Gefunden auf Panfletos Subversivos, das Original wurde auf der Seite von Ediciones Salmon veröffentlich, von uns übersetzt.
Noch ein paar wenige Wörter dazu, dieser Text spiegelt gerade zu perfekt, wie die Lage in den Ländern ist, in denen die Ausgangssperre (für alle, ob mit oder ohne Infektion des Covid 19 Virus) verhängt worden ist, dass die Verletzung dieser nicht nur Geldstrafen mit sich brachte, sondern auch Knast. Wo sogar das Spazierengehen mit den eigenen Kindern einen subversiven Charackter bekommen hat, weil die Konsequenzen mit Repression begleitet sind. Dies ist die Realität mit der wir nicht nur konfrontiert sind, sondern sehr wahrscheinlich auch unsere neue Realität geworden ist.
Brief eines aufsässigen1 Vaters
Anonym
26. April 2020
Ich bin der Vater eines achtjährigen Mädchens und eines dreijährigen Jungen. Wir leben in einem Dorf mit über 20.000 Einwohnern. Sobald die spanische Regierung wegen der Verbreitung des Coronavirus Covid-19 den „Alarmzustand“ ausgerufen hatte, waren mein Partnerin und ich uns darüber im Klaren, dass wir, da wir wussten, was über das Virus bekannt war, und da die Regierung weiterhin Tausende von Arbeitern zur Arbeit schickte, wir unsere Kinder nicht zu Hause einsperren sollten. Wir hielten es für „wesentlich“, dass unsere Kinder auf die Straße gehen.
Die Notstandsverfügung ließ uns das Schlupfloch, unsere Kinder mit zum Einkaufen zu nehmen und zu behaupten, dass es keinen anderen Erwachsenen gäbe, bei dem sie zu Hause bleiben könnten. Es schien uns jedoch weder für sie noch für andere das Vernünftigste oder Sicherste zu sein, unsere Kinder in Warteschlangen oder in geschlossenen Räumen zum Einkaufen mitzunehmen. Wir beschlossen, dass ich allein einkaufen gehen und dann mit unseren Kindern ausgehen würde. Nachdem also die Geschäfte mittags geschlossen hatten, gingen wir auf die Straßen, die nicht von Fußgängern oder der Polizei frequentiert wurden, sich niemand näherte, niemand uns ansprachen und nichts anfassten könnten, verließen meine Tochter und ich jeden Tag unser Dorf und gingen eine Stunde lang eine Bergstraße entlang.
Meine Partnerin ist auch täglich mit unserem Sohn hinausgegangen, mit derselben Disziplin, immer im Freien, aber ohne jemals das Dorf zu verlassen. Sie musste sich damit abfinden, von einer „netten Dame“ auf ihrem Balkon denunziert zu werden, und die Polizei hat sie nach Hause geschickt, und zwar auf schlimme Weise, ohne innezuhalten, um zu zeigen, ob es tatsächlich einen anderen Erwachsenen gab, bei dem unser Sohn bleiben konnte, während sie zum Beispiel zur diensthabenden Apotheke ging.
Vier Wochen vergingen nach der Erklärung des Alarmzustands. Die Daten (A.d.Ü., über den Verlaug des Virus) müssen besser gewesen sein, denn die Regierung beschloss, die Tausenden von „unwesentlichen“ Arbeitern, die sie zwei Wochen zuvor von der Straße geholt hatten, wieder an die Arbeit zu schicken. Die Regierung hat sich jedoch auch dafür entschieden, die Kinder in ihren Häusern einzusperren und weiterhin das strengste Einschließungsregime in Europa anzuwenden, das die Unterschiede zwischen den Städten, Regionen und Gemeinden nicht berücksichtigt und von dem nicht einmal die Inseln verschont bleiben. Sie scheinen nicht begriffen zu haben, dass sie, um frische Luft zu schnappen, jeden, der keinen Hund hat, dazu verurteilt haben, in geschlossenen Räumen, in Geschäfte zu gehen und alles zu kaufen, um eine Quittung zu erhalten, die ihnen als Schutz vor der Polizei dient, während es virologisch gesehen wesentlich weniger gefährlich wäre, einen begrenzten Spaziergang im Freien zu machen. Zu diesem Zweck hat die Regierung neben paternalistischen Reden, die die Bevölkerung infantilisieren, das Bombardement der Medien mit Pressekonferenzen gefördert, in denen nach der gelegentlichen Auszählung der Todesopfer die Herren in Uniform über die enorme Zahl der verhängten Sanktionen berichten. Eine polizeiliche und militärische „Deeskalation“ ist vielleicht das Letzte, was wir in dieser Krise sehen.
Nach fünf Wochen war die Ansteckungskurve bereits „abgeflacht“, das Risiko eines Zusammenbruchs des niedergesparten spanischen Gesundheitssystems war viel geringer, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse begannen Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob Kinder die wichtigsten „Übertragungsvektoren“ des Coronavirus sind, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass die vollständige Einsperrung von Kindern eine politische und keine wissenschaftliche Entscheidung ist. Dies hatte sich andererseits bereits durch die verschiedenen Politiken mit unterschiedlichen Maßnahmen zur Krisenbewältigung gezeigt, die von den verschiedenen europäischen Regierungen gefördert wurden.
