigkeitsbeziehung bewusst zu sein, die zwischen ihnen und den Machtstrukturen besteht.
Aber die Geschichte hat zur Klärung dieser Frage beigetragen. Jedes Mal, wenn die Ausgebeuteten von der Verteidigung zum Angriff übergegangen sind und ein revolutionärer Mechanismus in Kraft getreten ist, haben sich andere Arten von Organisationsstrukturen herausgebildet.
Das Problem der großen Verteidigungsorganisationen der Ausgebeuteten ist nicht die Tatsache, dass es sie gibt – etwas Natürliches und Unausweichliches -, sondern gerade die defensive Dimension, die sie angenommen haben. Deshalb „kopieren“ sie die Organisationen des Gegners und verwenden die gleiche Logik.
Auf der anderen Seite reproduzieren Angriffsorganisationen nicht den biologischen Funktionalismus der defensiven Organisationen. Diese Organisationsformen haben nicht die Absicht, zu einer großen monolithischen Struktur zu werden, so dass der Prozess des Aufbrechens weitergehen kann. Sie wollen nicht das Modell des Gegners reproduzieren, indem sie dieselbe Logik anwenden. Es stimmt zwar, dass auch Verteidigungsorganisationen zum Angriff mobilisiert werden können, aber dies entpuppt sich als ein militärischer Zusammenstoß, der revolutionär aussehen mag, der aber kein anderes Ergebnis haben kann als das Fortbestehen der alten Macht oder die Geburt einer neuen, möglicherweise tyrannischeren Macht als die erste.
Angriffsorganisationen hingegen entstehen auf der Grundlage einer sozialen Logik, die die Bedürfnisse der Menschen, den Grad der Ausbeutung und das Ausmaß der Radikalisierung, das der Zusammenstoß erreicht hat, berücksichtigt.
Diese Organisationen leiden nicht unter funktionalistischen Illusionen. Sie können nicht verbessert werden, sie hoffen nicht auf „Wachstum“. Sie versetzen sich auch nicht in die Logik eines „Dialogs“ mit der Macht. Sie sind für die Zerstörung aller Macht von dem Augenblick an, in dem sie auftauchen, so dass sie in ihrer eigenen Logik bereits „vollständig“ in sich selbst aufgehen. Sie können sich natürlich vom Standpunkt der Taktik, der Vorbereitung ihrer einzelnen Komponenten oder der Aspekte des militärischen Konflikts her vervollkommnen. Aber was den organisatorischen Aspekt anbelangt, so gibt es nichts zu verbessern und umgekehrt. Sie liegen jenseits der Logik der Macht. Sie sind „Gesetzlose“.
Da sie kein quantitatives Wachstum anstreben, brauchen sie weder einen „Kopf“ noch „Glieder“. Sie orientieren sich an der Realität der Ausbeutung, die sich in dem Moment, in dem sie die Macht angreifen, in ihrer organisatorischen Vollständigkeit zeigt. Sie haben nicht eine Funktion unter anderen, sondern die „endgültige Funktion“ der Machtzerstörung.
Es ist nicht wichtig, hier zu beschreiben, welche Formen diese Angriffsorganisationen in der Geschichte der Ausgebeuteten (Räte, Sowjets, Komitees usw.) angenommen haben oder in naher Zukunft annehmen könnten. Wir sind auch nicht daran interessiert, ein wichtiges und unmittelbar offensichtliches Merkmal dieser Organisationen zu erörtern, nämlich die Autonomie.
Im Gegenteil, wir halten es für notwendig, über zwei Dinge nachzudenken: a) dass diese Organisationen nie das Individuum aus den Augen verlieren (das auch eine Organisation ist); b) über den zerstörerischen Moment, in dem sie zu einem Modell für den Aufbau der zukünftigen Gesellschaft werden.
Jetzt sind wir auf ein neues Problem gestoßen. Das einzelne Individuum ist eine Organisation, oder besser gesagt, es ist die grundlegende Organisation. Hier verschwindet die Verwirrung bezüglich eines scheinbaren Widerspruchs zwischen Individualismus und anarchistischem Kommunismus. Während ersterer manchmal seltsam absurde Haltungen einnimmt (die Verteidigung des kleinen Eigentums, der Wille zur Macht, die Geringschätzung des kommunistischen Lebens usw.), handelt es sich dabei zumeist nur um isolierte Haltungen, die wenig Kontakt mit der Realität der Kämpfe der Ausgebeuteten hatten. Ein typischer Fall ist der der Humanisten, die sich selbst im Anarchismus wiedererkennen, aber, behindert durch ihre idealistische Interpretation der Wechselfälle des Menschen, am Ende die wesentliche Grundlage des Verhältnisses zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten verlieren. Sie bringen die Attribute des alten Gottes auf die Erde und verwandeln sie in einen neuen Mythos, ganz ähnlich wie der alte, der nur den Machtplänen diente.
Diese Art von Individualismus ist eindeutig eine Verzerrung der rationaleren Doktrinen des Egoismus. Er leugnet das Konzept der Organisation und neigt dazu, den Menschen so zu sehen, dass er sich ständig innerhalb einer animalischen Dimension des Kampfes um das Leben verwirklicht. Er sieht die kommunistische Dimension als Verneinung der menschlichen Entwicklung, als Opfer des Individuums für die gute Gesellschaft. Er kämpft für die Befreiung des Individuums außerhalb einer kommunitaristischen Perspektive und vermeidet die grundlegende Prämisse, dass die Sklaverei eines einzelnen Individuums in der Welt auch meine eigene ist.
Im Gegenteil, wenn der Individualismus richtig gesehen wird, geht er von dem Konzept aus, dass das Individuum, obwohl es vom Standpunkt der sozialen Dynamik aus einfach und grundlegend ist, bereits eine komplexe Organisation ist. Diese Organisation kann präzise Beziehungen zu anderen Organisations-Individuen herstellen und ist in der Lage, sie zu verändern oder zu regulieren. Sie kann sich sogar im absoluten Opfer, in der bewussten Negation ihres eigenen Todes verwirklichen, wenn dies notwendig erscheint, um die Beziehung zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem, die das Individuum der Organisation unvollständig und unglücklich macht, umzukehren.
Der höchste Egoismus, d.h. die Autonomie, ist die organisatorische Vervollkommnung des Individuums, eine präzise Beziehung, die andere Organisationen – Individuen – nicht beeinträchtigt.
Eine angemessene Darstellung dieses Problems ist für den Anarchismus äußerst wichtig. Sie führt zu einer klareren Sicht des Kampfes gegen Ausbeutung, auch wenn dies in verwirrenden Situationen oder in nicht ganz orthodoxen Organisationsformen geschieht. Zur Verteidigung ist zu sagen, dass anarchistische Strukturen oft jede Form des Kampfes verurteilen, die unabhängig von ihnen selbst produziert wird, indem sie sie als individualistisch im negativen Sinne des Wortes betrachten und sie als „objektiv provokant“ brandmarken.
Für den Individualismus ist der wesentliche Punkt, dass der Einzelne eine autonome Organisation ist, die gewöhnlich gegen das reagiert, was von der Macht festgelegt wurde, oft indem sie ihre eigenen Regeln ausarbeitet, sich klärt und die Initiative ergreift. In diesem Moment setzt ein präzises moralisches Ereignis ein: Das Individuum, das nicht länger ein unbewusstes Instrument in den Händen der Macht ist, erwirbt eine autonome Perspektive, die im Wesentlichen organisatorischen Charakter hat.
Der andere Aspekt des organisatorischen Moments, den wir als „Angriff“ definiert haben, ist seine Vorbereitung als zerstörerisches Instrument, um auf die Realität der Ausbeutung einzuwirken, und als Modell, auf dem man aufbauen kann, sobald diese Beziehung abgeschafft ist.
Die objektiven Bedingungen drängen die große Masse der Ausgebeuteten, nach diesen organisatorischen Modellen zu suchen, die durch die Macht des Gegners behindert werden. Wenn die schwere Machtstruktur irgendwann beginnt, Anzeichen von Schwäche zu zeigen, müssen Bedürfnisse und Probleme anders angegangen werden. Normalerweise baut die Masse beim Aufbau von Angriffsformen auch Formen auf, um die Probleme des Überlebens zu lösen. Letztere sind sehr bedeutsam, weil sie auf kommunistischen Beziehungen beruhen.
Die Illusion der Quantität
Das Hauptelement der organisatorischen Strukturierung der Verteidigung ist das quantitative Wachstum. Dies wurde durch die Logik der Macht bedingt.
Je größer die Zahlen, desto mehr wird eine Organisation als bedeutend, stark, bekannt und wichtig angesehen. In diesem Sinne muss, wenn die Machtstruktur die stärkere Organisation ist, wenn sie ihren Höhepunkt erreicht hat und alle Erscheinungsformen des damit verbundenen Lebens umfasst, jede Organisation, die sich ihr entgegenstellen und die Rechte der großen Mehrheit der Ausgebeuteten vertreten will, danach streben, so stark wie möglich zu sein.
Auf den ersten Blick scheinen solche Aussagen ganz und gar nicht ungewöhnlich zu sein. Und das sind sie auch, wenn man sich in die Logik der Macht hineinversetzt. Wenn wir uns gegen eine böse Macht verteidigen wollen, müssen wir ihr eine gute Kraft entgegensetzen, d.h. eine Kraft, die, wenn schon nicht gleich stark, so doch zumindest stark genug ist, um sie zu erschrecken. Aber auf diese Weise begibt man sich in die Logik der Macht, ohne sich bewusst zu sein, dass jede signifikante zahlenmäßige Zunahme einfach das Klassenverhältnis verschiebt, ohne es tatsächlich in Frage zu stellen. Es schafft keine Klassen ab.
Indem die Macht revolutionäre und reformistische Organisationen auf die quantitative Illusion lenkt, hat sie einen großes Erfolg erzielt. Sie hat letztere auf organisatorischer Ebene ausgeglichen und die Unterschiede auf denjenigen reduziert, der am lautesten schreit. Und wir wissen sehr wohl, dass derjenige, der am lautesten schreit, oft am ehesten bereit ist, plötzlich mit dem Schreien aufzuhören oder für die andere Seite zu schreien.
Revolutionäre Organisationen können nicht quantitativ wachsen. Wenn sie es doch tun, dann wird der Unterschied zwischen Revolutionären und Reformisten in der Logik der Macht nicht mehr als eine Frage der Semantik, etwas, das die Macht nicht fürchtet.
Natürlich erwischt die Quantität die Reformisten nicht unvorbereitet. Verrat ist in ihrem Diskurs implizit enthalten, ebenso wie ihre Einfügung in Beziehungen, die von der Macht gesteuert werden. Jetzt, da sie von den Ausbeutungsstrukturen dominiert werden, spielen sie die Rolle aus, die ihnen in der modernen liberal-sozialen Ordnung zugewiesen wurde.
Auf der anderen Seite fallen auch gutgläubige Revolutionäre der quantitativen Illusion zum Opfer. Das ist der Punkt, der uns am meisten interessiert und auf den wir hier eingehen wollen.
Ein revolutionärer Gefährte muss bis zum Beweis des Gegenteils als gutgläubig angesehen werden. Fragen der Aufklärung und Kritik dürfen niemals auf persönlicher Ebene gestellt werden, sondern müssen sich auf die Entscheidungen des Gefährten und die Konsequenzen, die sie für die gesamte Organisation haben, konzentrieren. In diesem Sinne muss der gute Glaube des Gefährten durch eine entschlossene Aktion auf die Probe gestellt werden, die den Dingen auf den Grund geht und nicht beim Schein stehen bleibt, mit anderen Worten durch eine durchdringende Aktion, die sich nicht auf das Feld der abstrakten revolutionären Ideologie beschränkt.
Die quantitative Illusion ist für autoritäre Gefährten sehr wichtig, aber immer innerhalb gewisser Grenzen. Sie erkennen, dass sie auf dem falschen Fuß anfangen und dass es nicht möglich ist, über etwas hinauszugehen, das lediglich Teil realer Kampfsituationen werden möchte. Leider ziehen sie es oft vor, darauf zu warten (d.h. erleichtert zu werden), dass dies durch einen Moment zustande kommt, indem sich die Ereignisse überstürzen. Sie gehen dazu über, starke Organisationen aufzubauen, die nur dem Anschein nach revolutionär sind, da sie in Wirklichkeit Verteidigungsorganisationen sind, also Verlierer, bevor sie beginnen. Das zahlenmäßige Wachstum der letzteren führt die Gefährten dazu, diese Illusion zu fördern. Es gibt ihnen das Gefühl von Stärke und Sicherheit. Sie wachsen also beständig in diese Richtung, was genau das ist, was die Macht will: die Akzeptanz eines harmlosen Ausdrucks der Revolution als etwas, das quantitativ und nichts anderes ist, so dass sie leicht in die Logik des Machtsystems zurückgezogen werden kann.
Die Illusion der Quantität ist absolut entscheidend für anarchistische Organisationen, die nicht nutzlos, steril und kontraproduktiv werden dürfen, ihr Wachstum ist einfach quantitativ. Es wäre auch nicht plausibel, wenn sie einfach darauf warten würden, dass sich die Ereignisse beschleunigen. Anarchisten wären nicht in der Lage, innerhalb von etwas zu handeln, das als Verteidigungsorganisation strukturiert ist, da sie nicht bereit wären, es in eine Pyramidenstruktur zu verwandeln. An einem radikalen Punkt des Kampfes, wenn sich die Ereignisse überstürzen, wären sie gezwungen, ihre Organisation auf den Prüfstand zu stellen, diese zu zerstückeln und sie wieder in die elementare Form zu bringen, die sie von Anfang an hätte haben sollen. Ein Großteil der Geschichte des Anarchismus lässt sich an dieser Optik ablesen: das Scheitern der russischen Revolution, die Umwandlung der spanischen in eine autoritäre, usw.
