(2018) Nachwort – Es war einmal ein Aufruf zu einem internationalen Treffen in Kurdistan …

Gefunden auf der Seite von Tridni Valka/Klassenkrieg, diese Übersetzung ist von uns.


(2018) Nachwort – Es war einmal ein Aufruf zu einem internationalen Treffen in Kurdistan …

Vor zwei Monaten veröffentlichten wir hier einen Aufruf zu einem internationalen Treffen in Kurdistan, unterzeichnet von „Militanten in Kurdistan, Irak“, im Zusammenhang mit der Zunahme und Verschärfung des Klassenkampfes in der Region des Nahen Ostens und insbesondere im Irak und Iran.

Aber es ist eine Sache, Materialien militanter Gruppen zu übersetzen und/oder zu veröffentlichen und zu verbreiten, um gemeinsam die proletarische Gemeinschaft der Kämpfer und Kritiker zu entwickeln, und eine andere Sache, sich (oder auch nicht) vollständig über den Inhalt des Textes einig zu sein.

Seitdem hat sich eine internationale Diskussion um und über diesen Aufruf entwickelt. Die folgenden Zeilen sind eine Reflexion dieser Diskussion, einer Diskussion, die auch die Grundlage für die Entwicklung unserer Kritik am Text war.

Als wir diesen Aufruf erhielten, betrachteten wir ihn als eine Initiative unserer Klasse, als einen militanten Versuch, die proletarische direkte Aktion in der Region des Nahen Ostens zu zentralisieren, auch wenn er nicht all unseren Kriterien entspricht, auch wenn wir ihn nicht auf diese Weise geschrieben hätten, auch wenn seine Meilensteine und viele Punkte ungelöst oder unklar bleiben, sogar sehr vage, und eine Vertiefung, eine Klärung erfordern …

Der Klassenkampf in der Region ist seit diesen letzten Jahren und Monaten immer intensiver geworden: Demonstrationen, Ausschreitungen, Besetzungen, Brandstiftung an Regierungs- und Milizgebäuden, das Proletariat bewaffnet sich, organisiert seine Kräfte neu … Kampf gegen Ausbeutung und die globale Diktatur des Wertes, die die Entwicklung und Durchsetzung der Diktatur der menschlichen Bedürfnisse verhindert.

Daher scheint es logisch, dass die lokalen proletarischen Gruppen versuchen, sich zu organisieren, unseren Klassenassoziationismus zu entwickeln und zu versuchen, ihre Aktivitäten zu teilen und zu zentralisieren, und das nicht nur im Rahmen eines Nationalstaats, sondern (was wichtig ist) auch international. Wir können solche Versuche nur begrüßen, da sie für die Fortsetzung, Entwicklung und Ausbreitung des Klassenkampfes von entscheidender Bedeutung sind, insbesondere wenn sie aus der lokalen Realität des Klassenkampfes erwachsen, wie es im Irak der Fall ist.

Ohne in die Falle eines übermäßigen Optimismus und einer Überbewertung zu tappen, wollten wir diese Initiative nicht abtun (und es stand für uns nie zur Debatte, sie abzutun), was uns in unverantwortliche Gleichgültigkeit und Liquidationismus oder in egozentrische Selbstgefälligkeit versinken lassen würde … Gestern, heute und morgen waren, sind und werden Kommunisten noch mit Dutzenden, Hunderten von Initiativen mit wenigen klaren Kriterien und verschwommenen und ausweichenden Perspektiven konfrontiert, die es für die entschlossensten Elemente des kämpfenden Proletariats notwendig war, notwendig ist und weiterhin notwendig sein wird, zu lenken, zu klären, zu vertiefen, zu koordinieren, zu zentralisieren … um das Gift der Konterrevolution aus unseren Reihen zu entfernen …

Seit jeher mussten die Kommunisten (und wir betonen hier noch einmal, dass der formale Name, den wir uns selbst geben, weder eine Garantie noch das entscheidende Element in der Entwicklung unseres Kampfes ist) hart kämpfen, um jede sozialdemokratische Tendenz, die in unseren Kämpfen, unseren militanten Strukturen, in unseren Texten, Appellen, Manifesten zu entfernen… wie ein Gift destilliert wird, um sie von ihrer subversiven Substanz zu befreien und sie von ihrem Endziel abzulenken: der Abschaffung der Lohnarbeit und damit des Kapitals (und umgekehrt), des gegenwärtigen Zustands der Dinge und ihres Staates …

Dies sind im Wesentlichen die Gründe, warum wir uns entschlossen haben, den Aufruf zu veröffentlichen und zu verbreiten.

Andererseits waren und sind wir uns natürlich der großen Schwächen dieses Aufrufs bewusst.

