Briefe zum Syndikalismus – Bartolomeo Vanzetti

Die Übersetzung ist von uns. Wir unterscheiden weder in diesem noch in anderen Texte zwischen Syndikalismus und Gewerkschaftswesen, genauso wenig zwischen Gewerkschaften und Syndikate, oder zwischen Gewerkschaftler/Gewerkschafterinnen und Syndikalisten/Syndikalistinnen. Wir beziehen uns auf den etymologischen Ursprung des Begriffs und auf die Verwendung dieser Begriffe (Syndikalismus, Syndikat, Syndikalisten/Syndikalistinnen) wie er im romanischen, also im ursprünglichen Raum, verwendet wird, wo keine Distinktionen gemacht werden, wie hier es einige tun und dabei dem Syndikalismus eine andere Aura zu geben, die er aber nicht hat.

Die Vorworte haben wir aus der französischen Ausgabe die von Anarchronique Editions, veröffentlicht wurde.


Briefe zum Syndikalismus

Bartolomeo Vanzetti

Originaltitel: Cartas sobre el sindicalismo Bartolomeo Vanzetti Erste Ausgabe: Barcelona, Juli 2015 diaclasa.net editorial[at]diaclasa.net Weder Rechte noch Pflichten Kostenlos für Gefangene, Strafgefangene und Sozialbibliotheken


Vorwort zur Ausgabe 20071

Ich bin und werde bis zum höchsten Augenblick (es sei denn, ich erkenne, dass ich im Irrtum bin) ein anarchistischer Kommunist sein, weil ich glaube, dass der Kommunismus die humanste Form des Gesellschaftsvertrags ist, weil ich weiß, dass der Mensch sich nur durch die Freiheit erheben, veredeln und vervollständigen kann2.

Dies sind die letzten Zeilen von Bartolomeo Vanzettis Autobiografie, die er im Gefängnis geschrieben hat und die erstmals 1924 vom Sacco-Vanzetti-Verteidigungskomitee veröffentlicht wurde.

Nachdem Vanzetti noch in Italien die Ideen des Frühsozialismus kennengelernt hatte, reifte seine anarchistische politische Überzeugung durch seine Erfahrungen als emigrierter Arbeiter in den Vereinigten Staaten. Ausschlaggebend war seine Begegnung mit der Gruppe von Luigi Galleani, einer damals sehr einflussreichen Gruppe innerhalb der Arbeiterbewegung, vor allem italienischer Herkunft. Auf den Seiten der „Cronaca Sovversiva. Anarchistische Wochenzeitschrift für revolutionäre Propaganda“, die 1903 von Galleani selbst gegründet wurde, bildeten sich viele Militante, die unter den proletarischen Massen sehr aktiv waren, und konfrontierten sie. Galleani war ein unermüdlicher Agitator, kompromisslos in den Grundsätzen des Anarchismus, ein entschiedener Verfechter anti-organisatorischer Positionen und ein Anhänger der direkten Aktion, der niemals sektiererisch war. „Seine Propaganda wirkte begeisternd, ja elektrisierend, und manchmal gelang es ihm, sich selbst in der amerikanischen Arbeiterbewegung verständlich zu machen, und zwar während der Agitationen, die von Lohn- und Gesetzesverbesserungen motiviert und geleitet wurden, bereits 1902 in Paterson, Barre, Lynn und anderen Industriezentren. „Galleani war ein anarchistischer Kommunist im Sinne Kropotkins, aber ein Anti-Organisator, weil er die autoritäre und kristallisierende Wirkung von Programmen und Plänen fürchtete. Er lehnte jedoch zeitweilige Vereinbarungen mit den Organisatoren nie ab und hatte immer einen tiefen und aufrichtigen Respekt vor Errico Malatesta und vor den positiven Auswirkungen seiner Aktion in einer Situation wie derjenigen in Italien“.3

Die politische Tätigkeit der Cronaca Sovversiva gegen Patriotismus und Krieg war während des Ersten Weltkriegs wichtig. Galleanis Urteil über den Krieg lässt sich gut im Titel des Buches zusammenfassen, das seine wichtigsten Artikel zu diesem Thema versammelt: „Gegen den Krieg, für den Frieden, für die soziale Revolution“. Über die Cronaca Sovversiva startete er einen Aufruf gegen die Einberufung italienischer Einwanderer in die amerikanische Armee, was in der Praxis eine Aufforderung war, die Wehrpflicht zu verweigern. In dem berühmten Artikel „Matricolati! (Melde dich!) prangert Galleani das italienische Proletariat in Amerika in seinem unverwechselbaren Stil an: „Du wusstest nie, wie man will, wie man sich traut; […. Heute will der Krieg, den du beschworen und gesegnet hast, neue Männer an der Front, andere Leichen, um die Lücke zu füllen, und hier oder dort, unter Maschinengewehren und Schlägen, wirst du die Haut riskieren, die du nie riskiert hast, um dem Bauch das tägliche Brot zu sichern, um den Geistern und den Häusern den Lichtstrahl zu geben, der an den Fronten und auf den Straßen der Zukunft brennt, und die Ziele, die Hoffnungen, die Kühnheiten und die Schicksale der Freiheit [….]. Sie werden sie registrieren, um ihre Haut abzustreifen, um sie bei der ersten Gelegenheit abzulegen“.4

1917 gingen Bartolomeo Vanzetti und Ferdinando Sacco (der sich erst nach seiner Ankunft in den USA Nicola nannte) zusammen mit anderen Gefährten heimlich nach Mexiko. Doch ihre beiden Situationen waren unterschiedlich: Nach dem Einberufungsgesetz konnten nämlich nur amerikanische Staatsbürger zwischen 21 und 30 Jahren und Ausländer, die das Verwaltungsverfahren zur Einbürgerung eingeleitet hatten, wie Vanzetti kurz zuvor, zum Militärdienst mobilisiert werden. Alle anderen, einschließlich Sacco, waren zu diesem Zeitpunkt nicht diensttauglich. Es ist zu befürchten, dass ihre Registrierung noch für zukünftige Einberufungen verwendet werden könnte.

Vor seiner Verhaftung hatte Vanzetti im Namen seiner Gefährten Andrea Salsedo und Roberto Elia intensive Propaganda- und Unterstützungsarbeit für eine anarchistische Gruppe in Boston geleistet. Elia und Salsedo waren im Februar 1920 von Bundesagenten des Bureau of Investigation verhaftet worden. Sie wurden für schuldig befunden, an einer Reihe von Bombenanschlägen im Frühjahr 1919 beteiligt gewesen zu sein, bei denen Paketbomben und Sprengsätze vor den Häusern von Mitgliedern der amerikanischen politischen und ökonomischen Elite platziert wurden (zu den Empfängern der Bomben gehörte Generalstaatsanwalt M. Palmer, der für die Deportation von Einwanderern und „sovversivi“ [Subversiven] zuständig war, J.D. Rockfeller und J.P. Morgan, führende Persönlichkeiten der Industrie und des Finanzwesens, sowie mehrere Mitglieder des Kongresses5). Salsedo, ein Typograf und Mitarbeiter der Cronaca Sovversiva, gab eine kleine Zeitschrift heraus, zu der auch Bartolomeo unter dem Pseudonym „Il Picconiere“ beigetragen hatte. Am 3. Mai, zwei Tage vor der Verhaftung von Sacco und Vanzetti, stürzte Salsedo aus dem vierzehnten Stock des Gebäudes, in dem er gefangen gehalten wurde, ein Selbstmord nach der offiziellen Version der Ereignisse. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung hatte Sacco das Flugblatt in der Tasche, das eine Vollversammlung ankündigte, die zwei Tage später stattfinden sollte und auf der Vanzetti öffentlich den Mord an seinem Gefährten anprangern sollte.

In den Jahren vor der „Affäre“, als er noch ein anonymer Gastarbeiter war, hatte der Anarchist aus Villafalletto neben seiner militanten Tätigkeit auch einige Artikel in der Cronaca Sovversiva geschrieben, die immer mit „Il Picconiere“ unterzeichnet waren. Vom Knast in Charlestown aus beteiligte er sich außerdem an der Debatte über den Syndikalismus, die 1923 in den Spalten der L’Adunata dei Refrattari6 begann. Seine sechs Briefe, die zwischen Februar und Dezember desselben Jahres erschienen, wurden erstmals in einer Broschüre mit dem Titel „Letters on trade unionism“ (Briefe zum Syndikalismus) gesammelt, die 1957 von Edizioni L’Antistato in Cesena veröffentlicht wurde. Aus theoretischer Sicht sagt Vanzetti nichts Neues: Er vertritt stolz seine eigene politische Zugehörigkeit, indem er die Grundsätze in einfacher Sprache und zu Themen darlegt, die heute bei oberflächlicher Betrachtung altmodisch erscheinen könnten. Aber abgesehen von den Verweisen auf die Debatten seiner Zeit, was sagen uns diese Schriften?

Enthalten sie noch immer gültige Hinweise, um die Mechanismen der heutigen Gesellschaft zu interpretieren und politische Interventionen in ihr anzuregen?

Im ersten Brief löst Picconiere die Frage des Syndikalismus unmissverständlich. Er „entweder autoritär oder libertär ist: Wenn er autoritär ist, ist er Sozialismus; wenn er libertär ist, ist er Anarchismus“. Wir sehen in seinen Ideen ein Primat der politischen, globalen Sphäre über die der Verhandlung von Forderungen. Das Ziel der Arbeiter muss die soziale Revolution sein, nicht eine Bewegung für partielle Reformen, die sich auf eine günstigere Gesetzgebung für die Beziehungen zwischen Arbeit und Arbeitgeberverband beschränkt. Die Gesellschaft wird sich nicht ausschließlich durch den Kampf um die Arbeit verändern lassen: Das ist der Kern seiner entschieden antisyndikalistischen Haltung. In der Tat „ist es für eine Gewerkschaft/Syndikat oder eine ähnliche Organisation sinnlos, gegen die Arbeiterklasse zu agieren, da die von ihr unterstützten Forderungen (wie höhere Löhne, Gesetze zum Schutz der Arbeit von Frauen und Kindern, Arbeitslosengeld, Krankenversicherung…) „ein Hindernis auf dem Weg zur ganzheitlichen Befreiung“ darstellen […]. Für Vanzetti wie auch für Nicola Sacco war es daher notwendig, dass Anarchistinnen und Anarchisten in die Arbeiterorganisationen eintreten, ohne „irgendeine Verantwortung zu übernehmen, sondern den Autoritarismus durch ständige Kritik zu bekämpfen und ihren Gefährten den Betrug aufzuzeigen, der sich hinter der offiziellen Linie“ bestimmter syndikalistischen Organisationen verbirgt. Darüber hinaus war es notwendig, eine Linie vorzuschlagen, die auf direkter Aktion beruht und zum Sieg der proletarischen Kämpfe führt, wobei andere Mittel eingesetzt werden müssen, die viel wirksamer sind als die bisher angewandten, (um) die Wertschätzung und das Vertrauen der organisierten (Arbeiter) zu gewinnen“7. Die Aktion der Gewerkschaften/Syndikate ist nicht nur nutzlos, fügen wir im Geiste von Vanzettis Schriften hinzu, sondern auch schädlich, da diese notwendigerweise autoritären Strukturen den subversiven Impuls der Massen einschließen und auf reformistische Ziele lenken. Es ist der alte Diskurs von Mitteln und Zielen. Es ist absurd zu behaupten, dass die Gewerkschaften/Syndikate der Arbeiter durch die Praxis ihrer Forderungen Mittel für die Revolution sind, die das Bestehende stürzen und eine neue Welt befreien wird. Die Gewerkschaften/Syndikate sind von Natur aus reformistische und bürokratische Strukturen, die dem kapitalistischen Gesellschaftssystem inhärent sind, während die einzige Perspektive für die ausgebeuteten Massen der endgültige Bruch mit der Vergangenheit ist, sogar mit ihrer eigenen Vergangenheit als Partei-Kirche, indem sie vor allem in sich selbst Privilegien und Autorität abschaffen. Kurz gesagt, schreibt Picconiere: „Darüber zu diskutieren, ob der Syndikalismus ein Mittel ist, um Revolution und Anarchie zu begegnen, [ist] einfach dumm“.

Wir können leicht nachvollziehen, dass die Arbeitswelt zu Vanzettis Zeiten das wichtigste Terrain des Kampfes und der politischen Aktion in einer revolutionären Perspektive war, so wie es auch für einen Großteil des 19. und 20. Jahrhunderts. Aber Vanzettis zeitgenössischer Syndikalismus hat seine revolutionäre Ladung längst erschöpft, und die Gewerkschaften/Syndikate, die er als „sozialistisch“ oder besser „autoritär“ bezeichnete, sind ganz natürlich (weil es in der Logik der Dinge lag) zu den selbstreferentiellen und bürokratischen Organisationsformen zurückgefallen, die der sogenannten Demokratie eigen sind. Kein Syndikalist redet noch von der Abschaffung der sozialen Klassen und der Kontrolle der Produktionsmittel durch die Arbeiter in der globalisierten Welt (gegenteilige Beispiele finden sich jedoch in den jüngsten Experimenten des Kampfes und der Selbstverwaltung von Fabriken in Südamerika).

Eine Debatte wie die, die Vanzetti in seinen Briefen aus dem Knast geführt hat, scheint heute weit von der Realität entfernt zu sein, zumindest in den westlichen Ländern. Aber das ist noch nicht alles… Vielleicht sollten wir die Aktualität seiner Schriften nicht nur im Bereich der syndikalistischen Fragen suchen.

Vanzetti spricht in filigraner Weise über seine Vorstellung von Anarchismus. Wir kämpfen, so schreibt er, „für die Abschaffung jeglicher Autorität“, wir streben nach „einen umfassenden ökonomischen Wandel“, „tatsächlich streben wir eine Gesellschaftsform an, in der die Freiheit der Individuen, Gruppen, Kommunen und Konföderationen gewährleistet ist. „, „wir negieren die gegenwärtige politische Form ab und schlagen eine andere vor, die einzige, die die Erde aus den Händen der Politiker befreien kann“. Er weist insbesondere und eindringlich darauf hin, was seiner Meinung nach die Aufgaben der Revolutionäre sind: „dem Proletariat auf dem Weg zur Emanzipation vorauszugehen, ihm den Weg zu leuchten, die Fackel der Wahrheit zu tragen und mit gutem Beispiel voranzugehen. […]

Und die erste Bedingung ist die Vermittlung der grundlegenden Wahrheiten des Anarchismus, die, wenn man weiß, wie man sie vermitteln kann, auch dem einfachen Geist des Bescheidenen zugänglich sind. Er hat keine Zweifel über den Weg vorwärts: „Alles, was die Revolte und die Freiheit nicht fördert, ist ein Hindernis für sie“. Er betont den Wert der Bildung, die Bedeutung des Willens und der individuellen Aktion: „Die individuelle Rebellion ist das Prodrom des kollektiven Aufstands“.

Er ist sich auch darüber im Klaren, was es bedeutet, für eine Welt der Freiheit zu kämpfen. Der Idealist und Theoretiker, der wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, für das er sich nicht schuldig bekannte, war sich jenseits von großspurigen Reden durchaus bewusst, was es heißt, gegen Unterdrückung zu kämpfen. In einem Brief an seine Gefährtinnen und Gefährten schrieb er: „Tod für Tod. Wir kämpfen für den Triumph einer Sache, nicht um von den Wächtern zermalmt zu werden, wir werden niemals gewinnen, wenn wir sie nicht stürzen. Sie sind Söldner, wir sind Idealisten; könnte ein freier Mensch oder ein Rebell zulassen, dass sie mit ihm machen, was sie wollen? „8 Die Rolle, die der anarchistischen Bewegung oder besser noch jedem ihrer Anhänger zugeschrieben wird, die sowohl Teil als auch Beispiel für die Ausgebeuteten sind, die sich gegen die Unterdrückung auflehnen, scheint plötzlich offensichtlich. Vanzetti verweist auf die Instrumentalisierung der Massen durch die Berufspolitiker: „Die Massen folgen eher den Personen als den Ideen. Der Grund dafür ist klar. Die Massen sind extrem unwissend und ständig von den Problemen des Lebens isoliert, die sie nicht zu lösen wissen. […] Deshalb ist das Volk das ewige Opfer von Politikern, Priestern, Militarismus, Sklavenhändlern, den verdammten Hirten, und entgegen der grausamen tausendjährigen Erfahrung hat es sich noch nicht entschlossen, sich zu emanzipieren, auf eigenen Füßen zu stehen.“ Die Täuschung der Armen und Ausgebeuteten durch diejenigen, die vorgeben, ihre Anführer zu sein, gab es schon zu Vanzettis Zeiten und gibt es, sowohl in glänzender und abscheulicher Form als auch auf heimtückischere Weise, auch heute noch: „Es ist die ewige Täuschung des Volkes und der Parias. Es ist die Täuschung des guten Glaubens, der Einfachheit, des Heldentums, des Opfers der Elenden, deren Haut und großzügigem Blut alle Revolutionen ihren Triumph verdanken. Es ist das unvermeidliche Ergebnis jeder Sache, die nicht endgültig mit der Vergangenheit bricht, die Privilegien und Autorität bewahren will.“

In seinem fünften Brief an L’Adunata dei Refrattari verurteilte Picconiere scharf die Strömungen der sozialistischen Parteien und Arbeiterorganisationen, die „vom Marxismus kontaminiert (waren): Eroberung der öffentlichen Gewalt, Kollaborationismus, Kooperativismus, Minimalprogramm, Sozialdemokratie und so weiter.“ Seiner Meinung nach hatten die marxistisch inspirierten Parteien und Gewerkschaften/Syndikate den Internationalismus und den revolutionären Impetus ihrer Ursprünge aufgegeben und verhandelten schließlich mit dem Feind. Die subversiven Aktionen der ersten sozialistischen Vereinigungen wurden laut Vanzetti eher von einem bestimmten Willen der Basis diktiert als von der Wahl der Ideen: Als sich die Organisationsstruktur durchsetzen konnte, wurden Unbeweglichkeit und demokratisches Abwarten notwendig. Im folgenden Brief stellt er die rhetorische Frage, was passieren würde, wenn das Volk nach der Revolution zuließe, dass diese autoritären Parteien „an die Macht kommen“. „einen neuen Staat, eine neue Autorität mit ihren Gesetzen, ihren Gefängnissen, ihrer Polizei, ihren Henkern und Armeen zulassen würden“ ist die Antwort, die tautologisch in der Frage enthalten ist.

