DIE STUDENTENPROTESTE: EIN GEMISCHTES SIGNAL

Gefunden auf der Seite von International Perspective, die Übersetzung ist von uns.


DIE STUDENTENPROTESTE: EIN GEMISCHTES SIGNAL

Die Solidarität der Studenten wird in Gaza begrüßt

Die Studentenproteste sind ein gemischtes Signal. Einerseits ist es ermutigend, dass Studenten an mehr als 160 Colleges und Universitäten in den USA gegen den Krieg in Gaza protestieren, und zwar mit Leidenschaft und Mut. Sie haben viele andere in anderen Ländern und Kontinenten dazu inspiriert, sich dem Kampf gegen diesen ungeheuerlichen Massenmord anzuschließen. Wie die New York Times kürzlich schrieb, denken sie nicht nur an Gaza. Für viele von ihnen geht es auch um Rassismus, Polizeibrutalität, Klimawandel und andere Themen, die allesamt Symptome des derzeitigen Stadiums der Dekadenz des Kapitalismus sind. Sie beginnen, die Zusammenhänge zu erkennen. Sie spiegeln eine breitere Stimmung des Widerstands wider, die sich zusammenbraut. Das ist ein gutes Zeichen. Wir haben Verständnis für ihren Widerstand gegen die Repression, die gegen sie entfesselt wurde. Die Studenten wurden ‚doxxed‘1, belästigt, eingeschüchtert, überwacht, beschimpft, suspendiert, ausgewiesen, vertrieben, verhaftet, mit Tränengas beschossen und geschlagen, aber das hat sie nicht aufgehalten. Natürlich hat der demokratische Staat nichts dagegen, wenn sie protestieren, solange sie dies höflich tun, ohne die soziale Ordnung zu stören, die diese Kriege verursacht und die das Rechtssystem schützen soll. Aber wenn sie es wagen, über den harmlosen Protest hinauszugehen, regnet die Gewalt des scheinheiligen demokratischen Staates auf sie herab, unter dem Beifall von Demokraten und Republikanern gleichermaßen. Selbst Alexandria Ocasio-Cortez, die Anführerin des linken Flügels im Kongress, warnte die Studenten vor „Agitatoren von außen“. Studierende in Atlanta antworteten „so deutlich wie möglich, wir heißen ‚Agitatoren von außen‘ in unserem Kampf willkommen“. Und die Studenten von Cal Polytech erklärten: „Die Unterscheidung zwischen Studenten und Nichtstudenten verstärkt nur die Schranken zwischen der Universität und den sie umgebenden Gemeinden. Indem wir diese Unterscheidung ablehnen, brechen wir die Tore auf.“ So weit, so gut.

Aber auf der anderen Seite ist es kein gutes Zeichen, dass die Proteste vom Nationalismus vereinnahmt werden. Vielleicht ist das nicht überraschend. Die Kultur, mit der wir gefüttert wurden, lässt uns die Kriege des Kapitalismus als Kämpfe zwischen Gut und Böse sehen. Zwischen Tyrannen und Außenseitern, zwischen rechtschaffenen Nationen und bösartigen Regimen. Also muss man sich für eine Seite entscheiden. Denn wenn man das nicht tut, unterstützt man die böse Seite. Bischof Tutu hat das gesagt. Angesichts der Massentötung von Zivilisten im Gazastreifen durch die IDF ist die Wahl für viele einfach: Palästina unterstützen, die palästinensische Flagge schwenken, „Palästina soll frei sein, vom Fluss bis zum Meer‚2 rufen, jede Kritik an den Verbrechen ‘unserer Seite“, der Hamas usw., zum Schweigen bringen, was ebenso viel bedeutet wie die Verpflichtung der IDF, das Gemetzel im Namen der antikolonialen Befreiung fortzusetzen.

Der Slogan „Mit allen Mitteln“, der auf vielen Universitäten zu sehen ist, dient ausdrücklich dazu, die Angriffe der Hamas auf unschuldige Zivilisten zu rechtfertigen. Es ist nicht verwunderlich, dass die israelische Regierung fast genau dieselbe Sprache verwendet. „Was immer notwendig ist“, sagte Verteidigungsminister Gallant kürzlich. In beiden Fällen ist es ein Kriegsgeschrei. Die Mittel spiegeln das Ziel wider.

Sie gehen an dem vorbei, was wirklich geschieht. Die Kriege, die wir vermehrt beobachten, sind nicht antikolonial, es geht nicht um Demokratie gegen Autoritarismus, es geht darum, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung in einen Zustand gerät, in dem der Wettbewerb zunehmend militärische Formen annimmt. Allein einige Schlagzeilen der letzten Woche verdeutlichen dies. Zwei davon handelten von den verzweifelten Maßnahmen des ukrainischen und des russischen Staates, die bereits Hunderttausende von Menschenleben gekostet haben, um weiteres Kanonenfutter zu finden. Ein anderer enthüllte, dass die weltweiten Rüstungsausgaben im Jahr 2023 einen 35-Jahres-Höchststand erreichen werden, 6,8 % höher als 2022. Ein vierter Bericht erwähnte die Zunahme protektionistischer Maßnahmen (im letzten Jahr wurden mehr als 2.500 eingeführt) und die Verlagerung des Handels auf die Bildung antagonistischer Blöcke. In einer fünften wurde berichtet, dass Indiens Premierminister Modi in einer Wahlkampfrede Muslime als „Eindringlinge“ bezeichnete, die Indiens Reichtum stehlen wollten. Und wir haben noch nicht einmal die Schlagzeilen über das Gemetzel und den Mord durch Verhungern im Gazastreifen erwähnt.