Viele Anarchisten spielen jetzt die Rolle der Penelope und weben mit dem, was sie kennen, was sie genau in dem Moment aufbringen können, in dem die Ziele, für die sie kämpfen, erreicht werden können. Abgesehen von einigen Randbemühungen unterscheiden sich die gegenwärtigen Organisationsformen der anarchistischen Bewegung nicht von jeder anderen Organisation, die weit von der Realität des Kampfes entfernt ist. Diese Organisationen müssen die quantitative Logik akzeptieren, wenn sie nicht anachronistisch (oder elitär) erscheinen wollen, auch wenn sie wissen, dass eine solche Logik unweigerlich dazu führt, dass sie die Grundprinzipien des Anarchismus verleugnen oder das, was sie gerade aufgebaut haben, völlig zunichte machen.
Wenn man an der Illusion der Quantität festhält, muss man zwangsläufig die Rolle der Avantgarde akzeptieren. Dagegen haben Autoritäre nichts einzuwenden. Anarchisten hingegen haben sehr viel dagegen. Leider verwandelt sich dieses „gegen“ die Avantgarde oft in eine sterile Debatte, wobei sich das Argument oft auf den Unterschied zwischen autoritären und libertären Strukturen bezieht. Dieser Punkt verdient es, weiter ausgeführt zu werden.
Autoritäre Gruppe und libertäre Gruppe
An dieser Stelle wollen wir auf das Konzept der Gruppe eingehen. Bisher haben wir über Organisation gesprochen und verschiedene Organisationen verglichen, die objektiv unterschiedlich sind, die aber alle die Logik der Verteidigung, also der Macht, entlehnen. Diese Organisationen unterscheiden sich in vielen Aspekten, aber sie haben einen grundlegenden Aspekt gemeinsam, nämlich ihre Fähigkeit, von der Macht Gebrauch zu machen. Organisationen für ökonomische Verteidigung, politische Verteidigung, reformistische Organisationen und revolutionäre Organisationen sind alle gleich – die Worte sind gleichbedeutend – wenn sie in Formen arbeiten, die außerhalb des Kampfes liegen.
Innerhalb dieser Einheitlichkeit gibt es jedoch einen Unterschied zwischen einer Struktur nach Gruppen und einer Struktur nach Sektionen oder anderen Synonymen, die normalerweise Gewerkschaften und Parteien kennzeichnen. Wenn wir genau hinsehen, können wir einen Schein der Realität finden, der zwar immer noch außerhalb der Realität des Kampfes liegt, aber den Anspruch erhebt, einen Unterschied zu machen. Die Struktur, die sich aus Gruppen zusammensetzt, betrachtet sich selbst als libertär und wirft den anderen vor, autoritär zu sein.
Im Grunde ist es leicht, diesen Vorwurf zu erheben, da er von den Verantwortlichen der autoritären Parteien und Organisationen selbst begrüßt wird. In der Tat werden Zentralkomitees, Hierarchien und ähnliche Vorkehrungen nicht verschwiegen, sondern durch eine Reihe von Diskursen über die Notwendigkeit des Anführers, die Repräsentation, eine Übergangszeit und andere Phantasien gerechtfertigt, die hier nicht erwähnt werden müssen, weil sie so alt wie die Welt sind.
Andererseits wird eine gruppenorientierte Struktur als die Grundlage jeder libertären Organisation angesehen. Das ist richtig, aber wir müssen wissen, von welcher Art von Gruppen wir sprechen. Nichts hindert autoritäre Organisationen daran, sich auf Gruppen zu stützen, oder daran, dass es tatsächlich autoritäre Gruppen gibt. Tatsächlich sollte die libertäre Struktur nicht als eine typische Gruppenstruktur betrachtet werden, sondern als eine, die von innen heraus charakterisiert ist und sich von den anderen Arten unterscheidet.
Die autoritäre Gruppe hat einen Anführer und eine hierarchische Mikrostruktur. Der Anführer trifft die wichtigsten Entscheidungen, ohne die Gruppenmitglieder zu konsultieren, und trifft sie einzeln und so, dass die anderen nie wissen, wie die nächste Entscheidung aussehen wird. Diese Situation der Ungewissheit macht es möglich, dass die Autorität des Anführers dauerhaft wird, und von Zeit zu Zeit wird er aufgefordert, Aufgaben für alle anderen festzulegen. Nichts hindert avantgardistische Organisationen daran, sich auf diese Weise zu strukturieren. Darüber hinaus ist dies in Situationen der Klandestinität oft ein ganz normaler Zustand.
Die libertäre Gruppe hat keinen Anführer und verfügt über keine interne hierarchische Struktur. Über die Verteilung der Aufgaben wird kollektiv entschieden. Die Verhaltensweise wird von allen Mitgliedern der Gruppe bestimmt, und die Mitglieder können sich dafür entscheiden, eine Aufgabe statt einer anderen zu erfüllen, immer im gemeinsamen Einverständnis. Der Zustand der Ungewissheit, der angesichts eines neuen Ereignisses besteht, lähmt oder traumatisiert niemanden und erfordert auch nicht das Eingreifen eines „Spezialisten“, da jeder Einzelne sich der Situation bereits bewusst ist und bereit ist, sich ihr gemeinsam mit allen anderen zu stellen.
Wenn wir davon ausgehen, dass nur autoritäre Gruppen eine Avantgarde bilden können, müssen wir uns die Bedingungen ansehen, die eine libertäre Gruppe daran hindern würden, eine solche zu bilden.
Nur weil die libertäre Gruppe keinen Anführer hat, heißt das nicht, dass sie nicht in der Lage ist, eine Avantgarde hervorzubringen. Diese einfache Tatsache an sich ist nicht alarmierend, sie wird ernst, wenn die Gruppe in einer Situation außerhalb des Kampfes operiert. Wir wollen sehen, warum.
Wir wollen vor allem sehen, wie sich innerhalb solcher Gruppen Anführer herausbilden. Wir haben gesagt, dass Entscheidungen so offen wie möglich ausgearbeitet werden. Jeder nimmt daran teil. Aber nicht jeder hat das gleiche Niveau der Vorbereitung. Es zeigt sich also, dass sich die Diskussionen in Richtung eines oder mehrerer bestimmter Punkte bewegen, die den Vorstellungen derjenigen entsprechen, die besser vorbereitet sind. Mit anderen Worten, die Mitglieder der Gruppe beginnen sich zu spalten, und zwar nicht aufgrund ihrer eigenen Vorstellungen, die oft recht vage oder oberflächlich sein können, sondern auf der Grundlage einiger Auslegungslinien, die von den besser vorbereiteten Elementen geliefert werden. Dann kommt es zu einem Übergang von der Polarisierung zur Konzentration, in der Regel weil die Thesen der Anführer (inzwischen erkennbar) eine gewisse Übereinstimmung erreichen, d.h. die Divergenzen werden abgestumpft, um Einstimmigkeit zu erreichen. In extremen Fällen, in denen eine Konzentration der Meinungen nicht möglich ist, kommt es zu einem Bruch und in der Folge zu einer Trennung.
Das Problem der Bildung einer Mehrheit und einer Minderheit oder deren libertäre Entsprechung ist hier nicht relevant. Was uns beunruhigt, ist, dass die Polarisierung der Meinungen auf der Grundlage von Interpretationslinien erfolgt, die von einigen Elementen (einer Minderheit innerhalb der Gruppe) geliefert werden, die von den Anführern gebildet werden. Es sollte hinzugefügt werden, dass diese Elemente in der Regel diejenigen sind, die die Gruppe am eifrigsten frequentieren, sich an der gesamten Arbeit beteiligen und sich voll engagieren. Das fällt oft mit einem gewissen Grad an Freiheit von anderen Arten der Arbeit zusammen, die notwendig sind, um zu leben. Ohne auf den Extremfall der revolutionären Professionalität zu verweisen, könnten wir sagen, dass die Anführer von libertären Gruppen gewöhnlich Gefährten sind, denen eine gewisse Zeit zur Verfügung steht, die sie dem Leben der Gruppe widmen. Die Gruppe nimmt unweigerlich ihre Physiognomie, ihre kulturellen und sozialen Merkmale an, die sie unfreiwillig, aber konsequent selbst auswählen.
Das andere große Problem besteht darin, dass es neben der Existenz von Führungspersönlichkeiten oft möglich ist, die Existenz von „Problematiken“ zu erkennen, die von denselben in die Gruppe eingeführt und dann dem Prozess der demokratischen Kontrolle zur Diskussion vorgelegt werden usw. Auf diese Weise werden die Wahl der Kampfmethoden, die theoretischen Grundlagen und die verschiedenen politischen Positionen außerhalb der Gruppe behandelt, dann wird alles in einem typisch paternalistischen Prozess mit allen Gefährten besprochen. Die Gruppe wird so für die Individuen, aus denen sie besteht, zu einer objektiven, abstrakten Einheit, da ihre Beziehungen nur in die Realität einiger von ihnen eindringen. Ein formaler Unterschied im Führungsstil innerhalb der Gruppe erweist sich als noch stärker konditioniert als der autoritäre. Mit anderen Worten, wir haben es mit einer im Wesentlichen autoritären Struktur zu tun, die weitaus effizienter ist als die autoritäre Gruppe selbst. Letztere hat immer das Problem, wie die individuelle Unsicherheit zu überwinden ist, falls sie in Abwesenheit des Anführers handeln muss. Die libertäre Gruppe hingegen erreicht eine neidische Homogenität der Entscheidung, indem sie so handelt, wie wir es gerade gesehen haben, obwohl es auf der subjektiven Ebene wenig zu beneiden gibt.
Die schlimmste Frage, mit der sie sich auseinandersetzen müssen, ist, wie man Probleme steuern kann, anstatt die Gruppe direkt damit zu konfrontieren. Nun, eine solche Situation ist unmöglich, wenn die Gruppe direkt innerhalb des Kampfes handelt, wenn, wie wir weiter unten sehen werden, eine ganze Reihe anderer Probleme auftauchen. Wenn die Gruppe also in einer externen Organisation agiert, die, wie wir gesagt haben, an die illusorische Perspektive der Quantität gebunden ist, wird es unerlässlich, dass jemand innerhalb der Gruppe die grundlegenden Aufgaben wahrnimmt. Im Gegenteil, wenn die Gruppe im Rahmen von Kämpfen agiert, ist die Funktion des Anführers ganz einfach die der Orientierung aufgrund seiner breiteren Vorbereitung und Zeitverfügbarkeit, nicht die der Auswahl der zu diskutierenden Probleme.
Diese Unterscheidung ist von größter Bedeutung. Sie markiert die Wasserscheide zwischen der fiktiven Bewegung und der realen Bewegung.
Die Beziehung zwischen den Gruppen: die vertikale und die horizontale Struktur
Eine Gruppe, insofern sie eine elementare Struktur einer umfassenderen organisatorischen Realität darstellt, wäre unbedeutend, wenn sie von anderen Gruppen isoliert bliebe. Sie würde alle Mängel einer externen Organisation enthalten, ohne dass es ihr gelingen würde, sich auf ein breiteres Meinungsspektrum auszuwirken.
Wenn sich die Gruppe auf der Grundlage der Affinität, die sich aus den Ideen und Meinungen einiger Führungspersönlichkeiten ergibt, sowie ihrer geographischen Lage, die ebenfalls einen Einfluss ausübt, konsolidiert, bedeutet das nicht, dass sie nicht eine breitere organisatorische Basis entwickeln kann. Sie kann Beziehungen zu anderen Gruppen – die nicht allzu weit von ihren eigenen Positionen entfernt sind – auf der Grundlage einiger der von den Anführern vorgebrachten Thesen herstellen.
Diese Beziehungen können vertikal im Falle autoritärer Gruppen oder horizontal im Falle libertärer Gruppen zustande kommen. Es ist die horizontale Struktur, die wir hier betrachten wollen, da sie für anarchistische Gruppen charakteristisch ist.
Verschiedene Gruppen verbünden sich oder bleiben auf die eine oder andere Weise in Kontakt und unterstützen sich gegenseitig in der minimalen gemeinsamen Absicht, die sich aus einigen wenigen, im Voraus ausgearbeiteten Grundprinzipien und theoretischen Punkten ableiten lässt. Selbst eine lose Übereinstimmung über diese Ideen und Prinzipien reicht aus, um den Fortbestand der horizontalen Struktur zu gewährleisten. Keine Gruppe überwiegt über eine andere, keine Gruppe erhebt den Anspruch, die Funktion des Anführers auszuüben, und keine Gruppe trifft eine Entscheidung bezüglich der anderen, ohne mit dem Rest des Verbandes oder der informellen Vereinigung in Kontakt zu treten, die dann ihre Wünsche äußern. Sie können auch gemeinsame Instrumente wie Papiere oder Komitees einsetzen. Diese werden von verschiedenen Gruppen oder von einer einzigen Gruppe nach einer Diskussion unter den Delegierten unter Anwendung verschiedener Verfahren (Ratifizierung der Gruppe, Abberufung der Delegierten usw.) bearbeitet oder zusammengestellt, um zu versuchen, die Struktur so weit wie möglich zu gewährleisten und sie horizontal zu halten.
Die Dinge sind in Wirklichkeit nicht ganz so. Unvermeidliche Prozesse begünstigen die Bildung einer Gruppe von Anführern, die die Föderation oder den Zusammenschluss von Gruppen übernehmen und sie zur grundlegenden Interpretation der zugrundeliegenden These drängen, die ihrer Meinung nach die einzige ist, die für alle Gefährten gültig ist. Dies wird nicht direkt erreicht. Wie wir gesehen haben, bringt jede Gruppe ihre Anführer hervor, normalerweise einen oder zwei, maximal drei. Sehr oft ist ihre Vorbereitung und Verfügbarkeit größer als die der anderen. Auf diese Weise entsteht ein echter Anführer. Wir wissen, wie das Einholen von Meinungen, der Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppen funktioniert. Das Phänomen der Polarisierung wird überwunden, oft, um zu versuchen, der Gruppe Einheitlichkeit und Zusammenhalt zu verleihen, aber wenn man diese Phänomene auf eine breitere (geographische) Ebene bringt, treten sie immer wieder auf.