Aber seine Kritik an sozialistischen Organisationen lässt sich auf jede Organisation als solche ausweiten; nicht zufällig kritisiert er auch die anarchosyndikalistische Position seines Gesprächspartners. Um zu existieren, muss eine strukturierte Organisation die Besonderheit jedes Individuums regulieren und seine Autonomie einschränken, und zwar im Namen ihrer eigenen Ziele (wenn ihr eigenes Überleben nicht das Ziel ist) und von Entscheidungsverfahren, die den Mechanismen der Repräsentation und Führung kaum entgehen. Dieser Form des Autoritarismus setzt Vanzetti die spontane und autonome Aktion der arbeitenden Massen entgegen (in diesem konkreten Fall, aber der Diskurs ist auch allgemeiner gültig). „Um zu siegen“, schreibt er, „es notwendig ist, mit all der Vergangenheit zu brechen, es ist notwendig, das Proletariat von den Fesseln, den Ketten, den Illusionen und dem Wahn des Arbeitersyndikalismus zu befreien.“, d.h. es ist notwendig, den spontanen revolutionären Impuls durch die trügerischen organisatorischen Mittel zu ersetzen.

Picconiere analysiert auch schonungslos, aber ohne jemals die Hoffnung auf die Möglichkeit der Befreiung und auf die rettende Kraft des Willens zur Freiheit zu verlieren, die Tendenz zur Unterwerfung der proletarischen Masse, die ihm zufolge „da ihm der Mut fehlt, dem Gesetz die Stirn zu bieten“ und „sucht er sein Heil im Bordell, in der Taverne, in der Lotterie, in der gewalttätigen politischen Parteinahme“. „Denn wenn das Proletariat geistig und moralisch emanzipiert wäre, hätte es schon längst seine Revolution gemacht; und wenn es jetzt emanzipiert wäre, würde es seine Revolution machen.“ Unter diesen Massen, die es vernünftigerweise nicht als explizit revolutionär betrachtet, ist es die Aufgabe der Anarchistinnen und Anarchisten, der Funke des Aufstandes zu sein. Denn selbst angesichts der Duldung des Systems durch die Ausgebeuteten gibt Vanzetti nicht nach. Nur der individuelle Wille, die Aktion des Individuums oder kleiner Gruppen „wird die Wiederaufnahme der populären Kämpfe herbeiführen“. Kämpfe, die sich dann sowohl quantitativ zu denen großer Teile der Bevölkerung entwickeln als auch in die Tiefe gehen müssen, indem sie sich vom spezifischen Terrain der Fabrik wegbewegen und die gesamte Gesellschaft umfassen, von der die Arbeit nur ein Aspekt ist. Im letzten Brief zitiert Picconiere einen Artikel (dessen Autor wir nicht kennen), der in der Cronaca Sovversiva erschien und der seiner Meinung nach sein Denken am besten erklärt. „[…] Ketzerei wird zur Lehre, die einzelne Tat schwängert die Massen mit ihren satanischen Vorzügen; Streiks, die aus kleinen Gruppen bestehen […] werden zu kühnen Aufständen, bei denen sich die großen Massen in der Fabrik, in der Provinz, in der Nation vereinigen, um den Feind in seinen Höhlen anzugreifen […] Auch hier (auf unserer Seite) die individuelle Revolte, der kollektive Aufstand, die Revolution.“

Während Vanzetti im Knast sitzt, sind die starken Impulse, die die Welt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zu erschüttern schienen, mit der Befriedung (und manchmal der Verwendung in einem reaktionären Sinne) jener Massen, die die Mächtigen in Angst und Schrecken versetzt hatten, und mit der demokratischen Strömung der marxistischen Parteien wieder aufgegriffen worden. „Die einzigen, die eine soziale Revolution wollen, sind die Anarchisten und Anarchosyndikalisten.. […] Deshalb sind wir heute allein.“ Diese bittere Tatsache ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit eines radikalen Wandels und damit an der Notwendigkeit, in dieser Richtung individuell oder in kleinen Gruppen zu handeln. Eine Lektion, die sich diejenigen merken sollten, die wie wir heute in der „besten aller möglichen Welten“ leben.

Macht ist die zentrale politische Frage, und Anarchistinnen und Anarchisten haben sie nicht nur immer verurteilt, sondern auch auf die Risiken hingewiesen, die realen Impulse für Veränderungen in den üblichen Fallen der Repräsentation und Delegation zu suchen. Vanzetti warnt vor den Fallen, die die potenziell subversive Kraft der Massen korrumpieren, indem er in denjenigen, die behaupten, sie zu führen, indem sie sich ihre Vertretung anmaßen, die Hauptschuldigen für das Scheitern der revolutionären Bewegungen der Vergangenheit erkennt. Sich verpflichten, sich an die bestehenden Regeln zu halten und sich mit der Organisation zu besessen, trägt sicherlich nicht dazu bei, das Feuer der Revolte zu schüren, das den Kapitalismus und die ungerechte Gesellschaftsordnung, die aus ihm hervorgeht, hinwegfegen sollte.

Mit einer kritischen Haltung gegenüber jeglicher Autorität in den Bewegungen zu sein, subversiv gegenüber den Logiken zu sein, die die Forderungen in verpflichtenden Praktiken „begrenzen“: Das, sagt Vanzetti, ist die Aufgabe der Revolutionäre. Heute wie in der Vergangenheit. Radikale Praktiken des Kampfes zu experimentieren, die die Spannung zur ganzheitlichen Befreiung von Männern und Frauen wertschätzen, ohne Angst davor zu haben, vordefinierte Organisationsformen annehmen zu müssen. Uns selbst gegenüber kritisch zu sein, bereit, unsere Gewissheiten in Frage zu stellen, wenn die Ereignisse uns mit Misserfolgen oder unvorhergesehenen Realitäten konfrontieren. In unserem täglichen Verhalten und im Kampf an der Seite derer, denen wir auf dem Weg zur Emanzipation begegnen, kohärent zu sein. Kurz gesagt: Wir sind Anarchistinnen und Anarchisten (es sei denn, wir stellen eines Tages fest, dass wir uns geirrt haben).


Vorwort zur Ausgabe von 19579

[Wir geben hier das Vorwort zur Ausgabe der Briefe von 1957 wegen seines historischen Beitrags und der darin enthaltenen Klarstellungen wieder, nicht aber einen Teil des Endes des Textes, in dem der Autor über sein Konzept der direkten Aktion spricht. Er ist daher hier nicht enthalten, da er nicht unsere Zustimmung findet; außerdem ist er, was unsere Auswahl erleichtert, nicht notwendig].

Im Gefängnis las Vanzetti alle Bücher, die er bekam; nicht so sehr, um sich die Zeit zu vertreiben, sondern um zu lernen, auf der Suche nach gültigen Elementen für die Lösung des sozialen Problems. Seine Schriften aus dieser Zeit sind die Frucht vieler Überlegungen und ein wertvoller Beitrag für die Sache, für die er sich einsetzte, sowie ein Spiegel seines edlen Herzens und seiner scharfen Intelligenz: unzählige Briefe an Freunde und Gefährten, Artikel für proletarische Zeitungen in italienischer Sprache, Erklärungen, die Vanzetti selbst für die Verteidigung während verschiedener Debatten im Prozess vorbereitete, und schließlich zwei autobiografische Werke, darunter die „Geschichte eines proletarischen Lebens“, die in 20 Zeitungen in Fortsetzungen veröffentlicht wurde und viel Lob erhielt.

Die sechs Briefartikel, die die Verlagsgruppe „L’Antistato“ heute in Heftform herausgibt, stammen aus den Ausgaben der „L’Adunata dei Refrattari“ von 1923. Sie befassen sich mit einem Thema, das auch heute noch viel diskutiert wird, nämlich dem Verhältnis zwischen Anarchismus und Syndikalismus. Und diese neue Ausgabe kommt zur richtigen Zeit, denn nach wie vor halten viele Menschen, die die Gründe für unsere Ablehnung des Syndikalismus nicht kennen, die anarchistische Position für abstrakt theoretisch und unfähig, in den Kämpfen der Arbeiter konkret zu handeln.

Vanzettis aufschlussreiche Analysen, die sich auf die breiteste historische Erfahrung stützen, und die klaren Argumente, die er daraus ableitet, sind immer dazu geeignet, diesen Irrtum der Perspektive bei denjenigen zu beseitigen, die sie ohne Vorurteile lesen. Und man darf nicht vergessen, dass die Ideen, die Vanzetti in einer reinen Meditationsphase niederschreibt, dieselben sind, die sein gesamtes Handeln in den zwölf Jahren vor seiner Verhaftung geleitet haben; ein Handeln, das die schreckliche juristische Intrige gegen ihn und Sacco, einen anderen der aktivsten und intelligentesten in den Arbeiterkämpfen, nach sich zog, genauso wie der große Einfluss, den die Gruppen der „Cronaca Sovversiva“ (mit der gleichen Tendenz wie Vanzetti) über ein weites Gebiet ausübten, den Zorn der herrschenden Klassen und der konstituierten Macht auf sich zog.

Denn sie waren mehr als nur abstrakte Theorien.

Sie zeigten mit ihrem Beispiel, wie jede Anarchistin und jeder Anarchist mit klaren Vorstellungen und dem Mut, danach zu handeln, es heute tut, wie es möglich ist, konkret in eine revolutionäre Richtung zu arbeiten, ohne den eigentlichen Weg des Anarchismus zu verlassen.

Vanzettis These, die auch die der spezifischen anarchistischen Bewegung als Ganzes ist, leugnet nicht den Wert, ja sogar die Notwendigkeit einer konkreten Vereinigung der Arbeiterinnen und Arbeiter als unverzichtbare Grundlage für ihre Emanzipation; aber er will vor der leichten Illusion warnen, dass eine Gewerkschaft/Syndikat oder irgendeine Organisation diese von sich aus konkretisieren kann; noch weniger, wenn sie von Parteien oder Anführern beeinflusst oder genötigt wird. Auch weil Institutionen im Allgemeinen (und unter ihnen auch die Gewerkschaft/Syndikat, die in einer in antagonistische Klassen gespaltenen Gesellschaft entstanden ist) von Natur aus dazu neigen, Zustände aufrechtzuerhalten, die über die kontingenten Bedürfnisse hinausgehen, mit denen sie bei ihrer Entstehung konfrontiert waren, und so ihrerseits ein Hindernis für die Dynamik des sozialen Wandels darstellen. Vor allem aber, weil nur die Praxis der direkten Aktion im Bewusstsein der Arbeiterinnen und Arbeiter allmählich ihre gemeinsamen Interessen verdeutlichen und die Voraussetzungen für eine echte Vereinigung schaffen kann, die somit ein Ergebnis, ein Ziel und keine Voraussetzung ihrer Vereinigung ist.

Es war die alte Warnung des anarchistischen Föderalismus an die autoritären Sektionen der Ersten Internationale, die bereits Ende 1872 auf dem Haager Kongress und dann in Saint-Imier deutlich ausgesprochen worden war. Diese Warnung, deren Unverständnis und Ablehnung das Opfer so vieler vom revolutionären Geist durchdrungener Massen nutzlos machte, die aufgrund dieses anfänglichen Unverständnisses unmerklich in die alten Schemata der politisch-sozialen Organisation, zu deren Bekämpfung sie entstanden waren, zurückgezogen wurden, bis sie jeden revolutionären Charakter verloren.

Dieses Phänomen der Regression war bereits 1923 (als diese Briefe geschrieben wurden) deutlich zu erkennen und Vanzetti gibt uns ein umfassendes Bild davon. Außerdem zeigt schon die Entstehung des Syndikalismus als Forderung nach einer Rückkehr zu revolutionären Methoden, dass der Wechsel von den ursprünglichen Positionen auch innerhalb der Gruppen, die bereits der Ersten Internationale angehörten, wahrgenommen wurde. Das bedeutet nicht, dass die Mittel, um dies zu ändern, unzureichend waren.

Seitdem haben sich viele Fakten angehäuft, die die anarchistische These bestätigen; und die Arbeiterinnen und Arbeiter, wenn sie nicht schon längst die Gewohnheit abgelegt hätten, mit dem eigenen Kopf zu denken, anstatt ihren Predigern immer wieder zu glauben, hätten etwas zum Nachdenken, um zu verstehen, inwieweit ihre kleinen Errungenschaften illusorisch sind und warum ihre Probleme, weit davon entfernt, gelöst zu sein, immer komplizierter werden.

Fangen wir noch einmal von vorne an.

Die Arbeiterorganisation auf internationaler Ebene entstand spontan aus der Übereinstimmung der Interessen und Bestrebungen der Arbeiter aller Länder, die sich gegen die Tyrannei des Kapitalismus richteten. Unterschiedliche Denkströmungen hatten sich demselben Ziel genähert, und die Vitalität der Ersten Internationale beruhte auf dem aktiven Beitrag von Individuen zu Gruppen, von Gruppen zu größeren Vollversammlungen und zu der allumfassenden Organisation auf internationaler Ebene. Die Vielfalt der Ansätze hätte in den freien Debatten der Vollversammlung harmonisiert werden können, wenn das gemeinsame Interesse nicht dem einer Gruppe geopfert worden wäre. Doch Marx und seine Anhänger, unterstützt von einer Ideologie, die das Individuum leugnet und behauptet, es in der Gemeinschaft zu verwirklichen, lehnten diese föderalistische Lösung von Anfang an ab. Sie hielten sie für utopisch und stellten sie mit List und Gewalt der Praxis des autoritären Sozialismus entgegen, der durch die Eroberung der Macht – organisiert von der Zentrale mit eiserner Disziplin – zur Diktatur des Proletariats führen sollte, die als „Übergangsperiode“ betrachtet wurde, um die Gesellschaft freier und gleicher Menschen zu erreichen, nach der alle strebten.

Wir haben gesehen, inwieweit dieser auf Zwang basierende Internationalismus oder Unitarismus vergänglich war, vor allem angesichts des Phänomens „Krieg“, der, obwohl er den Interessen und der Solidarität des internationalen Proletariats im Kern zuwiderlief, nicht nur nicht vermieden, sondern sogar gespalten wurde und die Internationalisten selbst (als Ganzes) in sein Schicksal hineinzog. Letztere verwiesen die Lösung dieses schwerwiegenden Problems auf die Machtergreifung, ohne zu erkennen, dass es gerade die Macht ist, die Kriege hervorbringt. Und als sie sich, Lenin folgend, immer weiter von ihrem ursprünglichen Internationalismus entfernten, akzeptierten sie den Krieg, weil sie dachten, sie könnten die daraus resultierende Krise nutzen, um den Untergang des Kapitalismus herbeizuführen; eine Krise, die natürlich nicht eintrat, da der Krieg schon immer das natürliche Sicherheitsventil zur Überwindung der regelmäßigen ökonomischen Krisen war, denen der Kapitalismus, ob traditionell oder staatskapitalistisch, unterworfen ist.

Letztendlich geben diejenigen, die sich irreführenderweise „Friedensverteidiger“ nennen, ein Lippenbekenntnis zu einer Antikriegspropaganda ab, die, indem sie die wahren Kriegsursachen (d.h. den Staat, den Kapitalismus, die Autorität aller Seiten) ignorieren, zu einem hohlen Akademismus wird; während sie in der Praxis die widersprüchlichste Kriegstreiberei betreiben, indem sie einerseits nationalistische Kriege in Afrika und Asien gegen den westlichen Imperialismus unterstützen und anheizen, andererseits aber den Imperialismus des Ostens verteidigen, der sich nicht von dem anderen unterscheidet und dessen wahres Gesicht seit den schrecklichen Repressionen, dem Verrat und den Massendeportationen des heldenhaften ungarischen Volkes, das sich lediglich des Wunsches nach sozialer Gerechtigkeit und Unabhängigkeit sowohl im Osten als auch im Westen schuldig gemacht hat, niemand mehr ignorieren kann.

