Gefunden auf Ausnahmezustand 2020:
Seit dem Inkrafttreten der Notverordnung zur Eindämmung der Ansteckung mit dem Virus hat die Wut in den Gefängnissen nicht lange auf sich warten lassen.
Tatsächlich wurde das Besuchsverbot, das in einigen Gefängissen bereits in Kraft war, auf alle Gefängnisse ausgedehnt.
Es würde sehr lange dauern, alle 27 Gefängnisse aufzulisten, in denen Unruhen ausbrachen. Revolten, die zu mehr oder weniger vorübergehenden Umwälzungen der Gefängnisrealität geführt haben (die auf nichts anderes als die Vernichtung und Entpersönlichung des Individuums abzielt): Gefängnisse und Einrichtungen für die Wärter in Flammen, besetzte Strukturen, Gefangene auf den Dächern, Umkehrung der Wärter – Gefangenen Rollen mit der Geißelnahme ersterer, verbrannte Dokumente, versuchte und erfolgreiche Fluchten. Aus dem Sant’Anna-Gefängnis in Modena stiegen am 8. März 2020 dichte Rauchsäulen auf, die bald für alle sichtbar waren und die Freunde, Angehörige und Sympathisanten zu den Häftlingen kommen liessen, welche das Hin und Her aller Arten von Polizeikräften beobachteten, die zur Niederschlagung des Aufstands eingesetzt wurden: Staatspolizei, Carabinieri, Strafvollzugspolizei, GOM; sowie ein Hubschrauber, um in der Gegend zu patrouillieren, und die Stadtpolizei [polizia municipale], die versuchte, die hinstürmenden Personen wegzuschicken, ohne Erfolg (die widerlichste Aufgabe derjeniger die ihr Leben damit verbringen, nach dem Haar in der Suppe zu suchen). Von außen waren deutlich Schüsse zu hören. Von innen heraus schrien einige Typen: “Wir werden abgeschlachtet”. Nach dem offiziellen Bericht hätten die Insassen und die Häftlinge die Kontrolle über die Struktur übernommen, die sie dann verwüsten hätten; manche versuchten zu fliehen, aber dies Versuche wurden sofort verhindert.
Unter den Schäden sticht der Brand im Büro für die Häftlingskennummern auf, die Kopien der Karteikarten der Inhaftierten enthielten. Während Inhaftierte eskortiert und mit Handschellen an den Handgelenken unter den Augen von Solidarischen und Angehörigen draußen geschlagen wurden, sah bereits jemand einen Sack mit einer Leiche.
Nachdem die Meuterei nachgelassen hatte, wurde ein Massentransfer von etwa 500 Häftlingen (in Richtung der Gefängisse von Porto Azzurro, Cagliari, Sassari, Cuneo, Trient, Vercelli, Belluno, Perugia, Rovigo, Sanremo, Genua, Ascoli, Terni, Parma, Reggio Emilia) beobachtet, da das Gefängis wegen der Zerstörungen nicht benutzbar ist. Dann die erschreckende Nachricht: erst ein Toter, dann zwei, drei, sechs. Und in den darauffolgenden Tagen ist die Zahl auf neun gestiegen, neun Todesfälle, welche man Anhand der Leichenwagen, der aus dem Gefängnis kamen zählen konnte. Noch beunruhigender ist jedoch die Version in den Zeitungen, zunächst auf lokaler und dann auf nationaler Ebene: Die Todesfälle wären durch die Einnahme einer Überdosis Methadon und Drogen welche auf der Krankenstation an die Gefangenen in der Revolte verabreicht wurden, verursacht worden. Dieselbe Version wurde verbreitet, als die tragische Zahl der Todesfälle, mit vier Toten in Rieti und zwei weiteren in Bologna anstieg. Bis jetzt wurde nur die Version derer, die allen Grund haben, zu verdunkeln und zu lügen, veröffentlicht, nämlich durch den Gefängnissbericht: zwei wären an einer Überdosis Methadon gestorben, einer an einer Überdosis Benzodiazepin.
Vier weitere Todesfälle hätten sich nach der Verlegung in die Gefängnisse in Parma, Alessandria und Marino del Tronto ereignet und einer während der Überstellung in das Gefängnis von Trient, der in Verona starb. Auch diese Todesfälle wurden mit Methadon in Verbindung gebracht, obwohl diese vor der Verlegung von einem Amtsarzt untersucht worden waren. Vom Zeitpunkt der Evakuierung des Sant’Anna-Gefängnisses bis zur Ankunft der Gefangenen in den für Rebellen eingerichteten Gefängnissen kam es fortlaufend zu Prügeln, es gab Augenzeugenberichte von Repressalien der Wachen an wehrlosen Gefangenen, die dann ohne medizinische Behandlung in Isolationszellen geworfen wurden.