Es kann lehrreich sein, Berichte von Debatten oder Berichte von Delegierten einzelner Gruppen zu lesen, um zu sehen, worüber wir sprechen. Die Polarisierung der Ideen ist ganz offensichtlich. In der Regel sind bei größeren Treffen nur die Führungspersönlichkeiten anwesend, von denen jeder mehr „innerhalb“ der Probleme seiner eigenen Gruppe steht. In den meisten Fällen sind sie es, die die Ideen ausgearbeitet haben, die die Gruppe schließlich sich selbst zugeschrieben hat. Daher gibt es große Meinungsverschiedenheiten über das jeweilige Problem, wobei die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass man nie zu präzisen Schlussfolgerungen kommt.
Gewöhnlich wird ein breites Programm aufgestellt, sei es alt oder neu, mit Vorschlägen, die allgemein genug sind, dass alle damit einverstanden sind. Es wird darauf geachtet, das Programm auf allgemeine Prinzipien zu beschränken, da sonst die internen Widersprüche, die die verschiedenen Interpretationen darstellen, unvereinbar wären.
Selbst wenn die Struktur horizontal bleibt, wenn der widerrufliche Delegierte versucht, jede Form von Professionalität zu vermeiden, wenn die Debatte innerhalb der Struktur immer lebendig ist – je weiter sie sich von den verschiedenen Punkten des Kampfes entfernt, desto virulenter wird sie -, bedeutet das nicht, dass spontane Formationen, die nach dem Vorbild einer Avantgarde agieren, nicht auftauchen.
Jetzt haben wir also eine Reihe von Gruppen, die sich in einer Struktur organisieren, die außerhalb des Kampfes liegt. Allein aufgrund dieser Tatsache sehen sie sich selbst als bewusste Avantgarde von etwas, das als Unbewusstes betrachtet wird und deshalb der Annäherung und Klärung bedarf. Propaganda und Proselytismus2 sind für diese aufgeklärte Art von Avantgarde wichtig. Innerhalb letzterer bildet sich durch einen unvermeidlichen Selektionsprozess eine noch eingeschränktere Avantgarde, eine Gruppe von Führungspersönlichkeiten, die ausgehend von bestimmten Entscheidungen über Grundideen und die Interpretation einzelner Probleme handeln, die nicht immer von einer breiteren Basis kommen, sondern oft an bestimmten Orten, d.h. bei Treffen der eingeschränkten Avantgarde, ausgearbeitet werden.
Man wird sich so der extremen Spitze eines organisierten Ganzen bewusst, das die Aufgabe übernimmt, ein Instrument zu steuern, um auf die eine oder andere Weise auf die Masse einzuwirken.
Was die organisierte Struktur als Ganzes betrifft, so kommt ihre Reduzierung auf eine Avantgarde zustande, weil sie vom wirklichen Kampf losgelöst ist und weil sie von den Anführern, die sie als solche einsetzen wollen, als Instrument betrachtet wird.
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, dass es sich dabei eher um autoritäre als um libertäre Strukturen handelt, weil sie, wie gesagt, den Zielen und Absichten der letzteren zuwiderlaufen. Jeder einzelne Militante, der in eine libertäre Gruppe eintritt, trifft eine Wahl, nicht nur auf der Grundlage eines abstrakten Programms, sondern auch, weil er oder sie anders leben will, mit einer Art der Zusammenarbeit, die frei ist von dieser absurden Situation autoritärer Gruppen, in der nur der oder die Anführer wissen, was zu tun ist, und alle anderen darauf warten, Befehle entgegenzunehmen. Wenn es tatsächlich dazu kommt, übernimmt die Realität die Verantwortung dafür, die Meinungen auf die eine oder andere Weise zu ändern.
Für autoritäre Gruppen wird es immer schwieriger, an der klassischen zentralisierten Struktur festzuhalten. Die Anführer räumen ihren Untergebenen eine gewisse Handlungsfreiheit ein, auch wenn Verdinglichungsprozesse, d.h. die Umwandlung des Organisationsapparates in eine „Sache“, immer im Gange sind und das Verhalten der einzelnen Militanten erheblich beeinflussen.
In libertären Gruppen wird, wie wir gesehen haben, die idyllische Situation der maximalen Meinungsfreiheit durch die mangelnde Vorbereitung und die knappe Verfügbarkeit der meisten Mitglieder erschwert. Aus diesem Grund landet eine gewisse Entscheidungsgewalt in den Händen einiger weniger Anführer.
Diese Situation ist rein äußerlich die gleiche wie die erstgenannte. In Wirklichkeit haben wir es mit zwei sehr unterschiedlichen Formen der Degeneration zu tun, die zu unterschiedlichen Konsequenzen führen. Im ersten Fall, d.h. in der autoritären Struktur, ist der Verdinglichungsprozess derart, dass die einzelnen Militanten so sehr in die Organisation integriert werden, dass es für sie unvorstellbar wird, dass letztere einen Fehler machen könnte. Daher stellen sie die Befehle von oben nicht in Frage. Die Struktur muss richtig sein, gerade wegen einiger ihrer internen, ziemlich irrationalen Merkmale. Ihre Reflexion als organisierte Struktur kann nicht falsch sein, da sie dasselbe Leben führen wie die Organisation. Sie personifizieren sie in gewisser Weise, indem sie ihr einen menschlichen Anschein geben. Der Personenkult mit all seinen Folgen ist eine logische Schlussfolgerung aus dieser Richtung.
Im zweiten Fall, d.h. in der horizontalen, libertären Struktur, tragen Diskussionsmethoden, ein Mindestmaß an Anstand und verschiedene andere Elemente dazu bei, eine Verdinglichung der Organisation zu verhindern. Selbst viele Elemente der Basis, die zu bestimmten Argumenten nichts zu sagen haben, akzeptieren nicht das typisch autoritäre Prinzip, dass die Organisation immer Recht hat. In diesem Fall sollte die Autorität der Führer richtiger als Autorität bezeichnet werden, obwohl die Verwendung eines anderen Wortes nichts an den Folgen des Phänomens ändert.
Es sollte hinzugefügt werden, dass es recht häufig einen so genannten Korpsgeist gibt. Die Militanten einer libertären Organisation sollten frei von solchen Absurditäten sein. Doch die Realität zeigt uns, wie oft man von ihnen gefangen genommen wird. Der Militante an der Basis der organisierten Struktur sieht diese in einer bestimmten Weise, die gewöhnlich mit der Sichtweise des Anführers übereinstimmt, der sie beeinflusst. Indem er diese Situation einfach akzeptiert, kann er seine Organisation nicht auf der gleichen Ebene wie andere sehen. Er sieht darin etwas Besseres, etwas, das besser zu den Prinzipien passt, von denen er vage das Gefühl hat, dass sie seiner „Wahrheit“ nahe stehen, die für den Nichteingeweihten kurz und bündig kodifiziert sind. Der Anführer ist der Identifikation mit der Organisation noch näher. Er hat das Gefühl, dass etwas Endgültiges in ihr steckt, er hat das Gefühl, dass sie ihm in viel größerem Maße „gehört“, als es der einfache Militante tut. Während für letztere die Vermittlung des Anführers notwendig war, ist für ihn die Beziehung direkt. Er spürt das Pulsieren direkt. All dies führt dazu, dass er seiner eigenen Organisation gegenüber äußerst nachsichtig und anderen gegenüber äußerst kritisch ist.
Eine irrationale Bewertung der Organisation, der man angehört, kann zu merkwürdigen Situationen führen. Es werden große Anstrengungen unternommen, um eine Struktur zu erweitern, zu vervollkommnen und zu festigen, ohne zu analysieren, ob sie den Bedürfnissen des Kampfes entspricht, in den sie einbezogen werden soll. Es werden alle möglichen Ausreden erfunden, um den Vorrang der internen Arbeit gegenüber der Arbeit außerhalb der Organisation zu verschleiern. Man sagt, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, dies oder jenes zu tun, obwohl es immer der Zeitpunkt für die Arbeit des internen Wachstums ist, da es immer der Zeitpunkt ist, abzuwarten und sich darauf vorzubereiten, sich gegen die Angriffe der Ausbeuter zu verteidigen. Das Äußere wird nicht mehr als ein Kampffeld, eine spezifische Situation, die analysiert werden kann, oder als die notwendige Bedingung für die Verhinderung eines anormalen Wachstums oder einer sterilen Anpassung an die vergangenen Modelle angesehen, sondern nur noch für die Suche nach neuen Militanten. Der Proselytismus ist der wichtigste Teil der Aktivitäten der Organisation. In einigen wenigen extremen Fällen wird der Kampf, welcher Kampf auch immer, nicht auf der Grundlage der positiven Folgen geführt, die er in den ausgebeuteten Massen bestimmen könnte, sondern auf der Grundlage der Propaganda, die er für die Organisation schaffen könnte. Dadurch wird eine Sackgasse in der Beziehung des Kampfes zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten erreicht. Wenn die Beziehung z.B. das Problem der Abtreibung betrifft, so wird letzteres nicht im Hinblick darauf betrachtet, wie das Problem die Masse der Ausgebeuteten betrifft, sondern nur im Hinblick auf ein quantitatives Ergebnis, und welche negativen Folgen es für die Organisation hätte, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen.
Autoritärer Chef und libertäre Anführer
Der erste stellt sich selbst als konstanten Bezugspunkt auf. Seine Autorität bezieht er aus der Position, die er innerhalb der autoritären Struktur innehat, eine Position, die er sich – in der Regel – durch totale Hingabe an die Organisation selbst sowie durch seine beträchtliche Kompetenz und Vorbereitung erworben hat. Er wird als Dolmetscher des Willens der Organisation betrachtet, weshalb er indirekt, da diese als Träger der Wahrheit gilt, als Dolmetscher und Träger der Wahrheit angesehen wird. Die irrationale Beziehung, die der Zugehörigkeit eines Militanten zu einer autoritären Struktur zugrunde liegt, konsolidiert sich in seiner Beziehung zum direkten Kopf3. Der indirekte Anführer, der sich selbst an die Spitze der Pyramide stellt, wird dann mit jenen charismatischen Formen ausgestattet, die einen sehr starken irrationalen Inhalt haben. Da es keine Möglichkeit gibt, die Gültigkeit seines Werkes zu kontrollieren, außer durch das Handeln der zwischengeschalteten Anführer, wird das oberste Kopf mehr zu einem Symbol als alles andere, zu einem Symbolspender des Charismas, d.h. der Wahrheit.
An dieser Stelle muss auf den großen Unterschied hingewiesen werden, der zwischen dieser Situation und der konterrevolutionären autoritären Struktur besteht. Dies ist eine heikle Frage. Objektiv gesehen ist eine autoritäre Struktur immer konterrevolutionär, weil sie immer versucht, der endgültigen Befreiung Hindernisse in den Weg zu legen. Aber sie sollte von den Strukturen unterschieden werden, die von den Bossen absichtlich geschaffen wurden, um ihre Ziele zu erreichen. In diesem Sinne, nehmen wir an, eine faschistische Organisationsstruktur führt zu bestimmten hierarchischen Beziehungen, die eine Flucht vor der Freiheit sind, jede einzelne Komponente erfasst das Charisma des Hauptes, weil er Angst vor der Freiheit hat, die er anderswo finden könnte, weil er diese besondere petit bourgeois4 Lebensvision hat, die ihn dazu bringt, Zuflucht und Trost in den festen Strukturen des Autoritarismus zu suchen. Für den Faschisten ist die Akzeptanz der autoritären Struktur kein Zugeständnis, sondern ein Stabilitätspunkt: Sein innerer Konflikt, der typischerweise existentiell ist, wird in der totalen und endgültigen Delegation, in der Flucht, gelöst. Die andere Möglichkeit, die er vage sieht, die Möglichkeit, frei zu leben, erschreckt ihn, denn das Schema der Tradition, der Familie, der Ehre, der Heimat und anderer solcher Abfälle erstickt ihn und lässt ihn die Freiheit als Chaos ohne Regeln sehen, in dem sich am Ende die alten Gespenster, vor denen er immer geflohen ist, die Gleichheit an erster Stelle, vervielfachen würden.
Der autoritäre Gefährte ist ein Gefährte, der sich bewusst für die Freiheit entscheiden will. Er hat keine Angst, im Gegenteil, all sein Handeln zielt darauf ab, mit der Vergangenheit, mit der Tradition zu brechen. Die Akzeptanz der autoritären Struktur ist das kleinere von zwei Übeln für den Militanten, der sich naiv davon überzeugt, dass ohne Opfer nichts Dauerhaftes erreicht werden kann. Aus diesem Grund ist er bereit, das äußerste Opfer zu bringen, das Opfer seiner eigenen Freiheit. Darin liegt die Tragödie. Ein Mensch, der für die Freiheit kämpft, endet damit, dass er diese in der Illusion opfert, er kämpfe weiter für sie. Selbst die Akzeptanz von Charisma ist immer eine vermittelte Tatsache, die einen Prozess des „Snobismus“, der Selbstherrlichkeit, der kleinen moralischen Erpressung mit sich selbst beinhaltet. Gewöhnlich beginnt er damit, den Anführer als „Gefährten“ zu sehen und ihn als einen zu akzeptieren, der besser vorbereitet und bewusster ist. Er würde niemals einen direkten charismatischen Prozess zugeben. Dann, als er allmählich in die autoritäre Struktur absorbiert wird, wird ihm klar, dass jede Möglichkeit einer Kontrolle von der Basis aus minimal ist. Dann kommt der Vorwurf des oberflächlichen Snobismus. Schließlich nimmt er Befehle entgegen und opfert sich der Struktur selbst, die er als unauflösliches Ganzes mit Freiheit und Wahrheit identifiziert.