Aber nicht nur angesichts des Problems des Krieges brach der autoritäre Sozialismus mit dem Versprechen der Machtübernahme zusammen. Es reicht, seinem Gleichnis in groben Zügen zu folgen, um zu sehen, wie wenig von dem Programm und den Zielen der Ersten Internationale von dieser „pragmatischen“ Tendenz im Gegensatz zum „Utopismus“ der föderalistischen Anarchistinnen und Anarchisten verwirklicht wurde. Die sogenannte „demokratische“ und kollaborationistische Tendenz hat, wenn sie nicht völlig von der Bourgeoisie domestiziert wurde, immer zu Kriegen, zur Repression von Revolutionären und schließlich zu Faschismus, Nazismus, Falangismus, etc. geführt. Die Tendenz, einen „Übergang“ durch die Diktatur des Proletariats anzustreben, ist diejenige, die am weitesten verbreitet war und ist.

Die Tendenz zum „Übergang“ durch die Diktatur des Proletariats, die in Russland am weitesten und konsequentesten angewandt wurde, wo ihre 40-jährige Erfahrung keineswegs nur vorläufig ist, zeigt uns, wie sie zur grausamsten Ein-Mann- und Ein-Parteien-Diktatur geworden ist, wie die Anführer dieser Tendenz selbst in Chruschtschows Bericht an den 20. Kongress der KPdSU gestanden hat. Mit diesen Eingeständnissen sollten die Arbeiterinnen und Arbeiter die unmenschlichen Verfolgungen überdenken, denen die aufrichtigsten und selbstlosesten Revolutionäre in Russland ausgesetzt waren und die von denjenigen als Verräter betrachtet wurden, die wiederum innerhalb der führenden Partei selbst in den regelmäßigen Prozessen auf hoher Ebene zwischen 1934 und 1953 als Abweichler bezeichnet wurden: Denn dies waren Verbrechen, die nicht der Mann, sondern das ganze System verübte (so sehr, dass nicht einmal die Entstalinisierung etwas an seiner schrecklichen Ausrichtung änderte), ohne sich dabei auf die Errungenschaften des Sozialismus im ökonomischen Bereich berufen zu können (vgl. Stalins Erklärungen auf dem 19. Universitätskongress, die Aufstände in Ost-Berlin 1953 und in Polen und Ungarn 1956). Genauso wie der Verrat, der in Spanien innerhalb der revolutionären Front begangen wurde, der nicht auf irgendeine taktische Notwendigkeit zurückzuführen war, sondern nur auf die Sorge um die Hegemonie des russischen Bolschewismus über die anderen politischen Sektoren, eine Sorge, die sich überall in seiner Außenpolitik manifestierte, die der des Zarismus folgte.

Konnte der Syndikalismus diesen Rückschritt ausgleichen?

Graham (der in Vanzettis 3. Brief zitiert wird) bezeugt, dass „… dass die syndikalistische Bewegung im Laufe von kaum zwanzig Jahren zu einer Kopie der Berufsorganisationen geworden ist, und dass die Anarchisten, die zu ihrer Bildung beitragen, nur noch Anführer und Vorarbeiter dieser Organisationen sind.“. Was hat sich in den letzten dreißig Jahren getan, als die Haltungen der einzelnen politischen Sektoren gegenüber dem Problem der Arbeiterinnen und Arbeiter gereift sind? Dort, wo der Kampf noch nicht zur Hegemonie einer Einzelgruppe geführt hat – was im Übrigen das uneingestandene Ziel der so genannten Demokraten ist – haben die verschiedenen Parteien jeweils begonnen, von oben herab eine Gewerkschaft/Syndikate zu gründen, um die Organisation der arbeitenden Massen in ihren jeweiligen Wahl- und Parlamentskämpfen zu nutzen. Ein typisches und aktuelles Beispiel für dieses Phänomen war in Italien – in der letzten Nachkriegszeit – die Gründung der C.G.I.L. von oben durch die Mehrheitsparteien und die anschließende Spaltung (U.I.L., C.S.I.L. und andere kleinere Parteien10).

Dort, wo sich im Gegenteil totalitäre, aus der Konterrevolution hervorgegangene Regime durchgesetzt haben, haben sich die Arbeiterinnen und Arbeiter in der einzigen Gewerkschaft/Syndikat (nazifaschistisch, peronistisch, falangistisch, bolschewistisch) zusammengeschlossen und eingekapselt, die das Maximum an Hochstapelei und Degeneration erreicht hat. Es genügt zu sehen, dass in diesen Regimen, die von den Interessen einer Gruppe zum Nachteil des Kollektivs geschaffen und aufrechterhalten werden, der Klassenkampf – aus dem die Gewerkschaft/Syndikat ihren Ursprung und ihre Daseinsberechtigung bezieht – nicht einmal im Prinzip anerkannt wird. Schließlich ist der Syndikalismus dort, wo besondere historische und soziale Bedingungen es den Anarchistinnen und Anarchisten ermöglicht haben, einen moralischen Einfluss auf die organisierten Massen auszuüben, wie zum Beispiel in der spanischen CNT, in der argentinischen FORA11 usw., zu seiner ursprünglichen revolutionären Ausrichtung zurückgekehrt, NUR FÜR DIE ANARCHISTISCHEN IDEEN, die das Denken und Handeln der Mitglieder angeregt haben. Allerdings ist der syndikalistische Ansatz auch in einem besonders günstigen Umfeld nicht vor voreingenommenen Positionen gefeit, die zwar schwer zu erkennen sind, da sie latent bleiben, aber in entscheidenden Momenten durchaus sichtbar sind und Schaden anrichten können, wie wir während der Spanischen Revolution 1936-38 bei der Beteiligung der CNT, mit den uns bekannten Folgen, gesehen haben.

Diese Erfahrungen zeigen uns, dass die vage Berufung auf die direkte Aktion (wie es der Syndikalismus tut), die das politische Problem überschattet, weder auf der revolutionären Ebene noch für die Einheit der Arbeiterinnen und Arbeiter hilfreich ist: Denn das Problem kann nicht nur ökonomisch verstanden werden, sondern ist im Wesentlichen politisch; und wenn das politische Konzept auf die Eroberung der Macht ausgerichtet ist, kann man auch von der direkten Aktion ausgehen, aber man wird immer zu einer zentralisierten Organisation kommen, die jede individuelle Initiative erstickt und die Ungerechtigkeit wiederherstellt; Wenn die Gewerkschaft /Syndikat Elemente verschiedener politischer Richtungen zusammenbringt, wie es bei der CGIL in Italien der Fall war, ist es offensichtlich, dass jeder versuchen wird, seine eigenen Pläne zum Nachteil der anderen zu verwirklichen, und dass es schon vor der formellen Spaltung keine Aktionseinheit geben kann.

All das hat Vanzetti bereits mit großer Klarheit unterstrichen, und es reicht aus, um unsere Vorbehalte gegenüber dem Syndikalismus zu begründen. Die Konstituierung der imperialistischen Blöcke in Ost und West, die Gefahr eines dritten Weltkriegs, die neue industrielle Revolution, die in Amerika und England mit der Automatisierung bereits im Gange ist, kurzum die brennendsten Probleme der Gegenwart, sowie die Tatsache, dass die Arbeitskräfte mehr denn je gespalten und untereinander zerstritten sind, offenbaren die ideologische Armut der syndikalistischen Organisationen und ihre Unfähigkeit, diese Probleme zu lösen. Insbesondere das „elektronische Gehirn“ mit seiner enormen Produktionskapazität zeigt heute auf unvergleichliche Weise, dass die Notwendigkeit der Verwirklichung einer libertären sozialistischen Gesellschaft eine Frage von lebenswichtiger Bedeutung nicht nur für die Kategorien des Gewerbes, sondern für die gesamte Gesellschaft ist, die vor dem Dilemma zwischen ihrer absolutsten Versklavung und ihrer totalsten Emanzipation steht.

Die gesamte Gesellschaft, und nicht nur die Arbeiterklasse, ist daher aufgerufen, sich diesem Konflikt zu stellen, der von Anarchistinnen und Anarchisten immer als ein Konflikt zwischen Autorität und Freiheit bezeichnet wurde und in dem die Ökonomie nichts anderes als das Herrschaftsinstrument einer Minderheit über die Massen darstellt, sei es, dass diese Minderheit durch den Staat und den Kapitalismus oder durch die Bürokratie der Organisatoren und Verwalter repräsentiert wird, denen die Macht nach und nach übertragen wird. Der technisch-industrielle Fortschritt in Verbindung mit der aktuellen Krise des „wissenschaftlichen Sozialismus“ macht die anarchistische Forderung nach der totalen Revolution, die von unseren praktischen Gegnern bisher als utopisch angesehen wurde, sehr aktuell und fest im individuellen Bewusstsein verankert.

Sind wir also alle Anarchistinnen und Anarchisten? wird der Gesprächspartner einwenden und die These als utopisch bezeichnen. Vanzetti erklärt, dass dies nicht notwendig ist. Und wir möchten hinzufügen, dass, da Anarchie mehr als eine Überzeugung ist, eine Lebensbedingung, die es jedem Menschen erlaubt, im wahrsten Sinne des Wortes er selbst zu sein, die Praxis der direkten Aktion ihr Ziel (das mit theoretischer Propaganda so schwer zu erreichen scheint) viel leichter und breiter erreichen kann, als man sich vorstellt: Das zeigen die historischen Erfahrungen der Ukraine und Spaniens während ihrer jeweiligen revolutionären Perioden, wo ganze Bevölkerungen ohne politische Orientierung, nachdem sie den Staatsapparat mit Gewalt zerschlagen hatten, dem Beispiel der anarchistischen Minderheiten folgten, anarchisch zu leben wussten und diese Lebensweise gegen den Zugriff und die Gewalt der Faschisten und Bolschewiken verteidigten, die sie mit Blut unterdrücken wollten, und den Kampf gegen den Franquismus auch heute noch mit dem Opfer vieler junger Menschen am Leben erhalten.

Mit dem Nachdruck dieser Briefe zu einer Zeit, in der die verschiedenen politischen Zentren den Mythos der syndikalistischen Einheit neu auflegen, um sich von seiner Unbeliebtheit und seinem Scheitern zu erholen und die Kontrolle über die Massen für ihre politischen und parlamentarischen Manöver wiederzuerlangen, wollen wir den Arbeiterinnen und Arbeitern (insbesondere den neuen Generationen, die der Faschismus von den sozialen Erfahrungen ausgeschlossen hat) die notwendigen Elemente bieten, um diese alte Täuschung zu verstehen, die gegen sie reproduziert wird.

[…]

Michela Bicchieri, Januar 1957

Das Vorwort ist aus dem Buch Per l’abolizione di ogni autorita 1927- 2007 Lettere di Bartolomeo Vanzetti su sindacati e sindacalismo, Edizioni Il Picconiere, Villafalletto, August 2007, übersetzt. Bartolomeo Vanzettis Briefe wurden ursprünglich in L’Adunata dei Refrattari in den Ausgaben vom 24. Februar 1923, 24. März 1923, 7. Juli 1923, 17. November 1923, 24. November 1923 und 1. Dezember 1923 veröffentlicht. Sie wurden mit einem Vorwort von Michela Bicchieri in Lettere sul sindacalismo, Edizioni L’Antistato, Cesena 1957, neu gedruckt.


I

Dein letzter Brief, in dem du über Anarchismus und Syndikalismus sprichst, ist äußerst interessant, denn er lädt zum Nachdenken und zur Diskussion über sehr wichtige und dringende Probleme ein.

Du beklagst die allgemeine Verwirrung; ich halte sie für die Hauptursache des gegenwärtigen Unglücks.

Ich erwarte daher deine Zustimmung, die Diskussion, die wir privat abegonnen haben, öffentlich zu führen. Bedenke, dass das Schreiben das einzige Mittel ist, mit dem ich der gemeinsamen Sache dienen kann, und dass mich nichts anderes motiviert als die ehrliche Absicht, mir und meinesgleichen zu helfen. In deiner Antwort widerlegst du mich:

„In deinem letzten Brief sagst du mir, dass der Syndikalismus entweder autoritär oder libertär ist: Wenn er autoritär ist, ist er Sozialismus; wenn er libertär ist, ist er Anarchismus. Ich hingegen bin der Meinung, dass der revolutionäre Syndikalismus weder Anarchismus noch Sozialismus ist, sondern apolitisch, d.h. eine Organisation, in der Menschen verschiedener Tendenzen und Glaubensrichtungen Mitglied sind, die aber als Hauptziel den Syndikalismus, die Abschaffung der beiden Klassen und des Privateigentums, akzeptieren.“

Bevor ich mit der Widerlegung deiner Behauptung beginne, halte ich es für grundlegend und nützlich zu sagen, dass meine Meinung über den Syndikalismus auch die Meinung fast aller Anarchisten ist, und unter ihnen die der ältesten und weisesten Gefährten, deren Worte ich nur in schlechterer Form wiederhole.

Lass uns zur Sache kommen.

Wenn du sagst: „Der revolutionäre Syndikalismus ist eine Organisation“ usw., dann ist klar, dass du die Gewerkschaft/Syndikat und den Syndikalismus als ein und dieselbe Sache interpretierst. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Gewerkschaft/Syndikat nicht der Syndikalismus ist und der Syndikalismus nicht die Gewerkschaft/Syndikat ist. In Wirklichkeit ist der Syndikalismus gerade erst entstanden, während die Gewerkschaft/Syndikat älter ist als Methusalem.

Ein flüchtiger Blick ins Wörterbuch, ein Appell an den gesunden Menschenverstand und eine schnelle historische Untersuchung des betreffenden Themas werden so schnell wie möglich, besser und unwiderlegbar für alle Polemiker klären, wer von uns beiden Recht hat.

In meinem Webster’s Dictionary, dem einzigen erklärenden Wörterbuch, das mir die Vorsehung zur Verfügung gestellt hat, steht síndico12: „1. ein Assistent eines Gerichts, ein Anwalt, ein Magistrat, der in verschiedenen Nationen unterschiedliche Befugnisse hat. 2. ein Beauftragter für Angelegenheiten, ein Mandatsträger“, und so weiter. Dann kommt das Wort Gewerkschaft/Syndikat: „Beruf oder die Zuständigkeit eines síndicos13; Rat oder Gremium der sindicados14. 2. eine Assoziation von Personen, die befugt sind, über eine Sache zu verhandeln oder ein industrielles oder finanzielles Projekt zu organisieren“.

Was den Syndikalismus angeht, an den du glaubst, den Syndikalismus, der zu jung ist, um zu den „kriminellen Assoziationen“ gezählt zu werden, unter den Ausnahmegesetzen, aber alt genug, um von der vorsehenden Magistratur dieser verdammten Republik als krimineller Syndikalismus definiert zu werden: Diesem Syndikalismus verweigert mein Wörterbuch die Ehre der Gastfreundschaft (vielleicht aus Ignoranz, vielleicht aus… Vorsicht) und schweigt. Aber jeder von uns weiß, auch in der Sprache der Arbeit, dass das Wort Gewerkschaft/Syndikat ein Synonym für Zusammenschluss und Organisation ist. Jeder weiß, dass es auf der Welt finanzielle, industrielle, kommerzielle und proletarische Gewerkschaften/Syndikate gibt. Deshalb bedeutet das Wort Gewerkschaft/Syndikate, unabhängig vom Zweck der Gewerkschaften/Syndikate, nur Assoziation, weshalb sie keinesfalls eine Doktrin, ein Zweck, sondern ein Mittel sein kann.

Das bisschen Geschichte, das ich kenne, versichert mir, dass diese verschiedenen Arten von Gewerkschaften/Syndikate schon in der freien und verbündeten Stadt des antiken Griechenlands existierten, dass sie ins heidnische Rom übergingen, dass sie während des psychologischen Terrors der ersten christlichen Jahrhunderte einen rein religiösen und kirchlichen Charakter annahmen, um später zurückzukehren und in das zivile Leben des Mittelalters hineinzuschnuppern, wo sie sich wunderbar entwickelten, und dass sie, extrem unterdrückt durch den Aufstieg des Staates und durch die Forderungen der entstehenden Großindustrie, wütend ihr Haupt erhoben und sich in der Ersten Internationale behaupteten. So viel zur Arbeit.

Der gesunde Menschenverstand versichert uns, dass Gewerkschaften/Syndikate in der dumpfen, ignorierten oder halb ignorierten Gesellschaft der fernen Vergangenheit existierten. Denn sie sind das spontane und unvermeidliche Produkt von Antagonismen zwischen Klassen und Individuen; Antagonismen, die jeder irrationalen menschlichen Gesellschaft eigen sind, die nicht weiß oder nicht will, wie sie das Wohlergehen und die Interessen des Individuums mit denen des Kollektivs in Einklang bringen soll, und in der jedes Individuum sein eigenes Wohlergehen nicht mehr in Solidarität und Gleichheit, sondern in Macht und Ausbeutung sucht.