Aufgrund eines Arbeitsproblems beschlossen wir an einem Tag, an dem wir mittags nicht mit unseren Kindern ausgehen konnten, dies am Abend zu tun. Wieder verließen wir nach Ladenschluss und mit strenger Disziplin das Haus getrennt, ich mit dem Mädchen und meine Partnerin mit dem Jungen. Doch bei dieser Gelegenheit, mehr als fünf Wochen später, und um die Tatsache zu feiern, dass ein paar Tage, bevor bekannt wurde, dass wir endlich ruhiger mit unseren Kindern ausgehen konnten, beschlossen wir, uns zu treffen, zu rennen und ein Stück hinter einem abgelegenen Haus, in dem zur Zeit niemand wohnt, zusammen zu verbringen. Jemand sah uns jedoch und zeigte uns bei der städtischen Polizei an. Ein Streifenwagen kam uns entgegen. Obwohl einer der beiden Offiziere, sichtlich nervös, ein paar Mal damit drohte, uns eine Geldstrafe aufzuerlegen, nahmen sie schließlich meine Personalien auf und ließen uns „mit einer Verwarnung“ gehen.
Ich weiß nicht, ob der ruhigere Polizist diese Entscheidung persönlich getroffen hat, aufgrund einer Anordnung seiner Vorgesetzten oder aufgrund einer Anregung der politischen Anführer der Gemeinde. Was auch immer der Grund dafür ist, die Wahrheit ist, dass es uns davor bewahrt hat, gegen die Geldstrafe eine Berufung einlegen zu müssen, um zu versuchen, nicht zur Zahlung gezwungen zu werden. Tatsächlich haben zahlreiche Juristen und sogar der Rechtsbeistand des Staates Zweifel an der Rechtmäßigkeit vieler der verhängten Strafen geäußert. Es scheint, dass Sie, um nach dem Gesetz mit einer Geldstrafe belegt zu werden, eine ausdrückliche, klare und individualisierte Anweisung missachtet haben müssen, d.h. sich zu weigern, nach Hause zu gehen, selbst wenn man von einem Polizeibeamten dazu aufgefordert wurden.
Auf jeden Fall konnten wir nicht gehen, ohne dass einer der Polizisten vor unseren Kindern die gegenwärtige Situation mit einem Krieg verglich und uns daran erinnerte, dass „das Gesetz für alle dasselbe ist“. Dies war nicht die Zeit für Witze, ich weiß nicht, was die Ley Mordaza (A.d.Ü., auf Deutsch, Maulkorb Gesetz, eine Verschärfung des Versammlungs- und Demonstrationsrecht) über den Sinn für Humor aussagt. Doch selbst für meine achtjährige Tochter ist es offensichtlich, dass es viel gesünder und erträglicher sein muss, in einem Haus mit mehreren hundert Quadratmetern und ebenso vielen Gartenbereichen, wie dem, hinter dem wir standen, als die Polizei auftauchte, eingesperrt zu sein, als in unserer Mietwohnung ohne Balkon. Anatole France sagte einmal, dass „die majestätische Gleichheit der Gesetze Reich und Arm verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf der Straße zu betteln und Brot zu stehlen.“
Jedenfalls sind wir am nächsten Tag wieder in den Busch und auf die Straße gegangen, und das haben wir bis heute getan, denn das scheint uns die beste Art zu sein, für unsere Kinder, für uns selbst und für die Gesellschaft zu sorgen. Glücklicherweise hatten die meiner Generation dank der Bemühungen vieler anderer nicht die Möglichkeit, uns für wehruntauglich zu erklären (A.d.Ü. siehe Fußnote Nummer eins). Die heutige Welt bietet jedoch viele andere Möglichkeiten, Totalverweigerung zu praktizieren, und wir glauben, dass die Welt besser dran sein wird, wenn wir dies tun.
Ich habe dies bisher nicht geschrieben, weil ich nicht das Scheinwerferlicht oder das repressive Scheinwerferlicht auf jene Menschen richten wollte, die wie wir beschlossen haben, in Bezug auf ihre Kinder nicht alle Richtlinien des Ausnahmezustandserlasses zu befolgen. Jetzt, da wir mit unseren Kindern eine Stunde lang auf die Straße gehen können, möchte ich diese Zeilen nicht beenden, ohne den Eltern mit Kindern, denen ich in diesen sechs Wochen zufällig und ohne ein Wort zu sagen begegnet bin, eine Umarmung zu schicken. Wir haben einander gesehen und uns gegenseitig anerkannt. Eine Umarmung. Ich möchte auch all jenen danken, die uns von ihren Fenstern aus gesehen haben und sich, vielleicht ohne mit dem, was wir taten, einverstanden zu sein, dafür entschieden haben, nicht die Polizei zu rufen. Ich danke Ihnen.
Ich kann Ihnen allen nur eine gute Nacht wünschen. Ich werde meinen Kindern die Geschichte des Vizepräsidenten erzählen, der sich ein Haus mit Garten kaufte und dann seine alten Nachbarn aus der Arbeiterklasse in ihre Häuser einsperrte2.
Ich sehe euch auf der Straße.
Ein aufsässiger Vater
Dieser Text kann ruhig vervielfältigt werden
P.S.: Wenn jemand mehr über die wissenschaftlichen Beweise wissen möchte, auf die ich mich oben bezogen habe, siehe „El confinamiento infantil no tiene base científica“, Ewa Chmielewska, CTXT, 21. April 2020.
1A.d.Ü., im Origianl steht Insumiso, was auf spanisch Totalverweigerer bedeutet, dies bezieht sich auf jene Bewegung – Movimiento Insumiso – der 80er, 90er und Anfang 2000, bei der man im spanischen Staat jeden Dienst dem Staat, Militär- und Zivildienst, verweigert hat.
2A.d.Ü., damit wird Pablo Iglesias gemeint, jetziger Vizepräsident Spaniens, der je nach Fall sich gerne als Marxist bezeichnet, früher viel mehr und sogar als Kommunist hat er sich beworben, und auch ein Lob auf die Arbeiter*innen singt, so fern sie gute spanische Staatsbürger sind, falls nicht, ist ja die Armee und die Polizei die, welche sie auch auf die Straße geschickt haben