Vom Krawall zum Aufstand (A.M.Bonanno)
Wir haben diesen Text ausgegraben und für den Text Automatisierung, Robotik und Arbeit in der 4ten und 5ten industriellen Revolution auf den Blog gestellt, weil der sich auf diesen Text bezieht. Wir haben die Originalübersetzung von 1996 genommen und einige Wörter korrigiert, aber ansonsten nichts an der Übersetzung verändert.
Original von Alfredo Maria Bonanno wurde aus den Italienischen ins Deutsche übersetzt von Unbekannt
Einleitung der ÜbersetzerInnen zum Text
Wir übersetzen diesen Text, der von Alfredo Bonanno und Jean Weir verfasst wurde (der eine wird als Chef der fiktiven ORAI beschuldigt, der anderen werden Mitgliedschaft in der ORAI sowie 2 Banküberfälle vorgeworfen) aus verschiedenen Gründen. In erster Linie wollen wir Materialien zur Solidarität mit den Betroffenen des 17.09 vorlegen, damit sich nicht nur solidarisiert, sondern auch auseinandergesetzt wird. Die Texte dieser 2 Menschen sind im Rest Europas ziemlich weit verbreitet, aber hier in der BRD recht wenig bekannt. Den Solidaritätsbegriff wollen wir dadurch füllen, denn, auch wenn die Meinungen der AutorInnen nicht so ganz mit unseren Einstellungen in allen Punkten übereinstimmen, ist es wichtig für uns zu wissen, was diese Menschen denken, wie sie sich den Kampf gegen Kapital und Staat vorstellen.
Damit wollen wir nicht sagen, dass alle Beschuldigte des 17.09 einer Art Bonanno/Weir-Strömung angehören. Das wäre völlig falsch. Ein Blick auf die Erklärungen von Marco Camenisch über die letzten 5 Jahre hinaus würde ausreichend beweisen, dass Menschen mit den verschiedenartigen Vorstellungen von Theorie und Praxis in einen Haufen zusammen gebündelt, und allesamt kriminalisiert werden. Abgesehen davon, erscheint uns wichtig diese Texte zu übersetzen, weil sie einige Begrifflichkeiten enthalten, die von der italienischen Staatsanwaltschaft völlig umgedeutet werden. Bonanno gab schon in den ersten Tagen nach seiner Verhaftung ein Memorandum ab, das besagte, wie die Staatsanwaltschaft Sätze aus einem Artikel, den er in der Zeitschrift Anarchismo geschrieben hatte, völlig aus dem Kontext herausgerissen zitierten. Außerdem finden wir sie interessant.
Sie sind aber aus verschiedenen Gründen schwierig. Bonanno verfasste 1985 den Aufsatz und die Rede, die wir übersetzen, für einen Kongress. Sie sind eine Zusammenfassung seiner bisherigen Ideen, und daher sehr knapp gehalten. Hinter fast jedem Absatz könnten wir wahrscheinlich drei Aufsätze entdecken. Freilich hätten wir was anderes übersetzen können, aber wir wollten diese Texte sobald wie möglich herausbringen, um eine informierte Solidarität mit den Betroffenen zu fördern. In der Zukunft, falls wir dazu ermutigt werden, könnten wir nachforschen und andere Texte ausgraben. Außerdem haben wir sie aus einer englischen Fassung übersetzt. Diese war die einzige, die vorhanden war. Sicherlich ist in dieser zweistufigen Übersetzung eine ganze Menge verloren gegangen. Als Darstellungen der Meinungen der AutorInnen sind sie daher mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem, finden wir es gut, dass sie überhaupt übersetzt werden, und hoffen, dass einiges vom Original vermittelbar geblieben ist. Ohne ihren geschichtlichen Bezug sind die Texte schwer verständlich. 1985, als die 2 Texte von Bonanno verfasst wurden, gab es heftige Krawalle in Großbritannien, und darauf wird oft angespielt. Der ’84er Bergarbeiterstreik, der auch zahlreiche Massenkrawalle ausgelöst hatte, war gerade vorbei, als, im Herbst 1985, die Londoner Stadtteile Brixton und Tottenham, der Liverpooler Stadtteil Toxteth, und der Birminghamer Stadtteil Handsworth, die alle verarmt und überwiegend von ImmigrantInnen bewohnt waren, mit Gewalt explodierten. Es dauerte Wochen, bevor die Polizei diese Gegenden wieder unter Kontrolle hatte. Diese waren die Nachfolge-Krawalle zu den 81er Brixton Riots, die sich blitzartig in ca. 50 britischen Städte ausbreiteten. Der unmittelbare Auslöser in beiden Fällen war der Rassismus der Polizei. Bonannos Interpretation dieser Krawalle ist vielleicht fragwürdig, aber die Fragen, die er aus ihnen ableitet, sind wichtig.
1990 gab es erneut Krawalle in England, und sie stellten den Anlass für die englische Übersetzung und Einleitung von Jean Weir dar. Am 30.3, nach einer 200,000-starken Demonstration gegen die verhasste Poll Tax (eine versuchte Kopfsteuer), randalierten rund 40,000 Menschen im noblen Londoner West End. Später im selben Jahr, gingen die so gennanten ‚ „rural riots“, die 1987 angefangen hatten, verstärkt weiter. Das waren Krawalle hauptsächlich in grauen Wohnsiedlungen um mittelgroße Städte herum, oder sogar in Dörfern. Die RandaliererInnen waren diesmal hauptsächlich weiße Jugendliche, die ihren Frust und ihre Langeweile gegen die Polizei und Bonzen wandten, Autos klauten, Läden plünderten, und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Diese Welt ist weder räumlich noch zeitlich so weit weg. In diesem Jahr gab es schon wieder Krawalle in Brixton, nach dem Tod eines Schwarzen auf einem Polizeirevier. Auch in
diesem Jahr, und diesmal etwas näher, gab es Krawalle in den Wohnsiedlungen bei Fischbek-Neuwiedenthal, hier in Hamburg.
Wenn Du mehr über Krawalle in England wissen willst, empfehlen wir das Buch: „England: Krise, Rassismus“ von Franck Düvell (Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 3, Schwarze Risse 1993), und, wenn du über gute Englischkenntnisse verfügst: „Poll Tax Rebellion“ von Danny Burns (AK Press 1992).
Die fiktive Gruppe, der die Beschuldigten angehören sollen, wurde vom Staatsanwalt mit dem Namen ORAI (Organizzazzione Rivoluzzionaria Anarchica Insurrezzionalista) getauft. Einige AnarchistInnen aus Italien machen sich lustig über die Zusammensetzung der Wörter Rivoluzzionaria und Insurrezzionalista (etwa revolutionär und aufständisch) und es ist offensichtlich, dass eine lange Auseinandersetzung über verschiedene Formen sozialer Bewegungen dahintersteckt. Bonanno nennt seine These ‚ „a tesa insurrezzionalista“, und es liegt nahe, dass das Wort Insurrezzione ausdrücklich dem Wort Revoluzzione bevorzugt wird, und von ihm getrennt werden soll. Wir haben es mit „Aufstand“ übersetzt, eine Übersetzung, die durchaus anfechtbar ist. Wir vermuten, denn soviel Bonanno haben wir nicht gelesen, dass der Unterschied in der Art der sozialen Bewegung liegt. Bonanno stellt sich dem traditionellen revolutionären Modell entgegen, wo eine Partei als revolutionäre Avantgarde für nötig gehalten wird. Er vertritt, anscheinend, einen radikalen Anarchismus, der über den Syndikalismus und Anarcho-Kommunismus hinweg geht, und der eine informelle Organisierungsform vorsieht, die fähig ist, sich in Massenbewegungen einzuklinken, nicht die Massen zu lenken oder zu führen. Schon diese Skizze widerlegt das römische Konstrukt der ORAI. So eine Organisation, die auf den Umsturz der Demokratie zielt, die aufwendig und hierarchisch strukturiert ist, passt einfach nicht zur „Tesa Insurrezzionalista“, deren Namen der Staatsanwalt so gerne benutzen will. Die aufständische These setzt das Primat der Massen und der Bewegung voraus, und nicht das der Organisation oder der Partei.
Vom Krawall zum Aufstand
Einleitung
Auf der ganzen Welt kann es kaum noch Zweifel geben, dass eine fundamentale Veränderung in der Organisierung der Produktion stattfindet. Diese Veränderung ist am offensichtlichsten und am spürbarsten in den Zentren des fortgeschrittenen Kapitalismus, aber die Logik der Informationstechnologie und der dezentralisierten Produktion reicht jetzt in einst abgelegene periphere Gebiete hinein, und zieht sie in einen künstlichen Kommunitarismus hinein, dessen einzig wahres Element die Ausbeutung ist.
In der „westlichen Welt“ wird der/die traditionelle ArbeiterIn, Eckpfeiler der autoritären revolutionären These, und noch immer eine wesentliche Komponente vieler anarchistischer Thesen, aus den grauen Friedhöfen der Werften, Fabriken und Zechen hinaus, in die bunte Friedhofswelt der Videorecorder, grell beleuchteter Arbeitsämter, multikultureller Kinderhorte, sprich in die wandbemalten Ghettos hineingestoßen.
Während die Arbeitslosigkeit immer mehr als Perspektive der „Nichtbeschäftigung“ hingenommen wird, schneidet sich das Kapital weiterhin seine Instrumente und direkte Investition zu Bereichen zu, die besser zu seinem ewigen Expansionsbedürfnis passen. Die Produktion von Konsumgütern wird jetzt von einem interkontinentalen Team verwirklicht, bestehend aus Robotern, sich selbstausbeutenden Kleinbetrieben und häuslicher Arbeit, in vielen Fällen von Kindern verrichtet.
Die Gewerkschaften befinden sich im Verfall, und die Parteien der Linken schleichen immer weiter nach Rechts hin; die Forderungen nach Lohnerhöhungen und sozialer Reform verschwinden von der Bildfläche. Was statt dessen aufkommt sind weite Bereiche der „demokratischen Abweichung“, die sich politisch, sozial und religiös ausdrückt: Pazifismus, Ökologie, Vegetarismus, Mystizismus….. Dieser „abweichende Konsens“ erfährt seine extremste Ausprägung in den Vorschlägen für „Delegitimierung“ und „Deregulierung“, die von einer privilegierten intellektuellen Schicht gemacht werden, deren Argumentation ausschließlich dazu dient, die eigenen Rechte zu gewähren.
Eine ideale Gesellschaft, so sieht es vom Standpunkt des Kapitals aus, mit sozialem Frieden als einem ihrer primären Ziele. Oder so wäre sie, diese „self-managed“ kapitalistische Utopie, gäbe es nicht die Drohung die von außerhalb dieses Schrebergartens kommt. Von den Ghetto-Gebieten aus, die sich nicht länger auf das Muster von Brixton und Toxteth beschränken, sondern vielfältig erscheinen: das Zechendorf im Norden (Englands), die gigantischen grausamen Labyrinthe der Wohnsiedlungen in städtischen Komplexen, deren viele schon unbetretbar für die Polizei oder andere Repressionskräfte sind, und andere, sich weiter ausbreitenden Gebiete, die bis vor kurzem sicherbeschäftigte, gutbezahlte gelernte ArbeiterInnen oder Angestellte behausten, sind alle auf dem Weg zu neuen Ghettos zu werden. Die Ghettos der Zukunft werden jedoch nicht zwangsläufig geographisch begrenzt sein, sondern , durch ihren Mangel an Kommunikation mit dem Rest der kapitalistischen Gesellschaft, kulturell bestimmt.
Die Anwesenheit dieser sich stets ausbreitenden Ghettos, und die Botschaft, die aus ihnen herausschreit, ist der Hauptmakel in der neuen kapitalistischen Perspektive. Es gibt keine Vermittler. Es gibt keinen Platz mehr für die reformistischen PolitikerInnen der Vergangenheit, und genauso gibt es auch keinen für die im Grunde genommen reformistischen RevolutionärInnen der alten ArbeiterInnenstrukturen, weder der wirklichen noch der imaginären. Der Schrei ist gewalttätig und fordert nichts. Die Kleinkrawalle oder Ausbrüche, die inzwischen besonders in diesem Land häufig vorkommen, stellen keine vernünftigen Forderungen. Sie sind keine Mittel zu einem Zweck wie die Brotunruhen der Vergangenheit. Sie sind zu etwas an sich geworden, einem irrationellem Hinausstoßen, das oft, aber nicht zwangsläufig, auf leicht nachvollziehbare Zielscheiben schlägt, wie Polizeiwachen, Fahrzeuge, Schulen, Ämter usw. Gewalt im Fußballstadion kann von dieser Logik nicht ausgeschlossen werden.
Seit den ersten Großkrawallen – Bristol, Brixton, Toxteth, Broadwater Farm, haben AnarchistInnen diese Ereignisse als positiv bewertet, und haben sich oft eingemischt und eine Menge zusätzlicher, auf die Polizei gerichtete, Steine beigetragen. Anarchistische Zeitschriften feiern diese Augenblicke des Massenaufstandes, aber trotzdem bieten sie, die gleichen Blätter, organisatorische Vorschläge an, die, wenn sie auch um die Jahrhundertwende oder in den 30er Jahren galten, den Bedürfnissen des heutigen Tages überhaupt nicht entsprechen. Das Beste, was die Modernsten unter ihnen anbieten können, ist, mit den Krawallen als Orientierungspunkt, eine spezifische anarchistische Bewegung ins Leben zu rufen, mit dem Ziel, etwas revolutionäre Moral in diese offensichtlich amoralischen Ereignisse zu bringen. Noch einmal entblößt sich die Armut unserer analytischen Fähigkeiten. Bislang haben AnarchistInnen, wenn sie theoretischen Inhalt in ihren Veröffentlichungen brauchten, entweder auf persönliche Meinungen zurückgegriffen, oder einige der marxistischen Analysen zusammengefasst. Obwohl sie das letztgenannte kritisch machen, betonen sie oft, dass es einige Thesen im Marxismus gibt, die für anarchistische Ideen relevant sind. Dies verleiht einer Zeitschrift einen „seriösen“ Inhalt und zeigt, dass wir nichts gegen theoretische Diskussionen haben, aber lässt kaum Platz für anarchistische Aktion. Ohne Analyse, sei es auch nur in Ansätzen, haben wir keine Chance mit der Wirklichkeit in Verbindung zu stehen. Die Intuition reicht nicht aus. Eine Praxis, die Widersprüche bis zu einem revolutionären Ausgang hin verschärft, wird nicht dadurch ermöglicht, dass wir bloß auf zufällige Ereignisse reagieren, wie gewalttätig auch immer diese sein mögen.
Die Marxistischen Analysen sind inzwischen zu nichts anderem als veralteten Relikten eines finsteren Frühindustrialismus geworden. Wir müssen eigene Thesen entwickeln, aufbauend auf dem Fundament, das in unserer anarchistischen methodologischen Erbschaft vorhanden ist. Die Stärke des Anarchismus ist, dass er nicht auf eine fundamentale Analyse, die einem bestimmten Zeitalter angehört, angewiesen ist. Das Lebendige am Anarchismus bleibt heute noch am Leben, genau wie es vor 40 Jahren am Leben war, oder vor einem Jahrhundert. Das Relevante der Vergangenheit müssen wir mit dem vereinheitlichen, das gebraucht wird um eine heutige Relevanz zu schaffen. Dies können wir nur dann leisten, wenn wir eine klare Vorstellung von der heutigen Wirklichkeit haben. Nicht wie wir uns wünschen, dass diese Wirklichkeit wäre, sondern wie sie ist: ein Schlachtfeld der Ausbeutung. Denn es ist ein Schlachtfeld, obgleich die Toten und Verletzten ein anderes Antlitz tragen, als die von Gestern, und die Reaktion der Ausgebeuteten neue, weniger explizite Formen annimmt. Je mehr die Ghettos vom „Mainstream“ der Sprache und Kommunikation der Privilegierten abgekapselt und segregiert werden, desto dringender wird unser Bedarf nach Handlung.