Betrachten wir nun die Situation des libertären Anführers. Er sollte nicht zu einem Bezugspunkt werden. Wenn er es ist, dann ist das gegen seinen Willen geschehen, als direkte Folge seiner größeren Freizeit und aufgrund seines größeren Engagements und seiner besseren Vorbereitung. Was ihn betrifft, so könnte man eher von gebieterisches herrisches Wesen als von Autorität sprechen. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er den Willen der Organisation interpretiert, da diese sich aus dem Willen aller Mitglieder zusammensetzt. Da schließlich die Organisation selbst nicht als Verwahrer der Wahrheit betrachtet wird, interpretiert oder verbreitet der Anführer, an den sich einige Militante wenden, in keiner Weise die Wahrheit.
Tatsächlich kommt es innerhalb dieses Schemas zu erheblichen Veränderungen. Der Anführer wird schließlich zu einem Bezugspunkt, sonst wäre die Meinungsvielfalt innerhalb der Struktur enorm und würde es fast unmöglich machen, eine Entscheidung zu treffen. Auch diese Organisation wird von den Militanten schließlich auf deformierte, irrationale Weise als „ihre Organisation“ angesehen, und zwar allein deshalb, weil sie sie als die Organisation gewählt haben, die zwar nicht Trägerin der Wahrheit ist, der sie aber mit ziemlicher Sicherheit näher kommt als jede andere. Folglich kann der Anführer, auch wenn er nicht der Dolmetscher oder Wahrheitsträger ist, in gewisser Weise als etwas Ähnliches angesehen werden, als ein Gefährte, an den man glauben kann, so sehr, dass man seine Schlussfolgerungen akzeptiert, auch wenn man sie nicht ganz begreift. All dies geschieht in der Hoffnung, dass es auch uns in Zukunft gelingen wird, klar zu sehen, um den Gefährten, der vorerst als Bezugspunkt dient, in eine angemessene kritische Dimension zu bringen. Hinter diesem Warten auf bessere Momente, in denen wir alle Zeit haben werden, in denen unsere Vorbereitung genauer und detaillierter ist, verbergen sich auch Verzicht und Entgegenkommen. Hinter ihr verbirgt sich die Akzeptanz einer Situation, die nur sehr schwer zu ändern ist und auf die wir als solche nicht wirklich eingehen wollen.
Dann ist da noch die Frage der Beziehung zwischen den Anführern. Ein weiteres heikles Problem. Wenn der Zusammenprall zwischen autoritären Anführern aufgrund der Ränge, die innerhalb der vertikalen Struktur aufgebaut werden, als selbstverständlich angesehen wird, sollte man von libertären Anführern nicht dasselbe sagen können. Sie haben auch Meinungsverschiedenheiten, befinden sich im Gegensatz zu denen, die von ihrem eigenen Standpunkt abweichen, müssen organisatorische Hindernisse überwinden, die durch die verschiedenen Tendenzen verursacht werden, aber die Mittel, auf die sie zurückgreifen können, sollten anders sein.
Im Gegenteil, man sieht oft, dass die eingesetzten Mittel gar nicht so unterschiedlich sind. Der libertäre Anführer kann sich die Vorherrschaft über die von ihm vertretene Tendenz nicht entgehen lassen, ohne zu riskieren, dass die Tendenz selbst verneint und das Verhältnis zu dem Teil der Basis, den er vertritt, verzerrt wird. Es könnte ein Hinweis auf eine Beziehung des Austauschs oder der gegenseitigen Beeinflussung zwischen Basis und Anführer innerhalb der umfassenderen organisierten Struktur bestehen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass das genaue Interesse des Anführers, selbst ein libertäres, diese Beziehung zu besiegeln und sie vor dem Einfluss anderer Tendenzen zu schützen vermag, die die Klarheit seiner eigenen Position bedrohen könnten.
Daher der Zusammenstoß mit anderen Anführern. Eine Vorstellung von der Intensität der Auseinandersetzung vermittelt der Ansturm auf Aufträge und Aufgaben, die innerhalb der Organisation zu erledigen sind. Daran ändert sich nichts, weil diese Aufträge unbezahlt sind und eine beträchtliche Arbeitsbelastung und Ermüdung mit sich bringen: Sie werden durch Einfluss und Solidität belohnt. Man könnte sagen, je weiter die Tätigkeit eines Anführers innerhalb der Organisation entwickelt wird, desto klarer und weniger angreifbar wird sein Bezugspunkt.
Man sollte jedoch nicht verallgemeinern. In der libertären Organisationsstruktur ermöglicht die Bildung von Militanten, dass ein ständiger Gedankenaustausch im Umlauf ist, der dazu führt, dass sich ausgrenzende Tendenzen sich herauskristallisieren. Der Gefährte oder die Gefährten, die sich mit dieser kristallisierten Tendenz identifizieren, schaffen dann, selbst wenn sie mit bestimmten Instrumenten wie Papieren, Reviews, Komitees und anderen Dingen in Kontakt bleiben, am Ende immer noch ein Vakuum um sich herum.
Die libertäre Organisation, selbst diejenige, die am weitesten vom Kampf entfernt ist, kann nicht daran scheitern sich den Problem der Ziele und Methoden zu stellen. Und die Diskussion über Methoden führt dazu, dass innerhalb der Organisation Beziehungen geschaffen werden, die eine Debatte ermöglichen, die, obwohl sie manchmal steril ist, in anderen Organisationen oft zu unerwarteten Ergebnissen führt.
Es muss hinzugefügt werden, dass die Gefährten in der libertären Organisation aus freien Stücken dabei sind. Im Allgemeinen bedeutet die Zugehörigkeit zu einer libertären Organisation, auch wenn sie recht unklare Perspektiven hat, Risiken, Opfer, das Bewusstsein für diese Risiken und Opfer und eine ziemlich klare Bewertung der Gründe, die eine solche Entscheidung bestimmt haben. Auf jeder Ebene sind anarchistische Militante unbestreitbar Militante, die Entscheidungen treffen und jeden Zweifel an Positionen oder Tendenzen, die (zumindest ihrer Meinung nach) nicht ganz haltbar sind, in Frage stellen können. Diese Tatsache, die oft Anlass zu Auseinandersetzungen, endlosen Diskussionen, Spaltungen und Konflikten zwischen den Tendenzen gibt und als Schwachpunkt des Anarchismus angesehen wurde, ist in Wirklichkeit einer der Punkte, die seine Stärke und Vitalität ausmachen. Eine stumpfe Einheitlichkeit würde jede lebhafte Tendenz zugunsten des grauen Willens der Gewinnerseite zunichte machen.
Ein Versuch, die Charakterstruktur des libertären Militanten zu untersuchen
Die anarchistische Methodologie gibt uns vage ein Modell für eine bestimmte Art von Militanten. Meistens wird dieser Hinweis nicht aus der Realität der Intervention im Kampf gewonnen, sondern aus einer Idealisierung des Kampfes.
Darüber hinaus ist es möglich, die Entwicklung dieses Modells im Laufe der Geschichte der libertären Bewegung und die tiefgreifenden Veränderungen, die seit 1968 stattgefunden haben, nachzuvollziehen.
Die Definition hat präzise Merkmale: eine kohärente Wahl der Mittel, um die Ziele der Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit zu erreichen; das Eingreifen in die Schnelligkeit der sozialen Kämpfe; die Weigerung, dem ökonomischen Faktor bei der Entwicklung des Konfliktes zwischen Ausgebeuteten und Ausbeuter Vorrang einzuräumen; die Erhebung einer befreienden Kultur, um sich der bourgeoisen Unterdrückungskultur entgegenzustellen; Optimismus; Glaube an den Menschen und seine angeborenen Gaben; eine a priori Ablehnung von Doktrinen; Anwendung der empirischen Methode „versuche es und versuche es noch einmal“; spezifische Aufforderungen zum sozialen Konflikt im Handeln mit Mitteln jeder Art (aufständisch-gewalttätig oder pazifistisch-erzieherisch).
Dieser Rahmen ist nicht vollständig, aber er gibt die groben Konturen einer Perspektive vor, die in der Praxis nicht verwirklicht werden kann. Aus den sozialen Widersprüchen und dem sozialen Kampf hervorgegangen, sind anarchistische Militante nicht nur Produkte ihrer Zeit, sie wären unbedeutende Automaten, wenn sie ihr Handeln auf abstrakte Prinzipien stützen würden, ohne sie mit den Erfordernissen ihrer Intervention in der Realität in Beziehung zu setzen.
Es darf nicht vergessen werden, dass einer der wichtigsten Punkte des Anarchismus gerade in seiner Sorge um Ethik liegt, und diese würde verschwinden, wenn man versuchen würde, die widersprüchliche Vitalität des Individuums zugunsten eines von der Geschichte und ihren Ereignissen losgelösten Idealismus auszulöschen. Wenn die Stärke des Anarchismus in seiner Methodologie liegt, ist in diesem Rahmen eine große Handlungsfreiheit möglich. Würde man die Hauptregeln des Anarchismus in Zehn Geboten diktieren und jeden hinauswerfen, der nicht die Absicht bekundet, sie bis ins kleinste Detail genauestens zu befolgen, und würde man interne Normen und ausgeklügelte Verhaltensregeln betonen, die darauf abzielen, Ideen zu verwirren oder Konflikte zu schaffen, hätte man am Ende eine Minderheit von Revolutionären mit sehr begrenzten Wahlmöglichkeiten. Dieses Charaktermodell ist gekennzeichnet durch eine netto Unterordnung des eigenen Glücks, der eigenen Interessen und des Bedürfnisses nach einem Privatleben unter die Ziele der Organisation und der Revolution. Durch die Verfestigung des Bezugsmodells werden die Menschen starr, die Persönlichkeit fällt an zweiter Stelle. Die abstrakten Ideale von Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit werden als wichtig genug erachtet, um die Selbstvergessenheit zu rechtfertigen, die Annullierung jeglichen Anreizes gegenüber dem Andersartigen (was am Ende als bourgeois gilt und verurteilt wird).
Wenn sie sich einmal dem starren Grundmodell angepasst haben, wären diese Gefährten zweifellos bereit, jedes erdenkliche Opfer für das Ideal zu bringen, sogar ihr eigenes Leben, aber sie würden den kalten Schleier der Trennung zwischen sich selbst, dem Ideal (jetzt „ihr Ideal“) und anderen Gefährten fallenlassen, d.h. sie würden dazu kommen, den übereinstimmenden und kollektiven Prozess, den die Ausarbeitung des revolutionären Modells impliziert, zu leugnen. Ihr Ziel würde darin bestehen, das Modell, das sie im Bereich der Analyse herauskristallisieren konnten, in der Sphäre der Realität anzuwenden, ohne mögliche individuelle oder gruppenbezogene Unterschiede zu berücksichtigen. Phänomene wie die Entstehung eines so genannten „objektiven Bewusstseins“ würden an die Oberfläche kommen und zu Misstrauen, Intoleranz und Exklusivität führen.
Wir betrachten diese Extremsituation hier nur, um auf die Gefahren einer Kristallisation eines anarchistischen Interventionsmodells hinzuweisen. In Wirklichkeit muss ein solches Modell unserer Meinung nach das Ergebnis einer ständigen Ausarbeitung, Überprüfung und Modifizierung durch alle Gefährten sein, immer innerhalb der grundlegenden methodologischen Perspektive, d.h. der richtigen Wahl der Mittel zur Erreichung der Ziele von Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit.
Die spezifische historische Veränderung hat verschiedene Arten von Militanten hervorgebracht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich der Charakter der französischen Gefährten, die bis 1890 im Kampf gegen die Reaktion engagiert waren, stark von dem der anarchosyndikalistischen Gefährten unterschied, die später versuchten, den Kampf um die Forderung nach besseren Bedingungen anzusprechen, in der Überzeugung, dass dies immer noch in einer revolutionären Perspektive stattfand. Genauso wie es keinen Zweifel daran geben kann, dass zwischen den spanischen Gefährten der FAI5 und den italienischen Gefährten ähnlicher Organisationen tiefgreifende Unterschiede bestanden. Das Gleiche gilt für die deutschen Gefährten, die in Amerika zur Arbeit gingen und diejenigen, die zu Hause blieben, für die englischen Gefährten in London und die schottischen Gefährten usw. Das „Modell“, das Ravachol vorschlug, ist nicht dasselbe wie das, das Henry vorschlug, noch ist es dasselbe wie das, das Bonnot vorschlagen sollte. Obwohl es im Grunde genommen im Bereich der Illegalität bleibt, treten tiefgreifend andere Merkmale zutage, die zu unterschiedlichen Analysen und Tendenzen führen.
Es ist auch möglich, Unterschiede auf der Ebene der Sprache zu sehen. Die Sprache der anarchistischen Schriften von 1880 bis 1895 in Frankreich unterscheidet sich von der zwischen 1895 und 1914. Der Stil von Galleani unterscheidet sich von dem Malatestas, ist aber dem von Cipriani und Ciancabilla sehr ähnlich.
Die Vielfalt und Blüte der Modelle seit 1968 ist noch größer.
Die Entwicklung der Kulturanalyse, die Ausweitung der revolutionären Lektüre, das französische Phänomen des Mai ‘68, die schnellere Verbreitung von Ideen, der Zusammenbruch der traditionellen Universitätsstrukturen, die Krise der heiligsten Werte der bourgeoisen Welt (Wissenschaft, Projektionsfähigkeit, Heilsamkeit, Integrität) haben einen raschen Wandel bewirkt. Wer sich nicht an die neue Ära anpasst, ist am Ende veraltet und ineffizient. Das Fortbestehen des alten Schemas, selbst durch sehr berechtigte Gefährten, ist ein Zeichen dafür, dass es schwierig ist, das Modell biegsam zu machen, aber man geht auf jeden Fall weiter und entwickelt neue Interventionslinien. Inmitten von Gegensätzen und kolossalen Fehlern, inmitten von Intuition und Versuchen interner Repression kommt es zu einer tiefgreifenden kulturellen Veränderung der anarchistischen Weltbewegung. So entsteht eine neue Art von Militanten, die sich noch in der Ausbildung befindet, die die Rhetorik wie die Pest meidet und sich nur auf wenige Punkte konzentriert, dies aber deutlich tut.