Zwei weitere würden zwei Tage später in der Sektion tot aufgefunden werden.
Wir erlauben uns zu sagen, dass diese Version nicht glaubwürdig ist und im Falle der überführten, dann verstorbenen bereits durch die Art und Weise, wie die Fakten berichtet wurden, widerlegt ist.
Wir argumentieren, dass jeder Tod im Gefängnis eben solcher, ein Tod im Gefängnis ist, der mit seiner bloßen Existenz des Gefängnisses und der erzwungenen Vernichtung des Individuums verbunden ist.
Dennoch glauben wir nicht an den dramatischen Zufall, der zum Tod von fünfzehn Menschen führt, die alle bei drei verschiedenen Unruhen an einer Überdosis starben. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass der Staat in den dringendsten Momenten sein Gesicht verändert, er seine Fassade verliert und sich offen zeigt, die Ordnung der Dinge mit den totalitärsten, explizitesten und gewalttätigsten Methoden verteidigt und den guten demokratischen Anschein beiseite lässt. Wir kennen die Lügen, die der Staat systematisch verbreitet, um seine Morde und Massaker zu vertuschen. Und dies um so mehr in einer so totalitären Institution wie dem Gefängnis, weit weg von den Augen und dem Herzen, wo jeden Tag Missbräuche und Schikanen vorkommen; die Existenz des Gefängnisses selbst ist eine Schikane. Wenn die Spannung steigt, tötet der Staat.
Heute, genau wie vor einem Jahrhundert, 1920, als sich Italien auf den Totalitarismus vorbereitete, wurde in Modena auf die streikende Menge auf der Piazza Grande geschossen und sieben Arbeiter bei einer Kundgebung getötet.
Als man dann 1950 auf die Strasse ging um zu demonstrieren, dass eine Befreiung nie stattgefunden hat, töteten sie sechs kämpferische Arbeiter, was zum Massaker in den ehemaligen Gießereien führte. Heute, während das Virus verwendet um Wahnsinn zu erzeugen, isolieren und kontrollieren die Ordnungskräfte Menschen und Territorien und massakrieren diejenigen, die in den Gefängnissen rebellieren, weil sie nicht bereit sind, das wenige zu verlieren, was noch übrig ist, wie etwa der Möglichkeit, ab und zu einen Angehörigen zu umarmen oder dem Wunsch nach Bestätigung und Vergeltung an ihren Peinigern, mit denen sie täglich konfrontiert sind: die Wachen und der Gefängnisalltag. Dabei gibt es auch Menschen, die, um Solidarität, Unterstützung und Wärme außerhalb dieser Mauern zu bringen, sich nicht um irgendwelche staatlichen Auflagen scherten und in eine blinde und verlassene Stadt hinausgingen.
Es scheint das Gefängnis wurde bis zum heutigen Moment geleert, weil es für die durch den Aufstand verursachten Schäden nicht oder nur teilweise nutzbar ist. Das Gefängnis von Sant’Anna di Modena wurde mittels Feuer geschlossen!
Nachrichten, die einem Gesichtszügen des Wohlgefallens auf das Antlitz bringen, mit verzerrter Fratze und verschärft von der Wut über die Toten und die Zunahme der restriktiven Maßnahmen innerhalb und außerhalb. Die Lust zu schreien ist groß, aber selbst der Wind scheint zu Hause geblieben zu sein.
Kontrollen, Kontrollpunkte, Rechtfertigungen, um das Haus zu verlassen, und ein Versammlungsverbot sind nichts anderes als die Ausdehnung des Gefängnissystems über seine Mauern hinaus. Wenn von drinnen bereits ein Signal ausgesendet wurde, dann ist die Umkehr dringender denn je und die einzige Antwort auf das glänzende Delirium der Sicherheit; von außen der Aufruf zur Vernunft und zum Eingesperrtsein zu Hause, unter Nutzung der eigenen Privilegien als freier Mensch, spiegelt die Schläfrigkeit des Gewissens und blinden Gehorsam gegenüber dem Dogma der Sicherheit wider.
Es scheint, dass man auf dunklere Zeiten wartet um zu handeln, aber man merkt nicht, dass die Zeit drängt und wir bereits spät dran sind, im Hinblick auf die Praxis unvorbereitet ertappt, theoretisch schon besiegt.
FREIHEIT FÜR ALLE!
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