Die Analysen, die wir hier vorstellen, öffnen eine Tür in diese Richtung, und laßen das erblicken, was gerade um uns herum abgeht. Sie sollen zu weiteren Untersuchungen, sowie zur Entwicklung neuer, auf diese Wirklichkeit bezogene Formen des anarchistischen Eingreifens anspornen, damit wir der sozialen Revolution ein Stück näher kommen können. Der erste Text wurde ursprünglich als Thema einer, von den GenossInnen der Zeitschrift „Anarchismo“ in Mailand im Okt. 85 veranstalteten, Konferenz geschrieben und vorgestellt. Der zweite Teil ist ein Redebeitrag vom selben Genossen. Dies erklärt die Knappheit der Texte. Der Verfasser hat darüber hinaus viele andere Aufsätze der These des Aufstandes gewidmet, die er durch sein aktives Engagement in Kämpfen in Italien über die letzten 2. Jahrzehnte hinweg entwickelt hat.
– Jean Weir
Für eine Analyse eines Zeitalters des Wandels
Von postindustriellen zu postrevolutionären Illusionen
Wandlungen in der Gesellschaft.
In der Entwicklung der sozialen Widersprüche über die letzten Jahre hinweg sind einige Tendenzen dermaßen auffällig geworden, dass sie mittlerweile als wirkliche Wandlungen betrachtet werden können. Die Struktur der Herrschaft hat sich von einer direkten, willkürlichen Ausübung zu einer auf Schlichtung und Kompromiss beruhenden Beziehung verschoben. Dies hat zu einem beträchtlichen Anstieg in der Nachfrage nach Dienstleistungen im Vergleich zur traditionellen Nachfrage nach u.a. dauerhaften Konsumgütern geführt. Die Resultate sind: Ein Anstieg in den auf Informationstechnologie beruhenden Aspekten der Produktion, die Automatisierung des produktiven Sektors, die Vorherrschaft des Dienstleistungssektors (Handel, Tourismus, Verkehr, Kreditwesen, Versicherung, Verwaltung usw.) gegenüber Industrie und Landwirtschaft.
Dies bedeutet nicht, dass der industrielle Sektor verschwunden oder bedeutungslos geworden ist, nur, dass er immer weniger ArbeiterInnen beschäftigt, während Produktionssätze gleich bleiben, oder gar ansteigen. Dasselbe gilt für die Landwirtschaft, die weitgehend durch die Industrialisierungsprozesse beeinflusst wird, und die, mittlerweile, eher statistisch als sozial von der Industrie unterscheidbar ist.
Diese Situation entwickelt sich, nicht als klarer Prozess, sondern als „Übergang“, wie ein Trend. Es gibt keinen deutlichen Unterscheidungspunkt zwischen den industriellen und dem post-industriellen Zeitalter. Die Phase, die wir jetzt durchmachen, ist deutlich eine, in der veraltete Institutionen neustrukturiert und schließlich überholt werden; aber es ist noch nicht zur Schließung aller Fabriken und zur Errichtung der Herrschaft der lediglich automatisierten Produktion gekommen.
Die Tendenz Produktionseinheiten aufzuteilen und die Nachfrage nach kleinen sich selbstausbeutenden Kernen innerhalb eines zentralisierten produktiven Projektes, werden in den kommenden Jahren vorherrschen. Die damit einhergehenden Begleiterscheinungen innerhalb des industriellen Sektors werden aber aus langsamen, auf traditionelle Mittel beruhenden, Anpassungen bestehen, die den vorsichtigen Strategien des Kapitals dienlich sind.
Diese Aussage bezieht sich eher auf die britischen und italienischen Situationen, die weit hinter ihren japanischen und amerikanischen Modellen herhinken.
Insel der Verlorenen
In einem langwierigen und vielleicht unwiderruflichen Prozess, werden die ArbeiterInnen von gestern aus den Fabriken herausgerissen und in eine Welt der Hochkonkurrenz katapultiert. Das Ziel ist die Steigerung der produktiven Leistungsfähigkeit, die, nach der automatisierten Logik der Produktionszentren, das einzig konsumierbare Produkt darstellt. Die atomisierten, und dadurch tödlicheren, Konflikte innerhalb des Kapitals werden den alternativen revolutionären Kampf auslöschen, in der Absicht Klassenunterschiede erstmal zu verschärfen und somit unüberbrückbar zu machen.
Die wichtigsten Vorteile für die BewohnerInnen der noch produktiven „Insel“, ihre scheinbar größere „Freiheit“, flexible Arbeitszeiten, qualitative Änderungen (immer im Rahmen der Wettbewerbslogik des Marktes zu verstehen, wie sie von den befehlshabenden Zentren heraus diktiert wird) verstärken ihren Glauben, sie hätten das Paradies, das Reich des Glückes und des Wohlseins, erreicht. D.h. immer steigende Gewinne und immer mehr forcierte „Kreativität“.
Diese Inseln des Todes sind mit ideologischen und physischen Barrieren umgeben, die diejenigen abstoßen sollen, die keinen Platz auf ihnen haben. Sie werden auf ein stürmisches Meer zurückgestoßen, wo niemand überlebt. Das Problem, das sich damit entblößt, ist das der Ausgeschlossenen.
Zwei Reservoire der Revolution.
Die Ausgeschlossenen und die Teilhabenden
Die Ersteren sind diejenigen die ausgegrenzt bleiben werden. Aus dem produktiven Prozess ausgestoßen, und dann noch wegen ihrer Unfähigkeit sich in die neue Wettbewerbslogik des Kapitals einzufügen zusätzlich bestraft, sind sie oft nicht bereit das Existenzminimum hinzunehmen, das ihnen durch eine staatliche Zuwendung, zunehmend als Relikt der Vergangenheit angesehen, in einer Welt die dazu neigt, die Tugenden des „self-made Mannes“ zu preisen, zugewiesen wird. Dies sind nicht nur die sozialen Schichten, die durch ihren ethnischen Ursprung zu dieser Rolle verurteilt wurden (wie z.B. die Westindische Bevölkerung in der britischen Gesellschaft, die für die neuerlichen Krawalle in England die Katalysatoren waren), sondern, angesichts des sozialen Wandels, den wir besprechen, werden auch soziale Schichten daran teilnehmen, die in der Vergangenheit mit sicheren Gehältern beruhigt wurden, und die sich jetzt in einer Situation der schnellen und radikalen Änderung befinden. Auch die übrigbleibenden Unterstützungen, die diese sozialen Schichten genießen (Frührente, Arbeitslosengeld, verschiede Formen der sozialen Absicherung etc.), werden sie nicht anspornen, eine Situation der wachsenden Diskriminierung hinzunehmen. Und vergessen wir nicht, dass der Entwicklungsgrad des Konsumerismus unter diesen ausgestoßenen sozialen Schichten keineswegs mit dem der ethnischen Gruppen zu vergleichen ist, die niemals in die Sphäre der gehalteinbringenden Sicherheit gebracht wurden. Dies wird sicherlich zu Ausbrüchen des „sozialen Unwohlseins“ einer anderen Art führen. Es wird an den RevolutionärInnen liegen, diese mit den gewöhnlicheren Rebellionsausbrüchen zu vereinbaren.
Dann gibt es die Teilhabenden, die sich auch weiterhin erstickend auf den Inseln der Privilegierten aufhalten werden. Hier wird das Argument noch komplizierter, und kann nur dann situiert werden, wenn wir bereit sind, dem realen Verlangen des Menschen nach Freiheit Vertrauen zu schenken. Sicherlich sind es die „Heimkehrenden“ 3) aus diesem Sektor, die unter anderen den Angriff auf die neue Form des Kapitals am brutalsten ausführen werden. Wir gehen einer Periode von blutigen Auseinandersetzungen und strengster Repression entgegen. Sozialer Friede, von dem die eine Seite träumt und den die andere befürchtet, bleibt der unzugänglichste Mythos dieser neuen kapitalistischen Utopie, die die befriedende Logik eines Liberalismus vererbt, der im Wohnzimmer aufräumte, während er in der Küche schlachtete, der Wohlfahrt im eigenen Land verschenkte, während er Massaker in den Kolonien anrichtete.
Die neuen Gelegenheiten für kleine, erbärmliche, ekelhafte Alltagsfreiheiten werden durch tiefreichende, grausame und systematische Diskriminierung gegen sehr große sozialen Schichten bezahlt. Irgendwann wird dies zu einem Ausbeutungsbewusstsein innerhalb der privilegierten Schichten führen, das nur Rebellionen verursachen kann, auch wenn sich dies auf die Besten unter diesen Schichten beschränkt. Schließlich soll gesagt werden, dass es keine starke ideologische Unterstützung mehr für das neue kapitalistische Projekt gibt, wie es sie in der Vergangenheit doch gab, als es fähig war die AusbeuterInnen und, noch wichtiger, die dazwischenliegenden Kaderschichten und oberen Mittelschichten zu unterstützen. Wohlsein nur um Wohlseinswillen reicht nicht aus, besonders nicht für die vielen Menschen, die emanzipatorische Utopien, revolutionäre Träume und wie auch immer begrenzte Versuche eines aufständischen Projektes in der nahen Vergangenheit miterlebten, oder einfach darüber lasen.
Die Letzteren werden sich nicht davon abhalten lassen, die anderen zu erreichen. Nicht alle Teilhabenden werden im künstlichen Glück des Kapitals glücklich leben. Viele unter ihnen werden feststellen, dass das Elend des einen Teils der Gesellschaft den Schein des Wohlseins des anderen Teils vergiftet, dass es Freiheit (innerhalb des Stacheldrahtes) in ein virtuelles Gefängnis verwandelt.
Staatliche Vorkehrungen.
Über die letzten Jahre hinaus wurde das industrielle Projekt auch durch die Verschmelzung staatlichen Kontrollen und denjenigen Methoden modifiziert, die durch ihr politisches Interesse an der Herstellung des Konsens verbunden sind.
Aus technischer Sicht, können wir sehen wie sich die Organisierung der Produktion wandeln wird. Die Produktion muss nicht länger an einem einzigen Standort stattfinden, sprich in der Fabrik, sondern wird über ein ganzes Territorium, auch mit beträchtlicher Entfernung, ausgebreitet. Dies ermöglicht die Entwicklung industrieller Projekte, die eine ausgeglichenere Verteilung der produktiven Zentren innerhalb eines Gebietes einplanen können, und dabei einige Brennpunkte der sozialen Unruhe auslöschen, die es in der Vergangenheit gab, z.B. Ghettogebiete, industrielle Hochverdichtung und die Zerstörung von Ökosystemen. Das Kapital sieht jetzt einer ökologischen Zukunft entgegen, es öffnet die Arme für die bunt zusammengewürfelten Massen von UmweltlerInnen, es wird zum Befürworter des Rohstoffschutzes, und schließlich lässt es möglich scheinen, dass die Städte der Zukunft mit menschlichem Antlitz gebaut werden, ob sie dann sozialistische Städte sind oder nicht.
Der Antrieb, der das kapitalistische Projekt in ferne, den Utopien vom ewigen gestern ähnelnde Länder treibt, ist in der Wirklichkeit sehr einfach und keineswegs philanthropisch: es ist der Bedarf, die Klassenunzufriedenheit auf ein Mindestmaß dadurch zu verringern, dass jegliche wirksame Konfrontation durch das Zuckerbrot eines auf blinden Glauben an der Technologie der Zukunft beruhenden Fortschritts verharmlost wird.
Es ist offensichtlich, dass die Teilhabenden die attraktivsten Angebote genießen werden, um die ÜberläuferInnen so weit wie möglich abzuschrecken, die den wirklichen Dorn im Auge der morgigen KapitalistInnen darstellen werden. Die einzelnen Subjekte, die von der Sphäre des produktiven Prozesses stammen und deren Ziele revolutionär ausgerichtet sind, werden die Fähigkeit besitzen, wirkliche Waffen der Revolution gegen die Herrschaft der Ausbeutung zur Verfügung zu stellen. Bislang hat sich die utopische Hoffnung, die Welt könne durch „gute“ Technologie regiert werden, als unmöglich erwiesen, weil sie der den Ghettos der Ausgeschlossenen zuzuweisenden physischen Dimension niemals Rechnung trug. Nur bis zu einem gewissen Punkt könnte man sagen, dass sie in einer miesen Mischung aus Glück und Opfer in das Projekt wieder einzustufen sind.
Spannungen und wiederholte Wutausbrüche werden die verträumte Utopie der AusbeuterInnen in echte Schwierigkeiten bringen.
Das Ende des irrationalen Wettbewerbes.
Es ist schon lange offensichtlich, dass Wettbewerb und Monopolismus die produktiven Strukturen in eine Serie wiederkehrender Krisen zu ziehen drohten; in den meisten Fällen in Produktionskrisen. Nach der alten kapitalistischen Einstellung war es notwendig, sogenannte „economies of scale“ 4) zu erreichen, dies wurde nur durch die Produktion immer größerer Mengen ermöglicht, damit die fixen Kosten der Einzelstücke soweit wie möglich verringert werden. Dies führte zu einer Standardisierung der Produktion: zur Anhäufung der Produktionseinheiten an bestimmten Standorten, willkürlich verteilt mit der Logik der Kolonisierung (z.B. die klassischen sizilianischen „Katheder der Wüste“; isolierte industrielle Gebiete, Ölraffinerien, die als Sammelpunkte dienen sollten); zur Vereinheitlichung der Produkte; zur Kapital- und Arbeitsteilung usw.
Die ersten Änderungen dieses Systems kamen durch massives Eingreifen des Staates zustande. Die Anwesenheit des Staates eröffnet verschiedene Möglichkeiten. Er ist kein passiver Zuschauer mehr, der „Kassierer“ des Kapitals, sondern ist zum aktiv Wirkenden geworden, sowohl Bankier als auch Unternehmer. Im wesentlichen bedeuten diese Änderungen die Minderung des Gebrauchswertes, und eine Steigerung in der Produktion des Tauschwertes im Interesse des Aufrechterhaltens des sozialen Friedens.
In der Vollendung der Phase seines größten Wettbewerbes, findet das Kapital eine Teillösung seiner Probleme. Der Staat mischt sich mit dem Ziel ein, die wirtschaftliche Produktion vollständig in die Herstellung des sozialen Friedens zu verwandeln. Dieses Utopische Projekt ist offenbar nicht zu verwirklichen. Irgendwann geht die Maschine zu Bruch. Der neue Produktionsprozess, der oft post-industriell genannt wird, ermöglicht niedrige Produktionskosten auch für kleinere Warenmengen. Er kann beträchtliche Abänderungen in der Produktion mit nur bescheidener Kapitalzufuhr erlangen. Er ermöglicht bislang unbekannte Änderungen der Produkte. Dies erschließt ungeahnte Horizonte der „Freiheit“ für die Mittelschichten, für die produzierenden Kader, und innerhalb der goldenen Isolation der Managerschichten. Aber dies bedeutet eher die Freiheit im Schloss der „Teutonischen Ritter“ faschistischer Art; von der Palastmauer eingekreist und schwerbewaffnet, nur die Stille des Friedhofes herrscht drinnen.
Keine der IdeologiemacherInnen des postindustriellen Kapitalismus stellen sich jedoch die Frage, wie mit der Gefahr umzugehen ist, die von der anderen Seite der Mauer kommt. Die Krawalle der Zukunft werden immer blutiger und grausamer sein. Um so stärker wenn wir wissen, wie wir sie in Massenaufstände verwandeln können.
Bewusstsein und Ghettoisierung
Es ist nicht die Arbeitslosigkeit an und für sich, die die vom Schloss der „teutonischen Ritter“ ausgeschlossenen negativ definieren wird, sondern hauptsächlich der Mangel am realen Zugang zu Informationen.
Das neue Produktionsmodell wird den Zugang zu Informationen zwangsläufig verringern. Dies liegt nur teilweise an der Automatisierung der Gesellschaft. Es ist eine der grundlegenden Bedingungen der neuen Herrschaft und entwickelt sich als solche seit mindestens 20 Jahren. Seinen Höhepunkt findet es in einer Massenschulung die sich schon jeglichen konkret operativen Inhaltes entbehrt.