Die neuen anarchistischen Militanten fügen sich in die libertäre Tradition ein, aber gleichzeitig versuchen sie mit aller Kraft, den kulturellen Beitrag der revolutionären Linken sowie die kulturellen Modelle der Bourgeoisie zu beachten. Dadurch haben sich viele Widersprüche aufgetan, aus denen tiefe theoretische Spaltungen entstanden sind, die jedoch sehr positiv sind und den Kreis einer kulturellen Abschottung durchbrechen, der mit überholten analytischen Modellen geendet hatte. Im Grunde genommen müsste man, wenn man eine kurze Bestandsaufnahme des theoretischen Gepäcks des Anarchismus der fünfziger Jahre, vor allem in Italien, machen würde, zugeben, dass einige der alten Modelle (revolutionärer Syndikalismus, malatestianische Kritik, gorianischer Humanismus, spät-bakuninistischer Kollektivismus, kropotkinischer Determinismus) zu einer akritischen Rhetorik geworden sind. Auch Modelle, die direkter vom Handeln beeinflusst sind, wie die ethische und strategische Bewertung des bewaffneten Kampfes, sind von dieser kulturellen Atrophie6 beeinflusst worden. Die Aktionen von Sabate und Facerias wurden akritisch isoliert, oft gelobt, oft verurteilt, ohne dass die darin enthaltene Botschaft in Form eines konkreten Vorschlags an die Gefährten jenseits einer Mythisierung bewaffneter Aktionen um ihrer selbst willen entstehen konnte.
Betrachten wir einige Beispiele, die durch diese kulturelle Verkümmerung versteinert wurden, so müssten wir auf den Sorel des Mythos des Generalstreiks (hinter dem revolutionären Syndikalismus), der Malatesta der letzten Jahre (beeinflusst durch den Humanismus von Gori), den Kropotkin der Ethik und der modernen Wissenschaft und Anarchie (sowie ein wenig der gegenseitigen Hilfe) hinweisen. Das würde ein direktes Eingreifen in die Realität bedeuten, die versucht, die syndikalistischen Modelle wiederzubeleben, die jetzt entschieden in eine reformistische und autoritäre Richtung, eine Logik des Wartens und naturalistische und deterministische ethische Diskurse ausgerichtet sind.
Der plötzliche Bruch der revolutionären Kultur (auch die autoritäre Belastung) mit bestimmten Schemata der Vergangenheit (z.B. die plötzliche Ablehnung des crocanischen Historismus7 und die unmittelbar-akritische Akzeptanz des Marxismus) hat beträchtliche Reflexe hervorgerufen, auch innerhalb der anarchistischen Bewegung, die sich mit Themen und Problemen auseinandersetzte, die zuvor unter der Asche einer schlecht verdauten Rhetorik verborgen waren.
Es ist die ethische Frage, die uns hier interessiert. Nicht die der Schulbücher, sondern die des Verhältnisses zum Leben, die Frage, mit der alle Militanten konfrontiert sind, die in einer Gesellschaft von Ausbeutern und Parvenüs, ausgebeutet und nachgiebig, traumatisch die Erfahrung machen, Anarchist zu sein. Und wenn Anarchisten gleichzeitig das bourgeoise Modell und das autoritär-kollektivistische Modell der Marxisten und Stalinisten ablehnen, stehen sie am Ende vor dem Problem einer sozialisierten Persönlichkeit in einer personalisierten Gesellschaft, einer Entwicklung der totalen Selbstverwaltung der Person in einer Gesellschaft, die den Menschen nicht erdrückt, sondern ihn erhebt und ihm die Möglichkeit bietet, ein kohärentes Leben zu führen.
Das Projekt eines Militanten also, der die Schwierigkeiten nicht vor sich selbst verbirgt, der nicht auf einen riesigen Apparat von Phrasen und Gemeinplätzen zurückgreift, der sich in der Tat fast scheut, Parolen und eine einheitliche Sprache zu verwenden, der sich zwingt, sich für die Befriedigung der globalen Bedürfnisse der Gesellschaft wie auch der Einzelpersonen und Gruppen einzusetzen. Es ist das Problem der Partizipation, der Öffnung und der Beziehung zu anderen, der Ablehnung des Parteiapparates, der Ablehnung der bourgeoisen Ideologie des bourgeoisen Bewusstseins.
Die Debatte hat sich vom Zusammenprall zwischen Individuum und Organisation, den Rechten des Individuums und denen der spezifischen Organisation (der revolutionären syndikalistischen oder einfach revolutionären Art) entfernt. Sie betrifft nun die Autonomie der Persönlichkeit des Militanten in einer Dimension der kollektiven Verantwortung, innerhalb des Prozesses des Wachstums des sozialrevolutionären Bewusstseins, der nicht sich selbst überlassen werden kann.
Als sich die vorherrschende Ideologie dem ökonomischen Fortschritt (zwischen den fünfziger und sechziger Jahren) anpasste, entstand ein Antikonformismus, der versuchte, einige der traditionellen Modelle des politischen Kampfes zu überdenken. Dann, mit den Veränderungen in der Machtstruktur selbst, dem wirtschaftlichen Rückfluss und dem Eintritt der reformistischen Kräfte der Linken in die herrschende Klasse, wird der Antikonformismus verantwortungsbewusster: Die Lebensqualität steht der quantitativen Reduzierung des Klassenkonflikts entgegen. Der Anreiz des Individuums, der ethische Anreiz, kommt zu dem materiellen hinzu mit seiner partiellen Analyse einer Gegenmacht, die durch eine bestimmte Machtkultur (Politikwissenschaft und ihre Negation) konditioniert worden war: die Politik beginnt einen neuen Öffnungsprozess zu leben.
Diese tiefgreifende Erneuerung ist auch Teil einer globalen Krise der Werte der spätkapitalistischen Gesellschaft. Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Niedergang der Konsumstrukturen Ursache oder Wirkung dieser Krise ist, die eine große Zahl von Menschen dazu veranlasst hat, ihr Urteil aufzuheben und eine Art „Klammer“ zu öffnen, ein Leben, das das Angebot des Kapitals ablehnt. In dieser Welt, die gleichzeitig nicht mehr von dieser Welt ist, ist diese „Klammer“ nicht mehr auf eine Elite beschränkt, sondern ein Massenphänomen, das zu groß ist, um ignoriert zu werden.
Auch der Anarchist ist heute durch all dies konditioniert. Es ist gut und schön zu sagen, dass Anarchisten nicht „perfekt“ sind, sie sind keine „seltsamen“ Wesen von einem anderen Planeten, die im Besitz der Wahrheit sind und in der Lage sind, die richtigen Antworten und Methoden zu finden, um in jeder Situation einzugreifen. Ebenso wenig sind sie die Monster der Gewalt und des Terrors, als die sie von einer bestimmten Presse im Dienste der Bosse dargestellt werden. Nichtsdestotrotz sind sie nicht die „Enthüller“ der Wahrheit. Und genau aus diesem Grund können wir, soweit wir wissen, zum ersten Mal versuchen, den Charakter der anarchistischen Militanten der letzten Jahre zu umreißen, zumindest innerhalb der Grenzen der Erfahrungen in europäischen Ländern, in denen die Bewegung heute eine gewisse Bedeutung hat: Italien, Frankreich, Spanien (spanische Emigration), Deutschland, England. Wenn wir den Anarchismus als eine klar definierte, kristallisierte Doktrin betrachten würden, müssten wir zu dem Schluss kommen, dass Anarchisten als solche geboren werden und dass jeder, der für Anarchie „fühlt“, entweder in irgendeiner anarchistischen Föderation eingeschrieben ist und „Es lebe Bakunin“ ruft oder überhaupt keine Bücher liest und auf die Negativität der Kultur schwört.
Im Gegenteil, wenn wir Anarchismus als die theoretische und praktische Erfahrung sehen, die mit einer präzisen Methodologie in sozialen Kämpfen zu bestimmten Zeiten entsteht, sehen wir anarchistische Militante als Männer und Frauen ihrer Zeit, die von vorherrschenden Ideen – und den spezifischen Methoden des Anarchismus – beeinflusst sind und sich an Kämpfen gegen die herrschende Klasse beteiligen. Je widerspruchsreicher die Epoche ist, desto deutlicher wird die Krise der Machtstruktur und desto mehr werden die Instrumente, die einst ausschließlich den revolutionären Kräften gehörten, von der Macht zur Unterdrückung eingesetzt. Je verwirrender die Realität wird, desto mehr werden anarchistische Methoden zu einer relevanten Perspektive. Das ist weder absolut noch selbstverständlich, wir müssen die Dinge überprüfen, damit der Kampf gegen die Macht richtig organisiert werden kann und nicht aus der revolutionären Schlacke der Vergangenheit wieder aufersteht.
Anarchisten sind also auch Menschen, die die Widersprüche ihrer Zeit leben. Ihr Charakter kann sich den Folgen nicht entziehen. Ihre Persönlichkeit wird am Ende Gastgeber eines entscheidenden Konflikts zwischen dem asketischen Aspekt des Revolutionärs sein; Verleugnung, Zustimmung und dem ethischen Aspekt des Individuums, der sich der Autonomie und der Organisation der Gesellschaft im egalitären Sinne öffnet, da er die Grenzen und die Notwendigkeit einer progressiven Annäherung sieht. Es ist viel einfacher, in die Realität einzugreifen und sie zu verändern, so begrenzt die Aktion auch sein mag, als in die Realität einzugreifen, sie zu verändern und dabei sich selbst zu verändern.
Wenn dem ersten Aspekt des Konflikts mehr Raum gegeben wird, haben wir eine Art von Intervention in die Realität, die zur Bildung einer Avantgarde führt. In der zweiten Hypothese würden wir ein Wachstum der anarchistischen Bewegung direkt, in der Realität des Kampfes sehen, mit der möglichen Bildung von spezifischen Organisationen, die Ausdruck dieser Realität in Kämpfen sind, in denen es für sie schwierig wäre, zu einer Avantgarde zu werden.
Dies scheint uns das wichtigste Problem zu sein, dem wir uns stellen müssen. Es handelt sich um ein komplexes Problem, da der Übergang von der Dimension des Individuums zur kollektiven Dimension nicht nur durch die Organisationsformen, sondern auch durch die Ziele gekennzeichnet ist, die die Organisation sich selbst, den Menschen, aus denen sie sich zusammensetzt, usw. gibt. Wenn die Tendenz, die wir als „asketisch“ definiert haben, aufgrund einer Rationalisierung des Konflikts zur Bildung einer Avantgarde führen kann, kann die Tendenz, die wir mit gleicher Vorsicht als „ethisch“ definiert haben, aufgrund einer Abstraktion des Konflikts infolge der quantitativen Illusion den gleichen Fehler begehen.
Der Konflikt zwischen der Totalität und dem einzelnen Teil
Wir sollten gleich sagen, dass wir mit der Unterscheidung zwischen der „asketischen“ und der „ethischen“ Tendenz nicht implizieren, dass der moralische Aspekt bei der ersteren nicht vorhanden ist. Dies ist ein grundlegender Aspekt der anarchistischen Methodologie (wie wir gesagt haben): Die Wahl der Mittel, die wir einsetzen, wirkt sich unwiderruflich auf die Ziele aus, die wir erreichen.
Es muss hinzugefügt werden, dass das Problem der Gewalt nicht durch eine Diskriminierung der beiden Tendenzen gelöst werden kann. Ein Vergleich wie „asketisch“ = Gewalt, „ethisch“ = Gewaltlosigkeit macht keinen Sinn. Immer auf der Grundlage des anarchistischen Prinzips, das sich weigert, dass „der Zweck die Mittel heiligt“, kann Gewalt legitimerweise zur Befreiung eingesetzt werden, ohne als zweideutiger moralischer Relativismus angesehen zu werden.
Es versteht sich von selbst, dass man im Zusammenprall mit der Macht, in der Revolution, oft gezwungen ist, sich zwischen dem größeren oder kleineren Übel zu entscheiden. Soll und Haben gibt es, auch in der Ethik. Aber die kontingenten Faktoren, die manche Fehler erklären, dürfen niemals zu einer moralischen Rechtfertigung anarchistischen Handelns erhoben werden.
Die Wirklichkeit, mit all ihren Nuancen, Komplikationen und Widersprüchen, spiegelt sich in der widersprüchlichen Persönlichkeit des Menschen und folglich auch im Anarchisten wider. Wir sehen also, dass die anarchistische Methodologie durch Analysen genährt und modifiziert wird, die verschiedene Instrumente einsetzen, von der Intuition Einzelner, die sich zu einer einzigen Handlung entschließen, bis hin zu einer Organisation, die auf die sie umgebende Realität einwirkt.
Aber der Anarchist, der seine Methodik mit Sorgfalt8 anwendet und die widersprüchlichen Aspekte erkennt, bewirkt Veränderungen in der Realität, die sowohl Ursache als auch Wirkung der daraus resultierenden Widersprüche sind.
Dennoch ist es nicht leicht zu erkennen, wo im Konflikt die Realität endet und der Schein beginnt. Es ist nicht leicht, die Menschen von ihren Ideologien zu trennen, und dies kann zu dem Versuch führen, bestimmte Interventionsebenen zu isolieren, indem man sie von den ideologischen Prozessen trennt, die sie bedecken. Wir hören oft Lobgesänge auf das „Tun“, die, in der besten Hypothese, naiver Romantizismus sind. Das „Tun“ kann nicht autonom sein, d.h. es kann sich nicht allein rechtfertigen.