All dies zeigt, was vor sich geht: Krieg ist einmal mehr die Antwort des Kapitalismus auf seine Sackgasse. Aber um Krieg zu führen, brauchen die kapitalistischen Herrscher die Unterstützung oder Unterwerfung der Beherrschten. Sie brauchen die Arbeiterklasse, um die Werkzeuge für den Krieg zu produzieren, sie brauchen ihre Jugend, um im Krieg zu kämpfen und zu sterben. Deshalb ist der Nationalismus die wichtigste Waffe, die die herrschende Klasse besitzt. Nationalismus bedeutet Einschließung und Ausschließung. Er bedeutet die Akzeptanz, dass alle, die zu einer Nation „gehören“ (Herrscher und Beherrschte, Ausbeuter und Ausgebeutete) gemeinsame Interessen haben, von denen die anderen, die nicht zu dieser Nation „gehören“, ausgeschlossen sind. Und je mehr eine Kategorie von „Anderen“ zum Sündenbock gemacht werden kann, als „Eindringlinge“ dargestellt wird, die die Nation verunreinigen, um Modis Worte zu verwenden, und je mehr der zwischenimperialistische Wettbewerb als Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt werden kann, desto mehr bereitet der Nationalismus die Bevölkerung auf den Krieg vor. Letztlich ist es für die ideologische Kriegsvorbereitung weniger wichtig, welche Nationalflagge man trägt, solange man eine trägt.

Zu Beginn des Irak-Krieges verteilte IP ein Flugblatt mit dem Titel „Redet nicht vom Widerstand gegen den Krieg, wenn ihr nicht bereit seid, dem Kapitalismus zu widerstehen“. Das gilt auch heute noch. Und wenn man sich die Forderungen der Studentenproteste anschaut, sind sie es nicht. Einige wollen nicht, dass der Krieg aufhört (oder nur für eine gewisse Zeit), sie wollen, dass „ihre“ Seite ihn fortsetzt, bis der „Sieg“ (neue Grenzen) erreicht ist, „mit allen Mitteln“. Andere wollen wirklich Widerstand gegen den Krieg, aber nicht gegen den Kapitalismus. Die Hauptforderung, die auf einem Campus nach dem anderen auftaucht, ist der Ausstieg ihrer Institutionen aus Geschäften mit Israel im Allgemeinen und aus Unternehmen, die mit dem israelischen Militär Geschäfte machen.

Erstens ist dies sinnlos. Kapital wird dort investiert, wo es einen Gewinn erzielen kann. Wenn Universitäten, die selbst kapitalistische Unternehmen mit riesigen Investitionsfonds sind, gezwungen werden, sich von profitablen Unternehmen zu trennen, werden andere Investoren gerne ihren Platz einnehmen. Es wird sich nichts ändern, außer dass die Studenten sich zu ihrem „Sieg“ und ihrem reinen Gewissen beglückwünschen können.

Zweitens ist die Forderung selbst eine Form der Propaganda für den Kapitalismus: Sie unterstellt die Möglichkeit, dass sich kapitalistische Unternehmen „ethisch“ verhalten, für das Gemeinwohl arbeiten, den militärisch-industriellen Komplex aushungern und die Erde begrünen. Kurzum, sie ist von einem atavistischen Reformismus geprägt, von der Illusion, dass das kapitalistische System vor sich selbst gerettet werden kann, dass es nicht notwendig ist, es zu zerstören.

Wenn die Studenten wirklich Widerstand gegen den Krieg leisten wollen, müssen sie ihre nationalistischen Fahnen und Slogans, ihre Unterstützung für eine Kriegspartei gegen eine andere, fallen lassen, ihren Campus verlassen und die Erkenntnis verbreiten, dass der Kapitalismus einen Krieg gegen die Menschheit führt und dass die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt sein Opfer sein wird, wenn sie nicht aufwacht und sich weigert, diesen Wahnsinn zu tolerieren.

INTERNATIONALIST PERSPECTIVE 10.5.2024


1A.d.Ü., Doxing (manchmal auch Doxxing geschrieben) bezeichnet die Offenlegung von identifizierenden Informationen über eine Person im Internet.

2Dieser Slogan wurde als „antisemitisch“ dargestellt, da er implizit besagt, dass alle Juden aus der Region vertrieben werden müssen. Es stimmt zwar, dass er in früheren PLO- und Hamas-Erklärungen diese Bedeutung hatte (und im umgekehrten Sinne in zionistischen Erklärungen, die als erste die Formulierung „vom Fluss bis zum Meer“ verwendeten), aber für die meisten aktuellen Aktivisten drückt er ihre Unterstützung für die so genannte Ein-Staat-Lösung aus. Der Slogan erkennt implizit an, dass es in diesem Krieg um eine Veränderung der Grenzen geht.

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