Die Ankunft der Maschine verursachte eine Reduzierung der Selbstbestimmungsfähigkeit während der industriellen Revolution; die ArbeiterInnen wurden massenhaft in die Fabriken „hinein marschiert“, die bäuerlich-ländliche Kultur wurde zerstört und das Kapital bekam Arbeitskräfte, die praktisch unfähig waren, die Inhalte der mechanisierten Welt, die gerade begann sich abzuzeichnen, zu verstehen. Genauso steht die Computerrevolution, die in den vom Staat initiierten Prozess der Anpassung kapitalistischer Widersprüche reingepfropft wird, jetzt davor, das Fabrikproletariat in die Hände einer neuen Art Maschine zu auszuliefern, die mit einer nur wenigen Privilegierten verständlichen Sprache versehen ist. Der Rest wird vertrieben und dazu gezwungen, das Schicksal des Ghettos zu teilen.
Das alte Wissen, einschließlich jenes der Intellektuellen, das durch den verzerrenden Spiegel der Ideologie hindurch filtriert wurde, wird in einer Maschinensprache neu chiffriert, und dadurch den neuen Bedürfnissen angepasst. Dies wird zu einer historischen Gelegenheit, unter anderem die Knappheit des wirklichen Inhaltes in dem ideologischen Quatsch zu entdecken, der uns über die letzten 2 Jahrhunderte hinweg rein gefüttert wurde.
Das Kapital wird dazu tendieren, alles aufzugeben, was sich nicht unmittelbar in diese neue verallgemeinerte Sprache übersetzen lässt. Traditionelle Erziehungsprozesse werden abgewertet und inhaltlich verkleinert, was ihre wirkliche (und selektive) Warennatur sichtbar werden lässt.
An die Stelle der Sprache werden neue Verhaltensmuster gestellt, die aus ziemlich präzisen Regeln bestehen, welche aus den alten Prozessen der Demokratisierung und Versammlungspolitik entwickelt wurden, die das Kapital vollständig zu lenken weiß. Das ist doppelt nützlich, weil es den Ausgeschlossenen den Eindruck vermittelt, sie würden an öffentlichen Angelegenheiten.teilnehmen.
Die automatisierte Gesellschaft von Morgen könnte sogar ein sauberes Meer und einen fast vollkommenen Schutz der beschränkten Reichtümer der Umwelt gewährleisten. Auf der anderen Seite wird sie ein Dschungel aus Verboten und Regeln sein, ein Alptraum, der die Form tiefgreifender persönlichen Entscheidungen über Teilnahme am Gemeinwohl annimmt. Einmal einer gemeinsamen Sprache beraubt, die gemeinsame Bezugspunkte liefert, können die Gettoisierten nicht länger die Verkündungen der Macht durchschauen. Ihnen wird zum Schluss kein anderes Ventil übrig bleiben als spontane Krawalle, die irrational, zerstörerisch, und nur noch Selbstzweck sind.
Die Zusammenarbeit mit denjenigen Mitgliedern der Teilhabenden, die, angeekelt von der künstlichen Freiheit des Kapitals, zu revolutionären TrägerInnen eines allerdings nur kleinen Teiles der vom Kapital angeeigneten Technologie werden, wird nicht ausreichen eine Brücke zu schlagen oder eine Sprache zu finden, auf der Kenntnisse und genaue Gegeninformationen gründen können.
Die organisierte Arbeit von künftigen Aufständen muss dieses Problem lösen. Sie muss, auch wenn sie bei Null anfängt, die grundsätzlichen Termini einer Kommunikation, die bald ausgeschaltet wird, erschaffen. Eine Kommunikation, die, genau im Moment der Ausschaltung durch spontane und unkontrollierte Reaktionen solchen Gewalterscheinungen einen Sprung verleihen könnte, die Erlebnisse der Vergangenheit bedeutungslos machen würde.
Verallgemeinerte Verelendung.
Das neue Ghetto ist nicht als die Hüttenstadt der Vergangenheit zu betrachten, als ein Flickwerk aus Müll, Leid und Not. Das neue Ghetto, wie in den Regeln der neuen Sprache kodifiziert, ist der passive Nutznießer der Technologie der Zukunft. Es wird ihm auch erlaubt, die Ansätze der handwerklichen Fertigkeit zu besitzen, die für das Funktionieren von Objekten, die selbst eher in Bedarf sind als dass sie Bedürfnisse befriedigen, erforderlich ist. Diese Fertigkeiten werden für die verelendete Lebensqualität im Ghetto ausreichen. Es wird sogar möglich sein, Waren einer beträchtlichen Komplexität relativ preisgünstig herzustellen, und für sie mit der Aura der Exklusivität zu werben, die die KäuferInnen, schon jetzt von kapitalistischen Projekten geplagt, in die Falle locken. Außerdem werden die neuen Produktionsbedingungen die serienweise wiederholte Herstellung von Gegenständen ermöglichen und Schwierigkeiten in der Änderung oder Entwicklung der Technologie beseitigen. Statt dessen werden die Prozesse flexibel, ausgegliedert und austauschbar. So wird es ermöglicht, neue Kontrollmechanismen zu niedrigen Kosten einzusetzen, die die Nachfrage durch Steuerung (von außen) beeinflussen, und damit die Grundbedingungen für die Herstellung des sozialen Friedens zu schaffen. Eine solche scheinbare Vereinfachung des Lebens, sowohl für die Teilhabenden als auch für die Ausgeschlossenen, solch eine durch Technologie erzielte „Freiheit“, hat SoziologInnen und ÖkonomInnen – die guten Menschen, die sie immer waren – dazu gebracht, die Grundrisse einer „interklassistischen“ Gesellschaft zu skizzieren, in der alle „gut“ leben können, ohne die Ungeheuer des Klassenkampfes, des Kommunismus oder des Anarchismus wieder aufzuwecken.
Das mangelnde Interesse an Gewerkschaften und der Verlust jeglicher Bedeutung, die sie in der Vergangenheit gehabt haben (denn sie sind zu einfachen Vermittlungsorganen für die Befehle der Bosse geworden), wird mittlerweile als das Ende des Klassenkampfes und zugleich Vorankündigung der postindustriellen Gesellschaft angesehen. Dies macht aber aus verschiedenen Gründen keinen Sinn, wie wir gleich sehen werden. Das Gewerkschaftswesen jeglicher Art hat seine reformistische Bedeutung verloren, nicht weil der Klassenkampf vorbei ist, sondern weil sich die Bedingungen des Kampfes grundlegend verändert haben. Im Grunde genommen stehen wir der Fortsetzung dieser Widersprüche gegenüber, die größer denn je sind, und immer noch unaufgelöst bleiben.
Zwei Phasen.
Schematisch können wir zwei Phasen identifizieren. In der industriellen Zeit herrschten kapitalistischer Wettbewerb und auf Verarbeitung gründende Produktion vor. Der bedeutendste wirtschaftliche Sektor war der Sekundäre (Verarbeitung/Fabrikation), der die hergestellte Energie als transformative und finanzielles Kapital als strategische Hilfsquelle benutzte. Die Technologie dieser Zeit war hauptsächlich mechanisch, und die ProduzentInnen par excellence waren die ArbeiterInnen. Die in Unternehmen eingesetzte Methodologie war empirisch, d.h. gründete auf Experimenten, während die Organisierung des Produktionsprozesses im Ganzen der Idee eines unbeschränkten Wachstums entstammte. In der postindustriellen Zeit, der wir uns gerade nähern (aber in die wir noch nicht eingetreten sind) herrscht der Staat über den kapitalistischen Wettbewerb und zwingt ihm seine Systeme zum Erhalt von Konsens und Produktion, schließlich zum Erhalt des sozialen Friedens, auf. Die Vorherrschenden Wirtschaftssektoren sind die tertiäre (Dienstleistung), die quaternäre (spezialisiertes Finanzwesen), und die quinäre (Forschung, Freizeit, Erziehung, öffentliche Verwaltung). Die hauptsächliche transformative Quelle ist Information, die aus einem komplexen System der Datenvermittlung besteht, während Wissen allmählich an die Stelle des Finanzkapitals tritt, um als strategische Quelle zu funktionieren. Technologie gibt ihre mechanische Komponente auf und konzentriert sich auf die intellektuelle. Das typische Element, das diese neue Technologie einsetzt, ist nicht länger der/die Arbeiterln, sondern der/die Technikerin, der/die Professionelle, der/die Wissenschaftlerin. Die Methode des Projektes gründet nicht mehr, wie einst, auf Experimenten, sondern auf abstrakter Theorie, während die Organisierung des Produktionsprozesses auf der Verschlüsselung von theoretischem Wissen beruht.
Der Niedergang der führenden Rolle der ArbeiterInnen.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit der produktiven industriellen Phase schenken, betrachtete der Marxismus den Beitrag der Arbeiterklasse als fundamental für die revolutionäre Auflösung von sozialen Widersprüchen. Dies führt dazu, dass die Strategien der Arbeiterbewegung zum größten Teil durch das Ziel der Machtergreifung bedingt waren.
Eine hegelianische Zwiespältigkeit, die Marx gefördert hatte, lag dieser Argumentation zugrunde: dass der dialektische Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie verschärft werden konnte durch die indirekte Stärkung des Proletariats mittels der Stärkung von Kapital und Staat. Daher wurde jeder durch Repression erzielte Sieg übers Proletariat als Vorbau zum künftigen Sieg des Proletariats angesehen. Das Ganze wurde in den Rahmen einer fortschrittlichen – und typisch aufklärerischen – Vision gestellt, in der die Möglichkeit vergegenständlicht wurde, den „Geist“ in der materiellen Welt zu verwirklichen.
Mit einigen zweifellos interessanten Änderungen hält diese alte Vorstellung des Klassenkampfes bis heute an, zumindest bei einigen der Alptraumvorstellungen, die gelegentlich aus den alten auf glorreiche Eroberung ausgerichteten Projekten auftauchen. Eine ernsthafte Analyse dieser bloß imaginären Konzeption ist noch nicht unternommen worden.
Es gibt nur eine mehr oder weniger einstimmige Übereinstimmung darin, nämlich dass die ArbeiterInnen aus ihrer zentralen Stelle (in der Theorie) versetzt worden sind. Zuerst wurden sie auf schüchterne Art und Weise versetzt, indem sie aus den Fabriken ins ganze soziale Feld übertragen wurden, dann, entschiedener, durch die fortdauernde Substitution des sekundären verarbeitenden Sektors durch den tertiären Dienstleistungssektor.
Der Untergang einiger Illusionen der AnarchistInnen.
AnarchistInnen hatten auch Illusionen, die ebenfalls geplatzt sind. Genauer gesagt, während sich diese Illusionen niemals um die zentrale Rolle der ArbeiterInnen drehten,schenkten sie der Arbeitswelt eine grundlegende Wichtigkeit, und gaben der Industrie den Vorrang über dem primären (landwirtschaftlichen) Sektor. Es war der Anarchosyndikalismus, der diese Illusionen am Leben hielt.
Auch in jüngeren Zeiten gab es große Begeisterung über die Neubelebung der CNT. Besonders begeistert waren diejenigen, die die neuen „Wege“ des heutigen reformistischen Anarchismus am radikalsten vertreten.
Der Hauptbegriff dieser Zentralität der ArbeiterInnen, die sich anders als die Vorstellung der MarxistInnen gestaltet, obwohl weniger als häufig geglaubt wird, war der Schatten der Partei. Seit längerem funktioniert die anarchistische Bewegung wie eine Organisation der Synthesen 5), d.h. wie eine Partei. Damit ist nicht die ganze anarchistische Bewegung gemeint, aber auf jeden Fall ihre organisierten Formen.
Nehmen wir zum Beispiel die italienische FAI (Federazione Anarchica Italiana). Bis auf den heutigen Tag ist sie immer noch eine Organisation der Synthese. Sie gründet auf einem Programm, ihre regelmäßigen Konferenzen konstituieren den Mittelpunkt ihrer Aktivität, und sie betrachtet die Außenwelt vom Standpunkt eines „verbindenden“ Zentrums, d.h. als wäre sie die Synthese zwischen der (revolutionären) Wirklichkeit außerhalb, und der Wirklichkeit innerhalb einer bestimmten anarchistischen Bewegung.
Einige GenossInnen können natürlich den Einwand erheben, dass diese Bemerkungen zu allgemein sind, aber sie können nicht leugnen, dass die Mentalität, die hinter dem Verhältnis der Synthese steckt, welches eine bestimmte anarchistische Organisation mit der Wirklichkeit außerhalb der Bewegung aufbaut, starke Ähnlichkeiten zu der „Partei“-Mentalität aufweist.
Gute Absichten reichen nicht aus:
Nun, die Stützen dieser Mentalität sind bröckelig geworden. Nicht nur unter jüngeren GenossInnen, die ein offenes und informelles Verhältnis zur revolutionären Bewegung wollen, sondern, und das ist wichtiger, sie sind in der sozialen Wirklichkeit selbst verschwunden. Wenn industrielle Produktionsbedingungen den syndikalistischen Kampf, sowohl nach den Methoden der MarxistInnen als auch nach denen der libertären Organisationen der Synthese, verständlich machten, so bleibt heute, aus einer post-industriellen Perspektive und in einer Wirklichkeit, die sich tiefgehend verändert hat, die informelle Strategie als die einzige, die für AnarchistInnen möglich ist. Damit meinen wir Gruppen von GenossInnen, die sich mit einer genauen Zielsetzung aufgrund der Affinität zusammentun. Diese tragen zum Aufbau von Massenstrukturen bei, die sich etappenweise die Ziele setzen, und schaffen gleichzeitig die Mindestbedingungen für die Verwandlung von Situationen des einfachen Krawalls in die des Aufstandes.
Die Partei des Marxismus ist tot. Die der AnarchistInnen gleichfalls. Wenn ich Kritiken lese, wie die neulich von SozialökologistInnen geschrieben, in denen vom Tode des Anarchismus die Rede ist, dann stelle ich fest, dass dies eine Frage der Sprache ist, sowie der mangelnden Fähigkeit, Probleme innerhalb der anarchistischen Bewegung zu überprüfen. Dies wird übrigens von den GenossInnen selbst eingeräumt. Was für sie – und für mich – tot ist, ist der Anarchismus, der sich vorstellte, er könnte den organisatorischen Anhaltspunkt für die nächste Revolution anbieten, der sich als eine Struktur der Synthese betrachtete, die darauf abzielte, die mannigfaltigen Formen der menschlichen Kreativität zu erzeugen, die sich auf die Auflösung der staatlichen Strukturen des Konsens und der Repression ausrichten könnten.Tot ist der statische Anarchismus der traditionellen Organisationen, die sich auf die Forderung nach besseren Verhältnissen stützten, und deren Ziele quantitativ waren. Die Idee, dass die soziale Revolution zwangsläufig aus unseren Kämpfen entsteht, erweist sich als unbegründet.
Der Determinismus ist tot, mitsamt dem blinden Gesetz der Ursache und Wirkung. Die von uns angewandten revolutionären Mittel, einschließlich des Aufstandes, führen nicht zwangsläufig zur sozialen Revolution. Das kausale Modell, das bei den PositivistInnen des letzten Jahrhunderts so beliebt war, gibt es in der Wirklichkeit nicht. Und genau deswegen wird die Revolution möglich.
Geschwindigkeit und Vielfältigkeit.
Die Verringerung der für Datenvermittlung nötigen Zeit bedeutet die Beschleunigung des programmierten Entscheidungstreffens. Wenn diese Zeit auf Null reduziert wird (wie es in der elektronischen „wirklichen Zeit“/ „real time“ vorkommt), werden programmierte Entscheidungen nicht nur beschleunigt, sondern auch verwandelt. Sie werden zu etwas anderem.
Bei den Änderungen der Unternehmen, treten auch Änderungen in der Natur der produktiven Investitionen herbei: sie werden vom traditonellen Kapital (hauptsächlich finanzieller Natur) ins Kapital der Zukunft (hauptsächlich intellektueller Natur) übertragen.