Die Mittel zum Selbstzweck zu machen, entspräche dem asketischen Exzess des Revolutionärs, und wenn es sich dabei (im Rahmen des destruktiven Prozesses) auch um ein durchaus rationales Phänomen handelt, da es den Konflikt zwischen totalem und partiellem zu netzförmig zerschneidet. Sie leugnet letzteres und bejaht ersteres, tarnt aber beide Pole des Konflikts und macht so die Unterscheidung problematisch. Es handelt sich um den Extremfall einer bewaffneten Minderheit, die durch bestimmte Prozesse des Konflikts radikalisiert wurde, die einerseits auf ihre Strategie, aber auch und vielleicht vor allem auf die Entscheidungen der Macht zurückzuführen sind. Reale Motivationen, spezifische Tendenzen zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen werden zugunsten einer akritischen Überhöhung des Konflikts, des Wertes der bewaffneten „Tat“, des Angriffs und der Eindeutigkeit des Willens außer Acht gelassen. Der Militante wird durch objektive Konsequenzen deformiert, und während dies geschieht, denkt er, dass er die Situation in der Hand hat. Er wird zum Profi, schließt die Außenwelt in den erstickenden Rahmen des Frontalzusammenstoßes ein und erhebt aus dieser Perspektive den Anspruch, den Rest der Realität zu beurteilen. Wieder einmal spiegelt die ideologische Entfremdung (die immer vorhanden ist) eine grundlegende Entfremdung wider. Dann, konkret, erfordern die Erfordernisse des Zusammenstoßes selbst diese operativen Reduzierungen. Sie taucht wieder in die Logik der Arbeitsteilung ein, der sie sich nicht entziehen kann, da es nicht möglich ist, vor einer solchen Dimension zu fliehen, wenn ein entschieden revolutionärer und globalisierender Akt des Bruchs ausbleibt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Radikalisierung existiert und logisch begründet ist, wir wollten gerade „notwendig“ sagen, ebenso wenig wie es etwas daran ändert, dass sie unterstützt werden sollte, wenn es auf der anderen Seite der Barrikade Polizisten und all ihre verschiedenen Komplizen gibt. Aber das kann uns nicht das Recht verwehren, nachzudenken und zu kritisieren. Und die restriktive Dimension, die Dimension, die in der Restriktion Totalität will, d.h. die (theoretisch) Totalität anstreben kann, gerade weil sie die Welt und all ihre Taten auf eine Taschendimension reduziert hat, ist zu kritisieren. Die Avantgarde, die daraus hervorgeht, ist so ehrgeizig wie eh und je. Je größer die Risiken bei der Beschaffung von Mitteln sind, desto leichter können sie zum Selbstzweck werden. Auf diese Weise bewegt sich die Avantgarde in die Richtung, sich von ihren eigenen Zielen unabhängig zu machen, ja sie sogar zu ersetzen.
Ein Hindernis für eine Revolution ist die Tatsache, dass die Avantgarde, wenn sie der Realität begegnet, sich nicht als Mittel betrachtet, sondern ihre eigenen Ziele vorzieht. Diese stehen in keiner Weise im Einklang mit den allgemeinen Zielen der Revolution, d.h. der endgültigen Befreiung des Menschen.
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Modell der Avantgarde, das wir hier betrachten, und dem klassischen Modell, das der Marxismus vorschlägt. Für die Marxisten fungiert die Avantgarde als Vermittler zwischen den unmittelbaren und den historischen Interessen der Arbeiterklasse. Das Paradoxe ist, dass diese Avantgarde die Interessen der Klasse interpretieren muss, deren Entwicklungsbedingungen sie schaffen muss. Für die asketische Art der revolutionären Avantgarde gibt es nicht das Problem der „Vermittlung“, sondern nur das der „Aktion“. Erst wenn sich der Zusammenstoß durch die Reaktion der Macht entwickelt hat, kann man von einer wirklichen Koagulation9 der avantgardistischen Formen sprechen, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen (Umwandlung in einen militärischen Flügel, die Deformation zur Professionalität, usw.).
Doch unserer Meinung nach ist dies nicht der heikelste Punkt des Konflikts zwischen Totalität und dem einzelnen Teil. Viel radikaler ist das zugrunde liegende Problem, der Konflikt innerhalb des Militanten als Individuum.
Das Aufeinanderprallen von Totalität und einzelnem Teil ist für den Militanten, der sich im Kampf engagiert, stets präsent, und das prägt auf lange Sicht seinen Charakter zutiefst. Er deformiert seine Lebensauffassung bis zu dem Punkt, an dem er sich – bisweilen angesichts großer Wahnvorstellungen – weigert, die Realität zu akzeptieren. Wir sehen das Ausmaß des Problems in dem qualvollen Schrei Cafieros oder in den schmerzhaften Schriften Coeurderoys.
Die Revolution ist ein globalisierendes Konzept des menschlichen Einsatzes. Sie ist Totalität. Sie erlaubt kein gemeinsames Eigentum, kein Gemeinschaftsleben und keine Kompromisse. Der anarchistische Kampf ist die höchste Anerkennung des Prinzips der realisierbaren Totalität bei gleichzeitiger Wahrung des Wertes des Individuums, ein Zusatz von großer Komplexität, da er sich weigert, revolutionäre Mittel als Selbstzweck zu betrachten. In diesem Fall wird die Totalität kristallklar, schillernd. Alles geht auf sie zu, das eigene Ich, die Familie, die Zuneigung, die Gewohnheiten, die Hoffnungen.
Aber all das (so großartig es für den Einzelnen auch klingen mag, es ist immer noch sehr klein) brennt bald in dem immensen Ofen der revolutionären Totalität aus. Und so will man schnell handeln, um einen Prozess zu beschleunigen, der seine eigene Zeit braucht und in seinem eigenen Tempo abläuft. Wir beginnen zu spüren, wie es auf uns lastet, als ob wir es auf unseren Schultern tragen müssten.
Dann sind wir gezwungen, vor dem unerbittlichen Tribunal der Einseitigkeit zu stehen. Wachstum messen, Entfernungen abschätzen, Beziehungen betrachten, Perspektiven aufzeigen. Wir beginnen, dem Tempo der Ereignisse mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wir beginnen, uns zu retten, uns auf den langen Weg vorzubereiten, der vor uns liegt. Wir möchten, dass wir unsere Revolution ewig leben, aber wir sind uns bewusst, dass wir die Totalität nicht innerhalb der Grenzen unserer Wünsche einsperren können, und am Ende geben wir der Sorgfalt und der Strategie nach. Wir stellen fest, dass wir nicht allein sind, dass vor uns und unserem Befreiungsprojekt die Massen (die nicht unbedingt bereit sind, sich selbst zu befreien) und die Macht stehen. In voller Evidenz und revolutionärem Mysterium steht vor uns eine widersprüchliche, aber beständige Beziehung zwischen Totalität und einzelnem Teil, Traum und Realität, Ideal und strategischem Projekt.
Einige, die die Totalität in eine engere Dimension einschließen, asketisieren ihre Intervention. Sie hüllen sich in einen Mikrokosmos ein, den sie als solchen erkennen, den sie ins Unendliche führen wollen, indem sie ihn perfektionieren und behaupten, dass er in der Lage sei, alle Bedingungen der revolutionären Totalität in einem reduzierten Maßstab zu reproduzieren. Durch diese Verkleinerung versuchen sie, ein „Modell“ vorzuschlagen, ein Beispiel, einen Bezugspunkt zu geben, so dass viele andere „kleine“ Totalitäten entstehen, die alle zusammen in der Lage sind, eine so große Totalität zu bilden, dass sie sich der endgültigen annähert. Auf die eine oder andere Weise führt diese Entscheidung dazu, dass sich die Avantgarde in sich selbst schließt. Über ihre Kriminalisierungspraktiken wird die Macht den Rest erledigen.
Andere, die das Konzept der Voreingenommenheit voll und ganz akzeptieren, stehen langen Zeiträumen, d.h. der quantitativen Messung, positiv gegenüber. Für diese Gefährten wird das grundlegende Tun zum grundlegenden Denken. Die Beziehung zur Masse wird erzieherisch und rückt in das Besondere, das Spezifische. Die Verbindung mit der Totalität, die auf der Grundlage einer mehr oder weniger globalisierenden Analyse hergestellt wurde, wird rein theoretisch. Auf diese Weise wird die quantitative Degeneration der ethischen Tendenz geboren, so wie es im vorhergehenden Fall eine qualitative Degeneration der asketischen Tendenz gab. Obwohl diese Positionen unterschiedlich sind (die erste offen, die zweite geschlossen), sind beide kritikwürdig.
Die Revolutionäre Entfremdung
„Revolutionäre Entfremdung“ ist das Bewusstsein für den Kontrast zwischen Totalität und einzelnem Teil. Es ist der Ekel vor dem Letzteren vereint mit der Möglichkeit des Ersteren, was zu einer Form der Entfremdung führt, die angesichts der Veränderung des Systems als extremes Unbehagen empfunden wird.
In gewisser Weise sind wir mit einem Phänomen konfrontiert, das dem so genannten „unglücklichen Bewusstsein“ ähnelt, das aus einer unangemessenen Reaktion auf die eigene Klassensituation resultiert. Nur, während das unglückliche Bewusstsein vor allem ein Gefühl des Unbehagens vor einer Klassenverschiebung ist, der man sich am Ende entfremdet fühlt, ist die revolutionäre Entfremdung die letzte Bruchstelle in diesem Prozess. Es ist das Bewusstsein, die Totalität nicht verwirklichen zu können, in dem Bemühen um die Totalität etwas zu verlieren, was unserer Meinung nach der einzig mögliche Weg zur Revolution ist.
Wir befinden uns vor einer tiefgehenden Krise der „menschlichen“ Bedeutung des revolutionären Wesens, vor einem Sich-Selbst-Als-„Ding”-Empfindens. Dieser Prozess der Verdinglichung vollzieht sich im Zusammenprall zwischen dem Fortbestehen der Einteiligkeit und der ständigen Wiederkehr des Bedürfnisses nach Totalität.
Dies ist nicht die „Krise“ des Bourgeois, der an der Sättigung eines Lebensstils zerbricht, der für ihn bewusst mit fabrizierten Bedürfnissen und Stimuli aufgebaut wurde, die in den Laboratorien der Macht untersucht wurden. Es ist nicht die Krise des konsumistischen Wohlbefindens, der Langeweile und des ferngesteuerten Handelns, einer ständigen Wiederholung des programmierten Wandels.
Es ist nicht die Aussetzung der Beteiligung oder des Urteils, die Zuflucht in eine aristokratische Dimension der Reflexion oder die Macht des Intellekts, der das Universum der eigenen Gedanken reguliert und sich selbst täuscht, dass man die Welt reguliert. Es geht nicht darum, sich von den Dingen der Wirklichkeit zu trennen, um sich auf die Suche nach der perfekten utopischen Gesellschaft zu begeben, durch Zahlen, Verse oder die bevorzugte Ikaria.
Es ist keine „gesteuerte“ Umwälzung in einer Realität, die mit Hilfe irgendeines Vehikels (Drogen oder was auch immer) in der Schwebe gehalten wird, die der Wirkung des Massenprodukts entsprechen kann oder tatsächlich die Wirkung eines Massenprodukts sein kann, das einer Mode oder einer Werteskala folgt, die das System selbst nicht mehr aufrechterhalten kann.
Es ist keine Entfremdung im marxistischen Sinne des Wortes, der Verlust von etwas, das uns gehört, in erster Linie das soziale Produkt, denn nur durch das Produkt unserer Arbeit erkennen wir uns als Menschen. Es ist nicht die Entfremdung des Arbeiters, die in einer bestimmten Weise vor der erzwungenen Perspektive reagiert, die ihm das Produktionssystem bietet.
Die Entfremdung, von der wir hier sprechen, ist ein Mangel an etwas, (ein Prozess der allgemeinen Entfremdung), aber auch ein Mangel an sich selbst, dem Selbst, das sich mit der revolutionären Totalität identifiziert. Es ist genau diese Perspektive (Totalität), die einen Ausweg aus der allgemeinen Form der Entfremdung bietet, ohne darüber hinaus die Gefahr, dass die Entfremdung durch die Frustration des Bedürfnisses nach revolutionärer Totalität wieder auftaucht, vollständig zu vermeiden.
Wenn der entfremdete Arbeiter seine Entfremdung erkennt, wird er sich ihrer bewusst und überwindet sie. Auf diese Weise tritt er in die revolutionäre Perspektive ein. Diese kann wie eine Tonne Ziegelsteine auf ihn fallen, wenn er nicht in der Lage ist, das zu erfüllen, was die Abwesenheit der primitiven Entfremdung ihm aufzwingt: die vollständige Befreiung und die Verwirklichung der revolutionären Totalität. Auf diese Weise riskiert die eigentliche Befreiungsperspektive, sich in eine weitere Form der Entfremdung zu verwandeln, nämlich in die des Mangels an Totalität.
Für anarchistische Revolutionäre ist diese Situation weitaus gravierender. Da sie weder das Charisma des Anführers noch der Organisation haben, haben sie nichts, woran sie sich festhalten können. Die Bewertung ihrer eigenen Arbeit ist wenig hilfreich; mit einer einfachen Überlegung können sie sie in der Perspektive der revolutionären Totalität auf den zweiten Platz stellen. Wenn sie versuchen, etwas an ihrer Situation falsch zu sehen und sich so davon zu überzeugen, dass ein kleiner eingeschlossener Teil der Wirklichkeit der Mikrokosmos ist, der die Totalität hervorbringt, verwandeln sie sich in einen avantgardistischen Mechanismus und verdinglichen die Entfremdung bis zu dem Punkt, dass sie sie nicht mehr sehen können, so wie es in der Phase der primitiven Entfremdung vor dem Erwachen des Bewusstseins geschah. Auf diese Weise verdinglichen sie ihre eigene Entfremdung, indem sie die Lösung der Parteilichkeit akzeptieren (Analysen und lange Interventionszeiten).