Die verschiedenen Gewerkschaften/Syndikate sind also ein Produkt dieser verfassungsrechtlichen Plage, auf der vergangene Halbzivilisationen aufgebaut waren und durch die die heutige Zivilisation auf den Abgrund zu galoppiert. Man kann also behaupten, dass es die proletarische „Gewerkschaft/Syndikat“ (in verschiedenen Formen und Aspekten) schon immer gegeben hat und so lange geben wird, bis der Mensch die unglücklich unvollkommenen gesellschaftlichen Verhältnisse überwunden hat – oder nur abgemildert und auf weniger als eine Bestie reduziert wird -, die der Ursprung der schrecklichen Folgen dieser gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Das soll nicht heißen, dass die Gewerkschaft/Syndikat die Probleme, die ihre Mitglieder plagen, aus eigener Kraft lösen kann, ganz im Gegenteil. Aus dieser unbestreitbaren Wahrheit geht also hervor, dass die alte Gewerkschaft/Syndikat nicht der junge Syndikalismus ist.

Wann entstand dieser und was ist der Syndikalismus?

Du weißt genau, dass es Sorel war, der den Syndikalismus theoretisiert und organisiert hat. Wer war Sorel und wie, wann und wo hat er sein Werk dargelegt?

Sorel war ein Anarchist, zumindest bevor er sich dem Syndikalismus zuwandte; er wurde in Frankreich geboren und lebte dort. Zu Beginn seiner pro-syndikalistischen Aktivität waren die Arbeiterorganisationen in Frankreich, die fast vollständig von der sozialistischen Partei beherrscht wurden, von ihr in die Sackgasse des Wahlkampfes und der halbherzigen Agitation für unmögliche Reformen und Verbesserungen gezogen worden.

Sorel sagte damals, dass es weder klug noch gesund für das Proletariat ist, den parlamentarischen Fakiren wie Schafen zu folgen – in mehrere neutrale Organisationen gespalten zu bleiben, gleichgültig, wie feindlich sie einander sind -, die unter der Ferse der Bourgeoisie stehen und sich doch nach völliger Befreiung sehnen. Die Direkte Aktionen, eine einzige Vereinigung, proletarisches Bewusstsein und proletarische Bildung: Das sind die Mittel. Die Abschaffung des Privateigentums, die soziale Verwaltung durch die Arbeiter: Das sind die Ziele. Das ist es, was Sorel sagte, das ist es, was die anderen Verteidiger des Syndikalismus sagten. Aus historischen, umweltbedingten, ökonomischen und psychologischen Gründen, die leicht zu erklären sind, schlug der Syndikalismus in Frankreich Wurzeln, entwickelte sich schnell und hatte vorübergehend Erfolg.

Nicht, weil er beschloss, loszuziehen und das bereits organisierte Arbeiterelement zu erobern – auf diesem Gebiet gewann er eher wenig -, sondern weil er die Unterstützung der Parias der Arbeit gewann. Dann überquerte er das Meer, die Flüsse und die Berge, die Frankreich abriegeln und einschließen, und breitete sich in der ganzen Welt aus. Und überall erreichte er dasselbe: Es gelang ihm nicht, eine Fraktion des bereits organisierten Proletariats für sich zu gewinnen, sondern er bildete sich aus den neuen Organisationen, die aus primitiven Elementen bestanden.

Du siehst: Alles, was Sorel und die ersten Syndikalisten sagten, ist nur ein Teil dessen, was schon lange vor den Syndikalisten und den Anarchisten der Ersten Internationale gesagt wurde.

Die Sozialisten änderten schnell ihren Ton, aber die Anarchisten wurden und werden nie müde, die guten alten Gründe zu wiederholen, die durch ein halbes Jahrhundert an Beweisen, Studien und Erfahrungen (logischerweise) modifiziert wurden.

Wer könnte guten Gewissens leugnen, was der Syndikalismus allein aus dem Sozialismus und dem Anarchismus bezieht?

Aber besitzt der Syndikalismus ein eigenes Projekt, eine eigene Vision für die Zeit nach der Revolution, die ihn von den anderen sozialistischen Schulen unterscheidet und ihm einen eigenen Charakter verleiht?

Soweit ich weiß, strebte der Syndikalismus, oder besser gesagt die Syndikalisten, eine soziale Republik an, wie die alten Sozialisten, wie die Mazzinianer15 und, wie es scheint, auch wie die Anarchisten in der Vergangenheit. Es stimmt, der Syndikalismus hat seit jüngster Zeit seine intellektuellen Theoretiker, die die sprichwörtlichen sieben Hemden schwitzten16, um Unsinn auszuarbeiten, der nicht immer lustig und harmlos war. Diese Omenoni17 versuchten, den Syndikalismus einen Charakter, eine Physiognomie, ein eigenes Ziel zu geben, auch wenn sie für die neue Aufmachung auf den Ballast der alten Schulen zurückgreifen mussten, und ein bisschen…. ja, des Germanismus, das jetzt im national-römischen syndikalistischen Faschismus von il divo Mussolini und seinem würdigen… errötenden Rossoni18 verwurzelt ist.

Trotz des guten Willens sowie eines ebenso frommen wie kleinlichen Unilateralismus kamen diese Theoretiker mit langen Ärmeln bei ihrem unrealistischen Versuch schlecht weg. Denn wo platzieren sie die Landwirtschaft, das erste Lebensbedürfnis und die einzige Grundlage der Gesellschaft, und ist es wahr, dass der Industrialismus an sich den Vorzug hatte, die Menschen zu verbessern und glücklich zu machen? Außerdem, welche sozialistische Schule versucht nicht, zumindest in ihrem Diskurs, den Arbeitern die Leitung der Industrie zu übertragen?

Du magst mir entgegenhalten, dass die Sozialisten sich für einen zentralisiert gelenkten Staat einsetzen, während die Anarchisten von freien Kommunen, freier Assoziation und individueller Initiative sprechen, und dass aus beiden Hypothesen das Konzept der direkten Leitung der Industrie durch das Können der Arbeiter hervorgeht.

Was die etatistischen und autoritären Sozialisten angeht, so lasse ich die Fakten für sich selbst sprechen, triefend vor Tränen und Blut gemischt mit Scham. Was die Anarchisten angeht, so sage ich schnell, dass es, egal ob es sich um eine freie Gemeinschaft, eine industrielle Initiative oder eine freie Assoziation handelt, immer um die Arbeiter geht; nach der Revolution ist klar, dass alle in einer Gesellschaft von Gleichen Produzenten sein müssen.

Aber ist es wahr, dass die Syndikalisten die Autonomie für heute und für die Zeit nach der Revolution fördern? Ich habe sowohl anarchistische Syndikalisten als auch sozialistische, autonomistische und zentralistische Syndikalisten kennengelernt, bei denen die Revolution nur ein Wunsch ist. Außerdem habe ich einige gekannt, die je nach Ort, Zeit und Wind erst Autonomie, dann Zentralismus, dann wieder Autonomie, dann unfallbedingt unpolitisch, dann politisch, dann… angenommen haben, ich lasse es hier, um nicht böswillig zu erscheinen. Und die Massen sind immer ihren verdammten Hirten gefolgt.…

In Russland, wo die Revolution triumphierte, bekämpften die Syndikalisten die Zentralregierung nur auf der Ebene der Industrie und nicht auf der Ebene der lokalen Autonomie, während die Menschewiki seltsamerweise an der Seite der Anarchisten für die Unabhängigkeit der Kommunen kämpften. Das ist wahr. Und? Dann kann der Syndikalismus libertär oder autoritär sein. Wenn er libertär ist, ist er Anarchismus, wenn er autoritär ist, ist er Sozialismus. Ich sollte weitermachen, aber ich bin fertig. Ich werde darauf zurückkommen.

Mit freundlichen Grüßen,

L’Adunata dei Refrattari, 24. Februar 1923

II

Die Meinungen über den Syndikalismus sind zahlreich, vielfältig und widersprüchlich. Die einen halten ihn für Anarchismus, die anderen für Sozialismus, kurzum, sie halten ihn für eine eigenständige Doktrin mit eigenen Theorien, Mitteln und Zielen.

Was ist er in Wirklichkeit?

Wie ich bereits im ersten Schreiben sagte, gibt es unter den Syndikalisten diejenigen, die es als libertär und diejenigen, die es als autoritär halten; diejenigen, die die syndikalistische Autonomie hier und jetzt anstreben, und diejenigen, die die Politik nach der Revolution anstreben; diejenigen, die Zentralität und Autoritarismus sowohl für jetzt als auch für nach der Revolution anstreben.

Tatsache ist, dass es die Personen sind, die die Doktrinen erschaffen (daher, wenn sie einmal erschaffen sind, sind es die Doktrinen, die die Personen erschaffen), weshalb der Syndikalismus, wie jede andere theoretische Schule, das ist, was die Syndikalisten daraus machen und sich verändert, wenn sich die Syndikalisten verändern.

Die Massen folgen eher den Personen als den Ideen. Der Grund dafür ist klar. Die Massen sind extrem unwissend und ständig von den Problemen des Lebens isoliert, die sie nicht zu lösen wissen. Es ist daher mehr als logisch, dass diejenigen, die nicht wissen, wie man rechnet, und die das Bedürfnis haben, dies zu tun, sich auf den Buchhalter berufen und sich an ihn wenden. Deshalb ist das Volk das ewige Opfer von Politikern, Priestern, Militarismus, Sklavenhändlern, den verdammten Hirten, und entgegen der grausamen tausendjährigen Erfahrung hat es sich noch nicht entschlossen, sich zu emanzipieren, auf eigenen Füßen zu stehen. Deshalb sind die syndikalistischen Anführer überall dort, wo sie ihr Hemd gewechselt19 und den Rubikon20 überquert haben, ihnen blindlings gefolgt und von dort zum Aufruf zur Abstimmung, zur Spaltung und zur Unterstützung des Krieges, sowohl des libyschen21 als auch des Weltkrieges. Das Schlimmste ist, dass nach so vielen Purzelbäumen und Pirouetten, Rücktritten und Inkohärenz, nachdem sie die vergifteten Früchte gepflückt haben, die durch den Verrat ihrer Bosse und durch ihre eigene Ignoranz gereift sind, die Herdenmenschen, auch wenn sie rückwärts gehen, sich selbst davon überzeugen, dass sie bewusster, revolutionärer und näher an der Wahrheit sind als zuvor. Das gilt für den Syndikalismus genauso wie für den Sozialismus. Um nur ein Beispiel zu nennen, muss man nur den Fall De Ambris und das Verhalten der französischen Confédération générale du travail (CGT) während des Krieges anführen. Als Marx die Sache des Proletariats ruinierte, indem er die Eroberung der öffentlichen Macht einführte, änderten auch seine Herdenmenschen, die jahrelang die revolutionäre Intransigenz guthießen, ihre Meinung und stimmten ihm zu. Später, als das Fehlverhalten die sozialistischen Parteien zu regelrechten Agramante-Lagern22 machte, folgten die Massen ihren unzuverlässigen Anführern blindlings, wohin auch immer ihre persönlichen Interessen sie führten. Wo Ferri regierte, folgten die Untertanen Ferri23; wo die Giuffrida und Podrecca regierten, folgten die Untertanen den Giuffrida und Podrecca24.

Ich fasse zusammen und komme zum Schluss: Der Syndikalismus veränderte und verändert sich von Ort zu Ort und von Epoche zu Epoche, je nach denjenigen, die sie verkörpern, und der Art des historischen Moments.

Für mich kann der Syndikalismus jedoch nur Anarchismus oder autoritärer Sozialismus sein.

Wenn die Mitglieder einer Gewerkschaft/Syndikat nach wahrer Freiheit streben und für die Abschaffung jeglicher Autorität kämpfen, ist der Syndikalismus Anarchismus; aber wenn die Mitglieder einer Gewerkschaft/Syndikat eine proletarische Diktatur oder einen zentralisierten Staat anstreben, ist der Syndikalismus Staatssozialismus. Findest du das nicht auch?

Du sagst, dass der Syndikalismus apolitisch ist. Manche Leute denken das Gleiche über den Anarchismus. Das scheint mir ein Missverständnis zu sein, es sei denn, mit „apolitisch“ ist die einfache Verneinung des Parlamentarismus und anderer Formen der Klassenzusammenarbeit gemeint. Der Anarchismus hat ein politisches Ziel; was auch immer der Syndikalismus ist, als ökonomische Doktrin muss er ein politisches Ziel haben.

Wir streben einen umfassenden ökonomischen Wandel an, und ein umfassender ökonomischer und sozialer Wandel bedeutet und erfordert einen totalen politischen Wandel.

Denn das Wort Politik bedeutet nicht nur die Kunst, das Volk zu betrügen und zu beschwindeln; Politik bedeutet auch Verwaltung, Beziehung.

Tatsächlich streben wir eine Gesellschaftsform an, in der die Freiheit der Individuen, Gruppen, Kommunen und Konföderationen gewährleistet ist. In einer gerechteren und rationaleren Gesellschaft könnte die Politik auf eine einfache Berechnung oder auf viele Berechnungen reduziert werden. Die Notwendigkeit einer Vertretung würde verschwinden. Die einzigen politischen Repräsentanten sollten die sein, die durch kausale Zufälligkeiten erforderlich sind, und sollten für jede Willkür entlassen werden, sollten konkrete Anweisungen haben, sollten nur diejenigen vertreten, die sie delegiert haben – ich sage delegiert, nicht gewählt – und sollten widerrufbar sein.

Das ist der politische Teil des Anarchismus, um den ökonomischen Teil zu garantieren und zu schützen. Das Land für den Bauern, die Mine für den Bergarbeiter, das Schiff für die Seeleute, die Züge für die Eisenbahner und die Fabrik für den Arbeiter.

Mit anderen Worten: Wir Anarchisten wollen, dass die Transportmittel, die Rohstoffe, das Land und die Arbeitsmittel den Arbeitern gehören, die gleichzeitig die Produzenten und Verwalter ihrer Produkte sein müssen. Genau deshalb sind wir politisch: Wir negieren die gegenwärtige politische Form ab und schlagen eine andere vor, die einzige, die die Erde aus den Händen der Politiker befreien kann.

Du sagst: „Der Syndikalismus ist eine Organisation, der Menschen verschiedener politischer Tendenzen und unterschiedlicher Glaubensrichtungen angehören, die aber als Hauptziel des Syndikalismus die Abschaffung des Privateigentums und der beiden Klassen akzeptieren“.

Glaubst du, dass „Menschen verschiedener politischer Tendenzen und unterschiedlicher Glaubensrichtungen“ die „Abschaffung des Privateigentums und der Klassen“ akzeptieren können?

Nein, das glaube ich nicht; das ist nicht möglich, denn beides führt zu einem: Entweder ist man für Freiheit und Kommunismus, oder man ist für Privateigentum, Autorität und organisierte Gewalt zur Verteidigung von Privilegien.

Unbewusst zu sein bedeutet nicht, dass man nicht reaktionär und unehrlich ist; im Gegenteil, es bedeutet, dass man sich nicht bewusst ist, dass es so ist, oder dass etwas schädlich wird, oder dass man glaubt und erwartet, dass es zum Vorteil wird. Ich spreche von allen Menschen im Allgemeinen, aber von Arbeitern im Besonderen.

Du sagst: „Ich bin ein Anarchist, was das Endziel angeht, aber als Mittel des Kampfes, das sage ich dir ganz ehrlich, scheint mir der Syndikalismus der einfachste Weg zur Abschaffung der Ausbeutung zu sein“.

Und du fügst hinzu: „Da die Mentalität der Arbeiterklasse sich negiert, ein so erhabenes und großartiges Ideal wie den Anarchismus zu verstehen, sollten wir wenigstens versuchen, ihnen klarzumachen, dass sie nicht ihr ganzes Leben lang Knechte sein sollten“.

Goldene Worte, aber die Realität ist nicht ganz so; die Realität ist größer, tiefer, komplexer, dunkler und auch schöner.

Wenn es eine Sache gibt, die man aus der bitteren Erfahrung des Lebens lernen kann, dann ist es, dass es keinen Arbeiter mehr gibt, ob Sklaven oder Leibeigenen, dem die Hoffnung nicht zulächelt. Der übergroße Eifer des Lebens hat die Stimmen der Instinkte des Herzens und der Intelligenz gebrochen, nicht das Vermögen der Hoffnung und Verzweiflung. Der einzige Unterschied ist, dass Freiheit und Glück auf unterschiedlichen Wegen, mit unterschiedlichen Mitteln, Kriterien und Vorstellungen angestrebt werden.

Während der bewusste Arbeiter die Fesseln des Verstandes und des Geistes sprengt und seine Befreiung in Freiheit und Gerechtigkeit sucht, betätigt sich der korrupte Arbeiter als Spitzel und Henker seiner Gefährten, sucht und hofft, Wohlstand und Unabhängigkeit in der Ausbeutung zu erlangen; und die großen Massen, unterdrückt und geschwächt durch Kummer, Elend und säkulare Verrohung, versunken in Ignoranz und Aberglauben, fügen sich gleichgültig dem Stock und der Peitsche und gehorchen blindlings.

Die Aufgabe der Revolutionäre ist es, dem Proletariat auf dem Weg zur Emanzipation vorauszugehen, ihm den Weg zu leuchten, die Fackel der Wahrheit zu tragen und mit gutem Beispiel voranzugehen.