Die Verwaltung des Anderen ist ein fundamentales Element der wirklichen Zeit. Dadurch, dass das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft perfektioniert wird, dass ein Ende der durch Wettbewerb entstandenen Widersprüche erreicht wird, dass Konsens organisiert wird, und, was wichtiger ist, dass das alles aus einer realzeitlichen („Realtime“) Perspektive programmiert wird, schneidet die Machtstruktur einen großen Teil der Gesellschaft ab: den Teil der Ausgeschlossenen.
Die erheblich gesteigerte Geschwindigkeit von produktiven Operationen wird mehr als alles andere eine kulturelle und sprachliche Änderung hervorbringen. Darin liegt die größte Gefahr für die Ghettoisierten.
Das Ende des Reformismus, das Ende der Partei
Die Partei beruht auf der reformistischen Hypothese. Diese benötigt eine gemeinsame Sprache, wenn nicht auch gemeinsames Interesse. Das war der Fall bei den Parteien und den Gewerkschaften. Eine gemeinsame Sprache wurde in einen fiktiven Klassengegensatz übertragen, der durch die Forderung nach Verbesserungen auf der einen Seite, und den Widerstand gegen deren Gewährung auf der anderen Seite, gekennzeichnet war.
Um etwas zu bitten setzt eine Sprache voraus, die wir „gemeinsam“ mit denjenigen haben, die das besitzen, worum wir bitten.
Jetzt zielt das globale repressive Projekt darauf ab, diese Gemeinsamkeit aufzukündigen. Nicht durch die Wände von Sondergefängnissen, durch Ghettos, Satellitenstädte oder große industrielle Zentren wollen sie das erzielen, sondern, ganz im Gegenteil, durch dezentralisierte Produktion, Verbesserung von Dienstleistungen und den Einsatz ökologischer Prinzipien in der Produktion, alles mit der strengsten Segregation der Ausgeschlossenen.
Und diese Segregation wird dadurch erreicht, dass den Ausgeschlossenen die Sprache, die sie gemeinsam mit der übrigen Gesellschaft besaßen, stufenweise enteignet wird.
Es wird nichts übrig bleiben, worum man/frau bitten kann.
Die Stummen werden ausgeschlossen
In einer Ära, die immer noch industriell benannt werden konnte, gründete der Konsens darauf, dass man sich potentiell am Nutzen der Produktion beteiligen konnte. In einer Ära, wo die Wandlungsfähigkeit des Kapitals praktisch grenzenlos ist, braucht das Paar Kapital/Staat eine eigene Sprache, die von der Sprache der Ausgeschlossenen getrennt ist, damit es sein neues
Potential am besten erfüllen kann.
Die Unzulänglichkeit der herrschenden Sprache wird ein weitaus wirksameres Mittel zur Segregation als die traditionellen Grenzen des Ghettos darstellen. Der steigende Schwierigkeitsgrad des Erwerbes der herrschenden Sprache wird sie allmählich in etwas komplett „anderes“ verwandeln. Von dem Punkt an verschwindet sie von der Palette der von den Ausgeschlossenen begehrbaren Sachen und wird ihnen unbekannt. Von dem Punkt an werden die Teilhabenden „anders“ sein für die Ausgeschlossenen, und umgekehrt.
Dieser Ausgrenzungsprozeß ist für das repressive Projekt unabdingbar. Die grundlegenden Begriffe der Vergangenheit, wie Solidarität, Kommunismus, Revolution, Anarchismus, stützten ihre Gültigkeit auf den Begriff der Gleichheit. Aber für die BewohnerInnen des „teutonischen Schlosses“ sind die Ausgeschlossenen keine Menschen, sondern einfach Dinge oder Objekte, die gekauft oder verkauft werden können, ähnlich wie die SklavInnen unserer Vorahnen. Wir spüren keine Gleichheit einem Hund gegenüber, denn er kann nur bellen, nicht sprechen.
Wir können ihn gerne haben, aber erkennen zwangsläufig, dass er anders ist; wir machen uns nicht allzu viele Gedanken über seine Gattung, zumindest nicht auf der Ebene des Hundes im allgemeinen, und beziehen uns lieber speziell auf den Hund, der uns gehorcht, uns lieb ist, oder der unsere Feinde abschreckt.
Ähnlich wird auch mit denjenigen verfahren werden, die unsere Sprache nicht teilen. Hier müssen wir uns davor hüten, zwei Bedeutungen des Wortes Sprache durcheinanderzubringen. Unsere fortschrittliche und revolutionäre Tradition lehrt uns, dass alle Menschen gleich sind, egal was für Unterschiede zwischen ihren Muttersprachen bestehen. Hier ist die Rede von einer möglichen repressiven Entwicklung, die den Ausgeschlossenen die bloße Möglichkeit der Kommunikation mit den Teilhabenden entziehen würde. Dadurch z.B., dass der Nutzen des schriftlichen Wortes maßgeblich verringert wird, dass Bücher und Zeitungen durch Bilder, Farben und Musik ersetzt werden, könnten die Machtstrukturen von morgen eine Sprache erschaffen, die ausschließlich für die Ausgeschlossenen existiert.
Sie wiederum könnten andere, sogar kreative, Mittel der sprachlichen Reproduktion schaffen, aber immer mit dem eigenen Code, der von jeglichem Kontakt mit dem Code der Teilhabenden abgeschnitten ist. Vom Nichtverstehen zur Gleichgültigkeit und geistiger Abkapselung ist es nur ein kleiner Schritt.
Der Reformismus ist zum Tode verdammt. Forderungen zu stellen, wird nicht länger möglich sein, denn niemand wird wissen, was er/sie von einer Welt einfordern soll, die für uns von keinem Belang mehr ist und die uns nichts verständliches mehr vermitteln kann.
Genau wie sie von der Sprache der Teilhabenden abgeschnitten sind, werden die Ausgeschlossenen auch von ihrer neuen Technologie abgeschnitten. Möglicherweise werden sie in einer besseren und begehrenswerteren Welt leben, mit weniger Gefahr eines apokalyptischen Konfliktes, und letztendlich weniger wirtschaftlichen Spannungen. Das Ausmaß an irrationalen Spannungen wird aber ansteigen.
Von den peripheren Gebieten des Planeten, wo, trotz der „Realzeit“ das Ausbeutungsprojekt immer auf Hindernisse einer ethnischen oder geographischen Natur stoßen wird, bis hin zu den zentraleren Gebieten, wo die Klassenunterschiede strenger gehalten werden, wird ein Konflikt, der aus Wirtschaftsgründen entsteht, einer Konfliktart ausweichen, die auf Irrationalität beruht.
Um Kontrolle auszuüben, zielen die Teilhabenden auf eine Minderung der ökonomischen Schwierigkeiten für die Ausgeschlossenen ab. Sie könnten sie mit einer vorgefertigten Sprache versorgen, die eine abgeänderte Teilbenutzung der Technologie ermöglicht. Sie könnten ihnen eine bessere Lebensqualität zukommen lassen. Aber die irrationalen Gewaltausbrüche, die aus dem Gefühl der Nutzlosigkeit, der Langeweile und der tödlichen Atmosphäre des Ghettos entstehen, können sie nicht verhindern.
In Britannien z.B., das immer einen Schritt voraus in der Entwicklung repressiver Projekte des Kapitals ist, können wir die ersten Ansätze dieser Tendenz schon sehen. Der Staat kann auf keinen Fall das Überleben seiner Untertanen gewährleisten, es gibt eine unglaubliche Menge an Armut und Arbeitslosigkeit, aber die Krawalle, die regelmäßig dort ausbrechen, werden von jungen Menschen gestartet, insbesondere von der Westindischen Bevölkerung, die wissen, dass sie endgültig von einer Welt abgeschnitten wurden, die ihnen schon fremd war. Von dieser Welt können sie bestimmte Gegenstände oder Handlungsmuster leihen, aber sie fühlen sich in ihr schon „anders“.
Vom irrationalen Krawall zum bewussten Aufstand.
Die Massenbewegungen, die einige GenossInnen heute wegen ihrer Gefährlichkeit und, ihrer Meinung nach, Nutzlosigkeit, beeindrucken, sind Zeichen für die Richtung, die die Kämpfe von Morgen nehmen werden.
Auch jetzt vermögen viele junge Menschen die Situation, in der sie sich befinden, nicht mehr einzuschätzen. Ihnen ist das Mindestmaß an Kultur, das die Schule früher zur Verfügung stellte, entzogen worden. Sie werden mit Botschaften bombardiert, die mutwillige Gewalt enthalten, schließlich werden sie auf tausendfacher Art in Richtung irrationaler und spontaner Rebellion gestoßen, und das mit einem Mangel an „politischen“ Zielen, die frühere Generationen glaubten mit absoluter Klarheit sehen zu können.
Die „Schauplätze“ und Ausdrucksformen dieser kollektiven Ausbrüche sind mannigfaltig. Auch die Gelegenheiten. Dennoch können sie in jedem Fall auf eine Intoleranz der Gesellschaft des Todes zurückgeführt werden, wie sie von der Partnerschaft Staat + Kapital inszeniert wird. Es ist sinnlos, wenn wir diese Erscheinungen wegen unserer traditionellen Vorstellungen von revolutionärer Handlung innerhalb einer Massenbewegung fürchten.
Es geht hierbei nicht um die Frage ob wir Angst haben oder nicht, sondern ob wir zum Handeln kommen, bevor es zu spät ist.
Eine große Menge an Material, zu dem ich auch beitrug, über die Techniken des bewussten Aufstandes ist inzwischen vorhanden und daraus werden GenossInnen vielleicht verstehen, wie oberflächlich und unschlüssig gewisse vorgefasste Ideen sind, die eher Verwirrung stiften, als dass sie klären.
Kurz gesagt, können wir nochmals versichern, dass die aufständische Methode nur durch informelle, anarchistische Organisationen Anwendung finden kann. Diese müssen fähig sein, Basisstrukturen (Massenorganisationen) aufzubauen, und daran teilzunehmen, die von der Macht gesetzten Ziele dadurch anzugreifen und zu zerstören, dass sie die Prinzipien der Selbstbestimmung, des andauernden Kampfes und der direkten Aktion umsetzen.
3) wir wissen nicht so genau wie dieses Wort auf der assoziativen Ebene gemeint wird. Anstatt das Wort „Klassenverräter“ zu benutzen, das ein bisschen negativ besetzt ist, haben wir es einfach bei der wörtlichen Übersetzung gelassen.
4) Mit „economies of scale“ wird eine Marktstrategie beschrieben, die auf die Massenproduktion standardisierter Konsumgüter, und auf die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten abzielt. Durch die Produktion und Vermarktung möglichst großer Mengen eines Gutes wird sowohl Stückkostensenkung als auch Erhöhung des Profits erreicht. Es kommt zu keiner größeren Variantenvielfalt von Produkten. Die Idee der „economies of scale“ entspricht dem Fordistischen Wirtschaftsmodell.
Demgegenüber steht das neuere marktstrategische Modell der „economies of scope“, welches Teil einer neoliberalen, merkantilistischen Wirtschaftspolitik ist. Das Modell der „economies of scope“ ist sozusagen aus der Konsequenz der Krise des Fordismus heraus gewachsen, nachdem immer größere Bevölkerungsschichten zu verarmen scheinen. Es entspricht einer großen Variantenvielfalt, bzw. Spezialisierung von Produkten, durch die auf dem Markt einerseits alles möglich gemacht wird („anything goes“) und spezielle Käuferwünsche erfüllt werden, andererseits dies aber auch teuer bezahlt werden muss.
5) Dieser Begriff hat verschiedene Schattierungen. Auf der einen Seite müssen wir auf die Hegelianische Begriffsbesetzung achten, in der, wie Bonanno es schildert, die revolutionäre „Synthese“ (der vorangegangenen „These“ und „Antithese“) von der Partei bzw. Organisation vorangetrieben wird. Dies ist die Position, gegen die er argumentiert. Andererseits ist dieser manchmal als Organ zu verstehen, der verschiedene Strömungen und Wirklichkeiten zusammenbringt. In beiden Fällen ist eine Art Plattformpolitik gemeint, die in ihrer fortgeschrittensten Form den Avantgardismus bedeutet.
Redebeitrag während einer anarchistischen Konferenz in Mailand, am 13. Oktober 1985, zum Thema „Anarchismus und Aufstandsprojekt“
Bei der Organisierung einer solchen Konferenz kommt es mitunter zu eigenartigen Widersprüchen zwischen formellen Aspekten – solch eine schöne Halle (obwohl das natürlich Geschmackssache ist), uns hier so vorzufinden, mit mir hier oben und so vielen GenossInnen da unten, einige die ich gut kenne, andere weniger gut – und dem grundlegenden Aspekt der Diskussion eines Problems, oder eher eines Projektes, welches die Vernichtung all dieser Widersprüche vorsieht. Es hat für mich etwas von einer Situation in der jemand zwei Dinge auf einmal tun will.
Das ist der Widerspruch im Leben. Wir sind gezwungen für unser subversives, zerstörerisches Projekt die Instrumente der herrschenden Klasse zu benutzen. Wir stehen einer realen und ziemlich furchtbaren Situation gegenüber, und in unseren Köpfen befindet sich ein Projekt der Träume.
Anarchisten haben viele Projekte. Sie sind für gewöhnlich sehr kreativ, aber im Zentrum dieser Kreativität befindet sich ein zerstörerisches Projekt welches nicht nur ein Traum ist, ein Alptraum, sondern etwas, das auf dem sozialen Prozess beruht, der uns umgibt und durch ihn bestätigt wird.
In Wirklichkeit müssen wir annehmen, dass diese Gesellschaft, zerrissen und zerteilt in Oppositionen und Widersprüchen, sich wenn schon nicht auf eine große, abschließende Explosion, dann doch zumindest auf eine Serie von kleinen destruktiven Ausbrüchen hin bewegt.
Genau das stellt sich der Mann auf der Straße in seinen Alpträumen unter einem Aufstand vor. Bewaffnete Leute, brennende Autos, zerstörte Gebäude, schreiende Babys, Mütter, die nach ihren verschwundenen Kindern suchen. Das große Problem ist, dass diesbezüglich auch der Standpunkt vieler Anarchisten ziemlich unklar ist.
Ich habe oft mit GenossInnen über die Probleme des aufständischen und revolutionären Kampfes gesprochen und dabei festgestellt, dass die selben Modelle auch in ihren Köpfen existieren. Oft sind es Szenen der Barrikaden aus dem 18. Jahrhundert, der Pariser Kommune oder der Französischen Revolution, die man sich vorstellt.
Sicherlich, Aufstände beinhalten dies, aber nicht nur dies alleine. Der aufständische und revolutionäre Prozess beinhaltet einiges mehr. Wir sind heute hier um genau dies ein wenig besser verstehen zu versuchen. Lasst uns die äußeren Aspekte des Problems verlassen, uns gegenseitig in die Augen schauen und versuchen einen Moment lang darüber nachzudenken. Lasst uns die Idee des Aufstands als bloße Ansammlung von Barrikaden vergessen und statt dessen sehen wie das Instrument „Aufstand“ in der heutigen Realität, eine Realität, die sich einer schnellen und tiefen Transformation unterzieht, betrachtet werden kann. Heute befinden wir uns weder in den Jahren 1871 oder 1830, noch im Jahre 1848.
Und das 18. Jahrhundert ist auch nicht unser Bezugspunkt. Wir befinden uns in einer Situation, in der sich die industrielle Produktion in einem Prozess der Transformation befindet, eine Situation, die für gewöhnlich auch zur Vereinfachung „post-industriell“ genannt wird. Einige GenossInnen, die sich an die Analyse dieser Situation gemacht haben und über die tiefgreifenden Veränderungen, die in der heutigen produktiven Situation stattfinden nachgedacht haben, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bestimmte alte revolutionäre Modelle keine Gültigkeit mehr besitzen. Daher ist es nötig neue Wege zu finden, die nicht nur die alten Modelle ersetzen, sondern diese auch grundlegend ablehnen um neue Formen der Intervention vorzuschlagen.