Tatsache ist, dass die revolutionäre Entfremdung nicht einfach eine Beziehung ist, der etwas fehlt (Totalität), sondern auch das Bewusstsein dieses Mangels. Mit anderen Worten, es ist nicht nur die Erkenntnis, dass etwas fehlt, es ist auch die Erkenntnis, auf das Letztere nicht verzichten zu können.
Kommen alle im revolutionären Kampf engagierten Anarchisten zu dieser Schlussfolgerung? Darauf gibt es keine einfache Antwort.
Sicher ist, dass, wenn Anarchismus die Verweigerung von Autorität ist, er auch eine kritische Reflexion über die Grundbedingungen des Lebens und aller sich daraus ergebenden Widersprüche ist. In gewisser Weise ist es ein Charakteristikum von Anarchisten, dass sie auf diese Widersprüche eingehen, da es für autoritäre Revolutionäre seltsam wäre, sich dieser Entfremdung durch das enge Geflecht der Parteistruktur, in der sie sich bewegen, bewusst zu werden. Aber wenn diese Entfremdung eine Folge der kritischen Auseinandersetzung mit der Realität ist, sollte sie nicht als etwas Negatives betrachtet werden, sondern als ein notwendiger Schritt, eine schwierige Phase, die es zu überwinden gilt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie nicht das Vorzimmer des revolutionären Engagements ist, sondern das Ergebnis davon, die Konsequenz davon. Es ist nicht einmal die endgültige Lösung, die letzte Mauer, von der man sich zurückziehen und Selbstmord begehen kann, sondern der Übergang zu einer weiteren Phase der Vertiefung des eigenen Wissens und der Erlangung von Reife.
Bevor man weitergeht, ist es notwendig, die Bedingungen dieser besonderen Art der Entfremdung zu untersuchen.
Der Prozess beginnt mit dem absoluten Wert, der dem Individuum gegeben wird. Jeder Vorschlag, letzteres der revolutionären Strategie oder gar der revolutionären Totalität zu opfern, wird abgelehnt. Der Einsatz kann total sein, kann bis zur vollständigen Hingabe und zum Tod gehen, kann aber niemals die Annullierung des Individuums erreichen. Anarchisten, die für die Revolution sterben, lehnen den Wert des Individuums nicht ab, im Gegenteil, sie betrachten dieses im höchsten Maße als das Opfer, das zu einer Gesellschaft führt, in der Opfer unmöglich sind, einer befreiten Gesellschaft. Bei all ihrer Öffnung gegenüber dem Kampf, bei all dem kollektiven Handeln, das sie spüren und zu ihrem eigenen machen, verlieren sie nie die individuelle Dimension.
Die Entfremdung kommt zu ihnen, wenn sie erkennen, dass sie nur durch die Akzeptanz einer schlimmeren Form der Entfremdung (der primitiven Art oder der der zentralisierten Macht) in der Lage sein werden, der Gefahr zu entgehen, das Projekt der Befreiung des Individuums verschwinden zu sehen. Tatsächlich gelingt es dem Individuum unter den Bedingungen der primitiven Entfremdung zumindest teilweise, sich selbst zu verwirklichen, wenn auch in deformierter (entfremdeter) Weise. Aber Anarchisten wollen die vollständige Verwirklichung des Individuums und wollen dies in der gesellschaftlichen Perspektive der totalen Befreiung. Sie befinden sich in einer schweren Krise, die sich aus dem Gegensatz zwischen Individuum und Totalität ergibt. Das Eintreten in eine Teildimension würde viele Aspekte dieser Krise heilen, aber eine andere entfremdete Form reproduzieren, nämlich die Avantgarde.
Entfremdung wird erst dann zu einem entscheidenden Faktor, wenn man sich der Entfremdung bewusst ist. Und dies ist eine Folge des Willens des Einzelnen, sich in einer Situation der Pattsituation zu bewegen, in der es keinen Ausweg gibt, der zu einer Überlegung über die andere Möglichkeit führt, die bewusste Verweigerung der Totalität als unmittelbares Ziel. Je größer dieses Bewusstsein ist, desto mehr wird sich das Individuum für andere Möglichkeiten öffnen.
Aber das einfache Bewusstsein, zu erkennen, dass man sich in einer „Krise“ befindet, könnte das Individuum dazu bringen, alles zu opfern, um letztere in kürzester Zeit zu überwinden. Die Intoleranz gegenüber einer Situation der Unsicherheit kann jemanden, der es gewohnt ist, sein Handeln zu radikalisieren, zu extremen Lösungen drängen. Wenn die Totalität zu einer „Krise“ führt, wenn es dieses Ziel ist, das das revolutionäre Projekt verdirbt, indem es die destruktive Ordnung umstößt, die man sich als deterministisch fortschrittlich vorgestellt hat, müssen wir diesen Gegenpol abschneiden. Dazu wird es notwendig, ihn zu unterbewerten, ihm vorzuwerfen, er sei utopisch, ein Hirngespinst, unbegründet, deformierend, petit bourgeois. Der letzte Vorwurf ist genau dieser letzte. Alles, was uns ärgert, wird zu einem Produkt der bourgeoisen Ideologie und ihrer betriebswirtschaftlichen Buchführung. Ein Produkt der Waren und ihrer Verdinglichung.
Aber wenn man so handelt, merkt man, dass man viel verliert. Eine Zeit lang ist man davon überzeugt, dass man das Problem gelöst hat, dann taucht es wieder auf. Die Perspektive der revolutionären Totalität ist das, was die Qualität der Revolution enthielt, ihr befreiendes Wesen. Die Qualität ist das einzige, was uns in jedem Augenblick, in dem wir progressiv handeln, das Gefühl der Totalität der Befreiung vermitteln kann. Nur Qualität kann uns dazu bringen, den letzten Moment zu leben, den wir niemals sehen werden, den wir aber dennoch präsent fühlen müssen, wie einen Reflex, der uns erlaubt zu wissen, wo wir sind. Und diese Qualität ist oft phantastisch, utopisch. Sie lässt sich nur sehr schwer mit Quantifizierung in Verbindung bringen. Indem wir für die revolutionäre Totalität kämpfen, begreifen wir die Qualität der Revolution und lassen sie in unseren Aktionen wieder aufleben, in den kleinen Dingen, die allmählich ein fortschrittliches Gefühl der Befreiung entwickeln. Aber all das bringt uns auch Entfremdung, Unbehagen, Leid.
Wenn wir leiden, erinnern wir uns mit einem Gefühl des Verlusts an die Dinge der Vergangenheit. Man könnte dies als Nostalgie nach primitiver Entfremdung sehen. Die Welt der Verdinglichung kann ein netter kleiner Hafen im Sturm sein, und mit diesem Rückwärtsgehen schließt sich der Kreis des Leidens: mit Schrecken stellen wir fest, dass Entfremdung darin besteht, nicht etwas sein zu wollen, was man sein könnte, aber an sich bedeutungslos ist; und nicht etwas sein zu können, was man sein möchte, was an sich alles bedeutet.
Man braucht nicht zu denken dass diese Hinweise, zu einer detaillierte Revision von Individualismus, Personalismus oder voluntaristischem Rationalismus auffordern. Sicherlich ist das, was wir über die Abenteuer der Person (die Verwandlung der Maske) wissen, zu wenig um über diese etwas auszusagen; und dieses wenige ist Frucht des bourgeoisen Irrationalismus (Existenzialismus, Phänomenologie, etc.). Es wäre viel mehr Vertiefung nötig, und es ist nicht möglich, hier darauf einzugehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir uns mit dem Verhältnis zwischen Individuum/Kollektivität befassen. Schmerzhafte Widersprüche entstehen bei anarchistischen Militanten nicht deshalb, weil sie Individuen sind, sondern weil sie Individuen sind, die ihren eigenen Wert und den der Masse als zwei Werte anerkennen, die im Gegensatz zueinander stehen, die aber nicht durch den einen für den anderen ersetzt werden können.
Wenn die revolutionäre Spannung daraus entsteht, dass die Revolution ein allumfassendes Projekt ist, ein Projekt, das die Lebensqualität aufhebt und den Anspruch erhebt, diese vollständig zu verwandeln, entstehen besondere Widersprüche aus der Notwendigkeit für den einzelnen Anarchisten, eine korrekte Beziehung zur Masse herzustellen, um zu vermeiden, dass er einen einzelnen Aspekt seiner Entscheidung allein durchführt um sich auf diese Weise nicht durch die eigene Entscheidung betrogen zu fühlen.
Die revolutionäre Entscheidung umfasst das Lebens des Einzelnen in seiner Gesamtheit, indem sie sich im Element der Lebensqualität dieses Lebens widerspiegelt. Daher die Möglichkeit der Verwirklichung der Gesamtheit der Revolution (und damit auch die Gesamtheit des Lebens). Aber: die revolutionäre Entscheidung ist nicht etwas Abstraktes wofür man sie als eine „Möglichkeit“ oder eine „Notwendigkeit“ bezeichnen könnte aus der Perspektive desjenigen, der sie lebt. Sie ist real, sie führt zu tiefgreifenden Veränderungen im Individuum und ist in diesem Sinne „notwendig“. Aber um eine solche zu sein, muss sie über die „Möglichkeit“ hinausgehen, d.h. sie muss verwirklicht werden. Wenn letzteres nicht durch einen konstanten Einsatz verwirklicht wird, wird es nie zu einer Notwendigkeit werden. Hierin liegt das Drama: Es ist der Kampf, der zur Aufhebung der Annäherungen führt, die einen diesen notwendigen Aspekt der revolutionären Entscheidung entwickeln lassen, was alle entfremdenden Konsequenzen bestimmt.
Aber Möglichkeit und Notwendigkeit gehen nicht Hand in Hand. Möglichkeit zieht persönlichen Einsatz mit sich und kann sogar bis zur Notwendigkeit gehen, aber nur als eine Annäherung an etwas, als die Identifizierung eines Ziels. Die Notwendigkeit als solche, als bewusster Ort der tiefgreifenden Verwandlung der Lebensqualität, kommt von der Masse, von dem, was die Masse produziert. Genauer gesagt, die Notwendigkeit kommt aus der Selbstorganisation der Masse.
Man kann sich in die Verschwörungen der revolutionären Möglichkeit in die Unendlichkeit einwickeln. Man kann von aufständischen Zusammenstößen träumen oder über langfristige Bildungsprojekte bis zur Erschöpfung phantasieren, sogar bis zur Unerträglichkeit und Verärgerung. Ohne dabei die Dimension zu erreichen, in der die Möglichkeit in der Notwendigkeit geklärt wird, d.h. die Anerkennung der Notwendigkeit dieser Klärung, die Anerkennung des einzig gültigen Weges, nämlich dem der Selbstorganisation der Masse.
Wenn wir einen Blick auf diese Perspektive werfen, wird die Unzahl der Möglichkeiten, die Möglichkeit einer wahrscheinlichen Lösung einer sich nähernden Totalität für uns unerträglich. Es braucht Zeit, um diese Möglichkeit zu erkennen, und genau daran mangelt es uns. Jetzt wollen wir laufen. Wir wollen, dass die Totalität, von der wir einen Blick erhascht haben, Wirklichkeit wird. Wir wollen, dass das, was wir uns erwarten, Wirklichkeit wird. Diese Situation hat kein Ventil im gegenwärtigen Aspekt des Leidens. Es ist ein intimer Riss, ein Widerspruch, der – wenn man darüber nachdenkt – der Reflex des Klassenfaktors ist, mit noch größerem Bewusstsein, noch mehr Leid. Und weil der Prozess des Bewusstseins an das Leiden wegen des Klassenrisses gebunden ist, an die Entstehung einer echten Krankheit, kann dieser nicht beseitigt werden.
Betrachten wir einen Moment lang die andere Form der Entfremdung, die bekanntere. Es handelt sich um eine objektive Tatsache, d.h. um das Ergebnis der Entfremdung von etwas (dem sozialen Produkt der eigenen Arbeit). Mit dem Erwachen des Bewusstseins (gesteigertes Bewusstsein) gewinnt man auch ein Bewusstsein der Entfremdung. Der Mechanismus zur Korrektur der Situation des Leidens, das sogenannte Klassenbewusstsein, hätte keinen Sinn oder wäre eine rein objektive Tatsache, wenn er nicht auch die Möglichkeiten einschließen würde, die sich daraus ergeben. Auf dieser Ebene wirken religiöse Rückstände, die dieses Klassenbewusstsein auf die Suche nach vermittelten Lösungen drängen, wie z.B. auf die Suche nach Führung. Das kann offensichtlich nicht als eine Korrektur der Situation des Leidens gesehen werden, sondern lediglich als dessen „Umschichtung“.
Andere Schwierigkeiten treten auf anderen Bewusstseinsebenen auf. Das Verweigern des Anführers entspricht in gewisser Weise der Verweigerung des Vaters. Die Selbstorganisation der Kämpfe erfordert a priori die Verweigerung, die Verantwortung für Kämpfe auf jemanden oder etwas abzuwälzen. Es ist immer der Grad des Bewusstseins, der wächst.
Die Entwicklung dieses Bewusstseins im Individuum führt zu dem, was wir unter den oben untersuchten Bedingungen als revolutionäre Entfremdung bezeichnet haben. Die Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe bestimmt ein vorübergehendes Gefühl des Unbehagens, des Leidens, der Mutlosigkeit in der Masse, das mit dem der revolutionären Entfremdung auf einer anderen Ebene verglichen werden kann.