Wir müssen das Gute in den Herzen der Unterdrückten kultivieren und verhindern, dass die bösen Absichten der Politiker und ihrer Demagogen ihnen in die Quere kommen.

Es ist zwingend notwendig, die grundlegenden Wahrheiten des Anarchismus zu lehren, die, wenn sie gelehrt werden, auch den einfachsten Gemütern der Menschen zugänglich sind.

Du glaubst an Organisation, ich nicht. Aber das bedeutet nicht, dass ich zu oberflächlicher Kritik greife.

Du glaubst und ich sage dir in brüderlicher Weise: Mach weiter, beobachte, hinterfrage, lerne, analysiere und verbreite die geglaubte Wahrheit. Aber denk daran, dass alles, was die Revolte und die Freiheit nicht fördert, sie behindert.

Wenn ich etwas mehr Zeit zur Verfügung habe, werde ich dir von den Gewerkschaften/Syndikate der Arbeiter erzählen und dir erklären, warum ich nicht an ihre Gutmütigkeit glaube.

Mit freundlichen Grüßen,

L’Adunata dei Refrattari, 24. März 1923

III

Nach meinem zweiten Brief über Syndikate und Syndikalismus schreibst du mir:

„Dein Urteil über den Syndikalismus erscheint mir ungerecht, und um es dir zu beweisen, schicke ich dir einige anarchistische Schriften.

Natürlich wärst du meiner Meinung nach ein ‚Anarchist‘ und kein ‚anarchistischer Syndikalist‘.“

Wer hingegen sieht nicht den Anspruch der Unbeschreiblichkeit? Komm schon! Trotzdem bin ich von der Wahrhaftigkeit all dessen überzeugt, was ich über den Syndikalismus behauptet habe. Und mindestens fünfzehn Jahre Lernen, Erfahrung, Beobachtung und Tätigkeit in der Arbeiterbewegung haben mich davon überzeugt.

Ich weiß: Ein aufrichtiger Glaube, gewohnte Konventionen und diejenigen, die dieses und jenes vertreten und zum Ausdruck bringen, liegen jedem geselligen Menschen am Herzen; und es tut ihm immer in den Ohren weh, wenn Kritik diesen Glauben, diese Konventionen und diese Menschen angreift, analysiert, hinterfragt und erschüttert.

Aber nur durch die außergewöhnliche Leidenschaft des Geistes kann der Mensch die himmlische Freude schmecken, sich der Wahrheit zu nähern, sie zu erobern. Und Wahrheit, mein Freund, ist Emanzipation. Wahrheit ist Freiheit, und je mehr sich der Mensch emanzipiert, desto mehr erobert er die grundlegende Wahrheit seines Seins und des universellen Seins.

Die Anforderungen des Briefformats dieser Dissertation über den Syndikalismus zwingen mich dazu, mich auf Behauptungen und Tatsachenfeststellungen zu beschränken.

Da ich außerdem versprochen habe, über die auf dem Berliner Kongress (1921) beschlossene Anarchistische Internationale (!?) zu sprechen, werde ich hier einen großen Teil dessen wiedergeben, was der Gefährte F. S. Graham im Artikel „Che cosa apettarsi da un altro Congresso Anarchico“ [Was von einem weiteren anarchistischen Kongress zu erwarten ist], der in den Ausgaben 11 und 12 von L’Adunata veröffentlicht wurde, über diesen Kongress sagt.

Und das tue ich gerne, denn der Gefährte Fred Graham bestätigt und erweitert nicht nur, was ich oben bereits über die Beziehung zwischen Anarchismus und Syndikalismus gesagt habe, sondern ist auch ein Gelehrter und ein Polyglott – zwei Eigenschaften, die ihn kompetent machen.

Der Internationale Anarchistische Kongress in Berlin verdient es aus mehreren Gründen nicht, als solcher bezeichnet zu werden.

Hier sind die wichtigsten Gründe:

„Der Berliner Kongress ging aus einer ausdrücklichen antimilitaristischen Erklärung hervor, überging aber stillschweigend den Interventionismus von Pjotr Kropotkin, Jean Grave25 und einigen anderen, aber bedeutenden Anarchisten. Diese Tatsache hinterließ den Eindruck, dass die anarchistische Bewegung nicht einstimmig gegen den Krieg war. Es war daher notwendig, einen energischen, präzisen und einmütigen Standpunkt gegen den bourgeoisen Krieg einzunehmen, um den Unterstellungen entgegenzuwirken, die unsere Feinde gegen die Befürchtungen der Massen zu erwecken versuchen. Dies wurde nicht getan; und diese Trennung zwischen den Anarchisten und den Massen, die durch den Interventionismus einiger weniger Gefährten entstanden ist, dauert an.

Der Kongress hat den proletarischen Massen nicht erklärt, warum und wie die kurzzeitige Zusammenarbeit der russischen Anarchisten mit der bolschewistischen Regierung, die kurzzeitige Unterstützung Gefährten verschiedener Nationen (mit einigen Ausnahmen) mit der bolschewistischen Regierung und die Zusammenarbeit der Anarchosyndikalisten, die fast ausschließlich bis März 1921 mit der bolschewistischen Regierung zusammenarbeiteten, zustande kam. Eine solche Erklärung war mehr als notwendig, um den Schaden wiedergutzumachen, der der anarchistischen Bewegung durch das Verhalten der Anarchisten selbst in der Anfangsphase der Russischen Revolution zugefügt worden war. Gerade damals, als sie im völligen Gegensatz zu ihrem Ziel und zur Realität mit dem Aufbau der roten Tyrannei kollaborierten, verschleierten sie die anarchistischen Prinzipien, verwirrten den Geist der einfachen Leute und erschütterten das bereits gewonnene Vertrauen.

Der Berliner Kongress begrüßte (und tat gut daran) einen Delegierten, der eine Bewegung vertrat, die auf den Einsatz von Terror verzichtet und Enteignung und Gewalt anprangert, aber ein sibyllinisches Schweigen bewahrt, das weder zustimmend noch ablehnend ist. Auf diese Weise machte es der Berliner Kongress der Kommunistischen Internationale leichter, sich gegenüber dem internationalen Proletariat als die einzige revolutionäre Bewegung zu verkünden und die anarchistische Bewegung als pazifistisch zu brandmarken.

Der Kongress hat sich nicht dazu geäußert, ob es für die Befreiung der Tausenden von anarchistischen Gefährten, die in kapitalistischen… und sozialistischen Gefängnissen sitzen, nicht effektiver ist, revolutionäre statt legale Methoden anzuwenden.

Die individualistischen Anarchisten wurden auf dem Kongress nicht so behandelt, wie sie es verdient hätten. Die Aktion, die gegen die individualistischen Anarchisten in Deutschland ergriffen wurden, konnten nur Feindseligkeit hervorrufen; und sie rechtfertigen die gewalttätigen Angriffe der anarcho-individualistischen Presse in Italien, Deutschland und Spanien.

Mit ruhiger Unvoreingenommenheit führt der Autor das oben erwähnte Scheitern des Berliner Kongresses eher auf die historische Natur des Moments zurück, in dem er stattfand, als auf die Schuld der Menschen, die ihn konstituierten.

In jedem Fall bleiben die Tatsachen bestehen, und wenn wir dazu noch die gegenwärtige Feindseligkeit gegenüber dem Syndikalismus seitens derjenigen, die ihn früher befürwortet haben, und das schädliche und zerstörerische Wirken der gegenwärtigen Reaktion hinzufügen, sieht der Berliner Kongress wie ein Akt des guten Willens (im besten hypothetischen Fall), aber wie eine historische Farce aus, von der wir uns mit dem einfachsten gesunden Menschenverstand nichts erwarten dürfen.

Hier ist also eine kurze und synthetische Darstellung des Schadens, den der Syndikalismus dem Anarchismus zugefügt hat. Graham stellt fest:

„Ein weiterer Punkt, der der anarchistischen Bewegung wahrscheinlich den größten Schaden zugefügt hat, ist der Syndikalismus.

In Frankreich, wo er seinen Ursprung und seinen größten Einfluss hat, wurde (der Syndikalismus) von einer revolutionären Organisation, die die soziale Revolution herbeiführen sollte, zu einer Vereinigung von Berufen. In seinen Reihen finden sich viele aktive Anarchisten, die von ihren Gefährten schon seit einiger Zeit als Abtrünnige betrachtet werden.

In Italien wurde die syndikalistische Bewegung am Ende des Krieges unerwartet zu einem mächtigen Faktor. Hinzu kam der Einfluss der Rückkehr von Malatesta. Indirekt half ihm der kämpferische Syndikalismus. Zwei Jahre später kehrte Malatesta zu seiner früheren aktiven Opposition gegen den Syndikalismus zurück und bezweifelte den Wert einer anarchistischen Beteiligung selbst in der einfachen Zunft.

In Deutschland wurde der Syndikalismus ebenso wie in Italien am Ende des Krieges gestärkt. Auch hier profitierte die Bewegung dank der Unterstützung des Gefährten Rudolf Rocker, der sie zunächst ablehnte, von dem Aufschwung.

Drei Jahre später sieht sich der anarchosyndikalistische Kongress mit einer Opposition konfrontiert, die darauf hinweist, dass der Syndikalismus zu einer zentralisierten Organisation geworden ist, dass einige seiner Mitglieder an politischen Wahlen teilnehmen, der Kirche helfen und wie Kritik von seinen Anführern aufgenommen wird.“

Nach einer akribischen Untersuchung des mehr oder weniger falschen Charakters der anarchosyndikalistischen Bewegung in Spanien, in Argentinien, in China, Bulgarien, Norwegen und Holland, erinnert Graham:

„Andererseits sollte daran erinnert werden, wie in den zitierten Beispielen bewiesen wird, dass die syndikalistische Bewegung im Laufe von kaum zwanzig Jahren zu einer Kopie der Berufsorganisationen geworden ist, und dass die Anarchisten, die zu ihrer Bildung beitragen, nur noch Anführer und Vorarbeiter dieser Organisationen sind.

Und der Berliner Kongress gab der anarchosyndikalistischen Bewegung seine volle Unterstützung und wurde so zum moralischen Verteidiger aller ihrer Ansprüche in der Welt.“

Zwei sehr schmerzhafte Wahrheiten gehen aus dieser nackten Realität hervor: Die Beteiligung am Syndikalismus untergräbt den Charakter der Anarchisten, der Anarchismus wird verkleinert und hört auf, sich gemäß seiner Natur als universelle Lehre unaufhörlich zu entwickeln.

Was ist von der auf dem Berliner Kongress beschlossenen Internationale zu sagen?

Es ist höchst demoralisierend, dass intelligente Menschen wie diejenigen, die am Kongress teilgenommen haben, bis heute an die Verkündung einer Internationale glauben können!

Das Gefühl und das Konzept des Internationalismus können nicht per Dekret begüngstigt werden. Der Internationalismus entspringt dem Herzen und dem Geist des Menschen, und je mehr sich das Individuum entwickelt, stärkt und arbeitet, desto mehr erwirbt es Wissen und Sensibilität. Erziehung deshalb, und nicht Dekrete oder Tagesordnungen, nutzlos, wo Bewusstsein und Wille vorhanden sind, machtlos, wo Unbewusstheit und Ignoranz herrschen.

Du sagst:

„Ich stimme zu, dass der Syndikalismus nicht das Syndikat ist, dass er kein eigenes Ziel hat, dass er aus dem Sozialismus und Anarchismus kommt und dass er nichts anderes als ein Mittel zur Anarchie ist.“

Für dich, Syndikalist-Anarchist, mag das Syndikat nur „ein Mittel zur Anarchie“ sein, aber für die Mehrheit der Syndikalisten, unter denen sich bekennende und nicht bekennende Autoritäre befinden, die in Wirklichkeit wenig von Anarchie hören wollen, ist der Syndikalismus ein Selbstzweck: Er genügt sich selbst.

Als ob das Problem des Lebens selbst in den engen Grenzen einer unsicheren sozialistischen Theorie eingedämmt und gelöst werden könnte, wie es der Syndikalismus anstrebt.

Ich kann deine Ansicht, dass der Syndikalismus „ein Mittel zur Anarchie“ ist, nicht teilen. Die Gründe dafür habe ich bereits in diesem und im vorherigen Brief dargelegt.

Aber du fährst fort:

„Wir, die Syndikalisten-Anarchisten, bündeln all unsere geistigen und körperlichen Kräfte, um die Abschaffung des Privateigentums – der Hauptursache des sozialen Übels – zu erreichen, und wir nehmen in unseren Syndikaten alle Arbeiter auf, die danach streben, selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung sie angehören.“ Und ich denke, das ist weder Sozialismus noch Anarchismus.

Jedes Wort hat seine Bedeutung, oder? Nun, um ein System „Anarchie“ zu nennen, müsste es ausschließlich aus Anarchisten bestehen.

Aber wenn die Mentalität der Mehrheit nach der Abschaffung des Privateigentums immer noch weit von der schönen anarchistischen Philosophie entfernt ist, wie würdest du dann ein solches System nennen?“

Wenn ich über die Bedeutung der zitierten Passage in deinem Brief nachdenke, denke ich, dass du den Syndikalismus von Sozialismus und Anarchismus unterscheiden willst, nicht wegen ihrer theoretischen Unterschiede, auch nicht wegen der Unterschiede in ihren Methoden und Zielen, sondern weil:

1. Ihr nehmt in euren Syndikate alle Arbeiter auf, die selbst die Kontrolle über ihre Produkte haben wollen, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung sie angehören, und das ist weder Sozialismus noch Anarchismus.

2. Weil du eine Übergangszeit nach der Revolution vorhersagst, in der, wenn „das Privateigentum abgeschafft ist, die Mentalität der Mehrheit noch weit von der schönen anarchistischen Philosophie entfernt ist“, wäre das weder Sozialismus noch Anarchismus.

Diese Behauptungen von dir verdienen es, diskutiert und erläutert zu werden, aber da dein letzter Brief mich zu Abschweifungen und Beteuerungen verleitet hat und dieser Brief schon zu lang ist, werde ich die Diskussion in einem anderen Brief von mir weiterführen und bedauere, dass ich das Versprechen, das Thema in diesem Brief abzuschließen, nicht einhalten konnte.

Mit freundlichen Grüßen,

L’Adunata dei Refrattari, 7. Juli 1923.

IV

Wie du dich erinnern wirst, habe ich am Ende meines letzten Briefes einige Absätze aus einer deiner Antworten zitiert. Ich habe eine Schlussfolgerung gezogen und am Ende Fragen gestellt, die geklärt und diskutiert werden sollten. Da ich mir aber so viel Zeit gelassen habe, wäre es gut, wenn ich sie wiedergebe, bevor ich mit der Diskussion und Klärung beginne.

Also:

1. „Wir, die Syndikalisten-Anarchisten, bündeln all unsere geistigen und körperlichen Kräfte, um die Abschaffung des Privateigentums – der Hauptursache des sozialen Übels – zu erreichen, und wir nehmen in unseren Syndikaten alle Arbeiter auf, die danach streben, selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung sie angehören.“ Und ich denke, das ist weder Sozialismus noch Anarchismus“.

2. „Nun, um ein System „Anarchie“ zu nennen, müsste es ausschließlich aus Anarchisten bestehen. Aber wenn die Mentalität der Mehrheit nach der Abschaffung des Privateigentums immer noch weit von der schönen anarchistischen Philosophie entfernt ist, wie würdest du dann ein solches System nennen?“

Aus deinen Argumenten entnehme ich, dass der Syndikalismus für dich „ein Mittel zur Abschaffung des Privateigentums ist; sobald die Revolution gewonnen hat, ein Mittel zur Anarchie.“

Und nun, da wir unser Gedächtnis aufgefrischt haben, wollen wir sehen, ob deine Argumentation den Tatsachen und der Wahrheit entspricht und ob der Syndikalismus wirklich das Mittel der Vorsehung ist, für das du ihn hältst.

Der erste der beiden oben wiedergegebenen Absätze ähnelt dem in deinem Brief, auf den ich mit dieser bescheidenen Abhandlung über Syndikate und Syndikalismus geantwortet habe, um vor allem zu zeigen, dass der Syndikalismus entweder ein autoritärer Sozialismus oder ein libertärer Sozialismus, also Anarchismus, sein kann und dass der Syndikat kein Syndikalismus ist. Dann habe ich, gezwungen durch die Natur des Themas und die logischen Konsequenzen der Argumentation, gezeigt, dass die Arbeitersyndikate, die aus Syndikalisten bestehen, durch die Ausführung inakzeptabler Taten alle – wie der Gefährte Graham sagt – „zu einer Kopie der Berufsorganisationen geworden ist, und dass die Anarchisten, die zu ihrer Bildung beitragen, nur noch Anführer und Vorarbeiter dieser Organisationen sind“. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass die Erste Internationale, die inhaltlich den später entstandenen Organisationen weit überlegen war, sehr bald degenerierte und dem siegreichen sozialdemokratischen Lügen zum Opfer fiel. Selbst die American Federation of Labor war in ihren Anfängen viel revolutionärer als der heutige Syndikalismus, oder genauer gesagt, als seine Syndikate. Was aus ihnen geworden ist, wissen wir alle!