So betrachtet scheinen die Dinge viel logischer zu sein, sogar faszinierend. Warum sollte jemand einen Scheck einlösen wollen, der vor 100 Jahren abgelaufen ist? Wer würde denn heute denken, dass die Modelle revolutionärer Intervention von vor 150 oder 200 Jahren heutzutage immer noch gültig sind?
Natürlich sind wir alle leicht durch neue kreative Wege der Intervention und durch die neuen Möglichkeiten welche uns durch die jeweilige objektive Situation zur Verfügung stehen zu beeindrucken. Aber Moment mal.
Wir haben hier zwar nicht vor ausschließlich in Zitaten zu sprechen. Aber jemand sagte einmal, dass es die Fähigkeit einer Revolutionärin sei, die Zukunft zu packen, zu greifen und zu begreifen, mit dem Wissen um die Vergangenheit. Das Messer unserer Vorfahren mit dem Computer der Zukunft zu verheiraten. Was soll das?
Nicht weil wir nostalgisch einer Zeit nachtrauern in der Männer losgingen ihre Feinde mit dem Messer umzubringen, eher das Gegenteil. Weil wir finden, dass die revolutionären Instrumente der Vergangenheit auch heute noch ihre Berechtigung haben. Nicht aufgrund der Entscheidung einer Minderheit , die die Messer in die Hände nimmt und diese auf demagogische Weise zu etablieren versucht, ohne sich darüber Gedanken zu machen was die Leute davon halten. Sondern weil die Fähigkeit der Menschen, einfache Mittel zur Hand zu nehmen um jegliche Ausbrüche und Reaktionen auf Repression zu unterstützen, die traditionelle Stärke eines jeden Volksaufstandes ist.
Lasst uns die Dinge ein wenig ordnen. Es gab schon immer Fehler im kapitalistischen System – Tatsachen, Widersprüche – etwas, dass nicht ins kapitalistische Projekt passte. All jene, die sich jemals mit ökonomischer und politischer Analyse beschäftigt haben, mussten dies gezwungenermaßen zugeben. Die kapitalistische Utopie beinhaltet ein technisches Missverständnis, nämlich die Vorstellung drei Dingen auf einmal gerecht werden zu können, die allerdings einander widersprechen:
Den Wohlstand einer Minderheit zu sichern, die Mehrheit bis zu den Grenzen des Überlebens auszubeuten, und im Namen des Rechts den Aufstand zu verhindern.
In der Geschichte des Kapitalismus wurden immer Lösungen gefunden, allerdings gab es auch immer kritische Momente – nämlich jene Augenblicke, in denen das Kapital gezwungen wurde andere Wege zu gehen, z.B. die amerikanische (US-amerikanische, Anmerkung der Übersetzerin) Krise während der zwei Kriege, um ein einigermaßen aktuelles Beispiel zu geben: Eine große Krise kapitalistischer Überproduktion, ein tragischer Moment, verbunden mit einigen anderen marginalen Problemen vor denen das Kapital stand. WIE IST DIESES PROBLEM GELÖST WORDEN? Dadurch, dass in die Phase des Massenkonsums eingetreten wurde, mit anderen Worten, indem ein Integrations- und Partizipationsmodell vorgeschlagen wurde, das aufgrund der Erfahrungen des zweiten Weltkrieges zu einer Ausdehnung des Konsums und somit zu einem Anstieg der Produktion führte.
Aber warum hat diese Krise solch ernsthafte Probleme für das Kapital hervorgebracht? Weil das Kapital noch bis vor kurzem keine Produktion zustande bringen konnte ohne große Investitionen tätigen zu müssen. Lasst uns „bis vor kurzem“ unterstreichen, als das Kapital „economies of scale“ einführen musste um eventuelle Produktionsveränderungen zu ermöglichen. Wenn ein Haushaltsgerät neuen Typs oder ein neues Auto gefordert wurde, mussten Investitionen in Millionenhöhe getätigt werden. Diese Umstände konfrontierten das Kapital mit dem Gespenst der Überproduktion und mit der Notwendigkeit mehr und mehr Menschen den Massenkonsum aufzudrängen.
Jedem war klar, dass das nicht ewig so weiter gehen könnte, früher oder später würde das Spiel in sozialer Gewalt enden. Die Unzahl der Einmischungen von Staat und Kapital in ihren Versuchen die Menschen so mitzureißen, stellten sich als kurzlebig heraus. Viele werden sich an die Zeit erinnern, etwa vor zehn bis fünfzehn Jahren ( der Text ist von 1985!, Anmerkung d.Übers.) als die Volkswirte nach ökonomischer Planung und der Möglichkeit der Vollbeschäftigung riefen. Das hat sich alles in Luft aufgelöst. Fakt ist, dass damals alles auf eine Anspannung und Zuspitzung der Zustände hindeutete. Die nächste vom Kapital geplante Stufe war die staatliche Intervention in kapitalistisches Management hinein, also den Staat zu transformieren, und zwar vom einfachen Verwalter zu einem produktiven Element innerhalb des kapitalistischen Systems. Mit anderen Worten: Vom Kassierer zum Bankier. Auf diesem Wege fand eine wesentliche Umformung statt, denn die Widersprüche des ökonomischen Wettbewerbs fingen an fatale Spuren zu hinterlassen. Dies konnte jedoch durch die Ausweitung des Konsums in die proletarischen Schichten hinein überwunden werden. Heute stehen wir vor einer völlig anderen Situation, GenossInnen, und ich fordere Euch auf diese wichtige Tatsache zu reflektieren, denn es ist genau die neue Perspektive, die sich jetzt durch die Repression und die neuen kapitalistischen Techniken zur Aufrechterhaltung des Konsens eröffnet, die ein revolutionäres Projekt überhaupt erst ermöglicht.
Was hat sich verändert? Was charakterisiert die post-industrielle Realität?
Was ich versuche zu erklären muss als eine „Entwicklungslinie“ verstanden werden. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine plötzliche Entscheidung der kapitalistischen Zentren – ein eher irrealer Gedanke. Tatsächlich handelt es sich um einen Mittelweg. Das müssen wir im Kopf behalten, wenn wir über post-industrielle Realität sprechen, denn wir wollen nicht, dass einige GenossInnen sagen: „Moment mal, ich komme aus der hinter letzten Ecke Siziliens, dort versammeln sich jeden Sonntag Arbeiter um von Vorarbeitern Tagesjobs für 5000 Lire angeboten zu bekommen.“ Natürlich, das passiert so, und noch schlimmer. Genau das müssen Revolutionäre im Kopf haben, und zur gleichen Zeit über die am weitesten fortgeschrittenen Bezugspunkte innerhalb des kapitalistischer Projekts Bescheid wissen. Denn wenn wir uns nur innerhalb der rückschrittlichsten Situationen auskennen würden, wären wir keine Revolutionäre. Wir würden nur reformistisch herumdoktern und bestenfalls imstande sein die Machtstruktur zur Perfektionierung des kapitalistischen Projektes voranzutreiben.
Um zu unserem Thema zurückzukommen: Was unterscheidet nun eigentlich die postindustrielle von der industriellen Realität? Die industrielle Realität basierte offensichtlich auf dem Kapital, auf dem Konzept von Investment, erheblichem Investment. Heute, im Computerzeitalter ist die Frage nach der Möglichkeit der Produktion nur noch eine Frage des Computerprogramms. Lasst uns diese Frage hier genau untersuchen. Zwei Roboter machen heute das was früher 100 Arbeiter gemacht haben. Die gesamte Arbeiterkolonne hätte vor 100 Jahren ausgetauscht werden müssen, um ein anderes Produkt herstellen zu lassen. Die Arbeiter waren schließlich nicht in der Lage sich so kurzfristig umzustellen. Die Computer der Gegenwart sind dahingegen auf bestimmte Arbeitsgänge spezialisiert und können innerhalb kürzester Zeit durch Neu- und Umprogrammierung zu den Computern von morgen werden und dies mit geringen Kostenaufwand. Von der Produktion her gesehen ist die Kapazität (Leistungsfähigkeit) des Kapitals nicht länger auf die Ressourcen des Finanzkapitals bzw. auf Investment angewiesen, sondern auf intellektuelles Kapital, auf die enorme Akkumulation (Ansammlung, Anhäufung) der produktiven Kapazität der Computertechnik auf die neuen technischen Entwicklungen, die diese Veränderungen ermöglichen. Das Kapital ist nicht länger auf den Arbeiter mit seiner traditionellen, produktiven Rolle angewiesen. Dieses Element wird zweitrangig, indem die intellektuelle Kapazität des Kapitals erstrangig wird.
Das Kapital braucht keine riesigen Investitionen zu tätigen oder große Mengen von Produkten lagern um anfängliche Geldauslagen wieder auszugleichen. Auch die Notwendigkeit Druck auf den Markt auszuüben, besteht nicht mehr, sondern z.B. die Möglichkeit Produktionsstätten über große Entfernungen hinweg anzusiedeln, und somit die industriellen Zentren der Vergangenheit zu vermeiden. Auch Umweltverschmutzung kann vermieden werden. Vielleicht werden wir bald saubere Meere haben, saubere Luft, eine bessere Verteilung der Ressourcen. GenossInnen denkt mal darüber nach, was die ÖkologInnen den KapitalistInnen alles mögliche gemacht haben, und was in der Zukunft gegen uns verwendet werden kann. Was wurde alles getan, um die Zukunftspläne des Kapitals verwirklichen zu helfen. Wahrscheinlich werden wir irgendwann solch große industrielle Zentren wie Gela, Syracuse, Genova, Milan etc. nicht mehr haben. Sie werden einfach verschwinden. Eine Computerprogrammierung in irgendeinem Wolkenkratzer wird dann die Produktion eines Produktes in Melbourne, Detroit oder wo auch immer bewerkstelligten. Wie kommt es dazu, wie wird so etwas ermöglicht? Einerseits wird das Kapital eine bessere Welt schaffen können, eine die qualitativ besser ist, also ein besseres Leben. Aber für wen? Genau hier liegt das Problem! Sicherlich nicht für alle Menschen. Wenn der Kapitalismus in der Lage wäre diese qualitativ bessere Welt für alle Menschen zu schaffen, dann könnten wir jetzt alle nach Hause gehen und wären alle Anhänger der kapitalistischen Ideologie. Tatsache ist, dass dies alles nur für einige wenige Menschen realisiert werden soll, und das diese privilegierte Schicht zukünftig schwerer zugänglich sein wird als in der Vergangenheit. Die Privilegierten von morgen werden sich in einer ähnlichen Situation wiederfinden wie die teutonischen Ritter des Mittelalters, indem sie eine Ideologie unterstützen die eine Minderheit von „Gleichen“ zum Ziel hat. Eine Minderheit von „gleichen“ Privilegierten innerhalb der Festung, umgeben von Mauern und einer armen Bevölkerung, die sicherlich weiter versuchen wird in diese Festung einzudringen.
Diese Gruppe von Privilegierten wird nicht nur aus Kapitalisten bestehen, sondern auch ausgedehnt sein auf eine soziale Schicht, die bis zu den oberen Mittelklassen reicht. Eine sehr große Schicht, selbst wenn sie natürlich sehr klein wirkt im Vergleich zu der großen Menge Ausgebeuteter. So oder so, lasst uns nicht vergessen, dass wir hier von einem Projekt sprechen, welches in dieser Form noch nicht existiert, sondern nur tendenziell, in Ansätzen. Diese Gruppe von Privilegierten kann die „Teilhabenden“ genannt werden, bestehend aus denen, die sich in der Festung verschanzen, einschließen. Was glaubt ihr, ob sie Mauern um sich herum aufstellen lassen, Stacheldraht, Armeen, Wächter oder Polizei? Ich denke nicht.
Denn all die Gefängnismauern, das Ghetto, die toten Stadtrandgebiete und auch die Repression als ganzes: Polizei und Folter – all diese Dinge die heute jeder sehen kann, wo GenossInnen und Proletarier auf der ganzen Welt getötet werden – na ja, dies alles könnte sich in den nächsten Jahren ändern. Es ist sehr wichtig zu realisieren, dass 5-10 Jahre in der heutigen Zeit vergleichbar sind mit 100 Jahren vor einigen Jahrhunderten. Das kapitalistische Projekt schreitet mit einer Geschwindigkeit fort, dass man von einem geometrischen Fortschritt sprechen kann, der sich von allem unterscheidet was bisher dagewesen war. Die Veränderungen, der Fortschritt der Jahre 1960-1968, entspricht heutzutage einigen wenigen Monaten.
Also, was wird die privilegierte Klasse tun?
Sie wird versuchen die „Ausgeschlossenen“ von den „Teilhabenden“ abzutrennen. Auf welche Art und Weise wird dies geschehen? Indem die Kommunikation unterbrochen wird.
Dies ist ein zentrales Konzept der Zukunft, ein Konzept, welches meines Erachtens sehr genau untersucht werden sollte. Die Kommunikation abzutrennen bedeutet zweierlei: Eine reduzierte, eingeschränkte Sprache zu konstruieren, die anspruchslos ist und einen einfachen elementaren Code besitzt, so dass die „Ausgeschlossenen“ die Möglichkeit haben die Computerterminals zu benutzen. Auf der anderen Seite werden die „Teilhabenden“ mit einer Sprache versorgt werden, so dass sie ihre utopische, privilegierte Welt schaffen können, die Welt, nach der ja überall so gesucht wird. Dies wird nun die wahre Mauer sein: Die Nichtexistenz einer gemeinsamen Sprache, eine Gefängnismauer die nicht leicht zu erklimmen ist.
Dieses Problem wirft interessante Fragen auf. Über allem steht die Frage nach der Situation der Privilegierten, der „Teilhabenden“. Lasst uns nicht vergessen, dass es in dieser privilegierten Welt Leute mit großer revolutionärer und ideologischer Vergangenheit geben wird und das diese sich in ihrer privilegierten Situation nicht wohl fühlen werden, sondern eher das Gefühl haben werden in ihrem Teutonischen Schloss zu ersticken. Diese Leute werden der erste Stachel im Fleisch des kapitalistischen Projektes sein. Diese Klassenverräter sind die, die ihre Klasse verlassen. Wer waren die Klassenverräter von gestern? Ich selbst gehörte einst zur Klasse der Privilegierten. Ich verließ sie um ein „Genosse unter GenossInnen“ zu werden, vom Privilegierten von gestern zum Revolutionären von heute. Und was habe ich mitgebracht? Meine humanistische und meine ideologische Kultur. Ich kann euch nur Worte geben. Aber die Klassenverräter von morgen, die, die ihre Klasse morgen als Revolutionäre verlassen werden, werden Technologie mitbringen. Denn ein Charakteristikum des kapitalistischen Projekts von morgen und eine der notwendigen Bedingungen zu bestehen, wird die Verbreitung von Wissen auf horizontaler, und nicht auf pyramidaler Ebene sein. Es wird notwendig sein, Kenntnisse auf angemessene und gleichberechtigte Art und Weise zu vermitteln – allerdings alles innerhalb der Klasse der „Teilhabenden“. Daher werden die Deserteure von morgen eine beträchtliche Menge an nützlichen Elementen mit sich bringen, die vom revolutionären Standpunkt aus gesehen sehr nützlich sein können. Und die „Ausgeschlossenen“? Werden sie sich weiterhin so ruhig verhalten wie bisher? Letztlich bleibt die Frage danach, was sie noch fordern können, wenn die Kommunikationsebene nicht mehr existiert? Um etwas zu fordern ist es wichtig genau zu wissen was. Es ist nicht möglich etwas nur vor dem Hintergrund des eigenen Leids und der Nichtexistenz einer eigenen Vorstellung zu fordern, einer Vorstellung die mir nichts bedeutet und meine eigenen Träume und Utopien in keiner Weise stimuliert. Das Auflösen der gemeinsamen Sprache, des gemeinsamen Codes wird den Reformismus von gestern mit seinen Forderungen nach besseren Lebensbedingungen oder auch dem Herunterschrauben der staatlichen Repression auf ein bestimmtes Maß als Relikt einer früheren Zeit aussehen lassen. Der Reformismus basierte auf einer gemeinsamen Sprache zwischen den Ausgebeuteten und dem Ausbeuter. Wenn allerdings die Kommunikation nicht mehr funktioniert, dann kann gar nichts mehr gefordert werden. Ich habe kein Interesse an Dingen die ich nicht verstehe. Daher wird das kapitalistische Projekt der Zukunft, das post-industrielle Projekt, funktionieren, indem die Befriedung der Ausgebeuteten sichergestellt ist. Die „Ausgeschlossenen“ werden mit einigen Codes versorgt werden, die es ihnen ermöglichen Telefone, Fernseher, Computerterminals und all die anderen Objekte, die die Grund- und andere Bedürfnisse befriedigen, zu nutzen. Gleichzeitig wird aber dafür gesorgt werden, dass sie ständiger Kontrolle ausgesetzt sind. Diese Prozedur wird eher schmerzlos als blutig von statten gehen. Zum Beispiel wird es Folter nur noch in sehr geringem Masse geben. Im allgemeinen wird sich ein Mantel des Schweigens über der Welt der „Ausgeschlossenen“ ausbreiten. Allerdings gibt es an dieser Stelle einen wunden Punkt. Das Thema Rebellion dreht sich nicht nur um Bedürfnisse allein, also nicht nur um das Gefühl und das Wissen um Entbehrung und den Entschluss dagegen zu kämpfen. Wenn wir darüber nachdenken, sehen wir, dass wir es hier mit einem aufklärerischen Konzept zu tun haben. Dieses wurde später von der englischen, philosophischen Ideologie um Bentham und Co. weiterentwickelt, die von einer utilitaristischen 6) Perspektive her argumentierte. Die ideologische Propaganda der letzten 150 Jahre basiert auf diesem rationalen Element und damit auf der Frage: Warum werden unsere Bedürfnisse nicht befriedigt und warum besitzen wir nicht alle gleich viel/wenig wenn wir doch angeblich alle gleich sind? Aber, GenossInnen, was zusammen mit der Sprache abgetrennt werden wird, ist auch das Konzept von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“.