Aber während es aus der Sicht des Individuums nur eine Abfolge von Möglichkeiten und ein beunruhigendes Bedürfnis nach revolutionärer Totalität gibt, gibt es aus der Sicht der sich selbst organisierenden Masse eine fortschreitende Identifikation mit einem Bedürfnis, das ihr selbst deutlich wird. In diesem Fall ist Leiden und Unbehagen die Entdeckung von etwas, das existiert, egal wie klein, nicht von etwas, das werden wird, denn alles, was in die Zukunft projiziert wird (ausgehend von der Notwendigkeit der Gegenwart), ist lediglich quantitatives Wachstum.
Das Leiden des Individuums kommt also aus einem Mangel an Qualität (revolutionäre Totalität), einem Mangel, der eine unendliche Reihe von Möglichkeiten bietet, die sich auf die Notwendigkeit der Selbstorganisation der Masse projizieren. Auf der anderen Seite erfährt die Masse ein Aufwühlen, ein Unbehagen, ein wirkliches Leiden, weil sie beginnt, die Tatsache der Selbstorganisation zu entdecken.
Diese doppelte Situation des Unbehagens charakterisiert das „menschliche“ Feld des revolutionären Kampfes und liefert uns den Schlüssel zur Lösung des Problems der Avantgarde. Bevor man sich dieser letzten Frage stellt, ist es notwendig, die strukturelle Beziehung zu klären, die zwischen Individuum, Minderheit und Masse besteht, und die Spannung zu untersuchen, die sich daraus ergibt.
Revolutionäre Spannung
Individuelle Aktivität kann nicht als etwas Autonomes gesehen werden, von dem ausgehend die Realität durch die Organisation des Kampfes denkbar wird. So etwas wie eine Homogenität der Absicht gibt es nicht. Wenn man die Haltungen und Aktivitäten des einzelnen Individuums beobachtet, kann man die Realität nicht einfach durch eine begleitende Handlung rekonstruieren. Deren Widersprüchlichkeit ist weitaus komplexer als die des Individuums und wird darüber hinaus von unterschiedlichen Strukturen getragen. Während das Individuum durch das Bewusstsein seiner selbst die revolutionäre Möglichkeit und die Notwendigkeit der revolutionären Totalität (also die Entfremdung und ihre Aufhebung in revolutionärer Spannung) erreichen kann, erreicht das zweite Individuum durch Selbstorganisation direkt die revolutionäre Notwendigkeit, so dass das Wachstum eines ersten noch so kleinen Kerns/Zelle bereits die revolutionäre Totalität zur Disposition steht.
Wir haben es mit Tendenzen zu tun, die in zwei verschiedene Richtungen gehen und sich vielleicht nie treffen werden, zumindest im Sinne der Beseitigung von Differenzen und der Schaffung einer befreiten Realität jenseits der Realität der Kämpfe. Tatsächlich ist die andere Begegnung, die des Anführers und der Partei mit der Minderheit an der Spitze als Gedächtnis und revolutionäres Reservoir der Masse, keine wirkliche Begegnung, sondern die Verleugnung des eigentlichen Konzepts der Begegnung vom revolutionären Standpunkt aus.
In der Tat ist die revolutionäre Totalität, die neue Gesellschaft, deterministisch gesehen nicht sicher. Vielleicht wird es den Obskurantisten immer gelingen, sich durchzusetzen und das revolutionäre Projekt zurückzudrängen, den Fortschritt zu zerstören und die Barbarei wiederherzustellen. Dieser Hinweis auf Prekarität und Instabilität findet sich auch in den revolutionären Spannungen wieder, was ein ständiges Bemühen um Bewertung, Überprüfung und Präzision erforderlich macht.
Das Vorhandensein und die Entwicklung selbstorganisierter Kampfformen reichen nicht aus, um die endgültige Lösung der Theorie in der Praxis, ihre Vereinheitlichung in der befreiten Gesellschaft zu garantieren. Es handelt sich lediglich um eine Tendenz, die in diesem Konzept das tiefe Gefühl des Leidens einbezieht, das sich aus dem Entstehen neuer Kampfformen ergibt. All dies erzeugt einen Zustand der Spannung, der Unruhe in der Bewegung der Ausgebeuteten. Neue Kräfte entstehen, neue Bedürfnisse entstehen, Ideale und Idole der Vergangenheit werden zerstört.
Die Spannung in der Bewegung der Ausgebeuteten entsteht aus dem Bewusstsein der Diskrepanz zwischen dem, was man theoretisch ist, und dem, was man in der Praxis verwirklicht. Dieser Widerspruch berührt die Bewegung zutiefst und setzt oft einen Teil von ihr gegen den anderen Teil frei, wodurch sie das Spiel der Kräfte der Macht spielt. Aber diese Spannung ist lebenswichtig, sie ist die wesentliche Stärke der Koordination für die Zukunft. Aus ihrem Inneren heraus explodieren die destruktiven und kreativen Fähigkeiten der Revolution.
Auch die anarchistische Minderheit trägt einen tiefen Riss in sich. Die Starrheit des geschlossenen Modells, das als Reproduktion der revolutionären Totalität angesehen wird, läuft Gefahr, ihm die Qualität der Revolution, d.h. die neue Lebensqualität, zu nehmen. Nur wenn sie diesen Verzicht akzeptiert und der quantitativen Illusion zum Opfer fällt, wird es ihr gelingen, die intime Spannung, die sie plagt, zum Schweigen zu bringen. Damit zerstört sie aber auch den Sinn ihres eigenen revolutionär-anarchistischen Projekts, indem sie jeden wirklichen Kontakt zu den Massen abbricht. Nicht nur das, ihre Militanten leben als Individuen, die sich der revolutionären Möglichkeit bewusst sind, da sie (wissentlich) aus der revolutionären Totalität herausgeschnitten sind, persönlich eine andere Spannung, die umso mehr empfunden wird, als sie das Leben eines jeden berührt. Diese andere Spannung kann nicht mit quantitativen Spielen, globalisierenden Analysen oder Erinnerungen des Proletariats befriedigt werden. Sie muss sich in einer anderen, noch umfassenderen Spannung identifizieren, nämlich der der Masse selbst. Entweder akzeptiert die Minderheit, die Spannung der einzelnen Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, zu leben, während sie gleichzeitig die Spannung der Masse lebt, oder sie ist dazu verurteilt, eine Avantgarde zu bleiben und als solche für alle sich daraus ergebenden Konsequenzen verantwortlich zu werden.
Das Bewusstsein der revolutionären Spannung ist das erste Anzeichen dafür, über die Entfremdung hinauszugehen.
Für die Bewegung der Ausgebeuteten drückt sich dieses Bewusstsein in einer organischeren Suche nach der Selbstorganisation der Kämpfe aus. Was einst im individuellen Verhalten der atomisierten Verteidigung gegen Unterdrückung und Ausbeutung verloren ging, eine individuelle Reaktion, um das durch den integrativen Prozess des Kapitalismus ausgelöschte Leben neu zu bewerten, wird nun zu einem quantifizierenden Projekt. Die Bewegung der Ausgebeuteten beginnt, sich eine autonome Struktur zu geben, sie beginnt, neue innere Beziehungen und Verbindungen zu suchen. In dieser Forschung und Verwirklichung wird Spannung zur Konstruktion. Die Theorie nimmt immer mehr Gestalt an und beginnt der Praxis immer mehr zu ähneln.
Für die anarchistische Minderheit ist das Bewusstsein der revolutionären Spannung ein Zeichen der Reife. Sie befreit sich allmählich von der quantitativen Illusion, sich als Träger der „Wahrheit“, als „äußere“ Kraft, als „Erinnerung“ zu fühlen. Dies ist nur unter der Bedingung möglich, dass die innere Spannung abgebaut wird, dass die einzelnen Militanten die revolutionäre Beziehungsmöglichkeit als Ganzes sehen, gegen die Entfremdung gekämpft haben und in einer persönlichen Spannung darüber hinausgehen können. Letztere taucht nun auf der Ebene einer Minderheit wieder auf, um ihren Platz in der weiteren Spannung der Bewegung der Ausgebeuteten zu finden, der einzigen Dimension, in der es möglich ist, einen konstruktiven Weg zu einem quantitativen Wachstum zu finden.
Die Lösung des Problems der Avantgarde
Abschließend können wir die Avantgarde als einen Platzhalter, ein Nachgeben gegenüber dem revolutionären anarchistischen Projekt definieren. Jetzt können wir sehen, dass die Definition „ein organisches Ganzes, das aus Individuen besteht“, die wir am Anfang gemacht haben, nicht mehr ausreicht. Die tatsächliche Zusammensetzung der Avantgarde verliert angesichts ihrer Bedeutung innerhalb des komplexen Rahmens der revolutionären Beziehungen an Bedeutung. Die Avantgarde ist also eine Flucht vor den Empfindungen des Leidens und der Panik, die durch die revolutionäre Entfremdung hervorgerufen werden; sie ist die Verweigerung der Spannung gegenüber der Bewegung der Ausgebeuteten, eine Spannung, die diese in ihrer widersprüchlichen Beziehung zwischen Selbstorganisation und Delegation des Kampfes entwickelt. Die Avantgarde tritt an die Stelle der quantitativen Aufgabe der Bewegung der Ausgebeuteten, die auf einem reduzierten Niveau (entweder mit erbaulichen Zielen oder mit dem Ziel der Herrschaft) die Realität der Kämpfe insgesamt reproduzieren will. Es ist der Wunsch, das Unquantifizierbare zu quantifizieren. Es ist eine gewaltsame Deformation der revolutionären Möglichkeit in eine fiktive Notwendigkeit (Totalität). Die Avantgarde ist die Akzeptanz einer globalisierenden Analyse, die den Anspruch erhebt, in einem ausschließlich theoretischen Bereich „alles zu berücksichtigen“, indem sie fiktiv das tut, was die Bewegung der Ausgebeuteten in der Realität bewirkt, indem sie gleichzeitig Theorie und Praxis wird.
Im Gegenteil, das volle Bewusstsein der revolutionären Entfremdung ermöglicht den Zugang zu individueller revolutionärer Spannung, die sich in einer Verschiebung in die Unendlichkeit des Gesamtprojekts der Revolution verlieren würde, wenn sie nicht ihre richtige Entwicklung in der Spannung der Minderheit finden würde. Wenn diese angesichts von Hindernissen aufgibt, verwandelt sie sich in Avantgarde und handelt entsprechend. Die Spannung der Minderheit erlischt in der quantitativen Illusion und in dem analytischen Projekt, das den Anspruch erhebt, global zu sein. Die Spannung des Individuums weicht in das Leiden der Entfremdung zurück und findet Trost in tausend kleinen Facetten des quantitativen Projekts, das von der Masse abgeschnitten ist. In der Tat, je drängender das durch die revolutionäre Entfremdung verursachte Leiden ist; je größer die Loslösung, der Verlust der Totalität und die Qualität der Revolution, desto engstirniger wird der Einsatz in der quantitativen Alltagspraxis bei der Befriedigung eines schlechten Gewissens sein. Wenn die Spannung der Minderheit in die breitere Spannung der Bewegung der Ausgebeuteten eingefügt wird, entsteht ein Berührungspunkt zwischen Selbstorganisation und Delegation der Kämpfe. Man entwickelt eine Angeregheit zur Selbstorganisation, indem man die eigene revolutionäre Spannung zu der der Bewegung der Ausgebeuteten hinzufügt und das anarchistische revolutionäre Projekt in voller Übereinstimmung mit der Theorie der Arbeiterbewegung entwickelt.
Je detaillierter und klarer diese Theorie wird, je mehr sie sich ihrer selbst bewusst wird, je mehr sie in der Selbstorganisation des Kampfes voranschreitet, je mehr sie sich selbst eine autonome Struktur gibt, interne Beziehungen verbindet und Verbindungen herstellt, desto mehr wird sie auf die falsche Perspektive des Delegierten (Parteien und Gewerkschaften) verzichten. Die traditionelle Funktion der anarchistischen Minderheit wird abnehmen, und wenn sie ihren Wert verliert, wird ihre revolutionäre Spannung zunehmen. Tatsächlich ist es das Ziel der anarchistischen Bewegung, zum Aufbau einer Gesellschaft beizutragen, in der es keine Ausbeutung mehr geben wird. Und wenn es keine Ausbeutung mehr geben wird, werden der politische Kampf, die Bewegungen und folglich auch die anarchistische Bewegung nicht mehr notwendig sein.
Die endgültige Verneinung der anarchistischen Minderheit als solche wird nicht die Entscheidung einer Gruppe oder etwas sein, das außerhalb der Minderheit geschieht. Sie wird die Verwirklichung der revolutionären Spannung in der revolutionären Totalität, der befreiten Gesellschaft, sein. In dieser letzten Phase wird die Bewegung der Ausgebeuteten ihre eigene Theorie verwirklichen (die sich nicht mehr von ihrer Praxis unterscheiden wird), und durch diese Verwirklichung wird die Sache der anarchistischen Minderheit zu einem Ende kommen.
1A.d.Ü., in der englischen Ausgabe ist die Rede von exploited, also Ausgebeutete, aber wir haben später gesehen, weil es auch erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich war, dass in dem Originaltext auf italienisch die Rede von lavoratore ist, was Arbeiter bedeutet. Wir haben uns für erstes vorerst entschieden, aber um Transparenz zu schaffen, teilen wir dies hiermit mit.
2A.d.Ü., unter Proselytismus wird die rasche Anwerbung (ohne wirkliche Überzeugung) zur eigenen Ideologie oder Religion verstanden; wird meist im negativen Sinne verwendet.
3A.d.Ü., zu verstehen als die Führung, synthetisiert in einer Person.
4A.d.Ü., kleinbürgerlich
5A.d.Ü., FAI: Federación Anarquista Ibérica, Iberische Anarchistische Föderation
6A.d.Ü., Schwund, Auszehrung
7A.dÜ., bezieht sich auf Benedetto Croce
8A.d.Ü., kann auch als Genauigkeit und Exaktheit verstanden werden.
9A.d.Ü., Gerinnung, Ausflockung