Sogar die Unione Sindicale Italiana (USI) war von internen Kämpfen, von Konflikten zwischen den Ideen und Prinzipien ihrer Repräsentanten betroffen. Und ohne die außergewöhnlichen und plötzlichen Ereignisse des italienischen Nationallebens, die die italienische proletarische Bewegung auseinander rissen, hätten wir sehr wahrscheinlich eine „Wendung nach rechts“ dieser Organisation erleben müssen. Eine Wendung nach rechts!

Jede Seite der Geschichte hat ihre „Wendung nach rechts“. Es ist die ewige Täuschung des Volkes und der Parias. Es ist die Täuschung des guten Glaubens, der Einfachheit, des Heldentums, des Opfers der Elenden, deren Haut und großzügigem Blut alle Revolutionen ihren Triumph verdanken. Es ist das unvermeidliche Ergebnis jeder Sache, die nicht endgültig mit der Vergangenheit bricht, die Privilegien und Autorität bewahren will.

Es ist immer möglich, die Armen zu täuschen, oder besser gesagt, die Armen täuschen sich selbst, und im Namen einer vermeintlich neuen Freiheit schmieden sie neue Ketten für ihre Handgelenke; und im Namen einer neuen vermeintlichen Freiheit akzeptieren sie den alten Betrug, der von den Revolutionären umbenannt und als neu verkleidet wurde: „Geh aus dem Weg und ich komme rein“.

Und warum? Der Grund ist jedem klar, der sich nicht mit der Geschichte befasst hat und wenig über die Mentalität der Bescheidenen weiß. Aber historische Illustrationen und psychologische, soziale, historische und naturwissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Phänomen sind hier nicht möglich. Ich beschränke mich daher darauf, jeden aufrichtigen Revolutionär aufzufordern, über diese historische Wahrheit nachzudenken, die nicht nur wenig bekannt ist, sondern sogar freudig verleugnet und durch den verhängnisvollen historischen Faschismus gewisser sozialistischer Schulen und, warum soll ich es nicht sagen, auch von gewissen Anarchisten verheimlicht wird.

Aber wenn das stimmt – nur aus Ignoranz und Bösgläubigkeit könnte es negiert werden – wäre es einfach absurd, darüber zu diskutieren, ob der Syndikalismus ein Mittel zur Beschleunigung von Revolution und Anarchie ist.

Und stimmt es außerdem, dass ihr in euren Syndikaten „alle Arbeiter auf(nimmt), die danach streben, selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung sie angehören.“?

Nein, mein Freund, das ist nicht so. Der Arbeiter, der in einer Stadt, aus dem verschwommenen Geschehen des Lebens der Armen herausgeworfen wird, in der die Arbeiter in einer der vielen reaktionären Organisationen von heute organisiert sind – in der Vergangenheit waren sie alle revolutionär -, muss den Mitgliedsausweis kaufen und den Monatsbeitrag zahlen, wenn er seinen Job behalten will. Genauso verhält es sich in einem Ort, in dem die Organisation reformistisch, sozialistisch, kommunistisch, katholisch, anarchistisch oder schließlich faschistisch ist.

Und der Syndikalismus macht keine Ausnahme von dieser Regel; im Gegenteil, Syndikalisten selbst schließen die Politik a priori von ihren Syndikaten aus, die rein ökonomisch sein müssen. Als ob „Politik“ und „Ökonomie“ nicht integrale und untrennbare, wenn auch variable Bestandteile einer jeden Gesellschaftsordnung wären.

Aber in ihren Syndikaten „alle Arbeiter auf(nehmen), die danach streben, selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung sie angehören“ zu akzeptieren!

Andererseits ist es nur möglich, Arbeiter massenhaft zu organisieren, wenn man nicht an seinen eigenen Prinzipien festhält, vor allem in Organisationen, die sozialistisch oder revolutionär sind oder dies von sich behaupten, denn die Mehrheit der Arbeiter ist konservativer als die Bourgeoisie. So werden Subversive gezwungen, reaktionären Organisationen beizutreten, und reaktionäre Arbeiter werden gezwungen, Organisationen beizutreten, die behaupten, revolutionär zu sein, obwohl sie wissen, dass mindestens 75 Prozent von ihnen aus konservativen, reaktionären Arbeiter bestehen.

Leider ist es zwar möglich, die schafähnlichen Menschenmassen unter der untreuen Führung und den betrügerischen Versprechungen der schlechten Hirten oder auch der guten Hirten – in diesem Fall ist das Übel schlimmer – zu versammeln, aber es ist nicht möglich, diese Menschenherden zum Handeln zu bringen, wenn der Moment und die Tatsachen es erfordern, wenn Niederlage und Schande schmerzen.

Und hier wiederhole ich die Frage, die ich bereits in einem früheren Brief beantwortet habe:

Wird es nie möglich sein, dass Arbeiter, egal welcher Glaubensrichtung, diejenigen sein wollen, die ihre Produkte kontrollieren? Wird es nie möglich sein, dass die Ausgebeuteten, die durch Jahrtausende der Sklaverei verroht sind, vergiftet durch eine tausendjährige und systematischer Indoktrinierung von Irrtümern, die die Fähigkeiten des Geistes von Anfang an entstellen, eingetaucht in die Dunkelheit der schrecklichsten Unwissenheit, unfähig zu einer realeren Vorstellung von Freiheit und Gerechtigkeit und zu den Mitteln, mit denen diese Inspirationen in die tatsächliche Lebensrealität umgesetzt werden können, stündlich und täglich, pervertiert durch das schlechte Beispiel von oben, gequält von wahnsinnigen Gelüsten, geschwächt und absorbiert durch den unmenschlichen Kampf um die elementarsten und unentbehrlichsten Lebensnotwendigkeiten, könnte es möglich sein, dass sie diejenigen sein wollen, die ihre Produkte kontrollieren? Ist es möglich, Kosaken, Vandalen, Sklaven und Sklavenhalter zu sein und gleichzeitig den libertären Sozialismus, den ersten Schritt zur Emanzipation der Arbeit, des Proletariats und der Menschheit, verwirklichen zu wollen?

Kämpfe für die Wahrheit, schlag auf die Brust, den Schädel, die Rippen der modernen Heloten, der vom Urbanismus Pervertierten, leg dein Ohr an den dumpfen Donner und du wirst vom Gegenteil überzeugt sein.

Beobachte sie, höre ihnen zu, frage sie unbemerkt aus, und du wirst überzeugt sein, dass jeder Sklave leidet und seine persönliche Emanzipation aus dem Zustand des ausgebeuteten Produzenten erhofft, aber seine Rettung in der Ausbeutung, der Spionage, dem Raub und dem legalen Betrug sucht; da ihm der Mut fehlt, dem Gesetz die Stirn zu bieten, sucht er sein Heil im Bordell, in der Taverne, in der Lotterie, in der gewalttätigen politischen Parteinahme, im Krieg: in allem, außer in der Abschaffung von der Ausbeutung und Unterdrückung, in der Revolution und der Anarchie.

Denn wenn das Proletariat geistig und moralisch emanzipiert wäre, hätte es schon längst seine Revolution gemacht; und wenn es jetzt emanzipiert wäre, würde es seine Revolution machen.

Denn entweder ist das Proletariat stärker als die ausbeutenden, tyrannischen und korrupten Klassen und hat für seine natürliche Gerechtigkeit und soziale Funktion Recht und Vernunft, oder aber wir irren uns und werden zu irrtümlicherweise verurteilt und müssen uns selbst erlösen und die Bedürfnisse des ausbeutenden Chefs, der unterdrückenden Regierung und des betrügerischen Priesters anerkennen.

Aber wir wissen, dass die erste Hypothese die wahre ist, nicht wahr?

Wenn also die Sklaven mehr körperliche Kraft haben als die Sklavenhalter und ihre Henker, wenn Vernunft, Recht und Gesundheit in uns und mit uns sind; wenn jeder arme Mensch sich danach sehnt, sich von der bestialischen Mühsal, den Qualen und der Erniedrigung zu emanzipieren, zu der die Gesellschaft der Diebe diejenigen verdammt, die für ihr Brot schwitzen, und zu diesem Zweck zu allen Mitteln greift, die er kennt und auf die er hofft und vertraut – selbst zu den schändlichsten, gewalttätigsten und irrigsten – und so zum blinden Werkzeug der Mörder der Bourgeoisie wird, der er sich unbewusst anschließt und verewigt; Wenn es stimmt, dass die revolutionären Institutionen des Proletariats degeneriert sind und unterdrückt wurden: dann liegt es an uns Revolutionären, die Ursachen, die Faktoren und die Elemente dieses sozialen Phänomens zu untersuchen, in sein innerstes Wesen einzudringen und ihm entgegenzutreten, wie es unsere Sache und sein höchstes Ziel verlangen.

L’Adunata dei Refrattari, 17. November 1923

V

Im kurzen Vorwort zu seinem schönen Buch The Mind in the Making sagt James Harvey Robinson Folgendes:

„Meine Idee ist also, dass alle Ausflüchte vor der gegenwärtigen Realität und vor dem, was Desjardin als höchste Pflicht ansieht, heute, wie nie zuvor in der Geschichte, schwache und feige Fahnenflucht vor der Pflicht des Jetzt sind, eine Verschwendung wertvoller Energie und, was vielleicht das Schlimmste ist, ein Symptom für eine niedrige persönliche oder zivile Moral, oder beides. Wahre Größe besteht nur darin, jedes Ding, ob Vergangenheit, Zukunft oder Ferne, in den Begriffen des Hier und Jetzt zu sehen, das heißt, in der Fähigkeit der Vergegenwärtigung.“

Richtig, wirst du sagen, aber das ist altes Zeug; und auf die historische Erfahrung des Sozialismus in all seinen Versionen verweisen, nach seinem Glauben, seiner Daseinsberechtigung und seinem viaticum zu seinem Sieg. Einverstanden, aber was beweisen die Fakten, was sagt uns die Realität des Hier und Jetzt?

Um diese heikle und komplexe Frage genauer zu beantworten und um aus der bitteren Erfahrung der Vergangenheit und der Leidenschaft der Gegenwart die schärfste Warnung und die tiefste Lehre zu ziehen, werde ich die Geschichte eigenmächtig in drei Perioden einteilen: die gesamte historische und prähistorische Vergangenheit bis zur Ersten Internationale; von der Ersten Internationale bis zum Weltkrieg (1914); und von 1914 bis 1923, dem heutigen Jahr.

Die Prähistorie lehrt uns also, dass sehr alte Völker zur höchsten Zivilisation aufstiegen und dann verschwanden und bis zur niedrigsten Degradierung verfallen sind.

Die Geschichte lehrt uns, dass die Völker schon immer gegen Unterdrückung und Ausbeutung gekämpft haben. Der Buddhismus, das Christentum, der Spartakusaufstand, die Reformation, die Renaissance, die englische, amerikanische und französische Revolution, die italienische und griechische Revolution für die Unabhängigkeit, die gegenwärtige aufständische Bewegung in Indien, Marokko und anderen Völkern, die den europäischen Großmächten unterworfen sind, sind alles Beweise dafür. Aber alles läuft auf einen Wechsel des Namens, der Form, der Formalitäten, der Mittel oder der Herren hinaus, oder vielmehr auf eine Vereinigung der Herren, denn die alten schließen sich den neuen an.

Das sollte uns davon abhalten, aufzuschreien und zu denken, dass der Sozialismus unausweichlich … war, dass die Bourgeoisie auf den Selbstmord zusteuert, während auf der anderen Seite immer der Pöbel die Rechnung bezahlt.

Es muss also gesagt werden, dass die Anarchisten in dieser Frage klarer sahen als ihre „wissenschaftlichen Gegner“.

Die Erste Internationale war in ihren Anfängen im wahrsten Sinne des Wortes revolutionär, d.h. antikollaborativ, politisch und ökonomisch sozialistisch und aufständisch. Dann wurde sie vom Marxismus kontaminiert: Eroberung der öffentlichen Gewalt, Kollaborationismus, Kooperativismus26, Minimalprogramm, Sozialdemokratie und so weiter.

Schließlich taucht der Syndikalismus auf, eine Schöpfung unzufriedener oder unruhiger Anarchisten und Sozialisten, um das Subproletariat in ihren Reihen zu versammeln. Und er war auch erfolgreich!

Und der Anarchismus, der weit von der Psychologie und dem Verständnis der Massen entfernt war, weil er zu innovativ und heroisch war, musste leiden.

Von der Bourgeoisie gnadenlos verfolgt, von Sozialisten und Syndikalisten verspottet und mit allen Waffen und Mitteln bekämpft, von den Massen missverstanden, denen im Tausch gegen eine Karte oder eine Stimme das Paradies versprochen wurde: Wie konnten die Anarchisten die Massen erobern und erziehen?

Viele wandten sich ab; andere, unfähig, den Menschen zu erschaffen, verschwendeten ihre Zeit mit vergeblichen Versuchen, den Übermenschen zu erschaffen; oder sie schwelgten in Zarathustra und unterhielten sich mit Stirners Paradoxien. Dennoch ist die Geschichte des Proletariats eine leuchtende Geschichte anarchistischer Aktionen; wertvolle Einsichten in die menschliche Natur fließen aus ihren Spekulationen; ihre Bewegung wird stärker; und was vielleicht am wichtigsten ist, sie kam zu der Einsicht, dass es, um zu siegen, es notwendig ist, mit all der Vergangenheit zu brechen, es ist notwendig, das Proletariat von den Fesseln, den Ketten, den Illusionen und dem Wahn des Arbeitersyndikalismus zu befreien.

Und dann?

Dann, als der Sozialismus in jeder Nation Millionen von Anhängern zählte, als er die Bourgeoisie mit Präsidenten für die Republiken versorgte, als er einen Schatz von Genossenschaften, der Presse usw. geschaffen hatte, als der Syndikalismus triumphiert hatte, brach der Weltkrieg aus.

Was sagt uns dieses letzte Jahrzehnt, was lehrt uns der große Krieg, der immer noch andauert, nur durch die Kraft der Dinge abgeschwächt, und der zu einem noch größeren Konflikt heranreift?

Und nach dem Krieg, was sagt uns dieser, was lehrt uns dieser? Was beweist die russische Revolution, die den Kapitalismus, nachdem sie diesen auflöste, nun gerne zurückfordert? Was beweist die siegreiche deutsche Revolution, die von den Sozialdemokraten ergriffen und in eine bourgeoise Republik kristallisiert wurde?

Was sagt uns die gewaltsame Repression der Massen und Revolutionäre durch die russischen Kommunisten und die deutschen Sozialdemokraten? Was sagen uns die niedergeschlagenen Revolutionen in Finnland, Ungarn, Italien, Spanien und Bulgarien? Was sagt uns der Faschismus in Italien? Die Militärdiktatur in Spanien, Ungarn, Russland und die, die in Frankreich, Deutschland, Griechenland und anderen Nationen wächst? Was sagen uns die der Reaktion ausgelieferten Menschenmassen, die unterdrückte Standesfreiheit, die zerstörten proletarischen Institutionen, was sagen uns unsere durch Feuer und bourgeoise Eisen Getöteten, die Hunderttausende unserer Gefangenen, unsere Exilanten und Flüchtlinge und der Verrat, die Bösgläubigkeit und Niedertracht der Anführer sowie die Angst, der Terror, die Unordnung und die Unbeständigkeit der hungernden, zerlumpten, massakrierten und noch nicht revolutionären Massen?

Welches sind die Menschen und die sozialistischen Parteien, die, auch wenn sie die gegenwärtige Niederlage eingestehen müssen, die Fehler der Vergangenheit erkennen?

Die eine oder andere Ausnahme mag sich zu Wort melden, aber im Allgemeinen machen die sozialistischen Parteien, ob sozialdemokratisch oder arbeiteristisch, mit den alten Fehlern weiter.

Nur der Syndikalismus hat sich – nach dem russischen Experiment und der „Wendung nach Rechts“ einiger großer Syndikate – in Richtung Anarchismus bewegt, aber mehr durch die Arbeit von Anarchisten als von ihren Mitgliedern. Aber dieser Libertärtum scheint mir fiktiv und inkohärent zu sein.

Von Entwicklung, von Fehlern der Vergangenheit, von der Notwendigkeit theoretischer und taktischer Verbesserungen sprechen nur Anarchisten: „Wir wollen die Methoden und Taktiken der Anarchie weiterentwickeln, verfeinern, vervollkommnen und den Weg der Wahrheit und der Freiheit suchen und finden […]“, heißt es in einem Brief der Aggruppamento Autonomo Universale „Anarchia“, mit dem die Veröffentlichung des Messaggero della riscossa angekündigt wird (siehe L’Adunata dei Refrattari Nummer 14). Und eine andere Gruppe von Gefährten, die einer anarchistischen Zeitung namens Fede Leben einhauchen wollten, gab ein schönes Kommuniqué aus Rom heraus, in dem sie sagten:

„Da wir neu anfangen müssen, sehen wir die Notwendigkeit, uns neu zu überprüfen, uns selbst zu beurteilen; unsere Gedanken zu klären, uns von all den Gewichten und all dem Flitter zu befreien, die uns lähmten, als unser Wille auf eine bestimmende Kraft zählen konnte.“

Und das ist gut so. Auch dieses Mal sind die Anarchisten, die weniger schuldig und mehr geschlagen sind als alle anderen, die ersten, die auf anarchistische Weise ihre Unzulänglichkeiten und Fehler erkennen und versuchen, den erlittenen Schaden zu beheben und sich zu verbessern.