Die Privilegierten von morgen werden sich nicht als den „Ausgeschlossenen“ menschlich und brüderlich gleich fühlen, sondern werden diese als „anders“ einstufen. Die „Ausgeschlossenen“ von morgen werden außerhalb des Teutonischen Schlosses stehen und ihre privilegierten Nachbarn auch nicht als mögliche post-revolutionäre Brüder von morgen betrachten. Sie werden grundsätzlich verschieden sein, und zwar in ähnlicher Weise wie ich heute meinen Hund als anders empfinde, weil er nicht spricht. Natürlich liebe ich meinen Hund, ich mag ihn, er nützt mir auch und begleitet mich, er ist freundlich und wackelt mit dem Schwanz. Ich kann mir nicht vorstellen für die Gleichheit zwischen Menschen und Kaninchen zu kämpfen. All das befindet sich weitab meiner Vorstellungskraft. Tragischer Weise kann diese Trennung der Sprache in Zukunft Wirklichkeit werden. Die „Ausgeschlossenen“ werden dann mit ihren begrenzten Codes gut versorgt sein, so wie es sich heute schon abzuzeichnen vermag: Töne, Bilder und Farben – nichts von den traditionellen Codes, die auf dem Wort, der Analyse und einer gemeinsamen Sprache basierten. Vergesst nicht, dass dieser traditionelle Code die Basis für die aufklärerische und progressive Analyse der Transformation (Umwandlung) der Realität war, eine Analyse übrigens, die auch heute noch das Fundament revolutionärer Ideologie darstellt, ob nun anarchistischer oder autoritärer Prägung. Wir als Anarchisten sind immer noch an das progressive Konzept gebunden, dass Veränderung durch Vermittlung revolutionärer Inhalte mit Worten vonstatten geht. Aber wenn die Bedeutung des Wortes zerstört wird, werden sich die Umstände radikal ändern. Wir haben schon Bekanntschaft mit der Erfahrung gemacht, dass besonders viele junge Leute überhaupt nicht mehr lesen. Sie können nur durch Musik und Bilder (TV, Kino, Comics) erreicht werden. Diese Techniken haben einen großen Vorteil für die Mächtigen, sofern sie sich in ihren Händen befinden: Sie erreichen die irrationalen Gefühle, die in uns allen stecken. Mit anderen Worten der Wert der Rationalität als ein Mittel der Überzeugung oder des Glaubens und der Entwicklung eines Selbstbewusstseins welches uns zum Angriff auf den Klassenfeind animieren könnte wird abnehmen, zurückgedrängt werden – nicht komplett aber bedeutend.
An dieser Stelle stellt sich für uns die Frage nach dem zukünftigen Verhalten der „Ausgeschlossenen“. Natürlich werden die Menschen in Zukunft immer stärker irrational reagieren. GenossInnen, ich bitte euch wirklich über einige Phänomene nachzudenken, die auch heute schon Realität sind, besonders in Großbritannien, einem Land, welches vom kapitalistischen Gesichtspunkt her betrachtet bis heute eine Art Vorreiterrolle einnimmt. Das Phänomen spontaner, irrationaler Krawalle.
An dieser Stelle kommt es darauf an den Unterschied zwischen Krawall und Aufstand wirklich zu verstehen, etwas das viele GenossInnen nicht tun. Krawalle sind Bewegungen von Leuten die stark irrationale Charakteristika beinhalten. Krawalle können überall losgehen. Vielleicht weil irgendein Typ festgenommen wird, weil die Polizei gerade mal jemanden bei einer Razzia erschossen hat, oder auch aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans. Es gibt keinen Grund vor diesem Phänomen Angst zu haben. Wisst ihr warum wir Angst haben? Weil wir Träger der Ideologie des Fortschritts und der Aufklärung sind. Denn wir glauben, dass die sicheren Erkenntnisse die wir haben dazu taugen zu beweisen, dass wir im Recht sind, und dass diese Leute irrationale -ja, faschistische – Provokateure sind, Leute die man mit allen Mitteln bekämpfen muss. Aber die Dinge verhalten sich anders. In Zukunft wird es mehr und mehr Situationen subversiver, irrationaler und unmotivierter Krawalle geben. Ich fühle die Angst vieler GenossInnen bezüglich dieser Realitäten, den Wunsch zu Methoden zurück zu gelangen, die auf der Vergangenheit und den rationalen Kapazitäten der Vergangenheit fassen. Doch ich glaube nicht, dass diese Methoden eine Zukunft haben werden. Sicherlich werden wir auch weiterhin unsere Schriften veröffentlichen, Bücher und schriftliche Analysen produzieren, dennoch wird die Zahl derer, die die linguistischen Fähigkeiten besitzen diese Arbeiten zu lesen und zu verstehen wird in Zukunft geringer sein. Was sind die Gründe für diese Situation?
Eine Reihe von Realitäten, die zwar potentiell aufständisch sind, objektiv gesehen aber alles andere als das. Und was sollte nun unsere Aufgabe sein? Weiterzumachen mit den Mitteln der Vergangenheit? Oder zu versuchen diese spontanen Krawalle in eine effektive aufständische Richtung zu lenken, fähig nicht nur die Privilegierten in ihrem Teutonischen Schloss anzugreifen, sondern auch und im besonderen den Mechanismus, der die Sprache abtrennt. In Zukunft müssen wir Instrumente schaffen, die revolutionäre und aufständische Stimmungen einfangen können und von den „Ausgeschlossen“ selbst auch gelesen werden können. Also, wir können der großen Aufgabe eine alternative Schule zu errichten, die in der Lage ist rationale Instrumente jenen Menschen zu liefern, die nicht fähig sind diese zu gebrauchen, nicht gerecht werden. Wir werden nicht in der Lage sein die Arbeit zu ersetzen, die von der Opposition auf der Basis der gemeinsamen Sprache entwickelt wurde. Jetzt wo die Besitzer und Verteiler mit ihrer Fähigkeit zu rationalisieren die Kommunikation unterbrochen haben, können wir keine Alternative aufbauen. Das würde vielen Illusionen der Vergangenheit gleichkommen. Was wir machen können ist die selben Instrumente wie sie zu benutzen, um somit Konzepte zu vermitteln, die die Fähigkeit besitzen Krawalle in Aufstände zu verwandeln. Anders als viele GenossInnen denken – nämlich, dass wir ins 18. Jhdt. gehören, unsere Ideen veraltet sind – glaube ich, dass wir tatsächlich in der Lage sind diese dünne Luftbrücke zwischen den Werkzeugen der Vergangenheit und den Dimensionen der Zukunft zu bauen. Dies wird sicherlich nicht einfach sein. Der erste Feind , der besiegt werden muss, kommt aus unserem eigenen inneren: Unsere Abneigung gegenüber Situationen, die uns Angst machen, Einstellungen und Gedankenmuster die wir nicht verstehen und Diskurse, die für so alte Rationalisten wie mich unbegreiflich sind. Trotzdem muss ein Versuch gemacht werden. Viele GenossInnen haben sich für einen Angriff in der Tradition der Ludditen 7) von vor 150 Jahren entschieden. Sicher, Angriff ist immer eine große Sache. Aber der Luddismus ist nun wirklich Vergangenheit. Die „Luddittes“ verband eine gemeinsame Sprache mit denen, die die Maschinen besaßen. Es gab eine gemeinsame Sprache zwischen den Besitzern der Fabriken und den Proletariern, die sich diesen verweigerten und Widerstand leisteten. Eine Seite aß, die andere nicht, und trotz dieses nicht zu leugnenden Unterschieds hatten sie eine gemeinsame Sprache. Die heutige Realität sieht tragischer Weise anders aus. Und diese Andersartigkeit wird in Zukunft noch zunehmen. Daher wird es nötig sein Verhältnisse zu schaffen, die es ermöglichen, dass diese Krawalle, diese „Riots“ nicht unvorbereitet ablaufen.
Denn, GenossInnen, lasst uns dies klar vor Augen haben, es reicht nicht psychologisch vorbereitet zu sein, an Diskussionen teilgenommen zu haben, und dann mit unseren Flaggen aufzutreten, so etwas funktioniert einfach nicht. Das Proletariat, oder wie auch immer Ihr die Menschen nennen wollt, die „Ausgeschlossen“, die die Krawalle machen, wird uns als außenstehende merkwürdige Schaulustige wegstoßen. Verdächtig. Was in aller Welt können wir mit jenen gemeinsam haben, die in anonymer Weise gegen die absolute Nutzlosigkeit ihres eigenen Lebens handeln und nicht aufgrund von Bedürfnissen und Mangel? Mit jenen, die reagieren obwohl sie zu Hause Farbfernseher, Video, Telefon und andere Konsumgüter stehen haben, die genug zu essen haben, und trotzdem reagieren. Was können wir ihnen sagen? Vielleicht das, was die anarchistischen Organisationen des vorigen Jahrhunderts zu sagen hatten? Malatesta’s Aufstandsdiskurs ? Das ist altmodisch. Diese Art für einen Aufstand zu argumentieren ist veraltet. Deshalb müssen wir schnell einen anderen Weg finden. Dieser Weg muss in erster Linie in uns selbst gefunden werden, indem wir versuchen alte Gewohnheiten und unsere Unfähigkeit neues zu verstehen zu überwinden. Seid gewiss, dass die Herrschenden es sehr wohl verstehen mit solchen Veränderungen fertig zu werden. Sie wissen nur all zu genau wie man die neuen Generationen zu Unterwerfung und Akzeptanz erzieht. Dies wird durch eine Reihe von unterschwelligen Messages bewerkstelligt. Dennoch ist diese Unterwerfung eine Illusion.
Wenn Krawalle passieren, sollten wir nicht als „außenstehende Schaulustige“ eines interessanten Ereignisses blöd herumstehen, denn schon aufgrund der Tatsache das wir Anarchisten sind, erfüllen uns Krawalle mit Befriedigung.
Wir müssen als Realisierende eines Projektes von Anfang an dabei sein, ein Projekt das detailliert sein muss – von der ersten Minute an. Wie kann so ein Projekt aussehen? Ein Projekt, dass Hand in Hand mit den „Ausgeschlossenen“ arbeitet. Nicht wie bisher, auf der ideologischen Ebene, nicht auf der Ebene der Vernunft, die einzig und allein auf den alten Konzepten des Klassenkampfs basiert, sonders auf der Basis von etwas unmittelbarem, imstande den Bezug zu realen Situationen herzustellen – zu verschiedenen realen Situationen. Es muss auch Situationen in Eurer Gegend geben, in denen es zu Spannungen kommt. Kontakte auf ideologischer Ebene sind in solchen Situationen fatal. Kontakte müssen auf einer anderen Ebene hergestellt werden, sicherlich auch organisiert, aber nicht anhand der althergebrachten Vorgaben. Dies kann durch eine große Organisation, die durch traditionelle und aufklärerisch-romantische Art und Weise einfordert Bezugs- und Verbindungspunkt aller Art von Situationen zu sein nicht geleistet werden.
Nur eine lebendige flexible und zur Anpassung fähige Organisation kann dies leisten. Eine informelle Organisation anarchistischer GenossInnen – eine spezifische Organisation, die sich, ausgestattet mit anarchistischem Klassenbewusstsein, der Grenzen der alten Modelle bewusst ist und statt dessen andere, flexiblere Modelle befürwortet. Sie muss den Bezug zur Realität herstellen, eine klare Analyse entwickeln und diese vermitteln können, indem sie auch die Instrumente der Zukunft – nicht nur die der Vergangenheit – nutzt.
Eine informelle Organisation, die einen einfachen Diskurs ohne großartige Ziele vermittelt und sich davor hütet zu sagen, dass jede Intervention notwendiger Weise zur sozialen Revolution führen muss. Würden wir das fordern, was für Anarchisten wären wir dann? GenossInnen, seid Euch sicher, dass die soziale Revolution nicht hinter der nächsten Ecke lauert, sondern dass die Straße viele Ecken hat und sehr lang ist. Lebendige Interventionen, auch mit begrenzten Zielen, fähig die selben Zielscheiben schon im voraus zu treffen, die von den Arbeitern aufgestellt werden. Eine Organisation, die imstande ist „im inneren“ der Realität des subversiven Krawalls, des Aufruhrs, zu stehen, um diese Realität in eine zielgerichtete aufständische Realität zu verwandeln, indem sie Ziel, Mittel und konstruktive Beschlüsse benennt. Das ist die aufständische Aufgabe. Andere Wege können wir heutzutage nicht gehen.
Sicher, es ist natürlich immer noch möglich den alten Weg der Organisationen der Synthese, also Propaganda, libertärer Bildung, Debatten und Diskussionen zu gehen – so wie wir es in diesem Augenblick tun – denn wie wir schon gesagt haben, geht es um ein Projekt das in gewissen Tendenzen innerhalb des kapitalistischen Systems vorhanden ist. Aber als anarchistische Revolutionäre ist es unsere Aufgabe diese Entwicklungslinie im Kopf zu behalten, und uns darauf vorzubereiten irrationale Situationen zu einer aufständischen revolutionären Wirklichkeit
werden zu lassen.
6) Der Utilitarismus wurde im 19. Jhdt. von Jeremy Bentham begründet und von James Mill und J.S. Mill weiterentwickelt. Das „Nützlichkeitsprinzip“, das dem Utilitarismus innewohnt, bewertet eine Handlung danach, in welchem Masse sie zur Förderung und Mehrung des Glücks der meisten Menschen nützlich ist, d.h.beiträgt. Nach diesem sogenannten Nützlichkeitsprinzip wird eine Handlung also nicht an dem Motiv oder Gesinnung, sondern an den Folgewirkungen ermessen. Der Utilitarismus diente der Begründung einer wohlfahrtsstaatlichen Sozialpolitik.