Es fehlt insbesondere an klaren Kriterien für mögliche Teilnehmer. Ein internationales und internationalistisches Treffen ist keine offene Debatte (eine Konferenz), bei der alles diskutiert und in Frage gestellt werden kann! Wenn es bei dem internationalen Treffen darum gehen soll, so wichtige Fragen zu diskutieren wie die Zentralisierung der proletarischen Kräfte, wie man die Waffen gegen die eigene Bourgeoisie richtet, wie man einen Krieg zwischen den Bourgeoisien in einen Bürgerkrieg verwandelt usw., dann muss geklärt werden, mit wem wir auf welcher Grundlage eine Zentralisierung anstreben. Wer ist unserer Meinung nach revolutionär, internationalistisch, kommunistisch? Diejenigen, die dies behaupten, oder diejenigen, deren Praxis dies beweist? Wir glauben, dass eine internationalistische Diskussion nur mit denjenigen Gruppen geführt werden kann, die die Grundlage kommunistischer Positionen teilen – Internationalismus, revolutionärer Defätismus, gegen Lohnarbeit, gegen den Staat, gegen das Kapital …

Wir müssen auch eine Art Fetischismus des bewaffneten Kampfes ablehnen, wie er im Aufruf zum Ausdruck kommt. Wenn wir darauf bestehen, dass sich das Proletariat bewaffnen muss, wenn die Situation in Kurdistan dies als reine Notwendigkeit für das Überleben der Proletarier darstellt, können wir kaum irgendeine Art von Miliz oder Selbstverteidigungseinheit als solche verteidigen oder loben, noch können wir dies als einen qualitativen Sprung im Klassenkrieg betrachten. Der bewaffnete Kampf ist nicht per se revolutionär. Der bewaffnete Kampf kann nur als Ergebnis einer revolutionären sozialen Praxis des Proletariats revolutionär sein. Und es ist diese soziale Praxis, die die Formen des (bewaffneten) Kampfes bestimmt. Was den Unterschied zwischen einem bewaffneten Kern und der Roten Armee ausmacht, ist ihr Inhalt – der Klasseninhalt, das proletarische Programm, das von ihr übernommen wird.

Wir möchten auch darauf bestehen, dass die Kritiker des Gradualismus den Klassenkampf, der im Aufruf zum Ausdruck kommt, begreifen. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich der Klassenkampf nicht graduell entwickelt – von einer kleinen Demonstration zum Aufstand, von einer kleinen proletarischen Gruppe zum Proletariat, das als Partei weltweit organisiert ist, sondern im Gegenteil durch eine Reihe von organisatorischen Brüchen und programmatischen Klärungen, die unweigerlich gewalttätige Formen annehmen werden. Kommunisten sind keiner Organisation, Gruppe oder Partei gegenüber loyal, sie sind nur dem kommunistischen Programm gegenüber loyal, und wenn die gegebene Struktur davon abweicht, sollten Kommunisten sie nicht nur verlassen, sondern sich außerhalb davon und dagegen organisieren. Wieder einmal ist es der revolutionäre Inhalt, der sich durchsetzt.

Wir haben keinen Zweifel daran, dass es notwendig ist, die proletarischen Aktivitäten in der Region Kurdistan zu zentralisieren. Aber es stellt sich natürlich auch die Frage nach der Durchführbarkeit eines solchen internationalen Treffens, insbesondere was die Sicherheit der teilnehmenden Militanten betrifft. Sind die Gefährten und Gefährtinnen von „Militanten in Kurdistan, Iraq“ in der Lage, eine solche Verantwortung in einer Region zu übernehmen, die von Militär und Geheimdiensten aller möglichen Couleur durchsetzt ist?

Wenn sich im internationalistischen Milieu eine Debatte über diese Fragen entwickelt, wenn es Versuche zur Klärung der oben dargestellten Probleme gibt, müssen wir zugeben, dass es nicht viele Antworten von den „Militanten in Kurdistan, Irak“ gibt. Liegt es an der harten Repression oder an technischen Problemen? Oder haben wir uns geirrt, als wir ihren Aufruf ernst nahmen?

Wie auch immer die Antwort ausfällt, es ändert nichts an der Tatsache, dass die Kommunisten sich weiterhin mit der Dezentralisierung direkter Aktionen, lokaler und regionaler Initiativen, der Umgruppierung militanter Kräfte und Versuchen, den Kampf auszudehnen, einerseits und der „politischen“, programmatischen Zentralisierung durch klare zentrale Richtlinien, die das zu erreichende Gesamtziel und den zu zerstörenden Feind bestimmen und definieren, andererseits… Das heißt, Zentralisierung und Dezentralisierung nicht als Widerspruch, sondern als Teil desselben Prozesses, derselben Bewegung, in Kurdistan, auf der ganzen Welt.

Klassenkrieg/Tridni Valka – 24/10/2018.

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