Es ist jedoch schon so lange her, dass wir festgestellt haben, dass viele von denen, die sagen oder glauben, Sozialisten zu sein, es nicht sind, dass die Sozialdemokratie die letzte Bastion des Kapitalismus ist und sein wird, dass ein autoritärer Sozialismus, wie ihn Marxisten aller Couleur wollen, nicht machbar ist, dass Genossenschaftswesen, die Eroberung der öffentlichen Gewalt, der Autoritarismus und der Arbeitersyndikalismus das Proletariat ruiniert haben. Heute geben uns die Fakten recht.

Aber du beharrst darauf: „in unseren Syndikaten alle Arbeiter auf, die danach streben, selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen“, usw. „ist weder Sozialismus noch Anarchismus“.

Stimmt; aber das ist auch kein Syndikalismus, wenn mit Syndikalismus eine sozialistische Lehre gemeint ist: Es ist einfach „Arbeitergenossenschaft“, und zwar umso mehr und umso besser, als niemand von den Mitgliedern der Syndikate verlangt, „ selbst die Kontrolle über ihre eigenen Produkte zu erlangen“, wenn sie beitreten wollen.

Die Zeit wird kommen, in der die Geschichte ihr Urteil über diese Plage des heutigen Proletariats fällen wird, und der Gelehrte wird, statt von der Blindheit der Massen und der Perversität und dem Verrat ihrer Bosse, von dem Glauben beeindruckt sein, den so viele aufrichtige Revolutionäre an den Arbeitersyndikalismus hatten. Aber unsere aktuelle Aufgabe ist es, den Weg zur anarchistischen Revolution von allen Hindernissen zu befreien.

Und das ist genug für heute. In einem der nächsten Briefe werde ich auf den zweiten Absatz antworten.

L’Adunata dei Refrattari, 24. November 1923

VI

Lass uns nun zu deinem zweiten Absatz kommen, in dem du behauptest und fragst:

„Nun, um ein System „Anarchie“ zu nennen, müsste es ausschließlich aus Anarchisten bestehen. Aber wenn die Mentalität der Mehrheit nach der Abschaffung des Privateigentums immer noch weit von der schönen anarchistischen Philosophie entfernt ist, wie würdest du dann ein solches System nennen?“

Wenn man den Sinn deines Absatzes analysiert und den logischen Verlauf des menschlichen Denkens aufgreift, d.h. von deinen Behauptungen und Schlussfolgerungen ausgeht, um die Versprechen und die Gründe zu finden, denen sie entspringen, kann (oder besser gesagt muss) man folgern, dass du:

1. Es für unmöglich hältst, die Anarchie zu verwirklichen, solange nicht alle oder die große Mehrheit Teil der schönen anarchistischen Philosophie sind.

2. Du die Abschaffung des Privateigentums in einer Gesellschaft für möglich hältst, die nicht auf dem integralen Sozialismus, der ökonomischen Grundlage des Anarchismus, basiert.

3. Du denkst, dass die zukünftige Revolution, bevor sie die Anarchie erreicht, ihre Entwicklung bis zu einem gewissen Grad kristallisieren wird; du denkst, dass ihre Übergangsinstitutionen festgelegt werden und so ein unvollkommener sozialer Staat entsteht, der später zur Anarchie tendiert.

4. Schließlich scheinst du in der gegenwärtigen Phase der anarchistischen Lehre und in ihrer Gesellschaftskonzeption die endgültige menschliche Vollkommenheit und das Streben danach zu sehen.

Wenn das so ist, wenn die Ansichten, die in deinen Worten mitschwingen, so sind, wie ich sie verstehe, dann muss ich dir sagen, dass sie falsch sind, sie stehen im Widerspruch zum Wesen der Dinge, im Widerspruch zu allen historischen und gelebten Erfahrungen und darüber hinaus äußerst gefährlich und schädlich für die Zukunft unserer Sache. Ich werde versuchen, es dir zu beweisen.

Wenn ein System nur aus Anarchisten bestehen darf, um „anarchistisch“ zu sein, dann musst du aufhören, das gegenwärtige System „kapitalistisch“ zu nennen, denn es besteht weder tatsächlich noch prinzipiell ausschließlich aus Kapitalisten. Im Gegenteil: Die Mehrheit ist nicht kapitalistisch.

Aber es gibt noch mehr, was die politischen Systeme eines solchen Kapitalismus angeht: In Frankreich herrscht die Republik, in Italien die Monarchie, in Russland bis vor kurzem die Autokratie und jetzt der Bolschewismus. Aber in Frankreich sind sie nicht alle Republikaner und in Italien nicht alle Monarchisten, genauso wenig wie sie in Russland zur Zeit des Zaren alle Zaristen waren oder jetzt in der guten Zeit der Diktatur des…. Bolschewismus. Es stimmt dass das ökonomische System immer noch kapitalistisch ist, Frankreich ist republikanisch, Italien monarchisch und so weiter, trotz der vielen Dissidenten und Gegner. Aber warum?

Weil die Bourgeoisie mit ihrer Revolution die alten Tyranneien entthront hat; hier hat sie sie gegen eine Republik, dort gegen eine konstitutionelle Monarchie ausgetauscht und dann die alten Institutionen und die Klassen, die sie getragen haben, in sich aufgesogen und die alte organisierte Gewalt zu ihrer Verteidigung und ihrem Dienst umgewandelt: Die Polizei und die Armee unter dem Kommando der politischen Staaten der Bourgeoisie, die geschaffen wurden, um die Legitimität ihrer Herrschaft und ihres Kommandos selbst zu behaupten und sie mit Eisen und Feuer zu verteidigen, wo ziviler und religiöser Betrug und Lügen nicht ausreichten, um die Sklaven in christlicher Resignation und Gehorsam gegenüber dem Gesetz der Bosse auf dem Boden zu halten.

Es liegt in der Natur des kapitalistischen Systems und seiner verschiedenen Regierungsformen – des Priesters, des Polizisten, des Henkers -, dass es „durch die geschichtliche Konsequenz“ oder „durch den natürlichen geschichtlichen Verlauf“, wie einige gesagt haben, zur Verewigung dieses Systems tendiert, es sei denn, es wird, richtig verstanden, durch offene Rebellion bekämpft, die der physischen und geistigen Kraft der Wiederherstellung dieser alten Formen überlegen sein muss. Ich glaube also, dass wir ein solches System zu Recht als „anarchistisch“ bezeichnen können, wenn der Kapitalismus und der Staat zu Fall gebracht – auf die eine oder andere Weise zerschlagen – werden und Produktion, Verteilung, Austausch und Fortbewegung auf einer ökonomisch und politisch libertären Grundlage (freie Verständigung und Initiative sowie Kommunismus) organisiert werden, so fehlerhaft und unvollkommen es auch sein mag.

Denn auf dieser Grundlage würde es im Anarchismus ganz natürlich dazu tendieren, sich in eine anarchistische Richtung zu entwickeln.

Nur so wäre eine Übergangsperiode der zukünftigen – und bereits gegenwärtigen – sozialen Revolution möglich, in der das Eigentum tatsächlich abgeschafft würde, auch wenn die Mentalität der Mehrheit noch weit von der schönen anarchistischen Philosophie entfernt wäre. Denn wenn wir und das Volk, nachdem wir die Bourgeoisie, ihre Staaten und das vergesellschaftete Privatkapital besiegt haben, einer der verschiedenen revolutionären, aber autoritären und etatistischen Parteien erlauben würden, die Revolution zu übernehmen, wenn wir – sogar im Namen der Revolution selbst – einen neuen Staat, eine neue Autorität mit ihren Gesetzen, ihren Gefängnissen, ihrer Polizei, ihren Henkern und Armeen zulassen würden, weißt du, was dann passieren würde?

Es würde das passieren, was in einer solchen Situation immer passiert und passieren wird: Die neue Regierung wird sich schnell den gesellschaftlichen Reichtum aneignen und mit diesem Reichtum alle Unterdrücker aus der Zeit vor der Revolution rekrutieren, alle Söldner, und mit ihnen wird die neue revolutionäre Regierung im Namen der Revolution erst einmal alle Revolutionäre, die nicht mit ihr übereinstimmen, einen nach dem anderen unterdrücken, und dann, wenn die unvermeidlichen negativen Folgen die Massen zum Aufstand treiben, wird sie auch die Massen en masse unterdrücken.

So geschah es in Frankreich, während der großen Revolution, die zu Napoleon führte. Es geschah auch während der russischen sozialistischen Revolution, die nach Lenin-Robespierre in diese Richtung geht, und mit der deutschen Revolution, die auf eine Militärdiktatur im Namen des Kaisers und durch den Kaiser, oder wie auch immer er heißen mag, zusteuert.

Da auch ich nichts anderes tun kann, als zu kritzeln, habe ich beschlossen, hier einige Worte wiederzugeben, die besser und sachkundiger als ich über das revolutionäre Problem sind, um meine These zu bekräftigen und noch etwas hinzuzufügen.

Hier sind einige Passagen aus dem Artikel „Accidenti agli Scioperi!“ [Unfälle bei den Streiks!] von Old Man, veröffentlicht in der Cronaca Sovversiva, Jahrgang I, Nummer 3, neue Serie:

„[…] unter uns ist es offensichtlich, dass die soziale Revolution etwas mehr ist als ein doktrinäres Postulat oder eine politische Orientierung; durch konkrete Aktionen wird die große ökonomische Umwälzung vollzogen, die die Erneuerung ermöglicht, die sie am unmittelbarsten verbindet, nämlich die Abschaffung jedes Organismus der Autorität, und vor allem des Staates.

Die Geschichte lehrt uns einerseits, dass es kindisch wäre, aus der Revolution die verschwenderische und vereinfachende Vorstellung abzuleiten, die die verächtlichen Hirten unter den Massen kultivieren, die behauptet, dass wir – die unserer Generation – die Revolution machen, alles schnell lösen und das unmittelbare Morgen beherrschen werden, weshalb wir bereits die entsprechenden ökonomischen Organismen haben müssen, und mit ihnen die politischen Hierarchien, durch die die souveräne Diktatur der proletarischen Klassen sofort Gestalt annehmen und sich bilden wird.

130 Jahre sind seit dem Tag vergangen, an dem die Verfassunggebende Versammlung die Erklärung der Menschen- und Staatsbürgerrechte veröffentlichte, und die politische Gleichheit, die seit dem ersten großen Akt der Französischen Revolution ratifiziert wurde, ist immer ein Anspruch geblieben, der weit von der Realität entfernt ist. Und sie war und ist nichts weiter als formale Eroberungen, politische Leere.

Stellen wir uns vor, wie lange eine Revolution dauern würde, wenn sie nur die Rechte, die Befugnisse, die politischen Hegemonien einer Kaste oder einer Klasse verändern wollte, sondern die grundlegenden Interessen, auf denen die gegenwärtige Ordnung beruht, in die Realität der alltäglichen Beziehungen übertragen würde, und zwar gleichberechtigt für jede und jeden, auf ein Dasein, das im weitesten Sinne verstanden wird, in der maximal vorstellbaren Entfaltung aller individuellen und kollektiven Energien.

Wir wollen keineswegs ausschließen, dass während des Krieges gegen die Bourgeoisie die Produktion und die Verteilung der Produkte etabliert werden, dass die Revolution in dem Moment, in dem alle ihre Ressourcen benötigt werden, genährt wird, dass ihre praktischen Ergebnisse gepflegt werden und gleichzeitig den Massen mit dem unmittelbar realisierbaren Wohlstand ein vernünftiges Versprechen auf das Größere und Stabilere gegeben wird, das allen durch ihren endgültigen Triumph zugesichert wird.

Doch schließen wir kategorisch aus, dass solche Absichten einen endgültigen Charakter annehmen können und dass auf der Grundlage von Organen mit absolutem Charakter und provisorischen Funktionen irgendeine Form der Regierung gebildet werden müsste, dass irgendeine Form der Regierung etabliert werden müsste. Umso gefährlicher ist es, dass die Träumer der drohenden Diktaturen bis heute vorgeben, sich im Namen der Vertretung, die sie zu Dienern und Mandataren des Proletariats macht, als Herren aufzuspielen; die neuen Herren beanspruchen den Platz der alten mit derselben absurden Gier und sind darauf erpicht, den Willen der Individuen, ihre Gründe, ihre Standpunkte den übergeordneten Wünschen der von ihnen zusammengefassten und vertretenen Kollektivität unterzuordnen; ein idiotischer und grausamer Jakobinismus, den der edelste Idealismus und die heldenhaften Holocausts der Revolution in das „Geh aus dem Weg, ich setze mich rein“ übersetzen würden, mit dem alle politischen Revolutionen zur bitteren Enttäuschung der Ankündiger und der großzügigen Architekten geendet haben.

So unerträglich, dass jeder von uns den Wert und die Funktionen der Parteien und ihre absolute Unfähigkeit, die Revolution zu machen, versteht“.

Und da es mir scheint, dass du die Minderheiten als historischen Faktor und das Eingreifen und die Fähigkeit der Massen, die Revolution zu machen und zu entwickeln, nicht kennst, hör dir ein weiteres Fragment aus demselben Artikel „Accidenti agli Scioperi“ an, das sich mit der Entstehung und Entwicklung von Revolutionen befasst:

„Wer revolutionäre Phänomene studiert, erkennt leicht den Prozess: Der Protest geht dem Gedanken voraus; der Gedanke wird ausgearbeitet, integriert, blitzt auf, zieht in privilegierten Seelen die Glut des Glaubens an, die das Gesicht in den Seelen der Vorläufer erhellt, der Blitz, von dem die Phalanx der Anhänger erleuchtet wird. Die individuelle Rebellion ist das Prodrom des kollektiven Aufstands, dessen Seele, wenn sie von einem höheren Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit durchdrungen ist, zur Seele der Linie, der Epoche, der neuen Ordnung wird, die heranreift und am Horizont der Geschichte erscheint, indem sie alle Bindungen mit der verdrängten Ordnung bricht: Sie wird zur Revolution“.

Der Kürze halber verzichte ich hier auf die historische Prosa der italienischen Nationalrevolution, die der Autor synthetisch darlegt, um seine These zu untermauern, und beschränke mich auf die historische Darstellung der sozialistisch-anarchistischen Bewegung.

„Babeuf, der sich im Beisein der Richter die Kehle durchschneidet, ist der erste Protest gegen die Hehler der großen Revolution. Ein halbes Jahrhundert später werden Proudhons Hände zu einem Akt des Protests gegen das individuelle Eigentum; Marx, Bakunin, Cafiero, gehen zum Plebs; Cartagena, Benevento, das sind die ersten Etappen, dann wird der ferne, verworrene, allgemeine Idealismus innerhalb der Internationale bewusst. Die Bewegung zersplitterte schnell: Auf der einen Seite wurde das Gefühl der Kollaboration mit der herrschenden Klasse übertrieben, auf der anderen Seite wurde die ikonoklastische Rebellion hervorgehoben. „Das Eigentum ist der Feind?“ Und das Eigentum wird in den Tresoren angegriffen.

„Der Feind ist der Staat?“ Und seine gekrönten Symbole werden angegriffen; das überlebende heilige Amt in den Inquisitoren, die bourgeoise Ordnung in all ihren Rissen, die bourgeoise Moral in all ihrer Heuchelei; und in der Luft ziehen strahlende Phantome vorbei, Ravachol, Angiolillo, Bresci und Czolgosz, verflucht von den gestörten Göttern des Olymps, verflucht und verleugnet mit gleicher Wut von den ängstlichen und überholten revolutionären Bruderschaften.

Aber Ketzerei wird zur Lehre, die einzelne Tat schwängert die Massen mit ihren satanischen Vorzügen; Streiks, die aus kleinen Gruppen bestehen, die resigniert die Waffen strecken, werden zu kühnen Aufständen, bei denen sich die großen Massen in der Fabrik, in der Provinz, in der Nation vereinigen, um den Feind in seinen Höhlen anzugreifen, um seine Niederlage zu beschleunigen, deren diskrete Kapitulation wir das Verhängnis und die Frist vorhersehen können. Auch hier (auf unserer Seite) die individuelle Revolte, der kollektive Aufstand, die Revolution“.

Doch seit den frühen 1920er Jahren, als diese Worte geschrieben wurden, haben sich die Dinge stark verändert, und zwar zum Schlechten, und die Kapitulation des Feindes, die damals nahe schien, ist heute weiter entfernt als je zuvor.

Du kennst die revolutionäre Psychologie der meisten europäischen Völker zu dieser Zeit sehr gut. Es waren die Massen, die die Parteien zur Revolution trieben, die sie zwangen, revolutionär zu sein oder so zu tun, als ob sie es wären.

In Italien waren damals sogar die Priester auf ihre Weise Revolutionäre. Auch die Sozialisten murmelten, ein wenig aus Zwang, ein wenig aus Liebe, ein wenig aus Wahlspekulationen, von Revolution.