7) Die Ludditten des anfänglichen 19.Jhdt., angeblich nach einem englischen Arbeiter namens Lud(d) benannt, wurden auch Maschinenstürmer genannt, da sie bedroht durch Arbeitslosigkeit (Textil)maschinen zerstörten.
Die Repression und das Konstrukt
Am 17. 9. 96 fanden Razzien in ungefähr 70 Wohnungen in ganz Italien statt. Der Anlass dafür waren 29 Haftbefehle, die vom Richter Claudio D’Angelo auf die Initiative der Staatsanwälte Marini und Vigna erlassen wurden. 10 Haftbefehle wurden sofort vollstreckt und die Menschen in das Gefängnis von Rebibbia gebracht. 10 saßen schon im Knast und wurden erneut angeklagt. 9 Menschen waren schon oder sind daraufhin untergetaucht. Die Anklagen reichen von Banküberfällen, Sabotageaktionen an Strommasten, über Bildung einer bewaffneten Bande zum Umsturz der Demokratie und Angriff auf eine Menschenmenge, bis hin zu Entführung und Mord. Gegen 68 Menschen wird ermittelt wegen Zugehörigkeit dieser sehr unplausiblen und vorher unbekannten Bande, die die Staatsanwälte gleich mit einem Schrecken erregenden Namen tauften, die ORAI, „Organizzazzione Rivoluzzionaria Anarchica Insurrezzionalista“ (Anarchistische Revolutionäre aufständische Organisation). Die Anklagen stützen sich maßgeblich auf die Aussagen einer „Pentita“, oder reuigen Kronzeugin, die der Staatsanwaltschaft in einem Prozess im Jan. 96 schon etwas Erfolg brachten. Diese großangelegte Aktion soll das Ergebnis 2-jähriger Ermittlungstätigkeit sein.
In dieser Broschüre wollen wir kurz auf die geschichtlichen und konzeptionellen Hintergründe dieser Repression eingehen. Danach stellen wir eine Übersetzung zweier theoretischen Texte vor, die von dem Menschen verfasst wurden, der als Chef der Bande gelten soll, sowie der Einleitung zu diesen Texten von einer anderen Angeklagten, die ganz zufälligerweise mit ihm verheiratet ist. Dies machen wir aus zweierlei Gründen: Erstmal um Klarheit um die Inhalte der theoretischen und praktischen Tradition, die in diesem Zusammenhang kriminalisiert wird, zu schaffen, zweitens damit die Texte überhaupt der linken Öffentlichkeit in Deutschland zugänglich gemacht werden. Im Rest Europas sind die Schriften dieser 2 Menschen sehr weit verbreitet, und sind, über die letzten 25 Jahre hinaus, zum Gegenstand breiter Diskussionen geworden.
Aus einem Banküberfall werden drei.
Am 19.9.94 wurden 5 AnarchistInnen wegen eines Banküberfalles in Serravalle in der Nähe von Trient schuldig gesprochen. Sie haben sich zur Tat bekannt, und gaben an aus Geldnot gehandelt zu haben. Eine (Eva Tzutzia, gegen die ein Haftbefehl in Zusammenhang mit der neuesten Repressionswelle vorliegt) wurde freigesprochen, 3 wurden jeweils zu 5 Jahren Haft verurteilt (Jean Weir, Christos Stratigopoulos, Antonio Budini) und einer, Carlo Tesseri, zu 6 Jahren Haft. Nach einer im Berufungsprozess erlangten Haftverkürzung (Eva Tzutzia wurde dabei doch verurteilt, ist aber untergetaucht) beschloss die Staatsanwaltschaft die 4 wegen 2 weiteren Banküberfälle anzuklagen. Der Prozess begann am 13.10.95 und endete am 31.1.96. Die 4 wurden erneut zu 6 Jahren Knast verurteilt. Dies erfolgte aufgrund der extrem widersprüchlichen und von Gedächtnislücken geprägten Aussagen einer mitten in den Verhandlungen gefundenen Kronzeugin, nämlich der Ex-Freundin von Carlo Tesseri. Sie behauptete an den Banküberfällen mit den 4 AnarchistInnen teilgenommen zu haben, und beschuldigte zugleich 3 andere der Teilnahme (sie sind aber untergetaucht). Die 4 Angeklagten wiesen die Vorwürfe entschieden zurück. Für weitere Infos über diesen Prozess, sowie über die laufenden Verfahren, verweisen wir auf die Broschüre des Solikomitees Italien (c/o Infoladen, Breisacherstr. 12, 81667 München).
Mittlerweile bastelte sich die Staatsanwaltschaft die Stützpfeiler eines enormen Konstruktes. Am 16.11.96, also einen Monat nach Beginn der Verhandlungen gegen die 4 AnarchistInnen wegen der zweiten Anklage, wurden Wohnungen von AnarchistInnen in ganz Italien, sowie auf Sardinien und Sizilien durchsucht. Die Zellen einiger Gefangener wurden auch durchsucht. Die Durchsuchungen waren für den Staatsanwalt Marini, der die Razzien veranlasste, genau wie er es 10 Monate später nochmals machen würde, völlig fruchtlos. Wegen folgender Anklagepunkte wurden Ermittlungsverfahren gegen die AnarchistInnen eingeleitet: „Terroristische Vereinigung“, „bewaffnete Bande“, „Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen“, „Beihilfe zum Überfall“ und „Beihilfe zum Mord“. Am 3.01.96 erschienen Berichte in der bürgerlichen Presse, die, aufgrund von Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft, von Ermittlungen gegen eine „Entführerbande“ erzählten. Die Beweise für die Existenz dieser Bande beruhten angeblich auf den Aussagen einer Kronzeugin. Diese war, wie es sich 13 Tage später im Gerichtssaal im Prozess gegen die 4 AnarchistInnen herausstellte, die Ex-Freundin von Carlo Tesseri, die gegen die 4 Inhaftierten und sich selbst wegen Beteiligung an zwei Banküberfällen am selben Tag aussagte. Sie heisst Mojdeh Namesetschi.
Der spezifische Entführungsfall, um den es sich handeln soll, war die Entführung der Frau des Industriellen Silocchi, im Juli 1989. Die Frau wurde in Palma entführt und nie wieder gesehen. Einige Zeit nach der Entführung bekam ihr Ehemann ein Ohr zugeschickt. Die Polizei nimmt an, dass sie tot ist. Im Garten eines sardischen Hirten wurden Knochen und ein Ring gefunden, die der Frau gehören sollten. Hier zitieren wir einen Ausschnitt von der Zeitschrift „L’evasione“ (nr. 5, Sept 96, Sondernummer in deutscher Sprache):
„Warum wird versucht den AnarchistInnen Entführungen anzuhängen? Zweifellos ist die Entführung eines Menschen in den Augen der Öffentlichkeit eine der scheußlichsten Taten, und ruft zu Recht Ekel hervor. Auch uns ekelt es an, ein Individuum einzusperren – egal, ob in einem heimlichen Keller oder in einer Zelle eines der vielen Knäste des Staates.
Mit der Anklage, eine Entführung durchgeführt zu haben, ist es sehr einfach, den Hass vieler Menschen auf die AnarchistInnen zu lenken. Was sind jedoch die Beweise der Justiz? Die Konstruktion Marinis und Vignas ist nicht einmal besonders originell. Sie baut auf dem auf, was 1989 der Polizeihauptmann Improta vorgemacht hat, als er einige Anarchisten im Entführungsfall Silocchi beschuldigte. Und wenn man diese schließlich verurteilte, kann man doch die heutigen AnarchistInnen als KomplizInnen darstellen – KomplizInnen, die von allem wussten, oder die zumindest derselben Strategie folgen. Mit diesem Trick kann jede/r Anarchist/In, der/die die Gesetze verletzt, angeklagt werden, zu dieser Bande zu gehören, und für das Verbrechen (der Entführung!) bestraft werden.
Dazu ein kleiner Blick in die Vergangenheit: im Juli 1989 wurde in Palma Mirella Silocchi, die Frau eines Industrialisten entführt. In den ersten 20 Monaten der Ermittlungen fand die Polizei keine Ergebnisse. Dann aber stellt der Polizeichef Improta die Theorie auf, dass Sardinier für die Entführung verantwortlich wären, und dass diese zusammen mit italienischen und armenischen Anarchisten gehandelt hätten – eine Mixtur von Konstruktionen, die von den Personen gestützt werden, die von Geheimdienst und Polizei erpresst wurden. Die erste Instanz des Prozesses war eine Farce: mit Zeugen, die nie aufgetreten sind, oder deren Namen nie bekannt wurden. Die Anklagen wurden nur von den mündlichen Aussagen der Polizisten gestützt. Ein Prozess wie zu Zeiten der Inquisition: die Verteidigung konnte die Nichtbeteiligung der Angeklagten nicht nachweisen, da die Anklage keine Beweise vorlegte. Beim Berufungsprozess in Bologna wurden die wichtigsten „Beweise“, die von der Anklage konstruiert worden waren, widerlegt; das hat aber die Richter, die dieselben waren wie in der ersten Instanz, nicht daran gehindert, unschuldige Menschen zu lebenslangen Strafen zu verurteilen. Da gibt es beispielsweise Marcello Mele, dem die Funktionäre der Interpol Aussagen in den Mund gelegt hatten, die er nie gemacht hatte. Er hat öffentlich die Lügen der Polizei angeklagt. Ein weiterer angeblicher Beweis, der die Schuld eines der Angeklagten untermauern sollte, war der Besitz einer Schreibmaschine mit einem Schreibfehler. Genau dieser Schreibfehler ist angeblich in dem Lösegeldbrief aufgetaucht, der an die Silocchis geschickt worden ist. Schade nur, dass zu dem Zeitpunkt, an dem der Lösegeldbrief geschrieben und verschickt wurde, dieses Schreibmaschinenfabrikat noch gar nicht gebaut wurde. Der Bruder eines anderen „Zuarbeiters“ der Justiz hat ausgesagt, dass dieser von der Polizei erpresst wurde, und durch einen Verräter der Mafia die Knochen und den Ring besorgen sollte, welche dann „zufällig“ im Garten eines anderen Angeklagten gefunden wurden. Diese und andere Elemente haben aber nicht ausgereicht, einen Prozess, dessen Beschuldigungen ohne konkrete Beweise waren, in eine andere Richtung zu lenken.“
17.09.96
So wurde der Boden für den aufwendigen staatsterroristischen Anschlag am 17.09.96 vorbereitet. 4 Menschen werden verhaftet wegen eines Banküberfalles, den sie aus persönlicher Geldnot begangen haben. 2 weitere Banküberfälle werden ihnen zur Last gelegt. Als Teil des vorerst gescheiterten Versuchs Beweise für größere Zusammenhänge zu finden, werden im Zuge der Ermittlungen mehrere Wohnungen von FreundInnen und MitstreiterInnen durchsucht. Die Zellen anderer Gefangener werden durchsucht; erwähnenswert ist hier Marco Camenisch, der 5 Jahre seiner 12- Jährigen Haft wegen angeblicher Attentate auf Strommasten gesessen hat, und in dessen Briefen angeblich von einer Geldkasse für eine „Organisation“ die Rede ist. Dass es sich in diesen Briefen tatsächlich um eine Solikasse für politische Gefangene handelt, scheint nicht so wichtig für die Ermittler zu sein. Eine Kronzeugin wird rekrutiert, die sich selbst anklagt und behauptet an einem Banküberfall teilgenommen zu haben. Das Geld vom Banküberfall sollte, laut ihren Aussagen, die „Organisation“ finanzieren. Das Verfahren, das gegen sie läuft, in dem sie Milde wegen ihrer belastenden Aussagen gegen andere bekommen soll, hat überhaupt nichts mit diesem Verfahren zu tun. Die Kronzeugin wird in einem kleineren Prozess ausprobiert, und es klappt.
Jetzt kann die Staatsanwaltschaft etwas größeres unternehmen.
Auf der einen Seite haben wir ein Delikt, das von den Angeklagten auch nie bestritten wurde (Banküberfall). Für dieses Delikt sitzen die Beschuldigten bereits, oder sie sind untergetaucht. Diese Einzelfälle können alle anhand des ORAI-Konstruktes zusammen gebracht, und als Teil eines politischen Programms dargestellt werden. Dann gibt es die Delikte, für die unschuldige Menschen schon verurteilt wurden, und wo die Prozesse ganz deutlich politisch waren, mit dem Zweck, die anarchistische Szene zu kriminalisieren. Das ist der Fall im Silocchi Prozess. Andere Menschen können anhand des Konstruktes einer Bande mit diesen Delikten in Verbindung gebracht werden. Dann gibt es eine Reihe ungelöster Delikte über die letzten 15 Jahre hinaus, die sehr einfach auch durch dieses Konstrukt erklärt werden.
Dann bleibt die Frage, nach dem politischen Programm, das diese Bande verfolgt. Was für Menschen sind es, die ihr angehören könnten? Wie können die verschiedenen Delikte in einen Zusammenhang gebracht werden? Mit anderen Worten, wie sieht das Konstrukt aus? Hier ist es besser, obwohl sehr unangenehm, wenn wir die Darstellung den Schweinen selbst überlassen. So ein Repressionsinstrumentarium, wie sie es in ihrer Pressemitteilung vom 17.09.96 beschreiben, bekommen wir selten zu sehen. Hier eine Übersetzung des Dokumentes:
„Am 17.09.96 wurden 29 Untersuchungshaftbefehle von der ROS (spezielle operative Gruppe der Carabinieri), auf Anordnung des Richteramtes …. wegen subversiver Vereinigung, Vereinigung mit dem Ziel des Terrorismus und des Umsturzes, bewaffneter Bande, Raub, Entführungen, „concorso in strage“ 1) und illegalem Besitz von Waffen und Sprengstoff. In der repressiven Phase der Operation, die normalerweise „Pontelungo“ genannt wird, waren ca. 300 Soldaten der Armee (Anm. der. Übs. die Carabinieri sind der italienischen Armee unterordnet, ein Relikt des Faschismus) in den folgenden Regionen des Landes im Einsatz: Lombardie, Emilia Romagna, Piedmont, Sardinien, Sizilien, Toscana, Puglia, Umbria, Campania und Lazio).
Die Ermittlungstätigkeit, die von der ROS und vom provinziellen Kommando in Rom unter Aufsicht der römischen Staatsanwälte Marini und Ionta ausgeführt wurde, ermöglichte die Feststellung der Existenz und der Operation einer subversiven Vereinigung namens ORGANIZZAZIONE RIVOLUZIONARIA ANARCHICA INSURREZIONALISTA .
Diese Struktur, deren Chef Alfredo Maria Bonanno ist, hat sich vom Ende der siebziger Jahre, Anfang der achtziger an, für eine Reihe von Attentaten aufgrund eines unbestimmten Programmes zum Umsturz der Demokratischen Ordnung, verantwortlich gemacht. In diesem Hinblick, nimmt sie die bekannten Merkmale der bewaffneten Bande mit dem Ziel des Terrorismus an.
Die ORAI hat ihre Wurzel in der umstürzlerischen Gruppe „Revolutionäre Aktion“, die in Bekennerschreiben zu einigen Attentaten des letzten Jahrzehntes für die Notwendigkeit plädierte, die immobilistische Praxis der traditionellen anarchistischen Gruppen, die sie für strategie- und taktiklos hielt, aufzugeben.
Im Januar 1987 erschien die monatliche Zeitschrift „ProvocAzione“, die eine tiefe Spaltung innerhalb der anarchistischen Bewegung aufgrund abweichender ideologischer Meinungen zum Thema Atomkraftwerke, die die Redakteure für ein primäres Ziel hielten, veranlassen sollte. Die FAI (anarchistische Föderation Italiens) distanzierte sich von der „ProvocAzione“. Solche Differenzen führten zu einer unheilbaren Spaltung zwischen der von Bonanno geführten Gruppe, die sich mit den Zeitschriften „Anarchismo“ und „ProvocAzione“ identifizierte, und der FAI, die während einer Konferenz in Forli zwischen dem 13. und dem 15. März 1988, vollbracht wurde. Auf dieser Konferenz wurde den verschiedenen Vertretern von „ProvocAzione“ Terrorismus vorgeworfen, und sie wurden aus dem Kongress rausgeschmissen.
Die Ermittlungsarbeit ist aus einem gerichtlichen Vorgang entstanden, der auf Ermittlungen der lokalen Carabinieri in Rovereto beruhte, die im September 1994 zur Festnahme von 5 Angeklagten Mitgliedern der genannten subversiven Organisation wegen Raubüberfall führten……. Dadurch ist eine Analyse der internen Dynamik und der Bündnispraktiken der anarchistischen aufständischen Gruppe möglich geworden, sowie ein Verständnis ihrer gemein verbrecherischen und umstürzlerischen Fähigkeiten und die Rekonstruktion des Zusammenhangs vieler Delikte, die in den letzten Jahren auf nationalem Gebiet begangen wurden. Die Existenz der aufständischen anarchistischen Organisation, die nach der bewährten Struktur der doppelten Ebene organisiert und strukturiert ist – die eine Ebene offenbar und scheinbar legal, die andere versteckt und praktisch illegal – fähig sich in der sozialen Umgebung zu tarnen und mit anderen umstürzlerischen Zellen und gemein kriminellen Vereinigungen zu kooperieren, erlaubte die Hervorhebung der von den einzelnen Mitgliedern dargestellten sozialen Gefahr, und ihrer subversiven Fähigkeit, und kontextualisiert die illegalen Tätigkeiten der Organisation, die im Verlauf der Ermittlungen bekannt geworden sind, wie folgt: Selbstfinanzierung hauptsächlich mittels der Anwendung von Diebstahl in Kreditinstituten und der Entführung von Personen, illegale Investitionen für die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff, Propaganda und Proselytenmacherei mittels der Durchführung von Sprengstoff- und Brandanschlägen; logistische Unterstützung zugunsten der untergetauchten und gefangenen Mitglieder, die Suche nach und Einrichtung von logistischen Basen.“
Von diesem Text wird die Gefährlichkeit dieses Konstruktes für die anarchistische Bewegung Italiens, wenn nicht für die gesamte außerparlamentarische Linke, deutlich. Alle Menschen und Strukturen, die sich für die Gefangenen engagieren, sind durch diese Theorie der doppelten Ebene in Gefahr. Die bisherigen Hausdurchsuchungen und Festnahmen erfolgten durch Verbindungen, die die Staatsanwälte zwischen FreundInnen und sich solidarisierenden Menschen feststellten, Konstruiert wurde dann ihre Zugehörigkeit zu dieser fiktiven Bande. Auch die ideologische Ebene der Konstruktion ist interessant und wichtig. Die Staatsanwaltschaft deutet die Inhalte verschiedener Diskussionen innerhalb der anarchistischen Bewegung vollständig um. Die Logik dieser Taktik ist, die Bewegung soweit wie möglich zu spalten. Hier zitieren wir die Erklärung der FAI, die die guten antiterroristischen AnarchistInnen sein sollen, vom 21/22.09.96:
„Die von der Presse übertriebene Wiedergabe der Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaft und Carabinieri zu den kürzlich stattgefunden repressiven Maßnahmen stellen eine neue Variante der neuen Methoden der sozialen Kontrolle dar. Da werden Mitgliedschaften, Kongresse und Ausschlussverfahren, die es nie gegeben hat, mit dem Ziel erfunden, die verschiedenen Strömungen der anarchistischen Bewegung gegeneinander auszuspielen. So hat die FAI 1988, nicht wie der Staatsanwalt bekannt gegeben hat, keinen Kongress in Forli abgehalten. Darüber hinaus sieht sie in ihrem Grundsatzprogramm keine Ausschlussverfahren vor und erst recht nicht, wenn keine Mitgliedschaft vorliegt.
Die Hauptdarsteller dieser anti-anarchistschen Inszenierung, die beiden römischen Staatsanwälte Marini und Ionta, und die Spezialeinheiten Carabinieri bezichtigen die Beschuldigten besonders schwerer Straftaten, Entführung und Mord.
Interessant ist herbei sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Staatsanwalt Marini auch die Ermittlungen zum Blutbad von Ustica leitete (Am 27.6.1980 wird eine Passagiermaschine, die Richtung Palermo unterwegs war, in der Nähe von Ustica abgeschossen. 81 Menschen starben. Anm. d.Ü) Dort hat er sich durch seinen Einsatz, jegliche Verwicklung der ital. Luftwaffe auszuschließen verdient gemacht. Er war auch derjenige, der die Ermittlungen über die italenisch stämmigen „desaparecidos“ (von der argentinischen Militärjunta verschleppte Menschen Anm. d.Ü.) in den Sand setzte und so den Schlächter der Militärjunta einen Bärendienst erwies. Was die Carabinieri betrifft, so ist deren Führungsspitze in den staatsterroristischen Anschlägen im Rahmen der Strategie der Spannung, bei der viele Menschen starben, verwickelt gewesen. Die Ermittlungsverfahren werden damit begründet, dass den Beschuldigten die Mitgliedschaft in einer subversiven Vereinigung vorgeworfen wird. Dieses Delikt wurde zur zeit des Faschismus ins Strafgesetzbuch aufgenommen und soll nicht dazu dienen speziell kriminelle Straftaten zu verfolgen, sondern ist als Drohung gedacht. Bedroht werden alle Gruppierungen, die für die Abschaffung jeder Form von Unterdrückung und Unrecht kämpfen, und für eine radikale Änderung der Gesellschaft. Eine Bedrohung die je nach Interesse der Herrschenden jeder Zeit eingesetzt werden kann. Der Vorwurf der subversiven Vereinigung wird auch dazu benutzt, repressive Maßnahmen gegen die Selbstorganisation der ArbeiterInnen durchzusetzen, Beweis dafür ist das erst kürzlich gegen die libertäre Gewerkschaft U.S.I. verhängte Urteil, das ihre Gewerkschaftsarbeit erheblich einschränkt. Begründet wurde das Urteil mit dem Grundsatzprogramm der U.S.I. in dem eine radikale Änderung der Gesellschaft angestrebt wird.
Völliger Blödsinn sind die Feststellungen der Staatsanwaltschaft, die die FAI (Anarchistische Föderation Italiens), in ein besseres Licht gegenüber anderen anarchistischen Organisationen erscheinen lassen sollen. Dies ist ein weiterer Versuch, die anarchistische Bewegung zu spalten. Schließlich könnte der Vorwurf der subversiven Vereinigung auch gegen unsere Föderation angewandt werden, da sie in ihrem Grundsatzprogramm die Zerstörung des Staates und den libertären Kommunismus anstrebt. Es könnte aber genauso gut gegen jede andere Gruppierung der sozialen Opposition angewandt werden. Die Gesetzgebung garantiert also das Recht eine Gruppe/Organisation zu gründen lediglich denen, die die dominante Gesellschaft der Ausbeutung und des Unrechts anerkennen.
Die AnarchistInnen, die der FAI angeschlossen sind, erkennen aber nur die Regeln an, die gemeinsam und selbstbestimmt aufgestellt werden, und lehnen jegliche autoritäre Einmischung seitens des Staates, z.B. durch Gesetze, Staatsanwaltschaft, Polizei usw., ab. Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der wir den Staat ablehnen, lehnen wir auch jede Vorgehensweise, die autoritären Praktiken ähnelt oder solche reproduziert, ab:
Gewaltverherrlichung und die Entführung von Menschen, die stark an die Entführungen staatlicherseits erinnern, die dann in den Knästen enden.
Wir lehnen den Mythos der Illegalität, und dass eine illegale Aktion an sich revolutionär sei, ab. Da sie unserer Meinung nach den Entscheidungen der Gesetzgebung unterliegt, ob sie legal oder illegal ist, und ohne sich dem Problem der revolutionären Überwindung der Gesetzgebung zu stellen, erweist sich dieser Mythos als reformistisch. Die FAI bestätigt hiermit nochmals ausdrücklich ihre Beteiligung an den sozialen Kämpfen, in der Bewegung um Selbstverwaltung und in der für die Selbstorganisierung der ArbeiterInnen. Als Mittel lehnen wir jegliche StellvertreterInnenpolitik ab. Wir erkennen die direkte Aktion die föderative Organisation und die Solidarität mit den Ausgebeuteten weltweit, als Mittel einer effektiven Befreiung der Menschheit an.“ (Übersetzung einem anonymen Flugblatt entnommen)
Dass der vermeintliche Chef der fiktiven ORAI Alfredo Bonanno, doch Kritik an der FAI hatte, ist den übersetzten Texten zu lesen. In diesem Fall handelt es sich um eine Kritik der Organisationsstruktur der FAI, die sich seiner Meinung nach nicht dazu eignet, sich reibungslos und flexibel in Prozesse sozialen Wandels und Massenbewegungen einzuklinken. Eine ähnliche Kritik hat er an der spanischen CNT, wie in der C.N.T Zeitschrift von August 1996 zu lesen ist. Wir hoffen, dass die unglaubliche Verdrehung der konzeptionellen Inhalte seitens der Staatsanwaltschaft deutlich aus den übersetzten Texten hervorgeht, die wir in dieser Broschüre vorstellen.
Entwicklungen seitdem 17.09.96.
Die gerichtlichen Vorbesprechungen, in denen entschieden wird, ob genügend Beweise für die Einleitung der Verfahren vorliegen, und der erste Prozesstermin festgelegt wird, wurden auf den 10. 12.96 festgelegt.
Einem Bericht der Zeitschrift Cane Nero (4.10.96), derer einige Redakteure auch verhaftet wurden, entnehmen wir eine Liste derjenigen, gegen die am 17.09.96 Haftbefehle erlassen wurden. Folgende Menschen wurden schon (d.h. entweder am 17.09. oder in den folgenden Tagen) verhaftet und in das Gefängnis Rebibbia gebracht: Salvatore Gugliara, Stefano Moreale, Pina Riccobono, Emma Sassosi, Antonio Gizzo, Alfredo Bonanno, Tiziano Andreozzi, Apollonia Cortimiglia, Cristina Lo Forte, Paolo Ruberto, Francesco Berlemmi. 7 Festgenommene hatten ihre Haftprüfungstermine am 7.10, und Francesco Berlemmi wurde entlassen. Stefano Moreale wurde am 11.10. nach seiner Haftprüfung entlassen. Die anderen Verhafteten wurden dem Haftrichter am 14.10. vorgeführt, aber, soweit wir wissen wurde niemand entlassen. Apollonia Cortimiglia scheint gegen Ende September aus dem Gefängnis entlassen worden zu sein, und befindet sich unter Hausarrest in Catania. Alle Gefangenen befinden sich zur Zeit in strenger Isolationshaft, anfangs mit Besuchsverbot. Das Letztere wurde Mitte Oktober aufgehoben. Cristina Lo Forte wird in der Gefängnisabteilung für Drogensüchtige wegen Mangel an Isolationszellen gefangen gehalten.
Salvatore Gugliara trat am 17.09 in den Hungerstreik aus Protest gegen die Repression ein. Den Hungerstreik beendete er vorerst am 29.09, nahm ihn aber am 14.10 aus Protest gegen die Entscheidungen der Haftrichter wieder auf. Zusätzlich weigerte er sich dieses Mal Wasser und Zucker zu sich zu nehmen. Am 2.11 wurde er aus dem Gefängnis in einem sehr schlechten physischen und psychischen Zustand entlassen, und befindet sich momentan ebenfalls unter Hausarrest.
Am 23.10 fing auch Pina Riccobono einen Hungerstreik an, dem sich Tiziano Andreozzi am 28.10 anschloss. Die letzten Meldungen (12.11.96) berichten, dass diese Hungerstreiks immer noch andauern.
Die schon inhaftierten AnarchistInnen, gegen die Haftbefehle erlassen wurden, sind folgende: Carlo Tesseri, Jean Weir, Christos Statigopoulos, Antonio Budini2; Karechin Krikorian, Horst Fantazzini, Orlando Campo, Francesco Porcu, Marco Camenisch.3) Gegen die folgenden Menschen wurden Haftbefehle erlassen, sie sind aber untergetaucht: Guido Mantelli, Massimo Passamani, Roberta Nano, Eva Tziutzia, Pippo Stasi, Rose Arm Scrocco, Giovanni Barcia, Salvatore Codro, Angela Lo Vecchio.
Das Berufungsverfahren im Prozess gegen Jean Weir, Antonio Budini, Carlo Tesseri, und Christos Stratigopoulos, die 4 AnarchistInnen, die am 31.01.96 wegen 2 Banküberfällen aufgrund der Aussagen der Kronzeugin Namesetschi verurteilt wurden, fing am 7.11. an. Dieser Prozess ist besonders wichtig, denn sollten die Aussagen der Kronzeugin verworfen werden, würden dann die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft gegen die anderen Festgenommenen deutlich an Boden verlieren. Am 7.11 meldete sich aber Namesetschi krank. Der Staatsanwalt wollte gerne die Verhandlungen anhand der Akten abschließen, und bot den Angeklagten gleich eine Haftverkürzung an. Diese wurde nicht hingenommen. Nach 8 Stunden wurde auf den 13.12 vertagt. Dieser Termin liegt 3 Tage nach den gerichtlichen Vorbesprechungen am 10.12, wo entschieden werden soll ob genügend Beweise vorliegen, um Prozesse gegen die 29 Beschuldigten des 17.09 zu machen. D.h., dass diese Vorbesprechungen stattfinden, ohne dass die Aussagen der Kronzeugin überhaupt angezweifelt werden. Zur Erinnerung, der Vorwurf der Zugehörigkeit einer bewaffneten Bande stützt sich maßgeblich auf die 70-Seiten umfassenden Aussagen dieser Kronzeugin, die behauptet, an dem Überfall auf die zwei Banken zusammen mit sieben anderen, unter ihnen die vier AnarchistInnen, die im Januar verurteilt wurden, teilgenommen zu haben. Laut ihren Aussagen sollte dieser Überfall „die Organisation“ finanzieren.
1) „Concorso in Strage“, wörtlich Mittäterschaft an einem Gemetzel. Dass dieser heftige Vorwurf Verwendung findet, ist interessant. „Strage“ ist das Wort, welches Ereignissen wie den Bombenanschlag auf der Piazza Fontana in Mailand 1969 entspricht. Die Verwicklung neofaschistischer Gruppen in solche Fälle wie „Strage“, die den Roten Brigaden zur Last gelegt „wurden, ist vielleicht einigen, gerade was die Zusammenarbeit mit dem von Geheimdiensten betriebenen antikommunistischen Programm „Gladio“ betrifft, bekannt.
2) Sie sind die 4 AnarchistInnen, die am 31.01.96 wegen Überfällen auf 2 Banken am gleichen Tag aufgrund der Aussagen der Kronzeugin Namesetschi verurteilt wurden.
3) Die Geschichte von Marco Camenisch ist etwas länger. 1981 brach er aus dem Gefängnis Regensdorf in der Schweiz aus, wo er zu zehn Jahren Haft wegen angeblicher Sabotageaktionen an Strommasten verurteilt worden war (solche Sabotageaktionen wurden in den 70ern/80ern des öfteren vom militanten Flügel der Anti-AKW-Bewegung durchgeführt ). 1991 wurde er in Nord-Italien festgenommen und zu 12 Jahren Haft wegen weiterer Strommasten, die er angeblich gesprengt haben sollte und Körperverletzung verurteilt. Damals versuchte die italienische Justiz eine internationale Öko-Terroristen-Bande heraufzubeschwören. In der jetzigen Repressionswelle wird versucht, ihm weitere Masten anzuhängen, aber das ORAI-Konstrukt reicht völlig aus, die Einzelfälle, die ihm zur Last gelegt werden sollen, in einen größeren Zusammenhang zu Stellen. So machen sie (die Staatsanwälte) einen älteren Fall wieder aktuell, um ihrem verlogenen Konstrukt den Anschein der Wahrheit zu verleihen. Es gab 1993 einen Broschüre zu dem Fall Camenisch, die wahrscheinlich im Archiv eines Infoladens in deiner Nähe zu finden ist.