Die Sozialdemokratie war gezwungen, in der steigenden revolutionären Flut zu trinken oder zu ertrinken, mit der sie der allgemeinen Welle folgte, in der Hoffnung, die Revolte ihrer ungezähmten Massen in einer bourgeoisen Wählerschaft zu kristallisieren. Und die Republikaner waren bereit, für ihre Republik zu kämpfen.

¡1923! Jetzt hingegen sind die Massen misstrauisch, korrumpiert, teilweise von der Reaktion. Angesichts der Geschehnisse in Russland oder Deutschland würde keine autoritäre Partei eine Revolution wagen wollen, wenn sie nicht von vornherein sicher wäre, dass sie sie an der Leine ihres Programms durchziehen und den Sieg erringen könnte, um an die Macht zu kommen.

Diese autoritären Parteien waren nie, so wie sie es jetzt sind, gegen die Revolution. Sie erfüllen die Funktion einer Stützmauer für die Massen, ohne die ein revolutionäres Eingreifen unmöglich ist.

Die einzigen, die eine soziale Revolution wollen, sind die Anarchisten und Anarchosyndikalisten. Aber wenn das gute Wetter naht, werden sicher auch die anderen zu Revolutionären, aus Wahlspekulation und Herrschsucht, um die Zeit für die Revolution zu vergeuden, um sie zu monopolisieren. Deshalb sind wir heute allein.

Mit Zuneigung,

L’Adunata dei Refrattari, 1. Dezember 1923


Die doppelte Verurteilung von Bartolomeo Vanzetti

(Anmerkung des Herausgebers)

Bartolomeo Vanzetti wurde 1888 in Villafalleto, einer kleinen Stadt in der Provinz Cuneo im Piemont, geboren und sein Leben ähnelte dem vieler anderer Proletarier in Italien zu dieser Zeit. Nachdem er von klein auf in sehr harten und schlecht bezahlten Jobs gearbeitet hatte, beschloss er im Alter von zwanzig Jahren, sich in die Vereinigten Staaten, das „Gelobte Land“ – wie er es selbst nannte – zu begeben, um sein Glück zu versuchen.

Dort angekommen, trifft er auf eine ganz besondere Realität, die ihn tief prägen wird: die Ausbeutung im großen Stil und das Leben und den Kampf der großen Gemeinschaft italienischer Arbeiter in den Vereinigten Staaten.

Im Jahr 1914 begann Vanzetti für die Plymouth Cordage Company zu arbeiten, das größte Tauwerkunternehmen der Welt und Eigentümer der Stadt Plymouth, in der ganze Kolonien von Italienern und Portugiesen beschäftigt waren. Am 17. Januar 1916 brach in der Fabrik ein großer Streik aus, „der erste in der Geschichte der Tauwerkindustrie“. Vanzetti war einer der Organisatoren.

Als die Fabrik einen Monat lang geschlossen war, gewährte das Unternehmen eine Lohnerhöhung.“27 Diese Erfahrung der Selbstorganisation und des Kampfes sollte Vanzetti ermutigen und positiv begleiten.

„Durch meine aktive Teilnahme am Streik der Seilarbeiter in Plymouth war mir klar, dass es für mich keine Beschäftigung geben konnte…. Tatsächlich wurde es durch meine immer häufigere Teilnahme an den Redelisten von Gruppen aller Klassen immer schwieriger für mich, irgendwo Arbeit zu finden. Das ging so weit, dass ich in einigen Fabriken definitiv auf der „schwarzen Liste“ stand.28

Ein Jahr später, als die US-Regierung unter der Führung von Präsident Woodrow Wilson beschloss, in den Krieg einzugreifen, der Europa in ein wahres Gemetzel verwandelte, um amerikanische Interessen zu verteidigen und die Gewinne der Rüstungsindustrie zu kassieren, wurde eine Kampagne zur Zwangsrekrutierung von „Staatsbürgern und Ausländern“ gestartet. Vanzetti floh zusammen mit seinem Freund und Gefährtin Nicola Sacco und anderen Anarchisten nach Mexiko, wo sie sich in Lehmhäusern niederließen und eine regelrechte Kommune von Deserteuren gründeten, die so viel arbeiteten, wie sie konnten, und alles teilten, was sie hatten.

Unter den Italienern, die nach Mexiko flohen, waren nicht nur Sacco und Vanzetti, sondern auch andere bekannte Gefährten wie Luigi Galleani, ein großer Redner und Herausgeber der Zeitschrift Cronaca Sovversiva, und Andrea Salsedo, ein gelernter Typograf und Mitarbeiter von Galleanis Zeitschrift.

Als sich die Lage in den Vereinigten Staaten entspannte und die Gefährten die Nachricht erhielten, dass es möglich war, der Einberufung zu entgehen, kehrten sie zurück. Dennoch war die Situation für den Kampf schwierig geworden. Am 16. Mai 1918 verabschiedete die Regierung den Sedition Act, der zusammen mit dem 1917 verabschiedeten Espionage Act dazu dienen sollte, viele Anarchisten, vor allem ausländischer Herkunft, abzuschieben, zu inhaftieren und zu foltern. Dieses Gesetz verbot „illoyale, gotteslästerliche, verleumderische oder beleidigende Äußerungen“ gegenüber der US-Regierung, ihrer Flagge oder ihren Streitkräften und wurde mit fünf bis 20 Jahren Gefängnis bestraft. Dieses Gesetz richtete sich auch gegen fremdsprachige Publikationen, die in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden.

Am 16. Oktober 1918 wurde der Anarchist Exclusion Act verabschiedet, der die Definition eines Anarchisten präzisierte und die Möglichkeiten der Deportation erweiterte. Luigi Galleani, Emma Goldman, Alexander Berkman und viele andere Libertäre wurden in den folgenden Monaten deportiert.

Am 25. Februar 1920 wurden zwei italienische Anarchisten, die bereits erwähnten Andrea Salsedo und Roberto Elia, verhaftet, um sie wegen subversiver Pamphlete zu verhören. Am 3. Mai, nach mehr als zwei Monaten Haft und Folter, stürzte Salsedo aus dem 14. Stock des Park Row Building, in dem das FBI seine Büros hatte. Nach Angaben des FBI hatte er „Selbstmord begangen“.

Zwei Tage später werden Vanzetti und Sacco auf dem Rückweg von einem Treffen zur Organisation einer Kundgebung für Salsedos Tod verhaftet, was die ganze Geschichte zur Folge hat, die jeder kennt und die sieben Jahre später mit ihrem Tod auf dem elektrischen Stuhl endet, nachdem sie fälschlicherweise beschuldigt wurden, an dem Überfall und Mord an einem Fabrikzahlmeister und seinem Begleiter beteiligt gewesen zu sein. Die ganze Odyssee wird in Büchern, Artikeln, Publikationen, Liedern und Filmen festgehalten.

***

Über die Fakten rund um Vanzettis Leben hinaus wollen wir die Bedeutung seiner Positionen und seiner Ideen hervorheben, denn, wie er selbst sagen würde, ist „die wahre und tiefe Geschichte“ eines Menschen nicht „in den äußeren Umständen […], sondern im inneren Erwachen seiner Seele, seines Verstandes und seines Gewissens zu finden“29.

Bei der Anprangerung des Prozesses gegen Sacco und Vanzetti, der vollständig von den Behörden inszeniert wurde und voller falscher Anschuldigungen war, wurde vergessen, dass sie Anarchisten waren, die der antiorganisatorischen anarcho-kommunistischen Strömung angehörten, die fälschlicherweise als Galleanisten30 bezeichnet wurde, und die den aktiven Kampf gegen staatliche Unterdrückung befürworteten.

Die hier veröffentlichten Briefe, die ursprünglich von der Gruppo Editore L’Antistato aus Italien im Jahr 1957 veröffentlicht wurden, dienen dazu, Vanzettis Position in der Frage des Syndikalismus zu vertiefen, einer damals sehr aktuellen Diskussion, aber auch seine Vorstellungen über Organisation, Politik und „revolutionäre“ Parteien, die vielen Anarcho-Kommunisten seiner Zeit gemeinsam waren.

Im Vorwort der 1957 erschienenen Ausgabe dieser Briefe erzählt Michela Bacchieri, dass Vanzetti im Gefängnis „so viele Bücher wie möglich las, nicht so sehr, um sich die Zeit zu vertreiben, sondern vielmehr aus dem Wunsch heraus, durch Forschung die Elemente zu kennen, die für die Lösung des sozialen Problems gelten „31 , d. h. die Ausbeutung und die Notwendigkeit, sie durch eine Revolution zu überwinden.

„Die Frucht so vieler Überlegungen und ein wertvoller Beitrag für die Sache, die er sich auf die Fahnen geschrieben hatte, sowie ein Spiegel seines edlen Herzens und seiner lebhaften Intelligenz sind die Schriften dieser Zeit: unzählige Briefe an Freunde und Gefährten, Artikel für italienischsprachige proletarische Zeitungen, Berichte, die er für die Verteidigung seines Prozesses vorbereitete, und schließlich zwei autobiografische Werke, von denen „Geschichte des Lebens eines Proletariers“ in mehr als 20 Zeitungen veröffentlicht wurde […]32“.

Die in diesen Briefen enthaltene Kritik und Ablehnung des Syndikalismus, die wir hier veröffentlichen, stammen aus der Zeit zwischen seiner Verhaftung und seiner Ermordung durch die amerikanische Justiz. Seine Analyse basiert nicht auf abstrakten Ausarbeitungen, sondern vor allem auf seinen praktischen Erfahrungen im Arbeiterkampf. Auch heute, mehr als 90 Jahre später, haben seine luziden Beiträge nichts von ihrer Kraft und Relevanz eingebüßt. Er sah im Syndikalismus einen neuen blinden Glauben im religiösen Sinne des Wortes, der viele Anarchisten und Revolutionäre mit sich zog und der wiederum jeden einzelnen der alten Fehler der revolutionären sozialistischen Bewegung reproduzierte.

Wir denken, dass die erstmalige Veröffentlichung dieser Briefe in spanischer Sprache dazu dienen wird, über Syndikalismus und Organisation nachzudenken und diesen Vanzetti kennenzulernen, der zur alleinigen Rolle des Märtyrers des Anarchismus verurteilt wurde und der nicht nur wegen der schrecklichen Machenschaften der Justiz gegen ihn in Erinnerung bleiben sollte, sondern auch als aktiver anarchistischer Agitator, der mit seinen klaren Argumenten dazu beigetragen hat, die stets aktuelle Debatte über Organisationsformen und den revolutionären Kampf lebendig zu halten.


1Per l’abolizione di ogni autorita 1927-2007 Lettere di Bartolomeo Vanzetti su sindacati e sindacalismo, Edizioni Il Picconiere, Villafalletto, Août 2007

2B.Vanzetti, «Una vita proletaria», Galzerano editore, Casalvelino Scalo ü(SA), 2005, p.37

3Cerrito, „Sull’organizzazione anarchica negli Stati Uniti d’America“, in Volontà, Jahrgang XXII, Nr. 4, Juli/August 1969 , S.273.

4L. Galleani, „Matricolati!“, in: Cronaca Sovversiva, Lynn, Massachusetts, 26. Mai 1917. Auszüge abgedruckt in einer ausgezeichneten Biografie über Galleani: U. Fedeli, „Luigi Galleani. Quarant’anni di lotte rivoluzionarie. 1881-1931“, Centrolibri, Catania, 1984, S.101. [Vollständig abgedruckt in einer reichen Sammlung von Galleanis Artikeln gegen den Krieg: „Una battaglia“, Biblioteca de L’Adunata dei refrattari, Rom, 1947. Anm. d. Ü.]

5Cf. Paul Avrich, «Sacco and Vanzetti. The anarchist background», Princetown University Press, Princetown N.J., 1991, Kapitel. 12 und 13.

6Wochenzeitung, die 1922 in Newark, New Jersey, als Nachfolgerin der Cronaca Sovversiva gegründet wurde. Im Jahr 1928 wurde Raffaele Schiavina, bereits Galleanis rechte Hand bei der Cronaca, Redakteur und leitete die Zeitschrift bis zu ihrer Schließung im Jahr 1971. Die Redaktion von L’Adunata schloss sich nicht nur der Kampagne für Sacco und Vanzetti an und veröffentlichte Sammlungen mit Texten von Galleani, sondern beteiligte sich auch konkret an den laufenden Kämpfen: Sie schickte Geld an Severino di Giovanni in Argentinien und half 1931 Michele Schirru bei seiner Rückkehr nach Italien, um ein Attentat auf Mussolini zu verüben.

7G. Manga, «Note storico considerative sul sindacalismo conosciuto da Bartolomeo Vanzetti e Nicola Sacco in America negli anni 1908-1923» in Notiziario dell’Istituto Storico della Resistenza in Cuneo e Provincia, n°33, Juni 1988, 1er Semester, S.89.

8P. Avrich, «Sacco and Vanzetti», zit., S. 159.

9Vorwort von a Lettere sul sindacalismo, Edición L’Antistato, Cesena, 1957

10Die CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro) wurde 1944 als Zusammenschluss von Sozialisten, Kommunisten und Christdemokraten gegründet. 1948 spalteten sich die Christdemokraten ab und gründeten die Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (Italienische Konföderation der Syndikate der Arbeiter). 1950 verließen die Sozialisten diesen und gründeten die Unione Italiana del Lavoro (Italienische Vereinigung der Arbeit). [Anm. d. Ü.]

11Federación Obrera Regional Argentina (Argentinische Regionale Arbeiterföderation), 1901 gegründet und Teil der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA).

12A.d.Ü., altes Wort für einen Mitglied eines Syndikates.

13A.d.Ü., altes Wort für einen Syndikat.

14A.d.Ü., altes Wort für jene die in einem Syndikat organisiert sind.

15Anhänger der republikanischen Ideen von Giuseppe Mazzini. [Diese Notiz und alle folgenden gehören zur spanischen Ausgabe].

16A.d.Ü., italienischer Spruch, bedeutet wenn man sich sehr anstrengen muss.

17Omenoni sind die telamons oder atlantes, Statuen mit der Figur eines Mannes, die in der hellenistischen Architektur als Säule dienen, auf der ein Gesims oder ein Gebälk ruht.

18Vanzetti spielt mit dem Wort rossore (erröten) und dem Namen des faschistischen Politikers Edmondo Rossoni.

19A.d.Ü., opportunistisch sein.

20Ein Fluss in Italien, der durch die Provinz Forlì-Cesena fließt und in die Adria mündet, den Caesar nach langem Zögern mit seiner Armee zu überqueren beschloss. Der Ausdruck „den Rubikon überqueren“ wird als Äquivalent für „eine kühne Entscheidung treffen und die möglichen Konsequenzen in Kauf nehmen“ verwendet.

21Der Libyen-Krieg, auch bekannt als „Libyen-Feldzug“, der zwischen 1913 und 1921 stattfand, ist eine der operativen Phasen nach dem italienisch-türkischen Krieg zur Sicherung der Souveränität der italienischen Kolonie Libyen.

22Anspielung auf das Sprichwort „Zwietracht ist ein Feld von Agramante“, das aus dem Gedicht „Orlando Furioso“ (1516) des Renaissance-Dichters Ludovico Ariosto stammt.

23Enrico Ferri, Kriminologe und Sekretär der Sozialistischen Partei Italiens, der auch Herausgeber der Parteizeitung Avanti! war, näherte sich in seinen späteren Jahren dem faschistischen Regime an, zu dessen Senator er kurz vor seinem Tod ernannt wurde. Dieser Rechtsruck fand einige Jahre nach diesen Briefen und Vanzettis Tod statt.

24Giuseppe de Felice Giuffrida war ein sozialistischer Politiker und Abgeordneter. Guido Podrecca war ein Politiker, der aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen wurde und später für die Nationalfaschistische Partei kandidierte.

25Er bezieht sich auf die Position dieser und einer Handvoll anderer großer Namen im Anarchismus, die sich für eine Beteiligung am Krieg zugunsten des Bündnisses gegen Deutschland aussprachen. Vgl. Ante la guerra. El movimiento anarquista y la matanza mundial de 1914-1918, erschienen im selben Verlag.

26A:d.Ü., bezieht sich an dieser Stelle auf das ‚Genossenschaftswesen‘, oder ‚Kollektive, Betriebskollektive‘, wie sie heutzutage genannt werden.

27John Dos Passos, Ante la silla eléctrica, Errata Naturae, Madrid 2011, S. 105.

28Bartolomeo Vanzetti, «Historia de la vida de un proletario», en VV.AA. Sacco y Vanzetti. Sus vidas, sus alegatos, sus cartas.Terramar, Buenos Aires 2011, S. 18.

29Bartolomeo Vanzetti, «Historia de la vida de un proletario», zit., S. 27.

30Denn sie gelten als Anhänger des alten Galleani, dessen Ideen in der bereits erwähnten Cronaca Sovversiva verbreitet wurden, die fünfzehn Jahre lang in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurde.

31«Prefazione all’edizione del 1957» in Per l’abolizione di ogni autorità. Lettere di Bartolomeo Vanzetti su sindicati e sindicalismo, Edizioni Il Picconiere, Cuneo 2007, S. 53.

32Ebenda.

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